Objekt des Monats / object of the month: September 2013
Schale mit gold- und kupferbrauner Lüsterbemalung, außen leuchtend blaue Glasur Iran, vermutlich aus der Stadt Kaschan, um 1200 Durchmesser: 35,7 cm / Höhe: 6,6 cm Museum für Islamische Kunst, Inv. Nr. I. 1592 Die große und sehr schwere Schale ist … Weiterlesen →
Quelle: http://jameel.hypotheses.org/105
Street Angel 馬路天使 (1937)
Mǎlù tiānshǐ 馬路天使 (“Street Angel”, 1937) ist ein Klassiker des ‘linken’ Films der 1930er Jahre. Der Film von Regisseur Yuan Muzhi (1909-1978) erscheint als Mischung aus Komödie und Melodram und erinnert an Hollywood-Tragikomödien der 1930er, zeichnet allerdings ein sehr pessimistisches Bild der Gesellschaft vor dem Krieg.[1].
Die Schwestern Xiao Hong und Xiao Yun waren auf der Flucht vor dem Krieg im Nordosten Chinas im Herbst 1935 nach Shanghai gekommen, wo sie von einem skrupellosen Paar ‘adoptiert’ wurden – de facto aber an das Paar, einen Musiker und seine spielsüchtige Frau, verkauft worden waren. Sie leben in einer heruntergekommenen Gegend, wo sich Xiao Hong, die in einem Teehaus arbeitet, in den armen Trompeter Xiao Chen verliebt, der in derselben Straße wohnt. Die ältere der Schwestern, Xiao Yun, die zur Prostitution gezwungen wurde, freundete sich dem Zeitungsverkäufer Lao Wang, dem besten Freund des Trompeters, an.
Bei einem Auftritt im Teehaus weckt Xiao Hong das Interesse des Kriminellen Gu, der sie den ‘Adoptiveltern’ abkaufen möchte, um sie zu seiner Konkubine zu machen. Die Schwestern hören zufällig von dem Plan und suchen Hilfe bei ihren Freunden. Da Sie sich keinen Anwalt leisten können, fliehen Xiao Hong und Xiao Chen in ein anderes Stadtviertel, wo auch Xiao Yun zuflucht sucht. Ihre Flucht währt nur kurz, denn der ‘Adoptivvater’ sieht die Mädchen auf der Straße, folgt ihnen und gibt dem Kriminellen Gu einen Tipp. In der folgenden Auseinandersetzung wird Xiao Yun niedergestochen. Sie stirbt, denn kein Arzt ist bereit zu kommen, wenn er nicht bezahlt wird.[2]
Der Film lebt vom innovativen Einsatz der Filmmusik, wobei einige Nummern – im Film gesungen von Zhou Xuan – zu epochenprägenden Titeln wurden, die noch heute bekannt sind, vor allem Sì jì gē 四季歌 ["Song of the Four Seasons"] und Tiānyá gēnǚ 天涯歌女 ["The Wandering Songstress"], beide komponiert von He Lüting賀綠汀 (1903-1999) mit Texten von Tian Han 田漢 (1898-1968).
Tiānyá gēnǚ ((Im Film heißt der Song Tianya Ge 天涯歌 ["The Wandering Song"].)) wurde zu einem der bekanntesten Songs aus den 1930ern und 1940ern und ist in China ähnlich bekannt wie im Westen “As time goes by” aus “Casablanca” (1942)[3] Gesungen wird das Lied von Zhou Xuan 周璇 (1918 oder 1920-1957), einer der berühmtesten Sängerinnen/Schauspielerinnen des chinesischen Tonfilms der 1930er und 1940er.[4]
Eine englische Fassung des Filmskripts (übersetzt von Andrew F. Jones) gibt es im MCLC Resource Center.
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- Stefan Kramer: Geschichte des chinesischen Films (Stuttgart/Wimar: J. B. Metzler 1997) 29.
- “Street Angel” in A Brief History of Chinese Film/Ohio-State.edu <abgerufen am 26.9.2013>.
- Der Song wurde wiederholt in den Soundtracks von chinesischen und westlichen Filmen verwendet, unter anderem in Lust, Caution (Regie: Ang Lee, 2007), in Paris, je t’aime (2006) und in New York, I love you (2009).
- Kurzbiographie und Filmographie → Internet Movie Database.
Digital ans Material
Gedanken zur interdisziplinären Zusammenarbeit in den Geschichts- und Kulturwissenschaften
Folgt man den aktuellen Diskussionen zur Rolle von Computer und Internet in den Geisteswissenschaften, dann gewinnt man den Eindruck, diese hätten die wissenschaftliche Praxis nahezu ausschließlich im Hinblick auf die Zugänglichkeit von Texten (Forschungsmaterial, Quellen und Sekundärliteratur) und komplementär dazu im Hinblick auf ein rein textbezogenes Publikations- und Kommunikationswesen (e-journals, open access etc.) revolutioniert. Dass diese Perspektive in den Geschichtswissenschaften, die einerseits zuallererst mit Textquellen arbeiten und schließlich – über Quelleneditionen und -auswertungen hinaus – traditionell auf die Darstellung komplexer historischer Sachverhalte in monographischer Form zielen, eine gewisse Berechtigung haben, ist evident und war auch auf der Eröffnungstagung AG Digitale Geschichtswissenschaft zu spüren, die mir den Anstoß für die folgenden Überlegungen gab.
