New Science on the Blog? Internationale Herausforderungen für wissenschaftliche Blogs

Was passiert, wenn Wissenschaftler selbst zu Medienproduzenten werden? Müssen Wissenschaftskommunikatoren heute Community Manager sein, wenn es keine Zielgruppen mehr gibt, sondern sich alle in dialogischen Netzwerken bewegen? Welche Bedingungen brauchen wir, um die Potenziale der Sozialen Medien effektiv zu nutzen? Und welche Rolle spielt wissenschaftliches Bloggen weltweit?

Diese und andere Fragen werden Mareike König, Nadia von Maltzahn, Lars Fischer, Henning Krause und ich am 1. Dezember beim 8. Forum Wissenschaftskommunikation in Nürnberg diskutieren. Zum Einstieg in das Gespräch haben sich die Panelisten bereits “Küchenzurufe” überlegt:

Lars Fischer (Fischblog / SciLogs): “Gemeinsam ist allen Wissenschaftsblogs, dass sich ihre AutorInnen damit zur Wissenschaft positionieren: Zum Beispiel erklärend, teilnehmend oder beobachtend.

[...]

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/2979

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Resilienz als diskursive Formation: Was das neue Zauberwort für die Wissenschaft bedeuten könnte

Ein Versprechen geht um in den Korridoren zwischen den akademischen Disziplinen: Resilienz. Geschlüpft Anfang der 1970er Jahre bei den Ökologen, wenig später aufgenommen, gehegt und gepflegt bei den Entwicklungspsychologen und dann still und heimlich aufgebrochen zu den Sozialwissenschaftlern (vgl. Endreß/Maurer 2015). Resilienz: ein „buzzword“ (Walker 2013), das Natur- und Gesellschaftsforscher zusammenbringen, den Elfenbeinturm öffnen und der Wissenschaft dabei zugleich helfen soll, das zu bekommen, was man gerade selbst untersucht. Das Lateinwörterbuch bietet für „resilire“ drei sinnvolle Übersetzungen an: abspringen, schrumpfen und zurückprallen. Im Englischen ist daraus „resilience“ geworden (Belastbarkeit, Elastizität, Durchhaltevermögen). Kleinster gemeinsamer Nenner: etwas ohne Schaden überstehen können. Ganz folgerichtig steht Resilienz längst in den Lebenshilfe-Regalen (vgl. Berndt 2013), gleich daneben in der Abteilung mit den großen Welterklärern (vgl. Zolli/Healy 2013) und inzwischen hin und wieder auch in den Leitmedien, obwohl Latein dort eigentlich tabu ist.

„Ein neues Wort“, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung Ende 2013. Unter dieser Überschrift ging es dann aber nicht um irgendeine Sprachschöpfung, sondern um Resilienz als Alternative zum Konzept der Nachhaltigkeit. Achtung, Kursänderung: Nicht mehr den Status quo erhalten wollen, sondern mit dem Scheitern rechnen und mit dem Unerwarteten. „Gefährdungen und Verlustängste“ thematisieren und so „alle Bürger“ aktivieren (und nicht nur „wenige Ordnungshüter“). „Was, wenn es für ‚Nachhaltigkeit‘ schon zu spät ist?“ FAZ-Autor Robert Kaltenbrunner sprach von einem „Zauberwort“ und einer „Art Modebegriff“ und lieferte gleich eine eigene Übersetzung mit. Resilienz bedeute „so viel wie Unverwüstlichkeit, Zuverlässigkeit und Widerstandsfähigkeit“ – alles Dinge, die jeder haben möchte und kaum jemand schlechten finden kann. Kaltenbrunner erzählte dann vom Flughafen München, der Anfang 2010 kollabierte, als ein Reisender mit Laptop träumend durch die Sicherheitskontrolle lief, von Bienenvölkern, die „im Zuge der Evolution“ gelernt hätten, „dank ausgeklügelter Arbeitsteilung“ zu überleben, und von der „Überschwemmungskultur“ im vormodernen Europa, in der große Wassermengen „eher Alltag als Ausnahmezustand“ gewesen seien. Resilienz: Lernt von den Bienen und von Menschen, die sich im Zustand der Bedrohung eingerichtet haben. Baut mehr „Sicherheitsstufen“ ein. Übersteht „antizipierte Schäden“ – indem ihr „schnell wieder den Ursprungszustand“ erreicht („Stehauf-Strategie“) oder weil ihr in der Lage seid, „interne Strukturen zu verändern und einen konstanten Zustand der Anpassungsfähigkeit zu kultivieren“ (Kaltenbrunner 2013).

