Fiktion und Geschichte: Die angebliche Chronik Wenzel Grubers, Greisenklage, Johann Hollands Turnierreime und eine Zweitüberlieferung von Jakob Püterichs Ehrenbrief in der Trenbach-Chronik (1590)

Frühneuzeitliche Adelschroniken sind durchwirkt von Fiktionen. Seit dem Zeitalter Maximilians I. war die gelehrte Historiographie bemüht, möglichst alte und glanzvolle Ursprünge und eine möglichst lückenlose Stammreihe darzulegen. Überlieferungslücken wurden kreativ durch Erfindungen oder hypothetische Rekonstruktionen geschlossen. Für die "Epidemie an antik oder biblisch inspirierten Phantasie- oder Imaginationsgenealogien"1 hat Beat Rudolf Jenny schon 1959 den drastischen Begriff der "Herkommensseuche" gewählt.2 Das "Herkommen" war ein Schlüsselbegriff jenes vormodernen Geschichtsdiskurses.3 Die berühmteste aristokratische deutsche Familienchronik des 16. Jahrhunderts, die monumentale "Zimmerische Chronik", ist reich gesättigt mit Fiktionen zur früh- und hochmittelalterlichen Geschichte.4 Ihr Autor Graf Froben Christoph von Zimmern hat die "komplette zimmerische Frühgeschichte zusammenfabuliert", wobei es ihm, so Gerhard Wolf, um "Herrschaftslegitimation durch Traditionsfiktion" ging.5 "Fälschungen, Fiktionen, kombinatorische Erfindungen, historisierende Rückprojektionen haben in der frühen Neuzeit Konjunktur; Traditionen werden auf breiter Front erfunden oder zurechtgebogen".6

Die Trenbach-Chronik im Niederösterreichischen Landesarchiv St. Pölten

Erst nach meinem ungedruckten Vortrag "Mittelalter-Rezeption, höfische Erinnerungskultur und retrospektive Tendenzen" (Rudolstadt 2001)7 wurde ich auf die Chronik eines Wenzel Gruber aufmerksam, die in der Trenbach-Chronik in der Handschriftensammlung des Ständischen Archivs im Niederösterreichischen Landesarchiv (Signatur: HS StA 0327) verwertet ist. In einem Beitrag "Greisenklage und Wenzel Gruber" zur Mailingliste Mediaevistik vom 27. November 20048 vermutete ich, es handle sich um eine Fiktion aus der Zeit um 1550. Ich stützte mich damals auf die Beiträge von Hans-Dieter Mück9 und Andreas Zajic10, die gemeinsam mit Frieder Schanzes Verfasserlexikons-Artikel über Wenzel Gruber11 den einzigen brauchbaren Ansatzpunkt für eine quellenkundliche Beurteilung der Trenbach- und Gruber-Chronik bieten12. In Wolfenbüttel referierte ich 2010 über "Codexmythen und Codexphantasien" (die Thematik des Rudolstädter Vortrags von 2001 teilweise wieder aufnehmend) und wiederholte - anhand des alten Teilabdrucks von 187213 - meine Einschätzung, dass die Chronik Wenzel Grubers eine Quellenfiktion sei. Die Handschrift wurde vor kurzem online gestellt. Zuvor konnte ich Reproduktionen nutzen, für deren liebenswürdige Vermittlung ich Volkhard Huth vom Institut für Personengeschichte in Bensheim sehr herzlich danken möchte.14 Bei der Lektüre bestätigte sich mein Verdacht, dass die Handschrift eine unbekannte zweite Überlieferung von Jakob Püterichs 'Ehrenbrief' darstellt.

Die in sauberer Kanzleischrift geschriebene Handschrift beeindruckt durch eine Vielzahl qualitätvoller farbiger Illustrationen, meist Wappen/Ahnenproben, aber auch Personenporträts, entweder nach Grabsteinen oder nach der Wirklichkeit gezeichnet.15 Der Titel "Khurtzer begriff des herkhommens, lebenns unnd thuen des allten, edln unnd rittermessigen geschlechts der Trenbeckhen von Trenbach etc." enthält den erwähnten Schlüsselbegriff "Herkommen". Es folgt eine Darlegung der komplexen Entstehungsgeschichte der Chronik: Um 1450 habe sie ein Mönch Wenzel Gruber, Kaplan des Hans von Trenbach, verfasst. Überarbeitungen stammten von dem Schulmeister zu Passau und Kremsmünster Johann Awer um 1550, danach gab es Korrekturen vom Pfarrer zu Lochen am Mattsee Hans Trenbeck. Schließlich habe der Passauer Maler und Bürger Leonhard Abent das Buch 1590 gemalt. Ab dem Jahr 1550 habe Bischof Urban von Trenbach die Chronik fortgesetzt. Darunter ist ein Handschriftenstempel des Bischofs zu sehen, links ein eingeklebter Porträtholzschnitt Urbans aus dem Jahr 1564.

Auf die Genese des Texts beziehen sich auch einige Hinweise in der Chronik. Die Einleitung, die auch ausdrücklich Rechenschaft ablegt über die Bearbeitung der Gruber-Chronik, ist datiert 1. Dezember 1552 (Bl. 11v), Grubers Vorrede wird als Ganzes zitiert, Bl. 25v sagt ein "Tertius corrector L. S.", der Bearbeiter Grubers habe die Chronik bis 1552 geführt. Das alles für bare Münze zu nehmen, ist, wie ich meine, nicht ratsam. Eine genaue Datierung setzt ein intensives Durcharbeiten und Überprüfen des Texts voraus, was noch zu leisten ist. Schon in dem angeblich 1552 entstandenen Anfangsteil wird auf ein erst 1557 erschienenes Buch von Wolfgang Lazius Bezug genommen (Bl. 19r). Die am Schluss wiedergegebenen Turnierreime erhielt der Verfasser 1564 von Lazius aus Wien. Eines der Horoskope trägt die Jahreszahl 1574 (Bl. 237r). Man wird vorläufig annehmen dürfen, dass die Inhalte der Chronik im wesentlichen im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts zusammengetragen wurden. Gegen die Datierung der St. Pöltener Handschrift in das Jahr 1590, wie auf dem Titelblatt angegeben, spricht aus meiner Sicht nichts.

Wappen und Ahnenproben, auch gemalte Porträts, gehören zum typischen Bestand frühneuzeitlicher Familienchroniken. Humanistische Gelehrsamkeit ist ebenfalls nicht selten, aber es hat den Eindruck, als ob für den Verfasser der Trenbach-Chronik die Welt gelehrter Zitate in besonderem Maße zur aristokratischen Standeskultur gehörte. Neulateinische Poesie ist in der Chronik mehrfach vertreten, die mit Gelehrsamkeit prunkende Einleitung führt sogar italienische Verse an (der Abdruck 1872 hat diese Teile weggelassen). Bemerkenswert sind auch die Horoskope, die ab dem Anfang des 16. Jahrhunderts (Bl. 148r) immer wieder begegnen. Exkursartige Darstellungen gelten dem Adelsbegriff und der Wappenführung, der Existenz von Drachen (als Ehrenrettung der Angaben Grubers über einen Drachenkampf), dem Kampfrecht und dem Turnierwesen.

Spiritus rector der eingehenden Beschäftigung mit der Trenbacher Familiengeschichte war offenbar der 1525 geborene Passauer Bischof Urban von Trenbach, der dem Bistum von 1561 bis zu seinem Tod 1598 vorstand16 Die Trenbach-Chronik darf nicht isoliert betrachtet werden, ist also einzubetten in die gelehrte Hofkultur Urbans, die jedoch noch näher erforscht werden müsste. Neben dem Programm der Passauer Tren(n)bach-Kapelle bietet sich das Material aus den Passauer Inschriftenbänden zum Vergleich an. Bischof Urban ließ 1581/83 sein Schloss Obernzell mit gelehrten mehrsprachigen Sprüchen und anderen anspruchsvollen Bildungsinhalten ausstatten. 1581 datiert sind Kartuschen der ehemaligen Schlosskapelle mit moralisch-religiösen Sprüchen, vor allem auf Latein, aber auch auf Griechisch, Hebräisch und Syrisch. Vor allem das Werk von Juan Luis Vives hat die entsprechenden Sentenzen geliefert. Auch das Gebälk im Festsaal trug 54 vergleichbare mehrsprachige Sprüche (ebenfalls vor allem nach Vives), ein Leitfaden für weisen Lebenswandel. Außergewöhnlich darf ein umfangreicher Päpstefries mit Wappen von 1583 genannt werden, der auf Befehl Bischof Urbans geschaffen wurde. Ein Kamin war ebenfalls mit lateinischen Sprüchen geschmückt.17 Demonstrativ lässt der Bischof polyglotte Gelehrsamkeit demonstrieren. Das gilt nicht weniger für den von Urban seiner Familie gestifteten Rotmarmor-Altar der Trenbachkapelle (am ehemaligen Passauer Domkreuzgang) von 1572, der Inschriften auf Latein, Griechisch und Hebräisch trägt.18

Höchst ungewöhnlich ist die genealogische Konzeption der vom Bischof für sein Geschlecht bestimmten Kapelle. Die 1572 datierte Scheingräberwand (offenbar nach dem Vorbild der Columbarien der römischen Katakomben) enthält 216 gemalte Inschriftentafeln mit 158 Gedenkinschriften für je ein Mitglied der Familie samt Wappen der Ehefrauen.19 Ursprünglich reichte die Reihe bis Hans Christoph von Trenbach (Nr. 165), doch wurden bis nach 1598 weitere Familienangehörige nachgetragen.

Die Bearbeiter des Passauer Inschriftenbandes kannten zwar Abschriften der Inschriftenfolge von 1572 in zwei handschriftlichen Passauer Inschriftensammlungen20. Es ist ihnen jedoch entgangen, dass diese Trenbach-Genealogie von 1572 auch handschriftlich zirkulierte. Unter den Manuskripten des Historischen Vereins für Oberbayern im Stadtarchiv München findet sich das wappengeschmückte "Gedechtnus und begrebnus etlicher des alten und edlen Geschlechts der Trenbecken von Trenbach".21 Helmut Freiherr von Tautphoeus veröffentlichte 1913 eine in seinem Besitz befindliche Handschrift "Gedechtnüs vnd begrebnüs Etlicher des Alten vnd Edlen Geschlechts der Trenbecken von Trenbach. A. D. MDLXXII."22 Auch sie war mit Wappen geschmückt, der Wortlaut entspricht der Inschriftenfolge der Trenbach-Kapelle. Von Ritter Arnold von Trenbach 1160 bis Nr. 144 reicht diese Version.

Sowohl die Trenbach-Chronik in St. Pölten als auch die Genealogie von 1572 dokumentieren für den Passauer Bischof eine intensive Pflege der eigenen Familiengeschichte. Seinen Eltern spendierte er 1589 ein prachtvolles Grabdenkmal im Stift Reichersberg am Inn.23 Um gewisse Malerarbeiten auszuführen schickte er seinen Hofmaler Leonhard Abent 1591 nach Reichersberg. Dieser Passauer Bürger, der für die Ausstattung der Trenbach-Chronik verantwortlich zeichnet, ist von 1574 bis zu seinem Tode 1603 als Hofmaler bezeugt.24

Wer nach Ansicht des Bischofs das Familienwappen unbefugt führte, musste mit seinem erbitterten Widerstand rechnen. Er ging 1586 gegen einen Göttweiger Konventualen Laurentius Trennbeck, Pfarrer zu Unternalb, vor, der ein unehelicher Sohn einer Trenbacherin war. Er ließ ihm alle Petschaften, Wappenringe und Siegel abfordern und wiederholte seinen Befehl nochmals, als dies offenbar nichts fruchtete. Der Pfarrer sollte in Verwahrung genommen werden, bis er alle Gegenstände ausgeliefert hatte, "do er vnsers Alten Trenbeckischen namen und stammens adelichen Wappens sich mit vnfung missbraucht".25

Ein genauer Vergleich der Genealogie von 1572 und der Trenbach-Chronik wäre nötig, aber schon ein flüchtiger Blick offenbart erhebliche Differenzen. Die Trenbach-Chronik listet Familienangehörige seit dem 10. Jahrhundert, während die Genealogie den Ritter Arnold als Spitzenahn nennt. Arnold erscheint mit der gleichen Jahreszahl 1160 zwar in der Trenbach-Chronik, wird aber nicht besonders hervorgehoben (Bl. 51r). Im ersten Stemma des Bandes Bl. 56v befindet sich sein Kreis unscheinbar am rechten Rand.

Mir erscheint es unwahrscheinlich, die gründlichen familiengeschichtlichen Recherchen und die demonstrative Vielsprachigkeit in der Chronik sowie auf den genannten Monumenten allein dem Bischof selbst zuzuschreiben (auch wenn dieser gelehrter Beiträger von Wiguleus Hund war, wie unten zu lesen ist). Anzunehmen ist die Mitarbeit von einem oder mehreren Gelehrten in seinem Umkreis. In Betracht käme der Kanoniker Lorenz Hochwart,26 der im sogenannten Trenbach-Codex (München, BSB, Clm 27085), einem bistumsgeschichtlich wichtigen historiographischen Sammelband aus der Anfangszeit Bischof Urbans, 1563 die Passauer Bischofschronik des Protestanten Kaspar Bruschius27 überarbeitete28. Aber Hochwart starb schon 1570. Ob man mehr über die auf der Titelseite genannten Beteiligten Johann Awer und Hans Trenbeck herausfindet, bleibt abzuwarten. Nicht sicher ist, ob es sich bei "L.S." in "Tertius corrector L.S." um Namensinitialen handelt.

Über Auer ist bisher nur ganz wenig bekannt. Sechs lateinische Verse "a Ioanne Auer ex Kremsmünster Artium candidato Vienne scriptum" auf den Tod Christophs von Trenbach29 1552 überliefert die Chronik (Bl. 218v). 1557 studierte Auer in Padua.30 1560 erschien in Wien von M. Johann Auer ein Gedicht zur Hochzeit von Johann Friedrich Hofmann von Grünbühel.31

Dem Verfasser der Trenbach-Chronik, der sich selbstbewusst als Ich-Erzähler präsentiert, kam es darauf an, die Beschäftigung mit den Ursprüngen des Geschlechts als gelehrtes Thema von Dignität darzustellen. Er gibt an, der Wiener Professor Wolfgang Lazius (dieser starb 1565)32 habe die Chronik Wenzel Grubers gelesen und sei davon zu einer etymologischen Spekulation inspiriert worden (Bl. 19v). Der aus Passau gebürtige Wiener Jurist Philipp Gundelius (gestorben 1567)33 habe - die Chronik suggeriert: nach der Lektüre Grubers - den fiktiven Trierer Stadtgründer Trebeta34 ins Spiel gebracht. Bl. 23v steht ein kurzes lateinisches Carmen des Johannes Engerdus35 auf die Familie, das "Vencslaus monachorum ex ordine Gruber" hervorhebt. Von dem späteren Ingolstädter Rhetorik-Professor Engerdus, von dem auch lateinische Verse Bl. 43r-v über einen Drachenkampf stammen, weiß die ADB, er sei um 1565 in Passau von Urban von Trenbach dazu bewogen worden, zum Katholizismus zu konvertieren.36

Die Quellenfiktion Wenzel Gruber

Vor mir hat anscheinend niemand die Authentizität des Geschichtswerks Wenzel Grubers, der angeblichen Hauptquelle der Trenbach-Chronik, in Frage gestellt. Wohl aber hat der bedeutende bayerische Historiker Wiguleus Hund37 im bis 1830 ungedruckten dritten Teil seines "Bayrisch Stammen-Buchs" (Erstausgabe von Bd. 1 und 2 in Ingolstadt 1586/8638) erhebliche Zweifel an den Angaben Grubers angemeldet.39 Bischof Urban habe selbst die Chronik als falsch und irrig bezeichnet. Anhand seiner Recherchen zu anderen Familien kann Hund die Angaben Grubers nicht bestätigen. Bischof Urban habe ihm ein altes Stiftungsverzeichnis der Deutschordenskommende Gangkofen überlassen, das etliche Trenbeck-Stiftungen kenne, aber nichts von den genealogischen und Heirats-Nachrichten Grubers wisse. Hund, dessen Trenbeck-Passage 1582 datiert werden kann40, lag offenbar eine frühere Version der Trenbach-Chronik vor, die den Bericht Grubers über Hans von Trenbach in Ich-Form enthielt. Hund teilt ihn glücklicherweise komplett einschließlich des abschließenden, angeblich von Hans von Trenbach verfassten Gedichts ('Greisenklage') mit. Die erhaltene Handschrift der Chronik von 1590 verarbeitet diese Angaben Grubers, ist aber keine wörtliche Wiedergabe und auch mehr als eine getreu dem Text bei Hund folgende Paraphrase ohne Erzähler-Ich. Vor der Wiedergabe der Greisenklage unterrichtet der Chronist Bl. 131r-v über den Lebensweg Grubers. Abweichungen sind auch bei den Anekdoten über Ortolf den Jüngeren zu konstatieren, die Hund offenbar ebenfalls aus seiner Version der Trenbach-Chronik hat.41 Hunds Fassung muss aber auch schon die gelehrten Kombinationen über die Ursprünge enthalten haben, denn er bezieht sich auf die erwähnte Äußerung von Wolfgang Lazius, die in der Chronik als Frucht der Lektüre Grubers dargestellt wird.

Was Hund über Bischof Urbans Kritik mitteilt, erstaunt, denn in der Trenbach-Chronik wird schonend mit der Vorarbeit Grubers umgegangen. Ein Urteil durfte sich der Prälat freilich durchaus erlauben, war er doch in der Lage, Hund eigenhändig genealogische Beiträge zu liefern.42 Der Weingartener Mönch Gabriel Bucelin spendete 1667 Urban von Trenbach, vom dem er ein Manuskript zu den Ahaimern zur Verfügung hatte, hohes Lob43. Auch Hund erwähnt bei dieser Familie die Zuarbeit des Bischofs in seinem Stammen-Buch44

Hunds Fassung muss ebenso wie die überlieferte Chronik den Eindruck erweckt haben, dass die gesamte ältere Genealogie auf Wenzel Grubers Werk aus dem 15. Jahrhundert zurückgeht. Er stellt nämlich fest, dass im Turnierbuch (Georg Rüxners45) auf dem Zürcher Turnier 1165 Arnold Trenbeck erscheine, Gruber aber sage, Ulrich Trenbeck sei dabei getötet worden, woran Hund zweifelt: "Dauon finde ich daselbst oder Anderswo nichts".46 In der Trenbach-Chronik wird vor allem im einleitenden Teil auf Gruber ausdrücklich Bezug genommen, sonst eher selten. Daher fehlt bei der Angabe über den Tod Ulrich Konrads von Trenbach auf dem Turnier von Zürich 1165 (Bl. 57v) ein ausdrücklicher Hinweis auf Gruber. Die Bearbeitungsprinzipien des Trenbach-Chronisten suggerieren aber, er habe Gruber höchst getreu wiedergegeben. Wer dieser Angabe Glauben schenken will, muss die Notiz zum Zürcher Turnier dann auch (ebenso wie Hund) Gruber zuweisen, womit - unter dieser Prämisse - der Fälschungsnachweis erbracht wäre: Denn eine Quelle des 15. Jahrhunderts kann unmöglich das von dem Herold Georg Rüxner47 erfundene und 1530 erstmals publizierte Turnier von Zürich kennen!

Historisch Interessierte konnten sich im bayerisch-österreichischen Raum in der frühen Neuzeit den ungedruckten dritten Teil von Hunds Stammen-Buch leicht verschaffen. Die Vita des Hans von Trenbach vermochte zu fesseln als Verbindung des mit einer Prise Abenteuer gewürzten Hoflebens und asketischer Frömmigkeit, was dem Erreichen eines biblischen Alters (115 Jahre!) nicht entgegenstand. In der 1733 erschienenen Fortsetzung von Anton Wilhelm Ertls "Relationes Curiosae Bavaricae" gilt der 25. Bericht dieser Person: "Der hochbetagte fromme Hofmann und Carthäuser Johann von Trennbach"48 Erbaulich ausgewalzt wurde dieser Abschnitt von Alois Adalbert Waibel in den "Lebensblüthen für junge Freunde des Christenthums" (München 1829).49 Ebenfalls an die christliche Jugend richtete sich die Bearbeitung von Reding von Biberegg in den Stuttgarter "Jugendblättern" 1863: "Ein uralter Hofmeister".50 Weniger fromm gerierten sich die Wiedergaben aus Hund in Lorenz von Westenrieders Baierisch-historischem Kalender für 178751, in Hormayrs Taschenbuch 1842 ("Der Kriegsheld, Hofmann und hundertjährige Layenbruder Hanns von Trennbach")52 und im Oberbayerischen Archiv Jg. 12 (1851).53 Nach Westenrieder referierte 1816 Joseph von Obernberg in einem Reisebericht breit den Lebensweg des Adeligen.54

Großen Eindruck machten auch die sechs Verse, die Trenbach heimlich an die Tür der Elisabethkapelle im Schloss Burghausen geschrieben haben soll:55

Etwann het ich ein gewonnhait
wann ich außraydt
dass ich Gott vasst bath
Das ich widerkhum drat
Nun bit ich Gott inniclich sehr
das ich widerkhumb nimmermer

Ob es diese Inschrift - sie zählt noch heute zu den anerkannten Burghausener Sehenswürdigkeiten56 - damals tatsächlich gegeben hat, lässt sich nicht nachweisen. Wie die 'Greisenklage' nimmt sie das Thema Alter auf und verbindet es mit dem greisen Trenbach. Trenbach begab sich, weiß die Chronik, sofort zur Kartause, seine Abschieds-Inschrift ist also zugleich eine Absage an die Welt. In der heutigen Fassung stammt die Inschriftentafel aber aus dem 17. Jahrhundert und wurde offenkundig mit Angaben aus Hund ergänzt, kann also die Angaben der Chronik nicht bestätigen.57

Auch seriöse historische Darstellungen schrieben unkritisch nach, was ihnen Hund oder der auf Hund fußende Burghausener Stadthistoriker Johann Georg Bonifaz Huber 186258 über Hans von Trenbach präsentierten. Nie und nimmer glaube ich, dass Hans von Trenbach 115 Jahre alt wurde.59 Diese Nachricht findet sich sowohl im Gruber-Zitat bei Hund60 als auch in der - sicher von Bischof Urban autorisierten - Genealogie von 1572 (Nr. 51: Hans Trenbach zu Altenbeirn Ritter, Landhofmeister in Bayern obiit 1468, Laibruder zu Gaiming vixit annos 115). Trotz der von Hund angedeuteten Vorbehalte Bischof Urbans gegen Gruber akzeptierte er das offenkundig legendäre Alter.

Es wäre an der Zeit, das Abschreiben einzustellen und mit dem Überprüfen anhand archivalischer Quellen anzufangen. Positiv darf immerhin vermerkt werden, dass im Passauer Inschriftenband 2006 die Aussage, ein Hans von Trenbach sei Laienbruder in der Kartause Gaming gewesen, durch einen dortigen Nekrologeintrag verifiziert werden konnte.61 Auch im Zisterzienserkloster Raitenhaslach, wo eine Grablege des Geschlechts war, vermerkte man zum 25. Juli den Jahrtag eines adeligen Kartäuserkonversen Johannes (Tren?)bechk.62

Früher, als man historiographische Werke üblicherweise anhand der Faktenwahrheit bewertete, hätte man nicht gezögert, den Verfasser der Trenbach-Chronik dreistester Erfindungen hinsichtlich der älteren Genealogie der Familie zu beschuldigen. Mindestens bis zum 13. Jahrhundert scheinen alle Familienmitglieder und Heiratsverbindungen fiktiv zu sein. Um sie als tapfere Helden und Ritter beschreiben zu können, attestierte ihnen der Chronist gern die Teilnahme an bekannten Kriegszügen der deutschen Herrscher. Der angeblich 1160 bezeugte Spitzenahn Arnold der Trenbeck-Genealogie 1572 begleitete Friedrich Barbarossa auf einem Kriegszug in Italien. Die Familienangehörigen wurden also an passender Stelle in die Reichsgeschichte eingehängt. Solche genealogisch motivierten Fälschungen waren in der frühen Neuzeit nicht selten.63

Es liegt auf der Hand, dass für die Fiktionen erforderlichen historischen Kontext-Informationen in der Mitte des 16. Jahrhunderts aus gedruckter Literatur eher leicht zu beschaffen waren, im 15. Jahrhundert aber nur sehr schwer. Wer sich ein wenig mit der Adelsgeschichte auskennt, benötigt keinen detaillierten "Faktencheck", um die kruden Erfindungen aufzudecken. Ohnehin versagt die mir bekannte Sekundärliteratur in Sachen Trenbach-Genealogie vor dem 15. Jahrhundert, und auch mit dem in Monasterium.net64 bereitgestellten Material sowie bei Online-Recherchen nach den später im Besitz der Familie befindlichen Herrensitzen (Schloss Sankt Martin im Innkreis und andere) kommt man nicht ohne weiteres über das 15. Jahrhundert zurück. Es kann natürlich nicht angehen, ohne nähere Prüfung jeden Träger des Namens Trenbach/Trenbeck der angeblich aus Ober- und Niedertrennbach bei Gangkofen zuzuweisen. Dass Hans-Dieter Mück die auf Wenzel Gruber zurückgeführte Ursprungsfiktion, die Familie sei um 900 aus Griechisch-Weissenburg in Ungarn nach Bayern eingewandert, als Faktum ausgibt, kann man nur mit Kopfschütteln lesen.65 Besonders umfangreich fiel die Bearbeitung der Familiengeschichte durch Johann Baptist Wittig im "Neuen Siebmacher" zum Niederösterreichischen Adel aus,66 aber sie ist für die älteren Generationen völlig wertlos, da sie ohne Kritik (und ohne Belege) die Chronikangaben übernimmt. Es begegnet der 115jährige Johann, aber auch der in Zürich 1165 gestorbene Ritter Ulrich, obwohl man 1918 längst hätte wissen können und müssen, dass dieses Turnier nie stattgefunden hat. Der Passauer Prälat Ludwig Heinrich Krick begann 1924 klugerweise erst mit dem 115jährigen Hans dem Reichen und führte seine Stammtafel bis zum 1637 gestorbenen "ultimus stirpis" Hans Christoph, gibt aber keinerlei Nachweise.67

Hat der Trenbach-Chronist neben zahlreichen Familienmitgliedern auch Wenzel Gruber und seine Chronik erfunden? Die vielen Fiktionen, die im 16. eher als im 15. Jahrhundert verfügbares historisches Wissen voraussetzen, müssen stutzig machen. Aus dem Werkkomplex Gruber ausgerechnet die nicht vor 1530 denkbare Nachricht zum Zürcher Turnier herauszubrechen, um die Authentizität Grubers zu retten, erscheint methodisch verfehlt. Es gibt aber noch weitere Fälschungsindizien. Vergleichsweise wenig Gewicht hat das Argument, dass ein Wenzel Gruber, Benediktiner zu Scheyern, in anderen Quellen nicht dingfest gemacht werden kann. Das kann an Überlieferungsverlusten liegen oder einfach daran, dass noch nicht gründlich nach Gruber gesucht wurde. Immerhin hat sich ja niemand wirklich eingehend mit der Quellenkritik seiner Chronik beschäftigt. Frieder Schanze schrieb einen kurzen Lexikonartikel, Mück fokussierte sich auf die Greisenklage und Zajic ging es primär um die Verwertung von Grabdenkmälern durch den Chronisten. Wenzel Gruber hat einen für Altbayern sehr untypischen Vornamen, und ihm wird eine eher ungewöhnliche Vita zugeschrieben, teils in dem von Hund überlieferten Textbruchstück in Ich-Form, teils in der Vorrede (ebenfalls mit selbstbewusstem Ich), die in der Trenbach-Chronik wörtlich wiedergegeben wird. Nachdem er des Hofdienstes überdrüssig war, vermittelten ihm seine Herren, die von Trenbach, einen Dispens in Rom (aber er erscheint nicht in den einschlägigen kurialen Quellen68). In Salzburg zum Priester geweiht, wurde er 33 Jahre später nach dem Tod seines Herrn Hans von Trenbach (1468) auf Fürsprache von dessen Sohn Ortolf (dem Älteren) Mönch in Scheyern. Während Hans von Trenbach 18 Jahre in der Kartause Gaming lebte, hielt es Gruber kaum ein halbes Jahr dort aus. Mück schließt aus der Bezeichnung Margarethes von Österreich (gestorben 1486) als "meiner gned Frauen"69, Gruber habe seine Chronik zwischen 1468 und 1486 geschrieben.70

Im 15. Jahrhundert muss eine solche selbstbewusste Redseligkeit, die das eigene Ich in den Chroniktext einbringt, erstaunen. Für die nähere Prüfung der Authentizität stehen nur diese beiden Textstücke, in denen Gruber als Ich spricht, zur Verfügung. Die weiteren ausdrücklichen Erwähnungen Grubers sind unergiebig; der "Fälschungsnachweis" anhand der Rüxner-Rezeption soll die jetzige Analyse nicht beeinflussen. Da Fälschungen mich in den letzten Jahren wiederholt beschäftigt haben,71 gestatte ich mir einige methodische Vorbemerkungen. Im Original vorliegende Quellen können mit naturwissenschaftlichen Verfahren untersucht werden.72 Bei abschriftlicher Überlieferung scheidet die äußere Quellenkritik jedoch aus. Die Formgebundenheit der mittelalterlichen Urkunde macht es leichter, ein Fälschungsverdikt zu belegen. Bei neuzeitlichen Quellenfälschungen, die nicht-urkundliche Texte betreffen, gibt es zwar auch oft Konstellationen, bei denen kein vernünftiger Zweifel möglich ist, aber eben auch das Gegenteil: Es bleibt bei einem "non liquet", oder ein Konsens kann nicht erzielt werden.73 Weder eine sehr späte Überlieferung noch eine verschollene Vorlage rechtfertigen allein einen Fälschungsverdacht. 1868 publizierte Joseph Aschbach seine Überzeugung, die Werke der Nonne Hrotsvit von Gandersheim seien humanistische Fälschungen von Konrad Celtis und dessen Freunden - und blamierte sich damit.74 Wenn eine Quelle zu "interessant" erscheint, also wichtige unbekannte oder besonders farbige Details bietet, rechtfertigt dies zwar einen gewissen "Anfangsverdacht", aber der Fälschungsvorwurf muss mit hinreichend starken Indizien untermauert werden. In problematischen Fällen wie dem des Rheingauer Privatgelehrten F. W. E. Roth (1853-1924)75 wird man sich damit begnügen müssen, die Beweislast umzukehren, also so viele gewichtige Verdachtsmomente aufzuhäufen, dass ein Forscher, der die von Roth angeführten, nicht mehr auffindbaren Quellen (z.B. Dokumente zu den Mainzer Meistersängern im 16. Jahrhundert) nicht ohne nähere Begründung verwerten darf. Einen "perfekten Mord" mag es nicht geben, aber je kürzer ein zu untersuchender Text ist, um so größer ist die Chance, dass der Fälscher Anachronismen vermeiden kann und aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden muss.76 Eine Unschuldsvermutung wie im Strafprozess gibt es bei Geschichtsquellen freilich nicht; ein Fälschungsfall darf immer wieder neu aufgerollt werden. Bei Wenzel Gruber bin ich zwar fest davon überzeugt, dass es seine Chronik im 15. Jahrhundert nicht gegeben hat, aber ich könnte durch den Fund eines entsprechenden Handschriftenfragments düpiert werden. Beweise im naturwissenschaftlichen Sinn sind dem Historiker ohnehin verwehrt. Wenn sich aber keine ernstzunehmenden Verteidiger Grubers finden, könnte mein Fälschungsverdacht (wenn er denn wahrgenommen und zitiert würde) womöglich - prinzipiell revisibles - Handbuchwissen werden.

In der Gruber-Chronik als Codexphantasie77 steckt eine weitere Codexphantasie, nämlich der Verweis auf ein altes Pergamentbüchlein, das Gruber leihweise von einem Komtur der Deutschordenskommende Gangkofen namens "Teuschessaw" aus Schwaben78 erhalten hatte und das offenbar eine Familienchronik darstellte, die auch die Heiratsverbindungen enthielt, also als Urquelle für die früh- und hochmittelalterliche Geschichte des Geschlechts die (aus heutiger Sicht fiktiven) Angaben der Trenbach-Chronik beglaubigen sollte. Die Komturliste Gangkofens im 15. Jahrhunderts bei Dieter J. Weiss vermag den von Gruber genannten Namen nicht zu bestätigen, weist aber zu große Lücken auf.79

Schon die Berufung auf einen solchen alten Pergamentcodex mit Blick auf die zusammenphantasierten Ahnen stützt die Vermutung einer Quellenfiktion. Natürlich könnte es sich um eine Fiktion Grubers handeln, der das alte Pergamentbüchlein erfunden haben könnte, aber bereits die Existenz einer bayerischen Adelschronik 1468/86 begegnet erheblichen Bedenken. Am Ausgang des Mittelalters begannen, so Steffen Krieb in einem "Studienhandbuch", auch Angehörige des nichtfürstlichen Adels damit, "das Herkommen ihrer Familie in Chroniken schriftlich zu fixieren".80 Jüngst hat Clemens Joos nochmals hervorgehoben, wie sehr das verstärkte Interesse am Herkommen beim schwäbischen Adel von den historisch-genealogischen Bestrebungen Maximilians I. bestimmt wurde.81 Darauf hatte schon Rudolf Seigel in einem nach wie vor grundlegenden Aufsatz 1981 aufmerksam gemacht.82 Schon Thomas Lirers 1485/86 in Ulm gedruckte "Schwäbische Chronik", eine Sammlung fiktiver Chronikerzählungen83 hielt Seigel für einen frühen, "noch tastenden Versuch, Adelsgeschichte zu schreiben".84 Als älteste südwestdeutsche Adelschronik nannte er (die nur in späterer Überlieferung greifbare) Chronik des Bligger Landschad von Steinach aus dem Jahr 1491.85 Für die Zeit um 1500 kann man in Oberdeutschland drei Männer namhaft machen, die ich als Väter der modernen Genealogie angesprochen habe: Ladislaus Sunthaim,86 Jakob Mennel87 und Matthäus Marschalk von Pappenheim.88. Eng standen die ersten beiden, etwas loser der adelige Augsburger Kanoniker Pappenheim mit Maximilian in Verbindung.89 Nach meiner bisherigen Quellenkenntnis setzt in anderen Regionen die Pflege der Chronistik durch niederadelige Familien erheblich später ein als in Oberdeutschland. Für Altbayern könnte man auf den gemalten Stammbaum des Degenhart Pfeffinger (1514) und seine Familienchronik von 1515 jeweils im Bayerischen Hauptstaatsarchiv verweisen.90 1526 entstand die faszinierende Chronik des Hans von Herzheim im Stadtarchiv München.91 Vor diesem Hintergrund liegt die angenommene Entstehungszeit 1468/86 von Wenzel Grubers Chronik eindeutig zu früh. Dass ein Diener für erwiesene Gunst sich mit einem "Herkommen" revanchiert (so die Vorrede Grubers), erscheint mir sogar singulär zu sein.

