Mediävistik auf dem Ameisenpfad oder: Mit der ANT das Königreich der Himmel stürzen

 

Ameisen1Ameisen ‘ernten’ Weizen. Aus dem Bestiarium des Philippe de Thaon (um 1121). Quelle: Wikimedia Commons

„Ich muss Sie leider warnen: Ich bin nur ein einfacher Doktorand“ – „die anderen Studenten haben mich gewarnt, ich solle das ANT-Zeug nur mit der Pinzette anfangen“.[1] So lauten zwei Fragmente eines fiktiven Dialogs, der ins Büro eines renommierten Gastprofessors an der London School of Economics führt. Der Autor des Textes, der französische Soziologe Bruno Latour, gefällt sich darin in der Rolle des unbequemen Dozenten, der das Welt- und Wissenschaftsverständnis seines Besuchers gründlich durcheinanderwirbelt. Ob der enigmatischen Einlassung seines Gesprächspartners, der das Theoriegerüst der Dissertation genüsslich zerpflückt und doch kein gleichwertiges Gegenmodell zu präsentieren vermag, wendet sich der Nachwuchswissenschaftler schließlich ernüchtert ab: Er werde es lieber mit Niklas Luhmann versuchen und künftig die Finger von der Akteur-Netz­werk-Theorie (ANT) lassen.

Forscherinnen und Forschern der mediävistischen Fachdisziplinen ein derartiges Frustrationserlebnis zu ersparen, ist das erklärte Ziel dieses Beitrages. Er bezweckt in dieser Hinsicht dreierlei: Zunächst soll er eine knappe Einführung in das Theoriedesign der ANT bieten.[2] Auf der Sachebene zeichnet er sodann ein konkretes Netzwerk nach. Exemplarisch soll auf diesem Weg schließlich die Frage beantwortet werden, inwieweit die Quellendichte des Mittelalters es überhaupt gestattet, sich des methodischen Instrumentariums moderner Sozialwissenschaften zu bedienen. Ist die ANT dazu geschaffen, „Luxusprobleme“[3] zu bearbeiten, die im Überlieferungshorizont der Epoche keine geeignete Materialgrundlage finden? Oder gestattet sie es im Gegenteil, über bislang wenig beachtete Zeugnisse einen neuen Zugang zur Geschichte des Mittelalters zu gewinnen?

Die Akteur-Netzwerk-Theorie im Aufriss

Enttäuschung mag sich vornehmlich dann einstellen, wenn man von der ANT einen elaborierten Erklärungsansatz, einen festen Theorierahmen oder gar ein Makromodell sozialer Strukturzusammenhänge erwartet. Sie selbst versteht sich in erster Linie als ein heuristischer Erfassungs- und Beschreibungsmodus des empirisch Gege­benen. Als solcher lenkt sie den Blick auf ein hybrides Gefüge aus menschlichen und materiellen Entitäten, geschaffen und zusammengehalten durch reziproke und multilaterale Assoziationen. Metaphorisch ließe sich dieses Gebilde mit einem Fischernetz vergleichen, dessen Knoten die jeweiligen Akteure repräsentieren.[4] Jeder von ihnen wird nur durch die Verknüpfung mit anderen Knotenpunkten in seiner Position gehalten, ausgerichtet und ggf. verschoben. Als flexible Verbindungsstränge dienen Performanzen, das Netzwerk wird prozesshaft auf der Handlungsebene konstituiert. Als Knoten bzw. Akteure zu verstehen sind folglich allein jene „Entitäten, die Dinge tun“[5] und zugleich „von vielen anderen zum Handeln gebracht“[6] werden. Dies schließt explizit nicht-humane Elemente mit ein, sofern sie von anderen Mitwirkenden mit Handlungspotential versehen werden. Die Dinge geraten dadurch, erlöst aus ihrem Schlummer als museale Schaustücke und befreit von den Banden unverrückbar ‚objektiver’ Existenz, ins Zentrum wissenschaftlicher Vergangenheitsrekonstruktion.

Der veränderte Blickwinkel erweist sich indes als voraussetzungsvoll. Bruno Latour bezeichnet die ANT zu Recht als „negatives Argument“: Sie hegt eine grundlegende Aversion gegen konstruktivistische Zugriffsweisen, die auf das Apriori abstrakter Modellbildung, den alles durchdringenden „Äther des Sozialen“, angewiesen sind.[7] Daher meidet sie Begriffe wie ‚Gesellschaft’, ‚Struktur’ oder ‚System’ und verweigert sich den Dichotomien von Mikro und Makro, Kultur und Natur. Der virulenten ‚Metasprache der Soziologie’ sucht sie durch eine ‚Infrasprache’ beizukommen, deren Begriffsinstrumentarium einen vorurteilslosen Zugang zu allen Akteuren gestattet. Zur ANT-Terminologie – deren „lächerliche Armut“ wohl allein ihr Schöpfer selbst zu preisen vermag[8] – zählen Assoziationen, Allianzen und Aktanten (performativ mit Handlungsmacht ausgestattete Entitäten), Blackboxes, Symmetrien (gleichwertige Einbeziehung von Menschen und Dingen) und Übersetzungen (das Aufbauen und Aushandeln von Assoziationen, verbunden mit einer Modifikation von Interessen und Identitäten). Es ist der forcierte Gestus des Gegenaufklärers, sein sperrig-kapriziöser Schreib­stil, mit dem Bruno Latour mehr als seine ANT-Mitstreiter akademische Abwehrreflexe ausgelöst hat. Es waren und sind seine ‚kleinen’ Essays und konkreten Fallstudien, durch die er den nicht-initiierten Leser zu gewinnen vermag. Insofern möchte ich mich im Folgenden mit der Sprache und Sichtweise der ANT einem einzelnen ausgewählten ‚Gegenstand’ der mittelalterlichen Geschichte zuwenden: Der Lichterscheinung in der Grabeskirche zu Jerusalem am 21. April 1101.[9]

Ameisen2Auf dem Ameisenpfad. Foto: „Worker ant carrying leaf“ von Scott Bauer, U.S. Department of Agriculture via Wikimedia Commons