Bienenvölker, das Leben am Fluss, Mobilität: Resilienz ist erwachsen geworden und könnte eine Universalmedizin werden – eine Reaktion auf die Erfahrung, dass das Prinzip Nachhaltigkeit nach ein paar Jahrzehnten Gebrauch an Strahlkraft verloren hat und dass es eine Illusion ist, den Ist-Zustand bewahren zu wollen und nicht mehr zu verbrauchen als nachwächst oder wieder bereitgestellt werden kann (die ursprüngliche Bedeutung von Nachhaltigkeit, vgl. Grunewald/Kopfmüller 2006). Sich ändern, um zu überleben: Was passt besser in eine Welt, in der alles mit allem zusammenzuhängen zu scheint und niemand wirklich weiß, was der nächste Tag bringt?

Wie Nachhaltigkeit und jeder andere Begriff, mit dem man Gesellschaft beschreiben, untersuchen oder sogar Ziele vorgeben kann, hat allerdings auch Resilienz Implikationen (das ist die erste These dieses Beitrags), die man sich bewusst machen sollte und die weit über den Vorwurf hinausgehen, man dürfe Konzepte aus den Naturwissenschaften nicht einfach auf soziale Phänomene übertragen (Cannon/Müller-Hahn 2010: 623). Diese Implikationen reichen von der Absage an die Idee, menschliches Zusammenleben sei plan- oder steuerbar, über eine Tendenz zur Stabilität und einen Optimierungsfetischismus bis hin zu normativen Entscheidungen: Was genau bedroht eine soziale Einheit (ein Individuum, eine Organisation, eine Gemeinschaft, ein Funktionssystem) und welche Funktionen dieser Einheit sind es wert, in jedem Fall erhalten zu werden? Dass es sich lohnt, solche Implikationen der diskursiven Formation Resilienz zu diskutieren, hat einen einfachen Grund, der zur zweiten These dieses Beitrags führt: Die Befunde der Resilienzforschung sind stets Werbung für die Wissenschaft. Anders ausgedrückt: Wissenschaft hat ein starkes Interesse, Resilienz tatsächlich zu einem gesellschaftlichen Leitbegriff zu machen. Dies hätte, so lässt sich dieser Beitrag zusammenfassen, Folgen nicht nur für die Wissenschaft (für ihren Blick auf Gesellschaft genauso wie für ihre Methoden), sondern auch für die Politik. In der Entwicklungspsychologie zum Beispiel hat der Siegeszug des Resilienzkonzepts sowohl die Prävention als auch die Behandlung von Heranwachsenden erheblich verändert und der „Positiven Psychologie“ den Rang eines Alternativ-Paradigmas beschert (vgl. Masten 2001: 34f.).

Implikationen des Resilienzbegriffs

Egal welches der drei Herkunftsgebiete man sich anschaut: Resilienz beschreibt die Fähigkeit, unter widrigen äußeren Bedingungen oder in Krisenzeiten stabil zu bleiben und die jeweilige Funktionalität zu erhalten. Das gilt in der Werkstoffphysik für Materialien, die man ohne Folgen zusammendrücken oder dehnen kann (etwa Gummi), in der Umweltwissenschaft für Ökosysteme und in der Psychologie für Menschen (vgl. Maier 2014, Folke et al. 2010, Masten 2001). Um dies nur mit sechs wichtigen Definitionen zu belegen (vgl. Brand/Jax 2007):