Allerdings kann man der Herzheimer-Chronik entnehmen, dass es die offenbar zur Erklärung des Drachens im Familienwappen bestimmte Drachenkampf-Überlieferung schon am Anfang des 16. Jahrhunderts gegeben hat. Otto Titan von Hefner bezog sich 1862 auf eine eigene Handschrift dieser Chronik, die er 1506/30 datierte. Zum Trenbach-Wappen, dem er die Jahreszahl 1510 beigab, zitiert er die Beischrift: "Das wappen so her gößwein von trenbach pey einem Rom. kayser erlangt hat vmb das er ainen tragkhen allain in dem lant zu Preyssen erschlug."92 In der Trenbach-Chronik erschlägt der Kriegsmann Geßwein Trenbeck von Geßwein einen Drachen auf einem Preußen-Feldzug Kaiser Ottos II. ca. 975. Da der Abschnitt für die Arbeitsweise des Chronisten bezeichnend erscheint, gehe ich etwas näher darauf ein. Aufgrund dieser tapferen Tat wird Geßwein zum Ritter geschlagen und darf das blutige Drachenhaupt im Wappen führen (Bl. 36r). Der Autor weiß zwar nicht, dass es damals überhaupt noch keine Wappen gab, aber wenigstens die Tatsache, dass quadrierte Wappen zu jener Zeit noch nicht in Gebrauch waren, ist ihm bewusst. Geßwein beteiligt sich auch an einem Sizilien-Feldzug Ottos II. (am Rand ist als Quelle Aventin vermerkt) und stirbt bei einer Schlacht vor Avignon im hohen Alter. Anschließend soll eine Mitteilung zu einer Seelen-Schmiede die Vertrautheit des Autors mit italienischen Traditionen demonstrieren. Ein Markgraf, den manche für einen von Brandenburg hielten, sei in eine Schmiede gekommen, wo verdammte Seelen geschmiedet wurden. Ihm werde es auch so ergehen, habe er erfahren, wenn er sich nicht bessere. Aus Reue habe der Markgraf dann sieben genannte Klöster bei Florenz gestiftet.93 Auf Bl. 38r findet sich eine außergewöhnlich qualitätvolle Miniatur: Geßwein kämpft in antikisierender Rüstung mit dem Drachen. Nun muss aber Wenzel Gruber in einem dreiseitigen gelehrten Exkurs "Von dem gewürm oder trackhen" in Schutz genommen werden, da man die Besorgnis haben könnte, Wenzel Gruber, der vor langen Jahren geschrieben habe, habe es "geticht oder aber auß gedichtem grundt nachgeschriben" (Bl. 39r). Unter den aus der gelehrten Literatur zusammengetragenen Drachen-Zeugnissen erscheint auch die Wiltener Drachenzunge des Helden Haymon, die dort in der Sakristei gezeigt werde.94 Es folgt eine kurze zitatschwangere Abhandlung "Vom gebrauch der wappen" (Bl. 40v-42v). Das Thema Drachenkampf wird nochmals von den erwähnten lateinischen Versen des Johannes Engerdus aufgegriffen, bevor eine von lateinischen Versen begleitete Wappenreihe diesen Abschnitt abschließt. Selbstverständlich beweist die Existenz der Trenbacher Drachen-Wappen-Überlieferung am Anfang des 16. Jahrhunderts nicht die Existenz der Chronik Grubers, aus der sie nach Angaben der Chronik stammen soll.

Besonderes Gewicht hat für mich das Argument, dass Wenzel Grubers Quellenliste in seiner Vorrede anachronistisch ist: "gestifften begrebnussen [...], versiglten brieven, alten registern, geschrifften in tottnpüechern, auf alten und neuen grabstainen" (Bl. 2v).95 Ich spreche von einer Quellenliste des antiquarischen Typs, wenn humanistische Historiker eine Reihe von schriftlichen und Sachquellen-Typen aufführen, um ihre umfassende Recherche zu dokumentieren. Seit vielen Jahren habe ich auf solche Listen geachtet, die nach meinen Erfahrungen nicht schon am Anfang des 16. Jahrhunderts zum guten Ton von Chronikvorreden gehören. Abgesehen von einem rudimentären Vorläufer in Konrad Grünenbergs Wappenbuch in den 1480er Jahren - dort heißt es, er habe die Wappen aufgezeichnet aus alten (Turnier-)Blättern, Büchern und Gemälden der Gotteshäuser96 - kenne ich derzeit kein älteres Beispiel für die Verwendung der Quellenliste des antiquarischen Typs als Jakob Mennels Fürstliche Chronik (1518).97

Noch ein kurzer Blick auf das von Hund überlieferte Textstück über Hans von Trenbach. Seine Attraktivität für spätere Autoren resultiert in meinen Augen weniger aus der realen Biographie Trenbachs als aus der konsequenten Stilisierung seiner Vita. Das völlig unglaubwürdige Alter von 115 Jahren, die ihm in den Mund gelegte Greisenklage (dazu unten) und die Burghausener Abschiedsverse beziehen sich auf einen vorbildlichen Lebensweg. Im hohen Alter wendet sich Trenbach vom Hofleben ab, erkennt seine Hinfälligkeit und die Notwendigkeit, seinen Lebensabend fromm-asketisch in der Einsamkeit einer Kartause zu verbringen. Er bleibt trotzdem aktiv, unterstützt das Kloster und stirbt bei einem Reitunfall. Wie hart das Leben in Gaming ist, wird durch die Angabe unterstrichen, dass Wenzel Gruber es kaum ein halbes Jahr dort ausgehalten habe. Reale biographische Versatzstücke - der Aufenthalt eines Hans von Trenbach in Gaming ist ja durch Nekrologe belegt - werden souverän arrangiert, um das Herkommen der Familie über den frommen "Helden" aufzuwerten, aber auch um über das erbauliche "Exemplum" christliche Werte einzuschärfen.98 Wieviel Fiktion wirklich in der Trenbach-Vita steckt, bleibt noch anhand unabhängiger Quellen zu ermitteln. Aus meiner Sicht gehört ein solcher Erzähler eher in das 16. als in das 15. Jahrhundert. Dass Wenzel Gruber als enger Vertrauter des Adeligen wenige Jahre nach dessen Tod in dieser Weise mit der Vita seines Herrn jongliert hat, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber wenig wahrscheinlich.

Fromme Stilisierung begegnet in der Trenbach-Chronik auch bei dem Tod des Priesters Christoph von Trenbach, Urbans Bruder, 1552. Er stirbt mustergültig, indem er das Gesinde über ihre Tugenden und Laster belehrt und zum Guten ermahnt und sich selbst als nichtigen Madensack bezeichnet, der sich zu gern als gnädiger Herr titulieren ließ (Bl. 216r). Zum Priesterbild seines Bruders als herausragenden Vertreters der tridentinischen Erneuerung und der Gegenreformation passt diese Darstellung ausgezeichnet.

Als gesichert möchte ich festhalten: Die beiden Wenzel Gruber zugeschriebenen Textstücke weisen Merkwürdigkeiten auf, die klar die Frage nach ihrer Authentizität aufwerfen. Die Indizien für Anachronismen sind eher "weich" als "hart", und es fehlt eine philologische Beurteilung, ob die Textteile sprachlich ins 15. Jahrhundert passen (ich habe Zweifel). Trotzdem erscheint mir die Beweislastumkehr geglückt: Wer künftig behauptet, Wenzel Grubers Chronik sei ein Text des 15. Jahrhunderts, sollte meine Argumente zu entkräften versuchen. Methodisch unabhängig von der "Beweisführung" anhand der Vorrede und der Vita des Hans von Trenbach habe ich ja oben bereits meine Überzeugung formuliert, dass die Rüxner-Rezeption nicht einfach, um Gruber zu "retten", von den anderen genealogischen Fiktionen, die der Chronist ja implizit alle Gruber zuschreibt, isoliert werden darf. Wenn man dieses Argument akzeptiert, hat man einen vergleichsweise "harten" Fälschungsnachweis.

In den 1550er oder 1560er Jahren dürfte die Gruber-Chronik fabriziert worden sein. Glaubt man dem Chronisten, lag sie Wolfgang Lazius und zwei anderen Gelehrten vor. Terminus ante quem wäre der Tod des Lazius 1565. Spekulationen darüber sind müßig, was außer den beiden wörtlich wiedergegebenen Textstücken an Gruber-Text zu entwerfen gewesen wäre. Das genealogische Forschungsprojekt des Passauer Bischofs Urban von Trenbach war an sich ja schon sehr aufwändig. Es mussten zahlreiche Quellen und Grabstätten (für die Bilder!) gesichtet werden. Da ist es durchaus denkbar, dass im Zuge dieses Unternehmens nicht nur die vielen Phantasie-Ahnen aus dem Hut gezaubert wurden, sondern auch die Gruber-Chronik gefälscht. Der Zweck dieser Fälschung lässt sich mit dem Begriff der "Beglaubigung" beschreiben. Eine mit ganz wenigen Änderungen getreu wiedergegebene frühere Familienchronik (laut Titelblatt um 1450 geschrieben) eines späteren Benediktinermönchs, der als solcher nicht lügen darf, und die sich wiederum auf eine alte Pergamenthandschrift aus der Kommende Gangkofen beruft, soll die Wahrheit der Chronikangaben verbürgen. Eine solche Quellenfiktion ist keineswegs singulär.99

Wenn Hund die Distanz des Bischofs gegenüber Gruber richtig wiedergibt, ist es schon deshalb wenig wahrscheinlich, dass der Passauer Oberhirte in eigener Person für die Erfindungen und die Gruber-Quellenfiktion verantwortlich war. Urban von Trenbach hat sicher nicht als einziger in seiner genealogischen (Fälscher-)Werkstatt am Familien-Herkommen gedrechselt.

Die Greisenklage

Die 'Greisenklage' ist ein offenbar im 15. Jahrhundert verfasstes Reimpaargedicht, das in der Regel gut 50 Verse umfasst. Es stellt die Freuden der Jugend den Gebrechen des Alters gegenüber. Hans-Dieter Mück hat aufgrund des chronikalischen Zeugnisses von Wenzel Gruber, der die Verfasserschaft Hans von Trenbach 1467/68 zuschrieb, und einer Sichtung der ihm bekannten, 1468/69 einsetzenden Überlieferung Hans von Trenbach als Autor angesehen. Auf die Erstellung einer Handschriftenfiliation hatte Mück verzichtet, obwohl man daraus hätte ablesen können, ob die Trenbach-Version tatsächlich wie zu erwarten an der Spitze der Überlieferung steht. Wie ich bereits 2004 zeigte,100 scheitert die Verfasserzuschreibung schon an dem Umstand, dass ich aufgrund von Internetrecherchen zwei ältere Handschriften in St. Gallen (1430/36 von Friedrich Kölner in St. Gallen geschrieben) und Augsburg nennen konnte. Nach dem vierten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts kann der Text nicht entstanden sein.

Ebenso wie mein Beitrag 2010101, den ich mit Nachweisen von Handschriften-Digitalisaten aktualisiert habe, wurde mein Hinweis von 2004 von Mike Malm, der die Greisenklage für das DLL bearbeitete, ignoriert.102 Daher fehlt - leider auch im Handschriftencensus (derzeit 13 Handschriften)103 - die von mir beigebrachte zweite Handschrift in der Stadt- und Staatsbibliothek Augsburg 2° Cod 307, Bl. 97rb aus dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts.104 Das DLL hat nur eine Handschrift mehr als der Handschriftencensus, nämlich eine Abschrift der Original-Handschrift des Zimmern'schen Vergänglichkeitsbuchs.105 Allerdings sollte man dann alle bekannten Abschriften des Vergänglichkeitsbuchs Wilhelm Werners von Zimmern und nicht nur eine einzige angeben.106 Es fehlt die Trenbach-Chronik (Bl. 132v), in der Bl. 133r wie in einigen anderen Handschriften ein Bild beigegeben ist: ein hinfälliger Greis, der hier Hans von Trenbach darstellen soll (Abbildung unten). Um die Überlieferungsübersicht nicht zu verzerren, empfiehlt es sich, sowohl beim Vergänglichkeitsbuch als auch bei dem Werkkomplex Trenbach-Chronik/Hunds Stammen-Buch und Ableitungen (z.B. bei Eckher, siehe unten) nur einen Textzeugen zu zählen.107 Bislang übersehen wurde München, Staatsbibliothek, Clm 7746, Bl. 91av aus der Zeit um 1450.108 Außer den Handschriften gibt es noch einen frühen Einblattdruck (in Augsburg), den man inzwischen um 1508/12 datiert.109 Demnach wären also derzeit 17 Textzeugen der 'Greisenklage' bekannt, nämlich 16 Handschriften (Zimmern und Trenbach/Hund jeweils als ein Zeuge gezählt) und ein Druck.

Joseph Mayer erwähnte 1862 unter den Sammlungen des historischen Vereins für die Oberpfalz ein (nicht datiertes) Bild Hans von Trenbachs mit den von ihm selbst verfassten Reimen auf der Rückseite110, und im Findbuch zu den Landschaftsakten des Ständischen Archivs im Oberösterreichischen Landesarchiv steht in Nr. 1577: "Epitaph auf Hans Trenbeckh. Verse. Originelle Grabschrift in deutschen Versen. Starb nach 48jährigem Witwerstand als Laienbruder zu Gaming im Jahre 1468, 115 Jahre alt"111. Vermutlich geht beides auf die Wiedergabe bei Hund zurück.

In der Trenbach-Chronik und in Hunds Wiedergabe112 wird die Greisenklage Hans von Trenbach in den Mund gelegt. Vor dem üblichen Textbeginn nennt sich der angebliche Verfasser:

Hannß Trenbeckh Layenbrueder haiß ich
Gott erbarme sich vber mich

Diese "literarische Inszenierung", die bei Trenbach, wie gezeigt, in den Kontext des Greisen-Motivs und seiner Stilisierung als Vorbild gehört, hat eine eigentümliche Paralelle in der Minnereden-Überlieferung. Die Münchner Lohengrin-Handschrift Cgm 4871 (ursprünglich mit Cgm 4872 und Cgm 4873 zusammengebunden)113 wurde nach einem Schreibervermerk 1461 in Kammer am Attersee (Oberösterreich) von Johannes Fritz von Passau für Ortolf von Trenbach den Jüngeren geschrieben. Im Text von Peter Suchenwirts Minnerede 'Die schöne Abenteuer' wird der Name des Sprechers an zwei Stellen durch "hanns von Trenbach" bzw. "Trenbeckh" ersetzt.114 Es liegt nahe, in diesem Hans von Trenbach den Großvater Ortolfs zu sehen, also den vorbildlichen Helden bei "Wenzel Gruber" bzw. in der Trenbach-Chronik. Im Mittelpunkt des Textes115 steht die Begegnung des Sprechers mit den personifizierten Tugenden Minne und Ehre. Wann diese Textänderung, die nur im Cgm 4871 vorhanden ist, erfolgte, lässt sich nicht angeben. Sogar eine Autorvariante Suchenwirts ist denkbar. Damit käme man in die Zeit vor 1400. Um einen direkten Zusammenhang mit der bei Gruber vorgenommenen Stilisierung des Hans von Trenbach (gestorben 1468) erwägen zu können - die Minnerede thematisiert weltliche adelige Vorbildlichkeit und beklagt Missstände beim Adel - ist das 1461 datierte Zeugnis zu alt. Obwohl ich der Überzeugung bin, dass die Gruber-Chronik eine Quellenfiktion des 16. Jahrhunderts ist, könnte es durchaus sein, dass die Greisenklage - womöglich inspiriert durch das Vorbild der Suchenwirt-Minnerede - schon im 15. Jahrhundert mit Hans von Trenbach verbunden wurde. Mehr als eine bloße Möglichkeit ist das aber derzeit nicht.

Am 19. November 1818 wies Franz Hoheneicher dem Germanisten Johann Andreas Schmeller ein unbekanntes Gedicht des "Hanns von Trennbach" nach, das er in einer eigenhändigen Niederschrift des Freisinger Fürstbischofs Johann Franz Freiherr von Eckher (1649-1727)116 gefunden hatte.117 Er vermutete die Sammlung Eckhers inzwischen im Reichsarchiv oder in der Staatsbibliothek. Schmeller erkundigte sich beim Archiv, hatte aber zum Zeitpunkt seines Antwortbriefs an Hoheneicher am 18. Dezember 1818 noch keine Mitteilung dazu erhalten. Hoheneicher setzt das Gedicht ausdrücklich von dem kürzeren Gedicht aus Westenrieders Kalender (also der Greisenklage) ab. In der als Neubearbeitung von Hunds Stammen-Buch konzipierten genealogischen Sammlung Eckhers im Cgm 2268 Bd. 5 finde ich im Trenbach-Abschnitt nur die Greisenklage.118 Vielleicht hat Schmeller den Text später doch noch erhalten. In seinem Nachlass gibt es eine Schrift über Hans von Trenbach, die sich auf die Minnerede Suchenwirts zu beziehen scheint.119 Vermutlich hat Eckher demnach das Suchenwirt-Gedicht aus dem Cgm 4871 oder einer anderen Abschrift kopiert.

Johann Hollands Turnierreime

Eingeleitet vom Bildnis des Herolds Johann Holland in seinem Wappenrock (Bl. 306r) beschließt die leider unvollständige Wiedergabe der 'Turnierreime' des Johann Holland die Handschrift der Trenbach-Chronik (Bl. 306v bis Textabbruch Bl. 311v). Eingangs erfährt man, den Text habe der Wiener kaiserliche Leibarzt und Historiker Wolfgang Lazius am 9. September 1564 als Abschrift aus einem alten Pergamentbüchlein zugesendet. Nach einem Hinweis auf die Turnierbücher (Rüxners) und ihre Berücksichtigung in der "Cosmographei" des Sebastian Münster120 kündigt der Chronist Bl. 279r Püterichs Ehrenbrief und die Turnierreime ("aines alten heroldten gedicht in reimen") an. Letztere will er von Lazius 1563 in Wien zur Abschrift erhalten haben. Überprüfbar ist diese Provenienz des Texts natürlich nicht. Eingedenk der genannten "Codexphantasien" kommt man nicht umhin, auch bei dem alten Pergamentbüchlein als Quelle ein Fragezeichen zu setzen.

2009 schrieb ich in meinem Rüxner-Aufsatz zu Hollands Turnierreimen: "Rüxner hatte seine Hände auch bei der Textgeschichte der Turnierreime des bayerischen Herolds Johann Holland im Spiel. Er fügte eine kurze eigenhändige 'Antwort' ebenfalls in Versen bei. Auch wenn es wohl zu weit ginge, in Rüxner den Fälscher der Turnierreime zu sehen, soll festgehalten werden, dass es keinerlei Beweis dafür gibt, dass die erst ab der Mitte des 16.Jahrhunderts in der Überlieferung erschienenen Turnierreime tatsächlich in die Zeit Sigmunds zurückgehen und tatsächlich von einem Herold Johann Holland stammen. Jakob Püterichs Ehrenbrief 1462 liefert auch keinen sicheren Terminus ante quem, da das Abhängigkeitsverhältnis der beiden Texte nicht sicher zu klären ist. Fest steht nur, dass die Erwähnung des Turniers zu Schaffhausen 1392 nicht ursprünglich sein kann, denn dabei handelt es sich um eine Erfindung Rüxners, wie aus einem Vergleich der Namenslisten Rüxners mit den historischen Fakten hervorgeht. Es ist schlicht und einfach unzutreffend, wenn man heute noch liest, dass Rüxners Namenslisten ab der Mitte des 13. Jahrhunderts verlässlich seien".121

Für Hellmut Rosenfeld, Verfasser des Artikels im Verfasserlexikon,122 wurde Johann Holland um 1390 in Eggenfeld geboren und war Herold und Wappendichter Herzog Ludwig des Bärtigen von Bayern-Ingolstadt (1365-1447): "Zusammen mit Herzog Ludwig kam er zu Kaiser Sigismund, nachdem dieser, von Zürich kommend, am 19. 7. 1415 Schaffhausen besucht und von dem dort 1392 veranstalteten Turnier gehört hatte. Auf Veranlassung des Kaisers bzw. dessen Kanzler Schlick verfaßte H. nunmehr eine gereimte Aufzählung des gesamten am Schaffhauser Turnier von 1392 beteiligten bayerischen Adels".123 Abgesehen davon, dass Sigismund erst 1433 Kaiser wurde und der ins Auge gefasste Ereignisbezug unzutreffend ist, glaubt Rosenfeld zu naiv den Angaben des Textes. Die jüngere Forschung hat ihre liebe Not mit der Datierung und dem historischen Kontext des eher anspruchslosen Reimpaargedichts. Die Trenbach-Chronik datiert die Verse um 1424, eine Mutmaßung, die sich sicher nicht auf Informationen der Vorlage stützen kann. Martha Mueller, die in ihrer New Yorker Dissertation 1985 die maßgebliche Edition der Turnierreime Hollands vorgelegt hat,124 meinte, der Text könne "wohl kaum vor dem Todesjahr Schlicks (1449)" entstanden sein. Als Terminus ante quem sah sie die Entstehung des von den Turnierreimen abhängigen Ehrenbriefs 1462 an. 2005 kam Wim van Anrooij in einem für das Heroldswesen wichtigen, aber leider recht entlegen erschienenen Aufsatz auf den Zeitraum 1429/1433, als Kaspar Schlick125 Vizekanzler war. Leider begründet er nicht, wieso sich die Bezeichnung cantzeler "notwendigerweise" auf die Vizekanzlerschaft Schlicks 1429-1433 bezieht.126 Am gründlichsten hat sich Joachim Schneider 2003 bei seinen eindringlichen Quellenstudien zum bayerischen Turnieradel mit Hollands Versen beschäftigt.127 Für ihn war die Bezeichnung Schlicks als Kanzler ein eindeutiger Terminus post quem. Entscheidend für die Entstehung der Turnierreime war für ihn die politische Konstellation des Jahres 1434.128

Schneider hat das nur von Rüxner129 bezeugte Schaffhauser Turnier 1392 - endlich! möchte man sagen - in das Reich der Fiktion verwiesen.130 Wäre die nur von der Trenbach-Chronik (und der Münchner Ehrenbrief-Handschrift) gebotene Datierung 1392 - sie fehlt in Muellers Edition nach dem Cgm 1317 als Leithandschrift - keine spätere Interpolation in den Text der Turnierreime, so müsste man womöglich an das Erscheinungsdatum der Erstausgabe des Turnierbuchs 1530 als Terminus post quem denken. Rüxner selbst könnte natürlich auch schon früher das Turnier erfunden haben. Denkbar wäre aber auch, dass er sich von der Jahreszahl 1392 in Hollands Gedicht anregen ließ. Aber es gibt keinen Anhaltspunkt, dass die Lesart der Trenbach-Chronik ursprünglich ist.

Ein archivalischer Nachweis für das Turnier 1392 ist nicht zu finden. Im Katalog der Schaffhauser Turnier-Ausstellung 2014131 hat sich Peter Jezler meine Skepsis zu eigen gemacht, wenn er - über mich hinausgehend - schreibt, Rüxner habe, wie es scheine, "auch von ihm zitierte Quellen selbst geschaffen (Schaffhauser Turnierreime des Johann Holland)"132 Dagegen bleibt Kurt Bänteli unkritisch der liebgewordenen lokalen Tradition133 verhaftet, wenn er annimmt, Rüxners Mitteilung zu 1392 könne einen wahren Kern haben, da es aus den folgenden Jahren glaubwürdige Nachrichten über Turniere in der Stadt gebe. Er nennt Quellenbelege für Turniere in den Jahren 1405, 1432, 1434 (?), 1435 und 1438.134

Schaut man sich die von Rüxner genannten Personen genau an, so wird man rasch zu dem Schluss kommen, dass anscheinend alles erfunden ist. Dem Schaffhauser Stadtchronisten Johann Jakob Rüeger teilte am 13. Dezember 1595 der Historiker Gottfried von Rammingen mit, die Jahreszahl im Turnierbuch zum Turnier in Schaffhausen müsse falsch sein, da mehrere anwesende Grafen nicht mehr am Leben gewesen seien.135 1931 stellte Eduard Geßler fest, bei Rüxner sei "sehr viel Unrichtiges und geradezu Unmögliches zu finden". Die Fürstlichkeiten seien niemals in Schaffhausen gewesen, und die Vornamen der Schweizer Geschlechter nicht zu belegen.136 Den dritten Tanz des Turniers gab man, will Rüxner wissen, Herzog Stefan von Bayern, der mit der Gemahlin Markgrafs Rudolfs von Baden getanzt haben soll. Das muss der schon im Jahr zuvor (1391) verstorbene Rudolf VII. gewesen sein, der unverehelicht blieb. Rudolf selbst tanzte - offenbar postmortal - mit der Tochter Herzog Stephans von Bayern. Stephan III. hatte nur aus erster Ehe eine Tochter, die aber schon seit 1385 Königin von Frankreich war (Isabeau de Bavière). Landgraf Ludwig von Hessen nahm schon vor seiner Geburt (1402) am Schaffhauser Turnier teil und war damals bereits pränatal verheiratet. Genug! Wenn man eine authentische Namensliste des Bodensee-Adels aus jener Zeit benötigt (also der potentiellen Turnierer in Schaffhausen), kann man jenes Bündnis wegen Führung des Georgenbanners heranziehen, das am 24. Dezember 1392 über 400 Adelige zur Unterstützung des Hans von Bodman gegen die Böhmen vereinigte.137 Rüxner bietet gänzlich andere Vornamen! Auch für ihn gilt im Turnierbuch das Prinzip der Beweislastumkehr: Wer ihm hinsichtlich des Schaffhauser Turniers 1392 vertrauen möchte, muss das methodisch schlüssig belegen.

Auf welches Turnier in Schaffhausen sich Holland stattdessen bezog, lässt sich nicht sicher sagen. Schneider hat großen Scharfsinn darauf verwendet, Hollands Reimerei politisch zu interpretieren und auf ein möglicherweise 1434 in Schaffhausen stattgefundenes Turnier zu beziehen. Er zeigte, dass die frühere Lektüre des Textes, die von einem Zusammentreffen Ludwigs von Bayern und König Sigismunds ausging (Verse 9-18), nicht zwingend ist. Dann hätte der Herold und nicht der Bayernherzog den König getroffen. Aber auch bei dem von Schneider favorisierten Aufenthalt Sigismund im Mai 1434 in Schaffhausen gibt es ein Problem. Sigismund kam nämlich nicht von Zürich, wie Holland sagt.

Mir scheint es an der Zeit, von der "biographistischen" Deutung der Turnierreime abzurücken und sie stattdessen zuallererst als literarische Inszenierung zu begreifen. Ein Herold Johann Holland ist in den Quellen nicht greifbar. Es könnte sich auch um ein Pseudonym handeln138. Einen Herold Herzog Ludwigs von Bayern mit dem Amtsnamen Holland (er bezog sich auf die Herrschaft bzw. Ansprüche Bayerns auf Holland) gab es 1419, aber er trug den Vornamen Nikolaus.139 Der Geburtsort Eggenfelden, die Tätigkeit als bayerischer Herold, der aufgrund der sechs beherrschten Sprachen weitgereist zu sein vorgibt - nichts muss real gewesen sein. Der Rollen-Figur eines Herolds einen Katalog der turnierfähigen Geschlechter in den Mund zu legen bedeutete, den Geltungsanspruch der Liste zu erhöhen, da Herolde als der Wahrheit besonders verpflichtete Tugend-Richter, als "moralisch-soziale Kontrollinstanz"140 galten. Auf die Funktion, den Adel zu strafen, kommt der Holland-Text zweimal, vor und nach dem Turniererkatalog, zu sprechen (Verse 35-48, 426-428).141 Auf Turnieren tätige Herolde waren bei der Prüfung der Turnierfähigkeit ausgewiesene Experten und konnten die dafür zuständigen Turniergenossen beraten. Was Historikern Kopfschmerzen bereitet, die historische Situierung des Eingangsabschnitts der Turnierreime, erweist sich im literarischen Text als Realitätsfiktion einer "Rahmenerzählung", die Glaubwürdigkeit herstellen soll.

Leider kommt auch die dem Text beigegebene Illustration nicht zu Hilfe. Die Heroldsdarstellung dürfte nämlich erst für die Trenbach-Chronik geschaffen worden sein. Schlüsse auf das Dienstverhältnis Hollands sind daher verfehlt. Die Chronikhandschrift lässt Holland einen goldenen Wappenrock mit großem zweiköpfigem Reichsadler tragen. Der Herzschild, ein ungekrönter silberner Löwe in Gold, soll wohl auf Herzog Ludwig anspielen.142 Abweichend davon setzt die Münchner Ehrenbrief-Handschrift Cgm 9220143 den österreichischen Bindenschild in den Herzschild. Anrooijs Vermutung, Holland sei den Habsburgern Albrecht II. oder Friedrich III. gepflichtet gewesen,144 geht zu weit. Priorität kommt der Trenbach-Handschrift zu (siehe unten), und auch deren Illustration ist keine vom Text unabhängige Quelle.

Vor Schlicks Erhebung zum Kanzler (1433) kann der Text der Turnierreime nicht entstanden sein. Das Präteritum (Vers 51: "Der konig hett ein cantzeler") beziehe ich nicht auf den Tod Schlicks, sondern auf den Tod und das Ende der Regierungszeit Sigismunds 1437, mit dem auch Schlicks Kanzlerschaft vorerst endete. Damit wäre eine Datierung nicht vor 1437 gegeben. Möglich ist aber auch, dass der Text erst lange nach der Regierungszeit Sigismunds entstanden ist (und der Auftrag Schlicks fingiert145), denn die in der Forschung angenommene Abhängigkeit des Ehrenbriefs (1462) von den Turnierreimen halte ich nicht für gesichert. Einer hat den anderen benutzt, soviel steht aufgrund der großen Übereinstimmungen im Katalog des Turnieradels fest. Ich kann die komplizierten Ausführungen Muellers dazu nicht nachvollziehen,146 und halte es auch für methodisch unzulässig, textkritisch eine Abhängigkeit sicher anzunehmen, wenn man zum Vergleich nichts weiter in der Hand hat als die Namen der Adelsfamilien. Es ist durchaus denkbar, dass die Turnierreime vor 1462 entstanden sind, womöglich in Kontakt mit Püterich, aber das müsste in schlüssiger Weise abgesichert werden.

Damit kommen als Terminus ante quem nur die Daten der Überlieferungsgeschichte der Turnierreime in Betracht.147 Noch 1999 konnte Ulrich Montag nur auf die drei Münchner Handschriften verweisen,148 wovon die ehemals Herzogenburger Ehrenbrief-Handschrift der Editorin Mueller nicht zur Verfügung stand. 2003 griff Joachim Schneider Heinz Lieberichs Hinweis auf die Überlieferung in Brechtels Leublfing-Turnierbuch auf.149 Ich selbst konnte neben weiteren Handschriften der Leublfing-Turnierchronik eine Handschrift in den USA beitragen und kann nun die bislang unerkannte Überlieferung BSB München Cod.icon. 390 erstmals anzeigen.

Die Überlieferung setzt 1554 mit dem Münchner Cgm 1952 ein, eine Bearbeitung des Texts, bei der die Verse in anderer Reihenfolge Wappen in einem "Hofkleiderbuch" begleiten.150 Muellers Leithandschrift, der Cgm 1317, datiert zwar erst von 1560, enthält aber Bl. 137r einen 1511 datierten Vermerk, wonach von den Geschlechtern des Schaffhauser Turniers noch 76 am Leben seien.151 Die Turnierreime schließen mit einer kurzen gereimten kritischen Nachbemerkung gegen die Kritik an den Gelehrten "Also sagen die Roraffen" (Verse 438-443), die bei Wiguleus Hund dem Herold Georg Rüxner zugeschrieben wird (ebenso unter Bezugnahme auf Hund im Cgm 9220, S. 51f.). Hund hatte eine eigenhändige Abschrift Rüxners vorliegen.152 Rosenfeld vermutete, die Vorlage des Cgm 1317 von 1511 könnte Rüxners Abschrift gewesen sein.153 Am Ende von historischen Notizen (1024-1379) über die bayerischen Herzöge steht Bl. 137r: "Anno 1527 Vff dinstag sannt Calixtey tag, des 14 tag weinmonads Zoch mein Georg von mir" (Calixtus, 14. Oktober, fiel 1527 aber auf einen Montag).154 Ist das der Eintrag einer Mutter, deren Sohn Georg in die Fremde zog? Oder ist hier von einem anderen Abschied, nämlich dem Tod eines Georg, die Rede? Hat die Ehefrau Georg Rüxners damit womöglich sein Todesdatum eingetragen? Zu den Lebensdaten Rüxners, der nach 1526 nicht mehr sicher bezeugt ist, würde es passen.155 Aber diese Annahme scheint mir doch etwas sehr von Wunschdenken bestimmt.

