Die Magdalenenflut 1342 – ein unterschätztes Jahrtausendereignis?

 


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Vermutlich war es der wohlhabende Göttinger Goldschmied und Ratsherr Hans, der seinem 1342 verstorbenen Vater Hermann ein seiner Profession gemäßes Denkmal setzte.[2] Auf der Spitze der Göttinger Albanikirche ist die oben stehende Inschrift, auf einem Reliquienkreuz noch oberhalb der Wetterfahne angebracht, bis heute erhalten geblieben. Nun ist der niedersächsische Goldschmied nicht einfach ein Opfer eines beliebigen Hochwassers geworden, sondern in der mutmaßlich schwersten Flutkatastrophe Mitteleuropas in den letzten 1000 Jahren ertrunken: Der nach dem Festtag der Heiligen am 22. Juli benannten Magdalenenflut von 1342.

Als im letzten Sommer an Donau, Elbe und Saale die zweite Extremflut seit dem Milleniumswechsel tausende Menschen bedrohte, fand auch ein selbst unter Mediävisten oft wenig bekanntes Ereignis wie die Magdalenenflut 1342 erneute mediale Aufmerksamkeit. Dies steht in deutlichem Gegensatz zum (Des-)Interesse der Geschichtswissenschaft: Explizit mediävistische Auseinandersetzungen mit der Magdalenenflut 1342 finden sich so gut wie nicht[3], etwas besser ist es bei der Nachbardisziplin Archäologie bestellt.[4] Betrachtet man hingegen die Publikationen aus dem im weitesten Sinn naturwissenschaftlichen Bereich mit historischem Fokus, aber auch umweltgeschichtlichen Werken, fällt auf, dass durchaus viel auf das Flutereignis von 1342 verwiesen wird.[5] Dies bedeutet allerdings keineswegs in jedem Fall eine intensive Beschäftigung damit, v.a. nicht mit der schriftlichen Überlieferung.[6] Dabei ist die Quellenlage durchaus vielversprechend, wie im Folgenden kurz skizziert werden soll.

Die klimageschichtliche Datenbank tambora.org bietet ad ann. 1342 bereits einen ersten Eindruck von dem Ausmaß der Flut, wenn auch viel zu viele der Einträge nicht zeitgenössischen Ursprungs sind, so dass sie sich für historisches Arbeiten nicht verwenden lassen. Trotz der notwendigen Einschränkungen zur Benutzbarkeit der Datenbank aus historisch-quellenkritischer Sicht zeigt dieses verdienstvolle Projekt trotz allem die Entwicklungspotentiale kollaborativer Datenbanken gerade im Bereich der Klimageschichte auf. Doch in Kombination mit gedruckten Repertorien meteorologischer Ereignisse aus dem 20. Jahrhundert kann man sich schnell dem Ereignis nähern: Curt Weikinns nach historiographischen Maßstäben auch nicht durchweg verlässliche, aber äußerst materialreiche Quellensammlung zu hydrologischen Ereignissen[7] liefert eine komfortable Ausgangsbasis für die Erforschung der Magdalenenflut. In Kombination mit der Materialsammlung des nicht minder akribischen, aber doch quellenkritischeren Sammlers meteorologischer Nachrichten, Pierre Alexandre[8], zeigt sich, welcher große europäische Raum 1342 unter den Überschwemmungen zu leiden hatte: Ost- und Zentralfrankreich, die Provence, Norditalien, das ganze heutige Deutschland sowie Böhmen, Österreich und Ungarn waren von massiven Fluten betroffen. Im Einzelfall wäre freilich erst noch zu klären, ob es sich dabei um jeweils um ein- und dasselbe Flutereignis handelt. Doch die Ausgangsbasis von über 40 verschiedenen Extremwetterbelegen für 1342 in edierten Chroniken sollte die  weitere Untersuchung der Magdalenenflut deutlich erleichtern. Und dabei ist die Sammlung von Weikinn und Alexandre noch keineswegs vollständig.[9] Auch das eingangs aufgeführte Beispiel mit dem Göttinger Reliquienkreuz ist keineswegs die einzige Inschrift, die als Beleg der Magdalenenflut angeführt werden kann.[10]

Schriftquellen sind also in relativer Fülle vorhanden, und doch ist die Chronologie des meteorologischen Extremjahres 1342 noch lange nicht geklärt, wie ein rascher Blick in die bisherige Forschung und deren (knappe) Aussagen zu Vorgeschichte und Verlauf der Flutkatastrophe zeigt: Intensiver Schneefall im Winter 1341/42 soll zu einer starken Schneeschmelze mit ersten Hochwassern geführt haben, dann folgte ein regenreiches Frühjahr. Der im Sommer noch immer feuchte Boden konnte schließlich die Starkregenfälle Mitte Juni 1342 nicht mehr aufnehmen.[11] Andere Interpreten sehen keine nennenswerten, durch die Schneeschmelze propagierten Hochwässer im Frühjahr 1342.[12] Je nach regionalem Fokus wird auch von einem Eisstoß im späten Winter 1342, – dem der Vorgängerbau der Prager Karlsbrücke zum Opfer fiel –, dann einem Frühjahrshochwasser im April und dem eigentlichen Magdalenenhochwasser im Juli 1342 ausgegangen.[13] Ganz ausgeblendet wird bisher die Lage in Frankreich und Italien, aber auch in Ostmitteleuropa jenseits Böhmens. Warum es so wichtig ist, die Abfolge der Niederschläge und Flutereignisse möglichst sicher zu identifizieren, leuchtet spätestens dann ein, wenn wir die unvermeidliche Frage stellen, was der geophysikalische Hintergrund der Katastrophe von 1342 war.

Eine Vb-Wetterlage braut sich zusammen: Ein sog. Genuatief vom 7. Oktober 1996. (Quelle: Wikimedia Commons)Eine Vb-Wetterlage braut sich zusammen: Ein sog. Genuatief vom 7. Oktober 1996. (Quelle: Wikimedia Commons)

Verantwortlich für die extremen Niederschläge soll eine meteorologische Konstellation gewesen sein, die so auch 1997, 2002 und 2013 die extremen Hochwässer in (Ost-)Mitteleuropa hervorgerufen hat: Eine sogenannte Vb-Wetterlage, bei der ein Tiefdruckgebiet über Norditalien sich über der Adria oder dem Golf von Genua immens mit Feuchtigkeit auflädt und dann eine Zugbahn am Ostalpenrand entlang über das heutige Österreich, Ungarn und Tschechien bis nach Polen einnimmt. Im Kontakt mit wesentlich kälteren Luftmassen im Norden und Westen kommt es zu sehr ergiebigen Niederschlägen über dem skizzierten Teil Ostmitteleuropas bis hin nach Bayern.[14] Doch passt dieses Szenario schon geographisch nicht widerspruchsfrei zur Überschwemmungslage und den Extremniederschlägen des Jahres 1342. Ob noch andere Faktoren wie etwa Vulkanausbrüche[15] zu den Mitverursachern der Starkregen gehören, ist bisher kaum diskutiert worden.

Das meteorologische und klimahistorische Interesse an dem Ereignis liegt auf der Hand. Aber welchen breiteren historischen Erkenntnisfortschritt darf man sich von einer Beschäftigung mit der Magdalenenflut erwarten?
Zum einen natürlich ein besseres Verständnis der Häufung exogener Schocks, denen die mitteleuropäischen Gesellschaften in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ausgesetzt waren. Neben der Magdalenenflut wäre die Abkühlungstendenz seit ca. 1310, die Große Hungersnot von 1315-18, Einfälle von Heuschrecken 1338 und natürlich die Pest 1347ff. zu nennen. Die umweltlich-natürlichen Rahmenbedingungen müssten also zu einer Neubewertung der „Krise des 14. Jahrhunderts“ verstärkt herangezogen werden, ist doch eine letzten Endes sozialdeterministische Tendenz zur Relativierung der krisenhaften Momente im Spätmittelalter hin zu einem überwiegenden Reflex von Diskursen des 20. Jahrhunderts zu beobachten.[16] Vielleicht ist es daher an der Zeit im Zeichen eines material turn – obwohl diese Wende die Mediävistik bisher wenig tangiert – den natürlichen Rahmenbedingungen und konkreten Einflüssen von Umweltveränderungen auf den historischen Prozess auch im Spätmittelalter zu ihrem Recht zu verhelfen, ohne in platte Determinismen zu verfallen.
Eine klarere Vorstellung vom potentiellen Impact der Flut von 1342 liefern allerdings nicht die historischen Quellen allein: Vielmehr sind es die Überlegungen von historisch arbeitenden Geowissenschaftlern, die die Dimensionen des Ereignisses erst recht erahnen lassen, etwa durch Modellrechnungen der Scheitelabflussmenge – der Höchstmenge an Wasser, die in einem Moment einen bestimmten Punkt am Fluss passiert. So ist für den Main im Juli 1342 eine Zahl 3500 m²/s errechnet worden[17], während für das Sommerhochwasser 2013 in Würzburg eine Scheitelabflussmenge des Mains von ‘nur’ 900 m²/s erreicht wurde.[18] Die Konsequenzen für den modernen Hochwasserschutz und seine unterstellten historischen Maximalwerte sind enorm.[19]
Darüber hinaus sind es die Untersuchungen von Geoökologen wie Hans-Rudolf Bork und seinen Schülern, die die apokalyptischen Ausmaße der Erosion in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts vorstellbar und plausibel machen. [20] Ganz entgegen der allgemein vorherrschenden Vorstellung von Erosion als langsamem Prozess betonen die naturwissenschaftlichen Kollegen die massiven Veränderungen innerhalb kürzester Zeit und ordnen, gestützt auf zahlreiche Beispiele aus Mittel- und Nordostdeutschland, etwa die Hälfte des gesamten Erosionsabtrags in Mitteleuropa seit dem Frühmittelalter dem Zeitraum 1313 bis 1348 zu.[21] Dabei nimmt ein Einzelereignis – nach aller Plausibilität die Magdalenenflut von 1342 – eine beträchtliche Rolle ein. Diese Annahmen werden auch durch die Befunde aus Warvenchronologien unterstützt.[22]
Besonders betroffen zeigten sich von der Erosion landwirtschaftliche Nutzflächen in Höhenlagen, die oft erst im Zug des hochmittelalterlichen Landesausbaus erschlossen wurden. Sie verloren nach der geomorphologischen Einschätzung so viel fruchtbare Krume, dass ihre weitere Bewirtschaftung sinnlos wurde. Die Belege dafür lieferten markante, tobelartige Kerbtäler,

Die Wolfsschlucht bei Pritzenhagen/Oberbarnim, Brandenburg. Das Kerbtal ist wesentlich durch einige wenige Erosionsereignisse in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts geprägt. (Quelle: Wikimedia Commons)Die Wolfsschlucht bei Pritzenhagen/Oberbarnim, Brandenburg. Das Kerbtal ist wesentlich durch einige wenige Erosionsereignisse in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts geprägt. (Foto: Lienhard Schulz, Lizenz: CC-BY-SA, Quelle: Wikimedia Commons)

durch massive Erosion (‚Schluchtenreissen‘) geschaffen, an deren Ende das weggespülte Erdreich sog. Schwemmfächer bildet. Die genaue Analyse von deren Schichten belegt wenige, einzelne Starkregenereignisse, die über im Material enthaltene Holzkohlestückchen auf die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert werden können. Im Einzugsgebiet eines untersuchten Schwemmfächers, am Abhang einer Rodungsfläche zu einem See hin gelegen, muss es zu großflächigen Verlusten an fruchtbarem Ackerboden gekommen sein.[23] Ein ähnlicher Befund wurde für spätmittelalterliche Wölbäcker im Eichsfeld festgestellt, die von einem singulären Niederschlagsereignis im 14. Jahrhundert verändert wurden, wobei hier eine Datierung des erodierten Materials über spätmittelalterliche Keramik plausibel gemacht werden konnte.[24] Vor diesem Hintergrund sollten die Wüstungsprozesse des Spätmittelalters über die sozialen, politischen und ökonomischen Erklärungstheorien von Wilhelm Abel hinaus gedacht werden – die meteorologischen Extremereignisse mit ihren mutmaßlich verheerenden Folgen für die Landwirtschaft sind als Faktor unbedingt mit einzubeziehen.[25] Aber auch die ungeklärte Frage nach dem Erlahmen des Landesausbaus in Ostmitteleuropa noch vor der Pest könnte von einer Untersuchung der klimatischen Ungunstverhältnisse seit 1300 profitieren. Im Einzelfall bestätigen auch die Schriftquellen die hydrologisch-bodenkundlich begründeten Hypothesen, wie etwa im Fall des Kloster Loccum bei Hannover: Es ergossen sich vom Himmel nämlich Regenmassen, Gewässer brachen aus der Erde hervor, Flüsse zerstörten die Dämme, Quellen und Gießbäche strömten aus der Erde, die Flüsse erhoben ihre Wasser, so daß sie über ihre Ufer traten, nicht nur die Saaten und viele Pflanzen auf den Feldern, sondern auch die Äcker selbst und die Wege vernichteten, in Burgen, Städte, Dörfer und Kirchen eindrangen, bis über die Altäre anwuchsen, Mauern und Türme umstießen, zahlreiche Menschen und Zugtiere ertränkten und viele andere Schäden herbeiführten.[26]
Es scheint daher sinnvoll, nicht nur nach Hinweisen auf Wüstungsprozesse, sondern auch nach Berichten zu Infrastrukturschäden bzw. Baumaßnahmen zum Hochwasserschutz oder zur Wiederherstellung von Brücken in Rechnungs- und Urkundenbüchern zu suchen. Rainer Schreg etwa hat ein anschauliches Beispiel in einer Urkunde gefunden, das sich auf einen Rechtsstreit im Zusammenhang mit einer Hangrutschung in Esslingen im September 1342 bezieht.[27] Christian Rohr verweist auf eine Donaubegradigung größeren Umfangs beim Kloster Oberalteich.[28] Am 23. September 1342 gewährte Ludwig d. Bayer eine Erhöhung des Brückenzolls für Frankfurt am Main und umliegende Ortschaften für Wiederaufbaumaßnahmen.[29] Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass die Jahrtausendflut von 1342 der zentralen Katastrophe des 14. Jahrhunderts den Weg ebnete: Inwiefern die Ernteeinbrüche in der Folge von 1342 sowie die ebenfalls sehr feuchten, häufig von Nahrungsmangel gekennzeichneten Jahre unmittelbar vor Ausbruch der Pest zum verheerenden Impact des Schwarzen Todes in Europa beigetragen haben, müsste weiter erforscht werden.

Nach dieser tour de force durch viele denkbare Perspektiven auf die Magdalenenflut 1342 hört dieses Opusculum dort auf, wo sonst die eigentliche historische Arbeit erst einsetzen würde. Das aufgezeigte Panorama, und sei es noch so unvollständig und verkürzt, sollte m.E. Historiker/innen ermutigen, das Jahrtausendereignis von 1342 genauer in den Blick zu nehmen, um einerseits die relativ reichen Schriftquellen systematisch zu sammeln und zu analysieren und andererseits die wertvollen Anregungen benachbarter, aber auch fremder Disziplinen aufzugreifen und das Gespräch mit den Kollegen zu suchen. Erst mit ihrer Hilfe können wir die Tragweite der Magdalenenflut richtig einschätzen und ersehen, ob auch aus geschichtswissenschaftlicher Sicht von einem Jahrtausendereignis gesprochen werden sollte.