  • „measure of the persistence of systems and their ability to absorb change and disturbance and still maintain the same relationships between populations or state variables“ (Holling 1973: 14);
  • the „capacity of a system to absorb disturbance and re-organize while undergoing change so as to still retain essentially the same function, structure, identity and feedbacks“ (Walker et al. 2004: 4);
  • „the ability of groups or communities to cope with external stresses and disturbances as a result of social, political, and environmental change” (Adger 2000: 347);
  • „the ability of the system to withstand either market or environmental shocks without losing the capacity to allocate resources efficiently“ (Perrings 2006: 418);
  • „the ability of a social system (society, community, organization) to react and adapt to abrupt challenges (internal or external) and/or to avoid gradually drifting along destructive slippery slopes“ (institutional resilience, Aligica/Tarko 2014: 56);
  • „the capacity of a system, enterprise, or a person to maintain its core purpose and integrity in the face of dramatically changed circumstances“ (Zolli/Healy 2013: 7).

Natürlich: Wie die jüngeren Definitionen zeigen, sind nicht einmal die Ökologen bei der Ausgangsformel von Crawford Holling (1973) stehengeblieben. Hollings Persistenz wurde durch Anpassung und Transformation ergänzt („adaptive cycle“, Keck/Sakdapolrak 2013: 7) – eine Folge der Übertragung des Begriffs auf soziale Systeme und seines Potenzials, die Norm Nachhaltigkeit abzulösen. Für diese Ausweitung stehen die vielen Adjektive, die in Verbindung mit Resilienz inzwischen verwendet werden (etwa: personal, organisational, institutionell, sozial), und eine Debatte, in der eine klare Trennung gefordert wird – ein operationalisierbarer Begriff für die Umweltwissenschaft auf der einen Seite („descriptive concept“) und ein Kommunikationsmittel für den interdisziplinären Dialog sowie für den Austausch zwischen Forschung und Praxis auf der anderen („boundary object“, vgl. Brand/Jax 2007).

Trotzdem: Am Kern des Begriffs ist nicht gerüttelt worden. Wer von Resilienz spricht, hat erstens eine Bedrohung im Sinn. Diese Bedrohung kann von außen kommen, von innen oder aus beiden Richtungen gleichzeitig, sie kann sich langsam entwickeln oder plötzlich (als Schock), man kann vorher von ihr gewusst haben oder überrascht worden sein: Es wird immer eine Bedrohung vorausgesetzt sowie die Notwendigkeit, darauf reagieren zu können. Damit unterscheidet sich Resilienz grundsätzlich von Konzepten sozialen Wandels, die den Zielzustand entweder kennen (Revolution) oder sogar irgendwo auf der Welt schon gefunden haben (in den 1960er Jahren zum Beispiel Modernisierung für Afrika und Asien sowie in den 1990ern Transformation für Osteuropa) und damit wie Nachhaltigkeit einen komplexen Bewertungsmaßstab mitliefern (so sollte die Welt aussehen oder so sieht sie schon aus). Zugespitzt formuliert: Wird Resilienz zum Leitgedanken gesellschaftlicher Entwicklung, dann ist (anders als bei Revolution, Transformation oder Modernisierung) jede Ankunft ausgeschlossen. Zum einen weiß man nicht, wann und wie sich die Umstände ändern (nur dass sie sich ändern, scheint unausweichlich), und zum anderen können Personen oder soziale Systeme gegenüber manchen Bedrohungen resilient sein und gegenüber anderen nicht. Möglicherweise führt sogar die Stärkung des einen Bereichs zur Schwächung eines anderen (vgl. Walker 2013).