Müsste man an diesem Punkt stehen bleiben, wären das eher schlechte Voraussetzungen für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, denn vor allem das Publikationswesen ist üblicherweise ein je nach Disziplin mit sehr unterschiedlichen Traditionen und Gepflogenheiten behaftetes Feld. Vor dem Hintergrund des sich zunehmend entwickelnden fachübergreifenden Feldes der “Digital Humanities” und der immer intensiveren – aber vielleicht auch immer ambivalenteren – Diskussion um Interdisziplinarität, erscheint es sinnvoller, gezielt nach den Bereichen zu suchen, an denen verschiedene Fächer gewinnbringend und reibungsarm zusammenarbeiten können. In denjenigen Bereichen, in den ausgeprägte Fachkulturen herrschen, sollte man jedenfalls nicht zuerst den Ansatz für Annäherungen suchen. Ein realistischerer Blickwinkel wäre vielleicht dieser: Die Verschiedenheit liegt in den Methoden und Fragestellungen aber nicht im Material. Warum ist das aber gerade vor dem Hintergrund digitaler Technologien und Daten interessant?
Die digitalen Infrastrukturen und Methoden bringen zwar einerseits eine immer stärkere Virtualisierung mit sich, aber es ist sicherlich nicht richtig, dass daraus eine immer größere Abstraktion im Sinn einer reinen Textkultur resultierte. Das Gegenteil ist der Fall. Die Digitalität führt gleichzeitig wieder zum Material und insbesondere zu seiner bildlichen, ja sogar räumlichen Wiedergabe. Nie zuvor kam der/die einzelne Forscher/in in solcher Breite so nahe und in solchem Umfang an Primärmaterial heran. Wenn auch nur in virtueller Repräsentation, können wir ortsunabhängig Urkunden, Inschriften und alle Arten materieller Artefakte sehen und sie nicht nur hinsichtlich der in ihnen vielleicht enthaltenen textuellen Information, sondern auch weitestgehend ihre formalen oder sogar materiellen Aspekte wahrnehmen. Dass auch die Geschichte mit letzteren etwas anfangen kann, zeigt sich nicht zuletzt an der zunehmenden Zahl der Abbildungen in Büchern und bei Vorträgen. Münzen, Siegel, Bullen, Herrscher- und Amtsinsignien, Inschriften aller Art – aber auch die “politische Ikonographie” bildlicher Darstellungen – liegen an der Schnittstelle zwischen historischer und kultur- bzw. kunst- und bildgeschichtlicher Perspektive. Während die disziplinbezogenen Vorgehensweisen und ihre Ziele stets unterschiedlich ist sind auch sein sollen, erscheint auf der Ebene der nun durch digitale Methoden und Technologien revolutionierten Materialerschließung eine engere Zusammenarbeit vielversprechend. Voraussetzung ist dabei allerdings (schon innerhalb einer einzigen Disziplin), dass beim Einsatz digitaler Arbeitsinstrumente nicht ausschließlich projekt- und fragestellungsorientiert gedacht wird, sondern auf offene und anschlussfähige Infrastrukturen hingearbeitet wird. Die bisherigen Förderstrukturen waren darauf zu wenig ausgerichtet, sondern zielten zu sehr auf Einzelergebnisse, die auf diese Weise bald als inkompatible Insellösung irgendwo liegenblieben.
Es ist jedoch schon jetzt unübersehbar, dass sich bislang getrennte Felder unweigerlich aufeinander zu bewegen. Bereits im sogenannten Dienstleistungsbereich zeigen sich inzwischen deutliche Überschneidungen der Arbeitsgebiete: Die digitale Aktivität der Bibliotheken und Archive entwickelt sich über den bibliographischen und archivalischen Nachweis, und selbst über die Texterschließung hinaus, dahingehend weiter, dass diese Einrichtungen ihre Gegenstände als materielle Objekte virtuell zugänglich machen (Volldigitalisierung mit Bild und Text, Codicologische Erfassung) und in diesem Zuge auch ihre Karten-, Graphik- und sonstigen Sonderbestände neu entdecken. Museen und Denkmalämter vernetzen im Gegenzug die Katalogisierung ihrer Objekte mit der wissenschaftlichen Literatur und schriftlichem Quellenmaterial.
Über die soeben nur kurz erwähnte Erschließung der Volltexte muss man in diesem Zusammenhang nicht diskutieren. Ihre grundlegende Bedeutung – natürlich in jeweiliger Abhängigkeit vom Textinhalt – für die gesamten historischen Geisteswissenschaften ist evident. Mehr zu entdecken sind hingegen noch die die Überschneidungen zwischen digitaler Geschichte und Kunstgeschichte im Bereich der materiellen Überlieferung. Eine gute Dokumentation materieller Objekte macht diese für jegliche Nachnutzung verfügbar: Für die Geschichte, Archäologie, Kunstgeschichte, Ethnologie, Wissenschaftsgeschichte, Bildungsgeschichte, Kulturwissenschaft, Theologie, ggf. auch Literaturwissenschaft, Politologie, Philosophie und andere Fächer. Eine besondere Nähe von Geschichte und Kunstgeschichte ist dabei häufig gegeben: Architekturgeschichte überschneidet sich hinsichtlich Ihres Gegenstands mit historischen Fächern wie Dynastiegeschichte, Stadtgeschichte oder Militärgeschichte. Für die Arbeit in diesen Disziplinen liegen die gleichen Materialien zugrunde: Vertrags-, Verwaltungs- und Rechnungsdokumente zu den Bauwerken sowie die Bauwerke selbst: Residenz- und Verwaltungsbauten, kommunale Bauten oder Festungsbauten. Die Untersuchung von Raumfunktionen lässt sich kaum mehr eindeutig einer der beiden Disziplinen zuordnen. Eine sozialhistorisch orientierte Kunstgeschichte interessiert sich gegebenenfalls für die gleichen Personendaten wie entsprechende historische Forschung. Hier verwenden beide Disziplinen neben den üblichen Dokumenten (Geburts-, Tauf-, Sterberegister, Verwaltungsdokumente), die auch durch weitere, teils auch archäologisch oder denkmalpflegerisch erfasste, materielle Infrastrukturen ergänzt werden.
