Digitale Spiele: ein Fenster zur Geschichtskultur – hier eine Szene aus dem Steinzeit-Abenteue...
Digitale Fertigkeiten als U-Bahn-Linien. Vernetzte Technologien in vernetzter Darstellung
Was wäre wenn: Eine Geschichtsdidaktik ohne Kompetenzbegriff?
Nur ein kurzes Gedankenexperiment (wieder einmal ausgelöst durch einen Twitter-Disput): Was wäre, würde sich die Geschichtsdidaktik per Fingerschnipp hier und jetzt vom Kompetenzbegriff verabschieden?
Woher der Anlass zu dieser Frage? Nur einige (hinlänglich bekannte) Punkte:
- Die Kompetenzdebatte kam nach PISA von außen über die Fachdidaktiken. Eine fachdisziplinär-immanente Notwendigkeit zur Formulierung von Kompetenzen gab uns gibt es nicht.
- Die Geschichtsdidaktik hat eine Vielzahl von Kompetenzmodellen (Sauer, Pandel, FUER, Gautschi, Berliner Rahmenlehrplan usw.) mit verschiedensten Kompetenzbegriffen entwickelt.
[...]
Inklusion und Geschichtswettbewerb – Barrierefreier Geschichtswettbewerb?
Am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten nehmen durchschnittlich 5000 SchülerInnen teil. Die Zahl der Beiträge aus Real-, Haupt- oder Förderschulen ist jedoch seit Jahren fallend. Der Geschichtswettbewerb richtet sich aber an alle SchülerInnen. Am Beispiel eines aktuellen Beitrags aus einer Förderschule soll auf wichtige Stolpersteine hingewiesen werden, die die Teilnahme von SchülerInnen mit Lernschwierigkeiten erschweren und Maßnahmen vorgeschlagen werden, die einen barrierefreien Zugang zum Geschichtswettbewerb ermöglichen.
Gibt es ein Textproblem?
„Wir Haben uns in 2 Gruppen geteilt und jede der 2 Gruppen hat jeweils verschiedene Geschichten und Aufgaben bekommen. Es hat sehr viel Spaß gemacht. Jeder von uns hat gut mitgemacht. Wir haben die Geschichte vom Brettener Hundle gelesen. Es war sehr spannend zu zuhören wieso es die Geschichte vom Brettener Hundle gab. Deshalb haben wir uns entschieden des Thema zu nehmen vom Brettener Hundle.“1
Der Schüler der 9. Klasse einer Förderschule für Kinder und Jugendliche mit Lernproblemen und Entwicklungsverzögerungen beschreibt im Arbeitsbericht die Phase der Themenfindung für den Geschichtswettbewerb 2012/13 „Vertraute Fremde. Nachbarn in der Geschichte“. Exemplarisch werden hier einige Spezifika deutlich, die die Teilnahme am Geschichtswettbewerb erschweren: Der kurze Text zeugt von einer großen Mühe des Schülers beim Formulieren der inhaltlichen Aussagen und deren korrektem Niederschreiben. Der Geschichtswettbewerb ist aber stark auf Lesen, Schreiben und Schriftlichkeit insgesamt ausgerichtet. In diesem Fall können die SchülerInnen keinen inhaltlich strukturierten, den Arbeitsprozess elaboriert reflektierenden Arbeitsbericht abgeben. Vielmehr sind an der Chronologie des Projektablaufs orientierte, von mehreren SchülerInnen additiv verfasste und den eigenen Entscheidungs- und Erkenntnisprozess andenkende Textabschnitte eine zu würdigende Leistung. Das „Textproblem“ des Geschichtswettbewerbs zeigt sich auch auf anderen Ebenen: Das in den jeweiligen Wettbewerb einführende Magazin „spurensuchen“2, ist nicht auf die Bedürfnisse dieser Schülergruppe ausgerichtet. Sie haben Schwierigkeiten, die dort formulierte Aufgabenstellung zu verstehen („Wurden Nachbarn diskriminiert, gemieden oder besonders geachtet, und warum?“). Auch die dort aufgeführten Beispiele zum Thema Nachbarschaft sind für sie allein schwerlich zu bewältigen und deshalb auch nicht anregend. Hier würden schon einige Seiten in „Leichter Sprache“ mit für die Schülergruppe naheliegenden und verstehbaren Beispielen weiterhelfen3.
Eigener Preis?
Wir haben „die Stadtmauer nach gebaut und haben einen Kampf um das Essen als Theater nachgespielt. Dabei haben wir die Engel-Teufelsmusik gehört.“
Die Schwierigkeiten im Textumgang bedeuten auch, dass das Wettbewerbsthema sinnlich und handlungsorientiert erarbeitet werden muss. Theaterpädagogische Elemente und musikalische Einstimmung auf Belagerer (Teufelsmusik) und Belagerte (Engelsmusik) eröffnen hier einen Zugang zur Alterität des vergangenen Geschehens. Das widerspricht aber der dem Wettbewerb zugrunde liegenden Leitidee des forschenden historischen Lernens, die auf Wissenschaftspropädeutik und Kognition ausgerichtet ist und als Endprodukt eine an wissenschaftlichen Standards orientierte Hausarbeit vorsieht. Letzteres ist gerade dieser Schülergruppe nicht angemessen. Ihre Projektprodukte als Wettbewerbsbeiträge wie Fotobücher mit kleineren Textbeiträgen, Ausstellungsplakate oder wie hier das Drehbuch und der Film eines von der Schülergruppe gestalteten Stadtrundgangs sind zwar im Wettbewerb möglich, werden aber zu wenig gewürdigt. Hier könnte ein eigener reservierter Wettbewerbspreis für eine solche Schülergruppe die Inklusion in den Wettbewerb steigern.