[2] Vgl. Urkundenbuch der Stadt Göttingen, Bd. 1: Bis zum Jahre 1400, hg. v. Karl Gustav Schmidt, Hannover 1863, Nr. 236

[4] Rainer Schreg: Die Krisen des Spätmittelalters: Perspektiven, Potenziale und Probleme der archäologischen Krisenforschung, in: Falko Daim; Detlef Gronenborn; Rainer Schreg (Hrsg.): Strategien zum Überleben. Umweltkrisen und ihre Bewältigung, Mainz 2011, S.197-214; Ders., Bodenerosion 1342 – ein Rechtsstreit in Esslingen, in: Archäologik, 19. Januar 2013 und Ders., Unwetterschäden im Raum Tübingen im Jahr 1342 (?), in: Archäologik, 28. August 2013; Udo Recker: Wüstungserscheinungen im Kontext mittelalterlicher Unweltkrisen und Risiken, in: Falko Daim; Detlef Gronenborn; Rainer Schreg (Hrsg.): Strategien zum Überleben. Umweltkrisen und ihre Bewältigung, Mainz 2011, S.197-214

[5] Josef H. Reichholf: Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, Frankfurt/Main 2007, S.  53f.; Rüdiger Glaser: Klimageschichte Mitteleuropas. 1200 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen, 2. aktual. und erw. Auflage, Darmstadt 2008, S. 230f. Umwelthistorische Werke: Wolfgang Behringer: Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung, Bonn 2007, S. 146; Christian Rohr: Extreme Naturereignisse im Ostalpenraum. Naturerfahrung im Spätmittelalter und am Beginn der Neuzeit, Köln; Weimar; Wien 2007, S. 226-228.

[7] Curt Weikinn: Quellentexte zur Witterungsgeschichte Europas von der Zeitenwende bis zum Jahre 1850. Hydrographie, Teil 1 (Zeitenwende – 1500), Berlin 1958 sowie fünf weitere Bände bis 1850. Dass damit nur 20% der Weikinnschen Sammlung ausgewertet wurden, lässt sich der Website eines abgeschlossenen Projekts der Sächsischen Akademie der Wissenschaften entnehmen. Es bleibt nur zu hoffen, dass eine baldige Veröffentlichung der dadurch erschlossenen meteorologischen Daten von Weikinn kurz bevorsteht.

[8] Vgl. Pierre Alexandre: Le Climat en Europe au Moyen Age. Contribution à l’histoire des variations climatiques de 1000 à 1425, d’après les sources narratives de l’Europe occidentale, Paris 1987, S. 467-470.

[9] So z.B. ein zufällig durch den Autor gefundener Beleg für Kloster Corvey im Weserland: Anno Domini 1343 [sic!] fuit diluvium aque et inundavit monasterium et castrum istut et fecit dampnum magnum undique et fames diu erat in terra. (Corveyer Abtskatalog von 1467, in: Friedrich Philippi; Otto Grotefend: Neue Quellen zur Geschichte Westfalens in Handschrift 861 der Leipziger Universitätsbibliothek, in: Westfälische Zeitschrift 60 (1902), S. 108-156, hier S. 144). Die Jahresangabe muss korrekt natürlich 1342 lauten.

[10] Zu verweisen wäre auf eine Gedenkinschrift am Würzburger Hof ‚Zum großen Löwen‘: DI 27, Die Würzburger Inschriften bis 1525. Auf der Grundlage des Nachlasses von Theodor Kramer unter Mitarbeit von Franz Xaver Hermann, bearbeitet von Karl Borchardt, Wiesbaden 1988, Nr. 61 u. Abb. 34. Auch auf einem Steinquader der Kirche St. Blasius in Hann.-Münden findet sich ein eindrucksvoller Beleg: DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 9 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0000901. Eine nur schriftlich belegte Flutmarke in derselben Stadt: DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 10† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0001007.

[11] Vgl. Gauger, Hochwasser und ihre Folgen (wie Anm. 3), S. 100; Zbinden, Magdalenen-Hochwasser (wie Anm. 6), S. 200.

[12] Vgl. Glaser, Klimageschichte (wie Anm. 5), S. 230.

[13] Vgl. Rohr, Extreme Naturereignisse (wie Anm. 5), S. 226.

[14] Vgl. Zbinden, Magdalenen-Hochwasser (wie Anm. 6), S. 200.

[15] Vgl. dazu die Datenbank Global Volcanism Program:  Denkbar wäre ein nur sehr grob auf 1340 datierter, massiver Ausbruch des Mont Pélee auf Martinique (Karibik) (Eruption No 12424) oder des isländische Hekla (Eruption No 12726).

[16] Vgl. nur ein Beispiel: Peter Schuster, Die Krise des Spätmittelalters. Zur Evidenz eines sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Paradigmas in der Geschichtsschreibung des 20 Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 269 (1999), S. 19-55

[17] Vgl. Zbinden, Magdalenen-Hochwasser (wie Anm. 6), S. 197f., verweisend auf Gerd Tetzlaff, Michael Börngen, Manfred Mudelsee, Armin Raabe: Das Jahrtausendhochwasser von 1342 am Main aus meteorologisch-hydrologischer Sicht, in: Wasser&Boden 54 (2002), S. 41–49

[19] Vgl. z.B. die Konsequenzen für die Schweizerischen Atomkraftwerke und deren Hochwasserschutz, die sich aus den Ergebnissen einer historischen Rekonstruktion seit dem Beginn des Spätmittelalters ergeben müssten: Oliver Wetter, Christian Pfister, Rolf Weingartner, Jürg Luterbacher, Tom Reist & Jürg Trösch (2011): The largest floods in the High Rhine basin since 1268 assessed from documentary and instrumental evidence, in: Hydrological Sciences Journal 56/5 (2011), S.733-758

[20] Hans-Rudolf Bork; Arno Beyer; Annegret Kranz: Der 1000-jährige Niederschlag des Jahres 1342 und seine Folgen in Europa, in: Falko Daim; Detlef Gronenborn; Rainer Schreg (Hrsg.): Strategien zum Überleben. Umweltkrisen und ihre Bewältigung, Mainz 2011, S. 231-242; Hans-Rudolf Bork u.a.: Spuren des tausendjährigen Niederschlags von 1342, in: Ders. (Hg.): Landschaften der Erde unter dem Einfluss des Menschen, Darmstadt 2006, S. 115–120;  Hans-Rudolf Bork; Markus Dotterweich: Jahrtausendflut 1342, in: Archäologie in Deutschland 4 (2007), S. 20-23; Hans-Rudolf Bork u.a.: Landschaftsentwicklung in Mitteleuropa. Wirkungen des Menschen auf Landschaften, Gotha 1998, hier v.a. S. 226-251.

[21] „Von 1313 bis 1348 wurden in Deutschland zusammen 34 Mrd. t Boden erodiert – etwa die Hälfte des gesamten mittelalterlich-neuzeitlichen Bodenabtrags. Die ackerbaulich genutzten, von Bodenerosion betroffenen Flächen Deutschlands wurden von 1310 bis 1350 im Mittel um etwa 25 cm tiefer gelegt.“ (Ebd., S. 230).

[22] So z.B. die Untersuchung des Schalkenmehrener Maars, vgl. Frank Sirocko (Hg): Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung. Von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert, Darmstadt 2009, S. 167f.

[23] Das gut untersuchte Beispiel findet sich im ostelbischen Ausbaugebiet, in der sog. Wolfsschlucht bei Pritzhagen (Barnim, Brandenburg). Vgl. Bork, Landschaftsentwicklung (wie Anm. 20), S. 66-75. Ähnliche Kerbtäler sind etwa die sog. ‘Rummeln’ im Hohen Fläming, ebenfalls einer von massiven Wüstungsprozessen im Spätmittelalter veränderten Landschaft, die im Ausbauprozess v.a. durch große Getreideanbauflächen auf der Hochebene gekennzeichnet war.

[24] Die Grabung zwischen Rüdershausen und Gieboldeshausen war der Ausgangspunkt der Beschäftigung Borks mit den spätmittelalterlichen Erosionsphänomenen, vgl. Bork, Landschaftsentwicklung (wie Anm. 20), S. 93-102.

[25] Eine echte Beweisführung über Zusammenhänge zwischen klimatischen Veränderungen und Wüstungen hat bisher nämlich seitens der Historiker noch nicht stattgefunden, auch nicht im einschlägig betitelten Artikel von Werner Rösener: Die Wüstungen des Spätmittelalters und die Klimafaktoren, in: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde 115 (2010), S. 57-77.  Ermutigende Befunde aber von archäologisch-naturwissenschaftlicher Seite: Markus Dotterweich;  Jochen Haberstroh: Bodenressourcennutzung und Klimawandel zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Barbara Scholkmann u.a. (Hg.): Zwischen Tradition und Wandel. Archäologie des 15. und 16. Jahrhunderts, Büchenbach 2009 (Tübinger Forschungen zur historischen Archäologie 3), S. 501-510

[26] Nam pluvis a coelo descentibus et aquis de terra emergentibus ruinis aggerum ruptis, fontibus et torrentibus supereffluentibus, flumina levaverunt aquas suas ita, ut metas suas transcendentes non solum segetes et multa viventia in agris, verum etiam ipsos agros et vias dissiparent, castra, civitates, villas et ecclesias intrarent, super altaria ascenderent, muros, domos, turres everterent, plures hominess et jumenta submergando necarent et alia plura damna (De Origine et Abbatibus Monasterii Luccensis, in: Gottfried Wilhelm Leibniz (Hg.): Scriptores Brunsvicensiusm illustrationi inservientes. Bd. 3, Hannover 1711, S. 690-699, hier: 695). Übersetzung nach Christoph Erich Weidemann, Geschichte des Klosters Loccum, hg. v. Friedrich Burchard Köster, Göttingen 1822. Mit ganz ähnlichem Tenor, wenn auch weniger konkret Johann von Viktring, Liber certarum historiarum (MGH SSrG 36, 2) Buch 6, Kapitel 11, S. 225f.

[28] Vgl. Rohr, Extreme Naturereignisse (wie Anm. 5), S. 227, 364f.; RI VII, H. 1,3, Nr. 591; RI VIII, H. 3, Nr. 533

[29] Vgl. Johann Friedrich Böhmer (Hg.): Codex diplomaticus Moenofrancofurtanus. Urkundenbuch der Reichstadt Frankfurt, Frankfurt /Main 1836, S. 578f. Den Hinweis auf die erste der beiden Urkunden verdanke ich Frau Ulrike Fliege (Darmstadt).

Citation: Martin Bauch: Die Magdalenenflut 1342 – ein unterschätztes Jahrtausendereignis?, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 04. Februar 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/3016 (ISSN 2197-6120).

 

 

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3016

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Rezensionsüberblick Januar 2014

Willkommen zu unserem monatlichen Rezensionsüberblick.

Wie immer stellen wir einen Überblick über die im letzten Monat erschienenen Online-Rezensionen mit mediävistischem Bezug zur Verfügung. Integriert sind die unten genannten Portale. Wer weitere aus allen mediävistischen Disziplinen kennt, hilft uns sehr durch einen kurzen Hinweis. Wir wünschen interessante und v.a. zeitsparende Lektüre!

[en:] Welcome to our review digest! Every month we provide an overview of all online published medieval reviews we can find. The sites mentionend below are included. In case we miss some portal for online reviews from all disciplines concerned with medieval studies, please give us a hint. We wish you an interesting, and first of all a timesaving reading!

Per Klick auf den Namen können Sie zum Überblick für das jeweilige Portal springen

H-Soz-u-Kult
Sehepunkte
The Medieval Review
Francia-Recensio
H-Net Reviews
Reviews in History
Histara
ArtHist.net
Ordensgeschichte
Marginalia
Concilium medii aevi
Archivalia
IASL


H-Soz-u-Kult:
(Offizielle Homepage: Link)
Erscheinungsweise: ad hoc | frequency of publication: ad hoc

Kristin Skottki: Rezension zu: Küçükhüseyin, Şevket: Selbst- und Fremdwahrnehmung im Prozess kultureller Transformation. Anatolische Quellen über Muslime, Christen und Türken (13.–15. Jahrhundert). Wien 2011, in: H-Soz-u-Kult, 29.01.2014.

Philippe Rogger: Rezension zu: Church, Clive H.; Head, Randolph C.: A Concise History of Switzerland. Cambridge 2013, in: H-Soz-u-Kult, 28.01.2014.

Clemens Zimmermann: Rezension zu: Mieg, Harald A.; Heyl, Christoph (Hrsg.): Stadt. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart 2013, in: H-Soz-u-Kult, 24.01.2014.

Jan Clauß: Rezension zu: Brauer, Michael: Quellen des Mittelalters. Historische Quellen interpretieren. Paderborn 2013, in: H-Soz-u-Kult, 22.01.2014.

Markus Meumann: Rezension zu: Tallett, Frank; Trim, D. J. B (Hrsg.): European Warfare, 1350–1750. Cambridge 2010, in: H-Soz-u-Kult, 21.01.2014.

Doris Bulach: Rezension zu: Wozniak, Thomas: Quedlinburg im 14. und 16. Jahrhundert. Ein sozialtopographischer Vergleich. Berlin 2013, in: H-Soz-u-Kult, 15.01.2014.

Justus Nipperdey: Rezension zu: Weigl, Andreas: Bevölkerungsgeschichte Europas. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Wien 2012, in: H-Soz-u-Kult, 10.01.2014.

Joachim Schneider: Rezension zu: Birngruber, Klaus; Schmid, Christina, unter Mitarbeit von Weigl, Herwig (Hrsg.): Adel, Burg und Herrschaft an der „Grenze“: Österreich und Böhmen. Beiträge der interdisziplinären und grenzüberschreitenden Tagung in Freistadt, Oberösterreich, 26. bis 28. Mai 2011. Linz 2012, in: H-Soz-u-Kult, 08.01.2014.

 Tim Wätzold: Rezension zu: Pilcher, Jeffrey M. (Hrsg.): The Oxford Handbook of Food History. New York 2012, in: H-Soz-u-Kult, 03.01.2014.

