Johann von Eych: Kommunionverbot für die Diözese Eichstätt. Edition und Kommentar

Kommentar *

Das Kommunionverbot ist eine in der germanistischen Forschung bislang ignorierte Textsorte. Die bislang einzige Edition eines Kommunionverbotes bietet Elisabeth Kully in ihrer Ausgabe des Cod. Quart 565 der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar. Sie verweist zudem auf die lateinische Tradition und weitere Textzeugen.[1] In den Handschriftenbeschreibungen werden Kommunionverbote uneinheitlich als Kommunionverbot, Kommunionsverbot, Kommunionshindernis, Prohibitionsliste, Prohibitionserlass oder als Inhibitiones a sacra communione bezeichnet.[2] Das nach heutiger Forschungslage am häufigsten überlieferte deutschsprachige Kommunionverbot ist das ‚Kommunionverbot für die Diözese Eichstätt‘ des Eichstätter Bischofs Johann III. von Eych (1404‒1464).[3] Dieser Text ist allein aus dem 15. Jahrhundert in mindestens fünf Handschriften[4] und in den drei Inkunabeldrucken der Synodalstatuten der Diözese Eichstätt überliefert:

  • Erlangen, Universitätsbibl.

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Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/11007

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Wollen wir wirklich BeStI(e)n sein? Ein Plädoyer an und gegen „den wissenschaftlichen Nachwuchs“

tldr: Der Begriff des „wissenschaftlichen Nachwuchses“ ist im heutigen Wissenschaftsbetrieb weder brauchbar noch für die meisten der darin Tätigen zutreffend oder angemessen. Er muss ersetzt werden durch einen Begriff, der den Zustand des akademischen Erwachsenwerdens und -seins losgelöst von Dauerstellen und Personalpolitik erreichbar macht. Der erste Schritt ist eine Ablehnung dieser Fremdzuschreibung und eine Neudefinition.

Am 9./10. Februar luden gleich 5 geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Fachverbände in das Schader-Forum in Darmstadt zur wissenschaftspolitischen Konferenz „War die Zukunft früher besser? Akademische und außerakademische Berufsperspektiven in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften“ ein. In Streitgesprächen, Workshops, Dialog-Cafés sowie einer Podiumsdiskussion sollte über die Wege und auch Irrwege des heutigen Wissenschaftsbetriebs in Bezug auf die wissenschaftliche Karriere diskutiert und mögliche Lösungsansätze für die zunehmend als gravierender Missstand empfundene Lage des sogenannten „Mittelbaus“ gefunden werden. Ein Storify von Thorsten Thiel (@thothiel) ist hier verfügbar.

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Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/9774

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Ein süddeutsches Graduale des Deutschen Ordens: die Handschrift St. Peter a VII 20 in Salzburg

Bernhart Jähnig zum 75. Geburtstag gewidmet Gliederung 1. Einleitung 2. Die Handschrift: Kodikologie 3. Die Handschrift: Inhalt und Besonderheiten 3.1. Das Temporale 3.2. Das Sanktorale 3.2.

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Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/8903

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Review: 3. Alfried Krupp-Sommerkurs für Handschriftenkultur an der Universitätsbibliothek Leipzig (8.-14.9.2013)

Renaissance der Sommerkurse

Wenn sich der Sommer und die Vorlesungszeit ihrem Ende entgegen neigen, beginnt für den akademischen Nachwuchs die Zeit der Sommerkurse. Gerade im Bereich der mediävistischen Hilfswissenschaften scheint sich diese Form der Fortbildung zunehmender Beliebtheit zu erfreuen, wie zwei unlängst auf diesem Portal erschienene (und sehr positive) Erfahrungsberichte vermuten lassen.

Auch die Universitätsbibliothek Leipzig bietet seit drei Jahren Sommerkurse für Handschriftenkultur an, deren Realisierung sich der großzügigen Förderung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung (kurz: Krupp-Stiftung) verdankt. Ein Kurs zur mittelalterlich-abendländischen Handschriftenkunde konnte vom Handschriftenzentrum der UB Leipzig im September diesen Jahres in Zusammenarbeit mit dem Mediävisten-Verband zum zweiten Mal stattfinden .

Diese zunehmende Häufung solcher Kursangebote hat dabei nicht etwa zu einem redundanten Überangebot geführt, im Gegenteil: Das Panorama der handschriftenzentrierten Sommerkurse in Deutschland erscheint durch eine jeweils eigene Schwerpunktsetzung erfreulich bunt.

Von eher inhaltlich orientierten Kursangeboten, etwa dem Sommerkurs in Wolfenbüttel, reicht die Palette über im klassischen Sinne hilfswissenschaftliche Fortbildungsangebote, wie den kürzlich rezensierten Münchner Sommerkurs, bis zum umfangreichen Lehrgang SCRIPTO (und diese Liste ließe sich sicherlich beliebig fortsetzen). Sommerkurse bieten damit damit zunehmend eine notwendige und sinnvolle Ergänzung zum Curriculum an den Universitäten, an der die historischen Grundwissenschaften ja bekanntermaßen im Schwinden begriffen sind.

Handschriftenkultur im Fokus

Auch der Leipziger Sommerkurs unter der Leitung von Dr. Christoph Mackert hat einen ganz eigenen Zugang und Schwerpunkt gewählt und damit mit den Worten des Kursleiters „ein Experiment gewagt“, das meiner Ansicht nach durchaus geglückt ist. Ein weiterer – nunmehr dritter – Erfahrungsbericht auf diesem Blog scheint daher durchaus gerechtfertigt.