Alte Allianzen und neue Konstellationen

Mit den Augen der ANT betrachtet blickt man auf eine Allianz, deren Geschichte sich seit dem 9. Jahrhundert gut nachzeichnen lässt: Sie verbindet Gott und die christlichen Kirchen, lässt sich in einem konkreten Kirchbau lokalisieren und assoziiert Akteure unterschiedlicher Art. Bereits der knappe Report des fränkischen Mönches Bernard enthüllt um 870 eine Bündniskonstellation, die ohne materielle Mittler in Form von Klängen, Lampen und transzendenten Effekten historisch niemals wirksam geworden wäre: „Nach Ab­schluss der Messe wird das Kyrie eleison angestimmt, bis durch das Eintreffen eines Engels das Licht in den Lampen aufleuchtet, die über dem genannten Grab hängen. Von diesem spendet der Patriarch den Bischöfen und dem übrigen Volk, damit jeder von ihnen das eigene Heim beleuchte.“[10] In diesem Miteinander von Menschen und Dingen ‚übersetzten’ sich die beteiligten Entitäten wechselseitig: Mit der Aura des Heiligen versehen, verwandeln die Gebete und brennenden Lampen die versammelte Menge in wahre Gläubige, welche die Evidenz des Wunders wiede­rum effektiv bezeugen. Der Pakt beruhte demnach auf einem erfolgreichen ‚Enrolement’, das die Vertragspartner durch attraktive Identitätsangebote zu gewinnen verstanden. Innerhalb dieser ‚Heiligen Allianz’ agiert der Klerus mit dem Patriarchen an der Spitze als anerkannter Regisseur: Er orchestriert die Rollenzuweisung und definiert den ‚obligatorischen Passage­punkt’, den alle Mitwirkenden zur Erfüllung ihrer Ziele durchschreiten müssen.[11] Die liturgischen Handlungen markieren zugleich die Distanz zum Kollektiv der ‚Ungläubigen’, die sich der Assoziation von Wunder­zeichen und Heilsgewissheit ostentativ verweigern. Lateinische, griechische und selbst ara­bische Textzeugnisse weisen muslimischen Protagonisten einhellig die Rolle von Störern zu.[12] All ihr Be­mühen, das Bündnis durch alternative Deutungsangebote zu sprengen, ist freilich zum Scheitern ver­ur­teilt: Die Manipulation des Materiellen – durch kupferne Dochte etwa oder Diebstahl der Kerzen – und eine waffenstarrende Drohkulisse entfalten letztlich nur affirmative Wirkung.[13] Gleichwohl waren die Mus­lime keineswegs vom Mirakelereignis ausgeschlossen: Vor der Eroberung Jerusalems 1099 und erneut nach dem Ende der Kreuzfahrer­herrschaft fungierten sie als scheinbar interessenlose Garanten für die Authentizität des Wundergeschehens. Für diese Rolle ließen sie sich nicht zuletzt deshalb rekrutieren, weil das Heilige Feuer einen weiteren materiellen Akteur zu mobilisieren vermochte: „Entweder ist dem Fürsten der Geldbetrag lieber, der dir aus dieser Quelle zufließt, oder die Aufklärung darüber“, so fasst der arabische Gelehrte al-Dschaubari im 13. Jahrhundert diese wirkmächtige Verbindung prägnant zusammen.[14]

Die Wende zum 12. Jahrhundert bezeichnet in mehrfacher Hinsicht den Bruch etablierter Bünd­­nisstrukturen. Kurz nach der Ankunft der Kreuzfahrer zeigten sich erste Friktionen im Kollektiv der christlichen Glaubens­brüder, das sich alljährlich am Grab des Herrn versammelt hatte. Der amtieren­de Patriarch von Jerusalem, Daimbert von Pisa, war durch die abend­ländische Eroberung an die Spitze der lokalen Hierarchie getragen worden. Als Reprä­sentant der römischen Kirchen­reform suchte er den lateinischen Ritus in der Heiligen Stadt rigoros durchzusetzen.[15] Die ecclesia orientalis, zu deren Befreiung die Kreuzfahrer einst ausgezogen waren, war im Verlauf des Unternehmens sukzessive unter Häresieverdacht geraten und hatte in der Grün­dungs­phase des Königreichs Jerusalem allenthalben an Boden verloren. Während die syrisch-ortho­­doxe Geistlichkeit die Stadt bereits vor ihrer Einnahme zeitweilig geräumt hatte[16], büßte der griechische Klerus unter Federführung Daimberts u.a. seine Pfründen an der Grabes­kirche ein: „Die Franken gingen so weit, alle Armenier, Griechen, Syrer und Georgier aus ihren Klöstern zu vertreiben“, so resümiert der armenische Chronist Matthäus von Edessa.[17] Gleichwohl war auch die Stellung des lateinischen Patriarchen keineswegs gefestigt: Nur fünf Tage vor dem Osterfest des Jahres 1101 war sein Zerwürfnis mit Bal­duin I. offen zu Tage getreten, als der König Daimbert formell der Veruntreuung und des Verrats bezichtigte. Balduin selbst rang im ersten Jahr seiner Regierung um die politische und militärische Kontrolle seines von zahlreichen Seiten bedrohten Königreiches. Das bevorstehende Hochfest eröffnete ihm die Gelegenheit, die Befehls­haber eines genu­esischen Flottenverbandes für seine Ziele zu gewinnen. Unter diesen Vorzeichen avancierte das Heilige Feuer zum allseits begehrten Bündnispartner. Den Akteuren in und um die Grabeskirche bot es die Möglichkeit, sich in der Allianz zwischen Gott und den Menschen selbst als Mittler zu verankern und die eigene prekäre Position durch den erneuerten Pakt mit den himmlischen Mächten sichtbar und dauerhaft zu stabilisieren.

Doppelte Übersetzungen

Noch zu Ostern 1100, dem ersten Jahr nach der Eroberung, schien die Situation hinreichend kontingent, um die alten Allianzen abermals zu reaktivieren: In der Nacht zum 1. April jedenfalls ging die Feier der gaudia Paschalia in der Grabeskirche solemnis – also wohl störungsfrei – vonstatten.[18] Für das Folgejahr jedoch weiß die Chronik Fulchers von Chartres konsterniert zu berichten: „Alle wurden in Verwirrung gestürzt wegen des Feuers, das wir am Samstag im Grab des Herrn nicht empfingen“.[19] Das Ausbleiben des Licht­wunders stieß bei den zeitgenössischen Berichterstattern auf breite Resonanz, der Ablauf der Ereignisse lässt sich dadurch erstaunlich präzise rekonstruieren:[20] Unter der Leitung Daimberts begann man um die dritte Stunde mit der Messfeier. Die Perikopen wurden dabei abwechselnd in lateinischer und in griechischer Sprache gelesen. Zumal die wundersame Entzündung des Feuers traditionell in den frühen Nachmittagsstunden erfolgte, dauerte das Hochamt annähernd bis zur Non an und wurde abrupt unterbrochen, als griechische Geistliche erstmals das Kyrie eleison anstimmten: „Ich Fulcher aber, der solche Klänge niemals vernommen hatte, und viele andere (…) sprangen mit zerknirschten Herzen, die Augen zum Himmel gewandt vom Boden auf und erwarteten bereits das Erscheinen des gnadenbringenden Lichts irgendwo in der Kirche“.[21]

Diese Hoffnung wurde enttäuscht, die Lesungen wiederaufgenommen und schließlich wieder und wieder flehentlich das Erbarmen des Herrn herbeigerufen. Irritiert öffnete der Patriarch die Pforten der Grabeskapelle um dort persönlich nach dem Heiligen Feuer zu suchen. Vergebens, die alten Allianzen verweigerten sich der neuen Kräftekonstellation. Die Kreuzfahrer hatten das etablierte Netzwerk zerrissen, erwiesen sich selbst gegenüber Gott und seinen Geschenken aber als nicht koalitionsfähig. Von einem Augenblick zum anderen schienen sie von Befreiern in Zerstörer des Heiligen Grabes ‚übersetzt’.