Dank der inzwischen starken Verbreitung von Normdaten bei Personen (GND, VIAF, ISNI) sind bereits sehr gute Voraussetzung zur projekt-, institutionen- und disziplinübergreifenden Verwendung von Personendaten vorhanden, auch wenn es hier bei einheitlichen und tragfähigen Beschreibungsformaten ebenfalls noch einiges zu entwickeln gäbe (um bspw. komplexe prosopografische Fragestellungen systematisch abbilden zu können). Auf dem Gebiet der einheitlichen Dokumentation von Orten/Territorien, Bauwerken und Artefakten aller Art sind (auch wenn das Normdatenwesen hier ebenfalls schon tätig zu werden beginnt) hingegen noch erhebliche Anstrengungen notwendig.
Die Erfassung und Dokumentation von Objekten ist durchaus anspruchsvoll. Wie schon angedeutet, liegt bei historisch konnotierten Katalogisierungsaufgaben eine besondere Herausforderung in der Abbildung des Kontextes von Personen und Objekten (“wer hat wann wie mit dem Objekt interagiert” etc.), vor allem dann, wenn diese in einer formalisierten (und damit maschinell verarbeitbaren und universell nachnutzbaren) Weise erfolgen soll. Diesbezügliche Lösungen im Kontext der Digital Humanities zu entwickeln ist vermutlich eine gemeinsame Aufgabe aller historischen Kulturwissenschaften. Das Cidoc CRM (Conceptual Reference Model [http://cidoc-crm.org/]) bietet hierzu einen Ansatz, der in der Archäologie, Kunstgeschichte und überhaupt Bereichen, die mit materieller Kultur befasst sind, zwar stark diskutiert wird, der aber eben vorwiegend konzeptuell ist und dessen praktischer Einsatz sich bislang weitgehend auf eine Referenzfunktion als Austauschformat beschränkt. Meiner Meinung nach wird das Konzept erst dann seine ganze Mächtigkeit entfalten, wenn es auch Umgebungen gibt, mit denen dieses direkt abgebildet werden kann. Ein bisschen Technik muss wohl sein. Dass diese leichter verfügbar wird, zeichnet sich mit dem aktuellen Vormarsch der sogenannten Graph-Datenbanken ab, die von vorneherein in Beziehungen und Netzen denken. Semantic Web und linked Data sind hierzu synonym. Damit soll freilich nicht der Formalisierung aller historischen Darstellung das Wort geredet werden. Die zusammenhängende und deutende Darstellung historischer Sachverhalte und Entwicklungen wird wohl immer in Form von natursprachlichem Fließtext erfolgen (ob dieser digital oder – auch – auf Papier publiziert wird, ist dann vielleicht gar nicht so erbittert zu diskutieren, wie dies momentan manchmal geschieht). An diesem spannenden Punkt der Entwicklung sollten sich die geisteswissenschaftlichen Fächer allerdings besonders genau fragen, ob Sie gemeinsame Standards und Technologien entwickeln können, damit Materialien schließlich so erschlossen werden, dass sie aus möglichst vielen Perspektiven nutzbar sind. Dass sich damit auch neue Publikationsformen entwickeln (die manche – vielleicht in Textform überflüssige – Publikation eines einzelnen Quellenfundes ersetzt), sei hier nur erwähnt.
Momentan sehe ich vor allem folgende Gegenstandsbereiche mit Überschneidungen zwischen Geschichte und Kunstgeschichte anhand derer sich entsprechende Überlegungen anstellen ließen (die Bereiche sind nicht systematisch von einander abgegrenzt und die als Beispiele angeführten Projekte sind weitgehend beliebig und zu ergänzen):
• Quellenschriften (betreffend alle dezidiert historisch arbeitenden Gebiete der Kunstgeschichte und auf materielle und bildliche Kultur bezogene Gebiete der Geschichte; bspw. Hof- und Gesandtenberichte, Quellen zum Bauwesen etc.)