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Sehepunkte (13, 2013, Nr. 12):
(Offizielle Homepage: Link)
Erscheinungsweise: monatlich | frequency of publication: montly

Manfred Hildermeier: Geschichte Russlands. Vom Mittelalter bis zur Oktorberrevolution, München: C.H.Beck 2013. Rezensiert von von Manfred Alexander

Claudia Opitz-Belakhal (Hg.): Geschichte Frankreichs in Quellen und Darstellung. Band 1: Vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution, Stuttgart: Reclam 2013.Rezensiert von Bernd Klesmann

Julia Bruch: Die Zisterze Kaisheim und ihre Tochterklöster. Studien zur Organisation und zum Wirtschaften spätmittelalterlicher Frauenklöster mit einer Edition des Kaisheimer Rechnungsbuches, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2013.Rezensiert von Gabriela Signori

Delle Donne Fulvio: Federico II. La condanna della memoria. Metamorfosi di un mito, Roma: viella 2012.Rezensiert von Gerald Schwedler

Ulrike Hascher-Burger / August den Hollander / Wim Janse (eds.): Between Lay Piety and Academic Theology. Studies Presented to Christoph Burger on the Occasion of his 65th Birthday, Leiden / Boston: Brill 2010. Rezensiert von Martine Clouzot

Ranulph Higden: Speculum curatorum. A Mirror for Curates. Book I. The Commandments. Introduction, Edition, and Translation by Eugene Crook and Margaret Jennings, Leuven: Peeters 2012. Rezensiert von Ronald Stansbury

John D. Hosler: John of Salisbury. Military Authority of the Twelfth-Century Renaissance, Leiden / Boston: Brill 2013.Rezensiert von Jessalynn Bird

D. Kempf / M. G. Bull (eds.): The Historia Iherosolimitana of Robert the Monk, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2013. Rezensiert von Georg Strack

Bruno Klein / Katja Schröck / Stefan Bürger (Hgg.): Kirche als Baustelle. Große Sakralbauten des Mittelalters, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013.Rezensiert von Jeannet Hommers

Hervé Oudart / Jean-Michel Picard / Joëlle Quaghebeur (éds.): Le Prince, son peuple et le bien commun. De l’Antiquité tardive à la fin du Moyen Âge, Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2013. Rezensiert von Julian Führer

Eyal Poleg / Laura Light (eds.): Form and Function in the Late Medieval Bible, Leiden / Boston: Brill 2013.Rezensiert von Jessalynn Bird

Jörg Sonntag (Hg.): Religiosus Ludens. Das Spiel als kulturelles Phänomen in mittelalterlichen Klöstern und Orden, Berlin: de Gruyter 2013.Rezensiert von James D. Mixson

Colmán Ó Clabaigh: The Friars in Ireland, 1224-1540, Dublin: Four Courts Press 2012.Rezensiert von Annette Kehnel

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The Medieval Review:
(Offizielle Homepage: Link)
Erscheinungsweise: ad hoc | frequency of publication: ad hoc

TMR 14.01.03, Henzler, Die Frauen Karls VII und Ludwigs XI (Albrecht Classen )

TMR 14.01.04, Cullum and Lewis, eds., Religious Men and Masculine Identity (Katherine Allen Smith)

TMR 14.01.01, Tartakoff, Between Christian and Jew (Alex J. Novikoff)

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Francia-Recensio:
(Offizielle Homepage: Link)
Erscheinungsweise: vierteljährlich | frequency of publication: quarterly

Previous issue was published in December 2013. Browse it here.

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H-Net Reviews:
(Offizielle Homepage: Link)
Erscheinungsweise: ad hoc | frequency of publication: ad hoc

Irina Marin. Contested Frontiers in the Balkans: Ottoman and Habsburg Rivalries in Eastern Europe. London: I.B. Tauris, 2012. 228 S., Kartenteil. ISBN 978-1-78076-105-3. Reviewed by Ioannis Zelepos

Joanne Marie Ferraro. Venice: History of the Floating City. New York: Cambridge University Press, 2012. 300 pp. $28.99 (cloth), ISBN 978-0-521-88359-7. Reviewed by David Laven

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Reviews in History:
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Erscheinungsweise: ad hoc | frequency of publication: ad hoc

Armin Wolf: Verwandtschaft – Erbrecht – Königswahlen, Frankfurt, Klostermann Vittorio Gmbh, 2013, Reviewer: Dr Donald C. Jackman.

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Histara:
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Erscheinungsweise: ad hoc | frequency of publication: ad hoc

Kairis, Pierre-Yves – Sarrazin, Béatrice – Trémolières, François: La restauration des peintures et des sculptures. Connaissance et reconnaissance de l’œuvre. Paris 2012,  Rezension von Delphine Burlot.

Heck, Christian (dir.): L’allégorie dans l’art du Moyen Âge. Formes et fonctions. Héritages, créations, mutations. Turnhout 2011.  Rezension von Frederic Dewez.

AA. VV. (Perrugot, Didier et al.): L’habitat carolingien du Grand Longueron (Champlay, Yonne). Origine et mutation d’un grand domaine foncier au Haut Moyen Age (VIIe-IXe siècles) (Préface de P. Périn). Montagnac 2008. Rezension von Sabrina Pietrobono.

Baudin, Arnaud – Brunel, Ghislain – Dohrmann, Nicolas (dir.): Templiers. De Jérusalem aux commanderies de Champagne. (coédition Somogy-éditions d’Art et le Conseil général de l’Aube, en partenariat avec les Archives nationales 2012). Rezension von Matthieu Rajohnson.

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ArtHist.net:
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Ordensgeschichte:
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Marginalia:
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Sarra Tlili, Animals in the Qur’an, Cambridge University Press, 2012. Rezension von George Archer.

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Concilium medii aevi:
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Archivalia:
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IASL:
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Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2987

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Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte (Jacobus de Vitriaco: Historia Occidentalis, deutsch), 4

[Fortsetzung des Übersetzungsprojekts]

Viertes Kapitel

Von den verschiedenen Geschlechtern der Menschen und den verschiedenen verschlungenen Verbrechen

Aber nicht nur diese, sondern das gesamte Menschengeschlecht hatte seine Wege auf der Erde verdorben. Sie erhoben sich nämlich in der Nachwelt über die vergessenen Altvorderen. Die Händler bemühten sich, durch Lügen und unendliche Betrügereien ihre Brüder zu hintergehen. Bauern gaben von ihren Gütern den Zehnten nicht mehr den Kirchen. Knechte und Mägde dienten ihren Herren ohne Gottesfurcht und nur dem Augenschein nach.

Die Ärzte fürchteten sich nicht davor, ihre Kranken auf alle Arten zu betrügen, indem sie mit trügerischen Lippen und großsprecherischer Zunge vieles versprachen und mäßiges hielten, wobei sie viel annahmen, aber wenig vollbrachten. Meistens raubten sie denen, die sie heilen sollten, das Leben durch Lüge und Täuschung und brachten dabei auf betrügerische Weise noch Geld an sich. Sie sind jedoch nicht nur den Körpern nicht zuträglich, sondern vernichten auch die Seelen. Während sie nämlich versichern, dass die Körper durch Ausweitung der Begierde gereinigt würden, verführen sie viele zur Unzucht. Die Schwerkranken aber, denen sie sagen sollten: „Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht leben“,1 bringen sie dazu, die Beichte und andere geistliche Heilmittel aufzuschieben oder gering zu achten, während sie sie auf lügnerische und betrügerische Weise in Sicherheit wiegen.

Auch die ungerechten Advokaten, geblendet durch die Gier nach Besitz und unermesslichem Lohn, widmeten sich nicht nur den ungerechten Fällen, sondern nahmen, im Vertrauen auf Lügen und Geschwätzigkeit, auch die aussichtslosen an. Von diesen sagte der selige Ijob: „Feuer wird die Zelte derer verschlingen, die gerne Bestechungsgeld annehmen.“2 Dieselben jedoch, die zugunsten des schmählichen Gewinns von Stadt zu Stadt, von Haus zu Haus, von Ratsversammlung zu Ratsversammlung liefen, wurden über das gesamte Land Ägypten verstreut, um Getreide zu sammeln. Sie verschleppten die Rechtssachen, indem sie freudig die Streitfragen vermehrten und unzählige Ausnahmen vorbrachten, um so die Kassen vielfach zu plündern. Wenn sie es aber nicht vermochten, eine Sache, durch welchen Betrug auch immer, zum gewünschten Ende zu führen, ließen sie sich sofort zur Berufung hinreißen, damit, wenn die Sache neu verhandelt würde, sich auch ihr Lohn erneuerte.

Die Weiber aber zogen, nicht nur in dirnenhaftem Schmuck und durch Verschwendungssucht der Kleidung, in gelocktem Haar, in Gold und Perlen und kostbarem Gewand, in unerlaubtem Beifall und Tanz, sondern auch mit mächtiger Hexerei und unzähligen Übeltaten, unvorsichtige Menschen in den Tod und zum tiefen Fall. Indem sie den Brunnen aufwühlten und nicht bedeckten, wurden sie durch Tierhaftes und Törichtes ruiniert. Ihnen wird, gemäß einer Weissagung des Propheten Jesaja, Gestank anstelle lieblichen Geruchs, ein Strick für die Hüfte und eine Glatze anstelle des gelockten Haars sein.

Diese jedoch, die der Welt entsagt und sich durch ein religiöses Gelübde gebunden hatten, indem sie die regulierte Lebensweise angenommen hatten, die nach außen eine Art von Frömmigkeit zeigten, deren Tugend jedoch verweigerten, die fielen nach dem Gelübde im elenden Fall so schwer, wie ihr Rang hervorgehoben war. Die Ungehorsamen, die Murrenden, die sich gegenseitig Verleumdenden, die das Kreuz Christi unter Zwang Tragenden, die Unreinen und Maßlosen, die nach dem Fleisch und nicht nach dem Geist Wandelnden, und auch die, die mit der an den Pflug gelegten Hand gemeinsam mit dem Weib des Lot zurückblickten nach dem Lauch, den Melonen und den Fleischtöpfen Ägyptens, während sie das Manna der Wüste verschmähten, die vergingen in den Gräbern der Begierlichkeit als Tote und Begrabene, „weil sie den frühen Glauben für ungültig erklärt hatten.“3 Viele von diesen, die die Frömmigkeit als Gewinn einschätzten, machten zwischen dem Heiligen und dem Profanen keinen Unterschied, aber nahmen häufig das Gestorbene und Geraubte von den Wucherern und Räubern an. Aus Gier hinterfragten sie dabei nichts, obwohl doch der heilige Tobias seine Frau bat: „Sieh zu, dass es nicht gestohlen sei.“4 Jene jedoch, die nicht durch die Tür gingen, sondern unter der Erde gruben, die durch das Schlupfloch des Geldes hineingekommen sind, die sind schon gerichtet durch den Herrn, der spricht: „Jede Anpflanzung, die nicht mein Vater gepflanzt hat, wird ausgerissen werden“,5 und ebenso die, die sich nicht scheuten, mit Hananias und Saphira nicht nur an der Eigenart des Willens, sondern auch am Eigentum des Geldes festzuhalten.

1Jes 38,1

2Ijob 15,34

31 Tim 5,12

4Tob 2,21 (BSV)

5Mt 15,13

D O W N L O A D

(pdf-Version)

Empfohlene Zitierweise: Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte 4, übers. von Christina Franke, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 26. Januar 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/2917 (ISSN 2197-6120).

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2917

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Kommunikation und Konfrontation – Diplomatie und Gesandtschaftswesen Kaiser Maximilians I. (1486-1519)

1000 Worte Forschung: Abgeschlossenes Dissertationsprojekt an der FU Berlin

Johannes Cuspinian, Öl auf Holz, Lucas Cranach d. Ä., um 1502 (Quelle: Wikimedia Commons)

Johannes Cuspinian, Öl auf Holz, Lucas Cranach d. Ä., um 1502 (Quelle: Wikimedia Commons)

Ob es sich bei dem Tagebuch des diplomatischen Routiniers Johannes Cuspinian wirklich um das „Memoirenwerk eines Staatsmannes“ (H. Ankwicz-Kleehoven) im Sinne eines Kissinger oder Gorbatschow handelt, sei dahingestellt. Ein kritischer Blick in diese Aufzeichnungen zu den sich im Frühjahr des Jahres 1515 konkretisierenden Verhandlungen Kaiser Maximilians I. mit dem ungarisch-böhmischen König Wladislaw II. und Sigismund von Polen lohnt sich jedoch allemal: Schließlich wurde bei diesem, von Cuspinian maßgeblich arrangierten Herrschertreffen der Grundstein gelegt für die habsburgische Nachfolge in Böhmen und Ungarn, dito also für jenes komplexe Gebilde der österreichischen Donaumonarchie, das nach rund fünfhundertjährigen Bestehen erst durch die umwälzenden Erschütterungen des 1. Weltkriegs auseinanderbrechen sollte. Der Mythos des Jahres 1515 wirkt bis heute nach: In zahlreichen Historiengemälden wurde die Wiener Doppelhochzeit der Enkel Maximilians I. mit den jagiellonischen Thronfolgern gefeiert, zusammen mit dem berühmten Distichon „Tu, felix Austria, nube“ fand er sogar Eingang in die verschiedenen Erinnerungskulturen Ostmitteleuropas.

Eine akteurszentrierte Analyse der Wiener Zusammenkunft im Sinne einer „Geschichte der Diplomatie hinter verschlossenen Türen“ lenkt jedoch den Blick verstärkt auf dessen eigentliche Verhandlungsführer. Das waren weniger die repräsentativ auftretenden Monarchen, als vielmehr deren rhetorisch und juristisch versierte Bevollmächtigte. Sie trafen schon im April 1515 im ungarischen Pressburg zusammen und bedienten sich bereits damals meisterlich all jener Instrumentarien, die wohl auch heute noch einen nicht unwesentlichen Bestandteil langwieriger diplomatischer Geheimverhandlungen ausmachen: umfangreiche Schmiergeldzahlungen, Beleidigungen und emotionale Entgleisungen zwischen den Beteiligten. Diese lassen sich jedoch weniger mithilfe des eingangs erwähnten, vom Kaiser offiziell bestellten Auftragswerk Johannes Cuspinians nachweisen, sondern vielmehr in den bislang für diesen Kontext noch kaum ausgewerteten Berichten der venezianischen und polnischen Gesandten.

Die Wiener Doppelhochzeit, Ausschnitt aus dem Druckwerk „Ehrenpforte“, Albrecht Dürer, 1515 (Quelle: Wikimedia Commons)

Die Wiener Doppelhochzeit, Ausschnitt aus dem Druckwerk „Ehrenpforte“, Albrecht Dürer, 1515 (Quelle: Wikimedia Commons)

Dabei wird deutlich, dass sich makrogeschichtliche Faktoren in den spätmittelalterlichen Aussenbeziehungen wohl am anschaulichsten mithilfe eines mikrohistorischen Querschnitts durch die europäische Politik darstellen lassen. Während die konventionelle, einseitig ereignis- oder herrscherzentrierte Diplomatiegeschichtsschreibung dazu tendierte, die maximilianische Politik als eine wechselnde Abfolge von Kriegen und Friedenschlüssen nachzuzeichnen, begibt sich diese Studie bewusst auf die Ebene der eigentlichen Handlungsträger. Der komplexe Aufstieg des Hauses Österreich um 1500 hin zur global operierenden Casa de Austria Karls V. wird hier aus der mikrohistorischen Perspektive der habsburgischen Gesandten nachvollzogen. Sie werden als Schlüsselfiguren der vormodernen Politik, speziell der Politik Maximilians I. verstanden, da gerade er seine größten Erfolge, die Begründung der habsburgischen Herrschaft in den spanischen Königreichen sowie in Böhmen und Ungarn, eben nicht auf dem Schlachtfeld, sondern auf diplomatischem Wege verwirklichte.

