CfP DiXiT convention: Technology, Software, Standards for the Digital Scholarly Edition

Der folgende Call for Papers zur ersten DiXiT convention mit dem Thema „Technology, Software, Standards for the Digital Scholarly Edition“ mag für den ein oder anderen aus dem Bereich der digitalen Edition von Interesse sein. Die convention findet von 16.-18. September 2015 am Huygens Institut in Den Haag statt.

 

 Call for Papers:

The Huygens Institute for the History of the Netherlands is organizing the first of DiXiT’s three conventions, September 16-18 2015 in The Hague, the Netherlands. The convention will be an informal meeting where the DiXiT research fellows will present their first results in interactive sessions. We anticipate a lively get-together bristling with new ideas, and we hope that many of those working in the field of scholarly editing and digital humanities will gather here. In order to broaden the scope and diversity of the meeting, the convention organisers are issuing this call.

While the focus of the convention is on technology, software and standards, topics for the sessions may include anything related to scholarly digital editing, such as:

  • tools for editing, collation, publication
  • text markup: application, development, advantages, disadvantages
  • sustainability and preservation of editions: economic and technical
  • editing as a social endeavour: crowd-sourcing, social editions and other forms of collaboration
  • the role of the editor in digital editing
  • and others

We encourage exploratory papers. Early-career scholars are welcome.

We ask those interested in presenting a twenty-minute paper to mail their proposal to congres@huygens.knaw.nl. The proposal should include:

  • name and email of the presenter
  • title of paper
  • abstract (ca. 400 words).

Dates:

  • call for papers April 21, 2015
  • proposals due May 21, 2015
  • decision about acceptance June 7, 2015
  • meeting: September 14-18, 2015

Keynotes will be given by Leo Jansen, editor of the acclaimed edition of Van Gogh’s lettersLaurent Romary, director of DARIAH, and Lorna Hughes, chair in digital humanities  at the University of London’s School of Advanced Study (SAS).

The meeting is preceded by two parallel workshops on September 15: Net 7 (Italy) runs a workshop about semantic enrichment of digital library content; Huygens ING runs a workshop on TEI and neighbouring standards.

Information about registration for the convention and workshops will follow.

Convention website: http://dixit.huygens.knaw.nl/

(Veröffentlicht von Frederike Neuber)

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=4966

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Bin „mit diesem Gedanken lange schwanger gegangen […], den König von Westphalen zu ermorden“ – Selbstbeschuldigung des Oberrechenkammerreferendars Heinrich F. Kaulwell (März 1813)


RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 10268–10346, hier Nr. 10338 (u.a. Korrespondenz von François Thibault de Guntz, Generalpolizeikommissar in Braunschweig, mit J. F. M. de Bongars, Generalinspektor der Gendarmerie mit der Hohen Polizei beauftragt, 1813)

 

Nr. 10338

[Briefkopf]

Königliche Gendarmerie.

District Cassel

„Proces-Verbal […] die Arrestation des Cammer Refrendaire H. Friedrich Kaulwell aus Mannsfeld District Halle […] Saale gebürtig, und jetzt zu Cassel wohnhaft welcher sich aus wahrscheinlicher Abwesenheit des Verstandes selbst des Verbrechens angeklagt: er habe S.M. den König ermordern wollen, betreffend

Geschehen d. 23 Maerz 1813.

Heute den drei und zwangigsten Maerz achzehnhundert und dreizehn Nachts halb Ein Uhr wurden mir Jaccob Lübbers und Wilhelm Meise, beide Gendarmen im Détachement zu Cassel, Dept. der Fulda in unserem Quartier. [lat. Schrift] Waisenhausstrasse N° 977 von einigen Bewohnern des Hauses aufgeweckt und gebeten, doch zu Hülfe zu eilen, da der ebenfalls im Hause wohnende Cammer Refrendaire Friedrich Kaulwell [lat. Schrift] […] im Begriff sey, die ihm von seiner Frau versperrten Thüren mit Gewalt aufzubrechen.

Zu erst begab ich Lübbers mich herunter in der Hof, kehrte aber wieder um, da man mir sagte, es sey alles wieder gut, und wirklich hörte ich auch keine Lärm mehr.

Kaum waren wir wieder eingeschlafen, als wir gegen drei Uhr morgens abermals geweckt und zur Hülfe gerufen wurden; zugleich hörten wir, wie der p. Kaulwell [lat. Schrift] laut aus dem in der Hof gehenden Fenster nach uns rief.

