Der deutsche Sender der BBC und seine einzige bewusste Falschmeldung.
Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/10/fundstuck_24.html
Geschichtswissenschaftliche Blogs auf einen Blick
Für den Vortrag über Livius, von dem hier kürzlich die Rede war, kam er etwas zu spät: ein Aufsatz in der aktuellen Ausgabe der Pegasus-Onlinezeitschrift, einem Fachblatt für den altsprachlichen Unterricht. Alexander Doms schreibt über „Titus Livius – Historikerlektüre unter dem Hakenkreuz“. Der Autor führt zwei Entwicklungen zusammen: den Gang der Livius-Philologie und die Etablierung der NS-Herrschaft in Deutschland. In der Livius-Philologie erschienen nach dem Ersten Weltkrieg die alten Pfade ausgetreten: Den römischen Geschichtsschreiber als Meister der Sprache und als Rhetoriker zu rühmen oder ihn mit dem Seziermesser der geschichtswissenschaftlichen Quellenkritik als unselbständig und historisch wertlos zu erweisen genügte nicht mehr; auch Philologen verlangten jetzt von sich selbst, Orientierung zu geben, die nicht mehr selbstverständlich war. Eine Antwort gab Erich Burck in seinem 1934 erschienenen Livius-Buch; er verlagerte, so Doms treffend, die Perspektive „auf eine gewisse livianische Botschaft, auf eine Denkart des Autors, die freilich im Zeichen augusteischer Erneuerung stand. Livius’ letztes Ziel, so Burck, sei es schließlich gewesen, ‘das Denken und Handeln aller in nationalethischem Sinne zu lenken’. Der Autor als Künder wahren Römertums wird hier zum Vertreter patriotischer Wertevermittlung im sich formierenden Prinzipat. Burcks interpretativer Neuansatz, nach dem Gehalt im livianischen Werk zu fragen, erleichterte die völkisch-nationale Usurpation des Autors in den kommenden Jahren ungemein, ohne jedoch selbst nazistisch durchdrungen zu sein.”
Ob die Radikalisierung des Burck’schen Ansatz durch Universitäts- und Schulphilologen nun tatsächlich, wie Doms andeutet, in erster Linie erfolgte, um den Lateinunterricht durch Anpassung gegen die Bedrohung durch den bildungsfeindlichen Nationalsozialismus zu schützen, oder ob nicht auch eine vorgängige ideologische Disposition es vielen Lehrenden erleichterte, in den neuen Zug einzusteigen, muß hier nicht erörtert werden; wahrscheinlich spielten beide Gründe eine Rolle. Tatsache ist hingegen, daß „zahlreiche Vertreter der Klassischen Philologie zur Feder griffen, um dem altsprachlichen Unterricht ein völkisch-nationales Erziehungsprogramm zu geben”. Jedenfalls mündete „die sich zuweilen anbiedernde Apologetik systemtreuer Philologen” schließlich in das 1938 veröffentlichte neue Curriculum „Erziehung und Unterricht in der Höheren Schule”. Ziel des Lateinunterrichts war nun, wie Doms aus einem zeitgenössischen Text zitiert, „ein Erkennen und Verstehen der Haltung des Römers, durch die dieses nordisch bestimmte Volk in einer bedrohenden Umwelt durch Schaffung seines Staates sich selbst behauptet hat”.
Der Historikerlektüre und der augusteischen Zeit kam in diesem Programm eine Schlüsselstellung zu, und beides wies auf Livius. Doms konstatiert einen „teils moderaten, teils penetrant hergestellten Gegenwartsbezug. Man glaubte, eine Parallelität in der historischen Situation zu entdecken. War Augustus nicht der Retter vor dem spätrepublikanischen Verfall des römischen Staates gewesen?” Ein Forscher bestimmte 1939 die Aufgabe des livianischen Werkes als einen Versuch, die „völkischen, staatlichen und geistigen Zersetzungsvorgänge … unter denen man den Rassen- und Volkstod, nicht als solchen und nicht in seiner ganzen Bedeutung erkannt hat”, zu überwinden. Andere trieben es noch weiter. Doms zitiert aus einschlägigen Schriften (hier in ‘’): „Unter der Losung, nicht mehr ‘rasseblind an die Altzeit heranzutreten’, sondern in den augusteischen Schriftstellern vielmehr ‘allnordische Höchstleistung, großarische Klassik zu suchen’, stand die Altertumswissenschaft verstärkt vor der ‘Aufgabe, eine vergleichende Artlehre nordischer Gesittung…, eine vergleichende Ariologie’ zu betreiben. Da die Schriften des ‘italisch-altarischen Urroms’ mehrheitlich verloren seien, müsse die ‘romantische Rückschau’ der augusteischen Autoren, allen voran Livius, der das ‘Weltrom und Mischrom aller Rassen’ seiner Zeit als Degenerationserscheinung am deutlichsten erkannt habe, als Aufruf zur Bewahrung der eigenen rassischen Substanz gelesen werden. Aufgrund des gemeinsamen rassischen Ursprungs müsse das von Livius beschriebene italische Römertum der Altzeit als Vorbild dienen, während ‘die Überflutung mit fremden Blut nach dem militärischen Ausgreifen nach Süden und Osten als mahnendes Beispiel mit Blick auf die gegenwärtige geschichtliche Lage des deutschen Volkes’ dienen müsse.”
Ein Didaktiker jener Zeit brachte den Paradigmenwechsel auf den Punkt; Doms referiert ihn: „‘Der sprachlich-ästhetische Gesichtspunkt interessiert uns nicht wesentlich; schöne Geschichten für unsere heranwachsende Jugend können wir ohne den Umweg der fremden Sprache anderswo finden; geschichtliche Kritik nahezubringen ist Sache der Wissenschaft, aber nicht der Schule; die römische Geschichte hat für uns keinen Selbstzweck mehr’. Um die Lektüre von Ab urbe condita weiterhin rechtfertigen zu können, müsse nachgewiesen werden, dass ‘1. sie Werte enthält, deren Vermittlung Pflicht ist, und 2. dass sie diese Werte … für die Erziehung eines nationalsozialistischen Jungen … in besonders hohem Maße enthält’.” Der „Reichssachbearbeiter Alte Sprachen” sekundierte, daß „im Lateinischen gar nicht genug von Livius gelesen werden kann, an dem der Jugend die reinste Ausprägung des Römertums nahegebracht wird”. Schließlich könnten die Schüler hier die „staatenaufbauenden Tugenden der nordischen Rasse …, Mannhaftigkeit, Mut, Entschlusskraft, Selbstzucht und Ehrfurcht” erkennen; das erziehe sie dazu, „jederzeit heroisch für die Erhaltung ihres Volkstums zu kämpfen, und wenn es sein muss, zu sterben”.