Die „Leipziger Schule“ zeichnet sich dabei durch einen fast schon holistischen Ansatz aus, der nicht nur einzelne Aspekte der Handschriftenkunde in den Blick nimmt, sondern sich im Grunde der Handschriftenkultur des Mittelalters als Ganzes widmet. Neben einer inhaltlichen Erschließung dieses breiten Feldes liegt eine Besonderheit des Kurses in der umfangreichen und (angeleitet) selbstständigen Arbeit der Teilnehmer mit dem Originalmaterial, den Handschriften. Thematischer Schwerpunkt des diesjährigen Kurses war vor allem der Bereich der Musikpaläographie und Liturgie. Trotz der fundamentalen Rolle dieser Bereiche für die mittelalterliche Kultur betrat der überwiegende Großteil der Teilnehmer mit dieser Themensetzung #Neuland, ein Umstand, der sicherlich als Verdienst des Kurses zu gelten hat.

Kursprogramm

Während der erste Leipziger Sommerkurs 2011 sich als Einführung in die Bearbeitung historischer Buchbestände und das Erkenntnispotential materialbasierten Forschens verstand, richtete sich der diesjährige Kurs an fortgeschrittenere Teilnehmer, die sich im Rahmen einer Abschlussarbeit oder Dissertation bereits mit den Grundlagen der Handschriftenarbeit vertraut gemacht haben. Die Einheiten des Kurses konzentrierten sich daher weniger auf das grundsätzliche Arbeiten mit Handschriften, sondern mehr auf die inhaltliche Vertiefung verschiedener Bereiche der Handschriftenkultur des Mittelalters.

Trotzdem begann der Kurs mit einer knappen und sinnvollen paläographischen Einheit durch Prof. Gerlinde Huber-Rebenich (Universität Bern). Hier wurden die Kenntnisse der Teilnehmer aufgefrischt und gute Tipps aus der paläographischen Praxis vermittelt.

Dieser handwerklichen Einführung folgte am Dienstag ein sehr dichter inhaltlicher Einführungsteil unter dem Schlagwort „Textüberlieferung des Mittelalters“. In jeweils etwa einer halben Stunde stellten ausgewiesene Experten einen(/ihren), für die Handschriftenkultur des Mittelalters relevanten Bereich vor: zunächst Dr. Chris Wojtulewicz (King’s College London) den Bereich der Theologie; dann Prof. Susanne Lepsius (Universität München) Recht; Prof. Iolanda Ventura (Université d’Orléans) führte in das Gebiet der mittelalterlichen Medizin ein; Dr. Mackert endete mit einer Übersicht über die Artes liberales. Neben einer systematischen Einführung wurde hier vor allem die handschriftliche Praxis des jeweiligen Gebietes vermittelt.

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Chris Wojtulewicz stellt theologische Handschriften vor

Das Konzept einer halbstündigen Einführung mag vielleicht dem jeweiligen Kenner der Disziplinen als nicht ausreichend erscheinen. Für die wirklich interdisziplinäre Gruppe stellte es sich aber als hervorragend geeignet heraus, um die Teilnehmer für bislang (in unterschiedlichem Maße) fremde Disziplinen zu sensibilisieren. Dieser ganze Block war inhaltlich und zeitlich ziemlich dicht, die kurzweiligen und vor allem praxisnahen Vorträge aber noch im Bereich des Aufnehmbaren.

Während die inhaltliche Sitzung am Dienstag Bereiche behandelte, die den meisten Teilnehmern wohl irgendwie geläufig waren, so führten die Einheiten von Mittwoch und Donnerstag den Großteil von ihnen auf unbekanntes Terrain. In zwei größeren Blöcken stellten Prof. Jeremy Llewellyn (Schola Cantorum Basiliensis) und Prof. Felix Heinzer (Universität Freiburg) die mittelalterliche Musik und Liturgie bzw. die musikalische und liturgische Handschriftenkultur vor. Dieses Feld, das wohl einen der wichtigsten Bereiche der mittelalterlichen Kultur und ihrer handschriftlichen Überlieferung darstellt, wird außerhalb der jeweiligen Spezialdisziplin häufig leider nicht ausreichend vermittelt. Schnell wurde deutlich, dass dieser Umstand wohl auch in der hohen Komplexität des Materials begründet liegt.

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Jeremy Llewellyn erklärt mittelalterliche Notationssysteme

Trotzdem gelang es beiden Dozenten eine Basis zu vermitteln und vor allem Interesse zu wecken, auf das sich aufbauen lässt: Zunächst führte Jeremy Llewellyn anhand des Leipziger Thomas-Graduale in das weite Feld der mittelalterlichen Musik, vor allem aber in die Musikpaläographie ein. Dass es ihm dabei gelang, Historikern, Skandinavisten, Germanisten, Anglisten, Buchwissenschaftlern und Kunsthistorikern (und natürlich -innen) in ca. anderthalb kurzweiligen Stunden (unter vielem anderen) den Unterschied von adiastematischen und diastematischen Neumen zu verdeutlichen, spricht auch hier für die Qualität der Lehreinheiten.

 

Am nächsten Tag vermittelte Felix Heinzer die Grundlagen zur Erschließung liturgischer Handschriften und deren historischen Kontexts in Messe und Offizium in ähnlicher Weise. Musik- und Liturgiewissenschaftler wurden die Teilnehmer dadurch natürlich nicht, sicherlich konnte aber die Scheu vieler Teilnehmer vor diesen Handschriften und den mittelalterlichen Notationen genommen werden.

Als besonderes Highlight wurden diese theoretischen Einführungen am Mittwochabend durch einen Einblick in die Praxis des liturgischen Gesangs im Leipziger Thomanerkloster um 1300 ergänzt.

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Felix Heinzer und das Ensemble Amarcord

Auf der Grundlage des Thomas-Graduale interpretierte das Ensemble Amarcord den Gesangsteil einer Liturgiefeier (Kirchweih) in ihrem Ablauf. Jeremy Llewellyn und Felix Heinzer erklärten und kommentierten einem größeren Publikum die Hintergründe der liturgischen Feier und boten ergänzende Hinweise auf die priesterlichen Gebete, Lesungen und kultischen Handlungen zwischen den Messgesängen. Schon allein von der musikalischen Darbietung war der Abend ein Genuss. Übrigens schloss die Bibliotheca Albertina extra für diese Aufführung einige Stunden früher, wofür hier nochmals gedankt sein soll.