In der Forschungslogik Bruno Latours bildet „jedes Ding, das eine gegebene Situation verändert, indem es Unterschiede macht“, einen Akteur.[22] Diese Definition schließt das Heilige Feuer zweifellos mit ein: Es war kein bloßer Gegenstand der Geschichte, kein passives Objekt diskursiver Sinnzuschreibung, sondern besitzt unübersehbar „phänomenologische Gewalt“[23] über andere Akteure. Seine schiere physische Präsenz – oder eben Absenz – schuf Verbindungen und Verbindlichkeiten, stiftete eine relationale Ordnung zwischen den Anwesenden und verlieh damit dem Osterfest seine spezifische Dramaturgie. Die Protagonisten des Jahres 1101 adaptierten das veränderte Drehbuch und akzeptierten scheinbar demütig ihre ‚Übersetzung’ in reuige Büßer. Der Patriarch zog gleichwohl alle Register, um aus seiner gewandelten Rolle heraus neuerlich Bündnisverhandlungen mit dem Spender des Heiligen Feuers anzuknüpfen. Er legte ein ausführliches Sündenbekenntnis ab, gab den Bischofsstab zugleich mit dem geistlichen Hirtenamt aus der Hand, warf sich unter Tränen flehentlich zu Boden und forderte die Anwesenden auf, es ihm gleich zu tun.[24] Doch alle Demutsgesten genügten nicht, um Gehör bei Gott zu erlangen. Daimbert sah sich daher genötigt, dem zunehmend riskanten Aushandlungsprozess ein abruptes Ende zu setzen. Der versammelten Menge stellte er in öffentlicher Predigt vor Augen, dass gerade mit der Gewinnung Jerusalems für die Christenheit jeglicher Anlass für göttliche Gnadenzeichen entfallen sei: „Solange sich diese heilige Stadt in der Gewalt der Heiden befand, war es gut und gerecht, dass Gott durch seine Wunderwerke die Ungläubigen zum Glauben führte“.[25] Diese gedankliche Kapriole eröffnete die Aussicht, den lateinischen Eroberern ihre Identität als Befreier des Heiligen Grabes zurückzugeben. Allein, nur die sapientiores unter den Zuhörern zeigten sich geneigt, das veränderte Deutungsangebot anzunehmen.[26] Daimbert entschloss sich daher, den Schauplatz zu wechseln und auf diese Weise einen neuen materiellen Akteur zu rekrutieren. Barfüßig führte er eine Bittprozession zum Tempel Salomons, der aus biblischer Tradition heraus als geeigneter Ort erschien, in Zwiesprache mit dem Allerhöchsten zu treten. Griechen und Syrer hingegen blieben in der hereinbrechenden Dämmerung betend und klagend vor den verschlossenen Pforten der Grabeskirche zurück.[27] Dieses Neu­­arrangement führte endlich zum Erfolg: In den ersten Morgenstunden des Ostertages wurde vermeldet, dass zwei Leuchter im Kircheninneren durch göttliche Einwirkung entflammt seien. Der Patriarch eilte mit den Schlüsseln schleunigst zum Heiligen Grab zurück und zündete dort die erste Wachskerze an. Jubel erhob sich, Glöckchen wurden in der ganzen Stadt geläutet und der Chronist Fulcher ließ gemeinsam mit anderen das Kyrie eleison erschallen. Die Klänge der griechischsprachigen Liturgie etablierten sich damit erneut als Mittler, der die einheimischen Christen als Rechtgläubige rehabilitierte.[29] Kaum hatten die Lateiner die Kirche verlassen, wiederholte sich das Lichtwunder während der Messe der Syrer und bis zur Vesper hatten sich 16 Lampen scheinbar ohne menschliches Zutun entzündet.[28] „Wie sehr wir auch zuvor gelitten hatten, so sehr frohlockten wir nunmehr angesichts des Wunders“, so resümiert Fulcher von Chartres den Ausgang des Geschehens.[30] Durch die Reintegration des materiellen Akteurs wurden die menschlichen Mitwirkenden erneut ‚übersetzt’.

Tatsächlich wandelte sich mit der Wiederkehr des Wunders die Kräftekonstellation des Kreuz­­fahrerkönigreiches grundlegend. Daimbert von Pisa wurde „von allen nach übereinstimmendem Willen und Zuspruch wiedergewählt“[31] – konnte seine Position also vorübergehend stabilisieren. Sein Nachfolger Ebremar beeilte sich am Jahreswechsel 1102/3, den ritus anteriorum in der Grabeskirche wieder einzuführen, verbunden vermutlich mit einer Pfründen­restitution zugunsten des einheimischen Klerus.[32] Der Kirchenbau avancierte in der Folge zum multirituellen Ort, der von Lateinern, Griechen, Syrern, Armeniern und Kopten simultan genutzt wurde.[33] Zumindest in den Augen des Armeniers Matthias von Edessa markierte das Ausbleiben des Lichtwunders den historischen Wendepunkt: „Als also die Franken dieses furchterregenden Fingerzeigs gewahr wurden, der eine göttliche Ermahnung darstellte, da (…) stellten sie jede Gemeinschaft wieder an ihren angestammten Platz.“[34] König Balduin I. schließlich gelangte zu einem günstigen Vertragsabschluss mit den Genuesen, deren Flotte ihm wenige Wochen später die Einnahme der Küstenstadt Arsuf ermöglichte. Er trat als Garant religiöser Pluralität in die Fußstapfen der muslimischen Emire und etablierte sich als Zentralfigur des Zeremonialgeschehens, der unter anderem die erste am Heiligen Feuer entzündete Kerze zustand.[35] Die neue Allianz präsentierte sich damit als Aktualisierung altbewährter Assoziationen.

