13. Interdisziplinäre Sommerakademie des Zentrums für Mittelalter- und Renaissancestudien (ZMR) „Piraten“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München (02. bis 06. September 2013)

By Astrid Riedler-Pohlers, Claudia Hefter, Anil Paralkar
Veranstalter: Zentrum für Mittelalter- und Renaissancestudien an der Ludwig-Maximilians- Universität, München
Organisation: Prof. Dr. Eva Haverkamp, Dr. Karoline Döring
Datum, Ort: 02. bis 06. September 2013, München

Die Seeleute (K.Döring, 2013)

Die Seeleute
(K.Döring, 2013)

Das Zentrum für Mittelalter- und Renaissancestudien der Ludwig-Maximilians-Universität München, hervorgegangen aus dem Projektforum Mittelalter und frühe Neuzeit, widmet sich seit seiner Gründung im Jahre 2008 der Erforschung und Lehre im Bereich der mediävistischen Wissenschaften. Dabei stützt sich das Zentrum auf über 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sechs unterschiedlichen Fakultäten. Auch in diesem Jahr konnten die Teilnehmenden der mittlerweile 13. Sommerakademie von dieser einmaligen Vielfalt interdisziplinärer Forschung profitieren. Vom 2. bis 6. September 2013 stand die Veranstaltung dieses Jahr unter der Flagge der „Piraten“.

So stach am Montag eine Crew aus 30 Studierende internationaler Universitäten in See, um gemeinsam mit Kapitän Eva Haverkamp (Mittelalterliche Jüdische Geschichte) und Steuerfrau Karoline Döring (Mittelalterliche Geschichte) die schwierigen Gewässer um den Begriff „Piraterie“ herum zu befahren. Als Grundlage diente eine Einführung in die teilweise unklare Terminologie, wie beispielsweise dem Unterschied zwischen Pirat und Kaperfahrer. Ein weitreichender Fragenkatalog sollte Denkanstöße für die Module der kommenden Tage geben. Ein Versuch das Phänomen zu lokalisieren führte dessen Internationalität vor Augen. Besondere Berücksichtigung fand dabei die Perspektive jüdischer Kaufleute als Opfer von Piraterie im Indischen Ozean.

Im Anschluss präsentierte Albrecht Berger (Byzantinistik) eine umfassende Darstellung der „Pirates of the Aegean – Piraten im griechisch-byzantinischen Raum von der Spätantike bis zum 15. Jahrhundert“. Hierbei zeigte, er dass Völkerwanderungen häufig mit Piraterie einher gingen. Eine besondere Rolle kam dabei Kreta zu, welches als Tor zur Ägäis häufig als Piratennest diente. Im Zuge seiner Ausführungen wies er auf Piraten als populäres literarisches Motiv seit der Spätantike hin. Die Breite des Themas regte dazu an, sich mit den einzelnen Zeitabschnitten noch einmal im weitergehenden Studium gezielt zu befassen.

Unter dem Motto „Piraterie und Kaperfahrt im spätmittelalterlichen Hanseraum“ gab Kilian Bauer (Mittelalterliche Geschichte) einen Einblick in Welt und Struktur der deutschen Hanse. Daraufhin stellte er die dortigen Ursachen für Seeraub und Kaperei in den Raum. Zu einer ausführlichen Diskussion führte die Frage nach dem Selbstverständnis, der Organisation und dem Alltagsleben der Vitalienbrüder. Auch die Interaktion lokaler Machthaber mit den Vitalienbrüdern spielte eine große Rolle.

Der Kapitän mit einem Teil der Mannschaft. Erste Beute (K. Döring, 2013)

Der Kapitän mit einem Teil der Mannschaft: I. Fees, A. Riedler-Pohlers, C. Hefter, J. P. Schirrmacher, A. Paralkar (von links nach rechts). Erste Beute
(K. Döring, 2013)

Inhaltlich schloss Romedio Schmitz-Esser (Mittelalterliche Geschichte) mit dem Thema „Der Leichnam der Piraten (Sterben auf See, Exekution von Piraten)“ unter besonderer Berücksichtigung des norddeutschen Raums an. Der Tod eines Christen auf See stellte ein spezielles Problem dar, weil nicht nur medizinische, sondern auch religiöse Vorstellungen beachtet werden mussten. Im zweiten Abschnitt seines Moduls ging der Dozent auf die öffentliche Hinrichtung von Piraten ein, welche eine abschreckende Wirkung für andere Piraten und ein Gefühl von Sicherheit für die Bevölkerung erzeugen sollte. Dazu diente auch die Wahl der Richtstätte, wie zum Beispiel des Grasbrooks in Hamburg, wo man zwei genagelte Schädel gefunden hat. Zuletzt wurde auf die heutige Medialisierung von Piraten am Beispiel der Gesichtsrekonstruktion des Seeräubers Klaus Störtebeker eingegangen.

Zu Beginn des zweiten Tages stellte Hans-Georg Hermann (Rechtsgeschichte) in seinem Modul „Keine Krankheit und doch von großem Übel: Grundruhr und Strandrecht“ die Definitionen dieser beiden Begriffe vor. Danach stand stets die Frage im Mittelpunkt, ob sich Aneigner fremder Sachen im legalen oder illegalen Bereich bewegten. Hierbei sprach der Dozent nicht nur Beispiele aus der Seefahrt an, sondern ging auch auf die Flussschiffahrt ein. Anhand des Sachsenspiegels und zahlreicher anderer Quellen wurde der signifikante Bedeutungswandel dieses „etablierten Rechtsinstituts“ veranschaulicht. Dieses wurde im Laufe der Geschichte je nach Deutungshoheit des Gesetzgebers kriminalisiert oder schließlich in Form von Bergelohn legalisiert.