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Naumburger Chorbuch

Abgeschlossen wurde der inhaltliche Aspekt des Kurses durch eine freitägliche Exkursion nach Naumburg, wo Archivleiter Matthias Ludwig von den Vereinigten Domstiftern durch den Dom, das Archiv und die Bibliothek führte und dabei einen Einblick in eines der acht riesigen Naumburger Chorbücher gewährte.

Arbeit mit den Handschriften

Soviel zum gelungenen inhaltlichen Programm des Kurses. Meiner Ansicht nach lag die Stärke des Kurses aber vor allem in der Arbeit mit den Handschriften. Zunächst möchte ich vorausschicken, dass das Handschriftenzentrum Leipzig hierfür ideale Bedingungen geschaffen hatte. So war etwa  der Lesesaal extra für uns reserviert worden und Christoph Mackert und sein Team sowie die Dozenten waren jederzeit mit Rat, Tat und dem richtigen Hilfsmittel zur Stelle. Ich persönlich glaube, dass ich durch diese vielen Tipps und Tricks aus der Praxis am meisten gelernt habe.

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Die Handschriften werden ausgewählt

Schon im Vorfeld des Kurses bekamen alle Teilnehmer eine Objektliste der Handschriften aus den im Kurs relevanten Themengebieten. Darunter 30 liturgische Fragmente aus der Zeit vom 9./10. bis ins 15. Jahrhundert, daneben ca. 20 unterschiedlichste Codices, darunter vor allem Objekte, die bislang noch nicht tiefer erschlossen worden sind. Jeweils der halbe Tag war zur Bearbeitung der Handschriften reserviert.

Die Ergebnisse dieser Bearbeitung wurden am Ende des Kurses präsentiert. Hier konnte eigentlich jede Gruppe bislang unbekannte und überraschende Erkenntnisse für eine ihrer Handschriften oder Fragmente vorweisen, so dass die Teilnehmer nicht nur klüger, sondern vor allem um ein kleines Erfolgserlebnis reicher nach Hause gehen durften. Gerade bei der Arbeit mit dem handschriftlichen Original ist das ja nicht unbedingt selbstverständlich.

Teilnehmer und Organisation

Ein paar Worte noch zur Organisation des Kurses: Sehr positiv aufgefallen ist mir die aufwändige und gelungene Organisation des Kurses durch das Team des Handschriftenzentrums, die den Aufenthalt für die Teilnehmer so angenehm und produktiv wie möglich gestaltet haben. Auch die Nachbereitung der Kurseinheiten war durch das Bereitstellen von Materialien, Fotos und Digitalisaten hervorragend und nachhaltig.

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Hilfsmittel werden vorgestellt…

Am wichtigsten und augenscheinlichsten war aber die wirklich angenehme Atmosphäre: zum einen durch die Mitarbeiter und Dozenten, die über das übliche Maß hilfsbereit, hilfreich und offen für Fragen und Gespräche aller Art waren.

Zum anderen ist aber auch das Auswahlkonzept der Kursteilnehmer aufgegangen, bei dem großer Wert darauf gelegt wurde, möglichst viele Leute aus unterschiedlichen Fächern und Universitäten zusammenzubringen. Diese interdisziplinäre Heterogenität der Gruppe mit den jeweils sehr unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmer war aus meiner Sicht ein großer Gewinn für den Kurs.

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… und gewälzt

Zusammenfassend hat das Team des Handschriftenzentrums mit dem diesjährigen Sommerkurs unter großem Einsatz ein beeindruckendes Programm auf die Beine gestellt und dabei für eine so freundliche Atmosphäre gesorgt, die nicht nur das Arbeiten und Lernen gefördert, sondern auch den persönlichen Austausch der Teilnehmer über Fachgrenzen hinweg ermöglicht hat (sowohl während als auch nach dem täglichen Kursprogramm).

Und zu allerletzt noch eine Anmerkung zur Förderung des Kurses durch die Alfried-Krupp-Stiftung. Gerade beim wissenschaftlichen Nachwuchs ist die finanzielle Situation ja durchaus sehr unterschiedlich, ebenso die Reise-, Unterkunfts- und Teilnahmekosten eines solchen Kurses. Der Alfried-Krupp-Stiftung ist es zu verdanken, dass durch die Übernahme all dieser Kosten die Teilnahme am Sommerkurs keine Frage des eigenen Geldbeutels oder Projektbudgets war, was eine Besonderheit des Leipziger Kursangebots darstellt. Ich bin mir nicht sicher, ob Handschriftenkurse bei Stiftungen grundsätzlich oberste Förderpriorität besitzen, ich hatte aber auf jeden Fall den Eindruck, dass das Geld, zumindest am Ertrag des Kurses gemessen, gut angelegt war.

Ich persönlich konnte für mein Dissertations-Projekt viel mitnehmen und fühle mich nun relativ gut auf die Arbeit mit den Handschriften vorbereitet. Dass darüber hinaus auch sehr nette persönliche und „berufliche“ Kontakte entstanden sind, rundet das Bild des Leipziger Sommerkurses nur ab, den ich nachdrücklich jedem Mediävisten empfehlen kann.