Menschen und Dinge zusammendenken

Das Heilige Feuer des Jahres 1101 scheint mit jenem Tageslichtprojektor vergleichbar, dessen Ausfall Bruno Latour exemplarisch schildert: Erst das Eintreten der Funktionsstörung macht die Existenz des Gerätes vollends bewusst und enthüllt das Netzwerk aus Ersatzteilen, Lieferanten und Monteuren, die mit ihm verbunden sind: „Wir konzentrieren uns nicht länger auf das Objekt, sondern sehen eine Gruppe von Menschen um dieses Objekt“. Der Moment der Krise vermag die Vielfalt der Verbindungen in einer ‚Blackbox’ sichtbar zu machen, die sonst „vollkommen unsichtbar im Hauptprogramm unseres Handelns“, dem großen Gang der Geschichte, verschwindet.[36] Das Ausbleiben des Lichtwunders leistet Ähnliches: Es lenkt den Blick auf Assoziationen, die gewöhnlich unter dem Berichthorizont unserer Quellen bleiben. Es offenbart, wie sich der Lauf der Geschichte durch das Dazwischentreten materieller Handlungsträger, eines widerständigen Netzwerkknotens, performativ veränderte.

Vollständig aufschlüsseln lässt sich der Inhalt der ‚Blackbox’ indes nicht mehr, das Mirakelereignis entfaltet seine Mobilisierungseffekte nur als inenarrabile mysterium.[37] Allein einige arabische Autoren suchen mit Hilfe vermeintlich „rational technische[r] Erklärungen“ und in unverkennbar polemischer Absicht zum Kern des Geschehens vorzudringen.[38] Die Lampen würden vermittels eines Auslösemechanismus über ein balsamgetränktes Seil artifiziell ‚ferngezündet’.[39] Als Drahtzieher glaubt die moderne Forschung überwiegend die griechisch-ortho­doxe Geistlichkeit aus­ge­macht zu haben, deren „fromm gemeinte[n] Feuerwerkszauber (…) um 1100 von den Kreuzfahrern noch nicht durchschaut wurde“.[40] Sie hätte ihren Wissensvorsprung in manipulativer Weise zur Diskreditierung des lateinischen Patriarchen ausgespielt.

Kon­stru­iert wird unter der Prämisse naturwissenschaftlicher Faktizität mithin eine einfache Kausalkette, die dem komplexen Geflecht von Interessen und Identitäten kaum gerecht werden kann. Die ANT schließt hingegen mit dem Prinzip eines ‚allgemeinen Agnostizismus’[41] die Privilegierung scheinbar objektiv-technischer Lesarten aus. Ihr Credo, einfach ‚den Akteuren zu folgen’, führt hinter die Kulissen monokausaler Konspirationshypothesen und holt sämtliche Handlungsträger auf die Bühne historischer Interpretation. Dort treten sie nicht als autonom agierende Virtuosen, sondern als Gesamtensemble in Erscheinung. Sie autorisieren und befähigen sich wechselseitig dazu, Handlungsmacht über andere auszuüben: Nicht ‚die Orthodoxen’ oder ‚der Zündmechanismus’ machten am 2. April 1101 Geschichte. Erst das Zusammenspiel aller Kräfte gestaltete das Drama jenes denkwürdigen Osterfestes.

In Szene gesetzt wurde das Stück demnach weder durch einen individuellen Akteur noch durch eine überwölbende Idee. Sein Skript lässt sich schwerlich aus dem Ideal christlicher caritas oder gar einem kategorischen Imperativ ableiten. Die ANT hilft dabei, das ‚Königreich der Himmel’ zu stürzen: Die Notwenigkeit zur friedlichen Koexistenz, die „Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft“[42], bildet nicht das moralische Apriori der Ereigniskette. Sie beschreibt allenfalls das zeitweilig stabile Ergebnis erfolgreicher Netzwerkbildung. Der Geist weht, anders als im Herrenwort, in der Geschichte eben nicht, wo er will:[43] Er ist gebunden an menschliche und materielle Mittler, an konkrete Handlungen und ihre Settings. Mit ihrem Slogan „schaut nach unten“ ermahnt die ANT dazu, fleißig den unmittelbar fassbaren Spuren und Details zu folgen statt als Erklärungsrahmen jenes abstrakte „Gesamtbild“ zu bemühen, „das die Soziologen gern mit einer typischen Geste begleiten, indem sie mit den Händen einen Umriß in der Größe eines Kürbis in die Luft zeichnen.“[44] Eine solche Sichtweise korrespondiert erstaunlich eng mit dem sorgsam gehegten Selbstbild einer empirieorientierten Mittelalterforschung.

Sollte sich die Mediävistik demnach auf den Ameisenpfad begeben? Untersuchungsobjekte jedenfalls gäbe es genug. Bedenkt man, dass Bruno Latour bislang scheinbar banale Alltagsdinge wie Hotelschlüssel, Türschließer oder Sicherheitsgurte zum Ausgangspunkt seiner Analyse gemacht und sogar Comicstrips als Quellenbasis verwendet hat, besteht hinsichtlich der Materialgrundlage kaum ein Mangel. Im Gegenteil: Indem die ANT materielle Artefakte als Mitwirkende begreift, erweitert sie den Quellenfundus historischen Arbeitens beträchtlich. Bleibt der bisweilen schwer erträgliche theoretische und terminologische Ballast, der die Bündnisangebote Latours begleitet. Die Frage der Anschlussfähigkeit entscheidet sich letztlich innerhalb des wissenschaftlichen Netzwerkes, das ohne materielle Mittler in Form von Büchern und Blogbeiträgen mithin kaum funktionsfähig sein dürfte.

Bemerkung zur Zitation: Die Publikationsform als Blogbeitrag ermöglicht es, durch Hyperlinks direkt auf Online-Ressourcen zu verweisen. Dies ist hier überall dort geschehen, wo weniger prominente Ausgaben und Aufsätze referenziert wurden, während die Benutzung von google-books, dmgh etc. ins Belieben des Lesers gestellt wird. Alle Links wurden am 26.08.2014 letztmals abgerufen.

[1] Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Aus dem Englischen von Gustav Roßler. Frankfurt a. M. 2007, S. 244, 254.