Bislang nicht identifiziert wurde eine gute Überlieferung der Turnierreime in dem Wappenbuch des Heiligen Römischen Reiches des Nürnbergers Stephan Brechtel um 1554 bis 1568: BSB München Cod.icon. 390, S. 888-910.156 Der Text endet mit Vers 437, enthält also Rüxners Zusatz nicht.

Wiguleus Hund druckte die Turnierreime 1585 nach drei Vorlagen, einer im Besitz von Wolf Dieter von Maxlrain,157 einer nicht näher spezifizierten und einer von Georg Rüxner, die nach Hunds Angaben von den anderen stark abwich.158 Ob die gekürzte Fassung (Philadelphia, Rare Book and Manuscript Library der University of Pennsylvania, Ms. Codex 819, Bl. 170r-177r) von ca. 1601/12 eine Druckabschrift aus Hund sein könnte, bleibt zu prüfen.159 Gleiches gilt auch für die die Turnierchronik der Freiherren von Leublfing 1617 des Regensburger Chronisten Johann Sigmund Brechtel.160 Von ihr kenne ich drei Überlieferungen: München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Nothaft-Archiv Literalien Nr. 1073; London, British Library, Ms. Egerton 1931; Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, P 10 Bü 462.

Die Ehrenbrief-Handschrift Cgm 9220 enthält Hollands Turnierreime S. 31-53. Leider ist die Überlieferung in der Trenbach-Chronik Bl. 306v-311v unvollständig. Letzter Vers des Grundstocks ist Vers 241, der Reklamant "Noch" verweist auf die fehlende Fortsetzung. Unter Vers 241 stehen noch zwei Verse, die aber ebenso wie weitere vergessene Reimpaare offenbar aus Hunds Abdruck von späterer Hand nachgetragen wurden. Solange die Münchner Ehrenbrief-Handschrift nicht online ist, muss der aus ihr gefertigte Abdruck bei Raimund Duellius161 sie ersetzen. Ob der in dieser Handschrift stehende Zusatz aus Hund zu Rüxners Anhang ursprünglich auch in der Trenbach-Chronik stand, lässt sich nicht sagen. Da Bischof Urban von Trenbach mit Hund nachweislich in Verbindung stand, könnte das durchaus der Fall gewesen sein. Notwendig ist eine solche Annahme aber nicht, denn Hunds Text lag seit 1585 auch gedruckt vor.

Zählt man die Brechtel-Chronik als einen einzigen Textzeugen, so ist derzeit von sieben Handschriften und einem Druck (Hund) auszugehen. Noch zu überprüfen bleibt, was es mit UB Innsbruck Cod. 95, Bl. 131r-141r auf sich hat, einer um 1546 entstandenen, reich illuminierten Chronikhandschrift zur bayerischen Geschichte. Während der neue Katalog von Walter Neuhauser 1987 zurückhaltend formuliert, die Turnierreime seien vom "Typus her" mit Hollands Text vergleichbar, trennt das alte Inventar der illuminierten Handschriften (1905) ein kurzes Gedicht "Ehrenhold" von den Versen "Die alten Edlen Geschlecht aus Bayrn, so Thurniersgenos gewesen sind".162

Die Überlieferung der Turnierreime setzt also im Original in der Mitte des 16. Jahrhunderts ein. Hinreichend gesichert erscheint aber die Existenz einer Handschrift schon 1511 (Vorlage von Cgm 1317). Für die Entstehungszeit des Gedichts wäre somit, nachdem die Datierung von Püterichs Ehrenbrief 1462 als Terminus ante quem eliminiert wurde, der Zeitraum von 1437 bis 1511 gewonnen. Eine nähere Eingrenzung erscheint mir zu hypothetisch. So sehr ich Sympathie für die Ansicht Joachim Schneiders aufbringen möchte, dass Hollands Turnierreime bei der Formierung des bayerischen Turnieradels als abgegrenzte Gruppe des "höheren" Adels eine Rolle gespielt haben, so wenig überzeugend begründbar erscheint mir eine genaue Verortung in diesem langfristigen sozialen Prozess. Die sparsamen Angaben des Textes zu historischen Details sind nicht belastbar, es kann sich auch um Fiktionen handeln, angefangen bei der Autor-Figur Johann Holland, Herold aus Eggenfelden.

Trotzdem lässt sich der "Sitz im Leben" des literarischen Werks angeben: die für Abgrenzung wie Selbstvergewisserung bestimmte Definition des bayerischen Turnieradels, an der, wie die Überlieferung zeigt, bis ins 17. Jahrhundert in Bayern ein lebhaftes Interesse bestand. Es ist wohl kein Zufall, dass die Überlieferung erst um die Mitte des 16. Jahrhundert einsetzt. Damals interessierte man sich offenbar besonders für die "alten bayerischen Turnierer".163 Vor diesem Zeitpunkt kann man Hollands Turnierreimen soziale Relevanz nur hypothetisch zumessen. Dieser Überlieferungsbefund lässt das für die eine Datierung nicht nach 1462 sprechende Argument als nicht zwingend erscheinen, dass es für Püterich leichter gewesen sein muss, die Turnierreime in die Hand zu bekommen als für den Verfasser der Turnierreime Püterichs extrem seltenes Werk.164

Mit Blick auf die Rezeption meiner Skepsis im Schaffhauser Ausstellungskatalog 2014 möchte ich unterstreichen, dass eine Fälschung durch den Herold Georg Rüxner zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass es derzeit aber keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür gibt. Er müsste dann mit seiner kritischen Nachbemerkung nur so getan haben, als stamme der vorangehende Text von jemand anderem. Rüxner war aber in jedem Fall in die Textgeschichte der Turnierreime involviert.

Jakob Püterichs Ehrenbrief (1462)

Der 1469 gestorbene165 Jakob Püterich von Reichertshausen166 aus einer in den Landadel gewechselten Münchner Patrizierfamilie war, so Klaus Grubmüller, kein großer Dichter, aber eine "bedeutende Gestalt der deutschen Literaturgeschichte".167 Der an die in Rottenburg am Neckar residierende Pfalzgräfin Mechthild168 adressierte 'Ehrenbrief' Püterichs ist ein "unschätzbares Zeugnis für die Spannungen und Kontraste in Kultur und Gesellschaft des 15. Jahrhunderts, für die Rolle der Literatur bei der Selbstvergewisserung sozialer Gruppen, für die Geschichte des literarischen Geschmacks, für ein beginnendes literaturgeschichtliches Bewusstsein: für die Entstehung der Literaturgeschichte aus dem Geiste der gesellschaftlichen Konkurrenz".169. Diese rühmenden Worte Grubmüllers stehen in einem Heft der Patrimonia-Reihe der Kulturstiftung der Länder, das den Erwerb der vermeintlich unikalen Ehrenbrief-Handschrift für die Bayerische Staatsbibliothek und die Bayerische Landesstiftung (als Miteigentümerin des Cgm 9220 signierten Codex) im Jahr 1997 feiert und zugleich legitimiert. Der Kaufpreis ist wie in solchen Fällen üblich ein Arcanum, aber er dürfte sehr hoch gewesen sein. Man wird wohl an einen sechs- bis siebenstelligen Betrag zu denken haben.

Möglicherweise war der erworbene Sammelband aus Handschriften und Drucken zunächst im Besitz der Adelsfamilie Nothaft. Anfang des 18. Jahrhunderts befand er sich im Chorherrenstift St. Andrä an der Traisen. Raimund Duellius edierte den Ehrenbrief aus dieser Vorlage 1725 erstmals. Nach Aufhebung des Stifts St. Andrä 1783 gelangte der Band in das Chorherrenstift Herzogenburg. Signiert als Hs. 219 überstand er die Notzeit der Zwischenkriegszeit, als sich viele österreichischen geistlichen Institutionen gezwungen sahen, Kulturgüter in den Handel zu geben, und ist im Handschrifteninventar aus dem Jahr 1949 noch verzeichnet. Der übliche Ausfuhrstempel des Bundesdenkmalamts Wien ist nirgends zu entdecken, glaubt man den Beschreibungen.170 1964 oder früher muss das Stück ins Ausland verkauft worden sein, denn damals tauchte es im Zürcher Kunsthandel auf. Germanistische Interessenten wimmelten die Kanoniker mit der Angabe ab, die Handschrift sei nicht mehr "auffindbar".171 1965 wurde sie Handschrift XV 10 des Kunstsammlerehepaars Irene und Peter Ludwig (Aachen). Auf Kosten der Stadt Köln aufwändig katalogisiert, sollte der erlesene Handschriftenbestand der Ludwigs in Köln eine dauernde Bleibe finden, aber Köln und die Ludwigs überwarfen sich und der Band landete mit den anderen Handschriften im Getty-Museum in Malibu. Um anderes zu finanzieren, trennte sich das Museum 1997 aber von einem Teil der Ludwig-Bestände172 und übergab sie dem bekannten Handschriftenhändler Jörn Günther, der sie überwiegend an Privatsammler verkaufte. Nachdem die Staatsbibliothek Berlin generös der Bayerischen Staatsbibliothek den Vortritt ließ, konnte diese die Püterich-Zimelie ihrem Bestand einverleiben.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die nüchterne Feststellung, dass die (früher Wiener, heute St. Pöltener) Handschrift der Trenbach-Chronik von 1590 auf Bl. 281r-299v Jakob Püterichs Ehrenbrief überliefert, als kleine altgermanistische Sensation. Angesichts der prachtvollen Ausstattung der Chronik dürfte im Handel erheblich mehr als für die Münchner Handschrift zu erzielen sein.

Es muss erstaunen, dass diese Zweitüberlieferung so lange unbemerkt geblieben ist. Schon 1872 sprach der Abdruck aus der Trenbach-Chronik von einem "Erelied" Bl. 267-299, dem bis Bl. 299-311 das Leben des Herolds Johann Holland folge.173 Max Voigt, immerhin ein Handschriftenbeschreiber für das Handschriftenarchiv, übernahm diese falschen Angaben 1924.174 Auch Hans-Dieter Mück nannte 1984 das Erelied und wusste von dem Vollbild des Herolds Hollands Bl. 306r.175 Wem die Überlieferungsgemeinschaft von Ehrenbrief und Hollands Turnierreimen aus dem ehemals Herzogenburger Sammelband vertraut ist, dem hätte der Verdacht kommen müssen, dass das "Erelied" (kein Terminus der Quelle!) in Wirklichkeit der Ehrenbrief ist (ich vermutete das jedenfalls, schon bevor ich Reproduktionen einsehen konnte).

"Hienachvolgendt lied genant der ernbrief hat weilanndt Jacob Pütrich von Reichertzhausen gemacht, ze ehrn weilend frauen Machthilden hertzogin zu Österreich unnd geborne pfaltzgrävin, in des von Laber gemainem thon", lautet die Überschrift Bl. 281r. Es folgen genau wie in der Münchner Überlieferung176 die 148 Titurel-Strophen. Schon die Überschrift ist in dem St. Pöltener Textzeugen verständlicher: "ze ehrn weilend" gegenüber "zeweilln" im Cgm 9220.

Am Ende seines Abschnitts über das Turnierwesen teilt der Trenbach-Chronist etwas über die Provenienz seiner Vorlage mit: "Doch habe ich nit unnderlassen wellen, einen brief, der errnbrief genannt, so Jacob Pütrich, ein edlman, unnd teütsch poet, ime 1462 geschriben, unnd ich aus ainem gar alten puech, zu Sanndt Mörthen abgeschrieben, item auch aines alten heroldten gedicht in reimen verfasst, so mir D. Wolf Latius khay(serlicher) May(estat) historicus in Wien 1563 auß ainem alten pergameen büechlin abzuschreiben geben, in denen beyden der bayrisch adl, so tornierßgenoß, begriffen ist, hieherzusetzen" (Bl. 279r). Die Versdichtungen stammen also, glaubt man dem Chronisten, aus unterschiedlichen Quellen: Während der Ehrenbrief aus dem Trenbachschen Herrensitz St. Martin stammt, wurden die Turnierreime von Lazius vermittelt. In beiden Texten sind die Trenbach aufgeführt. Vermutlich deshalb hat der Chronist sie in sein Werk aufgenommen.

Nach eigenen Angaben hat also der Trenbach-Chronist die Kombination von Ehrenbrief und Turnierreimen hergestellt. Die beiden Porträts, die den Texten vorangestellt sind (Püterich und Holland) passen zum Ausstattungsprogramm der Chronik. Von daher erscheint es schlüssig, die Priorität der Konzeption der Trenbach-Chronik zuzubilligen und die Münchner Handschrift als davon abgeleitet anzusehen.

Ulrich Montag zufolge wurden die handschriftlichen Teile des Cgm 9220 aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert (als einziges datiertes Wasserzeichen nennt er eines von 1578) zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit den Drucken (Turnierbücher von Rüxner und Francolin 1578) vereinigt.177 Die Auszüge aus der Vorrede Hunds zu seinem Stammen-Buch S. 52-70 schließen es aus, dass dieser Handschriftenteil vor 1585 entstanden ist. Ob das noch nicht untersuchte Wappenbuch bayerischer und süddeutscher Geschlechter S. 71-106 versteckte Datierungsmöglichkeiten bietet, bleibt zu prüfen. Den Schriftcharakter der Münchner Handschrift schätze ich jünger als den der Trenbach-Chronik ein. Nichts spricht also dagegen, den Cgm 9220 nach der 1590 anzusetzenden Handschrift in St. Pölten zu datieren.

Ich habe stichprobenhaft den Wortlaut des Ehrenbriefs verglichen und sehe in der St. Pöltener Handschrift eindeutig den besseren Textzeugen.178 Vorerst wird man davon ausgehen dürfen, dass die St. Pöltener Handschrift der Münchner als Vorlage für Ehrenbrief und Turnierreime gedient hat. Eine bloße Kopie war der Cgm 9220 aber nicht, denn er weist einige durchaus anspruchsvolle Änderungen auf. Bereits erwähnt wurde eine Abweichung beim Porträt des Herolds Holland. Das Vollbild Püterichs ist in München ästhetisch erheblich ansprechender als in der Trenbach-Chronik. Die Münchner Handschrift hat im Ehrenbrief zudem die Verse abgesetzt und farbige Wappendarstellungen beigegeben.

Angesichts der notorischen Verständnisprobleme, die Püterichs Verse bereiten, wäre eine Neuedition des Ehrenbriefs (mit Übersetzung!) aufgrund der Trenbach-Chronik lohnend. Ob sich allerdings abgesehen von punktuellen Verbesserungen ein entscheidender Fortschritt ergibt, möchte ich bezweifeln.179 Die bisherigen Fehlleistungen der germanistischen Forschung bei der Identifizierung der von Püterich genannten Personen180 lassen wenig Hoffnung aufkommen, dass von germanistischer Seite auf Anhieb eine einigermaßen zuverlässige Recherche, die auf Archivstudien sicher nicht wird verzichten können, gelingen könnte. Angesichts der Prominenz des Werks ist zu befürchten, dass statt einer für die Allgemeinheit offenen Wiki-Edition als "work in progress" nur eine - heutzutage aus meiner Sicht absolut obsolete181 - gedruckte Edition in einer der renommierten Editionsreihen erscheinen wird, die zwar philologisch korrekt sein dürfte, aber hinsichtlich des historischen Kommentars mangelhaft. Ein solches Vorhaben bedarf zwingend der Zusammenarbeit von Germanisten und Historikern.

Man darf wohl sagen: Die Adelsfamilie von Trenbach hat Püterichs Ehrenbrief für die deutsche Literaturgeschichte "gerettet", durch die Aufbewahrung in Trennbach-Herrensitzen und später (oder vielleicht auch von Anfang an) in St. Martin, wo der Trenbach-Chronist im 16. Jahrhundert eine Handschrift vorfand und den Text seinem Adels-Herkommen einverleibte. Andere Überlieferungsstränge sind nicht ersichtlich. Bis zum Druck durch Duellius 1725 gibt es anscheinend keinerlei Rezeptionszeugnisse des Ehrenbriefs.182

Natürlich kann man nur spekulieren, wieso der Trenbach-Chronist die alten Verstexte so geschätzt hat, dass er sie zur Gänze in sein Werk aufgenommen hat. Zu dem auf dem Titelblatt der Chronik genannten Johann Auer als Verfasser, der ja in Wien und Padua studiert hat, würden nicht nur die italienischen Bezüge in der Chronik, sondern auch der in Wien leicht mögliche Kontakt zu Wolfgang Lazius passen. Von Lazius, der einige Strophen des sonst damals so gut wie vergessenen Nibelungenliedes abdruckte,183 könnte er das Interesse an älterer deutscher Poesie gelernt haben.

Der Fundort St. Martin ist deshalb so faszinierend (daher scheue ich mich, die Angabe des Trenbach-Chronisten leichthin zur Fiktion und Codexphantasie zu erklären), weil in diesem Herrensitz eine der bestdokumentierten niederadeligen Bibliotheken des 15. Jahrhunderts184 zu vermuten ist: die von der Germanistik wiederholt185 besprochene Büchersammlung von Ortolf dem Älteren (gestorben 1475) und Ortolf dem Jüngeren von Trenbach (gestorben 1502). Auch wenn der Buchbestand der Trenbacher sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch nicht dauerhaft in St. Martin186 befunden haben mag, dürfte er später dort zusammengeflossen sein. Es handelt sich um zehn deutschsprachige Handschriften (in Alba Julia, München, Prag und Wien, davon fünf bereits online)187 und eine deutschsprachige Inkunabel (1488) in Wien.188 Hinzu kommt eine von mir nach Paul Needhams "IPI" nachgewiesene Inkunabel in Washington. Der deutschsprachige Augsburger Barlaam-Druck (um 1476)189 in der Rosenwald-Collection der Library of Congress Nr. 63190 kann nur Ortolf dem Jüngeren gehört haben, auch wenn man dessen Devise "nichts on ursach" vermisst. Angesichts eines so raren Bestandes ist die Versuchung groß, den Inhalten der Bücher möglichst viel über ihre "Gebrauchsfunktion" zu entnehmen. Schon die Studie von Bernd Weitemeier (2006), die sehr ausführlich die Trenbach-Bibliothek erörtert hat,191 ist, wie ich meine, der Gefahr der Überinterpretation der literarischen Interessen der Familie nicht ganz entgangen. Das Unbehagen verstärkt sich aber noch bei der Lektüre der Münchner Dissertation von Andreas Erhard (2009),192 die sich auf die Münchner Codices konzentriert. Über viele Seiten wird etwa "Der ideale geistlich-höfische Ritter Lohengrin als Leitfigur für den bayerischen Ritter Ortolf von Trenbach" traktiert, ohne dass es über die Tatsache hinaus, dass Ortolf (der Jüngere) die Handschrift 1461 schreiben ließ, konkrete Anhaltspunkte für die Gebrauchssituation gibt.

Vom Lohengrin existieren heute nur noch drei vollständige Handschriften (zwei davon in Heidelberg). Püterich rechnet ihn zu den Werken des von ihm verehrten Wolfram von Eschenbach (Ehrenbrief Str. 101). Der Lohengrin wurde von Ulrich Fuetrer193 in seinem 'Buch der Abenteuer', das für Herzog Albrecht IV. bestimmt war, verarbeitet, möglicherweise nach einer Handschrift Püterichs. Dass Ortolf von Trenbach Zugriff auf diesen seltenen Text hatte, legt den Schluss nahe, dass er (oder vielleicht auch sein Vater) mit Püterich in engerem Kontakt stand.194 Wenn die beiden Ortolfe Beziehungen zu Püterich und dem literaturaffinen Zirkel am Münchner Hof pflegten, würde dies gut den Umstand erklären, dass die Ehrenbrief-Handschrift ausgerechnet im Trenbach-Schloss St. Martin aufgefunden wurde.

Stefan Lußnitzer: Aufzeichnung zur Schlacht von Giengen 1462

Zwischen dem Ehrenbrief und Hollands Turnierreimen steht Bl. 301r-305v eine Aufzeichnung zur Schlacht von Giengen 1462, die man aufgrund ihrer Zeitstellung vielleicht als Mitüberlieferung des 1462 datierten Ehrenbriefs195 in der Vorlage des Trenbach-Chronisten aus St. Martin betrachten darf. Da Bl. 303r auch Thomas und Ortolf "Trenbekh" im Aufgebot genannt werden, könnte diese Quelle aber auch aus anderem Zusammenhang in das kleine Quellen-Dossier am Schluss der Chronik gelangt sein. Tertium comparationis, das die Aufzeichnung mit den beiden Listen des turnierfähigen Adels verbindet, ist die kriegerische Tüchtigkeit, haben die Trenbacher doch zu dem großartigen Sieg Herzog Ludwigs des Reichen beigetragen. Der Sieg des Bayernherzogs über Markgraf Albrecht Achilles in der Schlacht bei Giengen am 19. Juli 1462 im Rahmen des damaligen "Reichskriegs" wurde auf bayerischer Seite bejubelt, die Unterlegenen wurden geschmäht.196

Auf einen kurzen erzählenden Text, der den Sieg des Bayern-Herzogs mit Hilfe der Jungfrau Maria preist und an dessen Ende (Bl. 301v) sich der Küchenmeister des Herzogs "Steffan Lußnitzer" als Verfasser und Schlachtteilnehmer nennt, folgt die "geschicht" in Form einer detaillierten Schlachtaufstellung in Listenform mit Nennung der jeweiligen Anführer. Den Schluss bilden Angaben zum raisigen Zeug und zum Fußvolk. Ob dieser Text noch anderweitig, etwa in bayerischen archivalischen Quellen überliefert ist, vermag ich nicht zu sagen. Zumindest die mir zugängliche Literatur erwähnt ihn nirgends.197 Natürlich kann er mit den beiden Verstexten (Turnierreime, Ehrenbrief) nicht konkurrieren, aber als frühe historiographische Prosa-Aufzeichnung des Teilnehmers einer Schlacht verdient das Stück durchaus Beachtung. Es kann dem ganz kurzen deutschen Bericht des ebenfalls auf bayerischer Seite bei Giengen mitkämpfenden Hans Magensreitter (er wurde vor der Schlacht zum Ritter geschlagen) zur Seite gestellt werden.198

Literarische Inszenierung, Fiktion, Fälschung, Phantasie - und die Lebenswelt

Püterichs Ehrenbrief ist ein kunstvolles Gespräch mit Erzherzogin Mechthild, eine höfische Konversation, in der sich der bayerische Adelige selbstironisch gibt und sich über seine Vorlieben für die alten Bücher (die mittelhochdeutsche Klassik) lustig macht. Neben dem Preis Mechthilds bietet er einen langen Katalog der turnierfähigen bayerischen Geschlechter (seine eigene Familie gehörte nicht dazu, aber Püterich durfte gelegentlich an Turnieren teilnehmen) und Mitteilungen über Püterichs eigene Bibliothek (nicht weniger als 164 Bände!) sowie über das, was er anhand eines Verzeichnisses zur Bibliothek der verehrten Fürstin erfahren hatte. Diese besaß mindestens 94 Bücher, von denen er etliche nicht kannte. Während in Mechthilds Bibliothek auch zeitgenössische Literatur vorhanden war, bekannte Püterich, er schätze nur die alten Bücher, nicht die neuen ("doch nur die allten püecher, der neüen acht ich nit zu khainen stunnden", Str. 123, Bl. 296r). Eine Münchner Hofclique führte ihn nach seinen Worten mit Hinweisen auf ein (nicht existierendes) gar altes Buch in die Irre, dem Püterich dann vergeblich nachjagte.

Seit Christelrose Rischers Studien 1973199 sieht man Püterichs Ehrenbrief vor allem als "literarische Inszenierung". Püterich spielt eine artifiziell ausgestaltete Rolle: als Minne-Narr wie als bibliomaner Fan ritterlicher Altertümer. Er pilgert zum Grab seines großen Vorbilds Wolfram nach Wolframseschenbach und sucht bei Lüttich auch das Grab des berühmten Reisenden Johann von Mandeville auf. Sogar die sorgsam gebauten Strophen unterbricht er, um die Grabinschrift Mandevilles auf Latein und Deutsch wiederzugeben (nach Str. 133). Man ordnet Püterich oft einer sogenannten "Ritterrenaissance" zu,200 aber dann muss man sich klarmachen, dass das keine naive oder weltfremd romantische Haltung war.201 Retrospektive Suche nach Altertümern begann damals ausgesprochen modern zu werden.202 Ohnehin war das Rittertum seit dem 13. Jahrhundert "geprägt durch die ständige Verschränkung von Kontinuität und Revitalisierung".203 Dies gilt auch für das Turnierwesen, das Püterich so am Herzen lag, dass er sein gebildetes Gespräch mit Mechthild mit einem vergleichsweise öden Katalog von bayerischen Adelsfamilien unterbrach.

Nichts deutet in der reichen archivalischen Überlieferung zu Püterich204 darauf hin, dass er als skurriler Sonderling wahrgenommen wurde. Er war einer der vertrautesten Räte seines Landesherrn und führte als vielbeschäftigter "Politiker" ein aktives Leben. Sein hartnäckiges juristisches Vorgehen gegen die Stadt Würzburg (eine "große Sache" für die Würzburger, die einmal deshalb sogar eine Bürgerversammlung einberufen mussten) wirkt ausgesprochen "modern".205

Welchen Stellenwert besaß die schöne Literatur206 in der Adelskultur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit? Vor allem für den hohen Adel hat Karl-Heinz Spieß 1998 seine Skepsis formuliert: Angesichts der großen Anziehungskraft von Jagden, Turnieren und Festen sei die Beschäftigung mit Literatur nur eine von vielen Ausdrucksformen höfischen Daseins gewesen.207 Was den vermeintlichen "Musenhof" der Erzherzogin Mechthild betrifft, so hat insbesondere der Inszenierungscharakter von Püterichs Ehrenbrief Christine Wand-Wittkowski Argumente geliefert, die Annahme eines literarischen Zirkels der Fürstin als "Irrtum der Mediävistik" zu denunzieren. Gewisse Übertreibungen der Forschung zu kritisieren ist hilfreich und sinnvoll. Sie schüttet aber das Kind mit dem Bade aus208 und hat noch nicht einmal alle relevanten Quellen berücksichtigt. 1991 hatte Felix Heinzer auf ein wichtiges Zeugnis aufmerksam gemacht, das leider nur in Zusammenfassung durch Martin Crusius erhalten ist: ein 1468 entstandenes deutschsprachiges Reimpaargedicht 'Pfauenherz' ("Pfowenhertz") eines Autors, der sich als Sohn des Dichters Hermann von Sachsenheim209 zu erkennen gibt (möglicherweise der Hirsauer Mönch Michael von Sachsenheim). Es rühmt die Tugenden Erzherzogin Mechthilds.210 Anscheinend hat die literaturwissenschaftliche Forschung keine Notiz von diesem Hinweis genommen.

Dieser Quellenfund tritt zu den anderen bemerkenswerten Zeugnissen für die besondere "Attraktivität" Mechthilds hinzu, die man natürlich immer auch so interpretieren kann, dass Mechthild bloße Projektionsfläche für die sie anbalzenden, teilweise schon etwas betagten Literaten war. Soweit man auf literarische Quellen angewiesen ist, ist es methodisch inzwischen ein Kinderspiel, alle historischen Referenzen durch Hinweis auf poetische Rollen-Spiele und Inszenierungen wegbrechen zu lassen. Hilfreich kann ein Blick in die Forschung zu Oswald von Wolkenstein sein. Die Frage nach "Oswalds Spiel mit der Literarisierung und Selbstinszenierung" ist ein ständiges Thema bei der aktuellen Auseinandersetzung mit seinem Werk.211 Vernünftig erscheint die Position von Manuel Braun: "Es kann heute [...] nicht mehr darum gehen, biographische Aussagen, die man in den Liedern findet oder zu finden glaubt, einfach neben die Realität zu halten und sie dann entweder zu bestätigen und oder zu korrigieren. Es reicht aber auch nicht, gegen ein solches Vorgehen die Kunstfertigkeit der Texte auszuspielen. [...] Vielmehr kommt es darauf an, möglichst genau zu beschreiben, wie die biographischen Elemente in den Liedern eigentlich funktionieren und diese so als Lebenskunst lesbar zu machen".212

Einige Beispiele mögen zeigen, wie wenig das verstreute und ästhetisch eher anspruchslose Quellenmaterial zu adligen Autoren jenseits der bekannten Namen des 15. Jahrhunderts (Oswald von Wolkenstein, Hermann von Sachsenheim) geeignet ist, sichere Schlüsse zu ermöglichen. Der Reichserbkämmerer Konrad von Weinsberg, einer der wichtigsten Politiker in der Zeit König Sigismunds,213 schrieb eigenhändig zwei geistliche Reimpaargedichte nieder, eine Anrufung des Blutes Christi (1441), nach Frieder Schanze "wahrscheinlich von ihm selbst gedichtet",214 und eine Version eines weit verbreiteten Glossengedichts über das Ave Maria. Dagegen ist der ihm in den Mund gelegte Zweizeiler in der Spruchsammlung des Augsburger Schreibers Konrad Bollstatter215 ganz sicher nicht sein literarisches Eigentum, sondern stammt aus dem Freidank-Korpus.216

Von Johannes Werner von Zimmern (gestorben 1496) überliefert die Zimmerische Chronik ein schwankhaftes Märe 'Der enttäuschte Liebhaber'. Obwohl die Chronik "mehrfach zu Unrecht Mitglieder des Hauses Zimmern als Verfasser sonst anonym überlieferter Gedichte nennt" (also eine Parallele zur Greisenklage!), sah Frieder Schanze keinen Anlass, an der Autorschaft des nachgewiesenermaßen literarisch interessierten Adeligen zu zweifeln.217 Er spricht von "privaten und gesellschaftlichen Liebhabereien eines Dilettanten"218, was die Frage aufwirft, was im Spätmittelalter der Begriff Dilettantismus meint.219 Die Zimmerische Chronik erwähnt auch einen Reimbriefwechsel mit dem befreundeten Adeligen Balthasar von Bühl und gibt einen Wappenspruch Balthasars auf Johannes Werner wieder.220 Die auf einer Adelsversammlung in Nürtingen zusammengekommenen Adeligen sandten Johannes Werner von Zimmern einen langen gereimten Brief, in dem sie sich über sein Ausbleiben beklagen, "wie der zeit ain geselligelicher geprauch gewest".221 Es ist ohne weiteres denkbar, dass Froben Christoph von Zimmern auch diese Zeugnisse für aristokratische Literatur-Produktion erfunden hat. Selbst wer meinem Vorschlag einer Beweislastumkehr bei der Chronik der Grafen von Zimmern ablehnt, sollte wenigstens ein Fragezeichen hinsichtlich der Authentizität der wiedergegebenen adeligen Reimereien akzeptieren.

"Lieder Heinrichs Grafen von Wirtenberg" edierten 1849 Wilhelm Holland und Adelbert von Keller222 in einer Geburtstagsgabe für Joseph von Lassberg aus dem um 1470 entstandenen sogenannten 'Königsteiner Liederbuch' (Berlin, SB, Mgq 719). Paul Sappler, der Editor des stammbuchartigen Liederbuchs, hat aber erhebliche Zweifel geäußert an der Autorschaft des 1519 gestorbenen "verrückten" Grafen, der ab 1492 auf Hohenurach gefangengehalten wurde.223) Es ließe sich wohl nicht entscheiden, ob die Nachschriften zu drei Liedern, die Heinrich nennen, auf seine Verfasserschaft hinweisen "oder ob sie lediglich bezeugen, daß er solche Lieder gesammelt, möglicherweise auch einmal als Liebesgruß verwendet hat".224 Heinrich von Württemberg war aber ein durchaus gebildeter Mann, dessen literarische Interessen vor allem durch Bücher aus seinem Besitz belegbar sind.225

Richtig ist: Man sollte die literarischen Aktivitäten der Adeligen nicht überschätzen. Auch wenn man bescheidenes Versemachen mitzählt, hat sich vermutlich nur ein kleiner Kreis von Adeligen damit abgegeben. In den in großem Umfang erhaltenen Korrespondenzen der Adligen konnte man bislang so gut wie keine Hinweise auf Poetisches und ganz selten Hinweise auf Bücher entdecken. Fragen der Jagd und die Sorge um die Pferde hat Hoch- wie Niederadelige allemal mehr interessiert. Andreas Erhard hat in dem von ihm untersuchten deutschsprachigen bayerischen Handschriftenbestand der Bayerischen Staatsbibliothek aus dem 15. Jahrhundert gerade einmal zwei Werke der fiktionalen Literatur angetroffen: den Trenbachschen Lohengrin und eine Handschrift des 'Friedrich von Schwaben' von Hans III. von Herzheim (Cgm 5237).226 Freilich muss man mit dramatischen Überlieferungsverlusten rechnen: Von Püterichs so großer und erlesener Bibliothek sind gerade einmal zwei Handschriften einer Predigtsammlung als fromme Schenkung an das Münchner Püterich-Regelhaus erhalten geblieben (Cg, 305 und 306).227

Bei einer Untersuchung, die ich zu Rufnamen literarischer Provenienz, also solchen, die aus dem höfischen Epos stammen,228 vorbereite, konnte ich feststellen, dass es nur sehr wenige Belege gibt, bei denen man methodisch die früher allzu fahrlässig gehandhabte Annahme literarischer Einflüsse229 nachvollziehen kann. Am überzeugendsten ist der Quellenbefund in Bezug auf den bayerischen Adel in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Jakob Püterich nannte einen Sohn Gamuret und eine Tochter Orgeluse (den gleichen Vorname gab Bernhardin Stauff zu Ehrenfels seiner Tochter, bekannt als Argula von Grumbach230).231 "Schynatulander hab ich Hans Herzhamer auch des namens ain brueder gehabt", schrieb Hans von Herzheim in die erwähnte Handschrift des 'Friedrich von Schwaben'.232 Solche Belege dafür, wie bayerische Adelige die Literatur bewusst in ihre Lebenswelt einbezogen haben, sollte man nicht einfach beiseite schieben.