Was sollte das für die Unterrichtspraxis bedeuten? Tatsächlichen Unterricht aus Richtlinientexten und fachdidaktischen Aufsätzen zu extrapolieren ist auch für die damalige Zeit ein riskantes Unterfangen; die Wirklichkeit pflegt bunt und bisweilen widerständig zu sein. Aber die Marschroute war klar: Verabschiedet werden sollte die Lektüre eines ganzen, geschlossenen Liviusbuches – eine solche hätte die Aufmerksamkeit auf literarische, ästhetische und rhetorisch-stilistische Fragen gelenkt, unter der Leitfrage: Wie ist der Text gemacht?. Gewinnbringender sei vielmehr „das Lesen nur gekürzter Bücher, … das Lesen eines größeren zusammenhängenden Stoffes, der sich über mehrere Bücher verteilt, und endlich der Gebrauch eines Lesebuches, worin das für unsere Zeit Wertvollste … unter richtungsgebenden Gesichtspunkten in kleine Abschnitte zusammengefasst wird”. Häppchen- oder Pröbchenlektüre nannte man das in meiner Referendarzeit vor zwanzig Jahren. Auf keinen Fall dürfe die Lektüre durch sprachliche Schwierigkeiten ins Stocken geraten. Daher müsse „die erste Voraussetzung die Weglassung alles nicht unbedingt Notwendigen und die Benutzung jeder denkbaren, vernünftigen Übersetzungshilfe”. Hätte man diese Maßgabe konsequent zuende gedacht, hätte es nur einen Schluß geben können, nämlich auf das lateinische Original ganz oder doch weitgehend zu verzichten.
Entsprechend sahen die nun auf den Markt gebrachten Schulausgaben aus. Eine Auswahl aus der 1. Dekade des Livius, die Doms anführt, zielte darauf, die im Römertum „wirkenden Kräfte … des italischen Zweiges der nordischen Rasse” herauszustreichen. Ausgaben zur 3. Dekade, die den Hannibalkrieg schildert, betonten einen Rassengegensatz zwischen Römern und Puniern. Doms bilanziert: „Im Zeichen der Rassen- und Wehrerziehung dominierten zusehends Textbücher, die die ‘geeignetsten’ Passagen aus Ab urbe condita unter thematischen Aspekten zusammentrugen. Die Idealisierung der rassisch ‘reinen’ römischen Frühzeit, der Kampf gegen fremdrassige Völker auf der italischen Halbinsel oder die Bemühungen der Patrizier, ‘Blutvermischung’ mit den Plebejern zu verhindern, bestimmten mehrheitlich die thematische Textauswahl aus der 1. Dekade. Vor allem in den Kriegsjahren erlebte die livianische Darstellung des Zweiten Punischen Krieges unter massivem Gegenwartsbezug einen Aufschwung im altsprachlichen Unterricht. Scipio Africanus wird zum Helden stilisiert, dessen Tugenden umso deutlicher angesichts der ‘semitischen Gesinnung’ seines Antagonisten Hannibal hervorgehoben werden.”
Quid ad nos? Warum diese gruseligen Skelette aus dem Schrank holen? Nun, man kann leicht zeigen, daß der Lateinunterricht in der Lektürephase seitdem von der Zielstellung, Werte und politische Bildung zu vermitteln, nicht mehr weggekommen ist. Selbstverständlich änderten sich die Werte und die politischen Ideale. In der Nachkriegszeit ging es noch um die ‘altrömischen Werte’, nunmehr aber bereinigt um die Radikalisierungen der braunen Jahre (Rassismus, Wehrhaftmachung usw.). In den 1970er-Jahren kamen, angeregt durch die Curriculum- und Lernzieldebatten seit den 1960ern, Lektürehefte heraus in Reihen, die etwa „Modelle für den altsprachlichen Unterricht” hießen. Ich erinnere mich an eines zu Sallust. Zeitgeistgemäß ging es da um soziale Krise und Revolution. Es war ein dickes Heft, doch nur ein kleinerer Teil war mit Sallusttexten gefüllt, den Rest machten eine längere Einleitung zu den Lernzielen und viele Sekundärtexte und -materialien aus, u.a. Auszüge aus Werken westlicher wie sowjetischer Historiker zu den Klassenkämpfen in der späten Republik. Der Sallusttext war auf einige Auszüge beschränkt, großzügig annotiert, um die Lektüre zu beschleunigen und rasch zu den Inhalten vorzudringen. — Das kommt etwas zu polemisch; selbstverständlich gab es auch lange Erläuterungen und Aufgabenkataloge zu sprachlichen Eigenheiten und rhetorischen Mitteln. Und Sallust ist schwer, da muß man viele Hilfen geben. Ist notiert. Und nicht alle Bearbeiter verfuhren so. Im Regal finde ich noch eine recht umfangreiche, längst vergriffene Schulausgabe zur ersten Dekade des Livius, die Meinhard Schulz 1981 in der (damals als methodisch konservativ geltenden) Reihe „Lateinische Klassiker” bei Schöningh herausbrachte (s.u.) und die insgesamt ziemlich viel originalen, vereinzelt auch bearbeiteten Text enthält; daraus hier nur eine Doppelseite:
Für 1950, 1980 oder heute eine Kontinuität zu oder gar Identität mit den ns-induzierten Politisierungen – die, wie angedeutet, ihrerseits in Orientierungsbedürfnissen nach dem Ersten Weltkrieg ein starkes Momentum fanden – behaupten zu wollen wäre absurd. Und ganz sicher wäre es arrogant und unseriös, das in der Lateindidaktik ernst und engagiert und seit langem diskutierte Problem mit einem Federstrich lösen zu wollen oder von außen und oben ein Verdikt auszusprechen. Es geht mir um die strukturelle Frage nach grundsätzlichen Optionen (bzw., in der Praxis, ihren Mischungen) und ihren möglichen Folgen. Aktualisierungen, Politisierungen und Ethisierungen von Inhalten sind, das zeigt das skizzierte Beispiel, sozusagen immanent zeitgeistanfällig. Zurückzukehren zu einer bloß sprachlich-formalen oder ästhetischen Ausrichtung ist wohl keine praktikable Alternative (wäre allerdings in der brüsken Verweigerung von Nutz- und Rechenhaftigkeit eine wahrhaft aristokratische!). Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn wo immer es geht das ganz und gar Unzeitgemäße und Widerstrebige zum Leuchten gebracht würde, anstatt die Texte durch Auswahl, Arrangement und Arbeitsfragenkataloge passend zu machen für noch so hehre ethische, politische oder erzieherische Ziele ‘unserer’ jeweiligen Zeit.
von Uwe Walter erschienen in Antike und Abendland ein Blog von FAZ.NET.
Michael Matheus war von 2002–2012 Direktor des DHI Rom. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Mittlere und Neuere Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, an den er im Oktober 2012 zurückkehren wird.
Michael Matheus, Sie haben zehn Jahre lang das Deutsche Historische Institut in Rom geleitet. Was verbindet Sie besonders mit dem Institut?
In diesen Jahren habe ich die auch für den Direktor anregende wissenschaftliche Arbeit sowie die gute Atmosphäre am DHI Rom geschätzt, nicht zuletzt den Schwung, den Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler dem Institut vermittelten. Wir haben in Teamarbeit immer wieder versucht, kulturgeschichtliche Fragestellungen und Methoden für unsere eigene Arbeit fruchtbar werden zu lassen. Für jemanden, der einmal Geiger werden wollte, war es zudem ein besonderer Glücksfall, ein Institut mit einer musikgeschichtlichen Abteilung leiten zu dürfen. Viele wissenschaftliche Veranstaltungen konnten wir mit dazu passenden Konzerten verbinden. Eine besonders wichtige Erfahrung war, dass unsere wissenschaftlichen Veranstaltungen und Projekte nicht nur in Rom, sondern in vielen Städten und Regionen Italiens durchgeführt werden konnten, in Genua und Venedig, in der Toskana und den Marken, in Sizilien, Apulien und im südlichen Latium.