Ihren Blick auf Italien und das Mittelmeer richtete Irmgard Fees (Historische Grundwissenschaften) mit der Betrachtung der „Gefahren des Meeres – aus der Sicht venezianischer Kaufleute des 12. Jahrhunderts“. An Hand einer Urkunde des Jahres 1112 führte sie in den Aufbau venezianischer Handelsgesellschaften ein. Unter Berücksichtigung der Handelsrouten wurden Abwehrmaßnahmen der Gesellschaften gegen Piraterie erläutert, wozu Schiffskonvois und Risikostreuung unter den Gesellschaftern dienten. Der stark diplomatische Zugang ermöglichte eine Erweiterung des Blickwinkels bei der Quellenexegese über die rein inhaltliche Betrachtung hinaus.

Arbeit an Deck (K. Döring, 2013)

Die Arbeit an Deck
(K. Döring, 2013)

Karl Borchardt (MGH) präsentierte im ersten Nachmittagsmodul „Piraterie im östlichen Mittel¬meer im Umfeld der Johanniter“. Nachdem sich die Johanniter auf Rhodos niedergelassen hatten, zählte besonders die Bekämpfung der muslimischen Seeräuberei zu ihren Hauptaufgaben. Unterstützung bei diesem Vorhaben fanden sie in Katalonien und in den italienischen Hafenstädten. In ihrem Vorgehen unterschieden sie sich häufig nicht von ihren Gegnern. Noch heute finden sich auf dieser damals strategisch so wichtigen Insel Überreste, die auf die einstige Existenz des Johanniterordens hinweisen. Neben den Ruinen von Zuckerrohrmühlen lebt ihr Andenken vor allem auch in den Straßennamen der Insel weiter, wie es zum Beispiel die Rittergasse heute erahnen lässt.

Erstmalig nahm dieses Jahr auch die Arabistik an der interdisziplinären Sommerakademie teil, vertreten durch Daniel Potthast (Arabistik) mit dem Thema „Die Sicherung der Seewege – Initiativen gegen Piraterie im Schriftverkehr zwischen Aragon und Granada“. Nach einer Einführung in die arabische Begrifflichkeit und die islamische Expansion, wurden völkerrechtliche Grundlagen auf der iberischen Halbinsel besprochen. Im Anschluss an einen Überblick zur Quellenlage folgte die Analyse des diplomatischen Austauschs zwischen Aragon und Granada in Bezug auf freibeuterische Aktivitäten. Besonders beeindruckte das weitreichende Informationsnetz Granadas, welches auch Schäden der einfachen Bevölkerung zur Kenntnis nahm. Zuletzt ging der Dozent auf die besonderen Charakteristika arabischer Briefe ein, was zu einer angeregten Diskussion führte.

Anthony Hu (Sinologie) leitete den dritten Tag der Sommerakademie mit dem Thema „Maritime Traders, Smugglers and Pirates: A Brief Introduction to Piracy in China during the period roughly between the 15th and 18th centuries“ ein. Von besonderem Interesse waren dabei die Gründe für chinesische Piraterie, welche vor allem in Armut und Rebellion gegen den Staat lagen, wobei staatlich auferlegte Handelssperren für den Seeverkehr ebenfalls dazu beitrugen. Folglich war der Übergang zwischen Seekaufleuten, Schmugglern und Piraten häufig fließend. Dies zeigte Anthony Hu an Hand der drei großen Phasen chinesischer Piraterie auf (bis Mitte 3. Jahrhundert, bis Anfang 10. Jahrhundert, 15.-18. Jahrhundert), wobei er besonders auf die späteste Phase einging. Gleichzeitig erläuterte er auch die Machtposition der Piraten, welche zeitweilig Züge eines eigenen Staatsbildungsprozesses annahm.

Roman Deutinger (Mittelalterliche Geschichte) präsentierte „Nordmänner, Dänen, Waräger“ und stellte die Frage „Wer waren die Wikinger?“. Ausgehend von ihrer etymologischen Abstammung erläuterte er die Unterschiede zwischen den nordischen Seevölkern und grenzte die Epoche ihrer Herrschaft zeitlich ab. Außer auf Schiffsbau und Kampftaktik ging der Dozent besonders auf die Motivation der Nordmänner auf víking-Fahrt zu gehen, ein. Das Modul endete mit einem Einblick in die spannende Harald-Hardrades-Saga.

Landgang (K. Döring, 2013)

Der Landgang
(K. Döring, 2013)

Den Nachmittag gestaltete Tanja Jorberg (Kunstgeschichte) im Rahmen einer Führung durch die Alte Pinakothek. Dabei stand „Das neue Raumbewusstsein der Renaissance im Spiegel der Kunst“ im Fokus der Aufmerksamkeit. Den Einstieg bildeten Seedarstellungen von Jan Brueghel d. Ä.. Später führte der Weg in der Pinakothek zu mittelalterlichen Goldgrundbildern und religiösen Darstellungen bei Rembrandt van Rijn, sowie zum Selbstbildnis von Albrecht Dürer. Leider fehlte bei den späteren Ausführungen der Zusammenhang zum Thema der Sommerakademie. Dennoch sollte der Besuch der Alten Pinakothek als Programmpunkt der Akademie beibehalten werden.

