Zur Kennzeichnungspflicht von PolizistInnen

Aus aktuellem, gleichermaßen traurigen und zornerregendem Anlass - die Wiener Polizei misshandelte letzten Samstag Personen, die gegen eine Nazidemo protestierten, woraufhin eine Schwangere ihr Kind verlor [Edit: letztere, u.a. in Printmedien veröffentlichte Information scheint unrichtig zu sein, was aber an der grundsätzlichen Problematik nichts ändert] - veröffentliche ich hier meinen zuletzt im Augustin erschienenen Artikel, aus dem hervorgeht, dass die um 1770 in Wien tätigen PolitikerInnen weiter waren als die heutige Innenministerin:

"Wer geschlagen hat, ist unklar geblieben."
Kleine Geschichte der Nummerierung von Polizist_innen und Gefangenen


Die Debatte um die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizist_innen, sei es mittels Namensschilder, Kenntlichmachung der Dienstnummer oder Anbringen einer für die Dauer eines Einsatzes vergebenen temporären Nummer, ist insbesondere in manchen deutschen Bundesländern bis heute aktuell. Welche Folgen eine mangelnde Kennzeichnung haben kann, berichtete die "tageszeitung" im April 2013 von einem in Berlin abgehaltenen Gerichtsprozess: Zwei Jahre zuvor, im Zuge der alljährlichen Demonstration zum 1. Mai, hatten in der deutschen Hauptstadt uniformierte Polizisten Kollegen in Zivil verprügelt; einer der Zivilpolizisten verklagte darauf die Uniformträger, doch wurden diese freigesprochen, weil sie gemäß Einschätzung des Gerichts nicht eindeutig zu identifizieren waren. "Der Vorfall liegt zwei Jahre zurück, aber die Zivilpolizisten sind immer noch spürbar empört. Allein, für eine Verurteilung reicht es nicht. Richterin Andrea Wilms sagt, sie habe keinen Zweifel daran, dass die richtige Einheit identifiziert wurde. Aber wer geschlagen hat -der zweite, dritte, oder vierte Beamte der Reihe -, das ist unklar geblieben." (taz, 9.4.2013)

Im Falle unbilliger Beleidigung

Nur wenigen ist bekannt, dass Maßnahmen zur Verhinderung von derlei Polizeiübergriffen schon im Wien des 18. Jahrhunderts eingeführt wurden. So registrierte der Aufklärer Friedrich Nicolai, als er 1781 die habsburgische Metropole bereiste, unter anderem die circa 300 Polizisten ("Polizeisoldaten"): "Jeder hat eine andere Nummer an dem Hute, damit er, wenn er sich etwa vergehen sollte, kann erkannt und verklagt werden." Der Schriftsteller Johann Pezzl korrigierte ihn darauf ein paar Jahre später, dass nicht die Hüte der Polizeisoldaten, sondern "deren Patrontaschen numeriert sind, damit man sie bei ihrer Stelle verklagen könne, wofern man unbilligerweise von ihnen beleidigt würde." Tatsächlich war diese Nummerierung in Wien bereits per Patent vom 2. März 1776 eingeführt worden: "Die ganze Wachmannschaft [sollte] auf ihren Patrontaschen, die sie darum in Dienstverrichtungen beständig umhaben müssen, mit ausnehmbaren messingenen Nummern unterschieden" werden, was explizit darum geschah, "damit das Beschwerdeführen vielleicht dadurch, weil der Mann von der Wache dem Beleidigten unbekannt wäre, nicht erschwert, oder unmöglich gemacht werde" und "daß dergestalt genug sein wird, anzuzeigen, man sei von dem sovielten Numero beleidiget worden."