• Prosopographie (Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Kunst; Beispielprojekt: Requiem – die Grabmäler der Kardinäle und Päpste [http://requiem-projekt.de])
• Materielle Kultur ohne speziellen Bildanteil (Gegenstände als Quelle in der Religions- und Alltagsgeschichte bzw. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte; bspw. Realienkunde; vgl. Institut für Realienkunde, Krems [http://tethys.imareal.oeaw.ac.at/realonline/])
• Materielle Zeugnisse mit historisch spezifischem Bild- und Schriftanteil (Epigraphik, Numismatik, vgl. Epigraphische Datenbank Heidelberg [http://edh-www.adw.uni-heidelberg.de/home/])
• Bildüberlieferung mit historischem Inhalt (speziell politische Ikonographie; vgl. Warburg Electronic Library, Politische Ikonographie [http://www.warburg-haus.de/texte/forsch.html])
• Historische Topographie (Erschließung historischer Territorien als Grundlage für raumbezogene Forschung; vgl. HGIS Mainz [http://www.hgis-germany.de/])
• Rahmenkonzepte und -systeme zur raum- und zeitbezogenen Beschreibung kulturhistorischer Objekte und Sachverhalte (GIS-Standards, 3D- und 4D-Konzepte, Cidoc CRM etc.; Umsetzungen dieser Art überwiegend als inhaltlich stark fokussiertes Projekt, oft mit kommerziellem Aspekt, bspw. Rome reborn [http://romereborn.frischerconsulting.com/]; Konzept einer Plattform nur ansatzweise, bspw. ZUCCARO an der Bibliotheca Hertziana MPI, wo neben der Dokumentation von Kunstwerken auch umfangreiche Personendaten und topographische Informationen zur Stadt Rom erfasst werden [http://fm.biblhertz.it/html/zucc_start.htm]). Zur Diskussion von Raumkonzepten möchte ich gerne auch zum nächsten Termin der “Berliner Gespräche zur digitalen Kunstgeschichte”: Kultur in Raum und Zeit am 18.11.2013 einladen [http://www.kunstgeschichte.hu-berlin.de/2013/07/bgdk3])
Wo wären Kontakt und Zusammenarbeit denkbar?
1. Formeller und informeller Austausch zwischen der AG Digitale Geschichtswissenschaft mit entsprechenden Ansprechpartnern in der Kunstgeschichte. In der Kunstgeschichte wurde ein Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte von Stephan Hoppe (LMU München) und mir u.a. mit dem Ziel angestoßen, dem Thema der digitalen Methoden innerhalb der Disziplin Kunstgeschichte sowie der Disziplin Kunstgeschichte eine Stimme innerhalb der Digital Humanities zu verschaffen (Gründungsversammlung im Februar 2012 in München in der Carl-Friedrich v. Siemens-Stiftung in München). Eine wichtige anfängliche Aufgabe des Arbeitskreises ist die Definition der Arbeitsfelder innerhalb der “digitalen Kunstgeschichte” (von Informationsversorgung, über Bildtechnologien, Publikations- und Kommunikationsformen bis zur Interaktion der digitalen Welt mit der materiellen Welt der Artefakte). Konkret wird angestrebt, Methoden und Praktiken zu eruieren und zu reflektieren, der oft nur im Rahmen von einzelnen Forschungsprojekten betriebenen Infrastrukturbildung eine eigene Plattform zu geben sowie Konzepte für die Lehre zu entwickeln und vorzuschlagen. Der Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte versammelt sich wieder am 24.10.2013 in Köln im Anschluss an die Tagung “Kulturelles Erbe digital” [http://www.digitale-kunstgeschichte.de/wiki/Arbeitstreffen_AK_Digitale_Kunstgeschichte_Oktober_2013_in_K%C3%B6ln]. Wir laden herzlich auch kunsthistorisch interessierte Historiker und insbesondere auch Vertreter der Arbeitsgruppe zur Teilnahme ein. Die Mitgliedschaft im Arbeitskreis ist bis auf weiteres noch nicht formalisiert, so dass eine informelle Interessensbekundung und ein Eintrag in die Liste auf unserem Wiki genügt [http://www.digitale-kunstgeschichte.de/wiki/Hauptseite].
2. Naheliegend ist sicherlich die Zusammenarbeit bei Studiengängen zu den Digital Humanities, die an den meisten Universitäten nicht von einem Fach alleine bespielt werden können. In vielen Fällen werden die oft an sprachwissenschaftliche Fakultäten angegliederten Fächer Computerlinguistik oder Editionswissenschaft eine Basis solcher Studiengänge bilden, aber man könnte auch über andere, eher bild – und materialbezogene Schwerpunktsetzungen nachdenken.
3. Als mittelfristiges Ziel wäre es vorstellbar, darüber hinaus die gegenseitige Beteiligung (evtl. mit weiteren Fächern) an einem eHumanties-Center zu einem der gemeinsam interessierenden Gegenstandsbereiche (bspw. Dokumentationsformen und -standards bei Artefakten) ins Auge zu fassen. Der Zirkel Digital Humanities Berlin, der derzeit von der Einstein-Stiftung gefördert wird, setzt sich aus Vertretern verschiedener Fächer zusammen und möchte die Konzeption eines Zentrums mit dem Profil der Verbindung von materieller und textbasierter Kultur für den Berliner Raum erarbeiten. Die nächste Veranstaltung des Zirkels unter dem Titel “Das materielle Objekt in der Digitalen Welt” am 11.10.2013 trägt diesen Schwerpunkt im Titel. Berliner HistorikerInnen sind auch hier natürlich herzlich eingeladen [http://www.digital-humanities-berlin.de/archive/166].
Packen wir es an!