Der letzte Tag der Sommerakademie begann mit einem Vortrag von Ulrike Krischke (Anglistik) und Judith Huber (Anglistik), welche gemeinsam über „Pirates, Coursaires, and Skummers of the sea – Eine Begriffsgeschichte“ sprachen. Dies leiteten sie mit einem Überblick über die englische Sprachentwicklung und die englische Piraterie bis zur Frühen Neuzeit ein. Im zweiten Teil des Vortrags wurde vor allem die Entwicklung verschiedener nautischer Begriffe, wie auch der Bezeichnungen für Seeräuber in der englischen Sprache, erläutert. Insbesondere im Altenglischen wurden Freibeuter dabei gerne mit Wikingern assoziiert. Zusätzlich zeigte sich, dass die Begriffe für verbrecherische Piraten und staatlich legitimierte Kaperfahrer fließend waren und eine klare Trennung kaum möglich ist.

„Die zeitgenössische (und moderne) Wahrnehmung der Wikinger am Beispiel Irland“ war Gegenstand des Moduls von Sebastian Zanke (Mittelalterliche Geschichte). Er begann mit einer Einführung zur Geschichte des frühmittelalterlichen Irlands und ging auch auf die Quellenlage ein. Die Analyse der Annals of Ulster diente der genaueren Datierung der beiden großen Phasen von Wikingereinfällen sowie der Untersuchung, wie deren Wahrnehmung in den Quellen greifbar wird. Dabei entstand eine Diskussion über die Begriffsentwicklung, die die zunehmende Integration der neu angesiedelten Wikinger und deren Auswirkungen aufzeigte.

Anschließend setzte sich Anita Sauckel (Nordistik) mit „Óláfr Haraldsson“ auseinander, der als „Pirat und Nationalheiliger“ Gegenstand der Skaldendichtung war. Nach der Vorstellung der verfügbaren lateinischen und altisländischen Quellen zu Óláfr präsentierte die Dozentin seinen Lebenslauf, der geprägt war von Vikingfahrten und Konflikten um den Herrschaftsanspruch in Norwegen. Obwohl seine Taufe keine Erwähnung fand, wurde Óláfr bereits zwei Jahre nach seinem Tod heilig gesprochen. Dies führte zu einer interessanten Debatte darüber, ob man gleichzeitig Pirat und Nationalheiliger sein konnte.

Die Gastcrew aus Moskau beim zweiten Landgang zu den MGH (K. Döring, 2013)

Die Gastcrew aus Moskau beim 2. Landgang zu den MGH
(K. Döring, 2013)

Eine freie Abschlussdiskussion ermöglichte eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Sommerakademie. Hier ruderte man zur ersten Sitzung und der Problematik der Terminologie zurück. Ein Versuch eine eigene Definition von Pirat / Kaperfahrer etc. zu finden, zeigte deutlich, wie schwer es ist, eine klare Abtrennung zu treffen. Besondere Aufmerksamkeit fand dabei die Unterscheidung zwischen Selbstverständnis und Fremdzuschreibung der Seeräuber. Ein Diskussionspunkt war auch Piraterie als Werkzeug zur Kreation und Etablierung von Herrschaft. Daran schloss sich ein allgemeines Feedback an, welches über die Erwartungen der Teilnehmenden an die Sommerakademie resümierte.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Sommerakademie mit ihrer interdisziplinären Herangehensweise und ihrem weitem Blick über etablierte geographische und zeitliche Grenzen hinaus den Studierenden einen Zugang zur bisher wenig erforschten Geschichte der Piraterie von der Spätantike bis zur Frühen Neuzeit ermöglichte. Dadurch konnten bisherige Klischees über Seeräuber, die vor allem durch Romane und Filme über das goldene Zeitalter der Piraterie geprägt waren, gegen historisch fundierte Zugänge ersetzt werden. Leider konnten trotz des sehr breiten und abwechslungsreichen Programms Themen der Lebenswirklichkeit der Piraten (z. B. Schiffsbau, Erkennungszeichen und Selbstverständnis) nur wenig behandelt werden. Trotz starker Bemühung konnte eine chronologische und thematische Abfolge der Kurseinheiten nicht immer eingehalten werden. Die sehr quellennahe Arbeit schuf jedoch die Grundlage für eine stets sehr angeregte und angenehme Diskussionsatmosphäre. Diese wurde zudem durch die Teilnahme fünf russischer Studentinnen der HSE unter der Leitung von Michail A. Bojcov, welche eigens zur Sommerakademie aus Moskau angereist waren, stark gefördert. Durch die gute Zusammenarbeit sowohl der Teilnehmenden als auch des sehr engagierten Dozierendenteams kann die Sommerakademie als voller Erfolg verstanden werden. Wir würden uns freuen in den kommenden Jahren weiterhin in diesem Fahrwasser mitsegeln zu können und wollen mit einem lauten, bejahenden „ARRRR“ enden! Schiff ahoi!

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2728

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Review: 3. Alfried Krupp-Sommerkurs für Handschriftenkultur an der Universitätsbibliothek Leipzig (8.-14.9.2013)

Renaissance der Sommerkurse

Wenn sich der Sommer und die Vorlesungszeit ihrem Ende entgegen neigen, beginnt für den akademischen Nachwuchs die Zeit der Sommerkurse. Gerade im Bereich der mediävistischen Hilfswissenschaften scheint sich diese Form der Fortbildung zunehmender Beliebtheit zu erfreuen, wie zwei unlängst auf diesem Portal erschienene (und sehr positive) Erfahrungsberichte vermuten lassen.

Auch die Universitätsbibliothek Leipzig bietet seit drei Jahren Sommerkurse für Handschriftenkultur an, deren Realisierung sich der großzügigen Förderung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung (kurz: Krupp-Stiftung) verdankt. Ein Kurs zur mittelalterlich-abendländischen Handschriftenkunde konnte vom Handschriftenzentrum der UB Leipzig im September diesen Jahres in Zusammenarbeit mit dem Mediävisten-Verband zum zweiten Mal stattfinden .