Für die Forschung bedeutet das zweitens: Man muss zunächst die Funktion(en) bestimmen, die (zum Beispiel) ein soziales Funktionssystem für die Gesellschaft hat oder ein Unternehmen für seine Mitarbeiter, für eine Region, für den Wirtschaftszweig, für die Volkswirtschaft oder für andere Systeme, dann nach Schwachstellen von System oder Unternehmen suchen und dort schließlich nachbessern: „identifying its potential sources of vulnerability, determining the directonality of ist feedback loops, mapping ist critical thresholds, and understanding, as best as we can, the consequences of breaching them“ (Zolli/Healy 2013: 260).

Wer nach Verwundbarkeit fragt, nach Schwellenwerten und nach den Folgen des Überschreitens, der verliert den Alltag und die ‚Normalität‘ aus dem Blick. Um das am Beispiel des Systems Massenmedien zu illustrieren: Resilienzforschung würde hier und heute sicher Alternativen zur Werbefinanzierung vorschlagen (etwa: Crowdfunding, Stiftungsmodelle, Bürgerreporter, Social Media) sowie Einrichtungen, die Vielfalt, Offenheit und Partizipation sichern, aber nicht mehr die aktuelle Berichterstattung untersuchen und vermutlich auch nicht die Beziehungen zwischen Medien, Politik und Wirtschaft. Wichtig wäre nur noch, dass das System weiter existiert und zur Meinungs- und Willensbildung beitragen kann (wenn das denn die Funktion ist), und nicht, wie genau dieser Beitrag eigentlich aussieht. Resilienzforschung beginnt mit der Annahme, dass die jeweilige soziale Einheit ihre Funktion(en) im Moment erfüllt, und möchte, dass dies auch in Zukunft so bleibt.

Nimmt man die Punkte eins und zwei zusammen (die Bedrohung von außen und die Suche nach Schwachstellen, die auch in eine Betonung der Stärken umschlagen kann), dann konzentriert sich Resilienzforschung (wie gerade schon angedeutet) drittens auf Systemerhalt und Überleben. Brian Walker (2013), einer der Pioniere im Feld und Chef der einflussreichen Resilience Alliance in Stockholm, behauptet zwar, das Konzept sei für sich genommen weder „gut“ noch „schlecht“, aber das ist erkennbar Taktik, weil natürlich auch Diktaturen oder Salzlandschaften resilient sein können (das sind die beiden Beispiele, die Walker nennt). Sein Vorschlag, die Resilienz solcher Systeme zu verringern, geht am Problem vorbei. Die Literatur zeigt, dass Resilienzforschung sehr wohl von Krankheitserregern, Kriminellen oder Terroristen lernt (zum Beispiel von Netzwerken, denen ein einziger großer Anschlag genügt hat, um den Feind jahrelang in Atem zu halten, und die sich manchmal sogar darauf beschränken können, eine Aktion anzukündigen, vgl. Zolli/Healy 2013). Und: Wer wollte entscheiden, welche sozialen Einheiten wertvoll sind und welche nicht? Das Resilienzkonzept weiß damit doch, was gut ist und was schlecht, und konzentriert sich auf das, was beim Überleben hilft. Selbst Katastrophen sieht man durch diese Brille nicht mehr schwarz, sondern als Gelegenheit zum Lernen (vgl. Keck/ Sakdapolrak 2013: 9).

Eine Bedrohung ausmachen oder antizipieren, Schwächen schwächer und Stärken stärker machen und so die Existenz sichern: Alle oben genannten Definitionen zielen auf Verbesserung und damit (das ist eine vierte Implikation des Begriffs) auf Messbarkeit, egal ob es um allgemeine Resilienz geht (die Fähigkeit eines Systems, sehr verschiedene Bedrohungen auszuhalten und trotzdem in allen Aspekten weiter zu funktionieren, Walker 2013) oder sehr konkrete Bedrohungen. Bei Holling (1973: 14) wird diese Implikation nicht verschleiert („measure“), aber auch „ability“ oder „capacity“ rufen nach Quantifizierung. Die Frage nach der Resilienz einer sozialen Einheit erlaubt keine philosophische Antwort und offenkundig nicht einmal eine, die sich auf Material stützt, das mit qualitativen sozialwissenschaftlichen Methoden erhoben wurde. „There are no absolutes in resilience, no binaries, just measures of more or less” (Zolli/Healy 2013: 260). Dieser Fokus auf Zählen und Rechnen lässt sich leicht über die Herkunftsdisziplinen erklären. Quantifizierung wird sowohl bei Ingenieuren groß geschrieben, die sich mit Materialeigenschaften beschäftigen, als auch bei Ökologen und Psychologen. Kein Text zur Resilienz, der nicht Crawford Holling nennt oder Brian Walker. Zieht das Konzept in die Sozial- und Geisteswissenschaften ein, stärkt dies neben den drei Ursprungsdisziplinen zugleich die Position der Naturwissenschaften und ihres Wissenschaftsideals.

