Sylvie Aprile, Professorin für Histoire contemporaine an der Université Lille 3 und aktuelle Präsidentin der „Société d’histoire de la Révolution de 1848 et des révolutions du XIXe siècle“, hat am vergangenen 11. Februar 2014 an der Universität Freiburg im Breisgau einen Vortrag zu einem der gleichzeitig interessantesten und schwierigsten Aspekte der Revolutionen von 1830 und 1848 gehalten, nämlich zu ihrer transnationalen Dimension. Obwohl bereits den Zeitgenossen klar vor Augen stand, dass es in beiden Fällen einen gesamteuropäischen, in Ansätzen sogar globalen Zusammenhang der Ereignisse gab, ist sich die Historiographie – oder vielmehr: sind sich die Historiographien verschiedener europäischer Länder und politisch-ideologischer Lager – bislang nicht einig geworden über die beste Art, diesen Zusammenhang zu konzeptualisieren und zu beschreiben1. Dies lässt sich selbst an so grundlegenden Dingen ablesen wie der Frage, ob von einer europäischen Revolution von 1848 gesprochen werden kann oder nur von multiplen gleichzeitigen Revolutionen, die miteinander auf näher zu definierende Weise verbunden waren. Möglicherweise können auch beides sinnvolle Zugänge sein, wie sich etwa an einem jüngst von Sylvie Aprile mitherausgegebenen Sammelband zu 1830 ablesen lässt, der zwar im Titel von „les révolutions de 1830 en Europe“ spricht, dessen Einleitung aber mit „Une révolution transnationale“ überschrieben ist2.
Wichtig wäre aber jedenfalls, so Aprile in ihrem Freiburger Vortrag, die Überwindung dessen, was sie histoires cloisonnées nennt: in sich abgeschlossener nationaler Geschichtserzählungen, deren Interpretamente in den meisten Fällen von der teleologisch vorgegebenen Notwendigkeit geprägt waren und sind, die revolutionären Ereignisse in ein Narrativ der letztlich geglückten Nationalstaatsbildung einzuordnen. Sie plädierte weiterhin für eine Öffnung der Revolutionsforschung nach mehreren Richtungen, nämlich definitorisch, räumlich und zeitlich: von einer einseitigen Konzentration auf die spektakulärsten insurrektionellen Ereignisse hin zur Erforschung der vielen kleineren Protesthandlungen und Verschiebungen politischer Praxis und Symbolik; von der Festlegung auf wenige Zentren der Revolution, denen vorgeblich apathische „Peripherien“ gegenübergestanden wären, hin zum vielfach lohnenden näheren Blick auf die Letzteren; und von der Betrachtung einzelner Jahre wie 1830 oder 1848 als inselhafte Zäsuren hin zur Analyse der Sequenzen niederschwelligen Protests, die vorangingen und nachfolgten. Nicht zuletzt aber wären die in den letzten Jahrzehnten sprunghaft weiterentwickelten Ansätze und Perspektiven der transnationalen Geschichtsforschung, insbesondere der „verflochtenen Geschichte“, verstärkt in der Revolutionsforschung anzuwenden: histoire croisée als Antidot zur histoire cloisonnée.
Wir entnehmen diese Informationen dem ausführlichen Vortragsbericht von Axel Dröber (in französischer Sprache), der auf dem Blog des Deutschen Historischen Instituts Paris „Das 19. Jahrhundert in Perspektive“ veröffentlicht worden ist. Allen Interessierten sei natürlich die Lektüre des vollständigen Berichts wärmstens empfohlen!
- Auseinandersetzungen mit diesem Problem bieten etwa KAELBLE, Hartmut: 1848: Viele nationale Revolutionen oder eine europäische Revolution?, in: HARDTWIG, Wolfgang (Hrsg.): Revolution in Deutschland und Europa 1848/49, Göttingen 1998, 260–278; MIDDELL, Matthias: Europäische Revolution oder Revolutionen in Europa, in: FRÖHLICH, Helgard – GRANDNER, Margarete – WEINZIERL, Michael (Hrsg.): 1848 im europäischen Kontext (Querschnitte 1), Wien 1999, 9–34.
- FUREIX, Emmanuel: Une révolution transnationale, in: APRILE, Sylvie – CARON, Jean-Claude – FUREIX, Emmanuel (Hrsg.): La Liberté guidant les peuples. Les révolutions de 1830 en Europe (Époques), Seyssel 2013, 7–32.