Diese zunehmende Häufung solcher Kursangebote hat dabei nicht etwa zu einem redundanten Überangebot geführt, im Gegenteil: Das Panorama der handschriftenzentrierten Sommerkurse in Deutschland erscheint durch eine jeweils eigene Schwerpunktsetzung erfreulich bunt.

Von eher inhaltlich orientierten Kursangeboten, etwa dem Sommerkurs in Wolfenbüttel, reicht die Palette über im klassischen Sinne hilfswissenschaftliche Fortbildungsangebote, wie den kürzlich rezensierten Münchner Sommerkurs, bis zum umfangreichen Lehrgang SCRIPTO (und diese Liste ließe sich sicherlich beliebig fortsetzen). Sommerkurse bieten damit damit zunehmend eine notwendige und sinnvolle Ergänzung zum Curriculum an den Universitäten, an der die historischen Grundwissenschaften ja bekanntermaßen im Schwinden begriffen sind.

Handschriftenkultur im Fokus

Auch der Leipziger Sommerkurs unter der Leitung von Dr. Christoph Mackert hat einen ganz eigenen Zugang und Schwerpunkt gewählt und damit mit den Worten des Kursleiters „ein Experiment gewagt“, das meiner Ansicht nach durchaus geglückt ist. Ein weiterer – nunmehr dritter – Erfahrungsbericht auf diesem Blog scheint daher durchaus gerechtfertigt.

Die „Leipziger Schule“ zeichnet sich dabei durch einen fast schon holistischen Ansatz aus, der nicht nur einzelne Aspekte der Handschriftenkunde in den Blick nimmt, sondern sich im Grunde der Handschriftenkultur des Mittelalters als Ganzes widmet. Neben einer inhaltlichen Erschließung dieses breiten Feldes liegt eine Besonderheit des Kurses in der umfangreichen und (angeleitet) selbstständigen Arbeit der Teilnehmer mit dem Originalmaterial, den Handschriften. Thematischer Schwerpunkt des diesjährigen Kurses war vor allem der Bereich der Musikpaläographie und Liturgie. Trotz der fundamentalen Rolle dieser Bereiche für die mittelalterliche Kultur betrat der überwiegende Großteil der Teilnehmer mit dieser Themensetzung #Neuland, ein Umstand, der sicherlich als Verdienst des Kurses zu gelten hat.

Kursprogramm

Während der erste Leipziger Sommerkurs 2011 sich als Einführung in die Bearbeitung historischer Buchbestände und das Erkenntnispotential materialbasierten Forschens verstand, richtete sich der diesjährige Kurs an fortgeschrittenere Teilnehmer, die sich im Rahmen einer Abschlussarbeit oder Dissertation bereits mit den Grundlagen der Handschriftenarbeit vertraut gemacht haben. Die Einheiten des Kurses konzentrierten sich daher weniger auf das grundsätzliche Arbeiten mit Handschriften, sondern mehr auf die inhaltliche Vertiefung verschiedener Bereiche der Handschriftenkultur des Mittelalters.

Trotzdem begann der Kurs mit einer knappen und sinnvollen paläographischen Einheit durch Prof. Gerlinde Huber-Rebenich (Universität Bern). Hier wurden die Kenntnisse der Teilnehmer aufgefrischt und gute Tipps aus der paläographischen Praxis vermittelt.

Dieser handwerklichen Einführung folgte am Dienstag ein sehr dichter inhaltlicher Einführungsteil unter dem Schlagwort „Textüberlieferung des Mittelalters“. In jeweils etwa einer halben Stunde stellten ausgewiesene Experten einen(/ihren), für die Handschriftenkultur des Mittelalters relevanten Bereich vor: zunächst Dr. Chris Wojtulewicz (King’s College London) den Bereich der Theologie; dann Prof. Susanne Lepsius (Universität München) Recht; Prof. Iolanda Ventura (Université d’Orléans) führte in das Gebiet der mittelalterlichen Medizin ein; Dr. Mackert endete mit einer Übersicht über die Artes liberales. Neben einer systematischen Einführung wurde hier vor allem die handschriftliche Praxis des jeweiligen Gebietes vermittelt.

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Chris Wojtulewicz stellt theologische Handschriften vor

Das Konzept einer halbstündigen Einführung mag vielleicht dem jeweiligen Kenner der Disziplinen als nicht ausreichend erscheinen. Für die wirklich interdisziplinäre Gruppe stellte es sich aber als hervorragend geeignet heraus, um die Teilnehmer für bislang (in unterschiedlichem Maße) fremde Disziplinen zu sensibilisieren. Dieser ganze Block war inhaltlich und zeitlich ziemlich dicht, die kurzweiligen und vor allem praxisnahen Vorträge aber noch im Bereich des Aufnehmbaren.

Während die inhaltliche Sitzung am Dienstag Bereiche behandelte, die den meisten Teilnehmern wohl irgendwie geläufig waren, so führten die Einheiten von Mittwoch und Donnerstag den Großteil von ihnen auf unbekanntes Terrain. In zwei größeren Blöcken stellten Prof. Jeremy Llewellyn (Schola Cantorum Basiliensis) und Prof. Felix Heinzer (Universität Freiburg) die mittelalterliche Musik und Liturgie bzw. die musikalische und liturgische Handschriftenkultur vor. Dieses Feld, das wohl einen der wichtigsten Bereiche der mittelalterlichen Kultur und ihrer handschriftlichen Überlieferung darstellt, wird außerhalb der jeweiligen Spezialdisziplin häufig leider nicht ausreichend vermittelt. Schnell wurde deutlich, dass dieser Umstand wohl auch in der hohen Komplexität des Materials begründet liegt.