Ausgehend von der Frage nach den elementaren Rahmenbedingungen der zwischenhöfischen Kommunikation bietet die Arbeit einen Einblick in die politischen Austauschprozesse jener Zeit. Insgesamt lässt sich unter Maximilian I. eine erhebliche Intensivierung des Gesandtschaftsverkehrs im Vergleich zu seinen unmittelbaren Vorgängern auf dem römisch-deutschen Königsthron konstatieren. Trotz seines nach wie vor ausgeprägten kaiserlichen Selbstverständnisses, wonach es angemessener sei, eine Vielzahl von Herrschaftsvertretern an seinem Hof zu empfangen, statt selbst solche zu entsenden, erweiterte er kontinuierlich seinen diplomatischen Aktionsradius. Erstmals wurden auch der Moskauer Großfürst und der osmanische Sultan in die Bündnis- und Friedensverhandlungen einbezogen. Der Ausbau der politischen Beziehungen zog naturgemäß eine beträchtliche personale Aufstockung des kaiserlichen Gesandtschaftswesens nach sich. Die stets mehrköpfigen Delegationen waren nach unterschiedlichen Rang- und Kompetenzkriterien zusammengestellt, so dass ihre Mitglieder entscheidende Eigenschaften wie Status, juristischer Sachverstand, sprach- und landeskundliche Kenntnisse sowie nicht zuletzt auch persönliche Kontakte im Kollektiv abdecken konnten. Bemerkenswert ist dabei der unter ihnen hohe Anteil des Niederadels und der bürgerlichen Räte, vor allem aus den österreichischen Erbländern beziehungsweise aus den königsnahen Landschaften im Elsass, Bayern und Schwaben. Eine ganze Reihe fähiger Gesandter übernahm der Kaiser zusätzlich aus den habsburgischen Niederlanden und Italien. Die Zahl der „Berufsdiplomaten“, zu denen man im engeren Sinne einzig die ständigen Vertreter Maximilians I. an der Kurie und allenfalls noch einige ausgewählte Spezialisten rechnen kann, blieb allerdings bis zuletzt gering. Statt der von der Forschung wiederholt postulierten Professionalisierung lässt sich für das kaiserliche Gesandtschaftswesen um 1500 eher eine Tendenz zur Spezialisierung auf bestimmte geopolitische Räume und Aufgabenfelder konstatieren. Neben den zeitbedingten Schwierigkeiten in der Verwaltung und bei der Nachrichtenübermittlung bildeten vor allem die kontinuierlich steigenden Kosten der imperialen Politik Maximilians I. ein bis zuletzt ungelöstes Problem. Eine Folge davon war die in der diplomatischen Praxis zunehmende Zahlung von Sporteln und Handsalben, aber auch die Ausbildung von Doppel- oder Mehrfachloyalitäten seiner Gesandten gegenüber anderen Herrschaften.

Die Rolle der Diplomaten als einflussreiche Akteure der europäischen Mächtepolitik wird exemplarisch anhand der Beziehungen des Kaisers zum König von Frankreich, zum Papst, zu Venedig sowie zu den Königen von Ungarn und Polen analysiert. Im Unterschied zu älteren Untersuchungen werden dabei die Argumentationsstrategien und Ziele der jeweiligen Verhandlungspartner nahezu gleichberechtigt miteinbezogen, so dass man den gemeinsamen Entscheidungsfindungsprozesses stets aus unterschiedlichen Perspektiven nachvollziehen kann. Zudem ermöglicht erst der Vergleich mit Diplomaten anderer Machthaber jener Zeit sinnvolle Aussagen über den Handlungsspielraum der habsburgischen Bevollmächtigten. Ein weiterer Analyseschwerpunkt liegt auf der großen Vielfalt verbaler und nonverbaler Austauschprozesse in der vormodernen Diplomatie: So wurden der jeweils anderen Seite bereits über die Wahl des Ortes, der Kleidung und des Gefolges erste Botschaften subtil übermittelt, die von den Zeitgenossen gleichsam als Spiegelbild der realen Mächtebeziehungen interpretiert wurden. Die kulturwissenschaftlich sensibilisierte Einbeziehung performativer Elemente wie Musik oder Geschenkübergaben als kommunikative Praktiken unterstreicht deren essentielle Bedeutung für das diplomatische Zeremoniell. Dabei fällt auf, dass die beteiligten Herrscher die häufig diffizile Verhandlungsführung und die Klärung der juristischen Vertragsinhalte nicht zuletzt auch aus Angst vor einer direkten Konfrontation mit der Gegenseite lieber ihren jeweiligen Bevollmächtigten überließen. Die oft langwierigen Disputationen sowie die in speziellen Ausschüssen von den Gesandten erarbeiten

Kardinal Matthäus Lang (1468-1540), Federzeichnung, Albrecht Dürer, um 1518 (Wikimedia Commons)

Kardinal Matthäus Lang (1468-1540), Federzeichnung, Albrecht Dürer, um 1518 (Quelle: Wikimedia Commons)

Lösungsansätze waren für die politische Entscheidungsfindung jedoch letztlich wichtiger als die sorgfältig arrangierten Empfänge und Antrittsaudienzen. Immer wieder lassen sich dabei auch spontane Reaktionen jenseits von Demonstration und gezielter Inszenierung nachweisen: Das breite Spektrum diplomatischer Praktiken umfasste die sachlich-persuasive Argumentation ebenso wie verdeckte Finten und offene Provokationen.

Jenseits von ihrem diplomatischen Aufgabenprofil bezieht diese Arbeit erstmals auch die vermeintlich unpolitischen Aktivitäten und Lebensumstände der Gesandten abseits der Verhandlungsräume mit ein. So nutzten beispielsweise die in Rom akkreditierten Vertreter des Kaisers ihre Kontakte an der Kurie tatkräftig zur Beförderung ihrer eigenen Kirchenkarriere, während sich etwa bei den nach Frankreich oder nach Venedig entsandten Bevollmächtigten der Einfluss klientelarer oder familiärer Interessen verstärkt nachweisen lässt. Solange dieses Engagement nicht das Loyalitätsverhältnis gegenüber Maximilian I. in Frage stellte, ließ dieser seinen Untergebenen diesbezüglich einen gewissen Handlungsspielraum. Im Einzelfall unterstützte er sogar die intellektuellen Neigungen seiner Gesandten, so dass Männer wie Johannes Cuspinian oder Matthäus Lang auf ihren zahlreichen Reisen in seinem Auftrag auch als europaweit agierende Gelehrte und Kunstmäzene in Erscheinung treten konnten.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2897

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13. Interdisziplinäre Sommerakademie des Zentrums für Mittelalter- und Renaissancestudien (ZMR) „Piraten“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München (02. bis 06. September 2013)

By Astrid Riedler-Pohlers, Claudia Hefter, Anil Paralkar
Veranstalter: Zentrum für Mittelalter- und Renaissancestudien an der Ludwig-Maximilians- Universität, München
Organisation: Prof. Dr. Eva Haverkamp, Dr. Karoline Döring
Datum, Ort: 02. bis 06. September 2013, München

Die Seeleute (K.Döring, 2013)

Die Seeleute
(K.Döring, 2013)

Das Zentrum für Mittelalter- und Renaissancestudien der Ludwig-Maximilians-Universität München, hervorgegangen aus dem Projektforum Mittelalter und frühe Neuzeit, widmet sich seit seiner Gründung im Jahre 2008 der Erforschung und Lehre im Bereich der mediävistischen Wissenschaften. Dabei stützt sich das Zentrum auf über 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sechs unterschiedlichen Fakultäten. Auch in diesem Jahr konnten die Teilnehmenden der mittlerweile 13. Sommerakademie von dieser einmaligen Vielfalt interdisziplinärer Forschung profitieren. Vom 2. bis 6. September 2013 stand die Veranstaltung dieses Jahr unter der Flagge der „Piraten“.

So stach am Montag eine Crew aus 30 Studierende internationaler Universitäten in See, um gemeinsam mit Kapitän Eva Haverkamp (Mittelalterliche Jüdische Geschichte) und Steuerfrau Karoline Döring (Mittelalterliche Geschichte) die schwierigen Gewässer um den Begriff „Piraterie“ herum zu befahren. Als Grundlage diente eine Einführung in die teilweise unklare Terminologie, wie beispielsweise dem Unterschied zwischen Pirat und Kaperfahrer. Ein weitreichender Fragenkatalog sollte Denkanstöße für die Module der kommenden Tage geben. Ein Versuch das Phänomen zu lokalisieren führte dessen Internationalität vor Augen. Besondere Berücksichtigung fand dabei die Perspektive jüdischer Kaufleute als Opfer von Piraterie im Indischen Ozean.

Im Anschluss präsentierte Albrecht Berger (Byzantinistik) eine umfassende Darstellung der „Pirates of the Aegean – Piraten im griechisch-byzantinischen Raum von der Spätantike bis zum 15. Jahrhundert“. Hierbei zeigte, er dass Völkerwanderungen häufig mit Piraterie einher gingen. Eine besondere Rolle kam dabei Kreta zu, welches als Tor zur Ägäis häufig als Piratennest diente. Im Zuge seiner Ausführungen wies er auf Piraten als populäres literarisches Motiv seit der Spätantike hin. Die Breite des Themas regte dazu an, sich mit den einzelnen Zeitabschnitten noch einmal im weitergehenden Studium gezielt zu befassen.

Unter dem Motto „Piraterie und Kaperfahrt im spätmittelalterlichen Hanseraum“ gab Kilian Bauer (Mittelalterliche Geschichte) einen Einblick in Welt und Struktur der deutschen Hanse. Daraufhin stellte er die dortigen Ursachen für Seeraub und Kaperei in den Raum. Zu einer ausführlichen Diskussion führte die Frage nach dem Selbstverständnis, der Organisation und dem Alltagsleben der Vitalienbrüder. Auch die Interaktion lokaler Machthaber mit den Vitalienbrüdern spielte eine große Rolle.

Der Kapitän mit einem Teil der Mannschaft. Erste Beute (K. Döring, 2013)

Der Kapitän mit einem Teil der Mannschaft: I. Fees, A. Riedler-Pohlers, C. Hefter, J. P. Schirrmacher, A. Paralkar (von links nach rechts). Erste Beute
(K. Döring, 2013)

Inhaltlich schloss Romedio Schmitz-Esser (Mittelalterliche Geschichte) mit dem Thema „Der Leichnam der Piraten (Sterben auf See, Exekution von Piraten)“ unter besonderer Berücksichtigung des norddeutschen Raums an. Der Tod eines Christen auf See stellte ein spezielles Problem dar, weil nicht nur medizinische, sondern auch religiöse Vorstellungen beachtet werden mussten. Im zweiten Abschnitt seines Moduls ging der Dozent auf die öffentliche Hinrichtung von Piraten ein, welche eine abschreckende Wirkung für andere Piraten und ein Gefühl von Sicherheit für die Bevölkerung erzeugen sollte. Dazu diente auch die Wahl der Richtstätte, wie zum Beispiel des Grasbrooks in Hamburg, wo man zwei genagelte Schädel gefunden hat. Zuletzt wurde auf die heutige Medialisierung von Piraten am Beispiel der Gesichtsrekonstruktion des Seeräubers Klaus Störtebeker eingegangen.

Zu Beginn des zweiten Tages stellte Hans-Georg Hermann (Rechtsgeschichte) in seinem Modul „Keine Krankheit und doch von großem Übel: Grundruhr und Strandrecht“ die Definitionen dieser beiden Begriffe vor. Danach stand stets die Frage im Mittelpunkt, ob sich Aneigner fremder Sachen im legalen oder illegalen Bereich bewegten. Hierbei sprach der Dozent nicht nur Beispiele aus der Seefahrt an, sondern ging auch auf die Flussschiffahrt ein. Anhand des Sachsenspiegels und zahlreicher anderer Quellen wurde der signifikante Bedeutungswandel dieses „etablierten Rechtsinstituts“ veranschaulicht. Dieses wurde im Laufe der Geschichte je nach Deutungshoheit des Gesetzgebers kriminalisiert oder schließlich in Form von Bergelohn legalisiert.

Ihren Blick auf Italien und das Mittelmeer richtete Irmgard Fees (Historische Grundwissenschaften) mit der Betrachtung der „Gefahren des Meeres – aus der Sicht venezianischer Kaufleute des 12. Jahrhunderts“. An Hand einer Urkunde des Jahres 1112 führte sie in den Aufbau venezianischer Handelsgesellschaften ein. Unter Berücksichtigung der Handelsrouten wurden Abwehrmaßnahmen der Gesellschaften gegen Piraterie erläutert, wozu Schiffskonvois und Risikostreuung unter den Gesellschaftern dienten. Der stark diplomatische Zugang ermöglichte eine Erweiterung des Blickwinkels bei der Quellenexegese über die rein inhaltliche Betrachtung hinaus.

Arbeit an Deck (K. Döring, 2013)

Die Arbeit an Deck
(K. Döring, 2013)

Karl Borchardt (MGH) präsentierte im ersten Nachmittagsmodul „Piraterie im östlichen Mittel¬meer im Umfeld der Johanniter“. Nachdem sich die Johanniter auf Rhodos niedergelassen hatten, zählte besonders die Bekämpfung der muslimischen Seeräuberei zu ihren Hauptaufgaben. Unterstützung bei diesem Vorhaben fanden sie in Katalonien und in den italienischen Hafenstädten. In ihrem Vorgehen unterschieden sie sich häufig nicht von ihren Gegnern. Noch heute finden sich auf dieser damals strategisch so wichtigen Insel Überreste, die auf die einstige Existenz des Johanniterordens hinweisen. Neben den Ruinen von Zuckerrohrmühlen lebt ihr Andenken vor allem auch in den Straßennamen der Insel weiter, wie es zum Beispiel die Rittergasse heute erahnen lässt.

Erstmalig nahm dieses Jahr auch die Arabistik an der interdisziplinären Sommerakademie teil, vertreten durch Daniel Potthast (Arabistik) mit dem Thema „Die Sicherung der Seewege – Initiativen gegen Piraterie im Schriftverkehr zwischen Aragon und Granada“. Nach einer Einführung in die arabische Begrifflichkeit und die islamische Expansion, wurden völkerrechtliche Grundlagen auf der iberischen Halbinsel besprochen. Im Anschluss an einen Überblick zur Quellenlage folgte die Analyse des diplomatischen Austauschs zwischen Aragon und Granada in Bezug auf freibeuterische Aktivitäten. Besonders beeindruckte das weitreichende Informationsnetz Granadas, welches auch Schäden der einfachen Bevölkerung zur Kenntnis nahm. Zuletzt ging der Dozent auf die besonderen Charakteristika arabischer Briefe ein, was zu einer angeregten Diskussion führte.

Anthony Hu (Sinologie) leitete den dritten Tag der Sommerakademie mit dem Thema „Maritime Traders, Smugglers and Pirates: A Brief Introduction to Piracy in China during the period roughly between the 15th and 18th centuries“ ein. Von besonderem Interesse waren dabei die Gründe für chinesische Piraterie, welche vor allem in Armut und Rebellion gegen den Staat lagen, wobei staatlich auferlegte Handelssperren für den Seeverkehr ebenfalls dazu beitrugen. Folglich war der Übergang zwischen Seekaufleuten, Schmugglern und Piraten häufig fließend. Dies zeigte Anthony Hu an Hand der drei großen Phasen chinesischer Piraterie auf (bis Mitte 3. Jahrhundert, bis Anfang 10. Jahrhundert, 15.-18. Jahrhundert), wobei er besonders auf die späteste Phase einging. Gleichzeitig erläuterte er auch die Machtposition der Piraten, welche zeitweilig Züge eines eigenen Staatsbildungsprozesses annahm.

Roman Deutinger (Mittelalterliche Geschichte) präsentierte „Nordmänner, Dänen, Waräger“ und stellte die Frage „Wer waren die Wikinger?“. Ausgehend von ihrer etymologischen Abstammung erläuterte er die Unterschiede zwischen den nordischen Seevölkern und grenzte die Epoche ihrer Herrschaft zeitlich ab. Außer auf Schiffsbau und Kampftaktik ging der Dozent besonders auf die Motivation der Nordmänner auf víking-Fahrt zu gehen, ein. Das Modul endete mit einem Einblick in die spannende Harald-Hardrades-Saga.

