Armin Reller, Heike Holdinghausen: Der geschenkte Planet. Nach dem Öl beginnt die Zukunft. Frankfurt/Main: Westend Verlag 2014.
Es gibt sie also: die Zukunft. Trotz Klimawandel und Ressourcenmangel. Und obwohl die Menschheit nicht nur wächst, sondern immer mehr Menschen so leben wollen wie wir im Westen. Fleisch essen, auf der Autobahn rasen, Elektroschrott nach Afrika exportieren. Armin Reller, Professor für Ressourcenstrategie in Augsburg, und taz-Journalistin Heike Holdinghausen glauben trotzdem an uns. An unsere Lernfähigkeit, an die Macht des Wissens. Reller und Holdinghausen wollen den Glauben an den Fortschritt nicht aufgeben: „Wo kämen wir ohne ihn hin?“ (S. 16). Ihre Idee: An „resilienten Technologien oder Verhaltensweisen“ arbeitet es sich leichter, wenn man die „Geschenke des Planeten“ besser kennt (S. 8, 17). Reller und Holdinghausen erzählen deshalb die Geschichten von Stoffen. Welche Rolle hat das Öl in der Geschichte der Menschheit gespielt? Wie steht es um Raps und Lein, Weizen und Holz? Was ist mit Kohlendioxid, Algen und Bakterien, was mit Eisen, Gallium und Abfall?
Dieser Ansatz macht Spaß, nicht nur wegen der vielen Fakten, die man so nicht in der Zeitung findet, oder wegen der Aktualität (Stichwort Fracking). Experte und Fachjournalistin: So funktioniert Aufklärung. Reller und Holdinghausen geben nicht vor, jede Stoffgeschichte bis ins Detail zu kennen oder gar auf jede Frage eine Antwort zu haben. Im Gegenteil: Konkurrierende Positionen werden benannt und vorsichtig gegeneinander abgewogen. Der Verzicht auf Eifern schließt dabei konkrete Politikempfehlungen keineswegs aus (zum Beispiel zu alternativen Energien, zu Biodiesel, zu Ökodesign).
Auch der Kommunikationswissenschaftler wird fündig. Was bedeutet es, dass viele Rohstoffe aus Ländern kommen, in denen es keine Pressefreiheit gibt? Wie schafft man es, den Fleischkonsum (für Reller und Holdinghausen ein zentrales Problem) genauso „kampagnenfähig“ zu machen wie den Rapskraftstoff (S. 58)? Warum ist der „Rückzug der Tanne aus Bayern“ in den Medien untergegangen und das „Waldsterben“ nicht (S. 122)? Wie müssen Öffentlichkeit und Mediensystem organisiert sein, damit das Zukunftsbild akzeptiert und legitimiert wird, das Reller und Holdinghausen entwerfen? Nur eine Kostprobe: „Pommesbuden ohne Currywurst, nur alle zehn Jahre ein neues Mobiltelefon und in jedem Stadtteil fünf Schuster (…). Dabei auf lokale Wirtschaftskreisläufe in überschaubaren Gemeinschaften setzten, auf kleine Produktionseinheiten, auf geldlose Tauschwirtschaften – also resiliente Strukturen“ (S. 237). Ein gutes Buch, ein wichtiges Buch.
Quelle: http://resilienz.hypotheses.org/220