Es war kein Zufall, dass gerade im 18. Jahrhundert ein solches Mittel eingesetzt wurde, um die zur Kontrolle der Bevölkerung eingesetzten Polizisten selbst zu kontrollieren: Die Behörden und Gelehrten dieses von Ordnung und Klassifikation so faszinierten Jahrhunderts waren geradezu besessen von der Kulturtechnik der Nummerierung. So selbstverständlich erscheint uns letztere, dass oft gar nicht in den Blick kommt, dass es sich dabei um eine Technik handelt, die erst einmal angewandt und durchgesetzt werden musste. Die Nummern sollten der Identifizierung und Verwaltung der von ihnen bezeichneten Objekte und Personen dienen, Häuser, Spitalsbetten, Fiaker, Kunstgegenstände, Regimenter, Laternen und selbst Töne wurden nummeriert, wenn sich auch im letzteren Fall derlei Ziffernnotationen nicht durchsetzen konnten.

Von der Haftnummer zum Modelabel

Auch manchen Menschen wurden Nummern zu deren besseren Kontrolle verpasst, den französischen Straßenhändler_ innen genauso wie den Lastträger_innen in den Häfen, in Wien wiederum wurden spätestens ab 1773 die Postbot_innen der sogenannten "Kleinen Post" - der Stadtpost -nummeriert. Dass kurz darauf auch die Polizisten auf diese Weise identifiziert wurden, mag mit dem aufgeklärt-etatistischen Klima der "Ersten Wiener Moderne" zusammenhängen, das vor Kritik an Amtsträger_innen nicht Halt machte; dazu kam noch, dass die obendrein sehr schlecht bezahlten Angehörigen der verschiedenen Wiener Sicherheitsorgane als besonders verrufen galten und wiederholt Anlass zur Klage boten.

Als Pendant zu den Nummern der Polizist_innen können die an Gefangenen vergebenen Sträflingsnummern betrachtet werden; Victor Hugo drohte zum Beispiel 1851 im Zuge der Proteste gegen den Staatsstreich des Louis Bonaparte einem gegnerischen General, der nicht bereit war, seinen Namen preiszugeben, mit den Worten: "Gleichviel, Ihren Namen als General brauche ich nicht zu wissen, aber ich werde Ihre Nummer als Sträfling wissen."

Eine verblüffende Wandlung sollte die Gefangenennummer des jüngst verstorbenen Nelson Mandela erfahren: Dieser stellte seine auf der Gefängnisinsel Robben Island zugewiesene Sträflingsnummer 46664 der wohltätigen, unter anderem gegen die Verbreitung von Aids kämpfenden "Nelson Mandela Foundation" zur Verfügung; diese wiederum vergab eine Lizenz zu deren Verwendung an das südafrikanische Unternehmen "Seardel", das die Nummer daraufhin zur Bezeichnung einer Modelinie - 466/64 - verwendete; womit der wohl nicht allzu häufige Fall eintrat, dass eine Gefangenennummer zu einem Markennamen wurde.

Zuerst veröffentlicht im Augustin, Nr. 363, 19.3.2014, S. 14.

Der Gesetzestext von 1776 ist übrigens hier nachzulesen: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=tgb&datum=1780&page=632&size=45

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/876868336/

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Abstract zum Vortrag: Voix perdues? Ungültige, verstreute und andere „sinnlose“ Stimmen bei Wahlen im Jahr 1848 (Thomas Stockinger)

Im Rahmen der auf diesem Blog bereits angekündigten Tagung „Kultur und Praxis der Wahlen. Eine Geschichte der modernen Demokratie“ / „Culture and Practice of Elections. A History of Modern Democracy“ am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald (veranstaltet von Hubertus Buchstein und Hedwig Richter) wird Thomas Stockinger am 16. Mai 2014 vortragen. Vorab wird hier ein Abstract zu seiner Präsentation verfügbar gemacht.

Das vollständige Tagungsprogramm gibt es als PDF-Datei hier.

