Das 18. Jahrhundert und die Kulturgeschichte Chinas

Bei der diesjährigen Ausgabe der Ringvorlesung “Kulturgeschichte des euro-atlantischen Raumes im globalen Kontext”, die jedes Sommersemester am Institut für Geschichte der Universität Wien angeboten wird[1], habe ich für die China gewidmete Vorlesungseinheit am 13. Mai das 18. Jahrhundert in den Mittelpunkt meiner Ausführungen gestellt.

Die einleitenden Bemerkungen galten neben dem “Kulturbegriff im Chinesischen” auch der Unterscheidung der Begriffe “China” und “Chinesisches Reich” bei der Beschäftigung mit der Geschichte der Qing-Dynastie (1644-1912)[2].

Ein Überblick über die drei “großen” Kaiser der Qing, die von 1662-1796 über das Reich herrschten[3] orientierte sich in diesem Rahmen naturgemäß an den in dieser Zeit realisierten kulturellen (und hier vor allem literarischen) Großprojekten: Wörterbücher, Enzyklopädien, Kompilationsprojekte. Die Südreisen des Kangxi- und des Qianlong-Kaisers[4] und die dichterischen Ambitionen des letzteren kamen dabei ebenso zur Sprache wie die Förderung des Lamaismus durch den kaiserlichen Hof[5].

Das im Verlauf dieses Semesters bei der Ringvorlesung wiederholt aufgegriffene und für verschiedene Zeiten und Kulturen betrachtete Thema Chronologie und Kalender wurde im Falle Chinas im Zusammenhang mit Aspekten des konfuzianischen Staatskults beleuchtet. Neben dem chinesischen Tierkreis (2014 ist ein Jahr des Pferdes) und dem Sexagesimalzyklus[6] habe ich auch auf die Bedeutung von Glocken- und Trommeltürmen für die Zeitsignale (in Beijing beispielsweise bis ins Jahr 1924) hingewiesen. Im Zusammenhang mit dem konfuzianischen “Staatskult” rückte das Opfergelände des Himmels[7] in das Zentrum der Betrachtung.

Zur Veranschaulichung kaiserlicher Macht und Repräsentation folgten zunächst Bemerkungen zur mit dem Drachen verknüpften Symbolik (der fünfklauige Drache war bis zum Ende des Kaiserreiches allein dem Kaiser vorbehalten) und andererseits Einblicke in die Architektur der “Verbotenen Stadt”[8]. Bemerkungen zum System der Beamtenprüfungen[9]  standen am Ende dieser Vorlesungseinheit.

Yuanmingyuan

In den Ruinen der “Gebäude im westlichen Stil” auf dem Gelände des Yuanmingyuan – Foto: Georg Lehner 

Eine der Fragen im Anschluss an die Vorlesung galt dem Ausmass der chinesisch-westlichen Kulturkontakte und Kulturtransfers im 18. Jahrhundert. Am sichtbarsten wurde die Aufnahme europäischer Stilelemente wohl in den sogenannten “Gebäuden im westlichen Stil” auf dem Areal des Yuanmingyuan 圓明園 (heute auch als “Alter Sommerpalast” bezeichnet).

Etwas mehr als ein Jahrhundert nachdem diese Gebäude durch die Jesuitenmissionare errichtet worden waren, zerstörten im Herbst 1860 britische und französische Truppen dieses Ensemble – die heute zu sehenden Ruinen lassen die einstige Pracht nur noch erahnen …

  1. Zu den beiden von mir im Sommersemester 2013 gestalteten Vorträgen vgl. “Transkulturalität und Kulturgeschichte. Zum Auftakt einer Ringvorlesung” sowie  “2500 Jahre in 90 Minuten? Kulturgeschichte Chinas” in einer Ringvorlesung”.
  2. Vgl. dazu “Kultur und Raum – Überlegungen zum “Kulturraum” China”.
  3. Kangxi 1662-1722, Yongzheng 1723-1735 und Qianlong 1736-1795/96.
  4. Vgl. dazu “nanxun 南巡 – Kaiserliche Reisen in den Süden”,
  5. Vgl. dazu “Die Qing-Kaiser und der Lamaismus”.
  6. Vgl. dazu “Der 60-Jahr-Zyklus der chinesischen Chronologie”.
  7. Vgl. dazu “Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult”
  8. Vgl. dazu “Zur chinesischen Bezeichnung der Verbotenen Stadt”, “Das Mittagstor – der Eingang zum Kaiserpalast” und “Qianqinggong – der ‘Palast der Himmlischen Reinheit’”
  9. Auf De rebus sinicis dazu bisher: “Kostspieliges Studium – mit Beharrlichkeit zum Erfolg – zwei Legenden” und “Karpfen und Karriere”.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1125