Bevor es soweit kommt, hat qualitative Forschung Konjunktur. Wer sonst soll die Grenzen von sozialen Einheiten bestimmen, ihre Funktionen ausmachen (sowohl empirisch als auch normativ) und (vorhandene oder potentielle) Bedrohungen ermitteln? Um zum Beispiel Mediensystem zurückzukommen: Die Debatte über ‚Entgrenzung‘ läuft hier längst (vgl. Neuberger 2009, Karidi 2014). Heißt das soziale Funktionssystem Journalismus, Publizistik oder Öffentlichkeit? Was ist mit Public Relations und was mit den sozialen Medien? Und bedrohlich sind keineswegs nur das Ende des herkömmlichen Werbemarkts, das vollkommen veränderte Nutzungsverhalten oder die Gegenöffentlichkeiten im Internet und auf der Straße (Stichwort Medienkrise). Der Erfolg der Handlungslogik, nach der die Massenmedien arbeiten („Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit“, Meyen 2015), frisst das System – von außen, weil der Ausbau und die Professionalisierung von PR und Medientraining in nahezu allen sozialen Funktionssystemen auch mit Medienpersonal vorangetrieben werden, und von innen, weil Medialisierung so die Recherchemöglichkeiten verändert, die Ressourcen, den Arbeitsalltag sowie das Selbstverständnis von Journalisten und damit letztlich die Möglichkeiten zur Meinungs- und Willensbildung (vgl. Meyen 2014). Resilienzforschung identifiziert hier zunächst System(e), Funktion(en) und Bedrohung(en) und bereitet so nicht nur den Boden für Anpassung und Transformation (aus dem System selbst oder politisch angestoßen), sondern möglicherweise auch für ‚Messungen‘ der Resilienz.

Resilienz als Werbung für die Wissenschaft

Natürlich könnte man sagen: Für die Wissenschaft insgesamt wäre mehr Naturwissenschaft doch gar nicht schlecht. Fakten, Fakten, Fakten. Das, was eine datenhungrige Tempo-Gesellschaft verlangt. Eindeutige Antworten auf die Angst vor Bedrohungen aller Art. Selbst als Fernziel hilft das Resilienzkonzept der Wissenschaft. Das beginnt mit dem Begriff selbst. Während sich jede Hausfrau etwas unter Nachhaltigkeit vorstellen konnte, braucht sie für Resilienz in der Regel einen Übersetzer. Wissenschaft kann nicht nur Begriffe erklären, sondern auch Bedrohungen benennen. Worauf genau Politiker, Führungskräfte oder wir selbst uns vorbereiten werden und was wir glauben, dabei verändern zu müssen, hängt davon ab, was im Diskurs als Bedrohung und Systemfunktion ausgemacht wird. Das wertet wissenschaftliches Wissen gegenüber anderen Wissensformen auf (etwa: Religion, Tradition). Wissen ist Macht, vor allem wenn es Resilienz verspricht.