Welche Erwartungen hatten Sie bei Ihrem Amtsantritt als Institutsdirektor? Was hat sich seither geändert?
Ich hatte gehofft, mehr eigene Forschungen durchführen zu können. Dies war nur begrenzt möglich, auch weil die Sanierung der Institutsgebäude sowie der Bau von Bibliotheksmagazinen und einem Gästehaus viel Zeit und Energie gekostet haben. Aber wir haben dadurch mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien (ELKI) und dem Melanchthon Zentrum Rom Nachbarn erhalten, von denen auch die wissenschaftliche Arbeit des Instituts profitiert. Im Jahre 2002 wurde die Stiftung DGIA gegründet. In den Aufbau und die Strukturierung der Stiftung habe ich mich gerne eingebracht und dabei auch viel gelernt.
Welche Schwerpunkte haben Sie während Ihrer Amtszeit in Rom gesetzt, um das Profil des DHI Rom zu schärfen?
Das DHI Rom hat seine traditionellen Schwerpunkte in der Grundlagenforschung mit der Entwicklung elektronischer Publikationsformate verknüpft. Zudem wurde das Institutsprofil durch interdisziplinare, international vergleichende und epochenübergreifende Forschungsprojekte geschärft. Ein besonderes Anliegen war ferner die Intensivierung der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung.
Kürzlich wurde das Institut im Rahmen der Qualitätssicherung der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland evaluiert. Welche Einsichten haben Sie daraus gewonnen?
Zusammen mit dem Deutschen Institut für Japanstudien Tokyo war das DHI Rom das erste Stiftungsinstitut, das einer externen Evaluierung unterzogen wurde. Der Aufwand war beachtlich, doch bot die Evaluierung eine willkommene Gelegenheit für alle Institutsmitglieder, über Starken und Schwachen der wissenschaftlichen Arbeit und über künftige Schwerpunkte der Institutsarbeit nachzudenken. Die Ergebnisse der Evaluierung sind für die wissenschaftliche Arbeit des Instituts insgesamt sehr erfreulich und ermutigend. Unter anderem freut es mich, dass die Bedeutung der am DHI Rom entwickelten historischen Datenbanken und der hierzu notwendigen Software gewürdigt und als Alleinstellungsmerkmal bezeichnet wird. Damit hat das Institut schon vor Jahren Entwicklungen eingeleitet, die in den Empfehlungen des Wissenschaftsrats aus dem Jahre 2011 zu den Forschungsinfrastrukturen in den Geistes- und Sozialwissenschaften beschrieben werden. Aufgrund ihres prototypischen Charakters wird empfohlen, die am römischen DHI entwickelten Lösungen den Instituten der Stiftung bereitzustellen. Zugleich soll dieser Arbeitsbereich am Institut in Rom weiter gefördert werden.
Max Weber, dessen Namen die Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland seit Juli 2012 trägt, hat unter anderem auch in Italien und Rom gewirkt. Was lässt sich zu seinem Verhältnis zum DHI sagen?
In den Jahren 1901 bis 1903, im Vorfeld der Niederschrift der „Protestantischen Ethik“, hielt das Ehepaar Weber sich in Italien bzw. in Rom auf. Max Webers Interesse an Religion und religionssoziologischen Fragen durfte in Rom gewachsen sein. Über die damaligen intellektuellen Prägungen wüsste man gerne mehr, übrigens auch zu der Frage, ob und wie intensiv Weber Mitglieder des Preußischen Historischen Instituts (heute DHI Rom) gekannt und Kontakte gepflegt hat. Zu denken wäre etwa an den Kenner früher kapitalistischer Formen Fuggerscher Prägung, Aloys Schulte, der 1901–1903 kommissarischer Direktor des Instituts war. Oder an den Protestanten Johannes Haller, einer der vielgelesen Historiker seiner Zeit, der 1893–1902 am Institut weilte. Zwar gibt es einige Lesespuren Max Webers im alten Buchbestand des römischen Deutschen Künstlervereins. Im Archiv des DHI allerdings findet sich leider nichts Aufschlussreiches.
Luftgestützte Laseraufnahmen in Ninfa
Sie sind der erste bekennende Katholik unter den Direktoren des DHI Rom. Welche Bedeutung messen Sie dieser konfessionellen Bindung bei?
Die Vorgängereinrichtung des DHI Rom wurde 1888 durch Preußen auf dem Kapitol (worauf das Institutslogo anspielt) im Kontext des Kulturkampfes und in Reaktion auf die zuvor erfolgte Öffnung des Archivio Segreto Vaticano gegrundet. Die damit einhergehende Prägung mag dazu beigetragen haben, dass die Direktion des Instituts – von den wenigen Monaten der Amtszeit Aloys Schultes abgesehen – Protestanten vorbehalten blieb. Dass mit mir der erste langer amtierende katholische Direktor gewählt wurde, interpretiere ich als Signal, dass konfessionelle Prägungen in der wissenschaftlichen Arbeit keine Rolle spielen (sollten), auch wenn ich persönlich im katholischen Glauben verankert bin. Zugleich war mir daran gelegen, mit der Wahl der neuen Nachbarn, ELKI und Melanchthon Zentrum, im Zentrum der katholischen Weltkirche ein ökumenisches Signal zu setzen.
Wie beurteilen Sie das italienische Wissenschaftssystem, vor allem mit Blick auf die Arbeit des Instituts?
Wir arbeiten in zahlreichen Forschungsprojekten mit italienischen Forschungsinstituten und Universitäten zusammen. Allerdings sollte bei der Auswahl wissenschaftlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht die nationale Herkunft, sondern die wissenschaftliche Qualität den Ausschlag geben. In Italien spielen meines Erachtens nicht zuletzt im Bereich der Geisteswissenschaften Klientelstrukturen eine zu große und akademische Leistungen eine zu geringe Rolle. Ich hoffe, dass internationale Kooperationen hier zu Verbesserungen beitragen.
Sie haben sich ja bereits in Mainz intensiv mit italienbezogenen Forschungsthemen befasst. Inwiefern hat der lange Aufenthalt in Italien Ihr wissenschaftliches Profil verändert? Konnten Sie von Standortvorteilen profitieren?
Die Stadt Rom und das Land Italien haben entscheidenden Anteil daran, dass mein wissenschaftlicher Horizont ganz wesentlich erweitert wurde. Zu den Themen der letzten Jahre zahlen: Rom als Studienort in der Renaissance, Germania in Italia, Christen und Muslime in der Capitanata, die Geschichte der mittelalterlichen Ruinenstadt Ninfa und der pontinischen Sumpflandschaft und schließlich – nicht zuletzt dank der Nachbarschaft der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien und des Melanchthon Zentrums – ein faszinierendes Themenspektrum von Luthers Romreise bis zum protestantischen Rombild im 20. Jahrhundert.