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Korruption im 18. Jahrhundert

Korruption hat eine lange Geschichte. Auch im kaiserlichen China war sie “von jeher ein Bestandteil des öffentlichen Lebens.”[1]

Die Ursache für diese – hier sehr drastisch formulierte – Erscheinung war aufs engste mit dem Besoldungsschema der unteren Ebenen des Beamtenapparates verknüpft:

Das offizielle Gehalt insbesondere der Lokalbeamten, die den Zusammenhalt des Reiches auf unterster Ebene gewährleisteten, war gering. Zum Besoldungssystem gehörten daher mannigfache Formen der Bereicherung, die in westlichen Augen gemeinhin als Korruption erscheinen. Dies wird indessen der Tradition nicht gerecht, in der die ungeschriebene Regel galt, daß ein Beamtenneuling wenigstens drei nachfolgende Generationen seiner Familie versorgen mußte.“[2].

Bereits im 17. Jahrhundert, also in den ersten Jahrzehnten ihrer Herrschaft über China, sah sich auch die Qing-Dynastie mit diesem Problem konfrontiert. Zur Eindämmung der offenbar verbreiteten Korruption verfügte der Kangxi-Kaiser (r. 1662-1722) Gehaltserhöhungen. Damit war das Problem jedoch keineswegs gelöst. Seinem Sohn und Nachfolger, dem Yongzheng-Kaiser (r. 1723-1735), erschein ein Zuschlag für “die “Erhaltung der Redlichkeit” beziehungsweise ein Anreiz für die “Pflege der Unbestechlichkeit” (yanglian fei 養廉費)[3] als das probate Mittel – damit verknüpft war die Botschaft “sauber und unkorrumpiert” (qinglian 清廉)[4]. Doch auch dadurch war keine Garantie für eine “saubere” Verwaltung gegeben.

Das letzte Viertel des 18. Jahrhunderts brachte den rasanten Aufstieg von Heshen 和珅 (1750-1799). Innerhalb eines einzigen Jahres wurde aus einem einfachen Angehörigen der kaiserlichen Leibgarde  ein Mitglied des Groß- beziehungsweise Staatsrates (junjichu 軍機處).[5]

Heshen is notorious as one of the most corrupt officials in Chinese history: a treacherous villain who abused his authority to illegally accumulate an unbelievable amount of wealth, who committed a long list of atrocities against honest officials and ordinary people, and who led the Qing empire from its zenith to its decline.[6]

Grundlage dafür war eine “senil-schwachsinnige Neigung” des Qianlong-Kaisers (r. 1735/36-1796) zu Heshen, der “das Reich systematisch auszubeuten begann.”[7]. Auch nach der Abdankung des Qianlong-Kaisers (1796) konnte Heshen seinen korrupten Machenschaften weiter nachgehen. Im Februar 1799 folgte jedoch das Ende: nach dem Tod des Qianlong-Kaisers ordnete dessen Sohn und Nachfolger, der Jiaqing-Kaiser (r. 1796-1820)[8] an, dass das Vermögen Heshens eingezogen werde und Heshen Selbstmord zu begehen habe.[9]

