„Mit Capes zum Tower fliegen?“

Reisen im London der 1880er Jahre

Mathilde Merck erwähnt in der Beschreibung ihrer Londonreise am 30. April 1884 die „capes“ und ihre Vorzüge als Transportmittel. Für sie waren diese „capes“ eine „famose Erfindung“, die ihr das Gefühl vermittelten, als „flogen [ihre Schwester Emily und sie] dem Tower zu“1. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um die Hansom Cabs, die in London im 19. Jahrhundert das Stadtbild prägten.
Ein Hansom Cab war eine, von einem einzigen Pferd gezogene, zweirädrige Kutsche, deren Fahrgastkabine Platz für zwei bis drei Fahrgäste bot. Cab ist eine Abkürzung für das Wort cabriolet. Der Kutscher saß hinter den Fahrgästen, die Fahrgastkabine bestand aus einem Dach und Holztüren mit Glasfenstern. Sie schützen den Fahrgast vor Schmutz und Steinen, die vom Pferd aufgewirbelt wurden.

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Quelle: https://mmerck.hypotheses.org/199

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Urlaub von der Geschichte? Historisches Denken in der Reisezeit

 

Die Urlaubszeit ist vorbei. Jetzt lohnt sich eine kritische Rückschau auf den Sommer und die Begegnungen mit Geschichte im Urlaub. Ich stolperte im Juli im Hongkong Museum of History in der ur- und frühgeschichtlichen Abteilung auf eine Interpretation, welche mir zwar zugänglich war, mich jedoch zum Nachdenken anregte. Vor einer Vitrine mit Keramikfunden aus dem Neolithikum am südchinesischen Meer wurde von der Museumsführerin erklärt, dass es sich hierbei um einige der ersten Keramikfunde handelt, welche bereits sehr früh auf die spätere große Tradition der weltbekannten chinesischen Keramiken verweisen würden. Ist es auch zulässig, dies für eine bekannte im oberösterreichischen Salzkammergut ansässige Keramikmanufaktur zu behaupten? Funde aus der Eiszeit würden dies auch für den österreichischen Fall dokumentieren. Ein Blick von außen, vielleicht sogar aus einem anderen Kulturkreis, ermöglicht es eben, die Besonderheiten von Erzählungen über die Vergangenheit wahrzunehmen und mit der nötigen Distanz zu hinterfragen.

 

Soll man sich damit beschäftigen?

Man könnte sich an dieser Stelle fragen, ob diese Umstände von geschichtsdidaktischer Relevanz sind. Sind es nicht ganz andere Probleme, die im Rahmen des schulischen historischen Lernens zu erörtern wären? Wozu sollten SchülerInnen mit unausgewogenen, einseitigen historischen Interpretationen, noch dazu vielleicht aus der Hand der Tourismusbranche oder Werbefachleuten konfrontiert werden? Die Antwort ist aus geschichtsdidaktischer Perspektive schnell zur Hand. Es handelt sich dabei eben um einen besonderen Bereich der Geschichtskultur, auf den Kinder und Jugendliche auch noch als Erwachsene stoßen werden. Es sind lebensweltlich relevante, im Morgen und bereits im Heute auftretende Aspekte eines Umgangs mit der Vergangenheit. Die Potenziale dieser Begegnungen mit Geschichte, wie sie im Umfeld touristischer Angebote auftreten, finden jedoch derzeit im schulischen Lernen erst wenig Beachtung. Anregungen wie jene von Bodo von Borries aus dem Jahr 2006, nämlich Schulbuchkapitel neu zu strukturieren (z.B. „Geschichte im Tourismus“ am Beispiel Altägypten), fanden bis dato keinen wirklichen Widerhall.1

Urlaub als Ausnahmesituation

„Geschichte im Urlaub“ meint eine besondere Situation, in die sich viele SchülerInnen und andere Reisende begeben. Dabei wird die Darstellung der Vergangenheit eben oft in einer uns fremden Kultur offenbar. Dies bietet den besonderen Blick auf das Andere und seine historische Positionierung zwischen urlaubsbedingter Flüchtigkeit und entspannter Wahrnehmung. Es könnte sich daher lohnen, die eigene Region oder typische Urlaubsregionen über touristische Materialien zu erforschen, um sie auf historische Sinnbildungsmuster, die Verwendung von historischen Mythen und Legenden, Werbestrategien unter Einbeziehung von historischen Aspekten etc. hin zu untersuchen. So könnte man etwa danach fragen, warum eine slowenische Hotelkette auf die römische Antike setzt, um neue Gäste anzusprechen2 oder warum in Wien in einem Kellergewölbe eine 5D-Zeitreise durch die Stadtgeschichte TouristInnen anzieht.3 Die Gemachtheit von solchen touristischen Angeboten führt dabei tief in die jeweilige Geschichtskultur, aber auch in die Vergangenheit der Orte. Ziel sollte es jedoch sein, historisches Denken und interkulturelle Haltungen zu schulen, welche auf andere Beispiele transferierbar bleiben.

