Zweifellos. Der Begriff Demut hat seine Ursprünge in der alttestamentlich-jüdischen, der griechisch-römischen sowie in der urchristlichen Tradition.
In der griechisch-römischen Tradition standen die Begriffe humilis oder ταπεινóς im sozialen und politischen Kontext: „sozial Hochgestellte“ standen über den „sozial Niedriggestellte[n]“, das heißt den Unterschichten (humiliores) der Plebejer war die herrschende Oberschicht der Patriziern übergeordnet. Die Demütigen waren somit die Beherrschten und Niedergedrückten, die in bescheidenen Verhältnissen lebten. Gemäß dem damaligen Denken führte eine „niedrige Stellung“ aber auch „zu niedriger Gesinnung“ (Wengst 1987, S. 17). So muss der niedrig Gestellte niedere Arbeiten ausführen, die seinen Körper, sein Denken sowie seine Seele „unnütz“ machen. Auch wird der Charakter der Demütigen in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung negativ beschrieben.
Aus der Demut konnte man im griechisch-römischen Verständnis nur durch den sozialen Aufstieg entfliehen. Ein sozialer Abstieg in die Demut bedeutete aber für Plutarch, einen Angehörigen der römischen Oberschicht, nicht seine ursprüngliche Gesinnung zu verlieren und einen demütigen und verwerflichen Charakter anzunehmen . So ist die lobenswerte Tugend der Tüchtigkeit (virtus) „nicht an äußere Vorgaben gebunden“ und kann selbst unter widrigen Umständen wie Armut und Niedrigkeit (humilitas) gelebt werden.
Obwohl eine Haltung der Selbstlosigkeit im Sinne des Altruismus der damaligen Ordnung der Ständegesellschaft widersprach, wird die Tugend der Bescheidenheit in der antiken Literatur mitunter auch positiv beschrieben: So kann jemand von seiner Gier nach Reichtum und Ruhm abkehren und zur Bescheidenheit gelangen. Oder aber er wird, wie Plutarch deutlich macht, von Gott korrigiert und zur Bescheidenheit zurückgeführt.
Kontrastierend zur griechisch-römischen Tradition wird in den jüdischen Schriften häufig Partei ergriffen für die Gedemütigten und die zu Unrecht erniedrigten. Dabei wird auch der Missstand angeprangert, dass die herrschende Oberschicht häufig nicht das tut was recht ist, sondern die Unterschicht mit Gewalt unterdrückt und sich auf ihre Kosten bereichert. Gott stellt sich selbst auf die Seite der Gedemütigten und Entrechteten und die Erniedrigten sollen bei ihm ihre Zuflucht suchen und die Hoffnung erhalten, dass Gott der Unterdrückung ein Ende setzen wird. In diesem Licht erscheinen auch die Prophezeiungen über den kommenden Messias, der für Gerechtigkeit sorgen wird.
Im jüdischen Verständnis konnte eine erlebte Demütigung und ein Leben in bescheidenen (demütigen) Verhältnissen zu einer Tugend der Demut führen, die in einer Solidargemeinschaft praktiziert wird, in der man auf die Demütigung anderer verzichtet. So wird in den Qumran-Texten die Demut als „willige Einordnung in die Gruppe unter Zurücksetzung individueller Interessen“ bezeichnet, das heißt es besteht eine „Loyalität gegenüber der Gemeinschaft“ , weshalb Demut nicht erniedrigend und erdrückend von oben herab erfolgen kann.
Das Verständnis der Demut in der urchristlichen Tradition ist wiederum stark vom jüdischen Verständnis geprägt, aber es zeigen sich auch griechisch-hellenistische Einflüsse. So ist zu konstatieren, dass auch in den christlichen Schriften die Demütigung durch die unterschiedlichen sozialen Stellungen und dem Unterschied von Arm und Reich bekannt ist. Am deutlichsten wird das Verständnis von Demut an der Person des Jesus, der nach den christlichen Schriften, als Sohn Gottes auf die Erde ins das Niedrige gekommen ist und als Mensch den Geringsten solidarisch geworden ist. Im Evangelium des Matthäus (11, 28-30) spricht Jesus davon, dass alle Mühseligen und Beladenen zu ihm kommen sollen, denn er bietet ihnen einen Ort der Ruhe an, weil er demütig ist und solidarisch und daher den Beladenen und Gedemütigten zugehörig. Auch Jesus lebt die Solidargemeinschaft vor, in der die Demut nicht den eigenen Vorteil sucht, sondern den des Nächsten. So könne Jesus, der im Zusammenhang mit seiner Auferstehung erklärt, dass ihm „alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist“ als demütiger Herrscher „seine Herrschaft […] in einer solidarischen Praxis der von ihm Beherrschten“ vollziehen.
Während Paulus dieses Verständnis der Demut in seinen Schriften aufgreift und erläutert, finden sich bereits im 1. Clemensbrief Anzeichen für den Wandel des Verständnisses der Demut im christlichen Verständnis. So wird in 1. Clemensbrief 63,1 die Demut als eine Einordung in eine hierarische Ordnung verstanden bzw. als gehorsame Untertänigkeit und ein sich fügen unter die Gemeindeleitung, was sich vom Verständnis nicht mit der Lehre von Jesus und Paulus verträgt, sondern sich eher in die Tradition griechisch-römischen Denkens einordnen lässt (. Dieses im 1. Clemensbrief dargelegte Verständnis der Demut als Untertänigkeit hat sich laut Wengst aber im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte am stärksten ausgebildet.
Literaturtipp: Wengst, Klaus: Demut – Solidarität der Gedemütigten. München 1987.
Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Eine Einführung in die Begriffsgeschichte der Demut. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]
Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/08/eine-einfuhrung-in-die-begriffsgeschichte-der-demut/