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Abschlussfoto

Fotos: Handschriftenzentrum der UB Leipzig

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2644

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“ZeitenWelten”. Zur Verschränkung von Weltdeutung und Zeitwahrnehmung im frühen und hohen Mittelalter. Ein Zwischenbericht

“Schichten” – das ist wohl das wichtigste Stichwort unter dem sich die ersten Teilergebnisse des DFG-geförderten Netzwerks “ZeitenWelten” zusammenfassen lassen: in Zeitschichten, die sich an- und überlagern, aufbrechen und gegeneinander verschieben lassen sich Zeitwahrnehmung und -konzeptualisierung des frühen und hohen Mittelalters am besten beschreiben.
Das interdisziplinäre Netzwerk, das seit 2012 besteht, erforscht das Verhältnis von Zeitwahrnehmung und Weltverständnis zwischen dem 6. und 13. Jahrhundert. Auf fünf Arbeitstreffen und einer großen Abschlusstagung im Frühjahr 2015 werden in elf Teilprojekten sowie im Gespräch mit zahlreichen Gästen aus Geschichte, Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften Zeittheorien und -praktiken, Zeitdarstellung, temporale Qualitäten von Raum u.v.m. untersucht.
Gestartet ist das Netzwerk mit der Vorannahme, dass Zeit und Zeitwahrnehmung immer soziale bzw. kulturelle Konstrukte sind, die sich im Zusammenspiel mit theologischen, ästhetischen oder auch ökonomischen Vorstellungen von “Welt”, “Realität” und “Wahrheit” verändern. Die bisherigen Arbeitstreffen haben gezeigt, dass gerade diese Viel-schichtigkeit “Zeit” zu einem Thema für intellektuell anregende Gespräche macht, die sich zu methodischen und theoretischen Grundsatzdiskussionen erweitern.

Nach bisher drei Arbeitstreffen ist es Zeit für eine Zwischenbilanz:
In kritischer Auseinandersetzung mit den Zeitkonzepten Reinhard Kosellecks haben wir einen gemeinsamen Analyserahmen geschaffen, der insgesamt von einer größeren Dynamik mittelalterlicher Zeitvorstellungen ausgeht.
So trägt zum Beispiel die Logik der Heilsgeschichte zur Konzeption von “Zeit in Bewegung” bei: die hermeneutische Auslegung der Bibel führt einerseits zu einem linearen andererseits zu einem zyklischen Zeitverständnis. Aus der Feststellung der zeitlichen Dialektik entwickeln sich Fragen zum Umgang mit Veränderungsdynamiken im Rahmen eschatologischer Zeitkonzepte und mit Widersprüchlichkeiten innerhalb von Zeitkonzeptionen. So interpretiert Richard Corradini (Wien) das “Zeitbuch” des Walahfrid Strabo als Reaktion auf eine Krisenzeit, in der die präsentierten unterschiedlichen und konkurrierenden Zeitstrukturen und -konzepte als variable Alternativmodelle im Sinne von “Langzeitperspektiven und Nachhaltigkeitskonzepten” entworfen werden. Inhaltlich bietet das Zeitbuch “Zeit” in drei verschiedenen Schichten dar: die instabile menschliche Geschichte, die zyklische Zeit Gottes auf Erden und die göttliche Zeit im Zeichen der Gestirne. Aus seinem zeitgenössischen Kontext bietet es in langfristigen Perspektiven intellektuelle Lösungen für den Umgang mit den politischen
Konflikten und Umbrüchen der eigenen Zeit.
Analoge Mehrschichtigkeit lässt Miriam Czock (Essen) zufolge auch in der frühmittelalterlichen Bibelexegese aufzeigen. So offenbaren sich in der “Unberechenbarkeit der berechenbaren Zukunft” zwei Facetten von “kommender Zeit”: zum einen ist die Zukunft das Ergebnis einer linearen Entwicklung, das zurückwirkt auf die Bedingungen des gegenwärtigen Lebens. Zum anderen gibt es das Konzept einer “geoffenbarten Zukunft”, die mit Gegenwart und Vergangenheit verschmilzt. Diese „breite Gegenwart“ (Gumbrecht) der karolingischen Zeit bezieht nicht nur die Vergangenheit in die Gegenwart mit ein, sondern auch die Zukunft, die, obwohl geoffenbart, als offen, gestalt- und planbar verstanden wird. In der Bibelexegese zeigt sich zudem, dass die lineare Zeit zwischen Schöpfung und Jüngstem Gericht als sehr dynamisch gefasst werden kann in ihrer jeweils unmittelbaren Verbindung zu Gott. In ihrer prinzipiell chronologischen Ordnung wird die Zeit der Exegese damit mitunter zyklisch und kann zerdehnt und gestaucht werden. Auch die Gäste des Netzwerks Sumi Shimahara (Paris) und Felicitas Schmieder (Hagen) konnten in ihren Beiträgen die Dynamik der Zeit im Verhältnis zur Ewigkeit in der karolingischen Exegese respektive die “Offenheit” der planbaren Zukunft in der frühmittelalterlichen Apokalyptik feststellen und damit die Ergebnisse der Teilprojekte ergänzen und bestätigen.