Quelle: http://digigw.hypotheses.org/194
Meine Dörfer
Bei der Vorbereitung meiner letzten Vorlesung über Dorf und Region habe ich angefangen, meine sehr persönlichen Eindrücke und Erfahrungen über die Dörfer aufzuschreiben, in denen ich gearbeitet und teilweise auch gelebt habe. Nach einigem Überlegen habe ich diese Erfahrungen - mit meist knappen Literaturangaben versehen - in einem kleinen Weblog begonnen zu veröffentlichen. Es werden noch ein paar Dörfer dazu kommen. Hier findet man die Einträge:
Das “WDR-ZeitZeichen” und “Der Stichtag” | Podcasts und Geschichtsunterricht I
[Autor: Florian Kucharzewski | Studierender | Universität Duisburg-Essen]
Unter den sog. „neuen Medien“, die sich zum historischen Lernen und den Einsatz im Geschichtsunterricht in hervorragender Weise eignen, sind das WDR ZeitZeichen und sein Ableger der Stichtag wahrscheinlich die betagtesten Vertreter. Vor einigen Jahren aber wurden die beiden gewöhnlichen Radiosendungen in die „digitale Zukunft“ überführt und zu Podcasts aufgewertet, die nun auf unterschiedlichen Wegen abrufbar sind. Natürlich werden die Sendungen auch weiterhin täglich auf den diversen Radiosendern des WDR übertragen, doch lassen sie sich nun auch zum Nachhören im mp3-Format über die – teilweise leider sehr unübersichtlichen – Websites des WDR kostenfrei aufrufen und herunterladen. Noch einfacher ist aber ein ebenfalls kostenloses Abonnement über den iTunes Store, mit dem, bei entsprechenden Einstellungen, die neuesten Folgen automatisch geladen werden können. Diese letztgenannten Bezugsquellen ermöglichen es, dass auch Geschichtsinteressierte, die außerhalb des eigentlichen Sendegebiets des WDR ansässig sind, das ZeitZeichen und den Stichtag bequem nutzen können.
Ursprünglich waren das ZeitZeichen und der Stichtag zwei voneinander unabhängige Sendungen mit jeweils eigenständiger Themenauswahl. Inzwischen wurde diese Aufteilung aber aufgegeben und der Stichtag in eine, auf rund vier Minuten gekürzte, Version des ZeitZeichens (das ca. 15min lang ist) umgewandelt. Somit behandeln heute beide Sendungen an einem Tag jeweils das gleiche geschichtliche Thema, jedoch in unterschiedlicher Länge und Ausführlichkeit. Die Themenfelder sind dabei sehr umfangreich. Meist werden, anlässlich eines runden Jahrestages, bekannte oder auch bislang eher wenig beachtete Ereignisse aus den Bereichen Geschichte und Politik, Leben und Werk bedeutender Persönlichkeiten sowie Alltags- und Kulturgeschichte in den Sendungen besprochen.
Die Darstellungsweise orientiert sich an üblichen Radioformaten, greift aber gleichzeitig einige Hörspielelemente auf. Es handelt sich also um eine Kombination mehrerer Elemente: Ein berichtender Erzähler führt in das Thema ein, gibt im Laufe der Sendung zusätzliche, wichtige Informationen und sorgt für die nötigen Überleitungen zu den weiteren Elementen. Passende Musikstücke und Soundeffekte sollen eine lebendige Atmosphäre schaffen, die es dem Zuhörer ermöglichen soll, in die vergangene Welt einzutauchen. Auch originale Tondokumente, sofern vorhanden, werden immer wieder in die Sendung integriert. Im Falle weiter in der Vergangenheit liegender Themen, bei denen entsprechend keine Tonaufzeichnungen vorliegen können, werden auch übersetzte Originalquellen von Sprechern hörspielartig eingesprochen. Schließlich nehmen auch Interviews mit Historikern, Experten und Zeitzeugen eine wichtige Rolle im Aufbau der Sendung ein. Mit diesen Mitteln werden dem Zuhörer geschichtliche Themen in vergleichsweise kurzer Zeit sehr informativ und in einer sicherlich auch für Schülerinnen und Schüler ansprechenden Art und Weise nähergebracht
Wie lassen sich das ZeitZeichen und der Stichtag nun für das historische Lernen im Unterricht nutzen?
Zunächst einmal können die Sendungen natürlich gut als Einstiegsimpulse für eine Unterrichtstunde bzw. eine längere Unterrichtsreihe eingesetzt werden, um die Motivation der Schülerinnen und Schüler zu fördern und ihr Interesse für das neue Unterrichtsthema zu wecken. Dadurch dass die Sendungen, wie oben beschrieben, in zwei verschiedenen Längen verfügbar sind, ergibt sich für Lehrerinnen und Lehrer außerdem eine gewisse Flexibilität, sodass die Sendungen auch in engere Zeitpläne sinnvoll integriert werden können. Im Anschluss an das gemeinsame, ggf. zweimalige Anhören, können die thematischen Inhalte dann auf vielfältige Weise, etwa im Rahmen eines Lehrergesprächs oder einer offenen Diskussion etc. besprochen werden.
Doch die Sendungen können auch zum Ausgangspunkt einer eigenständigen Rekonstruktion von Vergangenheit durch die Schülerinnen und Schüler werden, da die Sendungen eine ganze Fülle thematischer Anregungen liefern. Aufgrund der zeitlichen Beschränkung des Formats, werden nämlich viele Aspekte nur angerissen, sodass sich die Gelegenheit bietet, diese im Unterricht z.B. durch eigene Recherche zu vertiefen. Die nur in Ausschnitten verwendeten Tondokumente oder Originalquellen beispielsweise können von den Schülerinnen und Schülern gesucht und anschließend umfassender behandelt werden. Oder es lassen sich zu bestimmten Unterthemen Expertengruppen bilden, die sich dann jeweils in ihre Einzelbereiche einarbeiten und später ihre Ergebnisse der gesamten Klasse präsentieren können. Die methodischen Möglichkeiten, um sich auf Basis der Sendungen Vergangenheit zu rekonstruieren, sind also sehr vielfältig.