Landgang (K. Döring, 2013)

Der Landgang
(K. Döring, 2013)

Den Nachmittag gestaltete Tanja Jorberg (Kunstgeschichte) im Rahmen einer Führung durch die Alte Pinakothek. Dabei stand „Das neue Raumbewusstsein der Renaissance im Spiegel der Kunst“ im Fokus der Aufmerksamkeit. Den Einstieg bildeten Seedarstellungen von Jan Brueghel d. Ä.. Später führte der Weg in der Pinakothek zu mittelalterlichen Goldgrundbildern und religiösen Darstellungen bei Rembrandt van Rijn, sowie zum Selbstbildnis von Albrecht Dürer. Leider fehlte bei den späteren Ausführungen der Zusammenhang zum Thema der Sommerakademie. Dennoch sollte der Besuch der Alten Pinakothek als Programmpunkt der Akademie beibehalten werden.

Der letzte Tag der Sommerakademie begann mit einem Vortrag von Ulrike Krischke (Anglistik) und Judith Huber (Anglistik), welche gemeinsam über „Pirates, Coursaires, and Skummers of the sea – Eine Begriffsgeschichte“ sprachen. Dies leiteten sie mit einem Überblick über die englische Sprachentwicklung und die englische Piraterie bis zur Frühen Neuzeit ein. Im zweiten Teil des Vortrags wurde vor allem die Entwicklung verschiedener nautischer Begriffe, wie auch der Bezeichnungen für Seeräuber in der englischen Sprache, erläutert. Insbesondere im Altenglischen wurden Freibeuter dabei gerne mit Wikingern assoziiert. Zusätzlich zeigte sich, dass die Begriffe für verbrecherische Piraten und staatlich legitimierte Kaperfahrer fließend waren und eine klare Trennung kaum möglich ist.

„Die zeitgenössische (und moderne) Wahrnehmung der Wikinger am Beispiel Irland“ war Gegenstand des Moduls von Sebastian Zanke (Mittelalterliche Geschichte). Er begann mit einer Einführung zur Geschichte des frühmittelalterlichen Irlands und ging auch auf die Quellenlage ein. Die Analyse der Annals of Ulster diente der genaueren Datierung der beiden großen Phasen von Wikingereinfällen sowie der Untersuchung, wie deren Wahrnehmung in den Quellen greifbar wird. Dabei entstand eine Diskussion über die Begriffsentwicklung, die die zunehmende Integration der neu angesiedelten Wikinger und deren Auswirkungen aufzeigte.

Anschließend setzte sich Anita Sauckel (Nordistik) mit „Óláfr Haraldsson“ auseinander, der als „Pirat und Nationalheiliger“ Gegenstand der Skaldendichtung war. Nach der Vorstellung der verfügbaren lateinischen und altisländischen Quellen zu Óláfr präsentierte die Dozentin seinen Lebenslauf, der geprägt war von Vikingfahrten und Konflikten um den Herrschaftsanspruch in Norwegen. Obwohl seine Taufe keine Erwähnung fand, wurde Óláfr bereits zwei Jahre nach seinem Tod heilig gesprochen. Dies führte zu einer interessanten Debatte darüber, ob man gleichzeitig Pirat und Nationalheiliger sein konnte.

Die Gastcrew aus Moskau beim zweiten Landgang zu den MGH (K. Döring, 2013)

Die Gastcrew aus Moskau beim 2. Landgang zu den MGH
(K. Döring, 2013)

Eine freie Abschlussdiskussion ermöglichte eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Sommerakademie. Hier ruderte man zur ersten Sitzung und der Problematik der Terminologie zurück. Ein Versuch eine eigene Definition von Pirat / Kaperfahrer etc. zu finden, zeigte deutlich, wie schwer es ist, eine klare Abtrennung zu treffen. Besondere Aufmerksamkeit fand dabei die Unterscheidung zwischen Selbstverständnis und Fremdzuschreibung der Seeräuber. Ein Diskussionspunkt war auch Piraterie als Werkzeug zur Kreation und Etablierung von Herrschaft. Daran schloss sich ein allgemeines Feedback an, welches über die Erwartungen der Teilnehmenden an die Sommerakademie resümierte.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Sommerakademie mit ihrer interdisziplinären Herangehensweise und ihrem weitem Blick über etablierte geographische und zeitliche Grenzen hinaus den Studierenden einen Zugang zur bisher wenig erforschten Geschichte der Piraterie von der Spätantike bis zur Frühen Neuzeit ermöglichte. Dadurch konnten bisherige Klischees über Seeräuber, die vor allem durch Romane und Filme über das goldene Zeitalter der Piraterie geprägt waren, gegen historisch fundierte Zugänge ersetzt werden. Leider konnten trotz des sehr breiten und abwechslungsreichen Programms Themen der Lebenswirklichkeit der Piraten (z. B. Schiffsbau, Erkennungszeichen und Selbstverständnis) nur wenig behandelt werden. Trotz starker Bemühung konnte eine chronologische und thematische Abfolge der Kurseinheiten nicht immer eingehalten werden. Die sehr quellennahe Arbeit schuf jedoch die Grundlage für eine stets sehr angeregte und angenehme Diskussionsatmosphäre. Diese wurde zudem durch die Teilnahme fünf russischer Studentinnen der HSE unter der Leitung von Michail A. Bojcov, welche eigens zur Sommerakademie aus Moskau angereist waren, stark gefördert. Durch die gute Zusammenarbeit sowohl der Teilnehmenden als auch des sehr engagierten Dozierendenteams kann die Sommerakademie als voller Erfolg verstanden werden. Wir würden uns freuen in den kommenden Jahren weiterhin in diesem Fahrwasser mitsegeln zu können und wollen mit einem lauten, bejahenden „ARRRR“ enden! Schiff ahoi!

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2728

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Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte (Jacobus de Vitriaco: Historia Occidentalis, deutsch), 3

[Fortsetzung des Übersetzungsprojekts[1]]

Drittes Kapitel

Von den Räubereien und Eintreibungen der Mächtigen durch sie selbst oder durch ihre Spießgesellen und über ihre verschiedenen Verbrechen[2]

Während der Herr spricht, dass es besser zu geben statt zu nehmen sei, füllten die Menschen jener Zeit, und vor allem die, die die Regierungsgewalt über andere empfangen hatten, nicht nur durch ungesetzliche Schenkungen die Hände der Gierigen, oder erpressten durch Sammlungen und ungebührende Eintreibungen Geld von den Unterworfenen auf ihre eigene Verdammnis hin, sondern sie unterdrückten durch Plünderungen und gewaltsame Räubereien fortwährend, mal im Verborgenen, mal öffentlich, unvorsichtige oder schwache Menschen auf grausame Weise. Dabei waren sie sich nicht genügend gewahr, dass geschrieben steht: „Wehe, der du raubst, denn du wirst beraubt werden.“[3]Über diese sagte der Herr durch den Propheten: „Die das Fleisch meines Volkes fraßen, seine Haut abzogen und seine Knochen zerbrachen, werden zum Herrn schreien, er wird sie nicht erhören und sein Antlitz vor ihnen verbergen.“[4] Die Elenden bedenken nämlich ihre letzten Dinge nicht, wie Jeremia sagt: „Schmutz ist an ihren Füßen, weil sie das Ende nicht bedacht hat.“[5] „Dem Geringen kommt Erbarmen zu, die Mächtigen aber werden heftige Folter erleiden“,[6] und großes Gericht droht den Großen. Dieselben aber suchten nicht nur nach Beute, sondern verwüsteten auch ganze Landstriche durch Brand, und sie schonten nicht die Ländereien und Besitztümer der Klöster und Kirchen, da sie mit frevlerischer Hand die Heiligtümer aufbrachen und das dem geistlichen Dienst Gewidmete aus dem Innersten und von der Brust des Herrn wegschleppten. Den Armen und dazu seine Güter gaben sie ihren ruchlosen Spießgesellen preis, während sie in leichten Fällen untereinander wetteiferten. Mit Eisen gegürtet besetzten sie die Straßen und öffentlichen Plätze, wobei sie die Pilger und Geistlichen nicht verschonten. In den kleinen Orten und auch den Städten erfüllten Meuchelmörder und Verbrecher die Häuser, Plätze und verborgenen Orte, und lagen, durch das Blut der Unschuldigen geschützt, überall im Hinterhalt. Selbst auf dem Meer plünderten Freibeuter und Piraten, weil sie das göttliche Urteil nicht fürchteten, nicht nur die Händler und Pilger aus, sondern sie versenkten sie meist auch auf den Meeresgrund, indem sie ihre Schiffe anzündeten.

Die Fürsten jedoch und die ungläubigen Machthaber, die Verbündeten der Diebe, die eigentlich gehalten waren, den Frieden zu wahren und die Untergebenen zu verteidigen, und weiterhin die Verderben bringenden Menschen von den Untergebenen gleichsam wie Wölfe von den Schafen durch Abschreckung fernzuhalten, gewährten, nachdem sie Geschenke von ruchlosen und unheiligen Menschen aus Gier nach zeitlichem Gewinn angenommen hatten, ihnen Schutz und Begünstigung. Wenn sie einen Dieb sahen, liefen sie mit ihm, als ob sie sagen wollten: „Gib uns den Beuteanteil, der Geldbeutel sei einer für uns alle.“[7] Und so unterstützten sie die Diebe, Räuber, Kirchenschänder, Wucherer, Juden, Messerstecher und Mörder, die aufrührerischen Menschen, die sie eigentlich schwer bestrafen, von Grund auf ausrotten und aus der Mittel entfernen sollten, wobei sie selbst ohne Grund das Schwert trugen. Sie ließen sie ungestraft Übeltaten begehen, wo doch der Herr durch den Propheten sagt: „Sucht die Gerechtigkeit, helft dem Unterdrückten, schafft Recht der Waise und verteidigt die Witwe.“[8]

Sie selbst jedoch, die unreine Hunde waren und keine Sättigung kannten, die mit den höllischen Raben nach Leichen schnappten, unterdrückten die Armen mit Hilfe ihrer Vögte und ihrer Spießgesellen. Sie beraubten die Witwen und Waisen, während sie heimtückisch waren, Verleumdungen verbreiteten und viele Verbrechen begingen, um durch Folter Geld zu erpressen. Meistens wurden die Wehrlosen in Kerker und Fesseln verschleppt und die Unschuldigen gefoltert aus keinem anderen Grund, als weil man glaubte, dass sie noch etwas besäßen. Und vor allem die, die wegen der Verschwendungssucht und der Ausschweifung ihrer Herren schon nichts mehr besaßen, wurden für Turniere und die pompöse Eitelkeit der Welt, für überflüssige Ausgaben, Schulden und Zinsen in Fesseln gelegt. Aber auch Spielleute und Jongleure, Possenreißer, Landstreicher und Narren, Hofschranzen und Ehebrecher verzehrten den Besitz der Räuber, wie wenn sie zu ihrem Fürsten oder Tyrannen sagen wollten: „Reiße nieder, reiße nieder, bis auf den Grund.“[9] „Kreuzige, kreuzige“[10], schlachte und iss.

Dieselben Fürsten aber erlaubten zum Vollmaß ihrer eigenen Verdammnis den Huren und Bordellen, den Spielern, Wirtshäusern und Spelunken, die den Fallgruben der Räuber und den Synagogen der Juden ähneln, dem ungerechten Maßnehmen, den gefälschten Waagen und anderen Krankheiten dieser Art, die die Welt und ihre Staaten und Länder besetzten, und die sie austilgen, zerstören, verderben und zerreißen sollten, fortwährend zu wachsen. Nicht nur diejenigen, die solches verüben, sondern auch diejenigen, die zustimmen, werden das Reich Gottes nicht besitzen.

[1] Nachdem wir am 28. November mit dem Übersetzungsprojekt zur Historia Occidentalis begonnen haben, folgt hier nun das dritte Kapitel. Bitte beachten Sie zum besseren Verständnis immer die Einleitung, mit Informationen zur Vorgehensweise beim Übersetzungsprojekt und zum Editionstext, der die Grundlage für diese Übersetzung bildet: http://mittelalter.hypotheses.org/2529.

[2] Hist. Occ. III, ed. Hinnebusch, S. 79-81.

[3] Jes 33,1, eigentlich „vae qui praedaris nonne et ipse praedaberis“ (BSV).

[4] Mi 3,3.

[5] Klgl 1,9.

[6] Weish 6,7.

[7] Spr 1,14.

[8] Jes 1,17.

[9] Ps 136,7 (Ps 137,7).

[10] Lk 23,21.

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Empfohlene Zitierweise: Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte 1-2, übers. von Christina Franke, mit einer Einleitung von Björn Gebert, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 9. Dezember 2013, http://mittelalter.hypotheses.org/2634 (ISSN 2197-6120).

 

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2634

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Review: 3. Alfried Krupp-Sommerkurs für Handschriftenkultur an der Universitätsbibliothek Leipzig (8.-14.9.2013)

Renaissance der Sommerkurse

Wenn sich der Sommer und die Vorlesungszeit ihrem Ende entgegen neigen, beginnt für den akademischen Nachwuchs die Zeit der Sommerkurse. Gerade im Bereich der mediävistischen Hilfswissenschaften scheint sich diese Form der Fortbildung zunehmender Beliebtheit zu erfreuen, wie zwei unlängst auf diesem Portal erschienene (und sehr positive) Erfahrungsberichte vermuten lassen.

Auch die Universitätsbibliothek Leipzig bietet seit drei Jahren Sommerkurse für Handschriftenkultur an, deren Realisierung sich der großzügigen Förderung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung (kurz: Krupp-Stiftung) verdankt. Ein Kurs zur mittelalterlich-abendländischen Handschriftenkunde konnte vom Handschriftenzentrum der UB Leipzig im September diesen Jahres in Zusammenarbeit mit dem Mediävisten-Verband zum zweiten Mal stattfinden .

Diese zunehmende Häufung solcher Kursangebote hat dabei nicht etwa zu einem redundanten Überangebot geführt, im Gegenteil: Das Panorama der handschriftenzentrierten Sommerkurse in Deutschland erscheint durch eine jeweils eigene Schwerpunktsetzung erfreulich bunt.

Von eher inhaltlich orientierten Kursangeboten, etwa dem Sommerkurs in Wolfenbüttel, reicht die Palette über im klassischen Sinne hilfswissenschaftliche Fortbildungsangebote, wie den kürzlich rezensierten Münchner Sommerkurs, bis zum umfangreichen Lehrgang SCRIPTO (und diese Liste ließe sich sicherlich beliebig fortsetzen). Sommerkurse bieten damit damit zunehmend eine notwendige und sinnvolle Ergänzung zum Curriculum an den Universitäten, an der die historischen Grundwissenschaften ja bekanntermaßen im Schwinden begriffen sind.

Handschriftenkultur im Fokus

Auch der Leipziger Sommerkurs unter der Leitung von Dr. Christoph Mackert hat einen ganz eigenen Zugang und Schwerpunkt gewählt und damit mit den Worten des Kursleiters „ein Experiment gewagt“, das meiner Ansicht nach durchaus geglückt ist. Ein weiterer – nunmehr dritter – Erfahrungsbericht auf diesem Blog scheint daher durchaus gerechtfertigt.

