Geschichte als Graphic Novel: Tina Modotti – Eine Frau des 20. Jahrhunderts

Tina Modotti in the 1920 film The Tiger's Coat.

Spätestens seit der Publikation von „Maus“, für die der Autor Art Spiegelman 1992 mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, sind Graphic Novels ein ernst genommenes und honoriertes Genre der Literatur. Spiegelman bewies, dass man auch in comicartiger Form Lebensgeschichten erzählen und dabei spielerisch Wissen vermitteln kann. Barbara Eder, die am Soziologischen Institut der Universität Wien zur Thematik promoviert, geht davon aus, dass sich das Medium Graphic Novel zur Erzählung einer Lebensgeschichte sogar besser eigne, da

die extrem brüchige Erzählform von Comics – mit den leeren Räumen zwischen den Bildern – einer Biographie, die nicht linear verlaufen ist, möglicherweise mehr entspricht als eine literarische Erzählung.

Der spanische Comiczeichner Ángel de la Calle scheint dies ähnlich zu sehen und wählte jene Form, um das bewegte und sagenumwobene Leben der politischen Künstlerin Tina Modotti nachzuzeichnen. Bereits im Jahr 2003 erschien der erste Teil der zweibändigen Graphic Novel auf Spanisch und erhielt einige Auszeichnungen. Nun wurde er von Timo Berger ins Deutsche übersetzt und, zusammengefasst als Doppelband, beim Rotbuch Verlag herausgegeben.

Von der Fotografie zur Politik

Tina Modotti - Woman with Flag, 1928

Tina Modotti - Woman with Flag, 1928

Tina Modotti, die 1896 als Kind einer einfachen Familie in Italien geboren wurde und durch bis heute ungeklärte Umstände bereits 45-jährig allein in einem mexikanischen Taxi verstarb, ist keine heute noch jedem bekannte Persönlichkeit. Am berühmtesten ist wohl ihre Fotografie mit dem Titel „Frau mit Fahne“, die ihre zwei größten Leidenschaften zum Ausdruck bringt – Kunst und Politik. Als emanzipierte Frau wurde sie in ihren Mittzwanzigern von ihrem Geliebten Edward Weston, den sie 1923 nach Mexiko begleitete, in das Fotohandwerk eingeführt. Hier begann sie, sich in Kreisen der „postrevolutionären Bohème“ zu bewegen – unter Künstlern wie Diego Rivera, David Alfaro Siqueiros und José Clemente Orozco. Schnell radikalisierte sich ihre politische Haltung: sie wurde Mitglied der Internationalen Roten Hilfe, der Antifaschistischen Liga, im Komitee „Hände weg von Nicaragua“, der antiimperialistischen Liga und trat 1927 in die Kommunistische Partei Mexiko ein.

Ihr Dasein als Fotografin war vom politischen Wandel stark beeinflusst. Zunächst wurde ihr Werk immer stärker von ihrem politischen Engagement geprägt und ihre anfangs unpolitische Portraitfotografie zunehmend durch gesellschaftskritische Aufnahmen ersetzt, bis schließlich ihr Interesse an Kunst derart nachließ, dass sie die Fotografie zu Beginn der 1930er Jahre zugunsten politischer Aktivitäten gänzlich aufgab. Nachdem sie 1930 aufgrund ihrer politischen Aktivitäten aus Mexiko ausgewiesen wurde, lebte sie unter anderem in Berlin, Moskau, Paris und Madrid, bis sie 1939 nach Mexiko zurückkehrte, wo sie 1942 verstarb. Nach Aufgabe der Fotografie arbeitete sie bei der Internationalen Roten Hilfe als Übersetzerin ausländischer Presseberichte, verfasste selbst Artikel und war in russische Geheimdienstaktivitäten verflochten.