Voix perdues? Ungültige, verstreute und andere „sinnlose“ Stimmen bei Wahlen im Jahr 1848 (Frankreich und Österreich)

Zweckrationales Handeln, das die Chancen maximiert, erwünschte Kandidatinnen oder Kandidaten die zu vergebenden Mandate erringen zu sehen, zählt seit langem zu den landläufigen, dabei aber durchaus fragwürdigen Erwartungen an Wählerinnen und Wähler. Abweichungen davon sind in dieser Perspektive in erster Linie als Zeichen demokratischer Inkompetenz zu interpretieren, allenfalls noch als Geste des Protests. Die meisten aktuellen Wahlrechte geben vor, dass alles, was auf einem Stimmzettel vermerkt ist, aber nicht als eindeutige Willensäußerung zugunsten einer der registrierten Kandidaturen gedeutet werden kann, ungültig ist, sofern es nicht den Stimmzettel selbst ungültig macht. Der „Wählerwille“ hat sich entweder nach den vorgezeichneten Alternativen zu richten, oder er kann nicht zur Kenntnis genommen werden.

Die frühesten Anwendungen des Massenwahlrechts waren Situationen, in denen diese Kanalisierung weniger effizient funktionierte als später, und in denen deshalb etliche Aspekte der damit verbundenen Problematik besonders deutlich hervortraten. Die Veranstalter und die Ausführenden dieser Wahlen sahen sich mit beträchtlichen Zahlen von Voten (zumeist materialisiert als Stimmzettel) konfrontiert, die sich aus verschiedenen Gründen nicht leicht in ein eindeutiges, numerisch exaktes Wahlresultat einrechnen ließen. Stimmen verteilten sich auf sehr viele verschiedene Personen, darunter solche, die nicht als Kandidaten aufgetreten waren oder nach Meinung der Wahlveranstalter gar nicht als solche in Frage kamen. Kandidaten wurden nicht deutlich genug für eine sichere Identifizierung bezeichnet, oder es wurden Angaben über sie vermerkt, die für eine solche nicht nötig gewesen wären. Die nach späteren Maßstäben oft noch recht unpräzisen rechtlichen Normen boten für den Umgang damit nur eine unzureichende Handhabe, weshalb auch die Entscheidungen der Wahlkommissionen vielfach sehr uneinheitlich ausfielen.

Der Vortrag nähert sich diesen Erscheinungen ausgehend von Stimmzetteln und Wahlprotokollen als Primärquellen und in Anknüpfung insbesondere an die Arbeiten von Yves Déloye und Olivier Ihl. Anhand konkreter Beispiele aus den Parlamentswahlen des Revolutionsjahres 1848 in Frankreich und in der Habsburgermonarchie (speziell Niederösterreich) soll gezeigt werden, dass zur Deutung dieser Phänomene die Kategorien „Ignoranz“ und „Protest“, obwohl beide relevant sind, nicht ausreichen. Sowohl in von Wahlnormen und Erwartungen abweichendem Verhalten der Wähler als auch in den voneinander divergierenden Reaktionen darauf spiegelte sich nicht bloß blindes Herantasten an eine ungewohnte politische Praxis, sondern vielmehr konkurrierende Vorstellungen davon, was Wählen und Repräsentation überhaupt zu bedeuten hatten, wie sie funktionierten und wie sich das Verhältnis zwischen Wählenden und Gewählten zu konstituieren hatte, welche Eigenschaften einen geeigneten Kandidaten machten, sowie auf welche geographischen Räume und sozialen Gruppen sich Repräsentation, Kandidatur und Wahl bezogen. Das scheinbar „Sinnlose“ erweist sich dabei als Teil älterer oder alternativer Logiken des Wählens, die sich nicht durchsetzten, sondern im Laufe der weiteren Entwicklung hin zu einem für die europäisch-atlantischen Gesellschaften zunehmend einheitlichen Grundmodell des Wahlvorgangs bis zur Unsichtbarkeit marginalisiert wurden.