Die „Leipziger Schule“ zeichnet sich dabei durch einen fast schon holistischen Ansatz aus, der nicht nur einzelne Aspekte der Handschriftenkunde in den Blick nimmt, sondern sich im Grunde der Handschriftenkultur des Mittelalters als Ganzes widmet. Neben einer inhaltlichen Erschließung dieses breiten Feldes liegt eine Besonderheit des Kurses in der umfangreichen und (angeleitet) selbstständigen Arbeit der Teilnehmer mit dem Originalmaterial, den Handschriften. Thematischer Schwerpunkt des diesjährigen Kurses war vor allem der Bereich der Musikpaläographie und Liturgie. Trotz der fundamentalen Rolle dieser Bereiche für die mittelalterliche Kultur betrat der überwiegende Großteil der Teilnehmer mit dieser Themensetzung #Neuland, ein Umstand, der sicherlich als Verdienst des Kurses zu gelten hat.

Kursprogramm

Während der erste Leipziger Sommerkurs 2011 sich als Einführung in die Bearbeitung historischer Buchbestände und das Erkenntnispotential materialbasierten Forschens verstand, richtete sich der diesjährige Kurs an fortgeschrittenere Teilnehmer, die sich im Rahmen einer Abschlussarbeit oder Dissertation bereits mit den Grundlagen der Handschriftenarbeit vertraut gemacht haben. Die Einheiten des Kurses konzentrierten sich daher weniger auf das grundsätzliche Arbeiten mit Handschriften, sondern mehr auf die inhaltliche Vertiefung verschiedener Bereiche der Handschriftenkultur des Mittelalters.

Trotzdem begann der Kurs mit einer knappen und sinnvollen paläographischen Einheit durch Prof. Gerlinde Huber-Rebenich (Universität Bern). Hier wurden die Kenntnisse der Teilnehmer aufgefrischt und gute Tipps aus der paläographischen Praxis vermittelt.

Dieser handwerklichen Einführung folgte am Dienstag ein sehr dichter inhaltlicher Einführungsteil unter dem Schlagwort „Textüberlieferung des Mittelalters“. In jeweils etwa einer halben Stunde stellten ausgewiesene Experten einen(/ihren), für die Handschriftenkultur des Mittelalters relevanten Bereich vor: zunächst Dr. Chris Wojtulewicz (King’s College London) den Bereich der Theologie; dann Prof. Susanne Lepsius (Universität München) Recht; Prof. Iolanda Ventura (Université d’Orléans) führte in das Gebiet der mittelalterlichen Medizin ein; Dr. Mackert endete mit einer Übersicht über die Artes liberales. Neben einer systematischen Einführung wurde hier vor allem die handschriftliche Praxis des jeweiligen Gebietes vermittelt.

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Chris Wojtulewicz stellt theologische Handschriften vor

Das Konzept einer halbstündigen Einführung mag vielleicht dem jeweiligen Kenner der Disziplinen als nicht ausreichend erscheinen. Für die wirklich interdisziplinäre Gruppe stellte es sich aber als hervorragend geeignet heraus, um die Teilnehmer für bislang (in unterschiedlichem Maße) fremde Disziplinen zu sensibilisieren. Dieser ganze Block war inhaltlich und zeitlich ziemlich dicht, die kurzweiligen und vor allem praxisnahen Vorträge aber noch im Bereich des Aufnehmbaren.

Während die inhaltliche Sitzung am Dienstag Bereiche behandelte, die den meisten Teilnehmern wohl irgendwie geläufig waren, so führten die Einheiten von Mittwoch und Donnerstag den Großteil von ihnen auf unbekanntes Terrain. In zwei größeren Blöcken stellten Prof. Jeremy Llewellyn (Schola Cantorum Basiliensis) und Prof. Felix Heinzer (Universität Freiburg) die mittelalterliche Musik und Liturgie bzw. die musikalische und liturgische Handschriftenkultur vor. Dieses Feld, das wohl einen der wichtigsten Bereiche der mittelalterlichen Kultur und ihrer handschriftlichen Überlieferung darstellt, wird außerhalb der jeweiligen Spezialdisziplin häufig leider nicht ausreichend vermittelt. Schnell wurde deutlich, dass dieser Umstand wohl auch in der hohen Komplexität des Materials begründet liegt.

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Jeremy Llewellyn erklärt mittelalterliche Notationssysteme

Trotzdem gelang es beiden Dozenten eine Basis zu vermitteln und vor allem Interesse zu wecken, auf das sich aufbauen lässt: Zunächst führte Jeremy Llewellyn anhand des Leipziger Thomas-Graduale in das weite Feld der mittelalterlichen Musik, vor allem aber in die Musikpaläographie ein. Dass es ihm dabei gelang, Historikern, Skandinavisten, Germanisten, Anglisten, Buchwissenschaftlern und Kunsthistorikern (und natürlich -innen) in ca. anderthalb kurzweiligen Stunden (unter vielem anderen) den Unterschied von adiastematischen und diastematischen Neumen zu verdeutlichen, spricht auch hier für die Qualität der Lehreinheiten.

 

Am nächsten Tag vermittelte Felix Heinzer die Grundlagen zur Erschließung liturgischer Handschriften und deren historischen Kontexts in Messe und Offizium in ähnlicher Weise. Musik- und Liturgiewissenschaftler wurden die Teilnehmer dadurch natürlich nicht, sicherlich konnte aber die Scheu vieler Teilnehmer vor diesen Handschriften und den mittelalterlichen Notationen genommen werden.

Als besonderes Highlight wurden diese theoretischen Einführungen am Mittwochabend durch einen Einblick in die Praxis des liturgischen Gesangs im Leipziger Thomanerkloster um 1300 ergänzt.

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Felix Heinzer und das Ensemble Amarcord

Auf der Grundlage des Thomas-Graduale interpretierte das Ensemble Amarcord den Gesangsteil einer Liturgiefeier (Kirchweih) in ihrem Ablauf. Jeremy Llewellyn und Felix Heinzer erklärten und kommentierten einem größeren Publikum die Hintergründe der liturgischen Feier und boten ergänzende Hinweise auf die priesterlichen Gebete, Lesungen und kultischen Handlungen zwischen den Messgesängen. Schon allein von der musikalischen Darbietung war der Abend ein Genuss. Übrigens schloss die Bibliotheca Albertina extra für diese Aufführung einige Stunden früher, wofür hier nochmals gedankt sein soll.

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Naumburger Chorbuch

Abgeschlossen wurde der inhaltliche Aspekt des Kurses durch eine freitägliche Exkursion nach Naumburg, wo Archivleiter Matthias Ludwig von den Vereinigten Domstiftern durch den Dom, das Archiv und die Bibliothek führte und dabei einen Einblick in eines der acht riesigen Naumburger Chorbücher gewährte.

Arbeit mit den Handschriften

Soviel zum gelungenen inhaltlichen Programm des Kurses. Meiner Ansicht nach lag die Stärke des Kurses aber vor allem in der Arbeit mit den Handschriften. Zunächst möchte ich vorausschicken, dass das Handschriftenzentrum Leipzig hierfür ideale Bedingungen geschaffen hatte. So war etwa  der Lesesaal extra für uns reserviert worden und Christoph Mackert und sein Team sowie die Dozenten waren jederzeit mit Rat, Tat und dem richtigen Hilfsmittel zur Stelle. Ich persönlich glaube, dass ich durch diese vielen Tipps und Tricks aus der Praxis am meisten gelernt habe.

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Die Handschriften werden ausgewählt

Schon im Vorfeld des Kurses bekamen alle Teilnehmer eine Objektliste der Handschriften aus den im Kurs relevanten Themengebieten. Darunter 30 liturgische Fragmente aus der Zeit vom 9./10. bis ins 15. Jahrhundert, daneben ca. 20 unterschiedlichste Codices, darunter vor allem Objekte, die bislang noch nicht tiefer erschlossen worden sind. Jeweils der halbe Tag war zur Bearbeitung der Handschriften reserviert.

Die Ergebnisse dieser Bearbeitung wurden am Ende des Kurses präsentiert. Hier konnte eigentlich jede Gruppe bislang unbekannte und überraschende Erkenntnisse für eine ihrer Handschriften oder Fragmente vorweisen, so dass die Teilnehmer nicht nur klüger, sondern vor allem um ein kleines Erfolgserlebnis reicher nach Hause gehen durften. Gerade bei der Arbeit mit dem handschriftlichen Original ist das ja nicht unbedingt selbstverständlich.

Teilnehmer und Organisation

Ein paar Worte noch zur Organisation des Kurses: Sehr positiv aufgefallen ist mir die aufwändige und gelungene Organisation des Kurses durch das Team des Handschriftenzentrums, die den Aufenthalt für die Teilnehmer so angenehm und produktiv wie möglich gestaltet haben. Auch die Nachbereitung der Kurseinheiten war durch das Bereitstellen von Materialien, Fotos und Digitalisaten hervorragend und nachhaltig.

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Hilfsmittel werden vorgestellt…

Am wichtigsten und augenscheinlichsten war aber die wirklich angenehme Atmosphäre: zum einen durch die Mitarbeiter und Dozenten, die über das übliche Maß hilfsbereit, hilfreich und offen für Fragen und Gespräche aller Art waren.

Zum anderen ist aber auch das Auswahlkonzept der Kursteilnehmer aufgegangen, bei dem großer Wert darauf gelegt wurde, möglichst viele Leute aus unterschiedlichen Fächern und Universitäten zusammenzubringen. Diese interdisziplinäre Heterogenität der Gruppe mit den jeweils sehr unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmer war aus meiner Sicht ein großer Gewinn für den Kurs.

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… und gewälzt

Zusammenfassend hat das Team des Handschriftenzentrums mit dem diesjährigen Sommerkurs unter großem Einsatz ein beeindruckendes Programm auf die Beine gestellt und dabei für eine so freundliche Atmosphäre gesorgt, die nicht nur das Arbeiten und Lernen gefördert, sondern auch den persönlichen Austausch der Teilnehmer über Fachgrenzen hinweg ermöglicht hat (sowohl während als auch nach dem täglichen Kursprogramm).

Und zu allerletzt noch eine Anmerkung zur Förderung des Kurses durch die Alfried-Krupp-Stiftung. Gerade beim wissenschaftlichen Nachwuchs ist die finanzielle Situation ja durchaus sehr unterschiedlich, ebenso die Reise-, Unterkunfts- und Teilnahmekosten eines solchen Kurses. Der Alfried-Krupp-Stiftung ist es zu verdanken, dass durch die Übernahme all dieser Kosten die Teilnahme am Sommerkurs keine Frage des eigenen Geldbeutels oder Projektbudgets war, was eine Besonderheit des Leipziger Kursangebots darstellt. Ich bin mir nicht sicher, ob Handschriftenkurse bei Stiftungen grundsätzlich oberste Förderpriorität besitzen, ich hatte aber auf jeden Fall den Eindruck, dass das Geld, zumindest am Ertrag des Kurses gemessen, gut angelegt war.

Ich persönlich konnte für mein Dissertations-Projekt viel mitnehmen und fühle mich nun relativ gut auf die Arbeit mit den Handschriften vorbereitet. Dass darüber hinaus auch sehr nette persönliche und „berufliche“ Kontakte entstanden sind, rundet das Bild des Leipziger Sommerkurses nur ab, den ich nachdrücklich jedem Mediävisten empfehlen kann.

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Abschlussfoto

Fotos: Handschriftenzentrum der UB Leipzig

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2644

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Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte (Jacobus de Vitriaco: Historia Occidentalis, deutsch), 1-2


Einleitung zum Übersetzungsprojekt

(Björn Gebert)

Die Historia Occidentalis Jakobs von Vitry (gest. 1240) stellt eine ungemein reiche und bekannte Quelle für die Geschichte der lateinischen Kirche im frühen 13. Jahrhundert aus der Sicht eines ihrer Vertreter dar. Der Autor, ein Regularkanoniker, hatte in Paris studiert, gegen die Albigenser gepredigt, war zeitweise Bischof von Akkon und war, gleichsam Höhepunkt seiner kirchlichen Karriere, im Jahr 1229 durch Papst Gregor IX. zum Kardinalbischof von Tusculum erhoben worden.[1] Er darf als Förderer der semireligiosen Lebensweise der Beginen, als Beobachter und Kenner der religiosen Bewegungen seiner Zeit und als Befürworter der Kirchenreform gelten. Die Historia Occidentalis, die er wohl um 1225 vollendete,[2] ist nach einer Historia Orientalis der zweite von drei geplanten Teilen von Jakobs Historia Hierosolimitana abbreviata, die neben zahlreichen Predigten[3] sowie Briefen und einer Vita wiederum nur einen Teil seines schriftlichen Schaffens darstellt.

Bei der Historia Occidentalis handelt es sich freilich nicht um das Werk eines Historikers, der in jedem Fall objektiv versucht Fakten darzustellen. Sie ist zwar durchaus eine historia in Form einer “Historiographie religiösen Lebens”,[4] aber Haltung und Intention des Autors hat Franz J. Felten kürzlich gut auf den Punkt gebracht:

Zweifellos war er ein gut informierter, verständiger, aber unterschiedlich verständnisvoller Beobachter des religiosen Lebens seiner Zeit, oft genug als Augenzeuge. Vor allem aber erscheint er als Theologe und Prediger mit den zeit- und standestypischen Denkmustern (wie z. B. alternde Welt, allgemeiner Sittenverfall, Wesen der Frau) und paränetischen Absichten.”[5]

Dabei ist das Bild, das Jakob von Geschichte und Gegenwart zeichnet, so Felten weiter, “(zumindest teilweise) bewusst konstruiert […], um die höheren kirchenpolitischen Ziele des Autors zu fördern”.[6]

Inhaltlich bietet Jakob im Wesentlichen eine Zustandsbeschreibung der zeitgenössischen westlichen Kirche und Welt, die zunächst sehr düster ausfällt, etwa wenn er die Bewohner des Abendlandes im Allgemeinen, speziell aber auch weite Teile des Klerus als sündhaft und sittenarm beschreibt.[7] Eine Hoffnung und gewissermaßen ein Licht in der Finsternis stellen für den Autor neben einzelnen Klerikern, quasi stelle in firmamento caeli,[8] vor allem die jüngeren, reformorientierten religiosen Bewegungen seiner Zeit dar.[9] Theologische Ausführungen über das Priesteramt und die Messe, das Bischofsamt und die Sakramente bilden den Abschluss des Werkes.[10]

Für die Historia Occidentalis liegt eine kritische Edition aus dem Jahr 1972 vor, die von dem Dominikaner John Frederick Hinnebusch besorgt wurde.[11] Eine publizierte vollständige englische oder deutsche Übersetzung gibt es bislang jedoch nicht.[12] Angesichts der unbestrittenen Bedeutung dieser Quelle,[13] die unter anderem auch darin besteht, dass ihr Autor spätestens 1219 mit Franziskus von Assisi zusammengetroffen war[14] und deshalb in seiner Chronik ein sehr frühes und externes Zeugnis für die junge franziskanische Bewegung liefern konnte, überrascht dieser Befund.[15] Zwar wird der Forscher ohnehin zum lateinischen Text greifen müssen, will er mit der Quelle methodisch sauber arbeiten, doch für die akademische Lehre, gerade in Hinblick auf Studienanfänger, die über (noch) keine Lateinkenntnisse verfügen, erscheint eine Übersetzung ins Deutsche ein Desiderat. Ausgehend von der Edition von Hinnebusch soll dies nun von Christina Franke geleistet und das Ergebnis hier auf dem Blog zur Verfügung gestellt werden.[16]

Theoretisch ist es das Ziel, monatlich ein oder zwei Kapitel zu veröffentlichen, aber garantiert werden kann diese Regelmäßigkeit leider nicht, da weder die Übersetzerin, noch der Redakteur die Arbeit an diesem Vorhaben hauptberuflich betreiben bzw. mangels Finanzierung auch gar nicht betreiben könnten.