Das wichtigste Argument für den Ausbau wissenschaftlicher Forschung (an Universitäten und darüber hinaus) ist das, was bisher herausgekommen ist auf der Suche nach der Resilienz, auch wenn sich die Befunde auf den ersten Blick zu widersprechen scheinen. So heißt es bei Andrew Zolli und Ann Marie Healy (2013) nach einem Gewaltritt durch die Literatur:  Was in einer Organisation funktioniere, könne in einer anderen schief gehen (S. 259), und wo ein System als dezentrales Netzwerk mit Einheiten, die sich selbst koordinieren, gute Erfahrungen mache, könne ein anderes genau das Gegenteil erleben – positive Clustereffekte (S. 93). Einen Imperativ gibt es im Schlusswort dann aber doch (S. 261): „Surprisingly few communities or organizations have any kind of structure in place to think broadly and proactively about the fragilities and potential disruptions that confront them. This has to change.”

Breit und kritisch denken, Wissen gegen den Strich bürsten, dabei in Bereiche vordringen, die keinen schnellen Gewinn bringen, und Dinge vorwegnehmen, die heute noch niemand sieht: Wer wäre dafür prädestiniert, wenn nicht die Wissenschaft? Armin Reller und Heike Holdinghausen (2014), die an eine Zukunft „nach dem Öl“ glauben und dafür Stoffgeschichten aufgeschrieben haben (etwa: Raps und Lein, Weizen und Holz, Eisen, Gallium und Abfall), legitimieren ihr Buch damit, dass man leichter an „resilienten Technologien und Verhaltensweisen“ arbeiten könne, wenn man die „Geschenke des Planeten“ kenne (S. 8, 17). Wissen für die Zukunft. Und wenn Bernd Sommer und Harald Welzer (2014) „Transformationsdesign“ sagen, meinen sie eigentlich: Jemand muss sagen, wo es hingehen soll, wenn der Überfluss zu Ende ist und auch der Letzte begriffen hat, dass wir in „struktureller Nicht-Nachhaltigkeit“ leben („Klima, Krisen und Katastrophen“, S. 27-37). Transformation besser „by design“ als „by disaster“ (S. 11). Wissenschaft als „Mittel zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung von Widerstandsfähigkeit“ und als „Resilienzgenerator“ (S. 116). Resilienz: Das heißt auch, die Dinge in die Hand zu nehmen und nicht auf den Zusammenbruch zu warten. Wissenschaft ist ein Resilienzgewinner und wird dieses Konzept schon deshalb vorantreiben.

