Ich muss bekennen: Meine eigene Aktivität auf Twitter ist noch recht jung. Lange habe ich geglaubt, 140 Zeichen dürften nicht annähernd ausreichen, um irgendeine Kommunikation zu führen, die auch nur ansatzweise fachlichen Standards genügen kann. Mit Facebook und einer Teil-Aktivität hier auf Archive 2.0 sah ich mich gut in den Sozialen Medien vertreten. Das war natürlich ein großer Irrtum. Eigentlich hätte ich es bereits bei der Offene-Archive-Tagung in Speyer ahnen müssen, der sich auch die Existenz dieses Blogs hier verdankt. Aber gut, damals war ich wohl irgendwie ein wenig schwer von Begriff. Jedenfalls war der Deutsche Archivtag 2013 für mich dann der Anlass, dieses Medium einmal näher auszuprobieren, insbesondere weil es mittlerweile mindestens eine gute Anleitung zum Twittern in der Wissenschaft im Netz gibt und gerade das Tagungstwittern nach spannendem Neuland klang. Und siehe da: Es hat nicht nur Spaß gemacht, sondern hat auch zum Entdecken einer völlig neuen Informationsebene und zum Kennenlernen vieler interessanter Leute geführt, deren Gedanken und Hinweise ich nicht mehr missen möchte. Und wir reden hier jetzt – um allen Kritikern zu begegnen – nicht vom morgendlichen Frühstück oder der abendlichen Partygestaltung, sondern von archivischen und geschichtswissenschaftlichen Fachinformationen. (Wie wenig „Spaß“ damit zwangsläufig verbunden sein muss, hat die ungemein intensive Nacherzählung der Pogromnacht unter @9nov38 gerade erst gezeigt.)
Tagungstwittern also, das war der Anfang. In Saarbrücken beim Deutschen Archivtag war so etwas noch nicht wirklich angekommen, auch wenn es doch eine kleine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen gab, die munter die Vorträge dokumentierten und kommentierten. (Ungeachtet der seltsamen Blicke in der Zuhörerschaft ob des vermeintlichen Herumspielens mit dem Handy.)
Auch wurde jüngst von der Bundeskonferenz der Kommunalarchive getwittert, ebenfalls sehr löblich, auch wenn ich mir hier doch mehr als die wenigen versprengten Tweets gewünscht hätte. (Ja, da draußen lesen tatsächlich Leute mit, also gebt uns Informationen!)
Vor diesem Hintergrund bleiben einem auf Twitter auch andere Tagungen nicht verborgen, die man nicht direkt im Blick hat, vielleicht weil es um historische Fragen geht, die einen allenfalls mittelbar interessieren, vielleicht weil es auch um Nachbarwissenschaften geht, die man nur mit halben Augen (wenn überhaupt) verfolgt. Schon bei kleinen Gruppen von Leuten, denen man auf Twitter folgt, kommt man aber recht schnell in Berührung mit solchen Themen, vielleicht weil die Leute, denen man folgt, selbst vor Ort sind, vielleicht weil sie entsprechende Vorträge kommentieren. Dabei bin ich auch in der kurzen Zeit, die ich auf Twitter dabei bin, auf zwei (nicht-archivische) Tagungen gestoßen, bei denen ich mich unweigerlich folgendes fragen musste:
Vielleicht war das etwas hart formuliert, aber wenn man das dortige Aufeinanderprallen von Archivaren und Nicht-Archivaren schmerzhaft direkt verfolgen konnte, dann möglicherweise doch verständlich. Das erste waren die EDV-Tage in Theuern, die mir bis dato überhaupt nicht bekannt waren, aber mein Interesse auf sich gezogen hatten, weil dort – neben zahlreichen Vortragenden aus Bibliotheken und Museen – ein Archivarskollege über den Einsatz von sozialen Medien vortragen sollte: „Allheilmittel Web 2.0 und Social Media?“ lautete der fragende Titel, der mich gerade auch vor dem Hintergrund des eigenen archivischen Facebook-Auftritts sehr reizte. Nach mehreren Vorträgen über die Bedeutung und Rolle von sozialen Medien für Kultureinrichtungen folgte hiermit dann allerdings ein rigoroses Gegenprogramm – man hätte es am Untertitel schon ablesen können („Kritische Nachfragen zum Einsatz in Gedächtnisinstitutionen“):
Da blieb nur ungläubiges Staunen über kuriose Vorschläge…
… oder Sarkasmus…
… oder der nicht unberechtigte Vorschlag, es doch gleich zu lassen:
Ein bedauerlicher Einzelfall? Scheinbar nicht, wie dann jüngst bei einer Tagung zum Gedenkbuch zu Münchner NS-Euthanasie-Opfern erahnbar wurde. Auch hier stieß archivischer Konservativismus manchem Teilnehmer bitter auf:
Bei solchen Reaktionen bleiben manche Fragen: Haben Archive eigentlich derartig andere Rahmenbedingungen als Bibliotheken, Museen oder andere Kultureinrichtungen, dass sie sich solchermaßen zurückhaltend im Bereich der sozialen Medien zeigen müssen? Ist diese Abstinenz überhaupt von Interesse, weil der Adressatenkreis vielleicht nur aus ein paar vernetzten Hipstern und Nerds besteht, die breite Nutzerklientel aber überhaupt nicht erreicht? Und: Wissen wir Archivarinnen und Archivare eigentlich, wie wir uns nach außen präsentieren (und altbekannte Klischeebilder wiederbeleben)?
Für mich (und wahrscheinlich für die allermeisten, die dieses Blog hier lesen) sind diese Fragen rein rhetorischer Natur. Klar kennen wir Archivarinnen und Archivare Schutzfristen und müssen sie beachten, klar müssen wir ressourcenschonend arbeiten und nicht jedem neuen Hype hinterherlaufen und klar muss uns unser Standing in der Öffentlichkeit interessieren. Aber das Bild, das wir offenbar – zumindest mancherorts – abgeben, scheint nicht besonders schmeichelhaft. Vielleicht wäre das früher gar nicht sonderlich aufgefallen, aber dieser neue riesige Informationsraum, den soziale Medien schaffen, sorgt für eine neue Offenheit und einen neuen Informationsfluss. Gut so. Wenn die potentiellen Nutzer und auch Partner(-institutionen) von Archiven uns derartig hart angehen, dann sollte uns das zu denken geben. Facebook und Twitter sind auch wunderbare Evaluationstools, die uns verraten, was man von uns hält und wie man sich uns wünscht. Man muss vielleicht nicht alles erfüllen, was an uns herangetragen wird, aber letztlich müssen die Nutzer der zentrale Maßstab für unsere Arbeit sein. Hören wir auf Sie!
Ach ja, dafür muss man natürlich in den sozialen Medien vertreten sein. Also: mehr Archive rein in Facebook, auf Twitter, wohin auch immer. Unsere Nutzer haben uns dort etwas zu sagen!
Quelle: http://archive20.hypotheses.org/993