Spurensuche

De la Calle schafft es, Tina Modottis Vielseitigkeit, ihr Dasein als Muse, Schauspielerin, Fotografin und Revolutionärin in Beziehung zueinander zu setzen und verstehbar zu machen. Interessant ist dabei seine Vorgehensweise. Er selbst wird zur Nebenfigur der Graphic Novel und führt aus, wie er zur Thematik kam und etliche Recherchen durchführte, um Modotti näher zu kommen. Die umstrittene und schwierige Quellenlage wird thematisiert, abgewogen und mögliche Interpretationsmöglichkeiten geboten. Sein offener Umgang ist dabei zwar einerseits begrüßenswert, da schließlich etliche Ereignisse in Modottis Lebensgeschichte ungeklärt und umstritten sind, andererseits bleibt zu fragen, inwiefern der Prozess der Recherche für den Leser interessant ist und ob man wirklich so genau darüber Bescheid wissen will.

Seite im Buch

Àngel de la Calle (Rotbuch Verlag)

Jener Erzählstrang über den Entstehungsprozess der Novel wird immer wieder unvermittelt, ohne besondere Überleitungs-versuche, zwischen den Episoden aus Modottis Leben eingeschoben.
Diese wiederum werden nicht chronologisch geschildert, sondern bruchstückhaft, als Erinnerungen, Erzählungen von der Figur Modotti selbst oder entfernt aus einer Art Vogelperspektive wieder-gegeben. Die Erzählstücke erinnern dabei an ein Tagebuch, in welchem die datierten Einträge durch-einander gewürfelt werden, bevor man sie darstellt. Zusammengesetzt ergeben sie zwar Sinn, doch ist ein erneutes Lesen nötig, damit die Teile eine komplette Lebensgeschichte ergeben.

Zwei große Themenschwerpunkte werden dabei dennoch ersichtlich. Während es im ersten Teil des Buches vor allem um Modottis Entwicklung als Fotografin geht und mit der Ausweisung Modottis aus Mexiko endet, beginnt der zweite Teil mit ihrem Tode und thematisiert ihre Entwicklung als linientreue Kommunistin. In beiden Teilen werden etliche Personen gezeichnet, die Modotti im Laufe ihres Lebens kennen lernte und deren Namen teils bis heute bekannt sind. So war sie beispielsweise mit der Malerin Frida Kahlo befreundet, traf Walter Benjamin in Paris und begegnete dem Reporter Egon Erwin Kisch. Es ist recht spannend zu erfahren, mit wem Tina Modotti in Kontakt stand, wen sie unter welchen Umständen kennen lernte und wie bestimmte Ereignisse und Persönlichkeiten zusammen hängen. Im Grunde sind es jedoch zu viele, um alle im Gedächtnis zu behalten. Vielleicht hätten sie aber auch auf eine andere Art und Weise eingeführt werden sollen. Hier und da werden in einem einzelnen Panel Personen genannt und gezeichnet, auf die erst etliche Seiten später näher eingegangen wird. Das muss auf den Leser verwirrend wirken, vor allem im Zusammenspiel mit der zuvor beschriebenen Erzählweise.

Autor und Protagonistin – Ein schwieriges Verhältnis

Zeitweilig anstrengend ist zudem die Art und Weise, wie der Autor zu seiner Protagonistin steht. De la Calle scheint Modotti regelrecht verfallen zu sein, womit er recht offen umgeht und es immer wieder zur Sprache bringt. So beschreibt er einen Besuch in New York, bei dem er das Museum of Modern Art (MOMA) besucht, allein um eine ausgestellte Fotografie der Calla-Blüten von Modotti aufzusuchen. In dieser Szene zeichnet er sich selbst vor dem Bild schwebend und schreibt dazu in der Textbox:

Endlich war ich einem Gegenstand nahe, den sie selbst berührt hatte! Es war wie eine Erscheinung. Ich wandte meinen Blick erst ab, als das Museum schloss. Es war ein Moment wahrer Empfindung. Wie wenn dich eine Sehnsucht nach exotischen Ländern überfällt, in denen du nie gewesen bist. (S.59)

Wenn man eine Biografie einer Persönlichkeit verfasst, ist eine starke Bindung zur dargestellten Persönlichkeit zwar selbstverständlich, doch wird immer wieder deutlich, dass er wie besessen von ihrem Leben und insbesondere ihrer Schönheit, die er unentwegt betont, ist. Amüsanterweise zeichnet de la Calle auch eine Szene, in der Tina Modotti selbst kritisiert, dass es immer wieder um ihr Äußeres geht, nämlich als sie anlässlich ihrer Ausweisung aus Mexiko um Interviews gebeten wurde. Ihr leuchtete es nicht ein, welchen Zusammenhang es zwischen ihrer Schönheit und der revolutionären Bewegung oder der Abschiebung von Kommunist(inn)en gebe, schrieb sie in einem Brief. (Vgl. S. 130) Um ihre Bedeutung als selbstbewusste, eigenständige Frau – insbesondere jener Zeit, in der sie lebte – geht es hingegen nur am Rande. So müssen Fragen offen bleiben, inwiefern sie als Vorbild diente, andere Frauen inspirierte oder sie auf antiemanzipatorischen Widerstand in kommunistischen und Künstlerkreisen stieß.