[2] Unter den zahlreichen verfügbaren Einführungen empfehle ich Ingo Schulz-Schaeffer, Akteur-Netzwerk-Theorie. Zur Koevolution von Gesellschaft, Natur und Technik, in: Johannes Weyer (Hrsg.), Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung. München 2000, S. 187–210 (https://www.uni-due.de/imperia/md/content/soziologie/akteurnetzwerktheorie.pdf) und Andréa Belliger/David J. Krieger, Netzwerke von Dingen, in: Stefanie Samida/Manfred K.H. Eggert/Hans Peter Hahn (Hrsg.), Materielle Kultur. Bedeutungen, Konzepte, Disziplinen. Stuttgart 2014, S. 89–96. Einen instruktiven Lektüreblog, der als erklärender Kommentar fungieren kann, bietet http://peter.baumgartner.name/2009/10/18/gemeinsam-latour-lesen-gll/

[3] Christian Schwaderer, Mauern, Maschinen und Menschen. Das Bewusstsein von Technik, materieller Veränderung und Innovation zwischen 500 und 1200. Tübingen 2013, S. 39 (http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/volltexte/2013/7014/). Der vorliegende Text ist teils als Reaktion auf die Forendiskussionen auf http://mittelalter.hypotheses.org/, teils auf Diskussionsbeiträge der Tagung „Reassembling the Past?! Akteur-Netzwerk-Theorie und Geschichtswissenschaft“, Göttingen 3.–5. Juli 2014 entstanden. Die Frage, ob Mediävisten ANT-fähig sind, wird sich letztlich in der Forschungspraxis erweisen müssen.

[4] Vgl. Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm. 1), S. 229.

[5] Jim Johnson (alias Bruno Latour), Die Vermischung von Menschen und Nicht-Menschen: Die Soziologie eines Türschließers, in: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 237–258, S. 247.

[6] Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm. 1), S. 81.

[7] Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm. 1), S. 245, 82.

[8] Bruno Latour, Über den Rückruf der ANT, in: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 561–572, S. 566. Diesen „Rückruf“ revidiert Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm.1), S. 14, Anm. 24, übrigens erneut.

[9] Vgl. zum Geschehen und Quellenlage Otto Meinardus, The Ceremony of the Holy Fire in the Middle Ages and To-Day, in: Bulletin de la societe d’archeologie copte 16, 1961/62, S. 243–252; Christopher MacEvitt, The Crusades and the Christian World of the East. Rough Tolerance. Philadelphia 2008, S. 115–120; Camille Rouxpetel, Trois récits occidentaux de la descente du feu sacré au Saint-Sépulcre (Pâques 1101): polyphonie chrétienne et stratégies discursives, in: Mélanges de l’École française de Rome – Moyen Âge 126-1/2014 (http://mefrm.revues.org/1932). Unter der älteren Literatur seien hervorgehoben mit ausführlicher Rezeptionsgeschichte: Titus Tobler, Golgatha. Seine Kirchen und Klöster. Nach Quellen und Anschau. St. Gallen/Bern 1851, S. 460–483 (http://books.google.de/books?id=G4tAAAAAcAAJ&hl); sowie Gustav Klameth, Das Karsamstagsfeuerwunder der heiligen Grabeskirche. Wien 1913 (http://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a137177.pdf); Bernhard Schmidt, Die Feier des heiligen Feuers in der Grabeskirche, in: Palästinajahrbuch des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des heiligen Landes zu Jerusalem 11, 1915, S. 85–118 (https://archive.org/details/palstinajahrbu1915dalm).

[10] Josef Ackermann, Das ‚Itinerarium Bernardi Monachi’. Edition – Übersetzung – Kommentar (MGH Studien und Texte 50). Hannover 2010, S. 115–127, c. 11, S. 121.

[11] Begriffe ‚Enrolement’, ‚Heilige Allianz’ und ‚obligatorischer Passagepunkt’ erläutert bei Michel Callon, Einige Elemente einer Soziologie der Übersetzung: Die Domestikation der Kammmuscheln und der Fischer der St. Brieuc-Bucht, in: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 135–174, S. 150.

[12] Vgl. zur Frühphase Thomas Pratsch, Der Platz der Grabeskirche in der christlichen Verehrung im Osten, in: Ders. (Hrsg.), Konflikt und Bewältigung. Die Zerstörung der Grabeskirche zu Jerusalem (Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 32). Berlin/Boston 2011, S. 57–66, hier S. 62–65.

[13] Vgl. Paul E. D. Riant, Lettre du clerc Nicétas à Constantin VII Porpphyrogénète sur le Feu sacré (avril 947), in: Archives de l’Orient latin 1, 1881, S. 376–382 (https://archive.org/details/archivesdelorie01parigoog); Gotthard Strohmaier, Al-Birunis Bericht über das Osterfeuer und den Grabfelsen in Jerusalem, in: Ders. (Hrsg.), Hellas im Islam. Interdisziplinäre Studien zur Ikonographie, Wissenschaft und Religionsgeschichte (Diskurse der Arabistik 6). Wiesbaden 2003, S. 186 f, S. 187; Chronicon Hugonis monachi Virdunensis et Divionensis, hrsg. von Georg Heinrich Pertz (MGH SS 8). Hannover 1848, S. 280–503, hier S. 396; Rodulfus Glaber, Historiarum Libri Quinque, hrsg. von Neithard Bulst/John France. Oxford 1989, IV 19, S. 202. Interessanterweise befürchtet Niketas den Waffeneinsatz der Muslime für den Fall, dass das Feuer erscheint, Hugo von Flavigny hingegen im umgekehrten Fall.

[14] Übers. nach Richard Hartmann, Arabische Berichte über das Wunder des heiligen Feuers, in: Palästinajahrbuch des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des heiligen Landes zu Jerusalem 12, 1916, S. 76–94, S. 82 f. Siehe auch: Eilhard Wiedemann, Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaft XII, in: Sitzungsbericht der physikalisch-medizinischen Sozietät zu Erlangen 89, 1907, S. 200—225, S. 200–225, S. 205 f. (https://archive.org/details/sitzungsbericht00erlagoog) Ähnlich argumentieren nach Riant, Lettre du clerc Nicétas (wie Anm. 13), S. 377 auch die Schreiber des lokalen Emirs gegenüber dem Kalifen.

[15] Vgl. Michael Matzke, Daibert von Pisa. Zwischen Pisa, Papst und erstem Kreuzzug (Vorträge und Forschungen. Sonderband 44). Sigmaringen 1998, bes. S. 178–187; Klaus-Peter Kirstein, Die lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Von der Eroberung der Heiligen Stadt durch die Kreuzfahrer 1099 bis zum Ende der Kreuzfahrerstaaten 1291 (Berliner Historische Studien 35). Berlin 2002, hier S. 62, 486 f.

[16] Vgl. Johannes Pahlitzsch, St. Maria Magdalena, St. Thomas und St. Markus. Tradition und Geschichte dreier syrisch-orthodoxer Kirchen in Jerusalem, in: Oriens christianus 81, 1997, S. 82–106, S. 85.