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Jeremy Llewellyn erklärt mittelalterliche Notationssysteme

Trotzdem gelang es beiden Dozenten eine Basis zu vermitteln und vor allem Interesse zu wecken, auf das sich aufbauen lässt: Zunächst führte Jeremy Llewellyn anhand des Leipziger Thomas-Graduale in das weite Feld der mittelalterlichen Musik, vor allem aber in die Musikpaläographie ein. Dass es ihm dabei gelang, Historikern, Skandinavisten, Germanisten, Anglisten, Buchwissenschaftlern und Kunsthistorikern (und natürlich -innen) in ca. anderthalb kurzweiligen Stunden (unter vielem anderen) den Unterschied von adiastematischen und diastematischen Neumen zu verdeutlichen, spricht auch hier für die Qualität der Lehreinheiten.

 

Am nächsten Tag vermittelte Felix Heinzer die Grundlagen zur Erschließung liturgischer Handschriften und deren historischen Kontexts in Messe und Offizium in ähnlicher Weise. Musik- und Liturgiewissenschaftler wurden die Teilnehmer dadurch natürlich nicht, sicherlich konnte aber die Scheu vieler Teilnehmer vor diesen Handschriften und den mittelalterlichen Notationen genommen werden.

Als besonderes Highlight wurden diese theoretischen Einführungen am Mittwochabend durch einen Einblick in die Praxis des liturgischen Gesangs im Leipziger Thomanerkloster um 1300 ergänzt.

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Felix Heinzer und das Ensemble Amarcord

Auf der Grundlage des Thomas-Graduale interpretierte das Ensemble Amarcord den Gesangsteil einer Liturgiefeier (Kirchweih) in ihrem Ablauf. Jeremy Llewellyn und Felix Heinzer erklärten und kommentierten einem größeren Publikum die Hintergründe der liturgischen Feier und boten ergänzende Hinweise auf die priesterlichen Gebete, Lesungen und kultischen Handlungen zwischen den Messgesängen. Schon allein von der musikalischen Darbietung war der Abend ein Genuss. Übrigens schloss die Bibliotheca Albertina extra für diese Aufführung einige Stunden früher, wofür hier nochmals gedankt sein soll.

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Naumburger Chorbuch

Abgeschlossen wurde der inhaltliche Aspekt des Kurses durch eine freitägliche Exkursion nach Naumburg, wo Archivleiter Matthias Ludwig von den Vereinigten Domstiftern durch den Dom, das Archiv und die Bibliothek führte und dabei einen Einblick in eines der acht riesigen Naumburger Chorbücher gewährte.

Arbeit mit den Handschriften

Soviel zum gelungenen inhaltlichen Programm des Kurses. Meiner Ansicht nach lag die Stärke des Kurses aber vor allem in der Arbeit mit den Handschriften. Zunächst möchte ich vorausschicken, dass das Handschriftenzentrum Leipzig hierfür ideale Bedingungen geschaffen hatte. So war etwa  der Lesesaal extra für uns reserviert worden und Christoph Mackert und sein Team sowie die Dozenten waren jederzeit mit Rat, Tat und dem richtigen Hilfsmittel zur Stelle. Ich persönlich glaube, dass ich durch diese vielen Tipps und Tricks aus der Praxis am meisten gelernt habe.

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Die Handschriften werden ausgewählt

Schon im Vorfeld des Kurses bekamen alle Teilnehmer eine Objektliste der Handschriften aus den im Kurs relevanten Themengebieten. Darunter 30 liturgische Fragmente aus der Zeit vom 9./10. bis ins 15. Jahrhundert, daneben ca. 20 unterschiedlichste Codices, darunter vor allem Objekte, die bislang noch nicht tiefer erschlossen worden sind. Jeweils der halbe Tag war zur Bearbeitung der Handschriften reserviert.

Die Ergebnisse dieser Bearbeitung wurden am Ende des Kurses präsentiert. Hier konnte eigentlich jede Gruppe bislang unbekannte und überraschende Erkenntnisse für eine ihrer Handschriften oder Fragmente vorweisen, so dass die Teilnehmer nicht nur klüger, sondern vor allem um ein kleines Erfolgserlebnis reicher nach Hause gehen durften. Gerade bei der Arbeit mit dem handschriftlichen Original ist das ja nicht unbedingt selbstverständlich.

Teilnehmer und Organisation

Ein paar Worte noch zur Organisation des Kurses: Sehr positiv aufgefallen ist mir die aufwändige und gelungene Organisation des Kurses durch das Team des Handschriftenzentrums, die den Aufenthalt für die Teilnehmer so angenehm und produktiv wie möglich gestaltet haben. Auch die Nachbereitung der Kurseinheiten war durch das Bereitstellen von Materialien, Fotos und Digitalisaten hervorragend und nachhaltig.

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Hilfsmittel werden vorgestellt…

Am wichtigsten und augenscheinlichsten war aber die wirklich angenehme Atmosphäre: zum einen durch die Mitarbeiter und Dozenten, die über das übliche Maß hilfsbereit, hilfreich und offen für Fragen und Gespräche aller Art waren.

Zum anderen ist aber auch das Auswahlkonzept der Kursteilnehmer aufgegangen, bei dem großer Wert darauf gelegt wurde, möglichst viele Leute aus unterschiedlichen Fächern und Universitäten zusammenzubringen. Diese interdisziplinäre Heterogenität der Gruppe mit den jeweils sehr unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmer war aus meiner Sicht ein großer Gewinn für den Kurs.