Es folgt die Übersetzung des ersten und zweiten Kapitels nach der Edition Hinnebuschs, die bei der Lektüre immer mit herangezogen werden sollte, da alternative Lesarten in der Übersetzung i.d.R. nicht berücksichtigt werden und nur die in der Edition als direktes Zitat gekennzeichneten alt- und neutestamentlichen Textstellen ausgewiesen werden. Bemerkungen/Ergänzungen zum besseren Verständnis werden nur in Einzelfällen vorgenommen und durch eckige Klammern gekennzeichnet bzw. erscheinen in den Anmerkungen, falls sie ausführlicher ausfallen. Die Seitenzahlen für die jeweiligen Kapitel bei Hinnebusch werden immer per Anmerkung hinter der Kapitelüberschrift nachgewiesen.[17]

Erstes Kapitel

Von der Verführung des Abendlandes und den Sünden der Abendländer[18]

Wie die morgenländische Kirche, die einstmals von den Enden der Erde kam, um die Weisheit Salomons zu hören, mannigfaltigen Schicksalen ausgesetzt und durch verschiedenste Bitterkeiten niedergedrückt, ihre Freude in Trauer und Trübsal verwandelte, so blieb auch ihre erstgeborene, besondere Tochter, die Kirche Jerusalems, der Kleidung ihrer Ehre beraubt und von vielen Fleischern zerrissen, fast nackt zurück, „wie die Eiche, wenn die Blätter fallen“[19], so als wäre das Wasser aus ihrer Quelle fast vertrocknet. Nichtsdestotrotz freilich hörte der unersättliche Feind des Menschengeschlechts, die sich ringelnde Schlange nicht auf, in den Landstrichen seiner tödlichen Schlechtigkeit ein verderbliches Gift zu verbreiten, und nachdem das Haupt verwundet war, wollte er die Glieder auf alle Arten verletzen.

Das Haupt und die Mutter des Glaubens ist Jerusalem, so wie Rom das Haupt und die Mutter der Gläubigen ist. So sehr strahlte nun der Schmerz des Hauptes in die Glieder aus, und so sehr zeigte der Herr seinen Zorn und Unwillen durch zahlreiche Strafqualen, dass der gerechte Rächer der Verbrechen, „Gott, der Herr der Rache“[20], nachdem das Heilige Land wegen der Forderungen unserer Sünden in die Hände der Ungläubigen gefallen war, die ganze Welt schlug, indem er ihr viele Qualen auferlegte. Er erlaubte in Spanien den Mauren, in der Provence und der Lombardei den Häretikern, in Griechenland den Schismatikern und überhaupt überall „falschen Brüdern“[21], sich gegen uns zu erheben. Um ein Wort des Propheten zu gebrauchen: So zerbrach der Herr im Takt unsere Zähne, dass, nachdem die Heilige Stadt verlassen worden war, die Ehre der Kirche verringert und ihre Zähne verschoben, das heißt, zerbrochen wurden. Wie viele Kinder auch immer in der Welt geboren wurden, die hatten immer zwei oder drei Zähne weniger als die anderen, die bereits erzeugt worden waren. Nachdem die Zähne zerstört waren, zerbrach der Herr alle unsere Knochen, „verklebt wurde unser Bauch auf der Erde“[22], und unsere Seele haftete am Boden.

Weil die Schlechtigkeit der Menschen auf diese Weise zunahm und zum Bösen geneigt war, wurde sie immer weiter abwärts getragen. Es vertrockneten die Euter, die einstmals Trauben gleich gewesen waren, und die Lehre des Evangeliums erschien gering, während die göttlichen Weisungen fortwährend von den Frevlern niedergetreten wurden. Sie verkehrten Silber zu Asche und mischten den Wein mit Wasser. Alle Ehrerbietung Gottes und der Menschen warfen sie hinter sich, und die Gesichter der Priester erröteten nicht, obwohl sie dem Schädlichen folgten, sich vom Heilbringenden abwandten und sich dem Schlimmsten zuneigten. Der Beste unter ihnen war dem Hagedorn gleich, und der Aufrechte glich der Mauerzinne. Auflösung von Verwandtschaftsbanden und Verfinsterung war in jeder Seele, und die Gesichter aller glichen jener Schwärze. Es fehlte der Glaube, die Barmherzigkeit wurde ausgelöscht und alle Tugend ging zugrunde. Im Sumpf dienten sie mit Ziegel und Stroh dem Pharao. Die Herrschaft des Machthabers und Fürsten der Finsternis erstreckte sich demgegenüber weit und breit.

Die Söhne Zions, die einstmals berühmt waren und ursprünglich in Gold gekleidet, wurden nun für irdene Gefäße gehalten. Ihre Leber war auf die Erde ausgeschüttet, sie irrten blind durch die Straßen und sie waren beschmutzt mit Blut. Auf jämmerliche Weise brachten sie die Ungeheuer ihrer Verbrechen und die Zeichen ihrer Abscheulichkeit hervor, und sie durchschweiften den Erdkreis. Zur Hure ist geworden, die einstmals Stadt der Gläubigen war. „Der Feind streckte seine Hand aus nach allen ihren Schätzen.“[23] „Ihre Fürsten waren in ihrer Mitte wie brüllende Löwen. Ihre Richter waren Wölfe am Abend, am Morgen ließen sie nichts zurück.“[24] „Jedes Haupt war matt und jedes Herz schuldig.“[25] Ihre Fürsten waren Ungläubige, Verbündete von Dieben. „Knabe und Greis lagen draußen auf der Erde.“[26]

Vergangen war die Gerechtigkeit aus den Dingen, die Furcht vor dem Herrn verschwand aus der Öffentlichkeit und Gewalt herrschte durch erzwungene Gleichheit unter den Völkern. Betrug, Hinterlist und Täuschung umgaben weit und breit die Welt. Verschwunden war das Messopfer von Brot und Wein aus dem Haus des Herrn und entvölkert war die Gegend. Es trauerte der Erdboden, weil der Weizen verwüstet war. Der Wein wurde gepanscht, das Öl geriet ins Stocken. Die Bauern waren verwirrt und die Winzer klagten über Weizen und Gerste, denn vergangen war die Erntezeit auf dem Acker. Der Feind hielt Lese im Weinberg des Herrn.

Alle Tugend hatte Platz gemacht und war gleichsam unnütz vergangen. Während die Bosheit Einzug hielt, gab es keinen, der sich entgegenstellte und am Herrn festhielt, oder auch in der Bresche mit ihm stand. Sie hatten eine Wolke entgegengestellt, damit das Gebet nicht durchdringe.

Während die Welt sich jedoch gegen Abend neigte, war die Liebe so sehr erkaltet und wurde Glaube auf der Erde nicht mehr gefunden, dass die zweite Ankunft des Menschensohns nahe und gleichsam schon vor der Tür zu stehen schien. Der Sohn beschimpfte den Vater, die Tochter stand gegen die Mutter auf, die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter, und die Feinde des Menschen waren seine Hausgenossen. Das Heilige wurde vom Profanen nicht unterschieden. Was immer sie begehrten, hielten sie für erlaubt. Alles stand durch die Sünde auf dem Kopf. Wie ein ungezügeltes Pferd wurden sie kopfüber fortgetragen, während sie mit sinnloser Unruhe an den Zügeln zogen. Das Band des Wagens war gleichsam die Sünde. Alle ihre Verfolger, die bösen Geister nämlich, trieben sie in die Enge und „sie wurden in die Gefangenschaft geführt vor dem Angesicht des Feindes“[27]. Sie wollten nicht achtgeben und wandten sich ab. Ihre Ohren verstopften sie, so dass sie nicht hörten, und sie machten ihr Herz zu Stein. Gitarre, Leier, Trommel, Flöte und Wein gab es auf ihren Gelagen, das Werk des Herrn aber achteten sie nicht.

Die Aufrichtigkeit der Sitten und die Zierde der Tugenden fanden, Vertriebenen gleich, keinen Platz, wo die herrschenden und weit ausschweifenden Sünden alles besetzten. Das dem Himmel Freundliche und die gottgefälligen Dinge achteten sie, gleich einer verächtlichen Sache, für nichts. Wo sie also fortwährend und ohne Schamesröte Unkeuschheit trieben wie die Sau im Schlamm, hielten sie Gestank für Köstlichkeit. Gleich dem Vieh vermoderten sie im Schweinekot, während sie ein unbeflecktes Ehebett und eine ehrenhafte Heirat gering achteten. Unter Verschwägerten und Nahestehenden waren die Ehebünde nicht sicher, aber die überstürzte Begierde kümmerte sich nicht um die Gefahren des Geschlechts.

Während also Besonnenheit und Mäßigung ins Exil gingen, besetzten Völlerei und Trunkenheit den Platz. „Wie die Dornen sich gegenseitig umgreifen, so auch sie bei ihren Gelagen.“[28] Alle Tische wurden gefüllt mit Unflat und Schmutz, so dass kein Platz mehr darüber hinaus blieb. Hurerei, Wein und Trunkenheit trugen das Herz davon. Aber das nächtliche Würfelspiel, die gierige und zugleich bittere Sorge der Würfel, auch unerwartete Fälle [der Würfel] riefen Zorn, Betrug, Beleidigung und Streit, ebenso verbrecherische Lästerung gegen Gott hervor, und führten ihre Verehrer häufig in die Grube der Verzweiflung.

 Zweites Kapitel

Von den Gierigen und den Wucherern[29]

Obwohl Gott und den Menschen gefällig, waren Edelmut, Freigiebigkeit und Großzügigkeit aus der Öffentlichkeit verschwunden, weil die Wurzel allen Übels, nämlich die Pest der Habgier, fast alles besetzte und mit dem Gift der Begierde ansteckte: So sehr, dass, während das scheußliche Verbrechen der Zinsnahme fortwährend und gleichsam erlaubt die gierigen Wucherer in Besitz hielt, die Lehnsleute wegen dieses unersättlichen Blutegels die Güter und weiten Ländereien im Stich ließen. Die Armen wurden beraubt und die Kirchen geplündert, während die Pest des Zinses, die mit jedem Augenblick wuchs und keine Ruhe geben konnte, sie immer weiter durch Wucherer in Schulden drängte. Dieses unreine und verwerfliche Menschengeschlecht war jedoch überall so sehr erstarkt, dass die, die Zinsen und Überschüsse über das rechte Maß hinaus ohne Erbarmen eintrieben, nicht nur die Städte und Weiler, sondern auch die Landgüter erfüllten, während sie sowohl bei Tag als auch bei Nacht, stündlich und in jedem Moment Handel auf ihre eigene Verdammnis hin betrieben, obwohl doch der Herr sagt: „Gebt einander und erhofft euch davon nichts.“[30] Und weiterhin: „Ihr sollt nichts von einem Raubtier Zerrissenes essen.“[31] Die Söhne, die Töchter und alle die, von denen jenes unheilvolle und krankmachende Geld festgehalten wurde, zogen sie mit sich hinüber durch das Feuer, so dass sich erfüllen sollte, was geschrieben steht: „Sie opferten ihre Söhne und ihre Töchter den Dämonen.“[32] Die Pfänder aber, die sie gänzlich durch Glück empfangen hatten, weigerten sich die vermessenen Söhne der Verdammnis entgegen dem Gebot des Herrn zurückzugeben. Er sprach nämlich in Leviticus: „Wenn dein Bruder den Preis für den Rückkauf aufbringen kann, soll man die Früchte von der Zeit an rechnen, in der er verkauft hat, und was übrig bleibt, soll er dem Käufer zurückgeben. So kann er seinen Besitz wieder erwerben.“[33] Er [= Moses] nennt jedoch den ‘Käufer’, der gegen Geld Früchte und keinen Besitz kauft. Andere verkauften ihre Waren zum höchsten Preis, weil sich die Zeit des Loskaufs verzögern könnte, oder sie kauften Waren, die in Zukunft wertlos sein werden, weil sie die Zeit des Loskaufs schon vorhersahen, und verschrieben sich so selbst der Strafe des ewigen Todes und der Verdammnis.

[1] Vgl. Geschichte des Kardinalats im Mittelalter, hrsg. von Jürgen Dendorfer und Ralf Lützelschwab, Stuttgart 2012 (Päpste und Papsttum 39), S. 480.

[2] Vgl. Jacques de Vitry, Histoire Occidentale, trad. par Gaston Duchet-Suchaux, introd. et notes par Jean Longère, Paris 1997, S. 32-37.

[3] Neben seinen Zeitgenossen, dem Zisterzienser Casearius von Heisterbach und dem englischen Theologen Odo von Cheriton, war Jakob von Vitry einer der ersten Autoren, die exempla in ihre Predigten integrierten. Vgl. Caesarius von Heisterbach, Dialogus Miraculorum / Dialog über die Wunder, 1. Teilbd., eingel. von Horst Schneider, übers. und komm. von Nikolaus Nösges und Horst Schneider, Turnhout 2009, S. 57. Ausführlich zu den exempla Jakobs hat zuletzt  Marygrace Peters, Speculum vitae et fidei. The exempla as an historical source in medieval preaching for understanding its context and audience, with emphasis on Jacques de Vitry’s “Sermones Vulgares”, Diss. Boston 1993 gearbeitet.

[4] Franz J. Felten: Geschichtsschreibung cum ira et studio. Zur Darstellung religiöser Gemeinschaften in Jakob von Vitrys Historia occidentalis, in: Christliches und jüdisches Europa im Mittelalter, hrsg. von Lukas Clemens, Trier 2011, S. 83-120, hier S. 118.

[5] Ebda., S. 117. Weitere Kritik übt Felten etwa an der vagen Chronologie innerhalb des Werkes (S. 88 f.) und zumindest mit Verwunderung und leichtem Befremden konstatiert er die Vernachlässigung der Frauengemeinschaften einiger Orden (S. 108-111).

[6] Ebda., S. 118.

[7] John Frederick Hinnebusch, The Historia Occidentalis of Jacques de Vitry. A Critical Edition, Fribourg 1972 (Spicilegium Friburgense 17), Kapitel II-V; VII, X, XXX-XXXI. Die Kapiteleinteilung in der Edition von Hinnebusch geht auf eine moderne Strukturierung des Textes zurück, die schon vom Editor (S. 20-24, 62-64) selbst kritisiert wurde, zuletzt auch von Felten, Geschichtsschreibung (wie Anm. 4), S. 87 f.

[8] Hinnebusch, Historia (wie Anm. 7), VI, VIII, IX. Zitat aus Kapitel IX, Z. 9-10.

[9] Ebda., Kapitel XIIII-XXIX, XXXII.

[10] Ebda., Kapitel XXXIIII-XXXVIII.

[11] Hinnebusch, Historia (wie Anm. 7).