Außerdem können (und sollten!) die Sendungen auch selbst als eigenständige Geschichtsprodukte aufgefasst und damit zum eigentlichen Gegenstand der historischen Auseinandersetzung im Rahmen des Schulunterrichts gemacht werden. Die Sendungen sind selbstverständlich auch selbst Teil der historischen Kultur und greifen, wie alle Geschichtsprodukte, ebenfalls bestimmte Wertungen und Geschichtsbilder auf und transportieren diese weiter. Die Sendungen dürfen also nicht als zwingend objektive Wahrheit verstanden werden, da sie selbst nur Rekonstruktionen von Vergangenheit darstellen, die eben unter dem Einfluss gesellschaftlicher, politischer und kultureller Gegebenheiten entstanden sind. Daher gilt es, diese vermittelten Wertungen und Geschichtsbilder im Unterricht kritisch zu analysieren und zu hinterfragen. Mittels einer solchen Dekonstruktion der Geschichtsprodukte ZeitZeichen und Stichtag, lässt sich somit das Geschichtsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler schärfen, um sie dann langfristig zu kompetenten Akteuren innerhalb der historischen Kultur werden zu lassen.
Es zeigt sich also, dass die beiden Sendungen ZeitZeichen und Stichtag zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine, auch tiefergehende, Beschäftigung im Rahmen des Geschichtsunterrichts bieten. Dabei erfordern sie keine außergewöhnliche Vorbereitung oder Einarbeitungszeit von Lehrern und Schülern, wie es etwa bei manchen anderen Smartphone-Apps zu historischen Themen oder anderen Formen des elektronischen Lernens der Fall ist. Im Gegenteil, sie sind leicht zu beziehen und lassen sich dann einfach und gewinnbringend in den Unterricht integrieren. Auch ist es nicht nötig, dass jeder Schüler mit einem geeigneten mobilen Endgerät versorgt ist, was ja in Zeiten von Sparhaushalten nicht immer leicht zu realisieren ist.
Vom Einsatz im Unterricht abgesehen, wäre es darüber hinaus auch sinnvoll, den Schülerinnen und Schülern ein Abonnement dieser Sendungen zu empfehlen, um ihnen so die Möglichkeit zu geben, bei Interesse, ihren geschichtlichen Horizont auf unkomplizierte Weise in der Freizeit (z.B. beim Joggen oder während einer langweiligen Zugfahrt usw.) zu erweitern.
Website des WDR ZeitZeichen:
http://www.wdr5.de/sendungen/zeitzeichen.html
Website des WDR Stichtag:
http://www1.wdr.de/themen/archiv/stichtag/
Der Arbeitskreis “Digitaler Wandel und Geschichtsdidaktik” startet mit 20 Mitgliedern | Bericht von der konstituierenden Sitzung in Göttingen, 27.9.2013

Am 27. September 2013 hat sich in Göttingen der Arbeitskreis dWGd | Digitaler Wandel und Geschichtsdidaktik während der dortigen Zweijahrestagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik mit insgesamt 20 Mitgliedern konstituiert.
Die Leiter des Arbeitskreises, Prof. Dr. Marko Demantowsky, Dr. Jan Hodel (beide Basel/Brugg-Windisch) und Dr. Christoph Pallaske (Köln), stellten zunächst die Hintergründe, Ziele und nächsten Schritte des neuen kgd-Arbeitskreises vor. Wichtigste Ankündigung war dabei das erste Arbeitstreffen, das im Rahmen der Tagung Geschichtsdidaktische Medienverständnisse. Geschichte – Definition – neue Herausforderungen am 25. und 26. April 2014 an der Universität zu Köln stattfinden wird.
Die anwesenden Mitglieder äußerten in einer ersten Vorstellungsrunde verschiedene Interessenschwerpunkte:
- Veränderungen des Geschichtslernens durch digitale Medien (z.B. digitale Schulbücher oder Apps zum Mobile Learning)
- empirische Forschungen hierzu
- Lehr- und Lernkonzepte mit digitalen Medien im Lehramtsstudium
- Veränderungen narrativer Strukturen und Erinnerungskultur(en) im Netz
- verstärkte Vernetzung und Kooperationen zwischen Geschichtsdidaktik und “digitalen Praktikern”
- Bündelung und Sichtbarmachung bisheriger und laufender Projekte und Initiativen
Die Leiter des Arbeitskreises äußerten sich sehr positiv über den regen Zuspruch. Weitere Interessenten sind herzlich eingeladen, dem Arbeitskreis als Mitglied beizutreten. Bitte senden Sie hierfür eine Mail an einen der drei Leiter des Arbeitskreises.