Das Kastell von Lucera
An welchen Quellenfund der letzten Jahre denken Sie besonders gern zurück?
Da kommt mir vieles in den Sinn, aber eine Quellenkonstellation sei besonders erwähnt. Im Jahre 2005 stieß ich auf Schriftdokumente, denen zufolge ein muslimischer Adeliger eine kleine Bischofsstadt im nördlichen Apulien, der so genannten Capitanata, im ausgehenden 13. Jahrhundert als Lehen erhielt. Im Rahmen eines interdisziplinaren Projektes, an dem derzeit Historiker, Archäologen, Bauhistoriker, Kunsthistoriker, Anthropologen und Geophysiker beteiligt sind, verfolgen wir von diesem bemerkenswerten Befund ausgehend die Frage, wie sich Formen der convivenza zwischen Christen und Muslimen in dieser Zeit darstellten. Zugleich erhellen die Forschungsergebnisse ein Kapitel europäischer Geschichte, das von der muslimisch-arabischen Kultur mitgeprägt wurde.
Welche Projekte möchten Sie künftig in Mainz realisieren?
Einigen der genannten Forschungsschwerpunkte werde ich auch in Mainz verbunden bleiben, zum Beispiel der interdisziplinar und epochenübergreifend ausgerichteten Umweltgeschichte der pontinischen Sumpflandschaft. Zudem freue ich mich auf eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die in den verschiedensten Fächern zu italienischen Themen arbeiten.
Zehn Jahre Rom – das ist sicherlich sehr prägend. Was schätzen Sie besonders an Italien? Worauf freuen Sie sich in Deutschland und was werden Sie vermissen?
Darauf kann ich mit wenigen Worten nicht angemessen antworten. Nach diesen Jahren wurde ich mich selbst als „Deutschrömer“ bezeichnen. Darunter verstehe ich jemanden, der als Wanderer zwischen beiden Kulturen von beiden nachhaltig geprägt ist. Dennoch bin ich Deutscher geblieben. Rom und Italien werde ich allerdings auch in meinen kommenden Mainzer Jahren eng verbunden bleiben. Die Mitarbeit in italienischen wissenschaftlichen Gremien wird dies ebenso befördern wie die Tatsache, dass ich seit dem vergangenen Jahr dem Direktorat des Römischen Instituts der Goerres-Gesellschaft angehöre, das wie das DHI Rom 1888 gegründet wurde. Aber in einigen Jahren wird die Entscheidung anstehen, die akademische Wanderschaft aufzugeben und dauerhaft ansässig zu werden. Das bedeutet für meine Frau und mich voraussichtlich die Rückkehr nach Rom, von dem ein Historiker im 19. Jahrhundert sagte, die Stadt erscheine ihm so unerschöpflich „wie die Welt überhaupt.“
Das Gespräch führten Kordula Wolf, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des DHI Rom, und Deborah Scheierl, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit am Institut.
Quelle: http://mws.hypotheses.org/1149
Quelle: http://rkb.hypotheses.org/290
Selten wird in der westeuropäischen Religionsgeschichte die Frage nach der Zeitlichkeit so brisant wie in der Reformationszeit. Es ist eine eschatologische, ja apokalyptische Zeit. Für die einen ist der Antichrist schon auf Erden, nämlich als römischer Papst. Für die Anderen bringen die lutherischen “Vorläufer des Antichristen” den Zorn Gottes und das Ende der Welt näher. So oder so, die Welt dreht sich schneller.
Drachen und Tiere aus der “Cloister Apokalypse” (1405-08). Metropolitan Museum of Art, New York.
Und überhaupt: die Veränderungsfrage. Selten zuvor und danach war sie so stark zeitlich aufgeladen. Veränderungen finden in der Religion des 16. Jahrhunderts statt, das ist allen Beteiligten klar. Nur der Ort und die Bewegungen der Zeitlichkeiten sind umstritten. Die Altgläubigen sehen sich als die, die beim alten Glauben – das heißt dessen Praktiken und materiellen Artefakten – bleiben. Sie bleiben in dieser Sicht in einer linearen und weder veränder- noch entwickelbaren zeitlichen Kontinuität der Religionskultur. Die halten sie für legitimiert durch die Praktik seit “uralten” Zeiten. Dabei ist ihnen nicht klar, wie sehr sich die Sinnzuschreibungen, (nun zusätzlich z.B. Konfessionen distinguierende) Bedeutungen und sicher auch Inszenierungen der tatsächlichen Praktiken verändern und nuancieren. So wird selbst-wahrgenommene Konservierung beim Blick auf das gesamte soziale Feld ebenso zur Aktualisierung.
Und natürlich kollidiert diese Zeitkultur der Altgläubigen mit jener der evangelischen “Neuerer”. Doch die verwehren sich gegen den Vorwurf der Neuheit. Im Gegenteil, sie sehen die Papisten als die wahren Neuerer, denn die hätten die urchristliche Religion mit neuen “Aufsetzungen” und “Zusetzungen” immer mehr auf die schiefe Bahn gebracht. Die Reformatoren wollen durch Veränderung bzw. “Reform” zurück zum reinen, alten, wahren Christentum, basierend auf dem “puren, lauteren Wort Gottes”. Sie sehen in den Praktiken der Christen um 1500 keine zeitliche statische Kontinuität des wahren Christentums, sondern gehen von einer stattgefundenen, qualitativen “Verschlechterung” der Religion im Fortschreiten der Zeit aus. Das macht die zeitliche Rückkehr zur wahren, alten Religion nötig. Oder vielmehr: das Wahre, Alte soll in das Jetzt geholt werden.
Nicht nur aus historischer Sicht, sondern auch in der Selbstsicht der Akteure finden im 16. Jahrhundert also “Gleichzeitigkeiten” (Achim Landwehr) bei den Zeitauffassungen statt. Altgläubige und Protestanten, ganz zu schweigen von den “radikalen” evangelischen Gruppen, leben gleichzeitig in verschiedenen, sich mitunter auch gezielt wiedersprechenden religiösen Zeiten. Und da sich Zeitlichkeiten als kulturelle Konstrukte immer dann besonders schnell wandeln, wenn sich die Kulturen, die sie hervorbringen, schnell wandeln, sind auch die Aktualisierungen der religiösen Zeitlichkeiten im 16. Jahrhundert besonders schnell – und unterschiedlich, ja gezielt antagonistisch.
Es findet eine beschleunigte Aktualisierung und Diversifizierung der Zeitkulturen statt. Diese sind dabei so plural und wiedersprüchlich wie auch der Ort von Zeit und Kultur: der Mensch.
„Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen! Und ich werde euch Ruhe geben. Nehmt auf euch mein Joch, und lernt von mir! Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen; denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ (Matthäusevangelium 11, 28-30)
Wenn Johannes Tauler, ein deutscher Mystiker aus dem 14. Jhr., in einer seiner Predigten die obige Bibelstelle mit folgenden Worten zitiert: „lerent von mir das ich diemuͤtig bin und senftmuͤtig’“1, dann fasst er diese Worte als eine verbindliche Regel Jesu auf. Wie zwei Schwestern oder zwei beste Freunde miteinander eng verbunden sind, so sind die Demütigkeit und Sanftmütigkeit für Tauler immer zusammengehörend.2 Auch spricht Tauler im Zusammenhang mit dieser Bibelstelle davon, wie ein Christ den „weg […]der zu der woren selikeit leitet“3, findet. Dieser Weg führe vor allem über die Selbstverleugnung und die wahre Demütigkeit.