Die “Praxen der Zeitlichkeit” können anhand von liturgischen, historiographischen und Memorial- und Rechtsquellen sowie der Frage nach der Logik der Tageseinteilung durch (Gebets)Stunden erschlossen werden. Bestimmte temporale Praktiken lassen sich spezifischen Nutzungskontexten zuordnen, wobei der Umgang mit institutionellen oder theologischen Vorgaben pragmatische ist und Zeitordnungen auch zu Gunsten politischer oder ökonomischer Vorteile verschoben werden können.
In ihrer Analyse der zeitlichen Dimensionen der liturgischen Quellen aus Halberstadt kann Patrizia Carmassi (Göttingen/Wolfenbüttel) drei Aspekte voneinander unterscheiden: die Reflexion über Zeit in heilsgeschichtlicher Perspektive unter Berücksichtigung ihrer Rolle im sakramentalen Geschehen, die Ordnung und Gestaltung der kirchlichen Zeit durch den liturgischen Kalender in synchronischer und diachronischer Perspektive (z. B. durch die Einführung neuer Feste) sowie die Bedeutung der Zeit im Spannungsfeld zwischen liturgischer Kontinuität und Liturgiereform. Diese drei Punkte spielen auch in der Königsabtei St.-Denis im 12. Jahrhundert eine bedeutende Rolle, die im Projekt von Anja Rathmann-Lutz (Basel) untersucht wird. Für die Frage ob und inwiefern sich die Zeitregime der „monastischen Zeit” und der “höfischen Zeit” unterscheiden eignet sich die Multifunktionalität von St.-Denis als kontemplativer Ort, als königliche Grablege und caput regni sowie als Pilgerstätte in besonderer Weise. Mindestens fünf Modi der Zeitorganisation und -repräsentation, die sich wiederum in unterschiedlicher Weise überlagern, können hier idealtypisch beschrieben werden: Die heilige/biblische Zeit und die historische Zeit sind zwar beide vergangen, aber liturgisch aktualisierbar. Die liturgische Zeit ist präsent und momentan und hängt eng zusammen mit der somatischen Zeit, die körperlich und subjektiv messbar ist. Über diesen Zeitebenen liegt dabei die eschatologische Zeit. Vergleicht man die Repräsentation von Zeit im klösterlichen und im höfischen Milieu, zeigen sich zwei gegensätzliche, ideologisch gerahmte Zeitregime: der stabilitas des Klosters steht der durch körperliche Präsenz, kontinuierliche Bewegung und hohe Geschwindigkeit gekennzeichnete, in Historiographie und höfischer Literatur idealisierte Alltag des Hofes gegenüber.
Aus den verschiedenen Techniken bei der Organisation der Namenlisten in libri memoriales aus dem 9. Jahrhundert ergeben sich in den Untersuchungen von Eva Maria Butz (Dortmund) jeweils ganz unterschiedliche Verknüpfungen zwischen den Zeitebenen. So werden im Salzburger Zeugnis Personen der Heilsgeschichte (Patriarchen, Propheten und Apostel), noch lebende Gönner und Vorsteher (Bischöfe, Abt, regionaler Adel, karolingische Könige) und die verbrüderten Verstorbenen, nach ordines gestaffelt, vergegenwärtigt. Andernorts (St. Gallen) hingegen wird gar nicht zwischen Lebenden und Toten unterschieden. Alle Bücher jedoch werden als das irdische Gegenstück zum himmlischen liber vitae gesehen und sind ausnahmslos auf das Jüngste Gericht hin konzipiert. Auswahl und Anordnung der Namenslisten steht in der Regel im Dienste der Sinnstiftung und Legitimation der eigenen Gegenwart. Durch erkennbare Rasuren in einigen Nekrologen (Remiremont) wird deutlich, dass mit der fortschreitenden gegenwärtigen Zeit die Namen ständig umgruppiert wurden und damit eine Neujustierung von Vergangenheit stattfand.
Ebenfalls um Legitimation und Legitimität ging es im Workshop von Andreas Thier (Zürich). Es wurde deutlich, dass in der Lex Baiuvariorum und im Sachsenspiegel durch die Einschreibung rechtlicher Normativität in zeitliche und historische Entwicklungslogiken eine Verbindung des Rechts mit dem göttlichen Heilsplan erreicht wurde, die das sich ständig verändernde Recht legitimierte.
Soziale und ökonomische Einflussnahme auf Zeitordnungen zeigt sich in der von Michael Oberweis (Mainz) untersuchten “Nonverschiebung” bei der aus der “hora nona” im Lauf des 11. -13. Jahrhunderts “high noon” wurde. Sieht man mit Oberweis diesen Vorgang im Zusammenhang mit einer Ausweitung der Sonntagsruhe in der Zeit der Gottesfriedensbewegung so zeigt sich, dass in dieser Einflussnahme zugleich eine Kontrolle der Gesellschaft durch die Zeit liegen kann.

Als nächstes wird das Netzwerk über die räumlichen und bildlichen Dimensionen des Zeitlichen debattieren. Außerdem wird zu fragen sein, auf welche Weise die offenbar gleichzeitig präsenten unterschiedlichen Zeitschichten jeweils wahrgenommen, dargestellt und gewichtet wurden.

Aktuelle Mitteilungen, die ausführlichen Workshop-Berichte von Eva-Maria Butz, Petra Waffner und Uta Kleine (auf denen vorliegende Zwischenbilanz teilweise aufbaut), weitere Informationen und Kontaktdaten finden Sie unter www.zeitenwelten.unibas.ch.

 Miriam Czock und Anja Rathmann-Lutz im September 2013

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2266

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Ein unbekanntes Fragment mit den Homilien des Beda Venerabilis

In den letzten Jahren wurden die 386 liturgischen Fragmente, die sich hauptsächlich an den Amtsrechnungen der ehemaligen preußischen Ämter befanden, wissenschaftlich bearbeitet.[1] Ein weiterer Band soll nun die nicht-liturgischen Fragmente erschließen, so dass der gesamte Fragmentbestand aus dem Historischen Staatsarchiv in Königsberg dann der Forschung vorliegt. Die meisten der in diesem Bestand vorhandenen deutschsprachigen Fragmente wurden von Ralf Päsler bereits aufgearbeitet.[2] Gleichwohl sollen diese deutschen Fragmente und die neu aufgetauchten in dem abschließenden Katalog erneut aufgeführt werden.

Recto-Seite 2 mit Beschriftung des Trägerbandes GStA Berlin, vorläufige Signatur XX. HA, Hs 86, Nr. 21 (Bild: Anette Löffler)

Recto-Seite 2 mit Beschriftung des Trägerbandes
GStA Berlin, vorläufige Signatur XX. HA, Hs 86, Nr. 21
(Bild: Anette Löffler)

In diesem Fundus befindet sich ein Doppelblatt aus Pergament, das als Kopert zur Jahresrechnung des Amts Neuhaus in den Jahren 1600/1601 gedient hatte, wie die Kopert-Beschriftung aus dem frühen 17. Jahrhundert ausweist.[3] Die Bindungslöcher der Jahresrechnung sind noch sichtbar, ebenso der Platz des ehemaligen Signaturschildchens. Das für die Sekundärverwendung als Kopert an den Rändern umgeknickte Pergament wurde inzwischen in der Restaurierungsabteilung des GStA geglättet. Die 1. Seite des Doppelblatts wurde am Rand beschnitten, was einen Textverlust von ca. 20% nach sich zog. Mit einem Schriftraum von 370 x 230 mm und einem Außenmaß der kompletten Seite von 400 x 260 mm besaß der ehemalige Codex eine stattliche Größe im Großfolio-Format.