Einblick in eine künstlerisch-politische Szene

Trotz der genannten Schwächen der Graphic Novel muss dem Vorwortschreiber von de la Calles Werk, seinem Freund Paco Ignacio Taibo, zugestimmt werden, der die Sorgfalt der Arbeit und Vielfalt der Geschichten lobt, die dazu führt, dass nicht nur das Leben einer politischen Künstlerin dokumentiert wird, sondern zugleich ein Abriss einer künstlerischen und politischen Szene zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboten wird – auch mithilfe von Fotografien Modottis und anderer Kunstwerke jener Zeit, die de la Calle nachzeichnet und in seine Geschichte geschickt einflechtet. Taibo gab zur Lektüre folgenden Tipp:

Der Leser täte gut daran, mit dem Bleistift zu lesen und die zahlreichen Ehrerweise Ángels an Fotos, Bilder, Gebäude, Plakate und Gedichte zu notieren. Und die Namen, die wiederentdeckt wurden. (…) Man könnte das Beste Europas finden und einen Teil des Besten von Amerika. (S.268)

Bleibt zu ergänzen, dass es empfehlenswert wäre, vor der Lektüre de la Calles eine kurze Biographie von Tina Modotti zu lesen, um der drohenden Gefahr einer Verwirrung durch seine recht eigenwillige Erzählweise entgegen zu wirken.
Cover Modotti
Ángel de la Calle: Modotti – Eine Frau des 20. Jahrhunderts
Rotbuch Verlag

Graphic Novel, Broschur, 17,3 x 24,5 cm

272 Seiten, € 16,95


Einsortiert unter:Arbeiterbewegung, Biographie, Literatur

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/09/25/geschichte-als-graphic-novel-tina-modotti-eine-frau-des-20-jahrhunderts/

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aussichten Nr. 16 [25.09.2011]: Online-Gang von »aussichten. Perspektivierung von Geschichte«

http://www.aussichten-online.net Nach einer Pilotphase der Vorabpublizierung einiger Beiträge in der gleichnamigen einsichten-Rubrik gehen die »aussichten« als numehr eigenständige Plattform ans Netz. Sämtliche bislang in der Rubrik ‘aussichten’ publizierten Beiträge sind übernommen. An dieser Stelle werden numehr monatliche Digests über Neuigkeiten bei »aussichten« zu finden sein.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2011/09/1919/

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Gesucht: Alternative Konzeptionen zu Europa

Manche in im linken Spektrum sind ja der Meinung, dass die heutige Europäische Union ein neoliberales, imperiales und undemokratisches Projekt sei, an dessen Fortbestand man nicht interessiert sein müsse. Dagegen ist einzuwenden, dass ein Auseinanderfallen der Europäischen Union unvermeidlich den nationalistischen und rechten Kräften Auftrieb geben würde. Und es fehlt heute an Visionen für eine demokratische und soziale Integration der europäischen Gesellschaften. Es gibt zwar Teilkonzepte, aber das wars dann auch schon.

Und deshalb sind meiner Meinung nach auch engagierte Historikerinnen und Historiker gefragt: Denn in der Geschichte der Linken gab es, soweit ich weiß, immer wieder vereinzelt Programmatiken für ein demokratisches und solidarisches Europa. Deswegen frage ich mal in die Runde: Hat jemand Ideen oder Hinweise? Beispielsweise zu interessanten Konzepten des europäischen Widerstands im Zweiten Weltkrieg, in der Partisanenbewegung, aber auch in der Nachkriegszeit und rund um „1968″? Was und wer sollte berücksichtigt werden? Was würde eurer Meinung nach in eine alternative europäischen Geschichte reingehören? Nicht nur ideengeschichtlich, sondern darüber hinaus. Gibt es Leute, die sich damit beschäftigen?