Die Worte Jesu „Lernt von mir“ forderten auch Tauler heraus, dem Vorbild Jesu nachzueifern, der laut den neutestamentlichen Schriften, auf Erden sanftmütig und von Herzen demütig vor seinem himmlischen Vater, aber auch gegenüber den Menschen lebte. So berührt diese Bibelstelle das zentrale urchristliche Verständnis von Demut: Jesus ist als der Sohn Gottes auf die Erde in das Niedrige gekommen und in menschlicher Gestalt den Menschen solidarisch geworden. Er bietet den Mühseligen, Beladenen und Gedemütigten einen Ort der Ruhe an, weil er demütig, sanftmütig und solidarisch ist, und daher den Beladenen und Gedemütigten zugehörig ist. Jesus lebt die Solidargemeinschaft vor, in der die Demut nicht den eigenen Vorteil sucht, sondern den des Nächsten.4 So könne Jesus, der im Zusammenhang mit seiner Auferstehung erklärt, dass ihm „alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist“5 als demütiger Herrscher „seine Herrschaft […] in einer solidarischen Praxis der von ihm Beherrschten“6 vollziehen. Es ist die „Herrschaft eines Absteigers, des Gottgleichen, der sich aller Macht“ entledigt hat, nur um „sich auf dem Weg nach ganz unten den Geringsten solidarisch“7 machen zu können. Demnach demütigt Jesus nicht die Menschen, er erniedrigt und unterdrückt sie nicht von oben herab, so wie die Herrscher, „die ihre Völker unterdrücken“ und die Mächtigen, „die ihre Macht über die Menschen missbrauchen“, sondern er regiert in Sanftmut und Demut. Darüber hinaus fordert Jesus die Menschen auf, in ihrem Leben auf Erden in einer Solidargemeinschaft Demut zu praktizieren und anderen zu dienen, denn „wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein“.8
Wie viel Bedeutung Tauler und andere mittelalterliche Mystiker dem Thema der Demut beigemessen haben, kann aus heutiger Sicht mit der Untersuchung von überlieferten mystischen Schriften nur erahnt werden. Womöglich alle mittelalterlichen Mystiker vereinte die Sehnsucht nach der erlebbaren Gotteserfahrung und der Vereinigung des Menschen mit Gott. Auch in den Predigten Taulers ist diese Sehnsucht deutlich zu erkennen. Doch Tauler betont, vielleicht stärker als alle anderen Mystiker, dass nur über die gelebte und wahrhaftige Demut die Vereinigung mit Gott möglich ist.
Anlehnend an die Ausführungen Louise Gnädingers9, soll die Lehre des Mystikers Johannes Tauler zur Mystik des Sinkens – die Demut in seinen Predigten näher untersucht werden. Dabei sollen, am Beispiel des Johannes Tauler Einblicke in theologische und experimentelle/erfahrungsbezogene Aspekte der christlichen Mystik erlangt werden.
Taulers Verständnis der unio mystica und die Lehre vom Grund
In Anlehnung an die Inhalte der Untersuchung des Taulerschen Verständnis von Demut sollen im Folgenden zwei zentrale Themenfelder der Taulerschen Lehre, die unio mystica und die Lehre vom Grund, erläutert werden. Beide Themenfelder bilden für das Verständnis der Demut wichtige Grundlagen.
Das zentrale Anliegen von Taulers Predigten war es, seiner Zuhörerschaft die Möglichkeit der Erfahrbarkeit der unio mystica, des Einsseins mit Gott, zu vermitteln. Diese Art von geistlichem Wachstum sei nach Tauler durch das beständige Durchlaufen der verschiedenen prozessartigen Etappen der Drei-Wege-Lehre möglich, „der Reinigung (via purgativa), der Erleuchtung (via illuminativa) und der Einheit mit Gott (via unitiva)“.10 Diesen Etappen geht die eigene Selbsterkenntnis voraus, die darauf ausgerichtet sein soll, die widergöttlichen Anteile im Innern des Menschen zu erkennen, sie hinzuwenden zu Gott und seinen Vorstellungen anzupassen. Wie diese Etappen genau auszusehen haben, legte Tauler nicht fest. Er bietet in seinen Predigten vielmehr einen reichen Fundus an verschiedenen Beschreibungen über den Weg des Menschen zu seiner mystischen Vereinigung mit Gott.11 So umschreibt er die zur letztendlichen göttlichen Vereinigung führenden Etappen mit den Formen oder Zuständen der „Ekstase-Bedrängnis-Identischwerden“.12 Auf die Hinwendung zu Gott und dem Bewusstwerden seiner Güte folgt der Seelenzustand des „iubilatio“. In der zweiten Form folgt ein Zustand der geistlichen Armut, der Bedrückung und mystischen Verlassenheit. In der dritten Form erfolgt die komplette Vereinigung des menschlichen Geistes mit Gott.13 Zudem benennt Tauler die Sehnsucht danach, eine „immer stärkere Wahrnehmung von Gottes Gegenwart in allem“14 zu erhalten und beschreibt den Weg eines Menschen dorthin mit den Stadien des Anfangens (incipientes), des Fortschreitens (progredientes) und des Anlangens (perfecti).15
Die letztendlich erstrebenswerte Etappe der unio mystica, die Vereinigung mit Gott, beschreibt Tauler als ein vollkommenes Sich-Verlieren, eine Art Selbstvernichtung des eigenen Seins und ein Versinken des menschlichen Geistes in das göttliche Sein. Der menschliche Geist wird in der göttlichen Einheit komplett seiner menschlichen Kräfte und Fähigkeiten enthoben, all seine Aufmerksamkeit richtet sich auf das Wesen Gottes.16 Was genau der Mensch in dieser göttlichen Vereinigung empfindet, das mag auch Tauler nicht zu sagen. Die Möglichkeit der Erfahrbarkeit dieser unio mystica und die Nähe des Menschen zu Gott ist für Tauler ein Geschenk aus Gnade, allerdings ist die eigene Bereitschaft des Menschen für die unio mystica von großer Bedeutung, ebenso wie die praktische Bemühung des Menschen sich Gott hinzuwenden.17 In seinen Beschreibungen der unio mystica war Tauler sichtlich geprägt von den Überlegungen des Bernhard von Clairvaux, Wilhelm von St. Thierry und Albertus Magnus.18 Der Ort der unio mystica ist, laut Tauler, der grunt (Grund) oder der auf den Menschen bezogene Begriff abgrunt (Abgrund): „Grund bezeichnet […] sowohl den ungeschaffenen Grund Gottes als auch den geschaffenen Grund des Menschen“.19 Außerdem verwendet