Literaturangaben

  • Neil Adger: Social and ecological resilience: Are they related? In: Progress in Human Geography Vol. 24 (2000), S. 347-364.
  • Paul Dragos Aligica, Vlad Tarko: Institutional resilience and economic systems: Lessons from Elinor Ostrom’s work. In: Comparative Economic Studies Vol. 56 (2014), S. 52-76.
  • Christina Berndt: Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2013.
  • Fridolin Simon Brand, Kurt Jax: Focusing the meanings of resilience: Resilience as a descriptive concept and a boundary object. In: Ecology and Society (online) Vol. 12(1) (2007): 23.
  • Terry Cannon, Detlef Müller-Hahn: Vulnerability, resilience and development discourses in context of climate change. In: Natural Hazards Vol. 55 (2010), S. 621-635.
  • Martin Endreß, Andrea Maurer: Resilienz im Sozialen. Wiesbaden: VS-Verlag 2015.
  • Carl Folke et al.: Resilience thinking: Integrating resilience, adaptability and transformability. Ecology and Society (online) Vol. 15(4) (2010): 20.
  • Armin Grunewald, Jürgen Kopfmüller: Nachhaltigkeit. Frankfurt am Main: Campus 2006.
  • Crawford Holling: Resilience and stability of ecological systems. In: Annual Review of Ecology and Systematics Vol. 4 (1973), S. 1-23.
  • Robert Kaltenbrunner: Ein neues Wort: „Resilienz“. Was, wenn es für „Nachhaltigkeit“ schon zu spät ist? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 258 vom 6. November 2013, S. N3.
  • Maria Karidi: Dinosaurier, Journalismus und Resilienz. In: Resilienz (online) 2014. http://resilienz.hypotheses.org/239 (12. Januar 2015).
  • Markus Keck, Patrick Sakdapolrak: What is social resilience? Lessons learned and ways forward. In: Erdkunde Vol. 67(1) (2013), S. 5-19.
  • Simone Maier: Der Resilienzbegriff in der Wirtschaftskommunikation. Masterarbeit. Universität München: Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung 2014.
  • Ann S. Masten: Ordinary Magic. Resilience Processes in Development. In: American Psychologist Vol. 56(3) (2001), S. 227-238.
  • Michael Meyen: Medialisierung des deutschen Spitzenfußballs. Eine Fallstudie zur Anpassung von sozialen Funktionssystemen an die Handlungslogik der Massenmedien. In: Medien & Kommunikationswissenschaft 62. Jg. (2014), S. 377-394.
  • Michael Meyen: Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit. Eine qualitative Inhaltsanalyse zur Handlungslogik der Massenmedien. In: Publizistik 60. Jg. (2015), Nr. 1 (im Druck).
  • Christoph Neuberger: Internet, Journalismus und Öffentlichkeit. Analyse des Medienumbruchs. In: Christoph Neuberger, Christian Nuernbergk, Melanie Rischke, Melanie (Hrsg.): Journalismus im Internet: Profession – Partizipation – Technisierung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 19-105.
  • Charles Perrings: Resilience and sustainable development. In: Environment and Development Economics Vol. 11 (2006), S. 417-427.
  • Armin Reller, Heike Holdinghausen: Der geschenkte Planet. Nach dem Öl beginnt die Zukunft. Frankfurt am Main: Westend Verlag 2014.
  • Bernd Sommer, Harald Welzer: Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moderne. München: oekom verlag 2014.
  • Brian Walker: What is Resilience? Project Syndicate, 5. Juli 2013. (7. Januar 2015).
  • Brian Walker, Crawford Holling, Stephen Carpenter, and Ann Kinzig: Resilience, adaptability and transformability in social-ecological systems. In: Ecology and Society (online) Vol. 9(2) (2004): 5
  • Andrew Zolli, Ann Marie Healy: Resilience: Why Things Bounce Back. New York: Simon & Schuster Paperbacks 2013.

Empfohlene Zitierweise

Michael Meyen: Resilienz als diskursive Formation. Was das neue Zauberwort für die Wissenschaft bedeuten könnte. In: Resilienz (online) 2015. http://resilienz.hypotheses.org/365 (Datum des Zugriffs)

Quelle: http://resilienz.hypotheses.org/365

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Traut euch!

Wer hier öfter mal reinschaut, wird mitbekommen haben, dass mein letzter größerer Post nicht hier veröffentlicht wurde, sondern Ende letzter Woche als Gastbeitrag im Fischblog, dem Blog von Lars Fischer bei den Scilogs erschien. Hintergrund der Aktion war, dass Lars über Twitter Geisteswissenschaftler dazu aufgerufen hatte, Gastbeiträge einzureichen, um damit ihr Fachgebiet einem größeren (und vorwiegend naturwissenschaftlich orientierten) Publikum näherzubringen.

Ich habe diese Aufforderung gerne angenommen, auch weil ich ein regelmäßiger Leser des Fischblogs bin (Untertitel:”Wissenschaft für alle”), wo Themen aus den unterschiedlichsten Spektren unterhaltsam aufbereitet werden, aber zugleich so informativ sind, dass man nach der Lektüre zumindest glaubt, beim nächsten Gespräch darüber mitreden zu können. Als es noch Ranglisten zur Beliebtheit und Reichweite wissenschaftlicher Blogs gab (ich finde jedenfalls keine mehr, die nach September 2011 erschienen ist), war der Fischblog immer mit vorne dabei. Ich sah es daher als eine Herausforderung an, etwas für diesen Blog zu schreiben, und als eine Ehre, falls das dann auch angenommen würde.