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… und gewälzt

Zusammenfassend hat das Team des Handschriftenzentrums mit dem diesjährigen Sommerkurs unter großem Einsatz ein beeindruckendes Programm auf die Beine gestellt und dabei für eine so freundliche Atmosphäre gesorgt, die nicht nur das Arbeiten und Lernen gefördert, sondern auch den persönlichen Austausch der Teilnehmer über Fachgrenzen hinweg ermöglicht hat (sowohl während als auch nach dem täglichen Kursprogramm).

Und zu allerletzt noch eine Anmerkung zur Förderung des Kurses durch die Alfried-Krupp-Stiftung. Gerade beim wissenschaftlichen Nachwuchs ist die finanzielle Situation ja durchaus sehr unterschiedlich, ebenso die Reise-, Unterkunfts- und Teilnahmekosten eines solchen Kurses. Der Alfried-Krupp-Stiftung ist es zu verdanken, dass durch die Übernahme all dieser Kosten die Teilnahme am Sommerkurs keine Frage des eigenen Geldbeutels oder Projektbudgets war, was eine Besonderheit des Leipziger Kursangebots darstellt. Ich bin mir nicht sicher, ob Handschriftenkurse bei Stiftungen grundsätzlich oberste Förderpriorität besitzen, ich hatte aber auf jeden Fall den Eindruck, dass das Geld, zumindest am Ertrag des Kurses gemessen, gut angelegt war.

Ich persönlich konnte für mein Dissertations-Projekt viel mitnehmen und fühle mich nun relativ gut auf die Arbeit mit den Handschriften vorbereitet. Dass darüber hinaus auch sehr nette persönliche und „berufliche“ Kontakte entstanden sind, rundet das Bild des Leipziger Sommerkurses nur ab, den ich nachdrücklich jedem Mediävisten empfehlen kann.

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Abschlussfoto

Fotos: Handschriftenzentrum der UB Leipzig

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2644

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Bericht: SCRIPTO VI

Das grundwissenschaftliche Angebot der meisten Unis rangiert von ‘nicht vorhanden’ über ‘eher bescheiden’ bis ‘solide in ausgewählten Bereichen’. Wer sich als Student der Geschichte oder Altphilologie bereits während des Studiums auf den Umgang mit Archivquellen vorbereiten möchte, ist folglich meist auf externe Angebote angewiesen. Das haben inzwischen erfreulicherweise auch diverse Institutionen erkannt, sodass das Angebot an Sommerschulen zu grundwissenschaftlichen Themen derzeit stetig breiter wird.1

Eines dieser Angebote, gerichtet vornehmlich an Graduierte, nennt sich SCRIPTO – Scholarly Codicological Research, Information & Paleographical Tools und wurde diesen Sommer bereits zum sechsten Mal (22.4. bis 28.6. 2013, Erlangen, Teilnahmegebühr: 1280 Euro) unter Leitung von Prof. Dr. Michele Ferrari am Mittellateinischen Seminar der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angeboten.

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Arbeit mit Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg
Foto: Jan Odstrčilik

Ursprünglich entstanden aus dem Wunsch nach einer verbesserten Ausbildung zukünftiger Handschriftenkatalogisierer richtet sich der Kurs vorwiegend an den entsprechenden Bedürfnissen auf, reicht an vielen Stellen jedoch auch darüber hinaus:

Aufgeteilt ist SCRIPTO in vier unterschiedlich umfangreiche Module, von denen die von Prof. Dr. Bernhard Pabst mit großer Langmut und unerschöpflichem Wissensvorrat unterrichtete Texttypologie (mit den Teilmodulen Philosophie und Theologie, Literarisches Schrifttum, Liturgie/Musik und Zeitrechnung sowie Jura und Medizin) den größten Raum einnahm. Dazu gehörten außerdem eine Einführung in die Geschichte und die Standards der Handschriftenkatalogisierung durch Prof. Dr. Michele Ferrari sowie ein von Dr. Tino Licht aus Heidelberg referierter Überblick über die Besonderheiten des Mittellateins. Anhand zahlreicher Beispiele konnten wir hier unter Einsatz der Fachwörterbücher unsere Übersetzungstechnik erproben und uns mit den Tücken des mittelalterlichen Lateins auseinandersetzenfür die Altphilologen unter uns eine leichte Übung, für alle anderen im Zweifel lustiges Formenraten gepaart mit wilder Kombinationstechnik.

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Handschrift: Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. II, 42 (http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0165_b026_JPG.htm)
Foto: Jan Odstrčilik

Das zweite Modul zerfällt in die Bereiche Paläographie und Buchmalerei: Erstere brachte uns Dr. Tino Licht an mehreren Wochenenden mithilfe zahlreicher Beispiele und praktischer Übungen näher. Der letzteren widmeten wir uns unter Anleitung von Dr. Chrstine Jakobi-Mirwald und Dr. Christine Sauer in der Stadtbibliothek Nürnberg, wobei uns zahlreiche Codices aus dem dortigen Bestand zur Anschauung dienten. Auch wenn wir am Ende der Nürnberger Tage Krautblatt und Palmette, bewohnte und historisierte Initiale noch immer nicht ganz zweifelsfrei auseinanderhalten konnten, so gingen wir doch immerhin mit einem grundlegenden Einblick in die faszinierende Welt der Buchmalerei und einer Sensibilisierung für ihre Formenvielfalt ins nächste Modul. Mindestens ebenso wertvoll wie die Vermittlung des theoretischen Know-how war für uns jedoch sicher die Möglichkeit, illuminierte Stundenbücher und Bibeln in unseren eigenen Händen zu halten, die winzigen Pinselstriche der Miniaturen zu bestaunen, den Unterschied zwischen Papier und Pergament zu fühlen, das Schimmern des Blattgoldes mit dem matten Glanz von Pinselgold zu vergleichen – all das zu erfahren, was bei der Anschauung moderner und ach so praktischer Digitalisate verwehrt bleibt.