[17] Übers. folgt: Ara Edmond Dostourian (Hrsg.), Armenia and the Crusades. Tenth to Twelfth Centuries: The Chronicle of Matthew of Edessa. Lanham/New York/London 1993, S. 179 sowie knapper: Edouard Dulaurier (Hrsg.), Chronique de Matthieu d’Edesse (Bibliothèque historique arménienne). Paris 1858, S. 1–322, S. 234. Zum Häresieverdacht generell vgl. MacEvitt, Crusades (wie Anm. 9), S. 100-106.

[18] Historia belli sacri/Tudebodus imitatus et continuatus, in: Recueil des historiens des croisades. Historiens occidentaux, Bd. 3. Paris 1866, S. 165–229, S. 226 f. Hingegen berichtet Guibert von Nogent, wohl ex post, von Schwierigkeiten, siehe Heinrich Hagenmeyer (Hrsg.), Fulcheri Carnotensis Historia Hierosolymitana. Heidelberg 1913, S. 836 (https://archive.org/details/historiahierosol00foucuoft).

[19] Ebd., S. 395. Dieser Satz findet sich in allen Fassungen der Chronik, die Handschrift L enthält jedoch einen weitaus ausführlicheren Text, der bei Hagenmeyer gemeinsam mit weiteren Berichten zum Ereignis auf S. 831-–837 wiedergegeben ist.

[20] Neben den hier verwendeten, bei Hagenmeyer abgedruckten Versionen Fulchers (S. 831–834), Bartolfs de Nagis (S. 834–836) und Guiberts von Nogent (S. 836 f.) berichten ausführlich: Cafari Annales Ianuenses, hrsg. von Georg Heinrich Pertz (MGH SS 18). Hannover 1863, S. 1–39, S. 12 f. und Ekkehard von Aura, Chronik, hrsg. von Franz-Josef Schmale/Irene Schmale-Ott (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters 15). Darmstadt 1972, Rec. I, S. 123–209, hier S. 176–178.

[21] Fulcheri Carnotensis Historia (wie Anm. 18), S. 831.

[22] Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm. 1), S. 123.

[23] Lars Frers, Zum begrifflichen Instrumentarium – Dinge und Materialität, Praxis und Performativität (http://userpage.fu-berlin.de/frers/begriffe.html).

[24] Die Stabniederlegung nur bei Bartolfs de Nagis, S. 834 f.

[25] Cafari Annales Ianuenses (wie Anm. 20), S. 12: Donec civitas ista sancta in potestate infidelium erat, bonum et equum fuit, ut Deus miracula faciendo, incredulos ad fidem reduceret.

[26] Fulcheri Carnotensis Historia (wie Anm. 18), S. 832.

[27] Bartolf (wie Anm. 18/20), S. 835, ergänzt als einziger Augenzeuge die Armenier, die auch an einer Stelle durch Guibert von Nogent (wie Anm. 18), S. 837, erwähnt werden.

[28] Zum Stellenwert von Klang und Raum vgl. eindrucksvoll ROUXPETEL, Trois récits occidentaux (wie Anm. 9).

[29] So Ekkehard von Aura, Chronik (wie Anm. 20), S. 178, der hier einen Brief des Priesters und Augenzeugen Hermann zitiert. Auch Fulcher (wie Anm. 18/20), S. 833, berichtet, dass zu einem späteren Zeitpunkt zwei Lampen entflammt seien.

[30] Fulcheri Carnotensis Historia (wie Anm. 18), S. 833.

[31] Bartolf (wie Anm. 18/20), S. 836.

[32] Matzke, Daibert von Pisa (wie Anm. 15), S. 184; Kirstein, Die lateinischen Patriarchen (wie Anm. 15), S. 162, beide mit Verweis auf Geneviève Bresc-Bautier, Le cartulaire du Chapitre du Saint-Sépulcre de Jérusalem (Documents relatifs à l’histoire des croisades 15). Paris 1984, Nr. 19, S. 72 ff.

[33] Eindrucksvoll bei Theodericus, Libellus de locis sanctis, hrsg. von Robert B. C. Huygens, in: Peregrinationes tres: Saewulf, John of Würzburg, Theodericus (Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, 139). Turnhout 1994, S. 143–197, hier S. 152: Hee sunt professiones sive secte que in ecclesia Iherosolimitana divina peragunt officia, scilicet Latini, Suriani, Armenii, Greci, Iacobini, Nubiani. Hii omnes in conversatione quam in divinis ofiiciis suas quisque habet differentias. Das Ringen um die Bündnisstruktur war damit freilich noch nicht zu Ende. Der russische Abt Daniel, der 1107 dem Lichtwunder beiwohnte, berichtet, dass allein die Lampen des orthodoxen Klerus, die direkt auf dem Grab standen sich wie von selbst entzündet hätten, während die Hängelampen der Lateiner nicht am Wundergeschehen teilgehabt hätten. Übers. August Leskien, Die Pilgerfahrt des russischen Abtes Daniel ins heilige Land 1113–1115, in: Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 7, 1884, S. 17–64, hier 57–61 (https://archive.org/details/zeitschriftdesde07deut).

[34] Wie Anm. 17.

[35] Der liturgische Ablauf des 12. Jahrhunderts ist wiedergegeben im sog. Rituale von Barletta: Charles Kohler, Un Rituel et un Breviaire du Saint sepulchre de Jerusalem, in: Revue de l’Orient latin 8, 1900/1901, S. 383–500, hier S. 421: Deinde patriarcha regi, si presens fuerit, et ceteris omnibus obtalum ignem déferre vel mittere festinat. Vgl. dazu Iris Shagrir, The Visitatio Sepulchri in the Latin Church of the Holy Sepulchre in Jerusalem, in: Al-Masaq 22,1, 2010, S. 57–77, S. 58 ff. (http://www.openu.ac.il/Personal_sites/iris-shagrir/download/ShagrirAlMasaq.pdf).

[36] Bruno Latour, Über technische Vermittlung: Philosophie, Soziologie und Genealogie, in: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 483–528, hier S. 492.

[37] So Bartolf (wie Anm. 18/20), S. 834.

[38] Dietrich Lohrmann, Östliche Mechanik auf dem Weg nach Europa zur Zeit der Kreuzzüge, in: Hans-Jürgen Kotzur (Hrsg.), Die Kreuzzüge: kein Krieg ist heilig. Mainz 2004, S. 286–295, hier S. 288.