Für mich bot sich durch die Aktion auch die Gelegenheit, noch einmal einen Bogen zu schlagen über die Posts, die ich hier vorher veröffentlicht hatte und dabei die Grundlagen darzustellen, auf denen ich meine wissenschaftliche Arbeit aufbaue. Das war nicht gerade einfach – ich hatte eben nur diesen einen Schuss (Gastbeitrag) frei, in dem das gelingen musste. Tatsächlich wurde es so auch der Artikel, an dem ich am längsten gearbeitet habe, als ich mich fertig wähnte, hat Lars noch einige Einwände gehabt, die allesamt berechtigt waren und deren Beherzigung den Artikel noch den letzten Schliff gaben. Letzten Freitag ging der Artikel dann online und ich durfte ihn selbst mitankündigen:

Was lange währt, spuckt endlich Blut – der @fischblog hat tatsächlich meinen Gastbeitrag veröffentlicht – scilogs.de/wblogs/blog/fi…

— jhermes (@spinfoCL) September 14, 2012

Ich bin wirklich froh, den Schritt auf die (für mich) großen Scilogs gegangen zu sein, obwohl ich mich hier, beim (noch) kleinen Schwesterportal de.hypotheses, weiterhin sehr wohl, weil gut betreut fühle.

Mit einem Mal hatte sich meine Reichweite vervielfacht. Während ich hier positiv geschätzt (wenn man das Grundrauschen abzieht) vielleicht 200 Leser bzw. Klicks pro Post habe, waren es jetzt auf den Scilogs mehr als 1500. Seit ich bei de.hypotheses bin, muss ich nicht mehr alleine auf meine Posts aufmerksam machen (was übrigens auch ein guter Grund ist, hierher zu wechseln), von 37 Tweets bzw. Retweets auf Twitter bin ich aber sonst weit entfernt. Zumal eine Reihe von Tweets auch mit lobenden Kommentaren versehen waren, habe ich mich sehr darüber gefreut.

Der Austausch mit Lars, der eine explizit naturwissenschaftliche Position in der Auseinandersetzung auf meinen Text eingenommen hat, war sehr fruchtbar. Sowohl für das Hinterfragen der eigenen Grundlagen, als auch in der Verteidigung unserer Art, Wissenschaft zu betreiben. Hier, bei de.hypotheses ist ein tolles Blogportal entstanden, in dem wir Geisteswissenschaftler in unseren schon sehr heterogenen Forschungsbereichen austauschen können und wo wir uns gegenseitig über die Schultern schauen lassen. Dort, bei den Scilogs, möchte der Fischblog uns die Möglichkeit bieten, unsere wissenschaftliche Arbeit einem größeren, eher naturwissenschaftlich geprägten Publikum, zugänglich zu machen. Ich habe meinen Gastbeitrag mit der Feststellung begonnen, dass Geisteswissenschaft bei vielen Naturwissenschaftlern einen schweren Stand hat und dass ich den gerne verbessern würde. Kann ich aber natürlich nicht alleine – wenn überhaupt (bin ja nur Computerlinguist) habe ich allenfalls eine kleine Stehhilfe bauen können, zumindest waren die ersten Reaktionen positiv. Deshalb fände ich es schön, wenn noch weitere Geisteswissenschaftler diesem Aufruf folgen würden:

Der Gastbeitrag von @spinfocl war ein voller Erfolg. scilogs.de/wblogs/blog/fi… Suche weiterhin Gastbeitrag-willige Geisteswissenschaftler. #blog

— Lars Fischer (@Fischblog) September 17, 2012

Wenn ich die Reaktionen meiner Redaktion hier richtig gedeutet habe, ist sie auch nicht böse, wenn man diese Plattform vorübergehend untreu wird. Schließlich ist ein Blogpost ja auch immer Werbung – für das Blogportal, für den eigenen Forschungsbereich, für den eigenen wissenschaftlichen Ansatz und – natürlich – auch für sich selbst. Also: Traut euch!

Lars Fischer ist ganz einfach über www.scilogs.de oder seinen Twitteraccount @Fischblog zu erreichen.

 

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/506

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