Quelle: http://dwgd.hypotheses.org/65
Inwiefern dient die Spezifik der Amtssprache der Machtübertragung zwischen Verwaltung und Publikum? – Von Sarah Kaschuba
„Im Behinderungsfalle wird der Widerspruchsführer gebeten, dies der unterfertigten Dienststelle mitzuteilen.“ „Besteht an Ihrem Grundstück ein dingliches Recht?“ „Bei der Verweigerung der schriftlichen Erklärung zur Übernahme der Verpflichtung durch den Schuldner kann der Stadtrat die vorzeitige Aufhebung des Vertrages beschließen.“ … Weiterlesen
12. Das Netz und die Autohistorisierung
Es ist nun schon gut einen Monat her, dass ich an dieser Stelle etwas zum Besten gegeben habe. In Ordnung, außer mir wird das wohl niemand bemerkt haben. Was soll ich mich auch groß entschuldigen, ich hatte einfach Dringenderes und Wichtigeres zu tun. Will man aber den im Netz kursierenden Blogratgebern glauben, so ist es natürlich fahrlässig, die eigene (überschaubare) Gefolgschaft allzu lange auf Neues warten zu lassen – als ob dem Rest der Welt tatsächlich langweilig werden würde, wenn ich zu schreiben aufhörte. Das läuft dann möglicherweise unter dem Stichwort der digitalen Kundenbindung.
Wirklich schlimm finde ich hingegen, was ich hier gerade mache, nämlich über das eigene Bloggen zu bloggen. Eine problematische, aber offensichtlich unaufhaltsame Entwicklung, die jedes Medium immer wieder zu befallen scheint, unabhängig davon, wie neu und revolutionär es sich geriert: Es kommt immer schon in sich selber vor. Das riesige mediale Angebot verführt wahrscheinlich dazu, den einfachsten Weg der Weltbehandlung einzuschlagen und sich vornehmlich mit sich selbst zu beschäftigen. Medienonanie. Dann wird in Büchern nur noch über andere Bücher geschrieben, dann werden Fernsehsendungen gemacht, die nur aus Zusammenschnitten von Fernsehsendungen bestehen und dann ist ein wesentlicher Inhalt des Internets das Internet. Fatale Auswirkungen hat eine solche Entwicklung, wenn man sich dabei selbst auf den Leim geht und tatsächlich glaubt, die Welt sei mit dieser Selbstbezüglichkeit identisch: „Ick jehe raus und kieke. Und wer steht draußen? Icke!“
Autohistorisierung
Mein völlig subjektiver und durch keine empirische Erhebung gestützter Eindruck ist, dass die Autoreferentialität im Internet, also die Tatsache, dass im Netz Themen behandelt werden, die das Netz behandeln, besonders ausgeprägt ist. Die Welt ist das Internet ist die Welt. Ein wichtiger Bestandteil dieser Nabelschau ist die Autohistorisierung. Das ist nun nicht ausschließlich netzspezifisch, aber hier besonders profiliert und gut zu beobachten. Dieses Produzieren der eigenen Geschichte als beständig mitlaufender Vorgang kann an einem trivialen Umstand festgemacht werden: Alles, was im Netz oder generell auf Computerbasis geschieht, wird sofort und immer mit einem Datum versehen. Man muss sich nicht mehr darum kümmern, gesondert zu notieren, wann man was hoch- oder heruntergeladen, bestellt, angeklickt, verschickt oder bekommen hat. Das erledigt bereits die Maschine. Auch dass alle Beiträge dieses Blogs bei Veröffentlichung automatisch mit einem Datum versehen werden, das sich sekundengenau nachverfolgen lässt, ist nicht meiner Aufmerksamkeit, sondern dem Programm zu verdanken. (Und da komme ich prompt schon wieder in mir selber vor.)
Das ist zunächst einmal eine ungemein praktische Sache. Man muss sich nicht beständig selbst fragen, wann man was gemacht hat. Das Netz und die Maschine zeichnen das getreulich auf. Bedenken kann diese Totaldatierung aber nicht nur auslösen, weil man ahnt, wer alles diese Chronologie des eigenen (Netz-)Handelns mitlesen könnte. Sie ist auch bedenkenswert mit Blick auf unseren Umgang mit Vergangenheit und unsere Produktion von Geschichte.
Denn welchen Effekt Datierungen auf unser Leben und unseren Alltag haben, wird deutlich, wenn man sich für einen Moment vorstellt, wir müssten ohne sie auskommen. Dann würden wir schlicht und ergreifend unsere temporale Orientierung verlieren. Alles und alle werden mit einem Datum versehen. Jeder Tag wird datiert, jedes Produkt erhält ein Herstellungs- und/oder Verfallsdatum und jeder Mensch bekommt einen Geburtstag sowie andere kulturell signifikante Daten zugeordnet. Diese Form der Verzeitung aufzugeben, ist schlicht unvorstellbar, weil unsere Welt ohne sie kollabieren würde. Man muss sich nur die Panikattacken in Erinnerung rufen, die kurz vor dem Jahr 2000 ausbrachen, als die Möglichkeit diskutiert wurde, die Datierungssysteme von Computern könnten aufgrund ihrer ursprünglichen Programmierung die Umstellung auf eine 2 mit drei Nullen nicht bewältigen. Y2K ließ für ein paar Wochen die Vision aufscheinen, wie eine Welt ohne korrekte Datierung aussehen würde. Eine gänzlich geräuschlose Apokalypse. Es hat sich möglicherweise noch nicht herumgesprochen, aber Datierungssysteme von Staaten und Volkswirtschaften, wie Atomuhren oder ähnliches, könnten es seitdem auf die Liste lohnender Ziele für terroristische Anschläge geschafft haben.