er synonym den Begriff gemuͤt (lat. mens), der von Tauler, im Zusammenhang mit seinem anthropologischen Verständnis, auch als der oberste und höchste Teil der Seele bzw. als das „Tiefste und Verborgenste“20 verstanden wird.21 Die „Kräfte und Fähigkeiten des Menschen“ beziehen und erneuern unablässig „aus dem gemut ihr Vermögen“, genauso erneuert sich das gemuͤt des Menschen aus der Verbindung mit Gottes Grund. So soll der menschliche grunt (oder auch Seelengrund genannt) permanent mit dem göttlichen grunt interagieren und sich letztendlich durch die unio mystica vollständig in ihm verlieren.22 Auf „dem Boden des [menschlichen] Gemütes […] liegt das Bild Gottes im Menschen verborgen“.23 Dies umschreibt die Tatsache, dass der Mensch nach Gottes Ebenbild erschaffen ist und dass diese Verwandtschaft den Menschen in die Vereinigung mit Gott ruft. Synonym für den Begriff gemuͤt verwendet Tauler in seinen Predigten meist im Zusammenhang mit „der Umgestaltung des menschlichen Geistes in den göttlichen […]“24auch den Begriff geist. Weitere mit gemuͤt, grunt und geist sinnverwandte Begriffe sind funke der selen, boden, tolden.25
Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2012): Johannes Taulers Verständnis von Demut (I). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
Bibliographie:
Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/10/johannes-taulers-verstandnis-von-demut-i/
Taulers Verständnis der Demut
Die zentrale Grundvoraussetzung dafür, die Vereinigung mit Gott zu erfahren bzw. dafür, dass der Mensch zu Gottes Grund und Gottes Innerstem gelangen kann, besteht nach Tauler darin, dass der Mensch in „luterre demuͤtkeit“1 auf seinen grunt und in sein Innerstes geht.2 Zudem soll sich der Mensch vor Gott seiner eigenen Fehlerhaftigkeit, Sündhaftigkeit3 und Nichtigkeit bewusst sein, um sich in diesem Bewusstsein unter die Pforte der großen Ehrwürdigkeit Gottes zu legen, „wo Gott in Barmherzigkeit ausfließt“.4 Die Selbsterkenntnis des Menschen über seine eigene Nichtigkeit führt Tauler auch in weiteren Predigten aus.5 Tauler weist darauf hin, dass in der Schöpfungsgeschichte der Mensch von Gott aus Nichts erschaffen wurde.6 Als Werkmaterie sei dieses Nichts für Gott am besten formbar.7 Die Erkenntnis der eigenen Nichtigkeit führt den Menschen geradewegs zur Empfänglichkeit und Bereitschaft für Gottes Wirken, der das Innerste des Menschen leert und sich darin eine Stätte bereitet.8
Ein beständiger Blick des Menschen auf die eigene Nichtigkeit und Niedrigkeit ermöglicht es dem Menschen außerdem, zur Wurzel der Demut zu gelangen und damit zur Höhe des Lebens vorzudringen. Gerade bei praktizierter Sünde9 wie aufkommendem Hochmut, Stolz und falscher Selbsteinschätzung ist die Rückbesinnung auf die eigene Niedrigkeit gegenüber der überragenden Größe Gottes dringend erforderlich: „So soll sich der Mensch vor allen Dingen in sein Nichts versetzen. Gelangt der Mensch auf den Wipfel aller Vollkommenheit, so hatte er es nie nötiger, niederzusinken in den allertiefsten Grund und bis an die Wurzel der Demut. Denn wie des Baumes Höhe von der tiefsten Wurzel herkommt, so kommt alle Höhe dieses Lebens aus dem Grunde der Demut“.10 Nach Tauler ist diese Rückbesinnung und das Sinken auf den tiefsten grunt keineswegs negativ konnotiert, sondern die Haltungen der Demut und des „Demütigsein[s] eröffnen vielmehr die unglaubliche Perspektive, in einer Beziehung Gott doch ein Äquivalent bieten zu können“.11 Tauler ermutigt in seinen Predigten dazu, im Vertrauen auf den tiefsten grunt zu sinken (V 45, S. 199, Z. 5: „Sink echt du: dir wirt das aller beste alles“) und sich der Unendlichkeit und Größe Gottes auszusetzen. Doch nur in der Tiefe der Demut und am tiefsten grunt ist dies für den Menschen auszuhalten.12 Nur so vermögen sich die „beiden Extreme, die hohe Herrlichkeit Gottes und die abgründige Demut des Menschen, […] durch ihre, wenn auch ungleiche, Unendlichkeit zu berühren“.13
Das von Tauler vorgegebene Ziel des Menschen, die Vereinigung mit Gott, und die von ihm beschriebene Gemeinschaft der beiden Extreme im tiefsten grunt beinhalten für den Menschen sowohl eine Abwärts- als auch eine Aufwärtsbewegung: Je tiefer die Erkenntnis des Menschen in die eigene Nichtigkeit wächst und seine Demut reicht (Abwärtsbewegung), desto tiefer kann Gottes Größe und Unendlichkeit – in für den Menschen aushaltbaren Maßen – erkannt werden (Aufwärtsbewegung). Beide Richtungen ermöglichen, nach Tauler, tiefere Einblicke in das göttliche wie auch das menschliche Sein.
Tauler umschreibt die Einblicke in das menschliche Sein folgendermaßen: Je tiefer der Einblick in Gottes Größe, desto tiefer die Erkenntnis der eigenen Niedrigkeit sowie das Versinken in das eigene Nichts: „Als der mensche dis gesmakt innerlichen, das tuͦt in versinken und versmelzen in sin eigen nicht und in sin Kleinheit ; wan so im ie klerlicher und bloslicher in lucht Gottes grosheit, so im ie bekentlicher wirt sin kleinheit und sin nichtkeit. Und do an sol man bekennen worheit dis goͤtlichen in lúchtens das es ein weselich in lúchten ist gewesen, nút in bilden oder in die krefte, sunder in den grunt der selen, do an das der mensche tieffer versinkt in sin eigen nicht“.14 Die im grunt zum Vorschein tretenden sündhaften Haltungen und Tugenden sollen vom Menschen unter anderem mit tiefer Demut überwunden werden.15 Mit der tiefergehenden Demut des Menschen und der Liebe zu Gott geht eine „vollständige Aufgabe aller im Lichte Gottes klein und nichtswürdig erscheinenden Ichinteressen, -wünsche und –bedürfnisse“ einher und der Mensch besitzt „die ganz offene Bereitschaft, von Gott alles anzunehmen“.16 Die wachsende Demut des Menschen verbindet sich dann mit leidenschaftlicher Liebe und der Sehnsucht tiefer in Gottes Grund zu versinken.