[39] Vgl. Hartmann, Arabische Berichte (wie Anm. 14). Derartige Aussagen lassen sich aus Sicht der ANT als ‚Gegenprogramme’ beschreiben: Sie bemühen sich um eine ‚Übersetzung’ des Wundergeschehens, indem sie ein vermutlich rein virtuelles Seil als Mittler in das Setting einzubringen versuchen und so die Zuordnung der Akteure verändern. Gott wird auf diese Weise aus dem Netzwerk ausgeschlossen.

[40] So Matzke, Daibert von Pisa (wie Anm. 15), S. 185.

[41] Callon, Einige Elemente (wie Anm. 11), S. 167.

[42] So der programmatische Titel: Hans Eberhard Meyer (Hrsg.), Die Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft. Einwanderer und Minderheiten im 12. und 13. Jahrhundert (Schriften des Historischen Kollegs 37). München 1997.

[43] „Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht.“ (Joh. 3,8 nach der Einheitsübersetzung). Dies mag für das Numinose zutreffen, kaum aber für irdische Interaktionen.

[44] Bruno Latour, Gabriel Tarde und das Ende des Sozialen, in: Soziale Welt 52,3, 2001, S. 361–376, hier S. 368.

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Empfohlene Zitierweise:
Jan Keupp: Mediävistik auf dem Ameisenpfad, oder: Mit der ANT das Königreich der Himmel stürzen, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 04. September 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/4237 (ISSN 2197-6120).

 

 

 

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/4237

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“Neue alte Sachlichkeit” – Ein Einführungstext stellt sich zur Diskussion

Seit dem Jahr 2003 fördert die DFG „Wissenschaftliche Netzwerke“, die auf Initiative von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern einen fachübergreifenden Dialog zu einem ausgewählten Thema etablieren. Romedio Schmitz-Esser und ich ergriffen im Sommer 2009 diese Gelegenheit, um einer gemeinsamen Leidenschaft folgend den Dingen des Mittelalters auf den Grund zu gehen.

Wir wussten erstaunlich wenig von dem, auf was wir uns unter dem Titel „Neue alte Sachlichkeit“ einließen. Von einem ‚material turn’ in den Geisteswissenschaften hatten wir damals noch kaum etwas läuten gehört und die ArchäologInnen und KunsthistorikerInnen des dreizehnköpfigen Teams hießen uns wohlwollend lächelnd auf ‚ihrem’ altgewohnten Forschungsterrain willkommen. Die ebenso kontroversen wie konstruktiven Diskussionen der folgenden Jahre erschlossen uns einen ganzen Kosmos innovativer Ideen und Impulse. Der nunmehr in Vorbereitung befindliche Sammelband unternimmt den Versuch, diese Vielfalt an Impressionen konzeptionell zu bündeln und in einen Einführungstext zu überführen, der sich wiederum an Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler richtet.

Im Hinblick auf die inspirierenden Erfahrungen der Netzwerkarbeit möchten wir diesen Schritt ebenfalls nicht in stiller Heimarbeit vollenden. Wir freuen uns daher über die Gelegenheit, auf diesem Forum der avisierten Zielgruppe einen ersten Textentwurf vorstellen zu dürfen. Erneut erhoffen wir uns eine reiche Ernte an weiterführenden Einwürfen und Anmerkungen. Dabei geht es sowohl um jene Denkanstöße und Details, die aus Sicht benachbarter Disziplinen zu kritischen Nachfragen provozieren. Ebenso dankbar sind wir für generelle Statements zum Stand mediävistischer Dingwissenschaften, für Literaturhinweise und Korrekturanmerkungen. Zentrales Anliegen unseres Bandes ist es, eine disziplinübergreifende Diskussion über die Dinge der Vergangenheit zu fördern. Damit möchten wir möglichst schon vor der Drucklegung beginnen.

Die Vorpublikation an dieser Stelle versteht sich als Experiment, dessen Fragestellung lautet: Können Blogs als niederschwellige Medien wissenschaftlicher Kommunikation einen Beitrag zu Qualität und interdisziplinärer Anschlussfähigkeit von Printpublikationen leisten? Sind sie ein geeigneter Ort des Austausches fachlicher Expertise? Oder gelten die interessen der User – was völlig legitim wäre – eher dem schnellen Meinungsaustausch über Detailprobleme, etwa die Zitierfähigkeit der wikipedia? Natürlich mag man bei diesem Versuch die Gefahr wittern, das Forum mit halbfertigen Textentwürfen zu überschwemmen. Wir verstehen es daher ausdrücklich als Privileg, diesen Beitrag hier posten zu dürfen. Längerfristige Strategien lassen sich erst mit Blick auf das Ergebnis entwickeln.

Zum Text: Einführung in die “Neue alte Sachlichkeit”

Das Layout versteht sich als ein Vorläufiges, die zahlreichen in den Text gesetzten Kästen bedürfen noch einer endgüligen Platzierung und optischen Abhebung. Sie verstehen sich vornehmlich als optionale Lektüren außerhalb des Argumentationsganges des Haupttextes.

 

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3904

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Twitternde Dozenten werden von Studenten als glaubwürdiger erachtet

http://dx.doi.org/10.1080/17439884.2010.534798 In ihrem 2011 in “Learning Media and Technology” publizierten Beitrag skizziert Kirsten A. Johnson, Assistant Professor in the Department of Communications at Elizabethtown College in the USA die Möglichkeiten einer Verwendung des Kurznachrichtendienstes Twitter, um durch gezieltes Freigeben persönlicher Informationen eine Vertrauensbasis zwischen den Studenten und dem Dozenten zu schaffen. Via Basedow1764 [03.05.2013], http://basedow1764.wordpress.com/2013/05/03/twitternde-professoren-sind-glaubwurdiger

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/05/4193/

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Liturgische Handschriften des Deutschen Ordens im Ordensland Preußen und in der Ballei Böhmen-Mähren. Ein Vergleich


Missale des Deutschen Ordens (Fragment). GStA Berlin, Hs 85, Nr. 361. Foto: Anette Löffler

Liturgische, mittelalterliche Handschriften gelten gemeinhin als omnipotent: überall vorhanden, überall verfügbar und inhaltlich ziemlich gleichartig, ein Stück Massenware. Die Omnipotenz zeigt sich unter anderem bereits an der großen Anzahl von Faksimiles einzelner liturgischer Handschriften.[1] Die Erschließung liturgischer Codices in den Bibliotheken weist jedoch auf die trotz ihrer äußerlichen Gleichartigkeit sehr unterschiedliche Liturgieausprägung hin.[2] Inzwischen gibt es eine weitreichende Forschung zu diesem Thema aus kodikologischer, theologischer, historischer und musikwissenschaftlicher Sicht.[3]