  1. Oskar Weggel: Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert (Stuttgart 1989) 101. – Zum Thema vgl. auch Brunhild Staiger, Hans-Wilm Schütte, Stefan Friedrich (Hg.): Das große China-Lexikon (Darmstadt 2003) 401 f. (“Korruption”, Thomas Heberer).
  2. Wolfgang Bartke: Die großen Chinesen der Gegenwart (Frankfurt 1985) 324 (“Gentry”).
  3. Vgl. Charles O. Hucker: A Dictionary of Official Titles in Imperial China (Stanford 1985), 96. Jacques Gernet: Die chinesische Welt (Frankfurt a. M., 1988), 401 – Vgl. auch Grand Dictionnaire Ricci, Bd. 6, S. 759 (Nr. 12490).
  4. Patricia Bjaaland Welch: Chinese Art. A Guide to Motifs and Visual Imagery (Singapore 2008) 30.
  5. Vgl. dazu zuletzt Wook Yoon: “Prosperity with the Help of ‘Villains,’ 1776-1799: A Review of the Heshen Clique and Its Era”, T’oung Pao 98 (2012) 479-527.
  6. Ebd., 480.
  7. John King Fairbank: Geschichte des modernen China 1800-1985 (München 1989) 48 f.
  8. Zum Tod des Jiaqing-Kaisers aus “westlicher” Sicht vgl. Monika Lehner/mind the gap(s): China-News: Der Tod des Jiaqing-Kaisers (1820) in österreichischen Zeitungen.
  9. Jonathan Spence: The Search for Modern China (New York 1999) 116.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/1027

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Die Anfänge der Acht Banner

Im Zuge ihrer zunehmenden militärischen und politischen Bedeutung in den Gebieten nördlich der Großen Mauer führten die Mandschuren 1601 das System der “Banner” ein.

“Nach der mandschurischen Wehrverfassung waren die mandschurischen, mongolischen und chinesischen Bannerleute in acht durch Farben unterschiedene Banner eingeteilt.”[1]

Die erstmals 1601 aufgestellten vier Einheiten (damals zu je 300 Mann) erhielten Fahnen in vier verschiedenen Farben (gelb, weiß, blau, rot). 1615 gab es bereits 200 Einheiten, was zur Einrichtung von vier weiteren “Bannern” führte. Zur Unterscheidung wurden diese ebenfalls in den Farben gelb, weiß, blau und rot gehaltenen neuen Banner nun jeweils mit einer Einfassung versehen. Das gelbe, weiße und blaue Banner waren rot eingefasst, das rote Banner war weiß eingefasst.[2]

Ab 1626 folgte dann die Aufstellung mongolischer Verbände. 1635 konnten dann neben den acht mandschurischen Bannern auch acht mongolische Banner aufgestellt werden. Nur ein Jahr später, 1636, kam es zur Bildung der ersten beiden chinesischen Banner. Zu diesen kamen bis 1643 noch sechs weitere chinesische Banner hinzu.[3]

  1. Erich Hauer: Handwörterbuch der Mandschusprache. 2. durchges. u. erw. Aufl., hg. von Oliver Corff (Wiesbaden 2007) 209 (Art. “gûsa, Banner”).
  2. H.S. Brunnert/V. V. Hagelstrom: Present Day Political Organization of China (Shanghai 1911), 323-325 (Nr. 718), Immanuel C. Y. Hsü: The Rise of Modern China (New York, 5. Aufl. 1995), 22. Vgl. auch Wolfgang Franke (Hg.) China-Handbuch (Düsseldorf 1974) Sp. 810 (gelb, weiß, rot, blau; „Militäreinheiten mit spezifischem sozialem Rahmen und äußeren Merkmalen […] hierarchisch gegliederte Militärinstitution“) und 816 („Mandschurei“, P. W. Thiele). – Übersetzungen für nicht-eingefaßte/eingefaßte Banner: vgl. ebd., Sp. 548 („Innere Mongolei, R. Kaschewsky): „Reines und Gerändertes […] Banner“; sowie Hauer/Corff: Handwörterbuch, 209: “Umrändertes Gelbes, Ganz Gelbes, Ganz Weißes, Ganz Rotes, Umrändertes Weißes, Umrändertes Rotes, Ganz Blaues, Umrändertes Blaues.”
  3. Herbert Franke/Rolf Trauzettel: Das Chinesische Kaiserreich (Frankfurt a. M. 1968) 279 f., Charles O. Hucker: Dictionary of Official Titles in Imperial China (Stanford 1985) 91 (demnach die mongolischen und chinesischen Banner im J. 1635 eingerichtet). – Vgl. auch Jonathan D. Spence: The Search for Modern China (New York 1999) 30: chinesische Banner: zwei 1637, vier 1639, acht 1642; 1635 Aufstellung von acht mongolischen Bannern.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/845