Sogleich begaben wir uns in unserer Uniform [lat. Schrift] in die Stube des p. Kaulwell [lat. Schrift] und fanden wie selber vor der Kammerthür stand, und so halb entkleidet dieselbe zu öffnen von seiner Frau verlangte welche mit Tochter und Magde darin war. Die Frau weigerte sich es zuthun da sie aber hörte, daß wir in der Stube waren, und sie und […] mit ihr einige schlaffene Tochter und Magd nichts mehr zu fürchten hatten, öffnete sie die Thür; der p. Kaulwell [lateinische Schrift] stürzte nun in die Cammer und warf sich in das darin befindliche Bett.

Nach einem kleinen Wortwechsel mit seiner Frau sprang er wieder auf.

Wir fragten ihn nun nach seinem Namen, Standt, Alter und um die Ursache seines Lärmens.

Er antwortete

Ich heise Friedrich Kaulwell, bin aus Mannsfeld […] stehe hier in Cassel [lat. Schrift] bei der Rechen Cammer [lat. Schrift] als Refrendaire [lat. Schrift] und bin 51 Jahr alt.

Ohne nun die Frage wegen Ursache seines Lärmens zu beantworten sprach er statt dessen unsinniges Zeug und brach endlich dahin aus.

Ich bin unglücklich, ich habe ein Verbrechen begangen, Sie müssen mich arretiren [lat. Schrift], weil ich den festen Vorsatz hatte und schon lange damit umgegangen bin den König von Westphalen zu ermorden, ich habe stets versteckte Waffen zu diesem Zweck bei mir getragen und mit diesem Gedanken lange schwanger gegangen; um gerade jetzt will ich sterben, da mein armes Vaterland wieder in Gefahr ist. Ich bin ein Deutscher und […]eit es, und dergleichen Unsinn, ferner; er müße und wolle das wegen Todt geschaffen seyn.

Da wir nun aus allen seinen Reden nichts anders als gänzlich Abwesenheit des Verstandes vermuthen konnten; ja nehmen wir uns vor, ihn zur Verhütung großen Unglück bis an den Morgen zu bewachen, und als dann die Sache unseren Obern anzuzeigen. Der Kaulwell bat nun wir möchten ihn in […]hauen und in demselben Augenblick griff er auch meinem (des Lübber) Säbel um sich zu erstechen; aber wir hielten ihn noch zeitig genug davon ab, indem wir ihn den Säbel wieder aus den Händen […] den Kaulwell uns batt zurück werfen.

Weiter sagte er noch

Nun will ich erschossen seyn, will wie Kupfermann sterben, und wenn der König […] ist, so läßt er mich auch todt schießen, gibt er mir aber Gnade, so fange ich Rebellion [lat. Schrift] an, zu den Russen will ich u.s.w.

Aus allendessen leuchtete offenbare Abwesenheit des Verstandes her vor, nur wir hielten fürs beste, ihn bis an den Morgen zu bewachen, und dann ich in das Civil Gefangenhaus zu führen. Gegen Morgen würde er krank mußte sich legen und befindet sich noch jetzt unter Aufsicht der Gendr. Lübbers.

Wir haben hierauf diesen Verbal Process aufgenommen, um denselben Sr. Excellenz den Herrn Genral Inspecteur der Gend-rie […] zals weiteren Verfügung zu übergeben. Copie aber an dessen H. Capt. Dell. Comdt. der Königl. Gendarmerie im Fulda-Departement eingereicht. […]

Meise“.

„Hinrichtung Johann Philipp Palms“ von Unbekannt, lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hinrichtung_Johann_Philipp_Palms.jpg#/media/File:Hinrichtung_Johann_Philipp_Palms.jpg

„Hinrichtung Johann Philipp Palms“ von Unbekannt, lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons – http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hinrichtung_Johann_Philipp_Palms.jpg#/media/File:Hinrichtung_Johann_Philipp_Palms.jpg

 

Zur Quelle

Wenn es an Attentatsplänen gegen Napoleon Bonaparte nicht fehlte, zeigt die vorliegende Quelle, dass auch die von Napoleon eingesetzten Regenten in den napoleonischen Modellstaaten, hier für das Königreich Westphalen sein jüngster Bruder Jérôme Bonaparte, die Faszination des crime lèse-majesté auf sich bündelten.[1] Mit dem Referendar der Oberrechenkammer in Kassel, H.F. Kaulwell, wurde sogar ein Mitglied der westphälischen Verwaltung, von dem Gedanken an ein Attentat auf Jérôme Napoleon wahnsinnig.

Die Gendarmen, die damit konfrontiert wurden, nahmen die Sache einigermaßen gelassen. Ein Mann in Wahn durfte offensichtlich das aussprechen, was im gesunden Zustand nicht geduldet worden wäre.