Urlaub zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Auf einer methodischen Ebene würde dies bedeuten, die sich „im Urlaub“ auftuende Distanz zum Fremden und zum Eigenen produktiv zu nutzen. Es gilt dabei, gattungsspezifische Reflexionen zu tätigen, welche danach fragen, wer uns in einem bestimmten Fall was und warum über die Vergangenheit erzählt, wie die verfügbaren historischen Quellen im Sinn der Multiperspektivität auch legitim anders gedeutet werden könnten und welche ästhetischen Überformungen den Blick auf die Vergangenheit lenken uvm. Besonders spannend werden derartige Analysen vermutlich dann, wenn man touristisch inszenierte Darstellungen anderen historischen Narrationen zum gleichen Sachverhalt gegenüberstellt und sich dadurch Fragwürdigkeiten auftun.

Das Leben der Anderen … und der Vergangenen

In der interkulturellen Begegnung geht es darüber hinaus um ein Einordnen der getätigten Aussagen über die Vergangenheit, um mit Mitgliedern anderer Kulturen in eine kritische Diskussion darüber eintreten zu können. Die eigene Perspektive auf das Problem gilt es stets zu berücksichtigen. Damit sollte eben auch ein historisch-politisches Lernen verstärkt berücksichtigt werden, um die hinter den Beispielen liegenden politischen und gesellschaftlichen Perspektiven der jeweiligen Gegenwart miteinzubeziehen. Man könnte etwa danach fragen, wem eine bestimmte Art der Darstellung der Vergangenheit einen Vorteil bringt. Dabei sind wirtschaftliche Interessen einer Region oder historische Identitätsmuster ebenso in den Blick zu nehmen wie die Reisenden selbst. Letztere möchten nicht selten mit vorgefertigten trivialen bis naiven Vorstellungen an bestimmten Orten unreflektiert bestimmte Inszenierungen konsumieren. Realitätsverschiebungen, Vorurteile, Auslassungen, Umdeutungen, Maskeraden etc. sind dabei mancherorts zentrale Magneten eines Umgangs mit Geschichte, um vor allem das Erwartete aus einer mit dem Ort assoziierten historischen Epoche zu bieten. Kulturspezifische Darbietungsmodi und Interpretationen bilden dazu überraschende Ergänzungen.

Urlaub in den Schulalltag integrieren

Diese sicherlich wichtigen Aspekte sollte man jedoch für den konkreten Unterricht ausreichend wenden. Der Lebensweltbezug für die SchülerInnen sollte dabei nicht aus dem Auge verloren werden. Ist es ein Ziel, dass SchülerInnen sich ein kritisches historisches Denken aneignen, dann wird es darauf ankommen, geschichtskulturelle Produkte auch tatsächlich zu durchdenken und zu hinterfragen. Dabei steht etwa das Störtebekerdenkmal in Hamburg, an dem TouristInnen im Hafen vorbeigeschleust werden, ebenso im Programm, wie Werbekataloge für Schlösser oder andere touristische Inszenierungen der Vergangenheit, wie man auf sie etwa in Funparks trifft. Dazu zählen sicherlich auch gedruckte oder digitale Reiseführer, welche neben geografischen und kulturellen Zusammenhängen Geschichte präsentieren. Gerade dort findet man oft seltsame Ausprägungen an tradierter Einseitigkeit, welche gerade dazu einladen, durch kritisches Denken Grundprinzipien eines reflektierten Geschichtsbewusstseins zu erwerben.

Ein Hoch auf die Globalisierung

„Geschichte im Urlaub“ als Anwendungsgebiet für den Erwerb eines kritischen historischen Denkens zu nutzen, bedeutet den bisherigen geschichtskulturellen Blick des schulischen Lernens zu weiten. Unzählige neue Beispiele, die je situationsabhängig in den Unterricht integrierbar sind, drängen sich dabei auf. Die sich globalisierende Welt und ihre Digitalisierung erleichtern dabei die reale und virtuelle interkulturelle Begegnung mit Geschichte: ein Labor an zu durchdenkenden Beispielen von ganz anderen Orten des Globus, an denen sich die Menschen ganz andere Geschichten über die Vergangenheit erzählen als zu Hause. Es gilt daher, die SchülerInnen auf ein Leben vorzubereiten, das vielleicht ganz abseits vom traditionellen Kanon des Geschichtsunterrichtes mit touristischen Darstellungen der Vergangenheit konfrontiert wird. Dies geschieht dann vermutlich ganz heimlich, oft dicht und unerwartet, nämlich auf Urlaub.

 

Literatur

  • Frank, Sybille: Der Mauer um die Wette gedenken. In: Kühberger, Christoph / Pudlat, Andreas (Hrsg.): Vergangenheitsbewirtschaftung. Public History zwischen Wirtschaft und Wissenschaft,  Innsbruck u. a. 2012, S. 159-172.
  • Isenberg, Wolfgang (Hrsg.): Lernen auf Reisen? Reisepädagogik als neue Aufgabe für Reiseveranstalter, Erziehungswissenschaft und Tourismuspolitik, Bensberg 1991 (Bensberger Protokolle 65).
  • Mütter, Bernd: Historisches Reisen und Emotionen. Chance und Gefahr für die geschichtliche und politische Erwachsenenbildung. In: Mütter, Bernd / Uffelmann, Uwe (Hrsg.): Emotionen und historisches Lernen: Forschung, Vermittlung, Rezeption, Frankfurt a.M. 1992 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung, Bd. 76).