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Das Marmorboot im Sommerpalast

Mitte des 18. Jahrhunderts ließ der Qianlong 乾隆-Kaiser den nordwestlich des damaligen Beijing gelegenen Garten, dessen Anfänge ins 13. Jahrhundert zurückreichen, deutlich vergrößern.  Im Unterschied zum “Alten Sommerpalast” (Yuanmingyuan 圓明園, d.i. “Garten der Vollkommenen Klarheit”[1] wurde die Gartenanlage nach der im Oktober 1860 erfolgten Zerstörung (durch ein britisch-französisches Expeditionskorps) im Jahrzehnt zwischen 1885 und 1895 – dann unter dem auch noch heute gebräuchlichen Namen Yiheyuan 頤和園 (d.i. “Garten der Harmonischen Einheit”) – und dann neuerlich (nach den Ereignissen rund um den “Boxeraufstand” (1900) ab 1902 wieder aufgebaut und ist im Westen unter der Bezeichnung “Neuer Sommerpalast” bekannt[2].

Marmorboot, Yiheyuan (Neuer Sommerpalast), Beijing - Foto: Georg Lehner

Marmorboot, Yiheyuan (Neuer Sommerpalast), Beijing – Foto: Georg Lehner

Am Ufer des im Yiheyuan gelegenen Kunming-Sees 昆明湖 liegt das so genannte Marmorboot oder Marmorschiff (shifang 石舫). Das fang (“Landboot”, “unvertäutes Boot”) ist – neben Brücke, durchbrochener Ziermauer, Wandelgang, Laube, Pavillon, Gartenhäuschen und Saal – eines der architektonischen Elemente in der Gestaltung traditioneller chinesischer Gärten.[3]

Das ursprünglich im 18. Jahrhundert errichtete Marmorboot – eigentlich Qingyanfang 清晏舫 (i.e. “Klares und friedvolles Boot”) besteht aus einem steinernen Sockel und Aufbauten aus Holz. Im Zuge der neuerlichen Instandsetzung des Gartens im Jahrzehnt zwischen 1885 und 1895 wurden diese wiederhergestellt.

In seiner Studie zur ausländischen – vor allem britischen Präsenz – in China meinte Robert Bickers dazu:

“It did not help at all that instead of extra officers or new and modern ships, the navy found itself paying for the construction of an exquisite marble pleasure boat, uselessly resplendent in Kunming Lake in the Summer Palace complex northwest of Peking. It was at least safe there from torpedoes.”[4]

 

  1. Vgl. Vgl. Zhang Shuang: Das Yuan Ming Yuan Ensemble. Der kaiserliche Park der „Vollkommenen Klarheit“ in Beijing. Zeitschichtkarten als Instrument der Gartendenkmalpflege, Diss., TU Berlin, 2004. Volltext: http://opus.kobv.de/tuberlin/volltexte/2004/468/pdf/zhang_shuang.pdf; MIT – Visualizing Cultures: The Garden of Perfect Brightness 1 – The Yuanmingyuan as Imperial Paradise  1700-1860) sowie “Yuanming Yuan, the Garden of Perfect Brightness”, China Heritage Quarterly, Nr. 8, Dezember 2006
  2. Seit 1998 steht die 297 Hektar große Anlage auf der Welterbe-Liste der UNESCO (Nr. 880). Vgl. dazu “Summer Palace, an Imperial Garden in Beijing” bzw. Chinas-Weltkulturerbe.de: “Kaiserlicher Garten (Sommerpal[a]st Yiheyuan”
  3. Vgl. dazu Patricia Buckley Ebrey (U. Washington): A Visual Sourcebook of Chinese Civilization: Gardens -> Design: Buildings
  4. Robert Bickers: The Scramble for China. Foreign Devils in the Qing Empire, 1832-1914 (London: Allen Lane, 2011) 299, vgl. ebd., Bildteil nach S. 336, Nr. 16: “Beautiful uselessness: the marble boat, Summer Palace, Peking, c. 1919-20″

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/463

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