Bei der Beurteilung der Relevanz der schönen Literatur für die adlige Lebenswelt - stets in Gefahr, über-, aber auch unterschätzt zu werden - kommt es offenbar auf Differenzierungen an: nach Zeitraum, nach ständischer bzw. sozialer Zugehörigkeit und nach Adelslandschaften. Für literarische Kennerschaft, wie sie am ausgeprägtesten Püterichs Ehrenbrief dokumentiert, sind die Zeugnisse in Oberdeutschland in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts am dichtesten. Für Schwaben genügt der Hinweis auf den Hof Mechthilds, Hermann von Sachsenheim und die Herren von Zimmern. In Tirol trug Anton von Annenberg (gestorben 1483/84) auf seinem Schloss Dornsberg im Vinschgau eine Bibliothek mit über 250 Handschriften und Drucken zusammen.233 In diese Zeit gehören auch Zeugnisse, die sich katalogartig vor allem mit der höfischen Artus-Literatur beschäftigen. Der von Ladislaus Sunthaim überlieferte 'Spruch von den Tafelrundern' könnte in den Umkreis des Münchner Hofs gehören.234 Um 1470 wurde eine Namenliste im Wiener Cod. 3406 notiert, die man als Notizen aus Püterichs Bibliothek ansah oder als Vorlage für das Schlussgedicht von Fuetrers 'Lannzilet'.235 Ähnlichkeiten dieser Zeugnisse bestehen auch mit dem Namenskatalog des wohl im niederschwäbischen Raum zwischen 1314 und 1463 entstandenen 'Friedrich von Schwaben' (den Hans von Herzheim besaß). Man darf diesen Minne- und Aventiure-Roman mit Paul Sappler vielleicht in das 15. Jahrhundert rücken, "in Kreise kundig zurückschauender Literaturliebhaber wie Püterich von Reichertshausen".236

Im deutschen Nordwesten verfügte die Blankenheimer Schlossbibliothek über einen singulären Schatz an Werken der höfischen Epik des 13. Jahrhunderts, doch dürfte der Bestandsaufbau erst ab 1471 unter Kuno von Manderscheid-Blankenheim (1444-1489) erfolgt sein.237 Hartmut Beckers vermutet, dass die literarischen Interessen von Wirich von Daun zu Oberstein (gestorben 1501)238 geweckt worden sind,239 den Püterich als ausgezeichneten Kenner der älteren Literatur rühmt (Ehrenbrief Str. 76). Solche Beziehungen lassen an ein literaturaffines adeliges Netzwerk in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts denken, das aber nur einen vergleichsweise kleinen Personenkreis umfasst haben dürfte.

Die hier besprochene Trenbach-Chronik führt in den von ihr überlieferten Verstexten ganz unterschiedlich gestaltete literarische Inszenierungen zusammen. Das artifizielle Kunstwerk des Ehrenbriefs steht neben der Reimerei des Herolds Holland, wobei es sich bei diesem Autor auch um ein Pseudonym handeln könnte. Womöglich ist erst viel später, als der Text mit seiner Situierung in der Zeit Sigismunds vorgibt, jemand in die Heroldsrolle geschlüpft, um mit der Autorität dieses Amtes den Kreis der bayerischen Turnier-Geschlechter zu definieren. Bei der Greisenklage und der Minnerede in der Lohengrin-Handschrift beschränkt sich die Inszenierung darauf, den Text einem Familienmitglied in den Mund zu legen. Die angeblichen Burghausener Abschiedsverse des Hans von Trenbach stehen im Kontext der Stilisierung240 seines vorbildlichen Lebens. Die Verse sind ebenso wie die Greisenklage in die Chronik des Wenzel Gruber integriert, die ich ja für eine Quellenfiktion halte. Diese Inszenierungen wären dann dem 16. Jahrhundert zuzurechnen, könnten aber natürlich ältere Vorläufer haben. Als erbauliche, in das Adels-Herkommen integrierte Exempla werte ich auch den Bericht über den Tod des Christoph von Trenbach und die Einbindung der Tradition der Seelen-Schmiede.

Welche anderen Exempla, rhetorischen Stilmittel und narrativen Techniken der Trenbach-Chronist verwendet, müsste genauer untersucht werden. Die integrierten Verstexte verweisen auf einen besonderen Geltungsanspruch der gebundenen Rede. Solche Texte, auch bescheidene Reimereien, wurden lange vernachlässigt, verdienen jedoch mehr Aufmerksamkeit. Sie müssten aus Adelschroniken oder auch dem adeligen Geschäftsschriftgut zusammengetragen und vergleichend analysiert werden, um das vielgestaltige Thema "Adelskultur und Literatur" weiter auszuleuchten. Dabei darf man auch die neulateinischen Verse, die sich ja auch in der Trenbach-Chronik finden, ohne dass ich mich näher darauf eingelassen hätte, nicht übergehen. Das anzunehmende "Teamwork" der Trenbach-Familienforschung im 16. Jahrhundert verweist darauf, dass Adelige bei literarischen Aktivitäten immer auch Helfer und Berater hatten. Auch hier besteht die Gefahr, den persönlichen Anteil der adeligen Männer (und Frauen!) entweder zu gering oder zu hoch zu veranschlagen.

Historiker und Literaturwissenschaftler sollten stärker interdisziplinär zusammenarbeiten, nicht nur wenn es um Texte aus dem Bereich der Adelskultur geht. Viele Adelshistoriker vernachlässigen die kulturellen Aspekte oder finden keinen rechten Zugang dazu, während Philologen die Ergebnisse der regional- und landesgeschichtlichen Forschung nicht zur Kenntnis nehmen: "Regionalia non leguntur" (Franz Staab).241

Wer sich mit Stilisierungen, Inszenierungen, Fiktionen und Fälschungen in Adelschroniken befasst, wird nicht übersehen können, dass diese in jedem Fall Ehre und Ruhm der Familie demonstrieren sollten, also im Dienst ihrer Legitimation standen. Durch konkrete Exempla tugendhaften und ritterlichen Verhaltens im Herkommen konnte die allgemein anerkannte Forderung, den Adel durch Tugend zu bewähren,242 narrativ aufgenommen werden. Nochmals Gerhard Wolf: "Herrschaftslegitimation durch Traditionsfiktion". Der Begriff der Legitimation ist in manchen kunst- und literaturgeschichtlichen Zusammenhängen fast schon zur Leerformel geronnen, ein vorschnell appliziertes Etikett, das weitere Bemühungen erspart. Gern wird der tiefere Grund, der das jeweilige historiographische Werk veranlasst hat ("Causa scribendi"243), in Krisensituationen oder politischen Konstellationen gesucht. Aber greift das nicht zu kurz?244

Zu problematisieren ist der Begriff der Fälschung. Schon Beat Rudolf Jenny sprach klar aus, dass "sich praktisch keine scharfe Trennungslinie zwischen absichtlicher, sozusagen deliktischer Fälschung einerseits und Geschichtsergänzung bona fide andererseits ziehen läßt".245 An anderer Stelle formuliert er angesichts einer eindeutigen Quellenmanipulation des Zimmern-Chronisten: "Quellenverbesserung ad maiorem familiae gloriam!".246 Es ist sinnvoll und lehrreich, Fälschungen zu entdecken und zu diskutieren. Aber der Begriff der Fälschung reduziert ein Dokument auf das Urteil, das aus der Prüfung seiner Authentizität resultiert. Es gilt aber der Kreativität, der fiktionalen Inszenierung von Wirklichkeit und den "unterhaltsamen" Aspekten in historiographischen und literarischen Fälschungen Rechnung zu tragen. Mir erscheint der - keinesfalls abwertend gemeinte - Begriff "Phantasie" geeignet, das literarische Spiel, das sich mit solchen Fiktionen verbindet, zu bezeichnen.247 Betont wird so die schöpferische Imaginationskraft, die Werke nie ganz in ihren sozialen oder politischen Zwecken aufgehen lässt. Man schaut genauer hin, wenn man auf diesen kreativen Bedeutungs-Überschuss - in der Romantik hätte man vielleicht von "Poesie" gesprochen - achtet und sich die "Herkommens-Phantasien" immer wieder von neuem vornimmt.

Es ging mir hier primär um die Bekanntmachung neuen Materials (getreu einem Motto Hermann Heimpels: "Die Überlieferung ist selbst Geschichte"248), ausgehend von der vorläufigen Auswertung der Trenbach-Chronik und der in ihr enthaltenen volkssprachlichen Dichtung; eine Einordnung in Forschungszusammenhänge war nur ansatzweise zu leisten. Es kann daher nichts schaden, wenn die Literaturwissenschaft mit dem ihr eigenen Analyse-Instrumentarium meine Ansichten kräftig gegen den Strich bürstet. Historikerinnen und Historiker mögen sich endlich gründlich der Geschichte der Familie Trenbach annehmen, was die Voraussetzung für die angemessene Beurteilung der Trenbach-Chronik als Geschichtsquelle wäre. In jedem Fall ist sie, soviel dürfte deutlich geworden sein, eine der spannendsten frühneuzeitlichen Adelschroniken, und mit der großartigen Online-Bereitstellung des Handschriftendigitalisats durch das Niederösterreichische Landesarchiv sind die besten Voraussetzungen gegeben, die Chronik "des allten, edln unnd rittermessigen geschlechts der Trenbeckhen von Trenbach" endlich aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken.

Zusammenfassung

Die nun auch online zugängliche sogenannte Trenbach-Chronik im Niederösterreichischen Landesarchiv St. Pölten (Signatur: HS StA 0327) ist eine prachtvoll illuminierte Handschrift von 1590, die einzige bekannte Überlieferung der im wesentlichen im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts zusammengetragenen Familienchronik der bayerischen Adelsfamilie von Trenbach/Trenpeck. Sie war Teil eines genealogisch-historischen "Forschungsprojekts" des sehr auf humanistische Gelehrsamkeit Wert legenden Passauer Bischofs Urban von Trenbach (Amtszeit 1561-†1598), eines aufwändiges Unternehmens, zu dem auch die bemerkenswerte genealogische Inschriftenreihe von 1572 in der Passauer Trenbach-Kapelle zu zählen ist (auch handschriftlich verbreitet). Sicher haben Gelehrte aus seinem Umkreis (Johann Auer aus Kremsmünster und andere) den Bischof dabei unterstützt. Mindestens bis ins 13. Jahrhundert sind die genannten Familienmitglieder wohl alle unhistorisch. Anachronismen lassen den Schluss zu, dass die angeblich 1468/86 entstandene Chronik eines Scheyerner Benediktinermönchs Wenzel Gruber (nach Angaben der Trenbach-Chronik deren Hauptquelle) als Quellenfiktion gelten darf, also eine Fälschung darstellt. Von ihr wurden die Vorrede in der Trenbach-Chronik und die Passage über Hans von Trenbach (†1468) in Bd. 3 des Bayerischen Stammen-Buchs des Wiguleus Hund wiedergegeben. Die Chronikhandschrift überliefert mehrere literarische Verstexte in deutscher Sprache: Abschiedsverse des Hans von Trenbach (Inschrift in der Elisabethkapelle der Burg Burghausen), die dem gleichen Trenbacher in den Mund gelegte 'Greisenklage', Johann Hollands 'Turnierreime' und eine zweite handschriftliche Überlieferung von Jakob Püterichs 'Ehrenbrief' (1462).

Von der nicht nach dem vierten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts und sicher nicht von Hans von Trenbach verfassten 'Greisenklage' sind derzeit 17 Textzeugen, 16 Handschriften und ein Einblattdruck bekannt (neu nachgewiesen wurde München, BSB, Clm 7746). Für die Entstehung der angeblich von einem Herold Johann Holland stammenden 'Turnierreime' wurde ein Zeitrahmen von 1437 bis 1511 vorgeschlagen. Es gibt mindestens sieben Handschriften (neu: München, BSB, Cod. icon. 390) - die Überlieferung setzt erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts ein - und einen Druck (bei Wiguleus Hund). Die anspruchslosen Verse können sich nicht auf das Turnier von Schaffhausen 1392 beziehen, da dieses vom Herold Georg Rüxner, der an der Textgeschichte der Turnierreime beteiligt war, erfunden wurde. Das Reimpaargedicht sollte der sozialen Abgrenzung und Selbstvergewisserung des bayerischen Turnieradels dienen.

Besonders bemerkenswert ist aber die Überlieferung des für das literarische Leben des 15. Jahrhunderts so bedeutenden 'Ehrenbriefs' von Jakob Püterich von Reichertshausen, da bisher nur eine einzige Handschrift bekannt war, 1997 für die Bayerische Staatsbibliothek teuer erworben (Cgm 9220). Nach Angaben der Chronik wurde der 'Ehrenbrief' im Herrensitz St. Martin der Trenbacher aufgefunden, was auf die bekannten literarischen Interessen (ablesbar an ihrem Buchbesitz) von Ortolf dem Älteren und dem Jüngeren von Trenbach verweist. Die neue Handschrift war wohl die Vorlage der Münchner Handschrift und sollte einer wünschenswerten Neuausgabe des 'Ehrenbriefs' zugrunde gelegt werden. Zwischen Ehrenbrief und Turnierreimen steht eine - anscheinend unbekannte - kurze deutschsprachige Prosa-Aufzeichnung zur Schlacht von Giengen 1462 aus der Feder des bayerischen Küchenmeisters Stefan Lußnitzer.

Die Trenbach-Chronik und die von ihr überlieferten Texte enthalten in unterschiedlicher Weise literarische Stilisierungen und Inszenierungen. Die dadurch aufgeworfene Frage nach der Rolle der Literatur in der Adelskultur, die weder über- noch unterschätzt werden darf, muss differenziert beantwortet werden. Besonders dicht sind die Zeugnisse in Oberdeutschland in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Püterichs Ehrenbrief und weitere Zeugnisse lassen auf ein vergleichsweise kleines Netzwerk literaturbegeisterter Adeliger schließen. Mehr Aufmerksamkeit als bisher verdienen nicht nur deutsche und lateinische Verstexte von Adeligen und aus ihrem Umkreis, sondern auch die Fiktionen in den aristokratischen "Herkommens-Phantasien". Der Begriff Phantasie empfiehlt sich für die kreativen, spielerischen und literarischen Aspekte historiographischer Fiktionen und literarischer Fälschungen.

Zitiervorschlag: Klaus Graf: Fiktion und Geschichte: Die angebliche Chronik Wenzel Grubers, Greisenklage, Johann Hollands Turnierreime und eine Zweitüberlieferung von Jakob Püterichs Ehrenbrief in der Trenbach-Chronik (1590). In: Frühneuzeit-Blog der RWTH vom 10. Februar 2015 http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1847