Einsortiert unter:Geschichtspolitik

Quelle: http://kritischegeschichte.wordpress.com/2011/09/24/gesucht-alternative-konzeptionen-zu-europa/

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Vom Wesen des Betons

Spannende Ankündigung eines Vortrags, der am Donnerstag in Berlin stattfindet:

[A]m kommenden Donnerstag, den 29. September 2011 trägt Herr Dr.-Ing. Knut Stegmann M.A. (ETH Zürich, Institut für Denkmalpflege und Bauforschung) vor zum Thema

"Vom Wesen des Betons"

Leben und Werk des Betonpioniers Eugen Dyckerhoff

Der Vortrag ist Bestandteil der Reihe "Praktiken und Potenziale von Bautechnikgeschichte", die vom VDI-Arbeitskreis Bautechnik (Ltr.: Dr.-Ing. Hilka Rogers) und dem Lehrstuhl für Bautechnikgeschichte und Tragwerkserhaltung der BTU Cottbus (Ltr.: Prof. Dr.-Ing. Werner Lorenz) mit unserem Arbeitskreis veranstaltet wird.
Die Veranstaltung findet am Deutschen Technikmuseum Berlin, Trebbiner Straße 9 (Vortragssaal 4. Stock) statt und beginnt um 17 Uhr 30. Wie immer ist der Besuch kostenfrei.


Abstract:
Eugen Dyckerhoff (1844-1924), Kaufmann und Mitinhaber der Bauunternehmung Dyckerhoff & Widmann, ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Betonpioniere. Seine anwendungsorientierte Grundlagenforschung kombiniert mit innovativen Vertriebsmethoden trägt entscheidend zum raschen Siegeszug des Betons im deutschen Bauwesen bei.

Eugen Dyckerhoff schafft mit dem sogenannten >Stampfbeton< einen Standard für den Betonbau im 19. Jahrhundert. Der Vortrag zeigt, wie er die neue Bauweise auf Basis empirischer Versuche entwickelt und durch geschicktes Marketing mit Ausstellungsbauten, Vorträgen und Publikationen zum Erfolg macht. Systematisch dringt er mit seiner Firma Dyckerhoff & Widmann in immer weitere Bereiche des Bauens vor, angefangen von der Produktion (künstlerischer) Fertigteile über den konstruktiven lngenieurbau bis hin zu den repräsentativen Hochbauten des frühen 20. Jahrhunderts.


[via Technikgeschichte-Mailingliste]

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/38798076/

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Mediengeschichte im Medium Internet

Das Medium Internet ist voller Hinweise, Literaturlisten und sonstiger Materialien zum Thema Mediengeschichte. Einen besonders guten und quellennahen Einstieg in das Thema bietet die Media History Digital Library: «The Media History Digital Library digitizes collections of classic media periodicals that belong in the public domain for full public access. The project is supported by owners [...]

Quelle: http://weblog.hist.net/archives/5829

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Neuerscheinung zu den Schiffmühlen an der Donau

Sehr schön, es gibt eine neue Publikation zu den Schiffmühlen an der Donau:

Bergauer, Sabine/Hrauda, Gabriele: Leben mit der Donau. Schiffmühlen von Wien bis Bratislava. Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2011. 152 S., ISBN 978-3-205-78555-2, 35 Euro, Verlags-Info

Und einen Präsentationstermin dafür gibt es auch:

Zeit: Donnerstag, 29.9.2011, 16 Uhr
Treffpunkt: Orth an der Donau, Donauufer, Schiffslandesteg "Zur Schiffmühle"

Die Präsentation findet passenderweise auf der wieder errichteten Schiffmühle von Orth an der Donau statt - http://www.schiffmuehle.at/ -, Mühlenimbiss und Donaurundfahrt mit einer Tschaike inklusive.

Das spannende an den Schiffmühlen ist ja, dass sie auch hausnummerntechnisch von Interesse sind, denn wie nummeriert man ein solch flüchtiges Gebilde? Siehe dazu: Adressierung der Schiffmühlen

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/38794306/

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