Die Ausstattung ist vergleichsweise unspektakulär. Die Überschriften sind in roten Majuskeln gehalten. Neben einzeiligen schwarzen Lombarden existiert zu Beginn einer neuen Homilie eine vierzeilige rote Lombarde mit ornamentaler Verzierung. Bei der Schrift handelt es sich um eine spätkarolingische Minuskel. Die Datierung dieser Minuskel sowie die Provenienzbestimmung gestaltet sich hingegen schwieriger als erwartet.

Das Schriftbild der Minuskel ist sehr einheitlich und weist einen gleichmäßigen Duktus auf. Die einzelnen Buchstaben sind wenig geneigt. Ober- und Unterlängen sind vergleichsweise kurz, lediglich beim x sind sie weiter nach unten ausladend.  Abbreviaturen werden außerordentlich zurückhaltend verwendet. Der Schreiber benutzt sie lediglich bei Worten wie dni/dno/dns (domini/domino/dominus), xpo/xpm/xpi (Christo/Christum/Christi), apli/aplis (apostoli/apostolis), usq (usque), ee (esse), spu (spiritu), frs (fratres), nros (nostros), kmi (karissimi), nob (nobis), oma (omnia), sci (sancti), dm/ds/do (deum/deus/deo). Pro wird selten abgekürzt (z. B. proposita: Verso-Seite 2, rechte Spalte, Z. 23), dasselbe gilt für per (z. B. semper: Recto-Seite 1, rechte Spalte, 5, Z. von unten). Generell verwendet der Schreiber den gängigen Abkürzungsstrich für m und n. Eine spezifische Ausprägung findet sich bei e caudata, also etwa in den Wörtern nre (nostre) oder ecce (ecclesie). Hier führt der Schreiber von der unteren Rundung des e einen keilförmigen Strich von rechts oben nach links unten.

Aufgrund der Schriftmerkmale ergibt sich eine Datierung in die 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts. Allerdings weist das äußere Erscheinungsbild auf die Abschrift von einer wesentlich älteren Vorlage. Darauf  weist bspw. auch der Schriftmodus auf der Verso-Seite 1 hin, wo eine neue Homilie beginnt. Sowohl die Schrift als auch die Anlage dieser Textstellen verweisen auf einen älteren Text. Die Rubriken führen wie im Homéliaire bavarois folgenden Text [vi]gilia sancti Petri [et Pauli] euangelium secundum Iohannem, gefolgt von dem Text aus Iohannes 21,15-19. Im Anschluss findet sich die Rubrik Omelia [venera]bilis Bede presbiteri [de eode]m lectione.[4] Auch die Schrift ist einer älteren Quelle nachempfunden, indem die Rubriken in Majuskeln ausgeführt werden und zudem auch die Schrift der Vorlage imitiert wird. Dies zeigt sich bspw. an dem Majuskel-M, das durch seine Bögen ganz eindeutig auf entsprechende alte Quellen hinweist.

Ein Vergleich mit anderen Texten ergibt bezüglich der Datierung ein gewissermaßen leicht diffuses Bild. Eine Datierung in die 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts erscheint deshalb angebracht.[5] In Verbindung mit einer möglichen Provenienz gestaltet sich das Bild allerdings nicht einheitlicher. Zwar sind die meisten der von der Schrift vergleichbaren Handschriften im weitestgehend süddeutschen Raum einzuordnen, dennoch dürfte das hier vorliegende Fragment nicht zwangsläufig ebenfalls in dieser Gegend zu verorten sein. Ähnliche Schriftelemente finden sich bspw. in einem möglicherweise aus Köln stammenden Psalter Hs 45, der um 993/996 geschrieben wurde, wobei diese Datierung für die hier vorliegenden Fragmente nicht in Frage kommen.[6] Gleiches gilt für die ähnliche Schriftausprägung in dem Homiliar Cod. Aug. perg. XVI von der Reichenau, das in das 2. Drittel des 10. Jahrhunderts datiert wird.[7] Zwei weitere liturgische Handschriften bzw. Fragmente aus der Mitte des 11. Jahrhunderts sind von der Schrift noch vergleichbar. Dies ist einmal ein Pontifikale aus Südost-Deutschland, welches sich heute in der Stadtbibliothek Schaffhausen befindet,[8] sowie ein wahrscheinlich aus England stammende Psalterfragment aus dem Bestand des Schlossmuseums Sondershausen.[9]

Die in diesem Fall statthaft erscheinende Datierung in die 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts ist eben auch der uneinheitlichen Überlieferung sowie der alten Vorlage geschuldet. Damit ist aber auch wahrscheinlich, dass das vorliegende Homiliar-Fragment nur ganz allgemein aus dem deutschen Überlieferungsbereich stammt. Eine Entstehung in Preussenland scheidet aufgrund des Alters somit vollständig aus.

Auf welchen Wegen diese Handschrift nach Preussenland gelangte, ist nicht mehr rekonstruierbar. Im Ordensland müssten selbstverständlich eine erhebliche Anzahl derartiger Handschriften in Benutzung gewesen sein. Allein schon für das Stundengebet waren derartige Bücher notwendig. Allerdings sind kaum Hinweise auf die Existenz von Homiliaren im Ordensland zu finden. In den Statuten des Deutschen Ordens finden sich weder in der Regel noch in den Gesetzen oder in den Gewohnheiten entsprechende Indizien für eine Verwendung von Homiliaren.[10] Im Großen Ämterbuch des Deutschen Ordens, in dem auch der Buchbesitz in den einzelnen Komtureien, Pfarren und Kirchen wenn auch sehr plakativ und lediglich in quantitativem Maßstab aufgeführt wird, kommt nur zum Jahr 1405 für die Pfarrei Thorn ein omelia de sanctis vor.[11] Nicht von der Hand zu weisen ist natürlich auch die Vermutung, dass die Handschriften, die wir heute als Homiliare bezeichnen in den mittelalterlichen Quellen anderweitig bezeichnet werden, etwa als Lectionarium, Sermonarium o.ä.[12] Auch Arno Mentzel-Reuters konnte in seiner Habilitation über den Buchbesitz im Deutschen Orden keine expliziten Homiliare erkennen.[13] Im Großen Ämterbuch finden sich unter den Begriffen buch mit sermones oder predigbucher wenigstens einige wenige Nachweise.[14] Auch ein buch dorinne lectiones kommt in den Jahre 1507 und 1508 für Preussisch Mark vor.[15]