Quelle: http://achtundvierzig.hypotheses.org/575

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Neuerscheinung: Melk in der barocken Gelehrtenrepublik

Als zweiter Band in der von P. Gottfried Glaßner für das Stift Melk herausgegebenen Reihe „Thesaurus Mellicensis“, die der wissenschaftlichen Publikation von Quellen und Forschungsergebnissen aus den reichen Bibliotheks- und Archivbeständen des Klosters gewidmet ist, liegt nun vor: Melk in der barocken Gelehrtenrepublik. Die Brüder Bernhard und Hieronymus Pez, ihre Forschungen und Netzwerke, hg. von Cornelia FAUSTMANN–Gottfried GLASSNER–Thomas WALLNIG (Thesaurus Mellicensis 2, Melk 2014). Die MitarbeiterInnen des Wiener START-Projekts „Monastische Aufklärung und die benediktinische Gelehrtenrepublik“ sowie weitere ForscherInnen bieten hier in kurzen Beiträgen, von […]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/7072

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Handschriften aus dem Prämonstratenserinnenstift Pernegg in Niederösterreich

Heute steht das “Kloster Pernegg”, das sich im Eigentum des nahen Prämonstratenserstifts Geras befindet, für österreichweit geschätztes Heilfasten. Bis zum Tod der letzten Nonne 1585 war es ein im 12. Jahrhundert gegründetes Prämonstratenserinnenstift, dem Mutterkonvent Geras zugeordnet. Von 1585 bis zur Aufhebung 1783 lebten hier männliche Prämonstratenser (ab 1644 war das Stift von Geras unabhängig). Die (bedingt brauchbare) Wiener Diplomarbeit von Elke Federbar (2012) über das Stift Pernegg ist online (PDF). Bemerkenswert sind einige deutschsprachige Handschriften des 15. Jahrhunderts, die aus Pernegg stammen und […]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/7025

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Lob des Augustin / Fest der Znaimer Gurke

Der Augustin, die erste österreichische Boulevardzeitung, ist wirklich das erfreulichste Printmedium in Österreich, was durch die aktuelle Ausgabe wieder bestätigt wird. Und wie schön, es findet sich drinnen einen Beitrag über die Znojemská okurka, die Znaimer Gurke! Dies gibt mir übrigens - wohl exklusiv für den deutschen Sprachraum - die Gelegenheit, den Termin für das diesjährige Fest der Znaimer Gurke anzukündigen: Das Slavnosti okurek findet nämlich in Znjomo am 1. und 2.8.2014 statt!

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/752349206/

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Petition „Wissenschaft ist Zukunft“ (für öffentlich finanzierte Forschung in Österreich)

Im Zuge der Budgetverhandlungen für den Zeitraum 2016 bis 2018, die derzeit in Österreich zwischen dem Finanzministerium und den einzelnen Ressorts im Gange sind, steht für die öffentliche Forschungsförderung viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Alle größeren Institutionen in diesem Bereich sind bereits seit Jahren auf unzureichende Budgets gesetzt; beim FWF als größtem Förderer von Grundlagenforschung sind nunmehr die Rücklagen aufgebraucht, ohne eine Aufstockung des Grundetats müsste sehr bald eine wesentliche Einschränkung der Tätigkeit Platz greifen. Der Österreichischen Akademie der Wissenschaften geht es […]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/6829

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Layout und Wissensvermittlung in zwei österreichischen Legendaren (Heiligenkreuz, Stiftsbibliothek, Csc. 11-14; Zwettl, Stiftsbibliothek, Cod. Zwetl. 13-15, 24)

Abstract zum Dissertationsprojekt Layout und Wissensvermittlung in zwei österreichischen Legendaren (Heiligenkreuz, Stiftsbibliothek, Csc. 11-14; Zwettl, Stiftsbibliothek, Cod. Zwetl. 13-15, 24) Mit dem Magnum Legendarium Austriacum ist ein Textcorpus aus dem späten 12. und beginnenden 13. Jh. überliefert, das vornehmlich in österreichischen Klöstern Verbreitung fand. Er stellt eine Kompilation von ungefähr 580 Viten dar. Das Kompendium ist in sechs Textzeugen überliefert, von denen jedoch keiner für sich vollständig ist. Der Fokus der Dissertation liegt zunächst auf den Exemplaren von Heiligenkreuz und Zwettl, die als Zeugnisse […]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/6760

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