In ihrem Protokoll stellten sie fest, dass das Staatsverbrechen Kaulwells sich bei näherer Untersuchung als recht harmlos herausstellte, denn dieser habe „sich aus wahrscheinlicher Abwesenheit des Verstandes selbst des Verbrechens angeklagt“. Kaulwell wurde letztendlich für labil und psychisch krank erklärt und von seiner selbst beteuerten Schuld freigesprochen. Einige ärztlichen Atteste und zwei Monate später konnte oder wollte sich Kaulwell nicht mehr an seine Absicht erinnern, den König von Westphalen ermordet haben zu wollen.[2]

Wilhelm Kupfermann, den Kaulwell in seinem Wahn als Vorbild nannte, war zehn Tage vor der Vorfallsnacht, die die Gendarmen hier protokollierten, hingerichtet worden. Er war als Lieutnant der westphälischen Armee bei Wolfenbüttel desertiert, hatte circa 30 Männer in seinen Bann gezogen, einige öffentliche Kassen gestohlen, aber war schließlich von zwei französisch-kaiserlichen Bataillons angehalten worden.[3]

Nicht nur Kaulwell hatte die Affäre Kupfermann beeindruckt. Die Berichte der Polizeiagenten melden, dass vielerorts darüber gesprochen wurde.[4] In der Gazette de Berlin wurde ein Artikel über Kupfermann veröffentlicht, deren Verbreitung im Königreich Westphalen von der Hohen Polizei verfolgt wurde.[5]

 

Zitiert

Claudie Paye, „Der französischen Sprache mächtig“. Kommunikation im Spannungsfeld von Sprachen und Kulturen im Königreich Westphalen 1807–1813, München 2013 (Pariser Historische Studien, 100), S. 317f.

 

Abbildung

Darstellung der Hinrichtung Johann Philipp Palms in Braunau am 26. August 1806 durch französische Truppen. Palm wurde vorgeworfen die antifranzösische Schrift „Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung“ verbreitet zu haben.

 

[1] Über das Pamphlet in Briefform von Kocken und Bielstein, das Pfarrer Altenburg in Verdacht zu bringen beabsichtigte, ein crime lèse-majesté gegen den König Jérôme zu planen, vgl. Claudie Paye, Postwesen und Briefkultur im Königreich Westphalen. Das offizielle Netz und sein geheimes und privates Pendant (1807–1813), http://halshs.archives-ouvertes.fr/halshs-00793224 (Zugriff vom 25.04.2015).

[2] Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 10268–10346, hier Nr. 10337.

[3] Vgl. GStA PK, V. HA, Nr. 741, Akte der Hohen Polizei im Königreich Westphalen: Schreiben Nr. 576 PS. von Moisez an J. F. M. de Bongars, 02.03.1813; RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., Nr. [13852], Registre des personnes arrêtées, où sont indiqués les NN d’ordres, date de l’entrée, les noms et prénoms des susdites personnes, les signalements, les motifs de l’arrestation, les décision, dates de la sortie et les observations différentes la-dessus, depuis le 1811, 1812, 1813, Eintrag Nr. 112

[4] Vgl. RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 16, Nr. 9882-9987, hier Nr. 9952, Rapport Nr. 57 vom Polizeiagent WZ, 14.03.1813

[5] Vgl. Lha Magdeburg, Außenstelle Wernigerode, B 18 II. 123. II. a., fol. 233.

Quelle: http://naps.hypotheses.org/1249

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Lesebuch zu kritischer Geschichtspolitik ist nun lieferbar

V1Das AutorInnenkollektiv Loukanikos ist sehr erfreut, nach langer Vorbereitungszeit nun endlich auf das Erscheinen ihres zweiten gemeinsamen Buchs hinweisen zu können:
“History is unwritten. Linke Geschichtspolitik und kritische Wissenschaft. Ein Lesebuch”
Der Sammelband ist lieferbar und in den ersten Buchhandlungen angekommenn. Er geht auf die gleichnamige Konferenz vom Dezember 2013 zurück und enthält Beiträge von 25 Autor*innen und politischen Initiativen. Die Beiträge diskutieren in vier inhaltlichen Kapiteln (“Retrospektiven”, “Ausgraben und Erinnern”, “Angreifen und Stören” und “Im Zweifel für den Zweifel?”) auf 400 Seiten zahlreiche Fragen und Themen linker Geschichte und des Umgangs mit ihr.
Das Buch ist im Verlag edition assemblage erschienen und kostet 19,80 Euro. Auf der Verlagsseite findet sich auch das Inhaltsverzeichnis und eine Lesevorschau.