Der Geburtstag des Geburtstags
Man könnte die Geschichte westlicher Kulturen auch als eine Geschichte der zunehmenden Datierung schreiben. Wenn in unserer eigenen Gegenwart keine Einkaufsquittung und keine Foto ohne automatisch hinzugefügtes Datum auskommt, dann muss man sich die Frage stellen, wann und wie uns diese Datierungswut heimgesucht hat. Obwohl: Heimsuchung ist kein guter Ausdruck, denn auch diese Zahlensuppe haben wir uns selbst eingebrockt. Anhand der Praxis, das eigene Leben zeitlich zu strukturieren, das eigene Alter und auch den eigenen Geburtstag zu kennen, kann man dieser Kulturtechnik auf die Schliche kommen. Lässt sich damit die Datierung datieren? Wohl kaum, denn einen Ursprung gibt es nicht. Man kann aber feststellen, dass es über Jahrhunderte hinweg gänzlich unbedeutend war, das Datum der eigenen Geburt oder das eigene Alter zu kennen. Das änderte sich allmählich seit dem Spätmittelalter, wenn auch zunächst in sozial höher gestellten und gebildeten Kreisen. Dort war es im 15. oder 16. Jahrhundert schon durchaus üblich, den Geburtstag mit Tag, Monat und Jahr angeben können. Allmählich diffundierte diese Praxis dann in weitere soziale Kreise, so dass man ab dem 18. Jahrhundert davon ausgehen konnte, dass ein Großteil der Menschen den eigenen Geburtstag kannte. [1]
Man muss für die Schritte zu einer zunehmenden Datierung des eigenen Lebens sowie der gesamten Welt sicherlich ganz pragmatische, rechtliche Aspekte heranziehen (zum Beispiel Kenntnis des genauen Lebensalters zur Erfüllung bestimmter rechtlicher Vorgaben). Aber dahinter steckt auch ein anderer Umgang mit Zeit und eine neue Aufmerksamkeit für Geschichte. Denn wenn ein Phänomen einer spezifischen Zeitreihung, womöglich schon einer bestimmten Epoche zugeordnet wird, wenn es also datiert werden kann, dann kann es auch out of date sein. Auf Datierungen zu verzichten, wäre dann ein Hinweis darauf, dass solche Formen der tagesgenauen Historisierung als nicht besonders bedeutsam angesehen werden. Warum soll man seinen eigenen Geburtstag kennen, wenn der eigentlich wichtige Lebensabschnitt im Jenseits stattfindet und ewig währt? Mit Datierungen zu arbeiten, bedeutet hingegen, an die Stelle der Ewigkeit die Zeitlichkeit zu setzen. Sind Dinge erst einmal mit einem Datum versehen, beginnt auch schon ihre historische Uhr zu ticken. Dann kann etwas brandneu, aktuell, veraltet, historisch oder altehrwürdig sein – und zwar einfach weil, gemessen am Datum, die Zeit vergeht. [2]
Die Zeit des Ereignisses
Zeit und Bedeutung werden damit entkoppelt – um sie im Anschluss auf neue Art wieder zusammenzuführen. In Kulturen mit nur rudimentären Datierungstechniken richtet sich die Zeit stärker nach den Ereignissen. Es ist eher von Bedeutung, was passiert ist (der kirchliche Feiertag, die Krönungszeremonie, das Naturereignis), als genau angeben zu können, wann es passiert ist. Inzwischen hat sich dieses Verhältnis längst umgekehrt, denn nun werden die Ereignisse in die Logik des Kalenders eingepasst. Deswegen können für uns auch Daten zu Bedeutungsträgern werden, ohne dass man explizieren muss, welches Ereignis sich damit verbindet: der 9. November, das Jahr 1968 oder 9/11. [3]
Das Wort ‚Datum‘ suggeriert mit seinen lateinischen Wortwurzeln, es sei etwas Gegebenes. Und in der Tat sind diese sehr abstrakten Zahlenkombinationen, mit denen sich Tage, Monate und Jahre bezeichnen lassen, an sich bedeutungsleer. Ihnen lassen sich aber, gerade aufgrund ihrer ursprünglichen Inhaltsleere, sowohl auf der individuellen wie auf der kollektiven Ebene verschiedene Bedeutungen zuschreiben, so dass man beispielsweise das Datum des 30. Januar 1933 nicht mehr unbefangen verwenden kann. Aus dem (gegebenen) Datum wird ein (gemachtes) Faktum.
Möglicherweise verbindet sich mit der Dauerdatierung nicht nur, aber auch im Internet der Wunsch und Wille, die Geschichte bereits vorproduzieren, die irgendwann über uns geschrieben wird. Dass es sich dabei allerdings um eine Illusion handelt, ist nicht die einzige Lehre, welche die Beschäftigung mit der Geschichte für uns parat hält.
[1] Jean-Claude Schmitt: L’invention de l’anniversaire. Paris 2010
[2] Lothar Müller: „Hier kam ich am 30. September 1659 an Land.“ Nachrichten aus der Einsamkeit: Über Robinson Crusoe und den Jahrestag seiner Ankunft auf der Insel, der zugleich sein Geburtstag war. In: Süddeutsche Zeitung 30.09.2009, 14
[3] Thomas Macho: Der 9. November. Kalender als Chiffren der Macht. In: Merkur 54 (2000) 231-242
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Quelle: https://achimlandwehr.wordpress.com/2013/09/28/12-das-netz-und-die-autohistorisierung/