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Arbeit mit Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg
(Hert. Ms. 3)
Foto: Jan Odstrčilik

Abgerundet wird das Programm durch Modul 4, SCRIPTO digital. Einen Block verbrachten wir hierfür an der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel und einen zweiten in den Räumen der StaBi München. Dabei bestand das Programm in Wolfenbüttel vorwiegend aus einer von Torsten Schaßan dargebotenen Einführung in XML (Extensible Markup Language) und TEI (Text Encoding Initiative), die beide für die Erstellung digitaler Editionen benötigt werden – grundsätzlich sicher eine sinnvolle Ergänzung, für tendenziell technophobe Mediävisten wie mich jedoch schwere Kost, zu deren Verdauung es neben den begleitenden Übungen wohl noch einer vertiefenden Anwendung im Anschluss bedurft hätte. Bis auf eine Führung durch die öffentlich zugänglichen Schauräume der herzoglichen Bibliothek war zu unser aller Bedauern leider keine weitere Nutzung derselben bzw. ihrer Handschriftenschätze vorgesehen.

In München hingegen lag der Fokus auf der Digitalisierung von Handschriften, die uns verschiedene Mitarbeiter der StaBi in Theorie und Praxis näherbrachten. Beliebte Diskussionsthemen waren hier Sinn und Unsinn der massenhaften Handschriftendigitalisierung sowie die daraus folgende, zunehmend restriktive Politik vieler Bibliotheken hinsichtlich der Benutzung von Originalen.

Dieser Widerstreit zwischen dem Schutz und der Konservierung von Handschriften auf der einen und der Notwendigkeit oder dem Wunsch des Mediävisten nach haptischer Anschauung auf der anderen Seite begleitete uns darüber hinaus während des gesamten Kurses in unzähligen Gesprächen. Glücklicherweise hatten wir dank SCRIPTO jedoch den Vorzug, zahlreiche Archivalien sowohl aus der Stadtbibliothek Nürnberg und der UB Erlangen als auch aus der Pfarrbibliothek Neustadt an der Aisch und der Universitätsbibliothek von Uppsala weitgehend unbürokratisch nutzen zu dürfen. Lediglich in Stockholm, neben Uppsala Ziel unserer fünftägigen Schweden-Exkursion, brachte man uns hinsichtlich des Umgangs mit den Handschriften kein allzu großes Vertrauen entgegen und legte uns diese in der Kungliga biblioteket folglich lediglich unter der umblätternden Aufsicht einer gestrengen Bibliotheksmitarbeiterin vor.

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Universitätsbibliothek Uppsala
Foto: Annabell Engel

Neben den Bibliotheken stand insbesondere in Stockholm der Besuch einiger historischer Sehenswürdigkeiten auf dem Programm. – Alles in allem eine nette, für den Inhalt des Kurses jedoch nicht unbedingt notwendige Ergänzung, die zugunsten niedrigerer Kursgebühren wohl auch problemlos hätte eingespart werden können. Dies umso mehr, wenn man uns stattdessen die Möglichkeit eingeräumt hätte, die Bestände in München, Wolfenbüttel und Bamberg zu nutzen, die denen in Uppsala und Stockholm – sieht man einmal vom Codex Gigas ab, den wir zudem lediglich hinter Glas betrachten durften – in ihrer Pracht und Vielfalt sicher in nichts nachstehen.

Bereichernd hingegen war die Tagesexkursion zur Pfarrbibliothek in Neustadt an der Aisch: In einer kleinen, über der Sakristei gelegenen und seit dem 16. Jahrhundert praktisch unveränderten Kammer wird hier ein Teil des etwa 9500 Bände

umfassenden Bestandes aufbewahrt und von Bibliothekar Reinhold Ohlmann in aufopferungsvoller, ehrenamtlicher Arbeit gepflegt und erforscht. Ihren Reichtum verdankt die Kirchenbibliothek in erster Linie der Auflösung des Klosters St. Wolfgang in Riedfeld im Zuge der Bauernaufstände 1525, dessen Bestand ihren Grundstock bildet. Vorteilhaft hat sich zudem neben diversen Bücherspenden und Neuerwerbungen auch ein Paragraph in der Bibliotheksordnung ausgewirkt, der jeden neuen Pfarrer bei Amtsantritt zu einer Bücherabgabe verpflichtete und außerdem bei seinem Tode das wertvollste Stück aus seiner Bibliothek einforderte.2 Dankenswerterweise stellte uns Herr Ohlmann für die Dauer des Kurses einige Bände aus dem Bestand der Bibliothek als Leihgabe zur Verfügung.

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Ein Stundenbuch aus der Stadtbibliothek Nürnberg
(Hert. Ms. 3, http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0177_b131_JPG.htm)
Foto: Jan Odstrčilik

Sowohl in Nürnberg als auch in München hatten wir zudem die Gelegenheit, einen Blick in die dortigen Restaurierungswerkstätten zu werfen und uns mit den Restauratorinnen zu unterhalten. Fasziniert befühlten wir die unterschiedlichen Pergament- und Lederarten und übten uns im Erkennen der jeweiligen Tierart. Man ließ uns am Fischleim schnuppern und die der Eisengallustinte als Grundlage dienenden Galläpfel befühlen. Gruseln konnten wir uns beim Anblick von Bänden mit Insektenbefall oder Wasserschäden; einen fast größeren Schrecken erweckten jedoch die berüchtigten Restaurierungsopfer der 70er Jahre – mittelalterliche Codices mit Kunstledereinband und säurehaltigem Papiervorsatz! Alles in allem kam der Aspekt der Restaurierung und Bestandserhaltung während des Kurses allerdings etwas zu kurz, die meisten von uns wären hier gern noch tiefer eingetaucht.