  1. Martin Wrede: Ohne Furcht und Tadel - Für König und Vaterland (2012), S. 126.
  2. Beat Rudolf Jenny: Graf Froben Christoph von Zimmern (1959), S. 26.
  3. Zu meiner Verwendung des Begriffs zusammenfassend: Klaus Graf: Ursprung und Herkommen. In: Geschichtsbilder und Gründungsmythen (2001), S. 23-36 (online).
  4. Von den Beiträgen in: Mäzene, Sammler, Chronisten. Die Grafen von Zimmern und die Kultur des schwäbischen Adels (2012) führt vor allem der von Clemens Joos die Forschung zu den Adelschroniken des 16. Jahrhunderts weiter. Dass sich auch schon Wilhelm Werner von Zimmern an den Fälschungen zur höheren Ehre der Familiengeschichte beteiligte, lege ich unter Berufung auf Befunde von Rolf Götz dar in meiner Rezension in Archivalia vom 15. September 2014. Chroniktext nach Barack in Wikisource.
  5. Gerhard Wolf in: Mäzene S. 138, 131.
  6. Klaus Graf: Adel als Leitbild - zur Geschichte eines Grundwerts in Spätmittelalter und früher Neuzeit. In: Gelungene Anpassung? (2005), S. 67-81 (online), hier S. 72. Ebd., S. 71 Anm. 22 hatte ich Literatur zu Adelschroniken zusammengestellt. Nachzutragen wären als besonders wichtige Beiträge Rolf Götz: Wege und Irrwege frühneuzeitlicher Historiographie (2007) und von Clemens Joos außer dem bereits genannten Beitrag von 2012: Herkommen und Herrschaftsanspruch. In: Grafen und Herren in Südwestdeutschland vom 12. bis ins 17. Jahrhundert (2006), S. 121-153. Vgl. jüngst auch die Literaturangaben bei Stephan Selzer: Adelige - Gruppen - Bilder. Eine Skizze zur zeichenhafter Verankerung von adeligem Herkommen und ritterlicher Leistung. In: Adelsbilder von der Antike bis zur Gegenwart (2013), S. 58-84, hier S. 71f.
  7. Text: http://www.aedph-old.uni-bayreuth.de/2001/0431.html.
  8. http://www.aedph-old.uni-bayreuth.de/2004/0330.html
  9. Hans-Dieter Mück: Zur Verfasserschaft der sog. 'Greisenklage'. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 3 (1984/1985), S. 267-278 (hiernach zitiert als: Mück). Die gleichlautende etwas ältere Publikation gemeinsam mit Hans Ganser (in: Lyrik des ausgehenden 14. und 15. Jahrhunderts, 1984) ist in Auszügen bei Google Books = GBS online.
  10. Andreas Zajic: "Zu ewiger gedächtnis aufgericht" (2004), S. 75-77. Ein Aufsatz von ihm 2002 in den Studia historica Brunensia 2002 ist online.
  11. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon = ²VL 3 (1981), Sp. 285f. Nur unwesentlich ergänzt: Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter 3 (2012), Sp. 992f. (Auszug GBS).
  12. Weitere Literaturangaben zur Chronik im Online-Findmittel des Archivs. Sie wurde vor allem in der Alchemie-Forschung wahrgenommen. Eine neuhochdeutschen Bearbeitung (nicht: Wiedergabe!) zu Christoph von Trenbach. Pfarrer in Kirchberg am Wagram (mit Porträt), bietet die heimatgeschichtliche Website: http://www.hf-kirchberg.at/index.php/kirchberg-am-wagram/einwohner-von-kirchberg/christoph-von-trenbach. Zu seinem Tod (Trenbach-Chronik Bl. 215r-218v) vgl. auch Rudolf Werner Soukup/Werner Mayer: Alchemistisches Gold (1997), S. 11 (Auszug GBS).
  13. Abdruck der Vorrede: Chronik der Herren Trenbeckhen von Trennbach. In: Heraldisch-genealogische Zeitschrift. Organ des [...] Adler in Wien 2 (1872), S. 74-76 (und weitere Folgen), hier S. 74f. (GBS).
  14. Bis zur Abgabe des Manuskripts meines Wolfenbütteler Vortrags "Codexmythen und Codexphantasien" (Preprint in Archivalia vom 32. März 2013) lagen sie leider nicht vor (siehe die dortige Bemerkung). Die neu erstellten Digitalisate konnte ich auch auf dem Server des Archivs nutzen (Link zur Datenbank (Viewer nicht direkt verlinkbar, Tektonik: 05.03), wo sie öffentlich zugänglich sind.
  15. Zu bebilderten Geschlechterbüchern sind die eindringlichen Studien von Hartmut Bock maßgeblich, bequem zugänglich auch im Internet: http://www.hartmut-bock.de/Gattung/gattung.html.
  16. GND
  17. Ramona Epp: Die Inschriften des Landkreises Passau bis 1650 (DI 80) (2011), Nr. 121-124. Zum Programm vgl. man auch den populären Artikel derselben Bearbeiterin in: Akademie aktuell 2011/4, S. 22f. mit Fotos u.a. einer altspanischen Inschrift (online).
  18. Christine Steininger u.a.: Die Inschriften der Stadt Passau bis zum Stadtbrand von 1662 (DI 67) (2006), Nr. 632. Abbildung auf Wikimedia Commons. Zu Bischof Urban und seiner Bautätigkeit vgl. zusammenfassend ebd., Nr. 722.
  19. Umfangreiche Dokumentation im eben genannten Inschriftenband Nr. 628 (S. 327-365).
  20. BSB München Clm 1302, S. 45-66; Cgm 1730, Bl. 1r-8v.
  21. Karger Findbucheintrag: DDB. Andere Angaben zur Provenienz im Jahresbericht für 1855 (GBS). In Regensburg (Prüfening oder Prüll) gab es bei der Säkularisation noch eine dritte Überlieferung, GBS.
  22. In: Familiengeschichtliche Blätter 11 (1913), S. 57f., 76, 103f., 117f.
  23. Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien 21 (1882), S. 47 (online).
  24. Ostbairische Grenzmarken 44 (2002), S. 32; Allgemeines Künstlerlexikon - Internationale Künstlerdatenbank - Online.
  25. Theodor Wiedemann: Geschichte der Reformation und Gegenreformation im Lande unter der Enns 3 (1882), S. 225f. (online); Hinweis bei Zajic.
  26. GND
  27. Lateinische Carmina von ihm - GND - auf Christoph von Trenbach in der Trenbach-Chronik Bl. 216r-218v, das Gedicht "Christophorus cubat" gekürzt als Grabschrift überliefert, vgl. Steininger u.a. Nr. 540 ohne Berücksichtigung der (ansonsten durchaus als Quelle herangezogenen) Trenbach-Chronik.
  28. Markus Müller: Die spätmittelalterliche deutsche Bistumsgeschichtsschreibung (1998), S. 214f.; Steininger u.a.: Inschriften S. XXIV.
  29. GND
  30. Arnold Luschin von Ebengreuth: Österreicher an italienischen Universitäten [...] 1 (1886), S. 12 (MDZ). Nach Altman Kellner: Musikgeschichte des Stifts Kremsmünster (1956), S. 140, 145 war ein Johann Auer, der aus Ingolstadt kam, 1585 Kantor des Stifts.
  31. VD 16. Demnach: GND. Wohl identisch mit: GND.
  32. GND.
  33. GND
  34. Zu ihm: Ilse Haari-Oberg: Die Wirkungsgeschichte der Trierer Gründungssage vom 10. bis 15. Jahrhundert (1994).
  35. GND
  36. Wikisource
  37. GND
  38. Digitalisat e-rara.ch.
  39. Max Freiherr von Freyberg: Sammlung historischer Schriften und Urkunden 3 (1830), S. 717-738: Trenbeckhen (GBS), hier S. 719.
  40. Ebd., S. 723: "diß 1582 Jars".
  41. Zu vergleichen ist Hund S. 729 mit Bl. 182v-183r, wo Hunds mittlere Anekdote fehlt. Zur Rolle von Anekdoten im 15. Jahrhundert vgl. auch Tomas Tomasek in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 19 (2012/2013), S. 443-451.
  42. J. A. S. [Johann Andreas Schmeller] in: Bayerische Annalen 22. Juni 1833, S. 548 (GBS), der sich wohl auf den Cgm 2298 bezieht, vgl. seinen Handschriftenkatalog.
  43. Pars quarta Germaniae topo-chrono-stemmato-graphicae [...] (GBS).
  44. Stammenbuch 2 (1586), S. 48 (online).
  45. GND
  46. Hund S. 719. Die Stelle über Arnold in der Erstausgabe Rüxners 1530, Bl. 134r: MDZ.
  47. Zu ihm vgl. Klaus Graf: Herold mit vielen Namen. Neues zu Georg Rüxner alias Rugen alias Jerusalem alias Brandenburg alias ... In: Ritterwelten im Spätmittelalter (2009), S. 115-125 (online) und diverse Nachträge in Archivalia.
  48. S. 103-108 (GBS) mit Quellenangabe Hund.
  49. S. 132-137 (GBS). Nochmals in Waibels Tugend-Blüthen (1837), S. 26-28 (GBS).
  50. S. 217-220 (GBS).
  51. S. 278-285 (GBS) mit Kupferstich S. 285: Trenbach auf dem Pferd.
  52. S. 150-156 (GBS) wohl nach Freybergs Ausgabe.
  53. S. 77-79 ((GBS).
  54. Joseph von Obernberg: Reisen durch das Königreich Baiern: Reisen über Anzing [...] (1816), S. 252-259 (GBS).
  55. Trenbach-Chronik Bl. 130r; Hund S. 724f.
  56. So http://www.burghauserhochzeit.de/40591.html mit Erwähnung des Alters von 115 Jahren als Tatsache. Für Josef Hofmiller war der Vers 1928 die "größte Merkwürdigkeit" der inneren Burgkapelle: http://gutenberg.spiegel.de/buch/versuche-337/16.
  57. Die Kunstdenkmale des Regierungsbezirks Oberbayern 3 (1905), S. 2482 (online). Die Inschrift wird wiedergegeben unter anderem in: Der Bayerische Volksfreund vom 13. Dezember 1827, S. 741 (GBS); Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern 15 (1870), S. 296 (GBS); Friedrich Panzer: Lohengrinstudien (1894), S. 6 (online); Max Fürst: Biographisches Lexikon für das Gebiet zwischen Inn und Salzach (1901), S. 189f. (Artikel über Hans von Trenbeck); Deutsche Gaue 5 (1903), S. 77 mit Abbildung der Örtlichkeit (online); Führer durch Burghausen und seine Umgebung [1905?], S. 19 (online); Das Bayerland 18 (1907), S. 480 (online); Rudolf Werner Soukup: Chemie in Österreich Bd. 1 (2007), S. 260 (Auszug GBS).
  58. Johann Georg Bonifaz Huber: Geschichte der Stadt Burghausen in Oberbayern (1862), S. 89-91 (MDZ). Weiteres: Friedrich Töpfer: Geschichte der gräflich Törringischen Schlösser und Hofmarken Winhering, Frauenbühl, Burgfried, Arbing und Waldberg. In: Oberbayerisches Archiv 9 (1848), S. 147-196, hier S. 178-180 (GBS); August Kluckhohn: Ludwig der Reiche (1865), S. 27f. (MDZ); Sigmund Riezler: Geschichte Baierns 3 (1889), S. 370 (online); Des Ritters Hans Ebran von Wildenberg Chronik. Hrsg. von Friedrich Roth (1905), S. IX (online).
  59. Zu Altersrekorden, die in der Vormoderne nicht hinreichend sicher belegbar sind, vgl. die Seite „Ältester Mensch“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 15. Januar 2015, 00:04 UTC. Bei archivalischen Recherchen wird zu beachten sein, dass es durchaus mehrere, nicht sicher trennbare Angehörige der weitverzweigten Trenbach-Adelsfamilie gegeben haben kann, die den Namen Hans trugen.
  60. Hund S. 725: "bei 115 Jar alt".
  61. Necrologium Gemnicensium. MGH Necrologia 5/2 (1913), S. 444 (online) zum 29. Juli: "Iohannes Trenbeck cv. baro de Bavaria".
  62. MGH Necrologia 2 (1904), S. 273 (online).
  63. Vgl. Gerrit Walther und Klaus Graf: Genealogie. In: Enzyklopädie der Neuzeit. 4 (2006), Sp. 426-432.
  64. http://monasterium.net/.
  65. Mück S. 267. Angesichts der im Bereich der Adelsgeschichte häufig unterdurchschnittlich schlechten Wikipedia-Artikel wundert es nicht, wenn dort 1163 als Erstbeleg der Familie angegeben wird: Seite „Liste bayerischer Adelsgeschlechter“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 3. Januar 2015, 15:19 UTC.
  66. Der niederösterreichische landständische Adel S-Z (1918), S. 399-404. Ältere Literatur rezipierte natürlich ebenfalls die Chronik-Fiktionen: Ernst Heinrich Kneschke: Neues allgemeines Adels-Lexikon 9 (1870), S. 265 (GBS); Johann Friedrich Gauhe: Des Heil. Röm. Reichs Genealogisch-Historisches Adels-Lexicon 2 (1747), Sp. 1186 (GBS); Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon 45 (1745), Sp. 389 (online); ebenso zuvor Allgemeines historisches Lexikon 4 (1732), S. 810 (GBS) und Ausgabe 1714, S. 459 (GBS).
  67. Ludwig Heinrich Krick: 212 Stammtafeln adeliger Familien [...] des Bistums Passau [...] (1924), S. 428-431 Nr. 194.
  68. Repertorium Germanicum und Repertorium Poenitentiariae Germanicum: http://www.romana-repertoria.net/,
  69. Hund S. 723.
  70. Mück S. 268.
  71. Man wird bei dem Sichten der auf http://archiv.twoday.net/stories/96987511/ gelisteten Einträge feststellen, dass ich in einer Reihe von Fällen eigene "Fälschungsnachweise" erbracht habe. Bei einem nicht gefälschten Dokument (ich habe den Casus - es geht um einen von einem deutschen Herold ausgestellten Wappenbrief des 15. Jahrhunderts - noch nicht publiziert) hat mich mein Jagdeifer peinlicherweise aber in die Irre geführt - Grund genug, bei Fälschungsvorwürfen vorsichtig zu sein. Umgekehrt habe ich in Klaus Graf: Beiträge zur Adelsgeschichte des Heubacher Raums. In: Heubach und die Burg Rosenstein (1984), S. 76-89, hier S. 85f. (online) einen erst in Abschrift um 1800 (angeblich aus einem Bruchsaler Manuskript) überlieferten kurzen Text als rechbergisches Adelsherkommen (ca. 1450/1550) interpretiert. Zehn Jahre später tendierte ich aber dazu, eine Fälschung um 1800 anzunehmen, in: Freundliches Lautern (1995), S. 220.
  72. Aus dem Bereich der Buchgeschichte wurde in letzter Zeit berühmt: A Galileo Forgery (2014) (online).
  73. Zu der von mir in Archivalia als Fälschung verdächtigten bayerischen Chronik aus der Zeit um 1500, die 1818 vom Archivar Lipowsky nach einer nicht mehr greifbaren Vorlage publiziert wurde, teilte mir Franz Fuchs (Würzburg) freundlicherweise per Mail vom 30. Juli 2014 mit, er halte sie "nicht für eine Fälschung sondern für eine Kompilation des späten 17. Jahrhunderts". Dies erkläre die Anachronismen.
  74. Vgl. etwa Katrinette Bodarwé in: A Companion to Hrotsvit of Gandersheim (fl. 960) (2013), S. 344-348 (Auszug GBS).
  75. Außer einigen Andeutungen in Archivalia habe ich zu ihm nichts Größeres veröffentlicht. Sein wissenschaftliches Oeuvre ist riesig, siehe meine Liste in Wikisource.
  76. Dies gilt etwa für die Inschriften-Fälschungen von Hansmartin Deckerhauff. Zu ihnen vgl. Archivalia: "Merkwürdigerweise haben die dort (und in der Regel nur dort) überlieferten Inschriftentexte durchweg große Bedeutung für die genealogische Forschung". Die Verdachtsmomente resultierten aus der Kenntnis weiterer Fälschungen, nämlich der Texte zur Staufergenealogie aus dem "Roten Buch" des Klosters Lorch, vgl. zusammenfassend zuletzt Graf: Codexmythen.
  77. Zu diesem Begriff vgl. meinen oben genannten Beitrag "Codexmythen und Codexphantasien".
  78. Die Wiedergabe im "Adler" 1872, S. 75 las falsch Truchsessen; Zajic entzifferte falsch Teuschessarr und dachte an die Familie Teuschnitzer.
  79. Dieter J. Weiss: Die Geschichte der Deutschordens-Ballei Franken im Mittelalter (1991), S. 429.
  80. Krieb in: Geschichte schreiben (2010), S. 347. Vgl. auch Derselbe: Erinnerungskultur und adeliges Selbstverständnis im Spätmittelalter. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 60 (2001), S. 59-75 (online). Zu dem dort behandelten angeblich spätmittelalterlichen Eptinger Hausbuch vgl. kritisch Graf: Codexmythen.
  81. Joos in: Mäzene S. 146f.
  82. Rudolf Seigel: Zur Geschichtsschreibung beim schwäbischen Adel in der Zeit des Humanismus. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 40 (1981), S. 93-118, hier S. 100f.
  83. Sie war Gegenstand meiner Tübinger Dissertation: Klaus Graf: Exemplarische Geschichten (1987) (GBS).
  84. Seigel S. 94.
  85. Zu ihr vgl. Steffen Krieb in: Gelungene Anpassung? (2005), S. 83-101.
  86. Mit neuen Handschriftenhinweisen zu den Genealogica: Klaus Graf: Gottfried Wilhelm Leibniz, Ladislaus Sunthaim und die süddeutsche Welfen-Historiographie. In: Leibniz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen (2012), S. 33-47 (online); Derselbe in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 706f. (online); GND.
  87. Zu seinen Werken meine Zusammenstellung in Wikisource. GND
  88. Zur Monographie von Thomas Schauerte: Matthäus von Pappenheim (1458-1541) (2009) liefert einige Korrekturen meine Besprechung in Archivalia vom 26. Januar 2013. Diverse Nachträge dazu und zu meinem Artikel in: Deutscher Humanismus 1480-1520. Verfasserlexikon 2 (2013), Sp. 204-209 (online) in Archivalia. GND
  89. Zu Pappenheims Kontakten mit Maximilian vgl. Joos in: Mäzene S. 147.
  90. Wappen in Bayern (1974), S. 51f. Nr. 56, 59f. Nr. 70; Selzer S. 71. Abbildung des Stammbaums auf Wikimedia Commons.
  91. Einblicke gewährt ein von Andreas Zajic ins Netz gestelltes PDF. Zur Familie vgl. die Hinweise von mir in: Hans Jordan Herzheimers Fischordnung von 1532. In: Archivalia vom 26. Juli 2014.
  92. Otto Titan Hefner: Heraldisches Original-Musterbuch [...] (1862), S. 26 (MDZ; E-Text). Zu Wappensagen vgl. jüngst Jörg Schlarb: Mythical Origins of Coats of Arms: A Brief Overview. In: Heraldica nova vom 15. Dezember 2015.
  93. Zu dieser auf den Florentiner Chronisten Giovanni Villani (erste vollständige Druckausgabe 1559) zurückgehenden Tradition vgl. den Hinweis in der Übersetzung "Dantes Paradies" von Afred Bassermann 3 (1921), S. 175f. (Auszug GBS); Robert Davidsohn: Forschungen zur älteren Geschichte von Florenz (1896), S. 31f. Zum Motiv der höllischen Schmiede vgl. z.B. Christa Oechslin Weibel: "Ein übergülde aller der saelikeit" (2005), S. 179 (Auszug GBS).
  94. Zu dieser Tradition vgl. jüngst unzulänglich Dietrich-Testimonien des 6. bis 16. Jahrhunderts. Hrsg. von Elisabeth Lienert (2008), S. 239f., 7 Anm. 21; GND.
  95. Auf sie verwies Birgit Studt: Haus- und Familienbücher. In: Quellenkunde der Habsburgermonarchie (2004), S. 753-766, hier S. 77f. Anm. 11 (online), ohne die Authentizität Grubers in Frage zu stellen.
  96. Ausgabe von 1875, S. IV: MDZ.
  97. Vgl. meinen Beitrag "David Wolleber und die historische Kultur in Württemberg im 16. Jahrhundert" (im Druck, Preprint online), Anm. 81; Graf: Leibniz, S. 38f. Mennels Liste wird zitiert von Dieter Mertens: Zur frühen Geschichte der Herren von Württemberg. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 49 (1990), S. 11–95, hier S. 31 (online).
  98. Zu meinem Begriffspaar Herkommen und Exemplum vgl. jüngst Joos in: Mäzene S. 142.
  99. Vgl. Graf: Codexmythen.
  100. http://www.aedph-old.uni-bayreuth.de/2004/0330.html.
  101. Klaus Graf: Zur Überlieferung der Greisenklage. In: Archivalia vom 1. November 2010.
  102. Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter 5 (2013), Sp. 1525-1527.
  103. http://www.handschriftencensus.de/werke/2462.
  104. Handschriftenkatalog von Wolf Gehrt 1989 (online).
  105. Zu diesem: http://www.ds.uzh.ch/kiening/vergaenglichkeitsbuch/ mit Transkription.
  106. Die autornahe Handschrift Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. A 78 A 19, Bl. 45r-46r (vgl. Handschriftencensus; Blattangabe nach dem Handschriftenarchiv) ist nicht weniger wichtig als die ehemals Donaueschinger, nun Stuttgarter Handschrift. Von Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 86321 (Handschriftencensus) kenne ich keine Blattangaben für die Greisenklage.
  107. Horst-Dieter Schlosser. In: ²VL 3 (1981), Sp. 249f. und Hansjürgen Kiepe: Die Nürnberger Priameldichtung (1984), S. 314 beschränkten sich auf die autornahe Hund-Handschrift (mit eigenhändigen Nachträgen Hunds) Cgm 2298 (oben bereits erwähnt), Bl. 579r. Eine Zusammenstellung der weit verstreuten Handschriften (sogar das Institut für Personengeschichte Bensheim verfügt über eine solche) von Hunds Stammen-Buch Bd. 3 existiert leider nicht.
  108. Elisabeth Wunderle (BSB München) bestätigte freundlicherweise die Textidentität und warnte vor Zählfehlern der gültigen Foliierung: "Auf Bl. 92 folgen 90a,dann Bl. 91 und 92 (jeweils mit einem unleserlichen Zusatz); diese sind am besten als 91a und 92a zu zitieren". Vgl.
    Handschriftenkatalog; Handschriftencensus. Datierung nach dem ²VL 8 (1992), Sp. 180 um 1450.
  109. GW mit Nachweis eines Digitalisats der UB Eichstätt.
  110. GBS
  111. PDF
  112. Hund S. 726f., danach zitiert
  113. Handschriftencensus.
  114. Jacob Klingner/Ludger Lieb: Handbuch Minnereden 1 (2013), S. 787 (Auszug GBS); Mück S. 277.
  115. Suchenwirt-Edition von Primisser 1827, Nr. 25 (online).
  116. GND
  117. Brief bei Ludwig Rockinger: An der Wiege der baierischen Mundartgrammatik und des baierischen Wörterbuches = Oberbayerisches Archiv 43 (1886), S. 204f. (online); Antwort S. 207.
  118. Digitalisat MDZ.
  119. In Schmellers Bayerischem Wörterbuch ²1 (1872), Sp. 566 (GBS) bezieht sich Schmeller auf "Butsch's Blatt" als Überlieferung der Minnerede unter Trenbachs Namen. Butsch's Blatt ist der Cgm 4781. Das folgende Zitat aus dem Handschriftenkatalog (GBS) zielt auf die Schrift im Nachlass.
  120. Vgl. etwa Sebastian Münster: Cosmographey [...] (Basel 1567), S. 1035 (online).
  121. Graf: Herold S. 122.
  122. ²VL 4 (1983), Sp. 106-108.
  123. Ebd., Sp. 106.
  124. Martha Mueller: Der Ehrenbrief Jakob Pütrichs von Reichertshausen, die Turnierreime Johann Hollands, der Namenkatalog Ulrich Fuetrers: Texte mit Einleitung und Kommentar. Dissertation City University of New York 1985, S. 211-238, dieser Teil der Arbeit, da gemeinfrei, auch auf Wikimedia Commons.
  125. GND
  126. Wim van Anrooij: Bayern, Herolde und Literatur im spätmittelalterlichen Reich. In: 650 Jahre Herzogtum Niederbayern-Straubing-Holland (2005), S. 235-275, hier S. 254. Zu Hollands Text ebd., S. 252-256.
  127. Joachim Schneider: Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel (2003), S. 99-110.
  128. Ebd., S. 110.
  129. Angeblich das 21. Reichsturnier: Erstausgabe 1530, Bl. 253v (MDZ).
  130. Schneider S. 104.
  131. Johannes Waldschütz: Ausstellungsrezension: "Ritterturnier - Geschichte einer Festkultur" im Schaffhauser Allerheiligenmuseum. In: Archivalia vom 18. Juli 2014. Dort der Hinweis, dass in der Ausstellung die Historiziät des Turniers 1392 im Gegensatz zur Dauerausstellung in Zweifel gezogen wurde.
  132. Peter Jezler in: Ritterturnier. Geschichte einer Festkultur (2014), S. 58.
  133. Das Stadtarchiv Schaffhausen übermittelte mir die Kopie eines Separatdrucks eines Aufsatzes "Schaffhausen als Turnierplatz" von Karl Rahn in den Schaffhauser Nachrichten vom 24., 25. und 30. August 1956, der (ohne Quellenbelege) Rezeptionszeugnisse zum Turnier von 1392 zusammenstellt. Vgl. auch Eduard Achilles Geßler in: Anzeiger für schweizerische Altertumskunde NF 33 (1931), S. 14f., 20f. (online).
  134. Bänteli in: Ritterturnier, S. 73. In der Anm. 3 (S. 81) verweist er für Rüxner auf den Beitrag von Jezler, folgt anschließend aber - ohne mich zu zitieren - meinen Bedenken von 2009: "Die Turnierreime des Johann Holland können nicht vorbehaltlos als Bestätigung für Rüxners Angaben gelten, da die Überlieferung über Rüxner läuft und von diesem als Quelle gefälscht sein könnte".
  135. J. J. Rüeger: Chronik der Stadt und Landschaft Schaffhausen 1 (1884), S. 55. Ebd., S. 371 datiert Rüeger das 21. Reichsturnier 1393. Etliche würden vermuten, der Herrenacker habe davon seinen Namen.
  136. Geßler S. 20.
  137. Vgl. jüngst Tanja Schorn-Jaschkowitz: Gesellschaftsverträge adeliger Schwureinungen im Spätmittelalter (2007), S. 23. Abdrucke unter anderem bei Johann Stephan Burgermeister: Reichs-Ritterschafftl. Corpus-iuris [...] (1707), S. 1-5 (MDZ); Zimmerische Chronik ²1 (1881), S. 228-234. Benedikt Bilgeri nannte einen Nachweis der Urkunde im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien.
  138. Diese Möglichkeit erwähnt Schneider: Niederadel S. 110. Zu Thomas Lirer als Pseudonym und zum Verhältnis von Fiktion und Historie vgl. Graf: Exemplarische Geschichten S. 81-93.
  139. Schneider S. 99.
  140. Bernd Thum: Der Reimpublizist im deutschen Spätmittelalter. In: Lyrik des ausgehenden 1^4. und 15. Jahrhunderts (1984), S. 309-378, hier S. 363.
  141. Otto Koischwitz: Der Theaterherold im deutschen Schauspiel des Mittelalters und der Reformationszeit (1926), S. 40f. erwähnt in seinen wichtigen Materialien zur Herolds-Figur auch den Holland-Text.
  142. Zu dessen Siegeln vgl. z.B. Felix Ludwig Lipowsky: Grund-Linien der theoretisch und praktischen Heraldik (1816), S. 143 (GBS). Auch auf dem Grabmal-Modell Multschers erkennt man die Löwen im Wappen (Abbildung Wikimedia Commons).
  143. BSB München, Cgm 9220, S. 31. Abbildung Wikimedia Commons.
  144. Anrooij S. 255f.
  145. Schlick spielt in der späteren Traditionsbildung rund um die Turnierchronik Rüxners eine gewisse Rolle. Unkritisch hatte 1986 Heide Stamm eine angeblich 1430 entstandene, von Kaspar Schlick in Magdeburg in Auftrag gegebene Turnierchronik als Vorlage für die Rugen'sche Turnierchronik behauptet (Das Turnierbuch des Ludwig von Eyb, S. 44). Ihre Quelle Estor bezieht sich aber auf die Reime Hollands, wie ich zeigen konnte in: Hatte Rugens/Rüxners Turnierchronik eine Magdeburger Vorlage? In: Archivalia vom 26. Juli 2008 mit Nachtrag in Archivalia vom 19. Juni 2011. Johann Sigmund Brechtel von Sittenbach (siehe unten) beruft sich 1617 nach Heinz Lieberich: Landherren und Landleute (1964), S. 25 auf ein Turnierbuch des Grafen Johann Schlick (ihn gab es nie). In der Vorrede ist von Kaspar Schlick die Rede. Es dürfte sich um ein Rezeptionszeugnis der Turnierreime handeln und nicht um eine mittelalterliche Quelle.
  146. Mueller S. 186f.
  147. Zu Handschriften und Drucken vgl. Wikisource (derzeitige Version).
  148. Ulrich Montag in: Bayerische Staatsbibliothek. Jakob Püterich von Reichertshausen. Der Ehrenbrief (1999), S. 48.
  149. Schneider S. 100 Anm. 35; Lieberich S. 28 Anm. 85.
  150. Digitalisat MDZ. Zur Handschrift vgl. Mueller S. 148.
  151. Mueller, S. 147.
  152. Ausgabe 1585.
  153. ²VL 4, Sp. 106.
  154. Zitiert nach Mueller S. 147.
  155. Zu den Lebenszeugnissen vgl. Graf: Herold.
  156. Digitalisat MDZ. In der Beschreibung von Marianne Reuter 2008 nicht erkannt: "Mitglieder des alten bayerischen Turnieradels in Versen".
  157. Zur Familie vgl. kurz zusammenfassend: Adel in Bayern (2008), S. 66.
  158. Digitalisat.
  159. Digitalisat der UPenn; Hinweis in Archivalia vom 2. Oktober 2013.
  160. Klaus Graf: Historiographische Handschriften des Johann Sigmund Brechtel. In: Archivalia vom 4. Februar 2012. GND
  161. Fortsetzung des fehlenden Rests bei Raimund Duellius: Excerptorum genealogico-historicorum libri duo [...] (1725), S. 259 (online).
  162. http://manuscripta.at/?ID=7676 mit Link zum Inventar von Hermann S, 154; Walter Neuhauser: Katalog der Handschriften der Universitätsbibliothek Innsbruck. Cod. 1-100 (1987), S. 273.
  163. Zitat nach den Wappentafeln des Hans Mielich 1560/71 in der Handschrift der Bußpsalmen des Orlando di Lasso (BSB München, Mus. ms. A III 1), vgl. Adel in Bayern, S. 87-91 (mit Farbabbildungen), hier S. 87. SW-Digitalisat mit unzulänglicher Auflösung: MDZ.
  164. Zur Püterich-Überlieferung siehe unten.
  165. Das Datum 21. Februar 1469 weist Montag S. 50 aus dem Cgm 305, Bl. Iv nach. SW-Digitalisat MDZ.
  166. GND
  167. Klaus Grubmüller in: Bayerische Staatsbibliothek. Jakob Püterich von Reichertshausen, S. 7.
  168. GND
    ; Marburger Repertorium zur Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus.
  169. Grubmüller S. 12
  170. Angaben nach Montag S. 45; Handschriftencensus.
  171. Mueller S. 42 nach Auskünften 1974 und 1979. Es ist durchaus möglich, dass der von Lawrence Schoenberg erworbene und 2001 wieder abgestoßene, verschollene Herzogenburger Cod. 82 auf dem gleichen Weg das Stift verlassen hat (aber wohl nicht vor 1966), vgl. Archivalia vom 28. November 2011. Das Stift Herzogenburg hüllt sich dazu bis heute in Schweigen.
  172. Liste im PDF von Melissa Conway and Lisa Fagin Davis.
  173. GBS.
  174. Max Voigt: Beiträge zur Geschichte der Visionenliteratur im Mittelalter I. II (1924), S. 194.
  175. Mück S. 269 Anm. 14. Er dankt Frieder Schanze für Mikrofilmaufnahmen, die in jedem Fall Hollands Turnierreime und wohl auch die Greisenklage abdeckten.
  176. Der Publikation von 1999 ist ein Farbfaksimile des Ehrenbriefs beigegeben. Die BSB hat unzählige weit weniger wichtige Handschriften online gestellt, auf den Cgm 9220 wartete man bislang vergebens. Die maßgebliche Edition legte Mueller 1985 vor: S. 67-117. Online ist die Ausgabe von Fritz Behrend/Rudolf Wolkan im Internet Archive (mit SW-Faksimile). Von den früheren Ausgaben wird die von Arthur Goette (1899) im Netz vermisst.
  177. Montag S. 46f. In meinem Besitz befinden sich Begleitblätter zur Präsentation der Neuerwerbung 1999, in denen die Handschrift "etwa 1590" angesetzt wird.
  178. Mein Ausgangspunkt waren die Lesarten von Behrend/Wolkan S. 15. Beispielsweise hat Str. 15,7 die bessere Lesart "khünigin" (statt "khunigen" im Cgm 9220). Str. 125,2 "frauen nadler" statt Frantzen. Str. 124,3 liefert einen zusätzlichen Personennamen Schomanndt (statt [ist] schonendt, so Mueller). Auch in Str. 83 sind die Lesarten "zaigt" und "liebe" besser.
  179. Die berüchtigte Stelle Str. 99,7 liest sich nicht besser: "graf focine [statt freine] leouen weller". Aus Abbickh von Hohenstain (GND) in Str. 106 wird Albikh (zum Vornamen Alwig zu stellen) von Hohenstain, Verfasser des Heinrich von "Teiserbrugkh", aber damit ist man einer Identifizierung kaum nähergekommen. Bernd Bastert: Der Münchner Hof und Fuertrers 'Buch der Abenteuer' (1993), S. 89 bespricht die schwierigen Verse Str. 117,6-7. Durch die neuen Lesungen "hüten" und "vberguckhet" wird der Text aber zumindest für mich nicht sehr viel verständlicher.
  180. Zu Jan von Sedlitz/Sedlec (Str. 123) vgl. Klaus Graf: "Disez buch ist maister ian". Zum Eigentümer der ehemals Maihinger Nibelungenliedhandschrift a. In: Archivalia vom 22. November 2013. Heinz von Rechberg (Str. 83f.) wurde schon von Theodor Schön in: Reutlinger Geschichtsblätter 15 (1904), S. 87 zutreffend mit Heinrich von Rechberg von Hohenrechberg zu Weißenstein gestorben 1489 (Totenschild vgl. Harald Drös in: Inschriften.net) gleichgesetzt. Er war Rat Ludwig des Reichen von Bayern-Landshut, vgl. Beatrix Ettelt-Schönewald: Kanzlei, Rat und Regierung Ludwig des Reichen von Bayern-Landshut (1450-1479) 2 (1999), S. 611f. Falsch identifiziert unter anderem von Burghart Wachinger in: ²VL 3 (1981), Sp. 935; Mueller S. 53f.; Christine Wand-Wittkowski: Pfalzgräfin Mechthild und ihr literarischer Zirkel. Ein Irrtum der Mediävistik. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 30 (2005), S. 1-27, hier S. 13 Anm. 29 - obwohl Alfred Karnein in: Medievalia et humanistica N.S. 22 (1995), S. 165 Anm. 3 Schöns Identifizierung bereits rezipiert hatte. Falsch angesetzt daher auch in der GND. Zu Heinrich von Rechberg hatte ich in den 1980er Jahren umfangreiche Materialien (vor allem aus den Nördlinger Missiven) zusammengetragen, die leider einem Umzug zum Opfer gefallen sind. Von Liebesbriefen oder literarischen Briefen Rechbergs ist im Ehrenbrief nicht ausdrücklich die Rede. Biographistisch interpretierend möchte ich die Stelle eher auf das abstoßende äußere Erscheinungsbild der eigenhändigen Schreiben des Adeligen beziehen, der ohne seinen treuen Schreiber Konrad Ützlin von Deinbach nur grobes Gekrakel aufs Papier bringen konnte.
  181. Vgl. Klaus Graf: Edition und Open Access, in: Vom Nutzen des Edierens (2005), S. 197-2003 (online).
  182. Hermann Menhardt in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 77 (Tübingen 1955), S. 319f. hat irrtümlich die Angabe in die Welt gesetzt, auch der Ehrenbrief in der damals Herzogenburger Handschrift stamme von Lazius. Korrigiert schon von Klaus Grubmüller in: ²VL 7 (1989), Sp. 920.
  183. Handschriftencensus.
  184. Zu Adelsbibliotheken des bayerischen Raums vgl. grundlegend Christine Reinle: Auf Spurensuche. Recherchen zu Bibliotheken der Ritterschaft im Süden und Südwesten des Alten Reiches. In: Rittersitze (2002), S. 71-109. Weitere Hinweise zu Adelsbibliotheken etwa bei Hans-Werner Langbrandtner/Monika Gussone: Bibliotheken und Musikalien als Spiegel adliger Bildung. In: zeitenblicke 9, Nr. 1 (2010) (online); Klaus Graf: Oberschwäbische Adelsbibliotheken. In: Adel im Wandel (2006), S. 751-762 (online).
  185. Seit Voigt 1924 S. 192-199.
  186. Soukup: Chemie S. 260 nennt das Schloss "den eigentlichen Stammsitz derer von Trenbach".
  187. Digitalisate von allen drei Handschriften des Bátthyáneums in Alba Julia R I 54, 84, 82 sind online (Handschriftencensus). BSB München: Cgm 375 (Handschriftencensus; Cgm 4871 (Handschriftencensus), 4872 (Handschriftencensus) und 4873 (Handschriftencensus) gehörten ursprünglich zusammen und sind als eine Handschrift gezählt. Prag, Nationalbibliothek, Cod. XVI E 33 (Handschriftencensus), Digitalisat in Manuscriptorium. Leider fehlen im Handschriftencensus derzeit meist die Provenienzangaben. Bei den Wiener Handschriften zitiere ich stattdessen manuscripta.at: Cod. 2808 (manuscripta.at), 2822 (manuscripta.at), 2846 (manuscripta.at), 2994 (manuscripta.at; die Handschrift ist online).
  188. OPAC.
  189. GW.
  190. Vgl. meinen Hinweis in Archivalia vom 29. September 2012 nach http://ipi.cerl.org/. Vgl. Katalog der Rosenwald-Collection (online).
  191. Visio Georgii. Hrsg. von Bernd Weitemeier (2006), S. 235-246.
  192. Andreas Erhard: Untersuchungen zum Besitz- und Gebrauchsinteresse an deutschsprachigen Handschriften im 15. Jahrhundert nach den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek München. Dissertation München 2009, S. 53-129 (online seit 2012).
  193. GND
  194. Vgl. auch Georg Steer: Hugo Ripelin (1981), S. 256; Erhard S. 68.
  195. Zur Datierung ist auch zu beachten Schneider S. 111 Anm. 89.
  196. Zur Propaganda (lateinisches Siegesgedicht auf die Schlacht, wohl das erste Zeugnis für den Stoff der "Sieben Schwaben, und weitere Quellen) vgl. Klaus Graf: Über den Ursprung der Sieben Schwaben aus dem landsmannschaftlichen Spott. In: Die Sieben Schwaben. Stereotypen. Ludwig Aurbacher und die Popularisierung eines Schwanks (2013), S. 15-17, 20-23, 27-31.
  197. Ältere Aufstellungen zu den Quellen bei Christoph Friedrich Stälin: Wirtembergsiche Geschichte 3 (1856), S. 541 (online); Joseph Würdinger: Kriegsgeschichte von Bayern, Franken, Pfalz und Schwaben von 1347 bis 1506 2 (1868), S. 52f. (GBS); Riezler Bd. 3, S. 418 (online). Aus der bayerischen Chronistik nenne ich nur Veit Arnpeck: Sämtliche Chroniken. Hrsg. von Georg Leidinger (1915), S. 618f. (online) bzw. lateinische Fassung S. 367f. Zum Gundelfinger Beutebanner vgl. jüngst den Katalog Ritterwelten im Spätmittelalter S. 181-185. Unergiebig sind Thomas Fritz: Ulrich der Vielgeliebte (1441-1480) (1999), S. 268 und die Ausgabe Lorenz Fries: Chronik der Bischöfe von Würzburg 742-1495 Bd. 4 (2002), S. 199.
  198. Ihn druckte Andreas Felix Oefele: Rerum Boicarum Scriptores 1 (1763), S. 398 Anm. (online) nach Cgm 1934.
  199. Christelrose Rischer: Literarische Rezeption und kulturelles Selbstverständnis in der deutschen Literatur der 'Ritterrenaissance' des 15. Jahrhunderts (1973).
  200. Vgl. ausführlich Klaus Graf: Ritterromantik? Renaissance und Kontinuität des Rittertums im Spiegel des literarischen Lebens im 15. Jahrhundert, in: Zwischen Deutschland und Frankreich (2002), S. 517-532 (online).
  201. So auch Peter Strohschneider in LiLi 70 (1988), S. 84 (online).
  202. Zur Vorrede von Konrad von Grünenbergs Wappenbuch siehe oben. Zu den damaligen retrospektiven Tendenzen in der Kunst vgl. Klaus Graf: Stil als Erinnerung. In: Wege zur Renaissance (2003), S. 19-29 (online).
  203. Klaus Graf: Ritter. In: Enzyklopädie des Märchens 11 (2004), Sp. 707-723, hier Sp. 710.
  204. Bedauerlicherweise hat die germanistische Forschung zu wenig Notiz von der verstreuten geschichtswissenschaftlichen Literatur zu Püterich genommen. In Bernd Basterts Artikel in der Neuen Deutschen Biographie 20 (2001), S. 763f. (MDZ) vermisse ich insbesondere: Helmuth Stahleder in: Oberbayerisches Archiv 114 (1990), S. 269 (im Rahmen der Familiengeschichte); Christine Reinle: Ulrich Riederer (ca. 1406-1462) (1993), S. 351f.; Gerda Maria Lucha: Kanzleischriftgut, Kanzlei, Rat und Regierungssystem unter Herzog Albrecht III. von Bayern-München 1438-1460 (1993), S. 288-290 (kurioserweise ohne Hinweis auf seine literarischen Aktivitäten, durch die Püterich berühmt wurde); Andrea Klein: Der Literaturbetrieb am Münchner Hof im fünfzehnten Jahrhundert (1998), S. 100-113. Unzulänglich auch Jens Haustein/Redaktion in der Zweitauflage von Killy Literaturlexikon 9 (2010), Sp. 352f. (Auszug GBS).
  205. Zahlreiche Erwähnungen bei Antonia Bieber: Würzburger Ratsprotokolle 1432-1454 (2014), S. 446 (Register) und Ersterwähnung S. 238 mit Anm. 1635 (mit Literaturangaben). - Bei Helmuth Stahleder: Chronik der Stadt München 1 (2003, CD-ROM) erfährt man zu 1452 vor Juni 15, dass Püterich zur Kaiserkrönung Friedrichs III. in Rom war.
  206. Dass die pragmatische Schriftlichkeit, das Geschäftsschriftgut für den Adel eine wichtige Rolle spielte, belegen zahllose Amtsbücher und Akten in den Archiven.
  207. Karl-Heinz Spieß: Zum Gebrauch von Literatur beim spätmittelalterlichen Adel. In: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter (1998), S. 85-101, hier S. 101 (MDZ).
  208. Zur Kritik vgl. auch Graf: Graf: "Disez buch ist maister ian".
  209. GND
  210. Wieder in: Felix Heinzer: Klosterreform Und mittelalterliche Buchkultur im deutschen Südwesten (2008), S. 135-137 (Auszug GBS).
  211. Das Zitat aus dem Titel des Beitrags von Richarda Bauschke-Hartung im Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 19 (2012/2013), S. 103, in dem gleich mehrere Beiträge das Problem intensiver erörtern.
  212. Ebd., S. 154.
  213. GND. Zum Buch von Bernd Fuhrmann: Konrad von Weinsberg (2010) vgl. meine Besprechung in Archivalia vom 21. Januar 2011.
  214. ²VL 5 (1985), Sp. 269; vgl. auch Klaus Graf: Quellen zur Geschichte der Göppinger Oberhofenkirche (1439, 1447) aus dem Lehenkopialbuch Konrads von Weinsberg und dem Weinsberger Archiv. In: Hohenstaufen, Helfenstein 2 (1992), S. 55-73, hier S. 63.
  215. GND
  216. Edition durch Ulrich Seelbach im Repertorium der mittelalterlichen Autoritäten (online): "Graue Conrat von weyynsperg".
  217. ²VL 4 (1983), Sp. 815. Zu Johannes Werner von Zimmern (GND) vgl. jüngst Klaus Graf: Hat Jakob Weiglin "De duodecim abusivis saeculi" übersetzt? In: Archivalia vom 7. Juli 2014.
  218. ²VL 4 (1983), Sp. 814.
  219. Vgl. Georg Stanitzek: Dilettant. In: Reallexikon zur deutschen Literaturwissenschaft ³1 (1997), S. 364-366 (Auszug GBS).
  220. Zimmerische Chronik Bd. 1, S. 461f.; vgl. Frieder Schanze in: ²VL 1 (1978), Sp. 589.
  221. Zimmerische Chronik Bd. 1, S. 583-586.
  222. GBS
  223. Vgl. Klaus Graf: Hohenurach und seine Gefangenen, in: Stadt, Schloss und Residenz Urach (2014), S. 115-124, hier S. 119f. (online
  224. ²VL 3 (1981), Sp. 923.
  225. Klaus Graf: Graf Heinrich von Württemberg († 1519) – Aspekte eines ungewöhnlichen Fürstenlebens. In: Württemberg und Mömpelgard 600 Jahre Begegnung (1999), S. 107–120, hier S. (online); Nachträge in Archivalia vom 23. November 2009. Zu Heinrichs Büchern: Felix Heinzer: Heinrich von Württemberg und Eberhard im Bart: zwei Fürsten im Spiegel ihrer Bücher. In: Der württembergische Hof im 15. Jahrhundert (2006), S. 149-163 online. GND
  226. Erhard S. 48. Zum Cgm 5237: Handschriftencensus.
  227. Montag S. 50.
  228. Bei Namen aus der Heldenepik halte ich Schlüsse aus dem Namenbefund auf literarische Rezeption nicht für vertretbar: Klaus Graf: Literatur als adelige Hausüberlieferung? In: Literarische Interessenbildung im Mittelalter (1993), S. 126-144 (online).
  229. Im bayerischen Adel ist insbesondere der Name Wigalois, Wiguleus o.ä. ein schon früh geführter Traditionsname, der über die Rezeption literarischer Texte nichts aussagen kann.
  230. GND
  231. Vgl. die Zusammenstellungen bei Bastert S. 138f. und Friedrich Panzer: Personennamen aus dem höfischen Epos in Baiern. In: Philologische Studien (1896), S. 205-220 (online).
  232. Handschriftenkatalog von Karin Schneider online.
  233. Marburger Repertorium zur Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus; GND.
  234. So Nikolaus Henkel in: ²VL 9 (1995), Sp. 188-190. Vgl. auch Wikisource.
  235. Ediert von Samuel Singer in Zeitschrift für deutsches Alterthum 38 (1894), S. 205f. (online); vgl. auch Der Ritter mit dem Bock. Hrsg. von Wolfgang Achnitz (1997), S. 189 (Auszug GBS). Zum Schlussgedicht Fuetrers vgl. Mueller S. 242-265. Im Cgm 1, Bl. 347va-348vb; SW-Digitalisat MDZ.
  236. Paul Sappler in: Positionen des Romans im späten Mittelalter (1991), S. 144 Anm. 6 (online). Vgl. auch die Bemerkung in meiner Rezension von Klaus Ridder: Mittelhochdeutsche Minne- und Aventiureromane in: Zeitschrift für deutsches Altertum 129 (2000), S. 105 (online). Zur Rolle Schwabens in diesem Text sehe ich keinen Anlass von Klaus Graf: Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im 'Friedrich von Schwaben'. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 5 (1988/1989), S. 285-295 (online) abzurücken.
  237. Hartmut Beckers in: Literarische Interessenbildung (1993), S. 12; Marburger Repertorium zur Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus.
  238. Vgl. zu ihm aus historischer Sicht die Website http://www.bellerkirche.de/Der+Erbauer. Zu den literarischen Aspekten vgl. Hartmut Beckers: Der Püecher Haubet, die von der Tafelrunde Wunder sagen. Wirich von Stein und die Verbreitung des 'Prosa-Lancelot' im 15. Jahrhundert. In: Wolfram-Studien 9 (1986), S. 17-45.
  239. Beckers 1993, S. 16.
  240. Zur Stilisierung nach vorgeprägten Mustern methodisch nach wie vor lesenswert: Erich Kleinschmidt: Herrscherdarstellung (1974).
  241. Vgl. meinen Hinweis in Archivalia vom 4. Juni 2014.
  242. Vgl. etwa Graf: Adel als Leitbild; Derselbe: Feindbild und Vorbild. Bemerkungen zur städtischen Wahrnehmung des Adels. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 141 (1993), S. 121-154 (online).
  243. Den Begriff hat eingeführt Gerd Althoff: "Causa scribendi" und Darstellungsabsicht. In: Litterae medii aevi (1988), S. 117-133.
  244. Zu meinem Unbehagen an der Erklärung mit Legitimationszwängen vgl. Graf: Ursprung S. 28f. Gegen die Privilegierung des Politischen im Rahmen eines Konzepts literarischer Interessenbildung (Joachim Heinzle) argumentierte Jan-Dirk Müller in: Literarische Interessenbildung im Mittelalter (1993), S. 370-372.
  245. Jenny S. 166.
  246. Ebd., S. 156.
  247. Vgl. schon Graf: Codexmythen.
  248. Hermann Heimpel: Die Vener von Gmünd und Straßburg 1162-1447 1 (1982), S. 232.

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1847

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Abenteuer Archiv

IMG_2062"Kulturaffin". Das Wort gefällt mir. Ich  fand's fett gedruckt in der Ausschreibung des Siwiarchiv zur Blogparade (die sind schon drei!). Zu den anderen ihrer Fragen kann ich doch so wenig sagen: ich bin nicht NRW, ich lese das Blog "Siwiarchiv" nur gelegentlich gern, weil's vielfältig ist und mir - archivisch gesehen - stets 100%ig unbekannt, gut fand ich immer die Beiträge mit Fotos (ob's die besten waren, weiß ich nicht), und überhaupt finde ich klasse, dass bei denen gar nicht auffällt, dass da mehrere Blogger am Werk sind.

Ich hingegen kämpfe gegen Zeitmangel, ausbleibende Ideen - und vor allem gegen bloggische Einsamkeit: bei "mir" schreibt kaum jemand mit zur "Gymnasialbibliothek" und zum "Gymnasialarchiv". Nun schrieb aber Mareike König im Redaktionsblog von de.hypotheses soeben in einem folgenschweren Satz, dass sie sich bei den (wissenschaftlichen) Bloggern "mehr Reflexion, mehr Kreativität, mehr Witz, mehr Zweifel" wünsche und jenes  "nicht immer in regelrechten Forschungsbeiträgen geschehen" müsse. Das nehme ich mal als Ablassbrief, zum Archiv etwas zu schreiben, ohne damit gleich aus diesem Portal zu fliegen befürchten zu dürfen.

Abenteuer Archiv

Wussten Sie schon, wie die temporäre Auslagerung eines Gymnasialarchivs wegen Bauarbeiten geht? Dann lesen Sie gern nicht weiter. Siwiarchiv wird vermutlich gähnend beiseite schauen, denn die kennen Neubau und haben mehr aus- und umzulagern gehabt als wir mit "meinen" ca. 800 Archivkartons, beinhaltend Dokumente seit 1700.

Das geht so: du hast auf einmal viel weniger Platz im Zwischendomizil. Nicht ganz gelungen überdies ist die räumliche Andersverteilung der Lagerung entsprechend der im Findbuch aufgeführten Repositorien. Umräumen gestaltet sich gefahrensportlich, da jemand die stabilen Tritte und Leitern vergessen hat. Die zwei kleinen Tischchen (immerhin!) hat jemand unterdessen als Ablage benutzt, so dass du mit den umzubalancierenden Kartons irgendwie in der Luft hängst. Dir fällt ein, dass der Beton dein Handy nicht durchlässt, malst dir aus, das Wochenende in deinem Blute inmitten der Geschichte des Geistes und der Bildung einer Stadt zu verbringen und lässt das mit der Stuhlakrobatik und wendest dich den gesundheitlich unbedenklicheren Erschließungsfragen zu.