Die Autor*innen sind: AutorInnenkollektiv Loukanikos, Bernd Hüttner, tippel orchestra, Wolfgang Uellenberg, David Mayer, Cornelia Siebeck, Florian Grams, Dominik Nagl, Susanne Götze, Anton Tantner, gruppe audioscript (Dresden), Bündnis Rosa&Karl, Saskia Helbling und Katharina Rhein (Initiative Ehemaliges Polizeigefängnis Klapperfeld/Faites votre jeu!), Chris Rotmund (Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark), Katharina Morawek und Lisa Bolyos, Ralf Hoffrogge, Renate Hürtgen, Bini Adamczak, Dörte Lerp und Susann Lewerenz (Initiative „Kolonialismus im Kasten?“), Antifaschistische Initiative Moabit, Claudia Krieg, Max Lill, Christiane Leidinger und Ingeborg Boxhammer, Friedemann Affolderbach und Uwe Hirschfeld, Gottfried Oy und Christoph Schneider.

Im Dezember 2014 wurden bereits die Beiträge von David Mayer, Gottfried Oy & Christoph Schneider und Susanne Götze in sozial.geschichte online vorveröffentlicht worden, sie finden sich hier:
http://duepublico.uni-duisburg-essen.de/servlets/DocumentServlet?id=36450.

In der “konkret” (Aprilausgabe) ist “History is unwritten” übrigens bereits besprochen worden (Link) und es lohnt sich für Euch vielleicht auch, die Augen nach der “analyse und kritik” (“ak”) vom April Ausschau zu halten. rezensionen, alle aktuellen Infos, Lesungen, Buchvorstellungen und Links zum Buch und drumherum werden sukzessive auf dem Blog des AK https://historyisunwritten.wordpress.com/ veröffentlicht.

Kontaktieren (zum Beispiel wegen Buchvorstellungen :-)) könnt ihr den AK Loukanikos über die Email-Adresse unwrittenhistory(ädd)riseup(punkt)net.


Einsortiert unter:Aktion, Arbeiterbewegung, Erfahrungen, Erinnerung, Geschichte, Geschichtspolitik, Historiker, Interna, Linke Debatte, Literatur, Meinung, Methodik, Museum, Revolution, Sozialgeschichte

Quelle: https://kritischegeschichte.wordpress.com/2015/04/26/lesebuch-zu-kritischer-geschichtspolitik-ist-nun-lieferbar/

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Filmbesprechung: Fury (Herz aus Stahl) – Orks in SS-Uniformen

April 1945. Deutschland steht kurz vor der Niederlage. Für die Besatzung des Sherman-Panzers "Fury" unter ihrem Kommandaten "Wardaddy" (Brad Pitt) ist oberste Priorität, den Krieg zu überleben, doch die überlegene Technik der deutschen Panzer macht jedes Gefecht zum Himmelfahrtskommando. Als der Hilfsfahrer getötet wird, braucht die Besatzung Ersatz. Die Besatzung grüßt den Neuling, Norman (Logan Lerman) nicht gerade mit großem Enthusiasmus. Sie befürchtet, dass er sie auf die letzten Tage noch alle umbringen wird...

Es gibt nicht gerade eine große Menge Kriegsfilme über Panzerbesatzungen; allein das macht "Fury" (deutsch: Herz aus Stahl) zu einer Besonderheit. Und was man von Anfang an loben muss: Brad Pitts verdreckte Panzercrew macht uns die Enge in dem Stahlgefährt deutlich und erinnert teilweise an "Das Boot". Hier enden die Parallelen zwischen dem gelobten Anti-Kriegsfilm der 1980er Jahre und "Fury" allerdings schon. Denn obwohl die Produktionswerte des Films wenig zu wünschen übrig lassen und die Kämpfe spektakulär in Szene gesetzt sind, ist die Geschichte selbst zwischen "fragwürdig" und "völlig lächerlich" gefangen, mit einigen starken Szenen zwischendrin. 

Erschöpfte Fury-Besatzung
Der Film öffnet mit einer grau-in-grau-Stimmung einer erschöpften Armee. Die amerikanischen Truppen die wir hier zu sehen bekommen sind verroht, zynisch und völlig verbraucht und wollen eigentlich nur noch, dass der Krieg endet. Sie haben weder Empathie für ihre Kameraden noch für Zivilisten mehr übrig. Der Umgangston der Fury-Besatzung untereinander - trotz aller Kameradschaft - ist rau und aggressiv. Trotzdem fühlt sich das Setting so eher deplatziert an. Diese US-Army scheint eher die Wehrmacht von 1945 zu sein, während ihre Kontrahenten der US-Army ähneln. Die Amerikaner haben zu wenig Material und zu wenig Soldaten, so dass sie sogar den Sekretär als Panzerfahrer rekrutieren müssen. Dieses Szenario wäre vielleicht für "Market Garden" zu verkaufen gewesen, aber im April 1945 ist es schwerlich als Gesamtbeschreibung der alliierten Armee vorstellbar, wird aber als solche verkauft. 

