Ö1: Intellektuelle im Zeitalter des Web 2.0

in den Ö1-Dimensionen (Mi 13.4.2011, 19:06-19:30):

"J'accuse" per Facebook. Die Intellektuellen im Zeitalter des Web 2.0. Gestaltung: Lukas Wieselberg

Seit wann gibt es eigentlich Intellektuelle? Das kommt darauf an, was man darunter versteht. Denkt man an (zumeist männliche) Personen, die in wichtigen gesellschaftlichen Fragen ihre Stimme erheben, universalen Werten verpflichtet sind und der Sache des demokratischen Gemeinwohls dienen, dann könnte man bis an die Anfänge der Philosophie zurückgehen.

Dann war Sokrates ein Intellektueller, Erasmus von Rotterdam, Goethe, Voltaire und Karl Marx. Als Begriff wurde der "Intellektuelle" aber erst 1898 geprägt, als Émile Zola sein berühmtes "J’accuse" im Zug der Dreyfus-Affäre proklamierte. Der französische Autor, der öffentlich die Ungerechtigkeit und den Antisemitismus seiner Zeit beklagte, wurde zum Prototyp der nachfolgenden Generationen.

Von seiner Geburtsstunde an war der Begriff "Intellektueller" aber umstritten, wie der deutsche Historiker Dietz Bering 2010 in seinem Buch "Die Epoche der Intellektuellen" ausgeführt hat: selbstbewusster Bezugspunkt für die einen, die die Werte der Aufklärung vertraten, ein Schimpfwort für die anderen, die - wie die Nationalsozialisten - den Glauben an die Macht der Vernunft verhöhnten.

Schon oft tot gesagt

Konstitutiv für die wechselvolle Geschichte der Intellektuellen war immer auch die Rede von ihrem bevorstehenden oder gerade zurückliegenden Ende. In Frankreich, dem Weltzentrum des Intellektualismus, begruben zuletzt die Postmodernen den Intellektuellen, zusammen mit den großen Erzählungen und Utopien.

Als Untote lebten sie aber weiter in den immer umfangreicher werdenden Feuilletons der großen Qualitätszeitungen und -zeitschriften, um plötzlich von einem Feind bedroht zu werden, mit dem nicht unbedingt zu rechnen war: Das Internet im Allgemeinen und die sozialen Medien des Web 2.0 im Besonderen sind es, die Funktion und Existenz des klassischen Intellektuellen infrage stellen - das war die Ausgangsthese einer Tagung, die im Februar am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) in Essen eine Gruppe prominenter Forscher/innen und - ja - Intellektueller versammelte.

Wo werden relevante Themen diskutiert?

Die veränderte Situation lässt sich anhand zweier zentraler Merkmale des klassischen Intellektuellen skizzieren: der Wichtigkeit von Schrift - und Öffentlichkeit. Wie Émile Zola setzten auch seine Nachfolger - von Günter Grass bis Jean-Paul Sartre, von Ralf Dahrendorf bis Noam Chomsky - für ihre gesellschaftlichen Interventionen auf das geschriebene Wort, veröffentlicht in Massenmedien, was für eine größtmögliche Verbreitung der Botschaft sorgte.

Im Zeitalter von Facebook und Twitter kann jedoch nahezu jeder publizieren. Der Einfluss starker Medienmarken ist zwar nicht verschwunden, hat durch das Social Web aber zumindest Konkurrenz bekommen. Für Jürgen Habermas, den Intellektuellen des deutschsprachigen Raums der Gegenwart, ist das ambivalent: "Die Nutzung des Internets hat die Kommunikationszusammenhänge zugleich erweitert und fragmentiert. Deshalb übt das Internet zwar eine subversive Wirkung auf autoritäre Öffentlichkeitsregime aus; aber die horizontale und entformalisierte Vernetzung der Kommunikationen schwächt zugleich die Errungenschaften traditioneller Öffentlichkeiten."

Mit anderen Worten: Wenn sich Bürger zunehmend in Diskussions-Foren zu ihren Lieblingsthemen aufhalten - in der Hamster-Community oder in der Facebook-Gruppe für Rucola -, dann schwinden die Orte, in denen über relevante Themen des Gemeinwohls verhandelt wird. Und das mindert die Chance von Intellektuellen, ihren "avantgardistischen Spürsinn für Relevanzen" (Habermas) und ihre Schreibkunst überhaupt einbringen zu können.

Ein neuer Typus von Intellektuellen

Vielleicht aber, und das war eine der Thesen am KWI in Essen, kehrt der schreibende Intellektuelle in einer anderen Form zurück (falls er je verschwunden war): nicht mehr als Autor von Pamphleten und Analysen, sondern von Codes und Programmen.

"Program or Be Programmed" heißt demnach die Alternative - und ein Buchtitel des amerikanischen Medientheoretikers Douglas Rushkoff. Der Intellektuelle bliebe dann Fachmann der Schrift, seine Sprache aber wäre die der Computer. Als Vorbote dieses (vermutlich wieder überwiegend männlichen) neuen Typus von Intellektuellen könnte dann Julian Assange erscheinen.