Frageboxen
Gleichzeitig müsste das Prinzip des forschenden historischen Lernens begrifflich modifiziert werden. Im ersten Zitat wird deutlich, dass die Schülergruppe aus zwei Vorschlägen ein Thema ausgewählt hat. Die Vorstellung, dass die SchülerInnen das Thema allein entwickeln, ist hier illusorisch (und gelingt auch bei anderen Schülergruppen nur bedingt). Hinzu kommt, dass gerade FörderschülerInnen nicht immer durchgängig Geschichtsunterricht hatten, bei dem historische Kompetenzen angebahnt wurden. Oftmals ist Geschichte in der Förderschule ein weniger wichtiges Fach. So müssen bei einer angestrebten Wettbewerbsteilnahme viele Grundlagen geschaffen werden, bevor der Forschergeist erwacht. Dieser zeigt sich dann bspw. in einer vollen Fragebox, wobei die darin befindlichen Fragen zeigen, dass Quellen kritisch durchdacht („Wer ist der Zeuge, der die Geschichte der Belagerung geschrieben hat?“) und Ereignisse befragt werden („Hat der Bürgermeister beim Ausfall der Brettener während der Belagerung mitgekämpft?“). Die Schülergruppe konnte einen Experten interviewen und dabei feststellen, dass nicht alle Fragen an die Vergangenheit geklärt werden können. Diese Ergebnisse zeigen, dass forschendes historisches Lernen grundsätzlich möglich ist, wenn auch mit Einschränkungen.
Begleitete Selbständigkeit
Auch die dem forschenden historischen Lernen implizite Selbstständigkeit ist hier zu modifizieren: TutorInnen, die historische Kompetenzen anbahnen und historische Projekte für die SchülerInnen mit Förderbedarf methodisch angemessen anbahnen können, sind für eine Teilnahme am Wettbewerb unumgänglich. Spezielle Tutorenworkshops durch die Körber-Stiftung könnten hier mehr Lehrkräfte motivieren, ebenso ein Tutorenpreis, der für diesen Kreis an LehrerInnen reserviert bleibt.
Gegen die Elitentendenz
Gerade weil die derzeit viel beschworene und diskutierte Inklusion kein Schlagwort bleiben soll, darf sich die Elitentendenz des Geschichtswettbewerbs nicht weiter verfestigen. Vielmehr sollten Anstrengungen unternommen werden, die in letzten Wettbewerb geringe Zahl an Beiträgen aus Förderschulen (vier von 1314) zu steigern.
Literatur
- Alavi, Bettina / Terfloth, Karin: Historisches Lernen im inklusiven Unterricht. In: Klauß, Theo / Terfloth, Karin (Hrsg.): Gemeinsam besser lernen! Inklusive Schulentwicklung, Heidelberg 2013. S. 185-207.
- Borries, Bodo von: „Forschendes historisches Lernen“ ist mehr als „Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten“. Rückblick und Ausblick. In: Heuer, Christian / Pflüger, Christine (Hrsg.): Geschichte und ihre Didaktik – Ein weites Feld … Unterricht, Wissenschaft, Alltagswelt. Gerhard Schneider zum 65. Geburtstag, Schwalbach/Ts. 2009. S. 130-148.
- Nellen, Jörg: Kompetenzen historischen Denkens am Beispiel erfolgreicher Beiträge zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten aus Hauptschule, Realschule und Gesamtschule. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 9 (2010), S. 110-130.
Externe Links
- Geschichtswettbewerb um den Preis des Bundespräsidenten der Körber-Stiftung (Hamburg) http://www.koerber-stiftung.de/bildung/geschichtswettbewerb.html
Abbildungsnachweis
© Thomas Platow, http://www.koerber-stiftung.de/bildung/geschichtswettbewerb/thema-nachbarn/themenideen-im-internet.html.
Empfohlene Zitierweise
Alavi, Bettina: Inklusion und Geschichtswettbewerb – Barrierefreier Geschichtswettbewerb? In: Public History Weekly 1 (2013) 1, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-129.
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“Geschichte ist primär ein Fachdiskurs”
Muss von einem “historischen Analphabetismus” gesprochen werden, wenn bestimmte Herrscherdaten und -namen von heutigen Schülern nicht einwandfrei wiedergegeben werden oder spezifischen Epochen zugeordnet werden können? Befindet sich der Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert demnach in der Krise?
Das MONTAGSRADIO “Vor Ort” war als Medienpartner auf der 6. Geschichtsmesse in Suhl und hat dort Gespräche mit den Referenten und Referentinnen der Messe geführt. Mit Hans-Jürgen Pandel, erem. Professor für Geschichtsdidaktik der Martin-Luther Universität Halle/Wittenberg, sprechen Miriam Menzel und Kaja Wesner über die Geschichte der Didaktik an deutschen Universitäten, sich ständig wandelnde Lehrpläne und die Kriterien für einen guten Geschichtsunterricht.
Und hier die Timeline zu dem Gespräch:
01:00 Geschichtsunterricht in den 50er und 60er Jahren
03:30 Befindet sich der Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert in der Krise?
06:00 Schulischer Kanon im ständigen Wandel
12:00 Kriterien für einen guten Geschichtsunterricht: Unterricht soll Kommunikation erzeugen
16:00 Geschichtsvermittlung in der Migrationsgesellschaft
21:30 “Historisieren” als historischer Denkstil
27:00 geschichtskulturelle und Gattungskompetenz
31:00 MONTAGSRADIO-Fragebogen
Quelle: http://www.montagsradio.de/2013/03/07/geschichte-ist-primar-ein-fachdiskurs/