In der Berührung der beiden Extreme von Gott und Mensch soll die Demut des Menschen ein solches Maß an Tiefe, Niedrigkeit und Selbstlosigkeit erreichen, dass ihr jegliches Bewusstsein ihrer eigenen Existenz fehlt.17 Tauler weist auf die Erforderlichkeit von selbstloser Demut hin, um vor aufkommendem Hochmut bei erlangter Demut zu warnen: „Dise demuͤtkeit die entsinkt al ze mole in ein abgrúnde und verlúret den namen und stet uf irem luterem núte und enweis nút von demuͤtkeit.“18 Im Zusammenhang mit dem Sündenbekenntnis mahnt Tauler, nicht in gemachter, das heißt, gestellter Demut vor Gott zu kommen, „denn diese ist eine Schwester der Hoffart“19. Weiterhin verweist Tauler auf Jesu Worte, selbstlos wie die Kinder zu werden: „Hielte der Mensch irgend etwas in sich für Demut, so wäre das falsch. Darum sprach unser Herr: „Wenn ihr nicht werdet wie dieses Kind, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen.“ Darum soll man von dem was wir tun nichts halten; denn unser Herr sprach: „Lasset die Kleinen zu mir kommen“.20
Ähnlich wie Jesus in Matthäus 19,30 das Paradoxon aufstellte: “So werden die Letzten die Ersten sein und die Ersten die Letzten”, so wiederholt Tauler mehrfach in seinen Predigten den Leitspruch: „[…]so ie niderre, so ie hoͤher, und so ie minre, so ie merre (V 46, S. 206, Z. 4-5) : „Je tiefer, um so höher; und je weniger, um so mehr“ 21 und stellt die Gleichung auf, dass die freiwillige Selbsterniedrigung spätere Erhöhung nach sich zieht: „Der sich nidert, der wirt erhoͤhet; ie niderre, ie hoͤher“.22 Auch erweitert Tauler dieses Paradoxon und erwähnt, dass am tiefsten grunt, dem Ort der Begegnung von Gott und Mensch, menschliche Maßstäbe von Höhe und Tiefe aufgehoben werden: „wan ie tieffer, ie hoͤher; wan hoch und tief ist do ein“23 bzw. „Denn je tiefer, desto höher, Höhe und Tiefe nämlich sind da [im tiefsten Grund]eins“ (Gnädinger 1993, S. 257 zu V 39, S. 162, Z. 18).
Tauler beschreibt die Notwendigkeit und Einzigartigkeit der gelebten Demut auf anschauliche Weise in seinem Bild vom Tal der Demütigkeit: „alle die uͤbunge die man mag iemer getuͦn uswendig, enist dem nút gelich das man habe den dal der demuͤtkeit“24. Dass andere Wege als der Weg zum Tal der Demütigkeit in die Irre führen, macht Tauler mit folgender Aussage deutlich: „Dis ist der rechte wore weg. Wele disen weg nút engont, die gont irre. Und wie vil er uswendiger werke tuͦt, das enhilfet doch zemole nút, und si erzúrnent Got verre me denne si versuͤnen“.25 Tauler charakterisiert dieses Tal als den Ort des Wachstums von wichtigen Tugenden: „In dem tal do wachset senftmuͤtikeit, gelossenheit, stillikeit, gedult, guͤtlicheit“.26 Dass in diesem Tal Wachstum geschehen kann, verwundert nicht, soll doch Gottes Hoheit eigentlich und allermeist in das Tal der Demütigkeit blicken und in ihm sein Wirken vollbringen: „Gotz hochheit sichet eigenlichen und aller meist in das tal der demuͤtkeit“.27 Auch bezieht Tauler seine bereits erwähnte Gesetzmäßigkeit der Höhe und Tiefe auf seine Tal-Metaphorik: „So wo och das tal aller tieffest ist, da flússet des wassers aller meist“ bzw. „Gerade da, wo das Tal am allertiefsten ist, da fließt am meisten Wasser“.28 Auch hier gilt nach Tauler wiederum folgende Gleichung: Je tiefer das Tal bzw. die Demut, desto besser kann das Wasser fließen. Je tiefer das Tal der Demut ist, desto höher die Erhebung und Aufwärtsbewegung. Das Wasser deutet Tauler, ganz im Sinne der biblischen Metaphorik, als den Heiligen Geist, der sich „füllend überall dorthin“ ausgießt „wo er Raum findet“.29 In seinen Pfingstpredigten (V 26, V 27 und V 60e) führt Tauler seiner Zuhörerschaft eindrucksvoll und in bildlicher Sprache das Wirken des Heiligen Geistes im Menschen vor Augen. Der Heilige Geist „fúllet al zemole alle die enphengklicheit“30 des Menschen aus. Mit der Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten vor Augen, beschreibt er das Kommen des Heiligen Geistes mit einem zeitgenössischen Beispiel vom Hochwasser am Rhein: „Mit solch großem Reichtum und solcher Fülle und solchem Überfluß [kam er, der Heilige Geist,] und überflutete sie innerlich in gleicher Weise, als ob der Rhein in seinem Schuß und Wehr und Damm weg wäre. Wie er dann in ungehemmtem Lauf rauschend daherströmte und alles überschwemmte, als ob er alles ertränken und untergehen lassen wollte. Und er füllte alle die Täler und Gründe, die vor ihm lagen“.31 Gott füllt, laut Tauler, aus Gnade und durch seinen Heiligen Geist die Täler, Gründe, Tiefen, Herzen und Seelen, die sich ihm entgegengehalten und in denen er Raum findet, mit „Reichtum, mit Gnade, Liebe und Gaben, was unbeschreiblich ist“.32 Die Empfängnisbereitschaft des Menschen für den Heiligen Geist entspringt neben der Gelassenheit, Geduld, der Leere und innerlichen Gesammeltheit des Menschen, auch aus seiner Demut.33
Desweiteren weist Tauler in seinen Predigten unmissverständlich daraufhin hin, dass Demut auch im menschlichen Miteinander gelebt werden muss. Die Worte Jesu aus Lukas 9,48: „Denn wer der Kleinste ist unter euch allen, der ist groß“ greift Tauler bereitwillig auf und weist darauf hin, dass jeder „seinen ganzen Fleiß“ darauf wenden soll, demütig bzw. „ganz klein und vernichtigt zu werden“, um von Gott in „in das Größte, in das Nächste und das Allerwürdigste […]“ das Gott hat, versetzt zu werden.34 Tauler zeichnet ein einfaches Prinzip: Je demütiger der Mensch ist, desto mehr kann Gott ihn mit seiner Gnade beschenken und damit erhöhen, je hochmütiger und weniger demütig der Mensch ist, desto weniger Gnade kann der Mensch von Gott empfangen und wird folglich von Gott niedergedrückt („so trucket er uns“ : V 60h, S. 323, Z. 20-24).