Wir begleiten die Fury-Crew dann zu einem Einsatz gegen Hitler-Jungen und Volkssturmsoldaten. Hier stimmt der Ton eher - die Hitlerjugend legt einen selbstmörderischen Hinterhalt mit Panzerfäusten, und das Zögern des unerfahrenen Neulings kostet einen Panzer samt Besatzung. Entlang der Straße finden die Amerikaner später gehängte Deutsche mit Schildern um den Hals, etwa "Ich wollte meine Kinder nicht für Deutschland kämpfen lasssen" oder "Feigling" und Ähnliches. Auch diese Stimmung passt, und die Verrohung der Soldaten, deren einzige Reaktion ist, den Kampf Deutscher gegen Deutsche als Erleichterung ihrer Arbeit zu begrüßen, ist durchaus glaubhaft. Gleichzeitig wird hier aber bereits die Grundlage für spätere Probleme gelegt: verantwortlich für die Massaker ist die SS, die uns als die richtig bösen, harten Elitetruppen vorgestellt werden. 

The Greatest Generation in action
Zuerst einmal aber verüben die Amerikaner nun Kriegsverbrechen an der überrannten Feindstellung. Panzerkommandant Wardaddy zwingt Norman, der unfähig ist auf die deutschen Soldaten zu schießen, einen Gefangenen zu ermorden, der verzweifelt versucht, mit Bildern seiner Familie Mitleid zu erwecken, was bei keinem einzigen anwesenden GI gelingt. Soweit erinnert die Szenerie an die Kriegsverbrechen der alliierten Landung in der Normandie aus "Der Soldat James Ryan", aber genau wie dort verlaufen sie als Hintergrundrauschen im Sande, zeigen nur die Verrohung und Brutalität des Krieges ohne die Frage aufzuwerfen, was eigentlich Recht und Unrecht im Kriege noch für eine Bedeutung haben. Schlimmer noch: Das Kalkül des Kommandten, den Neuling quasi im Schnelldurchlauf zum Soldaten zu machen, geht auf. Ab sofort bedient er das MG, wie er es sollte, und passend zum Erkenntnisgewinn laufen ihm ab sofort keine Volkssturmmänner und Jugendliche mehr vor die Flinte, sondern die böse Waffen-SS. Der Film rutscht auf dem eigenen moralischen Morast aus und sinkt. 

Mit eine der stärksten Szenen erlebt der Film nach der Einnahme einer kleinen Stadt (und der Ermordung eines gefangenen SS-Offiziers, für dessen Verbrechen gegenüber der deutschen Bevölkerung sich die Amerikaner plözlich doch interessieren). Während die Soldaten überall mehr oder weniger freiwillige Frauen prostituieren, quartiert sich der Kommandant mit dem Neuling bei zwei schönen Damen (Emma und Irmgard) ein, um sich zu waschen und einige Spiegeleier zu essen. Erneut halb freiwillig lässt er dann Norman und Emma miteinander schlafen. Die Situation eskaliert jedoch, als die anderen Panzerfahrer kommen und aus unklaren Gründen versuchen, die halbwegs zivilisierte Situation zu zerstören. Dass im ganzen Film völlig unklar bleibt, warum die Männer sich benehmen wie sie sich benehmen ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Die Besatzung bleibt uns fremd, ihre Traumatisierung durch den Krieg macht sie unberechenbar, unangenehm und gefährlich, gerade auch für Norman, der die Identifikationsfigur des Publikums bildet.

Sherman gegen Tiger
Nach einem deutschen Artillerieüberfall auf die Stadt stirbt Emma, und die Besatzung zieht weiter. Mit fünf weiteren Shermanpanzern laufen sie in einen Tiger-Kampfpanzer, und ein verzweifeltes Gefecht entbrennt, in dessen Verlauf es "Fury" gelingt, den Tiger auszuschalten - alle anderen Panzer werden aber abgeschossen. Während die Überlegenheit des Tiger gegenüber dem Sherman zu den wohl bestbekanntesten technischen Fakten des Zweiten Weltkriegs gehört, stellt die Szene den stimmungsmäßigen Problemfall des Films erneut stark heraus: die Vorstellung, dass eine technologisch und taktisch überlegen deutsche Armee die wenigen Amerikaner vor gewaltige Herausforderungen stellt gibt gutes Heldenkino her, gewiss. 