Zu den regulären Modulen und Exkursionen kamen außerdem Workshops und Vorträge externer Referenten hinzu: Höhepunkt war hier sicher der Besuch des insbesondere durch seine Blog- und Twitteraktivitäten bekannten Paläographen Dr. Erik Kwakkel (@erik_kwakkel) aus Leiden, der uns passenderweise am gefühlt heißesten Tag des Jahres mit Kissing, Biting and the Treatment of Feet (einer Kommilitonin verdanken wir zudem die Entdeckung des spooning) in den Schriften des 12. Jahrhunderts vertraut machte und am Abend zudem über Books in the Medieval Classroom referierte. Dr. Andrea Fleischer von der UB Heidelberg brachte uns im Rahmen des Franken-Seminars die Handschriftenbestände aus dem Kloster Heilsbronn näher, bei Prof. Dr. Andrea Stieldorf aus Bamberg besuchten wir ein Halbtagesseminar zur Funktion mittelalterlicher Chartulare, und schließlich präsentierte man uns als Beispiel einer erfolgreichen SCRIPTO-Absolventin Dr. Anette Creutzburg aus Florenz. Sie hielt einen Vortrag über die Ikonographie Birgittas von Schweden und berichtete insbesondere auch von ihrer Arbeit am Sehnsuchtsort Kunsthistorisches Institut in Florenz sowie dem unter ihrer Leitung durchgeführten Umbau der dortigen Institutsbibliothek – eine Karriere, die uns vor Neid erblassen ließ!

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Handschriftenlesesaal der Stadtbibliothek Nürnberg
Foto: Jan Odstrčilik

Ergänzt wurde das Angebot zudem durch eine den Kurs begleitende und an dessen ursprünglichem Zweck, der Befähigung zur Handschriftenkatalogisierung, ausgerichtete Praxisaufgabe: Die Beschreibung einer Handschrift aus der Neustädter Pfarrbibliothek. Bewaffnet mit den entsprechenden Richtlinien machten wir uns in Gruppen ans Werk, um jeweils einen Codex bzw. ein Fragment zu autopsieren – eine ideale Möglichkeit, um die bisher im Kurs erworbenen Kenntnisse anzuwenden, die Richtlinien auf ihre Praxistauglichkeit zu testen sowie die teils ungeahnten, mit der Handschriftenbeschreibung verbundenen Schwierigkeiten am eigenen Leib zu erfahren und im besten Falle auch zu überwinden. Lediglich eine Auswertung der Ergebnisse enthält man uns nun, gut zwei Monate nach Kursende leider noch immer vor.

Nachdem ich mit großem Hunger auf grundwissenschaftliches Input und die Arbeit mit Originalen nach Erlangen gekommen war, hat mich der Kurs einerseits vorerst gesättigt – gesättigt, was die rein grundwissenschaftliche Arbeit, die Beschäftigung mit Paläographie und Philologie zum Selbstzweck betrifft –, mir andererseits aber auch weiteren Appetit gemacht: Appetit auf das für ein Semester vernachlässigte historische Arbeiten, auf Quelleninterpretation und Forschungsdebatten. Appetit aber auch auf weiteren Haut- (oder wenigstens Handschuh-)kontakt mit mittelalterlichen Originalquellen – auf Archivarbeit. Und hierbei werden mir die im Kurs gewonnenen Kenntnisse sicherlich hilfreich sein.

1 Zu nennen sind u.a. die Sommerschule der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften „Die historischen Grundwissenschaften in der mediävistischen Praxis“ (vgl. auch die Ankündigung der Veranstaltung hier auf dem Blog, die in diesem Jahr paläographisch-editorisch ausgerichtete Sommerakademie des Mediävistenverbandes „Distanzen überwinden – Briefkommunikation und Briefdokumentation im Mittelalter“, der dritte Alfried Krupp-Sommerkurs für Handschriftenkultur „Handschriftenkultur des Mittelalters für Fortgeschrittene“ sowie die Münchner Sommerakademie Grundwissenschaften 2013 „Schriftkunde des Mittelalters“.

2 Siehe für nähere Informationen Kirchenbibliothek Neustadt (Aisch), in: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Europa – http://fabian.sub.uni-goettingen.de/?Kirchenbibliothek_(Neustadt/Aisc) – letzter Aufruf am 05.09.2013.

Anmerkung zu den Bildern: Da es nicht in allen Bibliotheken gleichermaßen erwünscht war zu fotografieren und uns diese Möglichkeit in der Stadtbibliothek Nürnberg besonders großzügig eingeräumt wurde, stammt ein Großteil der hier veröffentlichten Bilder aus diesem Kontext und steht somit lediglich exemplarisch für die den gesamten Kurs durchziehende Arbeit mit Handschriften.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2042

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aventinus generalia Nr. 21 [30.06.2013]: Der Verein der Freunde der Geschichtswissenschaften an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Nicht nur der Förderverein des Historischen Seminars der LMU München unterstützt studentische Projekte: Ein Gastbeitrag bei unserem Kooperations­partner Skriptum zeichnet die Aktivitäten des Fördervereins der Geschichtswissenschaften an der JGU Mainz nach http://bit.ly/14nH7ZI

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/06/4562/

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