[12] Allerdings existiert eine Übersetzung ins Französische: Jacques de Vitry, Histoire Occidentale (wie Anm. 2). Als Beispiel für eine veröffentlichte englische Teilübersetzung ist Jessalynn L. Bird, Texts on hospitals. Translation of Jacques de Vitry, Historia Occidentalis 29, and edition of Jacques de Vitry’s sermons to Hospitallers, in: Religion and Medicine in the Middle Ages, ed. by Peter Biller and Joseph Ziegler, York 2001 (York studies in medieval theology 3), S. 109-134 anzuführen.  Des Weiteren wurden Übersetzungen von Briefen Jakobs: Jacques de Vitry, Lettres de la cinquième croisade, texte latin établi par G. Duchet-Suchaux. Trad. et prés. par R. B. C. Huygens, Turnhout 1998 (Sous la règle de Saint Augustin 5) und der Historia Orientalis: Jacques de Vitry, Histoire orientale, introd., édition critique et traduction par Jean Donnadieu, Turnhout 2008 (Sous la règle de Saint Augustin 12) ins Französische veröffentlicht. Eine Übersetzung der von Jakob verfassten Vita von Maria von Oignies ins Deutsche ist bei Brepols im Druck: Jakob von Vitry, Thomas von Cantimpré, Das Leben der Maria von Oignies, übers. von Iris Geyer, Turnhout [2014] (Corpus Christianorum in Translation 18).

[13] Vgl. etwa Herbert Grundmann, Religiöse Bewegungen des Mittelalters. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik, 4. unveränd. Aufl., Darmstadt 1977, S. 171, Alfred John Andrea, Walter, archdeacon of London, and the Historia occidentalis of Jacques de Vitry, in: Church History, 50 (1981), S. 141-151, hier S. 141 f. und Felten, Geschichtsschreibung (wie Anm. 4), S. 118.

[14] Vgl. Pascale Bourgain, Art. “Jakob von Vitry”, in: Lexikon des Mittelalters 5, Sp. 295. Grundmann, Religiöse Bewegungen (wie Anm. 13), S. 172 vermutete schon für 1216 eine Begegnung der beiden Männer in Perugia, wo zu dieser Zeit Papst Innocenz III. gestorben war.

[15] Überhaupt fällt die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zur Historia Occidentalis im Vergleich zur Historia Orientalis und zum Predigtwerk Jakobs auffallend gering aus, konsultiert man den RI-Opac. Als Standardwerk zum Autor und seinem Gesamtwerk ist immer noch Philipp Funk, Jakob von Vitry, Leben und Werke, Leipzig 1909 (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 3) zu betrachten. Da seit dieser Studie jedoch über ein Jahrhundert vergangen ist, kann mit Spannung die Dissertation von Michael de Nève erwartet werden, der das Thema “Jacobus de Vitriaco. Wirken, Werk und Wirkung zwischen ‘cura animarum’ und ‘Curia Romana’” bearbeitet.

[16] Eine Übersetzung ist freilich immer nur als Übersetzungsangebot zu betrachten, da sie zwangsläufig bereits interpretiert, sobald sie sich aus oft vielfältigen Möglichkeiten für eine Wortbedeutung entscheidet. Nochmals sei der Griff zum lateinischen Text für eine detailliertere Beschäftigung mit der Quelle empfohlen.

[17] Angabe wie folgt: Hist. Occ. [Kapitelnummer], ed. Hinnebusch, S. [Seitenzahl(en)].

[18] Hist. Occ. I, ed. Hinnebusch, S. 73-77.

[19] Jes 1,30.

[20] Ps 93,1 (Ps 94,1).

[21] 2 Kor 11,26.

[22] Ps 43,25 (Ps 44,26).

[23] Klgl 1,10.

[24] Zef 3,3.

[25] Jes 1,5.

[26] Klgl 2,21.

[27] Klgl 1,5.

[28] Nah 1,10.

[29] Hist. Occ. II, ed. Hinnebusch, S. 78 f.

[30] Lk 6,35.

[31] Lev 22,8.

[32] Ps 105,37 (Ps 106,37).

[33] Lev 25,25-27.

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Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2529

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“ZeitenWelten”. Zur Verschränkung von Weltdeutung und Zeitwahrnehmung im frühen und hohen Mittelalter. Ein Zwischenbericht

“Schichten” – das ist wohl das wichtigste Stichwort unter dem sich die ersten Teilergebnisse des DFG-geförderten Netzwerks “ZeitenWelten” zusammenfassen lassen: in Zeitschichten, die sich an- und überlagern, aufbrechen und gegeneinander verschieben lassen sich Zeitwahrnehmung und -konzeptualisierung des frühen und hohen Mittelalters am besten beschreiben.
Das interdisziplinäre Netzwerk, das seit 2012 besteht, erforscht das Verhältnis von Zeitwahrnehmung und Weltverständnis zwischen dem 6. und 13. Jahrhundert. Auf fünf Arbeitstreffen und einer großen Abschlusstagung im Frühjahr 2015 werden in elf Teilprojekten sowie im Gespräch mit zahlreichen Gästen aus Geschichte, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften Zeittheorien und -praktiken, Zeitdarstellung, temporale Qualitäten von Raum u.v.m. untersucht.
Gestartet ist das Netzwerk mit der Vorannahme, dass Zeit und Zeitwahrnehmung immer soziale bzw. kulturelle Konstrukte sind, die sich im Zusammenspiel mit theologischen, ästhetischen oder auch ökonomischen Vorstellungen von “Welt”, “Realität” und “Wahrheit” verändern. Die bisherigen Arbeitstreffen haben gezeigt, dass gerade diese Viel-schichtigkeit “Zeit” zu einem Thema für intellektuell anregende Gespräche macht, die sich zu methodischen und theoretischen Grundsatzdiskussionen erweitern.

Nach bisher drei Arbeitstreffen ist es Zeit für eine Zwischenbilanz:
In kritischer Auseinandersetzung mit den Zeitkonzepten Reinhard Kosellecks haben wir einen gemeinsamen Analyserahmen geschaffen, der insgesamt von einer größeren Dynamik mittelalterlicher Zeitvorstellungen ausgeht.
So trägt zum Beispiel die Logik der Heilsgeschichte zur Konzeption von “Zeit in Bewegung” bei: die hermeneutische Auslegung der Bibel führt einerseits zu einem linearen andererseits zu einem zyklischen Zeitverständnis. Aus der Feststellung der zeitlichen Dialektik entwickeln sich Fragen zum Umgang mit Veränderungsdynamiken im Rahmen eschatologischer Zeitkonzepte und mit Widersprüchlichkeiten innerhalb von Zeitkonzeptionen. So interpretiert Richard Corradini (Wien) das “Zeitbuch” des Walahfrid Strabo als Reaktion auf eine Krisenzeit, in der die präsentierten unterschiedlichen und konkurrierenden Zeitstrukturen und -konzepte als variable Alternativmodelle im Sinne von “Langzeitperspektiven und Nachhaltigkeitskonzepten” entworfen werden. Inhaltlich bietet das Zeitbuch “Zeit” in drei verschiedenen Schichten dar: die instabile menschliche Geschichte, die zyklische Zeit Gottes auf Erden und die göttliche Zeit im Zeichen der Gestirne. Aus seinem zeitgenössischen Kontext bietet es in langfristigen Perspektiven intellektuelle Lösungen für den Umgang mit den politischen
Konflikten und Umbrüchen der eigenen Zeit.
Analoge Mehrschichtigkeit lässt Miriam Czock (Essen) zufolge auch in der frühmittelalterlichen Bibelexegese aufzeigen. So offenbaren sich in der “Unberechenbarkeit der berechenbaren Zukunft” zwei Facetten von “kommender Zeit”: zum einen ist die Zukunft das Ergebnis einer linearen Entwicklung, das zurückwirkt auf die Bedingungen des gegenwärtigen Lebens. Zum anderen gibt es das Konzept einer “geoffenbarten Zukunft”, die mit Gegenwart und Vergangenheit verschmilzt. Diese „breite Gegenwart“ (Gumbrecht) der karolingischen Zeit bezieht nicht nur die Vergangenheit in die Gegenwart mit ein, sondern auch die Zukunft, die, obwohl geoffenbart, als offen, gestalt- und planbar verstanden wird. In der Bibelexegese zeigt sich zudem, dass die lineare Zeit zwischen Schöpfung und Jüngstem Gericht als sehr dynamisch gefasst werden kann in ihrer jeweils unmittelbaren Verbindung zu Gott. In ihrer prinzipiell chronologischen Ordnung wird die Zeit der Exegese damit mitunter zyklisch und kann zerdehnt und gestaucht werden. Auch die Gäste des Netzwerks Sumi Shimahara (Paris) und Felicitas Schmieder (Hagen) konnten in ihren Beiträgen die Dynamik der Zeit im Verhältnis zur Ewigkeit in der karolingischen Exegese respektive die “Offenheit” der planbaren Zukunft in der frühmittelalterlichen Apokalyptik feststellen und damit die Ergebnisse der Teilprojekte ergänzen und bestätigen.

Die “Praxen der Zeitlichkeit” können anhand von liturgischen, historiographischen und Memorial- und Rechtsquellen sowie der Frage nach der Logik der Tageseinteilung durch (Gebets)Stunden erschlossen werden. Bestimmte temporale Praktiken lassen sich spezifischen Nutzungskontexten zuordnen, wobei der Umgang mit institutionellen oder theologischen Vorgaben pragmatische ist und Zeitordnungen auch zu Gunsten politischer oder ökonomischer Vorteile verschoben werden können.
In ihrer Analyse der zeitlichen Dimensionen der liturgischen Quellen aus Halberstadt kann Patrizia Carmassi (Göttingen/Wolfenbüttel) drei Aspekte voneinander unterscheiden: die Reflexion über Zeit in heilsgeschichtlicher Perspektive unter Berücksichtigung ihrer Rolle im sakramentalen Geschehen, die Ordnung und Gestaltung der kirchlichen Zeit durch den liturgischen Kalender in synchronischer und diachronischer Perspektive (z. B. durch die Einführung neuer Feste) sowie die Bedeutung der Zeit im Spannungsfeld zwischen liturgischer Kontinuität und Liturgiereform. Diese drei Punkte spielen auch in der Königsabtei St.-Denis im 12. Jahrhundert eine bedeutende Rolle, die im Projekt von Anja Rathmann-Lutz (Basel) untersucht wird. Für die Frage ob und inwiefern sich die Zeitregime der „monastischen Zeit” und der “höfischen Zeit” unterscheiden eignet sich die Multifunktionalität von St.-Denis als kontemplativer Ort, als königliche Grablege und caput regni sowie als Pilgerstätte in besonderer Weise. Mindestens fünf Modi der Zeitorganisation und -repräsentation, die sich wiederum in unterschiedlicher Weise überlagern, können hier idealtypisch beschrieben werden: Die heilige/biblische Zeit und die historische Zeit sind zwar beide vergangen, aber liturgisch aktualisierbar. Die liturgische Zeit ist präsent und momentan und hängt eng zusammen mit der somatischen Zeit, die körperlich und subjektiv messbar ist. Über diesen Zeitebenen liegt dabei die eschatologische Zeit. Vergleicht man die Repräsentation von Zeit im klösterlichen und im höfischen Milieu, zeigen sich zwei gegensätzliche, ideologisch gerahmte Zeitregime: der stabilitas des Klosters steht der durch körperliche Präsenz, kontinuierliche Bewegung und hohe Geschwindigkeit gekennzeichnete, in Historiographie und höfischer Literatur idealisierte Alltag des Hofes gegenüber.
Aus den verschiedenen Techniken bei der Organisation der Namenlisten in libri memoriales aus dem 9. Jahrhundert ergeben sich in den Untersuchungen von Eva Maria Butz (Dortmund) jeweils ganz unterschiedliche Verknüpfungen zwischen den Zeitebenen. So werden im Salzburger Zeugnis Personen der Heilsgeschichte (Patriarchen, Propheten und Apostel), noch lebende Gönner und Vorsteher (Bischöfe, Abt, regionaler Adel, karolingische Könige) und die verbrüderten Verstorbenen, nach ordines gestaffelt, vergegenwärtigt. Andernorts (St. Gallen) hingegen wird gar nicht zwischen Lebenden und Toten unterschieden. Alle Bücher jedoch werden als das irdische Gegenstück zum himmlischen liber vitae gesehen und sind ausnahmslos auf das Jüngste Gericht hin konzipiert. Auswahl und Anordnung der Namenslisten steht in der Regel im Dienste der Sinnstiftung und Legitimation der eigenen Gegenwart. Durch erkennbare Rasuren in einigen Nekrologen (Remiremont) wird deutlich, dass mit der fortschreitenden gegenwärtigen Zeit die Namen ständig umgruppiert wurden und damit eine Neujustierung von Vergangenheit stattfand.
Ebenfalls um Legitimation und Legitimität ging es im Workshop von Andreas Thier (Zürich). Es wurde deutlich, dass in der Lex Baiuvariorum und im Sachsenspiegel durch die Einschreibung rechtlicher Normativität in zeitliche und historische Entwicklungslogiken eine Verbindung des Rechts mit dem göttlichen Heilsplan erreicht wurde, die das sich ständig verändernde Recht legitimierte.
Soziale und ökonomische Einflussnahme auf Zeitordnungen zeigt sich in der von Michael Oberweis (Mainz) untersuchten “Nonverschiebung” bei der aus der “hora nona” im Lauf des 11. -13. Jahrhunderts “high noon” wurde. Sieht man mit Oberweis diesen Vorgang im Zusammenhang mit einer Ausweitung der Sonntagsruhe in der Zeit der Gottesfriedensbewegung so zeigt sich, dass in dieser Einflussnahme zugleich eine Kontrolle der Gesellschaft durch die Zeit liegen kann.

Als nächstes wird das Netzwerk über die räumlichen und bildlichen Dimensionen des Zeitlichen debattieren. Außerdem wird zu fragen sein, auf welche Weise die offenbar gleichzeitig präsenten unterschiedlichen Zeitschichten jeweils wahrgenommen, dargestellt und gewichtet wurden.

Aktuelle Mitteilungen, die ausführlichen Workshop-Berichte von Eva-Maria Butz, Petra Waffner und Uta Kleine (auf denen vorliegende Zwischenbilanz teilweise aufbaut), weitere Informationen und Kontaktdaten finden Sie unter www.zeitenwelten.unibas.ch.

 Miriam Czock und Anja Rathmann-Lutz im September 2013

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2266

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Konferenzblog “Geld – Macht – Emotionen” (DHI Rom)

DHI-Logo_duenner_Rahmen_medium1-110x150Unseres Wissens nach zum ersten Mal wird eine (überwiegend) mediävistisch geprägte Konferenz von einem eigenen Konferenzblog – natürlich Teil von de.hypotheses – begleitet. Am 25. und 26. September findet am Deutschen Historischen Institut in Rom die Konferenz “Geld – Macht – Emotionen. Reichtum in historischer Perspektive / Denaro – potere – emozioni. La ricchezza in una prospettiva storica” statt (Programm hier). Wir sind sehr gespannt, wie das Blog parallel zur Konferenz konkret genutzt werden wird. Die Organisatorin der Konferenz, Petra Schulte, will mit gewissem Abstand auf unserem Blog über ihre Einschätzung von Nutzen und Nachteil eines solchen Mediums für eine Konferenz berichten. Auch darauf freuen wir uns und wünschen der Veranstaltung allen Erfolg!

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2256

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