Gleichzeitig ist sie aber furchtbar ahistorisch. 1945 waren an der Ostfront insgesamt 12 Tiger im Einsatz, die zudem bereits technisch veraltete waren. Die allgegenwärtige Furcht der Amerikaner, in einen solche hineinzurennen, ist ebenso unrealistisch wie eine Elitearmee der Waffen-SS, die noch voll einsatzfähig ist. Stattdessen sind gerade die Waffen, die am ehesten eine Bedrohung darstellen - Pak, Panzerfäuste und Minen - merkwürdig harmlos. Insgesamt ist diese Schlacht aber spannend gefilmt und inszeniert, und am Ende sind die erschöpften Soldaten viele ihrer Kameraden los. Eigentlich sollte mit der Niederlage des Tigers der Weg nun frei sein. Würde der Film nun enden, wäre er trotz der Probleme mit dem Finden des richtigen Tons insgesamt noch ein passabler Anti-Kriegsfilm, der die Traumatisierung, Erschöpfung und Verrohung der Truppen aufzuzeigen weiß. Leider fängt an dieser Stelle ein komplett neuer Film an, und der wirkt eher so, als ob der Sherman nun nach Helms Klamm teleportiert worden wäre und dort Horden von angreifenden Orks - für Rohan! - abwehren muss. Zur besseren Freund-Feind-Erkennung tragen die Orks hier SS-Uniformen. 

Angriff auf Helms Klamm
Fury läuft auf eine Mine und bleibt liegen. Eine Reparatur erscheint möglich, aber Norman (der plötzlich über die Fähigkeit der Raum-Zeit-Verzerrung verfügt, die feindliche Truppen genau so schnell marschieren lässt wie nötig um eine Rede zu halten) erspäht eine Abteilung SS-Soldaten, die genau auf sie zukommt, um die 100 oder 200 Mann, mechanisiert. Die Soldaten tragen alle brandneue Uniformen, sind ausgerüstet als ob immer noch Juni 1941 wäre und marschieren singend die Straße entlang. Der Liedtext? "SS marschiert", vorgetragen in einer Tonlage, die Verwechslung mit den Kriegsschreien der Orks aus dem "Herr der Ringe" problemlos ermöglicht. Der Film ist jetzt solide in lächerlichem Territorium. "Wardaddy", der bislang den Film damit verbrachte zu erklären, dass es "mein Job ist, die Jungs sicher nach Hause zu bringen" beschließt nun aus heiterem Himmel "dieser Panzer ist mein zuhause" und den liegengebliebenen Sherman gegen die Masse der Waffen-SS zu verteidigen. Natürlich beschließen die anderen, mit ihm für die Blechbüchse zu sterben. Dieser Wandel passt so wenig zu allem was vorher kam und ist so wenig erklärt, dass es ein völlig misstönender Effekt ist. 

Was dann folgt ist eine rund zwanzigminütige Schlacht gegen eine mehr als fünfzigfache Übermacht in einem bewegungsunfähigen Panzer. Die amerikanischen Soldaten tragen plötzlich Plotrüstung, und die tausenden von Kugeln, die in ihre Richtung abgeschossen werden, treffen schlicht nicht, während sie die SS-Orks im Dutzend billiger töten. Wenn dann die Panzerbesatzung doch langsam Mann für Mann erledigt wird (meist nachdem die jeweilige Waffe keine Munition mehr hat), braucht es mehrere Treffer in Zeitlupe mit epischen Todesszenen. Allein Brad Pitt wird mehrfach getroffen, tötet noch mehrere Männer und wird zusammen mit einem Kamerad und Norman im Panzer eingeschlossen. Eine Handgranate, die in den Panzer geworfen wird explodiert nicht, bis Wardaddy sich von Norman verabschiedet, die soldatische Männlichkeit attestiert und ihn durch eine Bodenklappe in den Matsch unter dem Panzer entlassen hat. Dort wird Norman von einem SS-Soldaten gesehen, der ihn aber leben lässt - ein bemerkenswerter Kontrast zu dem Mord an dem Kriegsgefangenen zu Beginn, an den sich aber irgendwie niemand mehr zu erinnern scheint. 