Es fehlt der Laptop mit der Erschließungssoftware. Macht nichts, früher hatten die auch nur Zettel & Bleistift. Nur wo sind denn jetzt die Kartons mit den von dir als "varia" gekennzeichneten noch nicht erfassten Einheiten? Nachdem du den Slalom durch die eng gestellten Metallregale durch bist: wie zu erwarten, sind die "varia" ganz oben gelandet. Gut. Kontrollieren wir unübersehbare Einheiten unten: die Gemälde. Da kommst du nur grad schlecht dran, weil der Durchgang mit den vollgestapelten Tischchen den direkten Zugriff im Augenblick nicht erlaubt. Du verwirfst den Gedanken an einen bodystarken Gehilfen, weil der ohnehin nicht mehr reinpassen würde, und kraxelst selbst. Die Gemälde sind alle da, und du findest nebenbei auch noch zwei der insgesamt vier kleinen Thermometer mit Feuchtigkeitsanzeige und kannst noch etwas wirklich Sinnvolles tun: diese an den relevanten Stellen platzieren. Dabei stellst du fest, dass von den mobilen Klimageräten noch welche fehlen und beschließt, dir endlich einen Zettel zu machen, damit du bis zum nächsten Mal nicht vergisst, dich vorher um das Notwendige gekümmert zu haben.

Herausforderungen, an die du seit Jahren nie dachtest, Stromschnellen für ein Paddel, das sich bislang bequem ins "Kulturaffine" pendelte, Ungewissheit der Zeit, die du in 800 Kartons für die Ewigkeit behütet sahst.

Nachwort

Dies ist (noch) kein Teilnahmebeitrag zu: Wissenschaftsbloggen: zurück in die Zukunft - ein Aufruf zur Blogparade von de.hypotheses; Siwiarchiv war eher dran.

Quelle: http://histgymbib.hypotheses.org/608

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Francisco de Enzinas und Andreas Reinhard. Die Geschichte einer Digitalisierung 2006


Francisco de Enzinas (* 1. November 1518 in Burgos; † 30. Dezember 1552 in Straßburg), auch bekannt als Franciscus Dryander, Françoys du Chesne, Quernaeus, Eichmann, van Eyck (nach span. encina = [Stein-] Eiche), war ein spanischer Humanist und Protestant, der als Erster das Neue Testament aus dem Griechischen ins Spanische übersetzte. Francisco de Enzinas lebte als spanischer Protestant im 16. Jahrhundert auf der Flucht. Er hinterließ eine womöglich bis heute noch nicht in vollem Umfang erfasste Zahl von Übersetzungen antiker, insbesondere griechischer Autoren ins Spanische sowie zum Teil unter Pseudonym verfasste selbstständige Schriften. [...]

(aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia; Verfasserhistorie)

***

http://de.wikipedia.org/wiki/Francisco_de_Enzinas

Enzinas Historia 005

Ende 2004 stieß ich auf einen Bibliotheksbericht von 1878, in dem Prof. Dr. Lucht, Direktor des Christianeums und Bibliothekar, die 17 Handschriften des Donum Kohlianum beschrieben hatte; eine reizte mich durch eine ausführliche Inhaltsangabe und den Bericht über ihre Herkunft besonders: Historia de statu Belgico et religione Hispanica von 1545; ich fand in der Bibliothek eine deutsche Übersetzung dieser lateinischen Schrift von 1893, die ich in im Frühjahr 2005 in einem Zug durchlas – so spannend war die autobiographische Erzählung des jungen, spanischen Griechischstudenten Melanchthons in Wittenberg namens Francisco, der mit seiner für den Druck vorbereiteten Fassung einer Übersetzung des neuen Testaments ins Spanische, der ersten in der Geschichte, im niederländischen Löwen 1543 mitten in die Greuel der spanischen Inquisition gerät, wegen des Drucks der Übersetzung anderthalb Jahre im Gefängnis einsitzt und erst 1545 nach geglückter Flucht wieder bei Melanchthon in Wittenberg ist, wo er in wenigen Monaten seine Erlebnisse in elegantem Latein niederschreibt.

Die Recherchen nach dem Verfasser, Francisco de Enzinas, ergaben einen philologischen Krimi und führten nicht nur zu einem fruchtbaren Email-Austausch mit zweien der drei gegenwärtig einzigen Forschern auf der Welt zu diesem Autor, einem Spanier und einem US-Amerikaner, sondern auch zu einem Vortrag im Dezember 2005 an der Carl-Albrechts-Universität zu Kiel, aus dem sich en passant ein Forschungsinteresse ergab zu einer anderen Handschrift aus unserer Bibliothek, dem Codex Christianei, einer frühen Erzählung Giovanni Boccaccios, der daraufhin einmal durchfotografiert wurde, so dass das Digitalisat nunmehr auf einem Rechner in Kiel, unserem Bibliotheksrechner und auf meinem Laptop der Bearbeitung harrt.

Dass ich mein Enzinas-Vortragsmanuskript zwei Gegenlesern geschickt hatte, ergab in der Folge Anfang 2006 , dass ich auf Anregung des einen meiner Lektoren eine Zusammenfassung des Vortrags, entsprechend bearbeitet und mit Bildern versehen, als Artikel in die freie Enzyklopädie Wikipedia ins Internet einstellte; durch die Vermittlung des anderen landete eine Kopie der deutschen Übersetzung der Historia des Francisco de Enzinas von 1893 im Mai 2006 bei einem Verleger.

http://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Ex_Bibliotheca_Gymnasii_Altonani_(Hamburg)

Unterdessen war der Artikel über Francisco in der Online-Enzyklopädie Wikipedia als „exzellent“ eingestuft worden und hatte das Interesse einiger Benutzer und Autoren dieser Enzyklopädie geweckt. In erster Linie angesprochen wurde ich von Vertretern des akademischen Nachwuchses, die sich für die Altbestände der Christianeumsbibliothek interessierten. Wir fertigten im Laufe des Frühjahrs 2006 einige Scans an, die ich gemeinfrei im Internet auf Wikimedia Commons, einer Datenbank mit freien Mediendateien, zur Weiterverwertung hochlud.

http://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Reinhard

Im April 2006 erschien in der Online-Enzyklopädie Wikipedia ein Artikel über Andreas Reinhard, einen erzgebirgischen Rechenmeister des 16. Jahrhunderts, dessen prächtig ausgestattetes Manuskript eines Rechenbuchs von 1599 in der Bibliothek des Christianeums verwahrt wird und das 1988 erstmals von Bernd Elsner beschrieben wurde. Der Verfasser des Wikipedia-Artikels, Frank Schulenburg aus Göttingen, Historiker mit Schwerpunkt auf der Wirtschaftsgeschichte, hatte die Bilder auf Wikimedia Commons gesehen, umfassende Recherchen über „Rechenbücher“ angestellt und eines Tages angerufen. Als Vorstandsmitglied des Vereins Wikimedia Deutschland machte er den Vorschlag, das Rechenbuch des Andreas Reinhard im Digitalisierungszentrum der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (GDZ) digitalisieren zu lassen auf Kosten des Vereins.

http://commons.wikimedia.org/wiki/Rechenbuch_des_Andreas_Reinhard

http://de.wikisource.org/wiki/Drei_Register_Arithmetischer_ahnfeng_zur_Practic

Am 24. Mai 2006, einen Tag vor Himmelfahrt, wurde in Göttingen eine hochauflösende digitale Fassung des Rechenbuchs erstellt und in den folgenden Tagen auf Wikimedia Commons hochgeladen. Gleichzeitig entsteht, unterstützt durch das Material Bernd Elsners, eine textkritische und kommentierte Ausgabe des Rechenbuchs auf Wikisource, einer deutschen Quellensammlung im Internet. Der unterdessen ausgearbeitete Artikel in Wikipedia informiert über den Verfasser des Rechenbuchs, Andreas Reinhard, und den historischen Hintergrund seines Werks.

http://de.wikisource.org/wiki/Wikisource:Pressemitteilungen/Rechenbuchprojekt

Im Dezember 2005 war der alphabetische Zettelkatalog des Altbestandes der Christianeumsbibliothek - ca. 18 000 Kärtchen -  ehrenamtlich eingescannt worden; der Katalog ist nunmehr schulintern über den Lesesaal-Rechner in der Lehrerbibliothek jederzeit einsehbar. Im März 2006 hatte im Christianeum ein informelles Treffen von dem Christianeum nahestehenden und an der Bibliothek interessierten Persönlichkeiten stattgefunden, die die Möglichkeiten diskutierten, insbesondere die einmaligen Bestände der Christianeumsbibliothek für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Digitalisierung des Rechenbuchs will einen Weg weisen, wertvolle alte Schriften zu sichern und wissenschaftlich nutzbar zu machen in einer zukunftsweisenden Form. Die am 24. Mai 2006 online abgesetzte Pressemeldung über das Wikisource-Rechenbuchprojekt wurde auf Internet-Fachseiten ebenso wie auf Onlineseiten der Presse publiziert.

Das Rechenbuch des Andreas Reinhard ist, wie viele andere Stücke der über 260 Jahre alten Bibliothek des Christianeums, wertvollstes Kulturgut; sie repräsentiert die Historie unserer Anstalt, die es zu bewahren gilt. Für einzelne seltenste Drucke oder die ohnehin einmaligen Handschriften trägt die Schule die Sorge, sie zunächst zu erhalten und zu schützen; nicht wenige Stücke – zum Beispiel alle Inkunabeln, die frühen vor 1500 entstandenen Drucke nach Gutenberg – erlauben in ihrem Zustand, insbesondere dem ihrer originalen Einbände, eine Benutzung derzeit nicht. Die Restaurierung dieser Kostbarkeiten ist teuer. Die Veröffentlichung des Rechenbuchs hat die Schule und die Eigentümerin, die Freie und Hansestadt Hamburg, keinen Cent gekostet; sie war indes nur möglich durch das freiwillige Engagé, insbesondere den Einsatz Frank Schulenburgs, und durch die Neugier nebst den daraus erwachsenen Tätigkeiten aller an diesem Projekt Beteiligten.

***

[...] Ein Druck der Historia de statu Belgico et religione Hispanica zu Lebzeiten Francisco de Enzinas’ ist nicht bekannt, eine eigenhändige Niederschrift nicht erhalten. Es existieren zwei handschriftliche Kopien, die vermutlich von de Enzinas sogleich nach Beendigung der Niederschrift im Juli 1545 in Wittenberg in Auftrag gegeben worden sind. Eine dieser Kopien liegt seit 1623 in der Apostolischen Bibliothek des Vatikans, wohin sie mit der Bibliotheca Palatina aus Heidelberg über die Alpen verfrachtet worden war. Bis auf eine Abschrift ihres Anfangs im 19. Jahrhundert ist bislang keine Einsicht in diese Schrift bekannt geworden; ebenso ist unbekannt, wie sie in die Palatina gelangte. Die andere Kopie wird seit 1768 in der historischen Gymnasialbibliothek des Christianeums in Hamburg-Altona verwahrt; diesem Manuskript fehlt die erste Lage und damit auch der Titel, der handschriftlich auf dem Rücken des Pergamenteinbands aus dem 16. Jahrhundert vermerkt ist. Der Autor ist in den zahlreichen Einträgen der Vorbesitzer genannt; erst der Besitzer, der die Handschrift im 18. Jahrhunderts erwarb, verzeichnete das Fehlen der ersten Lage. [...]

(aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia; Verfasserhistorie)

Enzinas Historia

Epilog

Die Handschrift des Francisco de Enzinas harrt auch im Jahr 2015 noch ihrer Digitalisierung, ebenso die einzige, 1893 in nur 100 Exemplaren in Bonn erschienene Übersetzung ins Deutsche von Hedwig Böhmer,  Denkwürdigkeiten vom Zustand der Niederlande und von der Religion in Spanien,  mit Einleitung und Anmerkungen von Eduard Böhmer.  Die Ausgabe ist weltweit in nur 8 Exemplaren in den Opacs nachgewiesen, das Exemplar in der Bibliothek des Christianeums hat Säuefraß im letzten Stadium. Ein Nachdruck von 1897, von der University of Toronto digitalisiert, zeigt im Vergleich eine Bearbeitung in den Fußnoten und Kommentaren - der "Nachdruck" war tatsächlich eine neue, veränderte Ausgabe der Übersetzung.

Anmerkung: Der Artikel erschien - ohne die beiden Wikipedia-Zitate und den Epilog - erstmals und mit Abdruck der URLn in: Christianeum. Mitteilungsblatt des Vereins der Freunde des Christianeums in Verbindung mit der Vereinigung ehemaliger Christianeer, 61. Jg., H. 1. Hamburg, Juni 2006. S. 58-63

Abbildungen: Bibliothek des Christianeums (public domain)

 

Quelle: http://histgymbib.hypotheses.org/576

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Aus meinem Journal des Luxus und der Moden


Zelle.

(Mai 2003)

Meine Zelle misst knapp fünfzehn Quadratmeter, durch einen Querriegel geteilt. Sie ist aus Stahlbeton, fensterlos und über eine Alarmanlage direkt mit der Polizei verbunden. In ihr herrscht, selbst bei entsicherter und geöffneter Tür, eine Stille, die so absolut ist, dass der Klimaregler sich anhört wie eine startende Boeing. Meine Zelle ist das Herz einer über 260 Jahre alten Bibliothek mit ca. 35-40 000 Bänden, die genaue Zahl weiß man nicht, die letzte Zählung war vor mehr als zwanzig Jahren. Die diese Bibliothek umgebende Lehranstalt, die ebenso so alt ist, hat eine äußere Hülle von 1972, die von dem dänischen Stararchitekten Arne Jacobsen entworfen wurde. Meine Zelle heißt „Bunker“.

***

Vor einer Reihe von Jahren bin ich einmal in einer 9. Klasse mit knapp dreißig auf mehrere Beutel verteilten Büchern zu meinem Deutsch-Unterricht erschienen, hatte die Beutel ausgekippt und die Anwesenden aufgefordert, sich eins der Bücher zu nehmen und es zu lesen. Es handelte sich sämtlich um Neuerscheinungen aus den letzten zwei, drei Jahren, Hardcover-Erstausgaben aus meiner eigenen Bibliothek. Die Idee war im Gespräch mit meinem Buchhändler entstanden. Wir hatten uns die Frage gestellt, wie man mehr oder weniger nagelneue und qualitativ überdurchschnittliche internationale Erzählungen und Romane, die man für die Altersklasse geeignet hält, in den Literaturunterricht der höheren Lehranstalten kriegt. Wir sprachen vermutlich, genau erinnere ich mich nicht, unter anderem über Ian McEwan und seinen „Zementgarten“, über Alex Garlands „Strand“ oder Andrzej Zaniewskis „Ratte“. Eine Anschaffung im Klassensatz war aus Kostengründen – und auch denen einer Logik der Lehre – ausgeschlossen. Leseliste? Zu riskant für meine Glaubwürdigkeit: Was ist, wenn sich einer meiner Abhängigen ein Buch für DM 48,- kauft auf meine Empfehlung und es hernach völlig blöd findet? Mit dem Buchhändler war ich kurz durchgegangen, was ich in den letzten Monaten, im letzten Jahr alles erworben hatte. Warum sollten die Sachen eigentlich, einmal gelesen, bei mir als Wandschmuck vergilben?

***

In meiner Zelle bin ich allein mit Lederrücken, die allerlei Absonderlichkeiten bergen. Ich bevorzuge das Prinzip des Zufalls. Der einzige bewegliche Gegenstand ist eine alte Sitzleiter. Ich schiebe sie irgendwohin, steige hinauf, sondiere das erreichbare Karree, greife mir einen kleinen schweinsledernen Schinken, setze mich auf den obersten Absatz der Leiter und untersuche das Fundstück, eine deutsche Sprachlehre von 1700 zum Beispiel. Sie ist nicht wirklich eine Grammatik, aber so etwas Ähnliches, eher ein Wörterbuch mit bereits enzyklopädischem Anspruch, und erweist sich als Anthologie der deutschsprachigen Lyrik des 16. und 17. Jahrhunderts. „Der Aemter Last ist groß / sind schwer die hohen Würden / Drumb pfleget man sie auch / den Eseln aufzubürden“ dichtet Daniel Georg Morhofen, um die Kunst des Epigramms zu verdeutlichen, die sich im 17. Jahrhundert bereits zur improvisierenden, geselligen Dichtung entwickelte und bis auf den heutigen Tag zum Formenschatz „höheren Unsinns“ gehört.

***

Der Verleih meiner Erstausgaben in der 9. Klasse hatte einwandfrei funktioniert. Das System war überschaubar gewesen: 1. Das Buch war im selben Zustand zurückzugeben. 2. Wer es innerhalb einer Woche nicht zurückgegeben hatte, musste es a) zuende lesen und b) der Klasse vorstellen, wofür man c) keine Note bekam. Es gab kaum Rückgänge, vielmehr einen lebhaften Tauschbetrieb und einen glücklichen Zufall. Einer der Romane, „Der Strand“, gerade drei Jahre alt, stand zur Verfilmung an, wie ein Mädchen aus „cinema“ zu zitieren wusste, mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle. Das half lesen. Man kann ja nie wissen.

***

In meiner Zelle blättere ich in den Briefen von Ludvig Holberg, Erstausgabe der deutschen Übersetzung aus dem Dänischen von 1749. Der Mann befindet sich auf Bildungsreise, schreibt ganz flott und krittelt ziemlich amüsant. „Sehen wir einen Bauern, der in die Hand die Nase schneuzt, und die Unreinigkeit auf die Erde wirft, so nennen wir ihn einen Tölpel; und vielleicht giebt der Bauer den Stadtleuten keinen bessern Tittel, wenn er sieht, dass sie diesen Unflat in ein Tuch legen und in die Tasche aufheben“, sagt er (Bd. III/IV, S.349). Neben den Gesamtausgaben der Briefe und der Komödien steht auch das Buch eines Anonymus in lateinischer Sprache, erschienen in Kopenhagen und Leipzig 1741, auf dessen Rücken jemand mit Feder und Tinte „Holberg“ gemalt hat. Der Titel annonciert die unterirdische Reise eines Herrn Klim. In der deutschen Übersetzung, ebenfalls von 1741, lese ich einen hinreißend komischen und politischen Zukunftsroman.

***

Wenn etwas funktioniert, wird man mitunter übermütig. Der Bücherverleih hatte so hübsche Ergebnisse gebracht, dass ich ihn für den Stein der Weisen hielt. Ich wollte mit ihm Geschichte machen. Die Kunstgeschichte ist gut zu lehren, habe ich doch exemplarisch die Bilder, die sofort und als Ganzes erfasst werden können. Mit der Literaturgeschichte geht das nicht so einfach. Kein Mensch, insbesondere wenn er ein Schüler ist, kann so viel lesen in so wenig Zeit. Ich kann Gedichte nehmen. Nur dann sind die Eleven nach einiger Zeit womöglich derer so überdrüssig, dass sie nie wieder welche lesen. Poesie sperrt sich gegen Zielformulierungen.

Ich hatte wieder eine Büchertasche gepackt, sie diesmal vor einem Leistungskurs ausgekippt, zum Zugriff aufgefordert und, nachdem sich jeder mehr oder weniger ratlos ein Buch gegriffen hatte, Nummern für die Titel verlesen, eine Reihenfolge, in der die Bücher dem Kurs vorzustellen seien. Die Vorstellung wurde von mir benotet. Für den Pechvogel mit der Nummer Eins war das gemein gewesen, denn ihm blieb nicht viel Zeit; mir, wie ich hernach feststellen sollte, allerdings auch nicht. Mein ehrgeiziger Plan, auf diese Weise eine kleine Geschichte des literarischen Geistes zu enthüllen, erwies sich als schweißtreibend, denn die Aufgabe, die Fäden aus dem Gewirr zu ziehen, lag bei mir; das daraus Selbstgestrickte hatte kein ordentliches Muster.

***

Eines Schulmorgens vor einiger Zeit bin ich aus meinem schwarzen Rennauto gestiegen mit schwarzen Gedanken: Ich geh’ nach Kalifornien. Ein geklauter Spruch, mit dem ich mir das „Kalifornien der Poesie“ von H. C. Andersen zur Drohung verfinstert hatte für den Fall, dass mir mal wieder etwas nicht passt. In der Morgenzeitung war zu lesen gewesen, dass die vorgesetzte Behörde meine Arbeit in Zukunft als Minutentakt mit Stellen hinterm Komma nach Tabelle faktorisieren werde. Ich geh’ nach Kalifornien und bau’ denen im Silicon Valley in ihre Häuser Klos, die aussehen, als hätten sie mal im Château Chambord gestanden. Moderne Zeiten: Statt nach Kalifornien ging ich in die Zelle.

***

Planung gerät manchmal durcheinander, wenn man zu schlau sein will. Mein Deutsch-Grundkurs im zweiten Semester kennt „Die Leiden des jungen Werthers“ nicht. Das wirft mein Programm über den Haufen, hatte ich doch diese Pflichtlektüre höherer Lehranstalten als längst erledigt vorausgesetzt. Werther muss sein und das Ganze bekommt ein neues Thema: Debüt. Ich packe wieder Bücher-Tüten. Die Hälfte der Exemplare ist soeben erschienen und kommt von meinem Buchhändler. Ich kenne nur die Klappentexte. Die Rückgabequote ist relativ hoch, denn einige der jungen Leute sind zum Buchhändler gegangen, um sich selbst ihre Erstlinge auszusuchen; andere haben auch ein von Mutter oder Onkel geschenktes Debüt daheim. Die von mir benoteten Buchvorstellungen der Kursteilnehmer erweisen sich als ausschlaggebend dafür, was ich selbst in den Sommerferien lesen werde, die Erstlinge von Gavalda, Kubicek, MacDonell oder Rouaud zum Beispiel.

***

Holberg steht gottlob oben im “Bunker” in dem Teil der Bibliothek, den wir „Magazin“ nennen – ein irreführender Name insofern, als dieser Teil, abgesehen vom „Bunker“, ebenso wie der “Lesesaal” unter dem Lehrerzimmer mit den modernen Beständen, eine Präsenz- und Leihbibliothek ist für uns, wenn auch doppelt und dreifach alarmgesichert, so dass Sie zwar hinaus können, aber nicht ohne weiteres hinein. In dieser klösterlichen Anlage soll man, wird mir gesagt, dünne, weiße Handschuhe anziehen, wenn man an die Bücher muss, vor allem an die in den unteren Reihen; dabei gehe es keineswegs um die eigene Haut, sondern darum, dass die Kulturgüter geschont und etwaige Schädlinge nicht weiter in die oberen Etagen verteilt werden. Ich habe mir in der Apotheke ein zweites Paar Allergiker-Handschuhe gekauft, weil eins immer in der Wäsche ist.

Wenn ich in meiner Zelle mit Ludvig Holberg verabredet bin, trage ich die weißen Handschuhe, weil ich das chic finde, und ich beschließe, einen Artikel zu schreiben über „Nicolai Klims Unterirdische Reise worinnen eine ganz Neue Erdbeschreibung wie auch eine umständliche Nachricht von der fünften Monarchie die uns bisher ganz und gar unbekannt gewesen, enthalten ist. Aus dem Büchervorrathe Herrn B. Abelins anfänglich lateinisch herausgegeben, jetzo aber ins Deutsche übersetzt.“

Meine deutsche Ausgabe ist eine Neuauflage von 1780, die ich habe ausleihen dürfen, weil sie vorne im „Magazin“ steht. Oben. „Ich habe dieses Werk schon öfters durch den Druck gemein machen wollen, es haben mich aber noch jederzeit wichtige Ursachen von diesem Vorhaben zurück gehalten“, hatte Herr B. Abelin, der wie der Roman eine Erfindung ist, bereits 1741 hinzu gefügt.

 

Nachwort

Das Journal des Luxus und der Moden, erschienen zwischen 1786 und 1827, war eine beliebte Monatszeitschrift für die neuesten Trends. Das Magazin wurde von der Bibliothek des Christianeums in Altona (heute Hamburg) gehalten; dieses und weitere Zeitschriftenbestände gelangten 1946/47 in die Staatsbibliothek Hamburg.

Ich führe seit über zehn Jahren einen Dateiordner mit jenem Titel auf meiner Festplatte, den ich immer mal wieder ergänze. Der oben stehende Text daraus: Zelle. erschien erstmals in: Christianeum. Mitteilungsblatt des Vereins der Freunde des Christianeums in Verbindung mit der Vereinigung ehemaliger Christianeer, 58. Jg., H. 2. Hamburg, Dezember 2003. S. 97ff.; er wurde hier leicht überarbeitet.

Felicitas Noeske

Quelle: http://histgymbib.hypotheses.org/542

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Sieben veritable Gründe, warum Gymnasialbibliotheken und –archive nicht bloggen sollten

Mit Empfehlung an BIÖG und den besten Wünschen für die Tagung!

narrenschiff.lochner.lat (2)

1. Inkunabel steht nicht im Lehrplan. Genau. Lehrer haben sich dran zu halten und sich nicht öffentlich mit einem Latein aufzuspielen, mit dem sie am Ende sind.

2. Ist das denn was für Schüler? Nein. Manchmal verirren sich welche, z. B. ins Archiv; die bekommen, wenn sie zu bleiben wagen, 15 Punkte und einen Schwung Postkarten mit hübschen Abbildungen.

3. „Das sind doch nur alte verschimmelte Bücher!“ So etwas zeigt man nicht, fasst man auch nicht an. Igitt.

4. „Sei bloß still!“ Sonst kommt noch der Handel und nimmt was weg, so wie z. B. in Stralsund.

5. Das gehört ohnehin in die Staatsbibliothek und ins Staatsarchiv. Das stimmt, denn dann müsste nicht drüber gebloggt werden. Und die Wissenschaftler kämen auch endlich dran. In zehn Jahren, wenn bei den Großen die zigtausend Einheiten katalogisiert sein werden.

6. Eine schicke Büchertapete auf der Homepage tut’s doch auch.

7. Deshalb macht’s (k)einer. Es bloggte (hörte aber auf): die Bismarckbibliothek in Karlsruhe. Es bloggt die Bibliothek mit Archiv des Christianeums in Hamburg. Und wer bitte noch?

Quelle: http://histgymbib.hypotheses.org/523

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Bayerische Eisenbahngeschichte: Online-Petition zur Rettung des 1858 errichteten Alten Bahnhofs Schleißheim

Im Jahre 1858 wurde in Oberschleißheim einer der ersten Bahnhöfe der gerade neu errichteten Bayerischen Ostbahnen fertiggestellt. Nachdem im Jahre 1835 mit dem Adler zwischen Nürnberg und Fürth die erste Eisenbahn auf deutschem Boden fuhr, stellte die Eröffnung des ‚Bahnhofs Schleißheim‘ für die Region und das Land einen Meilenstein in der Geschichte dar. Im Rahmen des Streckenausbaus wurde der Alte Bahnhof 1898 um sechs Meter verrückt, um Platz für zusätzliche Gleise zu schaffen. Da das Gebäude beide Weltkriege unbeschadet überdauert hatte, diente es bis zur Einführung des S-Bahnverkehrs im Jahre 1972 als Haltestelle. Seitdem wurde der Alte Bahnhof verschiedenen Nutzungsarten zugeführt, wobei die Bausubstanz zunehmend dem Verfall preisgegeben wird und das Gebäude sogar zur Disposition steht.

Das Gebäude steht nun seit Jahren leer und verfällt. Der mögliche Ausbau der Bahnstrecke und häufig wechselnde Besitzverhältnisse haben in den letzten Jahren eine Nutzung verhindert. Wir befürchten, dass ein baldiger Abriss nicht mehr auszuschließen ist. Die Initiative ‚Verrückter Alter Bahnhof Oberschleißheim‘ hat bereits seit 2008 verschiedene Anstrengungen unternommen, das Bahnhofsgebäude nutzbar zu machen. Dies stieß beim Konzern Deutsche Bahn AG als Eigentümer bisher nicht auf fruchtbaren Boden. Wir verlangen daher von der Deutsche Bahn AG auf, sich öffentlich zum Fortbestand des Gebäudes zu bekennen sowie seine Renovierung und Nutzung zu ermöglichen. Um dieser Forderung den entsprechenden Nachdruck zu verleihen, hat die Initiative eine Online-Petition gestartet, um den öffentlichen Druck zu erhöhen.

Die Online-Petition finden Sie unter bit.ly/vabosh-petition.

Nähere Informationen zur Initiative ‘Verrückter Alter Bahnhof Oberschleißheim’ (VABOSH) stehen zur Verfügung unter www.alterbahnhof-schleissheim.de.

Quelle: http://histbav.hypotheses.org/2777

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Das Schöpfungsportal des Freiburger Münsters

 

Gastbeitrag von Michael Schonhardt (Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.)

Einleitung

Seit dem 30. November 2013 empfängt das Augustiner-Museum Freiburg seine Besucher zur großen Baustelle Gotik. Die Sonderausstellung erfreut sich seitdem größter Beliebtheit und wurde unlängst bis Oktober 2014 verlängert. Gleich zu Beginn, am Eingang des großen Ausstellungsraumes, wird der Besucher von einem – gerade im Mittelalter – eher versteckten Schatz des Münsters begrüßt.1

Dieses kleinere Portal auf der Nordseite des spätgotischen Chores steht natürlich im Schatten der monumentalen Portalvorhalle im Westen. Durch seine besondere ikonographische Gestaltung der Genesis-Geschichte ist das Portal aber äußerst faszinierend, und das nicht nur für die Kunstgeschichte, sondern gerade auch für Wissenschaftshistoriker. Es erlaubt einen Einblick in den Stand der Wissenschaften in der Stadt Freiburg und deren Verbindungen zum Oberrhein im 14. Jahrhundert. Gerade deswegen ist es äußerst erfreulich, dass dieses Portal 2006 nicht nur umfassend restauriert wurde2, sondern seit dieser Zeit von verschiedenen Seiten neue Thesen zu Funktion, Baugeschichte und ideengeschichtlichem Hintergrund des Portals vorgelegt wurden.

 

Der folgende Beitrag möchte sich in Anlehnung an diese Forschung vor allem den kosmologischen Modellen der Archivoltfiguren, insbesondere des vierten Schöpfungstages, widmen. Zunächst soll die Außenansicht des Portals, dann der aktuelle Forschungsstand kurz vorgestellt werden. Darauf aufbauend möchte ich einige der jüngeren Thesen zum geistigen Hintergrund der Darstellungen kritisch würdigen und aus der Sicht der Wissenschaftsgeschichte ergänzen.

Das Schöpfungsportal am Freiburger Münster. Quelle Wikicommons, Nutzer: Daderot, Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.Das Schöpfungsportal am Freiburger Münster. Quelle Wikicommons, Nutzer: Daderot, Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.

Das Portal befindet sich auf der Nordseite des spätgotischen Chores und führte zur alten Andreaskapelle auf dem ehemaligen Friedhof. Ikonographisch ist das Portal (zumindest auf seiner Außenseite) ganz dem Genesisbericht verpflichtet: Während die Figuren der Archivolte die Schöpfung der Welt, aller Geschöpfe und des Menschen darstellen, behandelt das Tympanon in seinem oberen Feld, also dem Bogenscheitel, zunächst den Engelsturz.

Erster Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.Erster Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Darunter werden die Ursünde und die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies sowie die tägliche Mühsal als Folge ihres Vergehens geschildert. Die Figuren der Archivolten stellen die Schöpfung in einer zunächst befremdlichen Reihenfolge dar:

Beginnend oben links zeigt die erste Figur die Erschaffung des Himmelsgewölbes (Tag 1). Daneben scheidet Gott Vater das Licht von der Dunkelheit (Tag 2). Es folgt darunter die Erschaffung der Bäume am dritten Tag. Es folgt ein Sprung auf die linke Seite, wo die Erschaffung der Gestirne (4. Tag) anhand eines Sphärenmodells des Kosmos dargestellt ist.

Zweiter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.Zweiter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Ein erneuter Sprung führ zurück auf die rechte Seite zum fünften Tag, an dem die Fische und Vögel das Licht der Welt erblicken. Die drei übrigen Szenen der linken Seite illustrieren die Erschaffung des Menschen am sechsten Tag, bis Gottvater nach getanem Werk ruht (rechte Seite, vorletzte Figur). Die letzte Figurenszene zeigt die Vermählung von Adam und Eva.

Dritter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.Dritter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

In der Genesis heißt es dazu:

„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag. Dann sprach Gott: Ein Gewölbe entstehe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. Gott machte also das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes. So geschah es und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag. Dann sprach Gott: Das Wasser unterhalb des Himmels sammle sich an einem Ort, damit das Trockene sichtbar werde. So geschah es. […].

Vierter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.Vierter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tagen und Jahren dienen; sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, die über die Erde hin leuchten. So geschah es. Gott machte die beiden großen Lichter, das größere, das über den Tag herrscht, das kleinere, das über die Nacht herrscht, auch die Sterne. Gott setzte die Lichter an das Himmelsgewölbe, damit sie über die Erde hin leuchten, über Tag und Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Gott sah, dass es gut war.“3

Betrachtet man die entsprechenden Darstellungen des Freiburger Portals, vor allem der Erschaffung des Kosmos und der Gestirne, so wird deutlich, dass man sich hier nicht auf eine reine Wiedergabe des Genesistextes beschränkte. Vielmehr wurden naturwissenschaftliche Kosmos-Modelle der Zeit integriert, die in ihrem Informationsgehalt weit über den biblischen Bericht hinausgehen.  Vor allem der vierte Schöpfungstag, also die Erschaffung der Gestirne, besticht durch ein detailliertes Sphärenmodell, auf das im Folgenden mehrfach zurückzukommen sein wird (siehe Bild “Vierter Schöpfungstag”). In Freiburg verbindet sich also das biblische Wissen über die Schöpfung mit zeitgenössisch naturwissenschaftlichem Wissen über den Aufbau des Kosmos. Am Freiburger Schöpfungsportal, so stellte Karl Schaefer 1899 fest, „waltet ein anderer, man möchte sagen naturwissenschaftlicher Geist.“4

Forschungsstand

Mit Schaefers Aufsatz im Schau-ins-Land beginnt auch die wissenschaftliche Erforschung dieses Portals. Auch wenn dessen Arbeit sicherlich das Verdienst der ersten Würdigung des Portals zusteht, seine Thesen stellten sich freilich recht schnell als fragwürdig heraus. Die wichtigsten Meilensteine der älteren Forschung nach Schaefer sind die 1915 vorgelegte Studie des Freiburger Kunsthistorikers Wilhelm Vöge5 sowie ein Aufsatz von Adolf Weis von 19526. Daneben wurde das Chorportal natürlich auch in der Übersichtsliteratur zum Freiburger Münster rezipiert.7 Nach einer längeren Pause wurden 2005 und dann im Zuge der Restauration des Portals 2006 und 2007 gleich mehrere wissenschaftliche Publikationen zum Schöpfungsportal vorgelegt, zum einen eine Reihe baugeschichtlicher Studien,8 zum anderen aber auch neue Deutungsversuche9.