Ob man das schillernde Gesicht von WikiLeaks tatsächlich in eine Reihe stellen kann mit Émile Zola, Michel Foucault und Pierre Bourdieu, darüber war man sich in Essen nicht einig.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/16560587/

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Arte: Marx Reloaded

Heute spätnächtens (11.4.2011, 23:20-0:15; Wiederholung: 20.4.2011, 5:00-6:00) auf Arte: Jason Barkers Dokumentation zur Aktualität von Karl Marx; das ND kommentiert: Kommunismus – da greift selbst »arte« zur Gespensterstunde als Sendezeit. Der Film fängt so spät an, dass er Mitternacht überschreitet. Es lockt, wenn der Abspann läuft, also schon ein neuer Tag. Meint's der Himmel gut, kommt dann bald sogar ein Morgenrot. Mitten im Kapitalismus!

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/16558804/

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Kunstaktionen, disneyhafte sowjetische Soldaten und persönliche Geschichten zwischen Mauerresten

MONTAGSRADIO, Ausgabe 3/2011. Gast: Axel Klausmeier, Leiter der Stiftung Berliner Mauer und der Gedenkstätte in der Bernauer Straße, Berlin.

Pietätlosigkeit neben respektvoller Erinnerung? Die Berliner Mauer ist in ihrer Geschichte einzigartig. Im August 2011 jährt sich ihr Bau zum 50. Mal. Ihr Fall vor 20 Jahren war gleichzeitig der endgültige Niedergang der kommunistischen Gewaltherrschaft und das Ende des Kalten Krieges. Seitdem ist die Erinnerung an den ehemaligen Schrecken der Berliner Mauer politischer Bildungsauftrag. Wie kann er vermittelt werden, ohne banalisierend und verallgemeinernd zu wirken? Wie kann authentisch und glaubhaft erinnert und gleichzeitig die Bedeutung fürs Jetzt hergestellt werden?

In der aktuellen MONTAGSRADIO-Ausgabe diskutieren wir mit Axel Klausmeier, seit Januar 2009 ist er der Direktor der Stiftung Berliner Mauer. Der studierte Kunsthistoriker und Historiker der Neueren und Mittelalterlichen Geschichte beschäftigt sich insbesondere mit dem Umgang historischer Bausubstanz und ihrem Vermittlungswert.

Wir sprechen mit Axel Klausmeier über das Konzept der Stiftung Berliner Mauer in Abgrenzung zum Mauermuseum Checkpoint Charlie, die geplante Erweiterung der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße und den sich anschließenden politischen Bildungsauftrag. Zudem diskutieren wir mit ihm, ob das Ego-Shooter-Spiel „1378km“, das so genannte „Mauerschützenspiel“, bei dem der Spieler zwischen „Mauerschütze“ und „Republikflüchtling“ wählen kann, als Bildungsinstrument zulässig ist und wo die Potentiale möglicher weiterer Computerspiele liegen.

Und hier noch die Timeline des Gesprächs:

01:00    50 Jahre Mauerbau in der Gedenkstätte Berliner Mauer

02:15    der Mauerbau und seine Verantworter

05:30    Niederlage einer gesellschaftspolitischen Ideologie?

08:15    die Erweiterung der Mauergedenkstätte Bernauer Straße

11:00    die Bedeutung der Bernauer Straße

13:30    Authentizität der Erinnerung?

17:30    Die “Mauer” und ihre Tiefenstaffelung

24:20    Die Stiftung Berliner Mauer und ihr Konzept

28:45    Resonanz der Besucher

35:00   der politische Bildungsauftrag

41: 30    ”1387km” – das Mauerschützenspiel

48:00    Computerspiele als Bildungsinstrument?

55:00    ”Freiheit und Demokratie”

58:00    Das Stadtschloss in Berlin

1:02:00 MONTAGSRADIO-Fragebogen

Quelle: http://www.montagsradio.de/2011/03/21/kunstaktionen-disneyhafte-sowjetische-soldaten-und-personliche-geschichten-zwischen-mauerresten/

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Michael Scharang zur notwendigen Zerstrittenheit der Linken

Wer darauf hinarbeitet, das schlechte Alte zum Einsturz zu bringen, kann mutmaßen, wie das Neue sein wird, wissen kann das niemand – ausgenommen die prophetischen Falschmünzer innerhalb der Linken. Und wo es um Mutmaßung geht, um ein Experiment, von dem man nicht weiß, wohin es führt, zerfällt die Linke in Individuen, von denen jedes je nach seiner Ausbildung, seinem Beruf, seinem Interesse eine eigene Ansicht über Veränderung und Verbesserung der Welt hat.
Anders kann es nicht sein. Somit stehen unzählige linke Ansichten gegeneinander. Die Linke ist also ihrem Wesen nach zerstritten. Deshalb tritt sie nur in den kurzen Phasen des Kampfes organisiert auf, ansonsten ist jedes linke Individuum sich selbst die liebste Partei.
- Michael Scharang dieses Wochenende im Presse-Spectrum.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/14631894/

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