Wenig Ehre, aber umso mehr Glory und War
Gereift und als echter Soldat kann Norman dann, einsamer Überlebender, am nächsten Tag von der US-Army aufgelesen werden. Die fünf Mann Besatzung des Sherman-Panzers hat mit einem bewegungsunfähigen Gerät sicherlich 150 Elitesoldaten getötet, die in Welle um Welle den Panzer angriffen, als wollte man den sowjetischen Angriff in Stalingrad aus "Duell - Enemy at the Gates" nachstellen. Die ganze Szenerie ist so absurd, dass man lachen und schreien zugleich mag. 

"Fury" kann daher nur als gescheitert betrachtet werden. Der Tonfall bleibt völlig dissonant, interessante moralische Ambivalenzen werden einfach fallengelassen und verkommen zu einem Hintergrundrauschen. Eine Entscheidung darüber, ob man einen Kriegsfilm oder Anti-Kriegsfilm machen will trifft man einfach nicht und macht stattdessen beides auf einmal. Historisch genau ist der Film auch nicht; dazu wird wesentlich zu freizügig mit bekannten Bildern gearbeitet, um diese in den Dienst des verworrenen Narrativs zu stellen. Es gibt daher besseres, was man mit seiner Zeit anfangen kann. 



Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2015/04/filmbesprechung-fury-herz-aus-stahl.html

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16. Humor im wissenschaftsaffinen Philosophieblog? Ein Unding;

Wissen Sie, was ich mich frage? Mein Blog hat einen humoristischen Charakter, aber darf ich wirklich lustig über philosophische Themen schreiben? Ich weiß, dass es bei uns so ist, falls jemand fragt, ob er etwas dürfe, reflexartig “natürlich” geantwortet wird. “Wer kann mir das schon verbieten?” Wir leben irgendwie in einem voluntaristischen Zeitalter. Aber das ist nicht, was ich meine. Was ich meine, ist etwas ganz anderes: Ich möchte wissen, ob es angemessen ist, so zu schreiben. Die Angemessenheit einer Sache interessiert mich, wissen Sie? Ob es würdig genug ist, so zu schreiben. Schließlich ist Philosophie die Auseinandersetzung mit den wichtigsten Dingen überhaupt. Aber diese Dinge sind eben nicht lustig. Nun hat Aristoteles vor Kurzem über die lustige Komödie Folgendes geschrieben:

“Die Komödie ist, wie wir sagten, Nachahmung von schlechteren Menschen, aber nicht im Hinblick auf jede Art von Schlechtigkeit, sondern nur insoweit, als das Lächerliche am Hässlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Hässlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht, wie ja auch die lächerliche Maske hässlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz.” (Aristoteles’ Poetik 5, Übers. Manfred Fuhrmann)

Offenbar ist das Lustige in der Komödie auf eine eigentümliche Weise mit der Hässlichkeit und der Schlechtigkeit verbunden. Könnte es auch in diesem Blog der Fall sein? Mein Blog-Humor beschränkt sich einerseits auf lustige Beispiele (Ethik als Buffet) und Redewendungen (das Glück einer Gurke), unerwartete Gedankensprünge (laberrhabarber), dann darauf dass ich antike Philosophen zu modernen Fragestellungen so befrage, dass es zumindest nicht unwahrscheinlich ist, dass sie so abgebrüht etwas darüber sagen könnten (Platon über das Internet). Und schließlich hat man immer Freue daran, unwichtige Attribute der Protagonisten herauszuheben (Bärte, polierte Schienbeinschoner, eben alles, was zählt). Aber ist es angemessen, so über philosophische Fragen zu schreiben? Während Aristoteles eher die Ernsthaftigkeit in der Philosophie in den Vordergrund stellt – schließlich nennt er den Menschen mit gutem Charakter Spoudaios (übersetzt heißt das etwa: jemand, der etwas mit Ernst betreibt (vgl. z. B. Schottländer 1980: Der aristotelische Spoudaios)) – kennen wir die berühmte sokratische Ironie in Platons Dialogen (vgl. Vlastos 1987: Socratic irony), die offenbar das Gegenteil verfolgt. So regt sich beispielsweise Trasymachos, der Gesprächspartner des Sokrates, in der Politeia (337a) auf, weil Sokrates ihn mit seiner Art zu fragen und zu antworten nervt:

„Der lachte auf diese Worte hin lauthals und recht höhnisch heraus und sagte: ‘Bei Herakles, da ist sie, jene für Sokrates typische Ironie; ich wusste es ja und hatte es denen da gleich gesagt, dass du nicht antworten wolltest, sondern ironisch würdest und alles andere eher machtest als zu antworten, wenn dich einer etwas fragt.’” (Übers. Gottwein)

Bemerkenswert ist aber, dass Sokrates nur mit schlechten Gesprächspartnern trickreich umgeht. Wirklich lustig ist er, weil er mit seiner penetranten Art jeden zur Weißglut bringt, besonders bei Gorgias, Protagoras und auch mit dem genannten Trasymachos. Er scheint ein Talent dafür zu haben, die stolzen, aufgeblasenen Charaktere so zu reizen, dass sie zuerst platzen und dann anfangen nachzudenken. Aber im Gespräch mit der klugen Priesterin Diotima, mit dem begabten und interessierten Theaitetos oder mit dem viel älteren und weisen Parmenides suchen wir seine Ironie vergeblich. Er scheint sich also seinen Gesprächspartnern und den Situationen anzupassen.