Dennoch befanden sich im Ordensbesitz mit Sicherheit Homiliare. Nach der Reformation und der Umwandlung des preußischen Ordensstaates in ein weltliches Herzogtum wurde ein Teil der ehemaligen Buchbestände der Ordenskonvente in der Ordensliberei Tapiau aufbewahrt.[16] Diese Bestände wurden 1541-1543 in die Schlossbibliothek nach Königsberg überführt. Von dieser Überführung existiert ein heute im GStA Berlin aufbewahrtes Verzeichnis.[17] Dort finden sich zwar mehrfach Predigtsammlungen sowie einige liturgischen Handschriften, unter den knapp 340 Büchern ist jedoch kein Homiliar genannt oder umschrieben.

Wie die meisten Jahresrechnungen der preußischen Ämter sind auch die des Amtes Neuhaus nahezu lückenlos überliefert. Weitere Fragmente wurden für einige Neuhauser Jahresrechnungen „verarbeitet“. So sind auch die Jahre 1593/94, 1601/02, 1605/06, 1607/08, 1614/15, 1615/16, 1617/18 sowie 1619/20 mit liturgischer Makulatur versehen.[18] In diesen Zeitraum fügt sich das vorliegende Fragmente den Rechnungsjahren 1600/01 perfekt ein. Außerdem legt dies den Gedanken nahe, dass diese Amtsrechnungen offensichtlich von demselben Buchbinder in einer Art konzertierter Aktion eingebunden wurden. Ihre Zugehörigkeit zu einer Konventsbibliothek des Deutschen Ordens gewinnt dadurch an Gewicht, dass es sich bei der liturgischen Makulatur um Handschriften handelt, die der Liturgie des Deutschen Ordens folgten.[19]

Beginn der Homilie zu Vigilia Petri et Pauli GStA Berlin, vorläufige Signatur XX. HA, Hs 86, Nr. 21 (Bild: Anette Löffler)

Beginn der Homilie zu Vigilia Petri et Pauli
GStA Berlin, vorläufige Signatur XX. HA, Hs 86, Nr. 21
(Bild: Anette Löffler)

Inhaltlich gesehen handelt es sich um Teile der Homilien 20 und 22 des Beda Venerabilis.[20] Aus den fehlenden Textteilen ergibt sich, dass es sich bei diesem Doppelblatt um das zweitinnerste einer Lage handeln muss. Beide Homilien entstammen dem Sanktorale. Homilia 20 birgt Teile zu dem Fest der Geburt Johannes des Täufers (24. Juni), Homilia 22 mit dem Initium Virtutem nobis perfectae dilectionis den Beginn zur Vigil von Petrus und Paulus (28. Juni). Diese beiden Homilien finden sich außer im Homéliaire bavarois noch im Homiliar von Mondsee, im Homiliar des Hrabanus Maurus sowie in der Sammlung des Smaragdus.[21] Ihren Stammplatz besitzen diese beiden Homilien allerdings im Homeliar des Paulus Diaconus, wo sie auch direkt aufeinander folgen.[22] In der genannten Reihenfolge erscheinen die beiden Homilien auch im Homeliar von Mont Saint-Michel, einer Handschrift des 12. Jahrhunderts.[23] Die Homilie zur vigilia von Petrus und Paulus ist allerdings nicht mit der im Fragment vorliegenden identisch, obwohl das Initium gleich beginnt, dann aber wie schon aus der Überschrift im Codex kenntlich sich als Omelia Claudii presb. de eodem lectione, also einem Auslegungsteil des Alcuin zum Johannes-Evangelium, erweist.[24]

Die textliche Überlieferung orientiert sich überwiegend an der Handschriftenfamilie, die in der Edition der Classis I B (Codices deteriores) zugehörig sind.[25] Lediglich mit der Handschrift L der Classis II A (Codices meliores) weist das Fragment weitere Gemeinsamkeit in der Textüberlieferung auf.[26]Alle vier Textzeugen stammen aus dem 10. bis 11. Jahrhundert. Allerdings sind im vorliegenden Fragment weitere, in der Edition nicht berücksichtigte, Textvarianten vorhanden. In Homilia 20 wird das Wort autem durch ein enim ersetzt.[27] Und zu Beginn der Homilia 22 heißt es im Fragment totiens statt toties und wenige Zeilen darunter in dominum statt in deum.[28] Noch eine weitere Abweichung taucht in Homilia 22 auf, nämlich die Einfügung von et gegen Ende des Textes.[29]

 

[1] Anette Löffler: Fragmente liturgischer Handschriften des Deutschen Ordens im Historischen Staatsarchiv Königsberg (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 18, hg. von Udo Arnold), Lüneburg 2001; dies.: Fragmente liturgischer Handschriften des Deutschen Ordens aus dem Historischen Staatsarchiv Königsberg/Preußen II (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 24, hg. von Udo Arnold), Marburg 2004; dies.: Fragmente liturgischer Handschriften des Deutschen Ordens im Historischen Staatsarchiv Königsberg/Preußen III (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 28, hg. von Udo Arnold), Marburg 2009.