Die oben aufgeführte Verallgemeinerung muss bezüglich des Deutschen Ordens sehr stark relativiert werden. Natürlich waren die notwendigen liturgischen Texte in den meisten Ordenskirchen vorhanden, aber überliefert haben sich nur sehr wenige.  Dies gilt gleichermaßen für die Balleien im Reich wie für das Ordensland Preußen. Insgesamt ca. 50 liturgische Handschriften und ca. 300 liturgische Fragmente des Deutschen Ordens sind heute bekannt.[4] Die Balleien Böhmen und Mähren sowie Preußen nehmen hier zwei Extrempositionen ein. Während jedoch für Böhmen nur wenige Forschungsergebnisse bezüglich liturgischer Codices zumal des Deutschen Ordens, vorliegen,[5] ist Preußenland vergleichsweise gut erschlossen.[6]

Aus diesen insgesamt wenigen heute noch vorhandenen Handschriften und Fragmenten auf die Liturgie und ihre regionale Ausprägung zu schließen, ist schwierig, aber absolut notwendig. Ein Vergleich von zwei Ordensregionen verdeutlicht die unterschiedlichen Überlieferungsbedingungen… [Den vollständigen Artikel können Sie  h i e r  als pdf-Datei ansehen oder herunterladen].

[1] Eine Zusammenfassung unter http://www2.bsz-bw.de/bibscout/A/AM/AM40000-AM97400/AM58000-AM59900/AM59000/AM.59050.

[2] Über die Handschriftenkataloge zu liturgischen Codices siehe in http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/hs-online.htm. In den letzten Jahren sind verstärkt auch Kataloge liturgischer Fragmente erschienen. Siehe hierzu  Maria Kapp: Handschriftenfragmente im Stadtarchiv Goslar. Teil I: Die liturgischen Fragmente, Goslar 1994. Weiter: Handschriften in Goslar, bearbeitet von Maria Kapp. Wiesbaden 2001 (= Mittelalterliche Handschriften in Niedersachsen, Kurzkatalog 5). Ausgewählte liturgische Fragmente aus der Bischöflichen Zentralbibliothek Regensburg. Aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens des Liturgiewissenschaftlichen Instituts Regensburg (Institutum Liturgicum Ratisbonense), hg. von Karl Joseph Benz, unter Mitarbeit von Raymond Dittrich. (Bischöfliches Zentralarchiv und Bischöfliche Zentralbibliothek Regensburg, Kataloge und Schriften, hg. von Paul Mai, Band 23) Regensburg 2007. Konrad Wiedemann / Bettina Wischhöfer: Einbandfragmente in kirchlichen Archiven aus Kurhessen-Waldeck (Schriften und Medien des Landeskirchlichen Archivs Kassel 21). Kassel 2007.

[3] Hier sei nur auf einige Beispiele verwiesen: Hanns Peter Neuheuser: Rechtssicherung durch Sakralisierung. Die Eintragung von Rechtstexten in liturgische Handschriften, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Kanonist. Abt. 121 (2004), S. 355-405. Paula Väth: Die spätmittelalterlichen liturgischen Handschriften aus dem Kloster Salem (Europäische Hochschulschriften, 28, 178), Frankfurt a. M. et al. 1993.

[4] Diese werden heute in der Staatsbibliothek Bamberg, der KBR Brüssel, der BPGAN Danzig, der ULB Darmstadt, der ULB Fulda, der WLB Stuttgart, der Seminarbibliothek Pelplin, der BM Laon, der KB Stockholm, der StB Olmütz, dem GStA Berlin, dem PfarrA Wissembourg, dem Archiv Utrecht, im HStA Marburg, Pfarrarchiv Lengmoos, Musée La Chartreuse in Molsheim sowie im Zentralarchiv des Deutschen Ordens Wien aufbewahrt.

[5] Hana Vlhovä: Katalogisierung und Edition mittelalterlicher liturgischer Handschriften aus Böhmen, in: Die Erschließung der Quellen des mittelatlerlichen liturgischen Gesangs, hg. von David Hiley, Wiesbaden 2004, S. 217-240.

[6] Zu den Katalogen der liturgischen Fragmente siehe Fußnote 47. An Spezialuntersuchungen Henryk Piwoński: Kult swiętych w zabytkach liturgicznayh Krzyżaków w Polsce (Heiligenverehrung in liturgischen Schriften der Deutschordensritter in Polen), in: Archiwa, Biblioteki i Musea Kościelne 42 (1983), S. 284-346. Ders.: Indeks sekwencij w zabytkach liturgicznych Krzyzakow w Polsce (Index sequentiarum in monumentis liturgicis Cruciferorum in Polonia), in: Archiwa, Biblioteki i Muzea Kościelne 51 (1985), S. 221-244. Waldemar Rozynkowski: Krzyżackie księgi liturgisczne w parafiach diecezij: Chełmińskiej, Pomezańskiej, Warmińskiej oraz Włocławskiej po 1466 roku, in: Kościół w Polsce, hg. von Jan Walkusz (Dzieje i kultura 4), Lublin 2005, S. 237-246.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/861

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Policey, Biopolitik und Liberalismus

Wolfgang Neurath: Policey, Biopolitik und Liberalismus. Vom Zugriff der Macht auf das Leben (Bios), in: Medienimpulse 2/2012

Wolfgang Neurath beleuchtet die Debatten zur Biopolitik aus historischer Perspektive und zeigt auf, wie das Foucaultsche Konzept der gouvernementalité von der Policey des 18. Jahrhunderts bis hin zum aktuellen (Neo)liberalismus seine Macht keineswegs verloren hat.

Online unter: http://www.medienimpulse.at/articles/view/432

Quelle: http://www.univie.ac.at/policey-ak/?p=575

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“Une machine merveilleuse” de police dans la monarchie des Habsbourg dans les années 1770 et 1780

Anton Tantner macht auf einen Aufsatz von Pavel Himl aufmerksam:

Himl, Pavel: “Une machine merveilleuse” de police dans la monarchie des Habsbourg dans les années 1770 et 1780, in: Das Achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des Achtzehnten Jahrhunderts, 25.2010, S. 305 – 317. (=Lebeau, Christine/Schmale, Wolfgang (Hg.): Images en capitale: Vienne, fin XVIIe – début XIXe siècles / A Capital City And Its Images: Vienna in an 18th-Century Perspective / Bilder der Stadt: Wien – das lange 18. Jahrhundert. Bochum: Dieter Winkler, 2011).

Online ist nur eine leicht adaptierte Version: http://irhis.recherche.univ-lille3.fr/dossierPDF/CIRSAP-Textes/Himl.pdf

via http://adresscomptoir.twoday.net/stories/41784570/

Quelle: http://www.univie.ac.at/policey-ak/?p=558

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