Externe Links

 

Abbildungsnachweis
© Christoph Kühberger, Ur- und frühgeschichtliche Abteilung des Hongkong Museum of History, im Juli 2013.

Empfohlene Zitierweise
Kühberger, Christoph: Urlaub von der Geschichte? Historisches Denken in der Reisezeit. In: Public History Weekly 1 (2013) 6, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-338.

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Von Dyck zum Kap der Guten Hoffnung: Die Reisen des jungen Grafen

In der Frühen Neuzeit spielte im Leben eines jungen Adligen die Kavalierstour eine besonders wichtige Rolle. Sie bildete den Höhepunkt und Abschluss der standesgemäßen Erziehung. Durch (Studien-) Aufenthalte in fremden Ländern erhielten die Kavaliere den letzten Schliff auf dem Weg zum „honnête homme“. Auf dem Lehrplan einer solchen Tour standen u.a. Rechtswissenschaften, Fremdsprachen und Geschichte, aber auch Fechten, Reiten und Tanzen wollten gelernt sein. Außerdem nahm man sich Zeit die „Merkwürdigkeiten“ des Studienortes zu besichtigen.

In den Archiven des rheinischen Adels finden sich zahlreiche Quellen, welche die Reiseaktivitäten der jungen Adligen belegen. Tagebücher, Rechnungen, Instruktionen und Briefe geben Auskunft über Ziele und Inhalte der Kavalierstouren. Hauptsächlich begab man sich nach Italien und Frankreich, an den Kaiserhof in Wien oder in die Niederlande. Die jungen Dycker Grafen Joseph und Franz bilden da keine Ausnahme. Anhand unzähliger Korrespondenzen von Hofmeistern und den beiden Kavalieren lässt sich deren Erziehung nachvollziehen. Auch hier entschied man sich für die klassischen Studienorte: Von Köln reiste man zunächst nach Brüssel, dann nach Paris und schließlich nach Wien.

Daher verwundert es nicht, wenn man beim Stöbern in den Quellen des Dycker Archivs die genannten Städte immer wieder als Ausstellungsorte der Briefe an die Mutter lesen kann. Umso überraschter ist man allerdings, wenn als Ausstellungsort das Kap der Guten Hoffnung angeführt wird. Eine Kavalierstour bis in den Süden Afrikas? Und der zwölfjährige Joseph beschwert sich auch noch über das viel zu heiße Klima? Was es mit diesem Brief auf sich hat, beleuchtet ein weiterer Beitrag der Netzbiographie.

Elisabeth Schläwe

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/235

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Auf der Suche nach einem Fürsten. Gedanken zu einem Itinerar Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck

“Wo ist Joseph? […] Ah, da ist er ja!”. Fast wie bei einem beliebten Kinderpiel geht es dem an seiner Person Interessierten durch den Kopf, wenn er versucht, die unterschiedlichen Aufenthaltsorte und Reisewege Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck auf der historischen Europakarte nachzuverfolgen. Denn dies ist bei einem solch umtriebigen “Wanderer” wie ihm gar nicht so einfach: Dyck und sein Umland; die Reichsstadt Köln, wo Joseph die Schulbank drückte; die alte Kaiser- und Bäderstadt Aachen, Hauptort des Roer-Departements, auch dort besaß er ein prächtiges Haus; Düsseldorf und der rheinische Provinziallandtag; Brüssel, zentrale Station auf seiner “Kavalierstour” und Sitz des Bankiers seines Vertrauens; Wien, wo er studierte; Berlin, Hauptstadt der Hohenzollernmonarchie; das rheinische Alfter mit seinen Mineralquellen als traditioneller Familienenbesitz und Nebenresidenz; Spanien und Südfrankreich, die er bereiste; London, das Mekka der Botaniker; Nizza, wo er seinen Lebensabend verbrachte; und natürlich Paris, immer wieder Paris… .

Reisen machen Leute, Orte prägen Menschen. Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck steht dafür eindrücklichst Pate. Ein (netz-)biographischer Zugriff muss dies freilich berücksichtigen, aber auch in eingängiger Form visualisieren! Deshalb entsteht im Rahmen der Netzbiographie ein Itinerar in Form einer kartenbasierten Mehrebenengraphik. Anhand farbiger Linien und Punkte werden hier die Wege, Lebensorte und -stationen Salm-Dycks überlappend wie überblickend dargestellt. Bei der Beantwortung der obligatorischen Folgefrage nach dem “wann?” helfen Verlinkungen auf die biographische Zeitleiste. So wird der Protagonist auf eine ganz neue, entscheidende Weise sichtbar gemacht – ohne rot-weiß gestreiften Pulli, versteht sich!

Florian Schönfuß

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/205

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