[2] Ralf Päsler: Katalog der mittelalterlichen deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg (Schriften des Bundesinstituts für Ostdeutsche Kultur und Geschichte 15, hg. von Uwe Meves), Oldenburg 2000, hier S. 154-179. Dazu auch ders.: Deutschsprachige Sachliteratur im Preußenland bis 1500. Untersuchungen zu ihrer Überlieferung (Aus Archiven, Bibliotheken und Museen Mittel- und Osteuropas 2, hg. von Klaus Garber und Axel E. Walter), Köln 2003.

[3] Signatur des Trägerbandes: GStA Berlin, XX. HA., Ostpr. Fol. 7662. Das Fragment trägt die vorläufige Signatur Hs 86, Nr. 21.

[4] Henri Barré: Les Homéliares carolingiens de l’École d’Auxerre. Authenticité – Inventaire – Tableaux comparatifs – Initia (Studi e Testi 225), Città del Vaticano 1962, S. 25-26 und 218.

[5] Für kollegialen Rat danke ich einmal mehr Prof: Dr. Herrad Spilling, Stuttgart.

[6] Glaube und Wissen im Mittelalter. Die Kölner Dombibliothek, Köln 1998, S. 219-224, mit weiterer Literatur.

[7] Vor dem Jahr 1000. Abendländische Buchkunst zur Zeit der Kaiserin Theophanu, Köln 1991, S. 116-117, mit weiterer Literatur.

[8] Europas Mitte um 1000, hg. von Alfried Wieczorek / Hans-Martin Hinz, 3 Bde., Stuttgart 2000, hier Bd. 3, S. 434-435.

[9] Bestandskatalog zur Sammlung Handschriften- und Inkunabelfragmente des Schloßmuseums Sondershausen, hg. von Gerlinde Huber-Rebenich / Christa Hirschler (Sondershäuser Kataloge III), bearb. von Matthias Eifler, Almuth Märker und Katrin Wenzel, Jena 2004, S. 119.

[10] Max Perlbach (Hg.): Die Statuten des Deutschen Ordens, Halle 1890, ND Hildesheim 1975.

[11] Walther Ziesemer (Hg.): Das Größe Ämterbuch des Deutschen Ordens, Danzig 1921, S. 462, Z. 7.

[12] Ein mitteldeutsches Lektionarfragment aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts befindet sich bspw. unter den deutschen Königsberger Fragmenten, s. Ralf Päsler: Katalog der mittelalterlichen deutschsprachigen Handschriften der ehemaligen Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, hg. von Uwe Meves (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 15), München 2000, S. 173.

[13] Arno Mentzel-Reuters: Arma spiritualia. Bibliotheken, Bücher und Bildung im Deutschen Orden (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 47, hg. von Michael Knoche), Wiesbaden 2003.

[14] Ziesemer (wie Anm. 11) für den obersten Marschall in der Komturei Königsberg in den Jahren 1431-1438 16 predigebucher, S. 29, Z. 15; S. 32, Z. 13; S. 34, Z. 35; S. 39, Z. 6; S. 40, Z.21 oder für die Sakristei der Komturei Osterrode 1449 5 bucher sermonen S. 337, Z. 31 und 35.

[15] Ziesemer (wie Anm. 11), S. 146, Z. 27 und S. 147, Z. 37.

[16] Hans-Georg Malz: Das Bibliothekswesen des Deutschen Ordens in Preußen unter besonderer Berücksichtigung des Verzeichnisses der Ordensliberei Tapiau, ungedruckte Diplomarbeit, Köln 1970, hier S. 55 ff.

[17] GStA Berlin, EM, Tit. 71,1, Nr. 43. Ein weiterer Abdruck auch bei Eckhard Grunewald: Das Register der Ordensliberei Tapiau aus den Jahren 1541-1543, in: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 1 (1993), S. 55-91.

[18] Löffler I (wie Anm. 1), Nr. 128, S. 157-158; Nr. 133-137, S. 162-169; Nr. 139, S. 170-172.

[19] Nr. 128, 135, 137, 139 und 140: Missale OT;Nr. 133 und 134: Antiphonarium OT;

[20] Beda Venerabilis Opera, Pars III: Opera homiletica, Pars IV: Opera rhytmica (Corpus Christianorum, Series Latina 122), Turnhout 1965, S. 333-334, 342, 344 und. 346-348. Patrologiae cursus completus, series Latina (künftig: PL), hg. von Jacques-Paul Migne, Paris 1844 ff., 94, Sp. 210-214 und 214-219.

[21] Barré (wie Anm. 4), S. 25-26 und 218.

[22] Reginald Grégoire: Homéliaires liturgiques médiévaux. Analyse de mansucrtits (Biblioteca della „Studi medievali“ 12), Spoleto 1980, S. 461, Nr. 44-45, in der Überlieferung der Karlsruher Handschrift Hs. Augiensis 15 aus dem 9. Jahrhundert..

[23] Raymond Étaix: Homéliaries patristiques latins. Recueil d’études de manuscrits médiévaux (Collection des études Augustiniennes, Série moyen âge et temps modernes 29), Paris 1994, S. 281, Nr. 129, zu Beginn des Sommerteils des Sanktorale.

[24] Étaix (wie Anm. 23), S. 281; PL 100, Sp. 1000D-1003B.

[25] CCSL 122 (wie Anm. 20), S. XVII-XVIII.

[26] CC SL 122 (wie Anm. 20), S. XVIII.

[27] CCSL 122, (wie Anm. 20), S. 333, Z. 178.

[28] CC SL 122 (wie Anm. 20), S. 344, Z. 7 und 10.

[29]  CC SL 122, (wie Anm. 20), S. 347, Z. 206, zwischen erant und ceteri.

Über die Autorin: Dr. Anette Löffler M.A. promovierte zu einem Thema der spätmittelalterlichen hessischen Landesgeschichte. Nach der Promotion war sie in verschiedenen Handschriftenabteilungen, in Bibliotheken und Archiven als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Liturgie des Deutschen Ordens, Fragmentforschung sowie die Erforschung mittelalterlicher Buch- und Bibliotheksbestände.

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Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/889

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