Besonders drei Fragen standen im Fokus dieser Forschungen:

  1. Die Frage nach der Einheitlichkeit des Portals und der Urheberschaft der Skulpturen (insbesondere das Verhältnis zur Parlerschule).
  2. Die stilistische Einordnung des Werks und die Frage nach etwaigen Vorbildern.
  3. Das ikonographische Programm und dessen kulturhistorischer Hintergrund.

Schaefer betonte 1899 – nicht ganz zu recht – die Einmaligkeit und Besonderheit des Zyklus, machte aber bereits auf vergleichbare Skulpturen in Worms, Ulm und vor allem Thann aufmerksam. Den „Freiburger Meister“ begrüßt er „als hochbegabten, selbstständig schaffenden, denkenden Künstler“.10 Die Entstehung der Figuren „möchte [… er] am liebsten in die Zeit vor 1400 setzen.“11 „Es macht ganz entschieden den Eindruck, als sei der ganze Bilderschmuck des Portals von einer Hand ausgeführt […].“12

Schöpfung in St. Theobald in Thann. Quelle: Wikicommons, Nutzer: Rama, Lizenz: CC BY-SA 2.0 FR (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/fr/deed.en)Schöpfung in St. Theobald in Thann. Quelle: Wikicommons, Nutzer: Rama, Lizenz: CC BY-SA 2.0 FR (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/fr/deed.en)

Diesen Thesen widersprach Wilhelm Vöge entschieden in seinem Beitrag für die Freiburger Münsterblätter. Hier nimmt er dezidiert Stellung gegen Schaefers Datierung und dessen These über die Urheberschaft eines einzelnen Meisters: „[W]ir haben, irre ich nicht, aus dieser Zeit nur wenige Portale, die ein so interessantes Neben- und Nacheinander verschiedener Hände und Stile zeigen, wie dieses, an sich nicht bedeutende Freiburger Chorportal der Nordseite.“13 Nach Vöge sei das Portal nicht aus einem Guss geschaffen, sondern ein Konglomerat verschiedener Stile, die teilweise eine oberrheinische Verbindung, insbesondere nach Straßburg, nahelegen: „Der Meister aber, der den Figurenschmuck der Archivolte – die Schöpfungsgeschichte – begonnen hat, ist nach Stil und Wesen weit altertümlicher als die anderen, ist der oberrheinischen – Straßburg-Freiburger – Blüte des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts noch rätselhaft nah.“14

Anders als Paul Hartmann15 reduziert Vöge den Einfluss der berühmten Parlerschule auf das Portal und spart gerade die interessanten Schöpfungsfiguren von diesem aus. Diese Figuren habe man schon ganz zu Beginn der Chorbauten erstellt, als die Parler damit noch nichts zu tun hatten (laut Inschrift begannen die Arbeiten am Chor 1354, erst 1359 wird Johann Parler mit der Bauleitung betraut)16.

Chorinschrift am Freiburger Münster. Quelle: Wikicommons, Nutzer: joergens.mi, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/).Chorinschrift am Freiburger Münster. Quelle: Wikicommons, Nutzer: joergens.mi, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/).

Er stellt abschließend fest: „[U]nser Meister der ersten Schöpfungstage, der älteste der am Portal beteiligten Meister, hat mit Schwaben und den Parlern nicht das geringste zu tun […]. Er ist Oberrheiner, wobei es dahingestellt bleiben mag, ob er mehr in Straßburg oder in Freiburg zu Hause war.“17

Vöges These einer Verbindung nach Straßburg wurde durch die nachfolgende Forschung weitgehend geteilt,18 wenngleich im Detail unterschiedlich bewertet. Während Kempf in seinem Freiburger Münster19 eine getreue Übernahme des Zyklus aus Straßburg annahm, vertrat Otto Schmitt20 die These einer Erweiterung des Skulpturenprogramms.

Ein grundlegend wissenschaftlicher Fortschritt gelang erst wieder 1952 durch Adolf Weis,21 der das ikonographische Programm der Figuren eingehend würdigte. Weis folgte Vöge darin, dass die ersten Figuren der Archivoltengruppen (die oberen zwei Szenen der linken Seite sowie die oberen drei Szenen der rechten Seite) der Straßburger Bildhauerwerkstatt um 1300 nahe stünden. Im Vergleich zu den anderen Figuren des Portals bestünde ein „tiefgreifende[r] Unterschied in Geist und Form“, der „zwingend auf den Anteil von mehreren Meistern oder zumindest Werkstätten an unserem Portal“ hinweist. Er  vermutet eine „grundlegende Planänderung“ für das Portal, die sich dadurch erklären ließe, „daß bereits im frühen 14. Jahrhundert ein Schöpfungsportal – vielleicht schon für einen neuen Chorbau – projektiert und begonnen, aber nicht vollendet wurde, von dem dann die ausgeführten Teile am heutigen Nordeingang verwendet wurden“.22

Straßburger Skulptur auf Stich des 17. Jahrhunderts. Aus Pinskus 2009.Straßburger Skulptur auf Stich des 17. Jahrhunderts. Aus Pinkus 2009.

Nicht nur der Stil des Meisters der fünf oberen Archivoltenfiguren lege eine Verbindung nach Straßburg nahe, auch die Ikonographie der Figuren stamme aus der Kathedralstadt am Oberrhein: Ein Stich des 17. Jahrhunderts bezeugt für das mittlere Westportal des Straßburger Münsters entsprechende Figuren, die allerdings den Kirchenstürmen der französischen Revolution zum Opfer gefallen sind und im 19. Jahrhundert keine originalgetreue Rekonstruktion erfuhren. Der Freiburger Meister habe seiner Ansicht nach auf Musterbücher der Straßburger Werkstatt zurückgegriffen, die ihrerseits durch die zeitgenössische Bibel-Malerei und byzantinische Kunst beeinflusst waren.23

Sphärenmodell am Freiburger Münster - Foto: privat Sphärenmodell am Freiburger Münster – Foto: privat.

Weis betonte auch als erster Forscher die Besonderheit des Sphärenmodels: „Im Straßburg-Freiburger Schöpferbild mit ‚Himmel und Erde‘ sowie vor allem in den ‚acht Sphären‘ hätten wir demnach wohl nichts anderes vor uns als die Umsetzung dieser Motive [gemeint sind Motive der zeitgenössischen Bibel-Malerei und byzantinischen Kunst] in die Monumentalplastik; der Kosmos, der in den Miniaturen gewissermaßen als Querschnitt durch die Himmelssphären aufzufassen ist, wird von den Bildhauern in Seitenansicht als wirkliches Gewölbe gegeben, unter dem die Planetenbahnen mit den aufgesetzten Gestirnen notwendigerweise als Ringe herausragen, um erkennbar zu werden.“24

Weis‘ Studie war der vorerst letzte Baustein der Forschung zum Schöpfungsportal, deren Stand sich folgendermaßen zusammenfassen lässt:

  • Die Skulpturen des Portals entstammen unterschiedlichen Händen und stilistischen Phasen.
  • Die oberen fünf Archivoltskulpturen gehen nicht auf die Parlerschule zurück, sondern sind früher und oberrheinisch geprägt.
  • Die Figuren stehen in starker Abhängigkeit von Straßburg und könnten über dortige Musterbücher von der Buchmalerei und der byzantinischen Kunst beeinflusst sein.

Erst in jüngster Zeit wurden die Forschungen zum Portal wieder aufgenommen. Seit 2006 befasste sich gleich eine ganze Reihe wissenschaftlicher Publikationen mit dessen Baugeschichte und Ikonographie.

Neuere Forschung zur Baugeschichte des Portals

Den ambitioniertesten Versuch einer Neubewertung der Portalskulpturen hat der Kunsthistoriker Assaf Pinkus vorgelegt. Zunächst 2006 in seinem deutschen Aufsatz für die Münsterblätter, 2009 folgte seine umfangreichere Monographie zur Parlerschule.25  Hier schlägt Pinkus gleich in doppelter Hinsicht eine alternative Lesart des Portals vor: zum einen ikonographisch (hierzu später mehr), zum anderen baugeschichtlich. Pinkus vertritt die These, das Chorportal bilde eine programmatische Einheit und ginge in seiner Gesamtheit auf die Planungen Johann Parlers zurück: “Eine Inschrift am nördlichen Chorportal belegt, dass der Grundstein 1354 gelegt wurde, während ein Dokument von 1359 die Anstellung des Meisters Johann von Gmünd nennt, der wahrscheinlich mit Johann Parler zu identifizieren ist. Obwohl Chor und Portal bereits fünf Jahre früher begonnen wurden, war Johann – so die naheliegende Vermutung – von Anfang an für Planung und Baubeginn verantwortlich.”26 Pinkus bezieht sinnvollerweise erstmals nicht nur die Innenseite des Schöpfungsportals in seine Studie mit ein, sondern auch das südliche Chorportal. Das nördliche Portal war seiner Einschätzung nach “im 14. Jahrhundert zweifellos vollendet”.27

Neben Pinkus’ Arbeit müssen vor allem Publikationen aus dem Umfeld der Restauration des Schöpfungsportals aus baugeschichtlicher Perspektive hervorgehoben werden. Zum einen die Studie von Johanna Quatmann zur Funktion und Farbgebung des versteckten Portals am Münster,28 zum anderen die penible Rekonstruktion des Bauprozesses durch Stefan King.29

Kings Untersuchungen bestätigen im Wesentlichen die Meinung der älteren Forschung, die Figuren des Portals unterschiedlich zu datieren. Für die fünf oberen Figuren hält er „die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts [für] wahrscheinlich“,30 womit Johann Parler als Urheber oder spiritus rector der oberen Figuren ausscheiden würde (auch wenn er natürlich für die Integration dieser Figuren in das Portal verantwortlich sein könnte). Seiner Ansicht nach seien diese früheren Skulpturen für ein früheres Bauprojekt geschaffen worden, für ein „nicht ausgeführtes Chorbauprojekt“, oder „eine geplante Aufwertung der Nordportale von Quer- oder Langhaus […]“.31 „Da die Skulpturen teilweise unvollendet blieben, kann vermutet werden, dass man die Arbeit niedergelegt hat, weil das Bauprojekt nicht mehr weiterverfolgt wurde. Dass sie überhaupt bis zu diesem Grad ausgearbeitet sind, könnte dem Umstand geschuldet sein, dass sie während des Versetzens hätten eingebaut werden müssen, und es sich deshalb empfohlen hat, früh genug, vielleicht schon lange vor dem eigentlichen Baubeginn, die Bildhauerarbeit aufzunehmen. Folglich ist es nicht unwahrscheinlich, dass man mit dem eigentlichen Bauvorhaben nie begonnen hat.“32

Zum kulturhistorischen Hintergrund der oberen Archivoltfiguren

Auch wenn sich Pinkus in seiner Annahme einer Parler’schen Provenienz des gesamten Portals wohl geirrt hat, seine ikonographische Neubewertung der Figuren bleibt trotzdem interessant. Er entlockt den beiden Portalen des Chores eine gemeinsame typologische Bedeutung, die Szenen beider Testamente in eine sinnhafte Beziehung zueinander setzt. Zum einen drücke sich in den Szenen die unio mystica aus, also die Verbindung von Seele und Schöpfer bzw. Christus. Zum anderen stünde das Programm der beiden Portale unter dem Motiv von Zurückweisung und Wiederaufnahme: Die Vertreibung aus dem Paradis, die letztlich durch die Inkarnation und das Opfer Jesu in der Erlösung mündet.33  

Im Anschluss an diese interessante Deutung der komplexen Poratlikonographie vertritt der Kunsthistoriker die These, das Schöpfungsportal zeige als eine Art astronomischer Kalender ein mit dieser Deutung in Verbindung stehendes liturgisches Fest an: “Die Freiburger Chorflankenportale scheinen dieser Typologie zu folgen. Miteinander verwoben sind der Fall der Engel, die Ursünde, die Ausweisung aus dem Paradies und die Erschaffung des Lichts im Sinne eines astronomischen Kalenders. Gott zeigt mit seinem Finger den Moment an, an dem diese Ereignisse stattfanden. Obwohl Zeichen des Zodiakus [Sternbilder, die zur Berechnung der Zeit dienen] in Freiburg nicht nachgewiesen werden können und deshalb der genaue Kalender nicht zu rekonstruieren ist, scheint es möglich, dass die astronomischen Zeichen ursprünglich auf die Himmelskugel gemalt waren bzw. daß eine Bemalung geplant war. Jedenfalls verweist der Zeigefinger Gottes, der ‘didaktisch zeigt’ […] auf die Tradition des astrologischen Kalenders.”34 Auch wenn seiner typologischen Interpretation des Bildprogramms zu folgen ist, mit der Deutung des Sphärenmodells als astrologischer Kalender schießt Pinkus meiner Ansicht nach etwas über das Ziel hinaus. Zum einen wäre die naheliegendste Erklärung für den didaktischen Zeigefinger Gottes wohl eher eine didaktische Funktion des Modells, zum anderen konnte Johanna Quatmann keine mittelalterliche Bemalung der Figuren feststellen. Vor diesem Hintergrund bleibt Pinkus’ interessantes Gedankenspiel bloße Spekulation.  

Wahrscheinlicher ist allerdings seine Vermutung, die Darstellung der ersten Schöpfungstage sei nicht von der zeitgenössischen Kunst inspiriert, sondern von wissenschaftlichen Vorstellungen über den Kosmos: „The arrangement of the stars [des Sphärenmodells] […] reflects a simplified model of the cosmos, corresponding to fourteenth-century cosmology”,35 genauer auf die Kosmologie von Johannes von Sacrobosco und Albertus Magnus: “(E)rkennbar sind die Sonne in der vierten Sphäre und ein Halbmond in der zweiten Sphäre.” Am nebenstehenden Thanner Modell ist dies eindeutiger zu erkennen. Dem “Freiburger Digramm [entspricht] die Kosmologie von Albertus Magnus. Die Anregung für dieses Vorbild muss nicht notwendig außerhalb von Freiburg gesucht werden, da Albertus Magnus schon um 1235 Theologie am Predigerkloster in Freiburg lehrte.”36

Sphärenmodell aus St. Theobald in Thann mit der Sonne an vierter Stelle.Sphärenmodell aus St. Theobald in Thann mit der Sonne an vierter Stelle. Aus Pinkus 2009.

Ähnlich argumentiert auch Wolfgang Schneider, dessen Aufsatz schon 2005 erschienen ist, von Pinkus aber nach Ausweis der Fußnoten nicht rezipiert wurde. Auch er betont die Anordnung der Planeten, die sich “ganz erheblich von früheren, bis dahin überlieferten Vorstellungen vom Kosmos” unterscheide und eine aristotelisch geprägte Deutung des Kosmos vertrete.37

“[E]in kleines Detail […] verrät, daß diesem Bild eine noch neure Vorstellung vom Kosmos zugrunde lag. Die schmalen Ränder der inneren Kugelschalen lassen nämlich jeweils einen stilisierten Stern/Planeten erkennen – außer der vierten Kugelschale, die mit einer stilisierten Sonne besonders gekennzeichnet ist. In Platons Kosmos kreist die Sonne jedoch an zweiter Stelle um die Erde. Der Entwerfer des Bildwerkes am Schöpfungsportal hat sich offenbar an dem ‘neuen’ Weltbild des Aristoteles (384-322 v. Ch.) orientiert”, “[d]essen […] philosophisches und wissenschaftliches System […] im 12. Jahrhundert durch Übersetzungen aus dem Arabischen im Abendland wiederentdeckt [wurde]“,  und sich im “13. Jahrhundert weitgehend durchgesetzt” hat.38Das Portal wäre damit als dezidierte Rezeption der aristotelischen Lehre zu deuten, und das, obwohl es in Freiburg ”im 14. Jahrhundert weder eine Kathedralschule noch eine Universität gab […].”39 Als intellektueller Urheber “wäre indes der Konvent der Dominikaner zu sehen, der rund ein Jahrhundert vor der Errichtung des Schöpfungsportals den Ordensbruder Albertus Magnus mehrmals zu seinen Besuchern zählen durfte; jener herausragende Wissenschaftler, der mit Thomas von Aquin die Synthese von Aristotelismus und Christentum vollzog. Könnte die Anregung für das Bildprogramm am Schöpfungsportal von naturphilosophisch gebildeten Mönchen dieses Klosters ausgegangen sein, die in der Nachfolge des Heiligen Albert sich intensiv den Wissenschaften widmeten?”40

Träfen diese Annahmen zu, wäre dies außerordentlich schmeichelhaft für Freiburg, das sich sogar schon in voruniversitärer Zeit als intellektuelles Schwergewicht am Oberrhein positionieren könnte. Sie sind aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive aber leider nicht sehr wahrscheinlich.

Der Einfluss naturwissenschaftlicher Ideen auf das Schöpfungsportal

Zunächst beziehen sich sowohl Pinkus als auch Schneider auf eine sehr holzschnittartige Lesart der Ideengeschichte, die die mittelalterlichen Naturwissenschaft in zwei Phasen unterteilt: In eine frühe Phase, die vor allem platonisch geprägt ist, und eine spätere Phase, die auf dem neu entdeckten (und vor allem neu übersetzten) corpus aristotelicum basiert. Diese Einteilung mag als grobe Richtschnur sicher sinnvoll sein, die Ideengeschichte mittelalterlicher Kosmsosvorstellungen ist in Wirklichkeit aber weit komplexer, gerade was die Ordnung der Planeten betrifft.41  

In der antiken und mittelalterlichen Kosmologie unterschied man mit Blick auf die Planeten grob gesprochen zwischen zwei Ordnungssystemen: Der Ägyptischen Ordnung (Erde – Sonne – Mond – Merkur – Venus …) sowie der Chaldäischen Ordnung (Erde – Mond – Merkur – Venus – Sonne …). Während Plato sich für die Ägyptische Einteilung entschied, befolgte Aristoteles in Anlehnung an Archimedes das Chaldäische System. Den Gelehrten der Spätantike und des Mittelalters waren diese konkurrierenden Entwürfe wohl bekannt.

So überliefert bereits Ciceros kosmologisches Werk über den Traum des Scipio die Chaldäische Reihung mit der Sonne als dem mittleren der Planeten. Sein Kommentator Macrobius klärt den mittelalterlichen Leser auf:

“Als nächstes müssen wir einige Dinge über die Ordnung der Sphären sagen, eine Angelegenheit, in der sich Cicero von Plato unterscheidet, da er von der Sphäre der Sonne als der vierten von sieben spricht, die eine mittlere Stellung einnimmt. Dagegen sagt Plato, dass sie gleich über dem Mond steht und damit von oben gezählt den sechsten Platz der sieben Sphären [also den zweiten von der Erde aus betrachtet] einnimmt. Cicero ist in Übereinstimmung mit Archimedes und dem Chaldäischen System; Plato folgt den Ägyptern, den Urhebern aller Zweige der Philosophie, die die Sonne zwischen Mond und Merkur positioniert haben, auch wenn sie die Gründe, aus denen andere schlossen, die Sonne stünde über Merkur und Venus, herausfanden und darlegten.”42

Dieses Bewusstsein gab es auch in der Hochphase des Neuplatonismus. Wilhelm von Conches weist noch im 12. Jahrhundert auf die unterschiedlichen Thesen zur Reihung der Planeten hin, auch wenn er selbst die platonische bevorzugte: Seinem Herzog legt er im Lehrgedicht Dragmaticon in Reaktion auf die Darstellung einer platonischen Planetenreihung die Frage an seinen Lehrer in den Mund: “Wieso sagst du, dass Venus der vierte und Merkur der fünfte Planet nach Plato ist? Gab es andere Philosophen, die anderes behaupten?”, worauf dieser auch die abweichenden Lehrmeinungen zur Sprache bringt.43 Die als richtig erachtete Reihenfolge der Planeten änderte sich also nicht schlagartig während des 13. Jahrhunderts, sondern war im gesamten Mittelalter Gegenstand einer virulenten Debatte. Durch Martianus Capella kannte man darüber hinaus bereits im frühen Mittelalter neuplatonische Versuche einer synthetischen Erklärung des Gelehrtenstreits: In Wirklichkeit hätten sich die Planeten Venus und Merkur nämlich nicht um die Erde gedreht, sondern hätten die Sonne als Zentrum ihrer Bahnen. Je nach Konstellation erschienen daher zuweilen die beiden Planeten, zuweilen die Sonne näher zu Erde (und damit an zweiter bzw. vierter Stelle im Sphärensystem).

Diagramm zum Verhaltnis von Sonne, Merkur und Venus. Aus St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 248, fol. 82v. Lizenz: CC BY-NC 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/).Diagramm zum Verhaltnis von Sonne, Merkur und Venus. Aus St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 248, fol. 82v. Lizenz: CC BY-NC 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/).

Mit Blick auf das intellektuelle Niveau des Schöpfungsportales ist besonders bezeichnend, dass die aristotelisch inspirierte Reihenfolge der Planeten gerade nicht nur in der scholastischen Literatur des höheren Universitätsniveaus gepflegt wurde, sondern auch in Texten zu finden ist, die zur absoluten Grundlagenbildung des Mittelalters gehören, vor allem Bedas De natura rerum44 und der Imago mundi des Honorius.45  Diese Texte erfreuten sich außerordentlicher Beliebtheit und wurden auch an “gewöhnlicheren” Bildungseinrichtungen, etwa einer Klosterschule, gelehrt. So schreibt Beda im 13. Kapitel seiner kosmologischen Enzyklopädie:

“Der oberste der Planeten ist der Stern des Saturn, der von Natur aus sehr kalt ist. Er vollendet seinen Kurs um die Sonne in dreißig Jahren. Dann kommt der Jupiter, temperiert, mit zwölf Jahren. Als drittes Mars, extrem heiß, der zwei Jahre benötigt. In der Mitte ist die Sonne, [die] in 365 Tagen [die Erde umrundet]. Darunter steht die Venus, die auch Lucifer und Vesper genannt wird, und 348 Tage benötigt. […] Danach kommt der Stern des Merkur, der neun Tage schneller ist. […] An letzter Stelle kommt der Mond […].”46

Auch auf der ikonographischen Ebene ist dieser Befund festzustellen. Die wissenschaftlichen Texte der Spätantike wurden ins Mittelalter weitgehend unillustriert überliefert. Erst in der Karolingerzeit wurden den komplexen Texten Diagramme als klärende und didaktische Hilfsmittel beigegeben. Interessanterweise spiegelt sich die virulente Forschungsdebatte um die Ordnung der Planeten kaum in diesen Diagrammen. Bruce Eastwood hat vielmehr darauf hingewiesen, dass die diagrammatische Tradition der Kosmosdiagramme die Chaldäische Ordnung der Ägyptischen vorzieht, auch wenn der Text selbst die platonische Reihung propagierte.47 Mittelalterliche Kosmos-Diagramme überliefern daher auch in früherer Zeit mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Reihenfolge der Planeten, die die Sonne – wie im Fall des Freiburger Schöpfungsportals – an vierter Stelle der Planeten positionieren, so ein Kosmosmodell der Arnsteinbibel aus dem frühen 13. Jahrhundert.

Kosmosdarstellung aus British Library, Harley 2799, fol. 242r (http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/ILLUMIN.ASP?Size=mid&IllID=17378) Kosmosdarstellung aus British Library, Harley 2799, fol. 242r (http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/ILLUMIN.ASP?Size=mid&IllID=17378).

Auch wenn die naturphilosophischen Schriften des Aristoteles erst im 13. Jahrhundert eine nennenswerte Verbreitung gefunden haben, war die von ihm gewählte Reihenfolge der Planeten also wohl bekannt und in mittelalterlichen Standardwerken, von denen hier nur einige wenige Beispiele gegeben wurden, in Wort und Bild allgegenwärtig. Ideengeschichtlich lässt sich das Schöpfungsportal daher keineswegs auf neuere wissenschaftliche Strömungen zurückführen. Mit Blick auf die Freiburger Bildungslandschaft und dem anzunehmenden Bildungsgrad der für den Bau Verantwortlichen ist es im Gegenteil viel wahrscheinlicher, dass die inhaltliche Vorlage in den gerade im außeruniversitären Bereich gelehrten Standardwerken von Beda oder Honorius zu sehen ist. Ein Umstand, der dann gerade nicht für eine außerordentliche Bildung des etwaigen spiritus rector sprechen würde.

Meiner Ansicht nach ist Pinkus zwar insofern zuzustimmen, dass die Vorlage des Freiburger Sphärenmodells im wissenschaftlichen Bereich zu suchen ist. Der lehrende Gestus des Schöpfers verweist dabei recht konkret auf eine wahrscheinliche Vorlage für das Sphärenmodell. Gelehrt wurde im Mittelalter nicht nur durch das Lesen bzw. Vorlesen bestimmter Texte, sondern vor allem mit Bezug auf visuelle Hilfsmittel, den Diagrammen. Das oben stehende Beispiel verdeutlicht eindrücklich die ikonographische Nähe des Freiburger Modells zu diesen didaktischen Abbildungen, die in jeder Schule und jedem Kloster in Hülle und Fülle vorhanden waren.

Das Freiburger Sphärenmodell ist als getreue Umsetzung eines gewöhnlichen und ubiquitär anzutreffenden Diagramms des Kosmos also kein Ausweis besonderer Bildung des 14. Jahrhunderts. Gleichwohl stellt es ein beeindruckendes Beispiel für das Interesse der Zeitgenossen an der Schöpfung dar, das über eine rein religiöse Deutung weit hinausreicht. Insofern, um auf Karl Schaefer zurückzukommen, waltete in Freiburg und am Oberrhein vielleicht tatsächlich „ein anderer, man möchte sagen naturwissenschaftlicher Geist.“48

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Michael Schonhardt promoviert bei Prof. Dr. Birgit Studt (Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte II) an der Universität Freiburg und ist Mitarbeiter im Erzbischöflichen Archiv Freiburg. Er beschäftigt sich mit der Tradition und Rezeption von theoretischem Wissen über die Natur im 12. Jahrhundert und begleitet seine Dissertation mit einem Blog unter quadrivium.hypotheses.org. Seine Masterarbeit (Michael Schonhardt: Kloster und Wissen – Die Arnsteinbibel und ihr Kontext im frühen 13. Jahrhundert. Reihe Septem 2, Freiburg 2014.) hat er zu naturwissenschaftlichen Diagrammen des hohen Mittelalters verfasst. Im Rahmen seiner Archivtätigkeit publiziert er außerdem ein Kriegstagebuch aus dem Ersten Weltkrieg.

  1. Vgl. Quatmann, Johanna: Das versteckte Portal am Münster?  In: Münsterblatt 13 (2006), S. 13-19.
  2. Vgl. Kürten, Luzius: Steinrestaurierung und -konservierung am Schöpfungsportal. In: Münsterblatt 13 (2006), S. 21-23; King, Stefan: Bauforschung am Schöpfungsportal. In: Münsterblatt 14 (2007), S. 38.
  3. Genesis 1.1-18.
  4. Schaefer, Karl: Die Weltschöpfungsbilder am Chorportal des Freiburger Münsters. In: Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland 26 (1899), S. 11-24, hier S. 16.
  5. Vöge, Wilhelm: Zum Nordportal des Freiburger Münsters. In: Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters 11 (1915), S. 1-9.
  6. Weis, Adolf: Das Freiburger Schöpfungsportal und das Musterbuch von Strassburg. In: Das Münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft 5 (1952), S. 181-193.
  7. Vgl etwa Hartmann, Paul: Die gotische Monumentalplastik in Schwaben. München 1910; Kempf, Friedrich: Das Freiburger Münster. Karlsruhe 1926, S. 1-9; Schmitt, Otto: Gotische Skulpturen des Freiburger Münsters. Frankfurt 1926, S. 59-60 (jeweils mit umfangreichen Bildmaterial); Lüdke, Dietmar: Artikel in: Die Parler und der schöne Stil 1350-1400. Bd. 1. Köln 1978, S. 298-299; Ingeborg Krummer-Schroth: Geschichte und Einordnung der Skulpturen. In: Die Skulpturen des Freiburger Münsters. Freiburg 3. Auflage 1999, S. 119-121.
  8. Vgl. Quatmann: das versteckte Portal; King, Stefan:
    Zum Schöpfungsportal des Freiburger Münsters: ein Bildprogramm mit “Stilbruch”
    King, Stefan. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 37 (2008), S. 69-76.
  9. Pinkus, Assaf: Das Schöpfungsportal: Kunst und Lehre im mittelalterlichen Freiburg. In: Münsterblatt 13 (2006), S. 4-12; Ders.: Patrons and Narratives of the Parler School. The Marian Tympana 1350-1400. München/Berlin 2009; Schneider, Wolfgang: Ein Modell des Kosmos am Schöpfungsportal des Freiburger Münsters. In: Freiburger Diözesanarchiv 125 (2005), S. 241-248.
  10. Schaefer: Die Weltschöpfungsbilder, S. 19.
  11. Ebd., S. 21
  12. Ebd., S. 20.
  13. Vöge: Zum Nordportal, S. 2.
  14. Ebd., S. 2.
  15. Die gotische Monumentalplastik.
  16. Vgl. Adam, Ernst: Artikel in: Die Parler und der schöne Stil 1350-1400. Bd. 1. Köln 1978, S. 293.
  17. Vöge, Zum Nordportal, S. 6.
  18. anders Ingeborg Krummer-Schroth: Geschichte und Einordnung der Skulpturen.
  19. Vgl. Kempf: Das Freiburger Münster.
  20. Vgl. Schmitt: Gotische Skulpturen.
  21. Vgl. Weis: Das Freiburger Schöpfungsportal.
  22. Ebd., S. 183.
  23. Ebd., S. 189.
  24. Ebd., S. 186.
  25. Vgl. Pinkus:  Das Schöpfungsportal; Ders. Patrons and Narratives.
  26. Pinkus: Das Schöpfungsportal, S. 4.
  27. Ebd.
  28. Vgl. Quatmann: Das versteckte Portal.
  29. Vgl. King: Zum Schöpfungsportal.
  30. Ebd., S. 74.
  31. Ebd., S. 76
  32. Ebd.
  33. Vgl. Pinkus: Das Schöpfungsportal, S. 9-11.
  34. Ebd., S. 11.
  35. Pinkus: Patrons and Narratives, S. 209.
  36. Pinkus: Das Schöpfungsportal, S. 9.
  37. Schneider: Ein Modell des Kosmos, S. 242.
  38. Schneider: Ein Modell des Kosmos, S. 243-244.
  39. Ebd., S. 247.
  40. Ebd.
  41. Vgl. zum folgenden Eastwood, Bruce: Ordering the Heavens. Roman Astronomy and Cosmology in the Carolingian Renaissance. Leiden 2007, S. 31-52.
  42. Frei übersetzt Macrobius: Commentarii in Somnium Scipionis (ed. J. Willis 1970.), Buch 1. Kap. 16.
  43. Frei übersetzt nach Wilhelm von Conches: Dragmaticon Philosophiae (ed. von I. Ronca und A. Badia, 1997. In: CCCM 152.), Buch 4, Kap. 5.
  44. Beda: De natura rerum liber ed. von C. W. Jones ,1975. In: CCSL 123A.
  45. Honorius: De imago mundi ed. V. I. J. Flint, 1982. Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 49 (1982), S. 48-151.
  46. Frei übersetzte nach Beda: De natura rerum liber, Buch 13.
  47. Vgl. Eastwood: Ordering the Heavens, S. 47f.
  48. Schaefer: Weltschöpfungsbilder, S. 16.

 

 

Quelle: http://oberrhein.hypotheses.org/549

Weiterlesen

Das Schöpfungsportal des Freiburger Münsters

Gastbeitrag von Michael Schonhardt (Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.)

Einleitung

Seit dem 30. November 2013 empfängt das Augustiner-Museum Freiburg seine Besucher zur großen Baustelle Gotik. Die Sonderausstellung erfreut sich seitdem größter Beliebtheit und wurde unlängst bis Oktober 2014 verlängert. Gleich zu Beginn, am Eingang des großen Ausstellungsraumes, wird der Besucher von einem – gerade im Mittelalter – eher versteckten Schatz des Münsters begrüßt.1

Dieses kleinere Portal auf der Nordseite des spätgotischen Chores steht natürlich im Schatten der monumentalen Portalvorhalle im Westen. Durch seine besondere ikonographische Gestaltung der Genesis-Geschichte ist das Portal aber äußerst faszinierend, und das nicht nur für die Kunstgeschichte, sondern gerade auch für Wissenschaftshistoriker. Es erlaubt einen Einblick in den Stand der Wissenschaften in der Stadt Freiburg und deren Verbindungen zum Oberrhein im 14. Jahrhundert. Gerade deswegen ist es äußerst erfreulich, dass dieses Portal 2006 nicht nur umfassend restauriert wurde2, sondern seit dieser Zeit von verschiedenen Seiten neue Thesen zu Funktion, Baugeschichte und ideengeschichtlichem Hintergrund des Portals vorgelegt wurden.

Der folgende Beitrag möchte sich in Anlehnung an diese Forschung vor allem den kosmologischen Modellen der Archivoltfiguren, insbesondere des vierten Schöpfungstages, widmen. Zunächst soll die Außenansicht des Portals, dann der aktuelle Forschungsstand kurz vorgestellt werden. Darauf aufbauend möchte ich einige der jüngeren Thesen zum geistigen Hintergrund der Darstellungen kritisch würdigen und aus der Sicht der Wissenschaftsgeschichte ergänzen.