Und nun? Welche Lehre ziehe ich daraus? Ist es unwürdig, so über Philosophie zu schreiben? Wenn das die einzige Annäherung wäre und es meinerseits kein Motiv gäbe, meine Leserinnen und Leser dazu zu bewegen, sich vielleicht in einem unerwarteten Moment an die eine oder andere Zeile hieraus zu erinnern und ohne die humoristische Komponente weiterzumachen, dann wäre es unwürdig. Ich aber glaube, ich kann wegen meiner guten Intention so weitermachen. Denn wenn ich nicht unterhaltsam schreiben würde, würde niemand mehr Lust haben, sich mit diesen philosophischen Inhalten auseinanderzusetzen. Diejenigen, die es ernst haben wollen und Zeit haben, sich intensiver mit der Philosophie auseinanderzusetzen, sind schließlich herzlich willkommen, die Ironie abzulegen und die Sache wirklich ernst zu betreiben, den Gedanken auf den Grund zu gehen, die Wahrheitsfindung zum eigenen Antrieb zu machen. In diesem Sinne und bis dahin aber hier ein Tipp für ein Buch, das Ihnen die Tränen in die Augen treiben könnte, falls Sie es möchten: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes.

Herzliche Grüße

D.

@philophiso

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/506

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Historisches Stichwort: Deutsche Reichsbahn (1945-1993)

www.dbmuseum.de/museum_de/ausstellungen_fahrzeuge/geschichte_der_eisenbahn www.hfv-dresden.de/dp_dr.php#2 Der Name “Deutsche Reichsbahn” bezeichnet seit Beginn der Weimarer Republik das öffentliche Eisenbahnwesen. Die genaue Firmierung war 1924 bis 1937 “Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft” sowie von 1937 bis Kriegsende “Deutsche Reichsbahn”. Danach wurde die Benennung in West-Berlin und der SBZ/DDR beibehalten. Warum verwendete gerade der kommunistische Teil Deutschlands diesen sehr nationalkonservativ anmutenden Namen weiter? Mit […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/04/5814/

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24. April 1915 – 24. April 2015: Gedenken an den Genozid an den Armeniern

Viele fragen sich, ob der Streit um die Begriffe – Genozid, Massaker, und andere – nicht den Blick auf das Leiden und Sterben von wahrscheinlich eineinhalbmillionen Armeniern und ca. dreihunderttausend Assyro-Chaldäern und Syriaken 1915 verdecke und vom Gedenken daran ablenke. Denn gäbe es ein gemeinsames Totengedenken, so stünde dies zum Jahrestag im Vordergrund.

Quelle: http://wolfgangschmale.eu/gedenken-an-den-genozid-an-den-armeniern/

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Europa als Kultur

Napoleon hoch zu Ross, dynamisch, ein Sieger eben, die Alpen am St. Bernhard überquerend, es Hannibal und anderen gleichtuend, links am Boden Inschriftentafeln mit den Namen von Karl dem Großen, Hannibal sowie Bonaparte in aufsteigender Reihenfolge – wer kennt dieses Gemälde von Jacques-Louis David von 1801 nicht? Oder Jean-Baptistes Isabeys „Der Wiener Kongress“ (1815), der in einer fiktiven Runde die Hauptakteure des Kongresses porträtiert – wer kennt nicht den sogenannten Kongress-Stich? Diese und andere zu Ikonen gewordenen Visualisierungen von Akteuren und Ereignissen der Napoleonischen Epoche und des Wiener Kongresses zeigt die von Sabine Grabner und Werner Telesko kuratierte Ausstellung ebenso wie selten reproduzierte Stücke wie die Lithografie und Satire „Die Theaterliebhaber“ von Josef Lanzedelli d. Ä. (1820, Privatbesitz). Die Ausstellung bereitet Begegnungen mit Bekanntem und Überraschendem, so wie es sich gehört.

Quelle: http://wolfgangschmale.eu/europa-als-kultur/

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