Gelebte Demut ist für Tauler unmittelbar mit dem Gebot verknüpft, Gott und den Nächsten mit bedingungsloser Liebe zu lieben.35 Daran anschließend bestünde die gelebte Demut auch darin, andere Mitmenschen nicht zu verurteilen.36 So warnt Tauler vor dem Umgang mit den Pharisäern (V 57) und kritisiert in mehreren seiner Predigten (V 9, 10, 19, 45, 54), dass sie ein äußerlich frommes Leben führen, jedoch voll des Urteils über andere sind, dabei selbstgefällig, hochmütig und nicht willens sich selbst zu beurteilen.37 Doch wen meinte Tauler mit den Pharisäern? Deutlich wird dies mitunter in seiner Predigt V 10, in der er die „die pharisei und die bischöffe und die schriber, das heilig schein“ 38 von den „waren frúnden Gottes“39 unterscheidet. Tauler definiert in V 9 die Pharisäer als diejenigen, „die etwas von ihrer Frömmigkeit hielten“ und die Schriftgelehrten als diejenigen, „die etwas auf ihre Kenntnisse gaben“.40 Laut Gnädinger können die weiteren Ausführungen der Predigt V 9 über die Pharisäer und Schriftgelehrten als Kritik an den zeitgenössischen Ordensleuten und Scholastikern verstanden werden, die sich ihrer Klugheit rühmten und selbstgefällig waren.41 Dem gegenüber stehen die wahren Freunde Gottes, die, weil sie nur auf Gott bezogen waren, keine Selbstgerechtigkeit, aber eine „gute[…] Lebensweise“ und „gute[…] Werke[…]“ aufwiesen42 und daher von anderen angefeindet werden. Bei diesen Äußerungen kann Tauler die Verfolgung der Laiengemeinschaften wie die von ihm betreuten Beginen durch Päpste und Bischöfe vor Augen gehabt haben. Auch flossen hier sicherlich seine Beobachtungen von den in den Klöstern tobenden Machtkämpfen mit ein.43 Vielleicht strebte Tauler Zeit seines Lebens nie ein höheres Amt an (oder er war froh, dass es ihm verwehrt wurde), weil er fürchtete, durch seinen beruflichen Aufstieg so hochmütig wie andere Geistliche zu werden. Tauler selbst hatte die Art der frommen Lebensführung von Heinrich von Nördlingen und seiner Laiengemeinschaft kennengelernt und es hatte ihn beeindruckt und ihn für sein weiteres Leben wesentlich geprägt.
Schlussendlich bleibt noch die Frage, was Tauler mit seinen Predigten beabsichtigte und bei seiner Zuhörerschaft zu bewirken versuchte? Mit Sicherheit wollte er keine weiteren wissenschaftlichen Diskurse über Theologie anregen und keine theoretischen Abhand-lungen vermitteln, sondern er wollte schlicht und einfach seinen Beitrag zu dem praktischen Lebenswandel seiner Zuhörerschaft beitragen. Tauler predigte besonders häufig über „Tugenden und Frömmigkeitsübungen“44 und bemühte sich darum, möglichst schwierig zu verstehende Aspekte der biblischen Lehre verständlich und praxisnah zu vermitteln. Dabei verstand er es, seine Lehre „in einen Bezug zum Alltagsleben seiner Zuhörer“ zu bringen und immer wieder darauf zu verweisen, dass jeder selbst „bevinden (empfinden, erfahrend wahrnehmen, kennen lernen)“ müsse, also Gott mit seinem ganzen Sein „in erfahrender, kostender Weise“45 erleben müsse. Gott zu erleben, solle nicht nur durch Hören und Lesen von etwas und nicht nur mit den Sinnen und dem Verstand passieren. Obwohl Tauler sich darum bemühte, das weiterzugeben, was er selbst erfahren oder erkannt hat, macht er beispielsweise in einer Predigt (V 41) deutlich, dass er das „volle Erlebnis in diesem Punkt nicht erreicht“ hat, das heißt er sieht zwischen „dem Erlebnis und dem Ziel“ eine Distanz, was bezogen auf die unio mystica bedeuten könnte, dass selbst die tiefsten menschlichen Erlebnisse nicht die Fülle der gesamten göttlichen Vereinigung umfassen können46: „Glaubt nicht, dass ich in eigenem Erleben bis dahin gelangt sei. Gewiss sollte kein Lehrer von Dingen sprechen, die er nicht selbst erlebt hat. Doch zur Not genügt, dass er liebe und das im Sinn habe, wovon er spricht, und ihm kein Hindernis bereite”.47 Doch in seinen Predigten und in seiner Verkündigung der Lehre stand nicht im Vordergrund was er selbst erlebt und nicht erlebt hat. Vielmehr muss für seine Zuhörerschaft wichtig gewesen sein, ob er fähig war, aus seinem Verständnis der biblischen Lehre heraus, seiner Zuhörerschaft den Weg zur unio mystica nachvollziehbar, ernsthaft und wahrheitsliebend zu vermitteln.48
Zur letztendlichen himmlischen Vereinigung mit Gott zu erlangen, bedeutet nach Tauler den Ort erreicht zu haben, wo das tiefste Versinken in den Grund der Demütigkeit möglich ist und in den tiefsten Grund gerechter Demütigkeit und Nichtigkeit hinab-zusinken, dessen Tiefe man mit den Sinnen nicht zu begreifen vermag.49 Doch auch der Weg zur ewigen Seligkeit führt, laut Tauler, über die Tugend der wahren Demütigkeit.50
Abschließend kann man folgende Ergebnisse formulieren: In seinen Predigten behandelt Tauler vorwiegend die notwendige Demut des Menschen gegenüber Gott. Doch aus dieser demütigen Haltung des Menschen entspringt auch eine demütige Haltung des Menschen gegenüber seinem Nächsten. Nach Tauler ist die Demut und Demütigsein grundsätzlich als positiv zu sehen, denn es ist, wie die Nichtigkeit des Menschen, die natürliche Haltung bzw. Position, die der Mensch vor Gott einnehmen soll, um mit ihm in eine Vereinigung zu kommen.
Ein überaus auffälliges Ergebnis der Untersuchung besteht darin, dass Tauler hinsichtlich der Demut nicht von seinen selbst gemachten Erfahrungen predigte, sondern vielmehr immer wieder auf sein eigenes Nichtssein51 als Mensch vor Gott hinwies: “Der Mensch soll all sein Können vor Gott beugen … und soll von Grund aus sein natürliches und sein gebrechliches Nichts erkennen. Das natürliche Nichts, das ist, dass wir von Natur aus nichts sind; das gebrechliche Nichts ist unsere Sünde, die uns zu einem Nichts gemacht hat”.52 In dieser Haltung und der Gewissheit, dass der Mensch mit seinem Sein und Können von Natur aus Nichts ist, lädt er in seinen Predigten sich und seine Zuhörerschaft dazu ein, Gott in seiner Fülle zu erleben und sich vollkommen auf sein Wirken einzulassen.53
Die Verbindung von der Selbsterfahrung der Mystik und den gewonnenen Erkenntnissen mit der Verkündigung und Lehre des Erlebten/Erkannten, stellt sich bei Taulers Verständnis der Demut so dar: Gerade darin bestand die von Tauler gepredigte Demut, dass Tauler sich selbst in seinen Predigten über die Demut mit seinem Können und seinen möglichen Erfahrungen zur Demut zurückzunehmen konnte und sich mit seiner Person nicht in den Vordergrund zu drängen musste.54 Tauler kritisiert vielmehr die Selbstbezogenheit und Überschätzung vom eigenen Können sowie den heiligen Schein vieler seiner Zeitgenossen55 und setzt diesen Tendenzen die von Gott gewünschte Haltung der Demut entgegen. So würde Tauler sagen, dass die gelebte Demut keine Aufmerksamkeit braucht, denn sie weiß, wenn sie gelebt wird, nichts mehr von ihrer eigenen Existenz: „Dise demuͤtkeit die entsinkt al ze mole in ein abgrúnde und verlúret den namen und stet uf irem luterem núte und enweis nút von demuͤtkeit“.56
Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2012): Johannes Taulers Verständnis von Demut (II). In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
Bibliographie:
Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/10/johannes-taulers-verstandnis-von-demut-ii/
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