Das Schöpfungsportal am Freiburger Münster. Quelle Wikicommons, Nutzer: Daderot, Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.

Das Schöpfungsportal am Freiburger Münster. Quelle Wikicommons, Nutzer: Daderot, Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.

Das Portal befindet sich auf der Nordseite des spätgotischen Chores und führte zur alten Andreaskapelle auf dem ehemaligen Friedhof. Ikonographisch ist das Portal (zumindest auf seiner Außenseite) ganz dem Genesisbericht verpflichtet: Während die Figuren der Archivolte die Schöpfung der Welt, aller Geschöpfe und des Menschen darstellen, behandelt das Tympanon in seinem oberen Feld, also dem Bogenscheitel, zunächst den Engelsturz.

Erster Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Erster Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Darunter werden die Ursünde und die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies sowie die tägliche Mühsal als Folge ihres Vergehens geschildert. Die Figuren der Archivolten stellen die Schöpfung in einer zunächst befremdlichen Reihenfolge dar:

Beginnend oben links zeigt die erste Figur die Erschaffung des Himmelsgewölbes (Tag 1). Daneben scheidet Gott Vater das Licht von der Dunkelheit (Tag 2). Es folgt darunter die Erschaffung der Bäume am dritten Tag. Es folgt ein Sprung auf die linke Seite, wo die Erschaffung der Gestirne (4. Tag) anhand eines Sphärenmodells des Kosmos dargestellt ist.

Zweiter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Zweiter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Ein erneuter Sprung führ zurück auf die rechte Seite zum fünften Tag, an dem die Fische und Vögel das Licht der Welt erblicken. Die drei übrigen Szenen der linken Seite illustrieren die Erschaffung des Menschen am sechsten Tag, bis Gottvater nach getanem Werk ruht (rechte Seite, vorletzte Figur). Die letzte Figurenszene zeigt die Vermählung von Adam und Eva.

Dritter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Dritter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

In der Genesis heißt es dazu:

„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag. Dann sprach Gott: Ein Gewölbe entstehe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. Gott machte also das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes. So geschah es und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag. Dann sprach Gott: Das Wasser unterhalb des Himmels sammle sich an einem Ort, damit das Trockene sichtbar werde. So geschah es. […].

Vierter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Vierter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tagen und Jahren dienen; sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, die über die Erde hin leuchten. So geschah es. Gott machte die beiden großen Lichter, das größere, das über den Tag herrscht, das kleinere, das über die Nacht herrscht, auch die Sterne. Gott setzte die Lichter an das Himmelsgewölbe, damit sie über die Erde hin leuchten, über Tag und Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Gott sah, dass es gut war.“3

Betrachtet man die entsprechenden Darstellungen des Freiburger Portals, vor allem der Erschaffung des Kosmos und der Gestirne, so wird deutlich, dass man sich hier nicht auf eine reine Wiedergabe des Genesistextes beschränkte. Vielmehr wurden naturwissenschaftliche Kosmos-Modelle der Zeit integriert, die in ihrem Informationsgehalt weit über den biblischen Bericht hinausgehen.  Vor allem der vierte Schöpfungstag, also die Erschaffung der Gestirne, besticht durch ein detailliertes Sphärenmodell, auf das im Folgenden mehrfach zurückzukommen sein wird (siehe Bild “Vierter Schöpfungstag”). In Freiburg verbindet sich also das biblische Wissen über die Schöpfung mit zeitgenössisch naturwissenschaftlichem Wissen über den Aufbau des Kosmos. Am Freiburger Schöpfungsportal, so stellte Karl Schaefer 1899 fest, „waltet ein anderer, man möchte sagen naturwissenschaftlicher Geist.“4

Forschungsstand

Mit Schaefers Aufsatz im Schau-ins-Land beginnt auch die wissenschaftliche Erforschung dieses Portals. Auch wenn dessen Arbeit sicherlich das Verdienst der ersten Würdigung des Portals zusteht, seine Thesen stellten sich freilich recht schnell als fragwürdig heraus. Die wichtigsten Meilensteine der älteren Forschung nach Schaefer sind die 1915 vorgelegte Studie des Freiburger Kunsthistorikers Wilhelm Vöge5 sowie ein Aufsatz von Adolf Weis von 19526. Daneben wurde das Chorportal natürlich auch in der Übersichtsliteratur zum Freiburger Münster rezipiert.7 Nach einer längeren Pause wurden 2005 und dann im Zuge der Restauration des Portals 2006 und 2007 gleich mehrere wissenschaftliche Publikationen zum Schöpfungsportal vorgelegt, zum einen eine Reihe baugeschichtlicher Studien,8 zum anderen aber auch neue Deutungsversuche9.

Besonders drei Fragen standen im Fokus dieser Forschungen:

  1. Die Frage nach der Einheitlichkeit des Portals und der Urheberschaft der Skulpturen (insbesondere das Verhältnis zur Parlerschule).
  2. Die stilistische Einordnung des Werks und die Frage nach etwaigen Vorbildern.
  3. Das ikonographische Programm und dessen kulturhistorischer Hintergrund.

Schaefer betonte 1899 – nicht ganz zu recht – die Einmaligkeit und Besonderheit des Zyklus, machte aber bereits auf vergleichbare Skulpturen in Worms, Ulm und vor allem Thann aufmerksam. Den „Freiburger Meister“ begrüßt er „als hochbegabten, selbstständig schaffenden, denkenden Künstler“.10 Die Entstehung der Figuren „möchte [… er] am liebsten in die Zeit vor 1400 setzen.“11 „Es macht ganz entschieden den Eindruck, als sei der ganze Bilderschmuck des Portals von einer Hand ausgeführt […].“12

Schöpfung in St. Theobald in Thann. Quelle: Wikicommons, Nutzer: Rama, Lizenz: CC BY-SA 2.0 FR (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/fr/deed.en)

Schöpfung in St. Theobald in Thann. Quelle: Wikicommons, Nutzer: Rama, Lizenz: CC BY-SA 2.0 FR (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/fr/deed.en)

Diesen Thesen widersprach Wilhelm Vöge entschieden in seinem Beitrag für die Freiburger Münsterblätter. Hier nimmt er dezidiert Stellung gegen Schaefers Datierung und dessen These über die Urheberschaft eines einzelnen Meisters: „[W]ir haben, irre ich nicht, aus dieser Zeit nur wenige Portale, die ein so interessantes Neben- und Nacheinander verschiedener Hände und Stile zeigen, wie dieses, an sich nicht bedeutende Freiburger Chorportal der Nordseite.“13 Nach Vöge sei das Portal nicht aus einem Guss geschaffen, sondern ein Konglomerat verschiedener Stile, die teilweise eine oberrheinische Verbindung, insbesondere nach Straßburg, nahelegen: „Der Meister aber, der den Figurenschmuck der Archivolte – die Schöpfungsgeschichte – begonnen hat, ist nach Stil und Wesen weit altertümlicher als die anderen, ist der oberrheinischen – Straßburg-Freiburger – Blüte des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts noch rätselhaft nah.“14

Anders als Paul Hartmann15 reduziert Vöge den Einfluss der berühmten Parlerschule auf das Portal und spart gerade die interessanten Schöpfungsfiguren von diesem aus. Diese Figuren habe man schon ganz zu Beginn der Chorbauten erstellt, als die Parler damit noch nichts zu tun hatten (laut Inschrift begannen die Arbeiten am Chor 1354, erst 1359 wird Johann Parler mit der Bauleitung betraut)16.

Chorinschrift am Freiburger Münster. Quelle: Wikicommons, Nutzer: joergens.mi, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/).

Chorinschrift am Freiburger Münster. Quelle: Wikicommons, Nutzer: joergens.mi, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/).

Er stellt abschließend fest: „[U]nser Meister der ersten Schöpfungstage, der älteste der am Portal beteiligten Meister, hat mit Schwaben und den Parlern nicht das geringste zu tun […]. Er ist Oberrheiner, wobei es dahingestellt bleiben mag, ob er mehr in Straßburg oder in Freiburg zu Hause war.“17

Vöges These einer Verbindung nach Straßburg wurde durch die nachfolgende Forschung weitgehend geteilt,18 wenngleich im Detail unterschiedlich bewertet. Während Kempf in seinem Freiburger Münster19 eine getreue Übernahme des Zyklus aus Straßburg annahm, vertrat Otto Schmitt20 die These einer Erweiterung des Skulpturenprogramms.

Ein grundlegend wissenschaftlicher Fortschritt gelang erst wieder 1952 durch Adolf Weis,21 der das ikonographische Programm der Figuren eingehend würdigte. Weis folgte Vöge darin, dass die ersten Figuren der Archivoltengruppen (die oberen zwei Szenen der linken Seite sowie die oberen drei Szenen der rechten Seite) der Straßburger Bildhauerwerkstatt um 1300 nahe stünden. Im Vergleich zu den anderen Figuren des Portals bestünde ein „tiefgreifende[r] Unterschied in Geist und Form“, der „zwingend auf den Anteil von mehreren Meistern oder zumindest Werkstätten an unserem Portal“ hinweist. Er  vermutet eine „grundlegende Planänderung“ für das Portal, die sich dadurch erklären ließe, „daß bereits im frühen 14. Jahrhundert ein Schöpfungsportal – vielleicht schon für einen neuen Chorbau – projektiert und begonnen, aber nicht vollendet wurde, von dem dann die ausgeführten Teile am heutigen Nordeingang verwendet wurden“.22

Straßburger Skulptur auf Stich des 17. Jahrhunderts. Aus Pinskus 2009.

Straßburger Skulptur auf Stich des 17. Jahrhunderts. Aus Pinkus 2009.

Nicht nur der Stil des Meisters der fünf oberen Archivoltenfiguren lege eine Verbindung nach Straßburg nahe, auch die Ikonographie der Figuren stamme aus der Kathedralstadt am Oberrhein: Ein Stich des 17. Jahrhunderts bezeugt für das mittlere Westportal des Straßburger Münsters entsprechende Figuren, die allerdings den Kirchenstürmen der französischen Revolution zum Opfer gefallen sind und im 19. Jahrhundert keine originalgetreue Rekonstruktion erfuhren. Der Freiburger Meister habe seiner Ansicht nach auf Musterbücher der Straßburger Werkstatt zurückgegriffen, die ihrerseits durch die zeitgenössische Bibel-Malerei und byzantinische Kunst beeinflusst waren.23

Sphärenmodell am Freiburger Münster - Foto: privat

Sphärenmodell am Freiburger Münster – Foto: privat.

Weis betonte auch als erster Forscher die Besonderheit des Sphärenmodels: „Im Straßburg-Freiburger Schöpferbild mit ‚Himmel und Erde‘ sowie vor allem in den ‚acht Sphären‘ hätten wir demnach wohl nichts anderes vor uns als die Umsetzung dieser Motive [gemeint sind Motive der zeitgenössischen Bibel-Malerei und byzantinischen Kunst] in die Monumentalplastik; der Kosmos, der in den Miniaturen gewissermaßen als Querschnitt durch die Himmelssphären aufzufassen ist, wird von den Bildhauern in Seitenansicht als wirkliches Gewölbe gegeben, unter dem die Planetenbahnen mit den aufgesetzten Gestirnen notwendigerweise als Ringe herausragen, um erkennbar zu werden.“24

Weis‘ Studie war der vorerst letzte Baustein der Forschung zum Schöpfungsportal, deren Stand sich folgendermaßen zusammenfassen lässt:

  • Die Skulpturen des Portals entstammen unterschiedlichen Händen und stilistischen Phasen.
  • Die oberen fünf Archivoltskulpturen gehen nicht auf die Parlerschule zurück, sondern sind früher und oberrheinisch geprägt.
  • Die Figuren stehen in starker Abhängigkeit von Straßburg und könnten über dortige Musterbücher von der Buchmalerei und der byzantinischen Kunst beeinflusst sein.

Erst in jüngster Zeit wurden die Forschungen zum Portal wieder aufgenommen. Seit 2006 befasste sich gleich eine ganze Reihe wissenschaftlicher Publikationen mit dessen Baugeschichte und Ikonographie.

Neuere Forschung zur Baugeschichte des Portals

Den ambitioniertesten Versuch einer Neubewertung der Portalskulpturen hat der Kunsthistoriker Assaf Pinkus vorgelegt. Zunächst 2006 in seinem deutschen Aufsatz für die Münsterblätter, 2009 folgte seine umfangreichere Monographie zur Parlerschule.25  Hier schlägt Pinkus gleich in doppelter Hinsicht eine alternative Lesart des Portals vor: zum einen ikonographisch (hierzu später mehr), zum anderen baugeschichtlich. Pinkus vertritt die These, das Chorportal bilde eine programmatische Einheit und ginge in seiner Gesamtheit auf die Planungen Johann Parlers zurück: “Eine Inschrift am nördlichen Chorportal belegt, dass der Grundstein 1354 gelegt wurde, während ein Dokument von 1359 die Anstellung des Meisters Johann von Gmünd nennt, der wahrscheinlich mit Johann Parler zu identifizieren ist. Obwohl Chor und Portal bereits fünf Jahre früher begonnen wurden, war Johann – so die naheliegende Vermutung – von Anfang an für Planung und Baubeginn verantwortlich.”26 Pinkus bezieht sinnvollerweise erstmals nicht nur die Innenseite des Schöpfungsportals in seine Studie mit ein, sondern auch das südliche Chorportal. Das nördliche Portal war seiner Einschätzung nach “im 14. Jahrhundert zweifellos vollendet”.27

Neben Pinkus’ Arbeit müssen vor allem Publikationen aus dem Umfeld der Restauration des Schöpfungsportals aus baugeschichtlicher Perspektive hervorgehoben werden. Zum einen die Studie von Johanna Quatmann zur Funktion und Farbgebung des versteckten Portals am Münster,28 zum anderen die penible Rekonstruktion des Bauprozesses durch Stefan King.29

Kings Untersuchungen bestätigen im Wesentlichen die Meinung der älteren Forschung, die Figuren des Portals unterschiedlich zu datieren. Für die fünf oberen Figuren hält er „die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts [für] wahrscheinlich“,30 womit Johann Parler als Urheber oder spiritus rector der oberen Figuren ausscheiden würde (auch wenn er natürlich für die Integration dieser Figuren in das Portal verantwortlich sein könnte). Seiner Ansicht nach seien diese früheren Skulpturen für ein früheres Bauprojekt geschaffen worden, für ein „nicht ausgeführtes Chorbauprojekt“, oder „eine geplante Aufwertung der Nordportale von Quer- oder Langhaus […]“.31 „Da die Skulpturen teilweise unvollendet blieben, kann vermutet werden, dass man die Arbeit niedergelegt hat, weil das Bauprojekt nicht mehr weiterverfolgt wurde. Dass sie überhaupt bis zu diesem Grad ausgearbeitet sind, könnte dem Umstand geschuldet sein, dass sie während des Versetzens hätten eingebaut werden müssen, und es sich deshalb empfohlen hat, früh genug, vielleicht schon lange vor dem eigentlichen Baubeginn, die Bildhauerarbeit aufzunehmen. Folglich ist es nicht unwahrscheinlich, dass man mit dem eigentlichen Bauvorhaben nie begonnen hat.“32

Zum kulturhistorischen Hintergrund der oberen Archivoltfiguren

Auch wenn sich Pinkus in seiner Annahme einer Parler’schen Provenienz des gesamten Portals wohl geirrt hat, seine ikonographische Neubewertung der Figuren bleibt trotzdem interessant. Er entlockt den beiden Portalen des Chores eine gemeinsame typologische Bedeutung, die Szenen beider Testamente in eine sinnhafte Beziehung zueinander setzt. Zum einen drücke sich in den Szenen die unio mystica aus, also die Verbindung von Seele und Schöpfer bzw. Christus. Zum anderen stünde das Programm der beiden Portale unter dem Motiv von Zurückweisung und Wiederaufnahme: Die Vertreibung aus dem Paradis, die letztlich durch die Inkarnation und das Opfer Jesu in der Erlösung mündet.33  

Im Anschluss an diese interessante Deutung der komplexen Poratlikonographie vertritt der Kunsthistoriker die These, das Schöpfungsportal zeige als eine Art astronomischer Kalender ein mit dieser Deutung in Verbindung stehendes liturgisches Fest an: “Die Freiburger Chorflankenportale scheinen dieser Typologie zu folgen. Miteinander verwoben sind der Fall der Engel, die Ursünde, die Ausweisung aus dem Paradies und die Erschaffung des Lichts im Sinne eines astronomischen Kalenders. Gott zeigt mit seinem Finger den Moment an, an dem diese Ereignisse stattfanden. Obwohl Zeichen des Zodiakus [Sternbilder, die zur Berechnung der Zeit dienen] in Freiburg nicht nachgewiesen werden können und deshalb der genaue Kalender nicht zu rekonstruieren ist, scheint es möglich, dass die astronomischen Zeichen ursprünglich auf die Himmelskugel gemalt waren bzw. daß eine Bemalung geplant war. Jedenfalls verweist der Zeigefinger Gottes, der ‘didaktisch zeigt’ […] auf die Tradition des astrologischen Kalenders.”34 Auch wenn seiner typologischen Interpretation des Bildprogramms zu folgen ist, mit der Deutung des Sphärenmodells als astrologischer Kalender schießt Pinkus meiner Ansicht nach etwas über das Ziel hinaus. Zum einen wäre die naheliegendste Erklärung für den didaktischen Zeigefinger Gottes wohl eher eine didaktische Funktion des Modells, zum anderen konnte Johanna Quatmann keine mittelalterliche Bemalung der Figuren feststellen. Vor diesem Hintergrund bleibt Pinkus’ interessantes Gedankenspiel bloße Spekulation.  

Wahrscheinlicher ist allerdings seine Vermutung, die Darstellung der ersten Schöpfungstage sei nicht von der zeitgenössischen Kunst inspiriert, sondern von wissenschaftlichen Vorstellungen über den Kosmos: „The arrangement of the stars [des Sphärenmodells] […] reflects a simplified model of the cosmos, corresponding to fourteenth-century cosmology”,35 genauer auf die Kosmologie von Johannes von Sacrobosco und Albertus Magnus: “(E)rkennbar sind die Sonne in der vierten Sphäre und ein Halbmond in der zweiten Sphäre.” Am nebenstehenden Thanner Modell ist dies eindeutiger zu erkennen. Dem “Freiburger Digramm [entspricht] die Kosmologie von Albertus Magnus. Die Anregung für dieses Vorbild muss nicht notwendig außerhalb von Freiburg gesucht werden, da Albertus Magnus schon um 1235 Theologie am Predigerkloster in Freiburg lehrte.”36

Sphärenmodell aus St. Theobald in Thann mit der Sonne an vierter Stelle.

Sphärenmodell aus St. Theobald in Thann mit der Sonne an vierter Stelle. Aus Pinkus 2009.

Ähnlich argumentiert auch Wolfgang Schneider, dessen Aufsatz schon 2005 erschienen ist, von Pinkus aber nach Ausweis der Fußnoten nicht rezipiert wurde. Auch er betont die Anordnung der Planeten, die sich “ganz erheblich von früheren, bis dahin überlieferten Vorstellungen vom Kosmos” unterscheide und eine aristotelisch geprägte Deutung des Kosmos vertrete.37

“[E]in kleines Detail […] verrät, daß diesem Bild eine noch neure Vorstellung vom Kosmos zugrunde lag. Die schmalen Ränder der inneren Kugelschalen lassen nämlich jeweils einen stilisierten Stern/Planeten erkennen – außer der vierten Kugelschale, die mit einer stilisierten Sonne besonders gekennzeichnet ist. In Platons Kosmos kreist die Sonne jedoch an zweiter Stelle um die Erde. Der Entwerfer des Bildwerkes am Schöpfungsportal hat sich offenbar an dem ‘neuen’ Weltbild des Aristoteles (384-322 v. Ch.) orientiert”, “[d]essen […] philosophisches und wissenschaftliches System […] im 12. Jahrhundert durch Übersetzungen aus dem Arabischen im Abendland wiederentdeckt [wurde]“,  und sich im “13. Jahrhundert weitgehend durchgesetzt” hat.38Das Portal wäre damit als dezidierte Rezeption der aristotelischen Lehre zu deuten, und das, obwohl es in Freiburg ”im 14. Jahrhundert weder eine Kathedralschule noch eine Universität gab […].”39 Als intellektueller Urheber “wäre indes der Konvent der Dominikaner zu sehen, der rund ein Jahrhundert vor der Errichtung des Schöpfungsportals den Ordensbruder Albertus Magnus mehrmals zu seinen Besuchern zählen durfte; jener herausragende Wissenschaftler, der mit Thomas von Aquin die Synthese von Aristotelismus und Christentum vollzog. Könnte die Anregung für das Bildprogramm am Schöpfungsportal von naturphilosophisch gebildeten Mönchen dieses Klosters ausgegangen sein, die in der Nachfolge des Heiligen Albert sich intensiv den Wissenschaften widmeten?”40

Träfen diese Annahmen zu, wäre dies außerordentlich schmeichelhaft für Freiburg, das sich sogar schon in voruniversitärer Zeit als intellektuelles Schwergewicht am Oberrhein positionieren könnte. Sie sind aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive aber leider nicht sehr wahrscheinlich.

Der Einfluss naturwissenschaftlicher Ideen auf das Schöpfungsportal

Zunächst beziehen sich sowohl Pinkus als auch Schneider auf eine sehr holzschnittartige Lesart der Ideengeschichte, die die mittelalterlichen Naturwissenschaft in zwei Phasen unterteilt: In eine frühe Phase, die vor allem platonisch geprägt ist, und eine spätere Phase, die auf dem neu entdeckten (und vor allem neu übersetzten) corpus aristotelicum basiert. Diese Einteilung mag als grobe Richtschnur sicher sinnvoll sein, die Ideengeschichte mittelalterlicher Kosmsosvorstellungen ist in Wirklichkeit aber weit komplexer, gerade was die Ordnung der Planeten betrifft.41  

In der antiken und mittelalterlichen Kosmologie unterschied man mit Blick auf die Planeten grob gesprochen zwischen zwei Ordnungssystemen: Der Ägyptischen Ordnung (Erde – Sonne – Mond – Merkur – Venus …) sowie der Chaldäischen Ordnung (Erde – Mond – Merkur – Venus – Sonne …). Während Plato sich für die Ägyptische Einteilung entschied, befolgte Aristoteles in Anlehnung an Archimedes das Chaldäische System. Den Gelehrten der Spätantike und des Mittelalters waren diese konkurrierenden Entwürfe wohl bekannt.

So überliefert bereits Ciceros kosmologisches Werk über den Traum des Scipio die Chaldäische Reihung mit der Sonne als dem mittleren der Planeten. Sein Kommentator Macrobius klärt den mittelalterlichen Leser auf:

“Als nächstes müssen wir einige Dinge über die Ordnung der Sphären sagen, eine Angelegenheit, in der sich Cicero von Plato unterscheidet, da er von der Sphäre der Sonne als der vierten von sieben spricht, die eine mittlere Stellung einnimmt. Dagegen sagt Plato, dass sie gleich über dem Mond steht und damit von oben gezählt den sechsten Platz der sieben Sphären [also den zweiten von der Erde aus betrachtet] einnimmt. Cicero ist in Übereinstimmung mit Archimedes und dem Chaldäischen System; Plato folgt den Ägyptern, den Urhebern aller Zweige der Philosophie, die die Sonne zwischen Mond und Merkur positioniert haben, auch wenn sie die Gründe, aus denen andere schlossen, die Sonne stünde über Merkur und Venus, herausfanden und darlegten.”42

Dieses Bewusstsein gab es auch in der Hochphase des Neuplatonismus. Wilhelm von Conches weist noch im 12. Jahrhundert auf die unterschiedlichen Thesen zur Reihung der Planeten hin, auch wenn er selbst die platonische bevorzugte: Seinem Herzog legt er im Lehrgedicht Dragmaticon in Reaktion auf die Darstellung einer platonischen Planetenreihung die Frage an seinen Lehrer in den Mund: “Wieso sagst du, dass Venus der vierte und Merkur der fünfte Planet nach Plato ist? Gab es andere Philosophen, die anderes behaupten?”, worauf dieser auch die abweichenden Lehrmeinungen zur Sprache bringt.43 Die als richtig erachtete Reihenfolge der Planeten änderte sich also nicht schlagartig während des 13. Jahrhunderts, sondern war im gesamten Mittelalter Gegenstand einer virulenten Debatte. Durch Martianus Capella kannte man darüber hinaus bereits im frühen Mittelalter neuplatonische Versuche einer synthetischen Erklärung des Gelehrtenstreits: In Wirklichkeit hätten sich die Planeten Venus und Merkur nämlich nicht um die Erde gedreht, sondern hätten die Sonne als Zentrum ihrer Bahnen. Je nach Konstellation erschienen daher zuweilen die beiden Planeten, zuweilen die Sonne näher zu Erde (und damit an zweiter bzw. vierter Stelle im Sphärensystem).

Diagramm zum Verhaltnis von Sonne, Merkur und Venus. Aus St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 248, fol. 82v. Lizenz: CC BY-NC 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/).

Diagramm zum Verhaltnis von Sonne, Merkur und Venus. Aus St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 248, fol. 82v. Lizenz: CC BY-NC 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/).

Mit Blick auf das intellektuelle Niveau des Schöpfungsportales ist besonders bezeichnend, dass die aristotelisch inspirierte Reihenfolge der Planeten gerade nicht nur in der scholastischen Literatur des höheren Universitätsniveaus gepflegt wurde, sondern auch in Texten zu finden ist, die zur absoluten Grundlagenbildung des Mittelalters gehören, vor allem Bedas De natura rerum44 und der Imago mundi des Honorius.45  Diese Texte erfreuten sich außerordentlicher Beliebtheit und wurden auch an “gewöhnlicheren” Bildungseinrichtungen, etwa einer Klosterschule, gelehrt. So schreibt Beda im 13. Kapitel seiner kosmologischen Enzyklopädie:

“Der oberste der Planeten ist der Stern des Saturn, der von Natur aus sehr kalt ist. Er vollendet seinen Kurs um die Sonne in dreißig Jahren. Dann kommt der Jupiter, temperiert, mit zwölf Jahren. Als drittes Mars, extrem heiß, der zwei Jahre benötigt. In der Mitte ist die Sonne, [die] in 365 Tagen [die Erde umrundet]. Darunter steht die Venus, die auch Lucifer und Vesper genannt wird, und 348 Tage benötigt. […] Danach kommt der Stern des Merkur, der neun Tage schneller ist. […] An letzter Stelle kommt der Mond […].”46

Auch auf der ikonographischen Ebene ist dieser Befund festzustellen. Die wissenschaftlichen Texte der Spätantike wurden ins Mittelalter weitgehend unillustriert überliefert. Erst in der Karolingerzeit wurden den komplexen Texten Diagramme als klärende und didaktische Hilfsmittel beigegeben. Interessanterweise spiegelt sich die virulente Forschungsdebatte um die Ordnung der Planeten kaum in diesen Diagrammen. Bruce Eastwood hat vielmehr darauf hingewiesen, dass die diagrammatische Tradition der Kosmosdiagramme die Chaldäische Ordnung der Ägyptischen vorzieht, auch wenn der Text selbst die platonische Reihung propagierte.47 Mittelalterliche Kosmos-Diagramme überliefern daher auch in früherer Zeit mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Reihenfolge der Planeten, die die Sonne – wie im Fall des Freiburger Schöpfungsportals – an vierter Stelle der Planeten positionieren, so ein Kosmosmodell der Arnsteinbibel aus dem frühen 13. Jahrhundert.

Kosmosdarstellung aus British Library, Harley 2799, fol. 242r (http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/ILLUMIN.ASP?Size=mid&IllID=17378)

Kosmosdarstellung aus British Library, Harley 2799, fol. 242r (http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/ILLUMIN.ASP?Size=mid&IllID=17378).

Auch wenn die naturphilosophischen Schriften des Aristoteles erst im 13. Jahrhundert eine nennenswerte Verbreitung gefunden haben, war die von ihm gewählte Reihenfolge der Planeten also wohl bekannt und in mittelalterlichen Standardwerken, von denen hier nur einige wenige Beispiele gegeben wurden, in Wort und Bild allgegenwärtig. Ideengeschichtlich lässt sich das Schöpfungsportal daher keineswegs auf neuere wissenschaftliche Strömungen zurückführen. Mit Blick auf die Freiburger Bildungslandschaft und dem anzunehmenden Bildungsgrad der für den Bau Verantwortlichen ist es im Gegenteil viel wahrscheinlicher, dass die inhaltliche Vorlage in den gerade im außeruniversitären Bereich gelehrten Standardwerken von Beda oder Honorius zu sehen ist. Ein Umstand, der dann gerade nicht für eine außerordentliche Bildung des etwaigen spiritus rector sprechen würde.

Meiner Ansicht nach ist Pinkus zwar insofern zuzustimmen, dass die Vorlage des Freiburger Sphärenmodells im wissenschaftlichen Bereich zu suchen ist. Der lehrende Gestus des Schöpfers verweist dabei recht konkret auf eine wahrscheinliche Vorlage für das Sphärenmodell. Gelehrt wurde im Mittelalter nicht nur durch das Lesen bzw. Vorlesen bestimmter Texte, sondern vor allem mit Bezug auf visuelle Hilfsmittel, den Diagrammen. Das oben stehende Beispiel verdeutlicht eindrücklich die ikonographische Nähe des Freiburger Modells zu diesen didaktischen Abbildungen, die in jeder Schule und jedem Kloster in Hülle und Fülle vorhanden waren.

Das Freiburger Sphärenmodell ist als getreue Umsetzung eines gewöhnlichen und ubiquitär anzutreffenden Diagramms des Kosmos also kein Ausweis besonderer Bildung des 14. Jahrhunderts. Gleichwohl stellt es ein beeindruckendes Beispiel für das Interesse der Zeitgenossen an der Schöpfung dar, das über eine rein religiöse Deutung weit hinausreicht. Insofern, um auf Karl Schaefer zurückzukommen, waltete in Freiburg und am Oberrhein vielleicht tatsächlich „ein anderer, man möchte sagen naturwissenschaftlicher Geist.“48

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Michael Schonhardt promoviert bei Prof. Dr. Birgit Studt (Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte II) an der Universität Freiburg und ist Mitarbeiter im Erzbischöflichen Archiv Freiburg. Er beschäftigt sich mit der Tradition und Rezeption von theoretischem Wissen über die Natur im 12. Jahrhundert und begleitet seine Dissertation mit einem Blog unter quadrivium.hypotheses.org. Seine Masterarbeit (Michael Schonhardt: Kloster und Wissen – Die Arnsteinbibel und ihr Kontext im frühen 13. Jahrhundert. Reihe Septem 2, Freiburg 2014.) hat er zu naturwissenschaftlichen Diagrammen des hohen Mittelalters verfasst. Im Rahmen seiner Archivtätigkeit publiziert er außerdem ein Kriegstagebuch aus dem Ersten Weltkrieg.

  1. Vgl. Quatmann, Johanna: Das versteckte Portal am Münster?  In: Münsterblatt 13 (2006), S. 13-19.
  2. Vgl. Kürten, Luzius: Steinrestaurierung und -konservierung am Schöpfungsportal. In: Münsterblatt 13 (2006), S. 21-23; King, Stefan: Bauforschung am Schöpfungsportal. In: Münsterblatt 14 (2007), S. 38.
  3. Genesis 1.1-18.
  4. Schaefer, Karl: Die Weltschöpfungsbilder am Chorportal des Freiburger Münsters. In: Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland 26 (1899), S. 11-24, hier S. 16.
  5. Vöge, Wilhelm: Zum Nordportal des Freiburger Münsters. In: Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters 11 (1915), S. 1-9.
  6. Weis, Adolf: Das Freiburger Schöpfungsportal und das Musterbuch von Strassburg. In: Das Münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft 5 (1952), S. 181-193.
  7. Vgl etwa Hartmann, Paul: Die gotische Monumentalplastik in Schwaben. München 1910; Kempf, Friedrich: Das Freiburger Münster. Karlsruhe 1926, S. 1-9; Schmitt, Otto: Gotische Skulpturen des Freiburger Münsters. Frankfurt 1926, S. 59-60 (jeweils mit umfangreichen Bildmaterial); Lüdke, Dietmar: Artikel in: Die Parler und der schöne Stil 1350-1400. Bd. 1. Köln 1978, S. 298-299; Ingeborg Krummer-Schroth: Geschichte und Einordnung der Skulpturen. In: Die Skulpturen des Freiburger Münsters. Freiburg 3. Auflage 1999, S. 119-121.
  8. Vgl. Quatmann: das versteckte Portal; King, Stefan:
    Zum Schöpfungsportal des Freiburger Münsters: ein Bildprogramm mit “Stilbruch”
    King, Stefan. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 37 (2008), S. 69-76.
  9. Pinkus, Assaf: Das Schöpfungsportal: Kunst und Lehre im mittelalterlichen Freiburg. In: Münsterblatt 13 (2006), S. 4-12; Ders.: Patrons and Narratives of the Parler School. The Marian Tympana 1350-1400. München/Berlin 2009; Schneider, Wolfgang: Ein Modell des Kosmos am Schöpfungsportal des Freiburger Münsters. In: Freiburger Diözesanarchiv 125 (2005), S. 241-248.
  10. Schaefer: Die Weltschöpfungsbilder, S. 19.
  11. Ebd., S. 21
  12. Ebd., S. 20.
  13. Vöge: Zum Nordportal, S. 2.
  14. Ebd., S. 2.
  15. Die gotische Monumentalplastik.
  16. Vgl. Adam, Ernst: Artikel in: Die Parler und der schöne Stil 1350-1400. Bd. 1. Köln 1978, S. 293.
  17. Vöge, Zum Nordportal, S. 6.
  18. anders Ingeborg Krummer-Schroth: Geschichte und Einordnung der Skulpturen.
  19. Vgl. Kempf: Das Freiburger Münster.
  20. Vgl. Schmitt: Gotische Skulpturen.
  21. Vgl. Weis: Das Freiburger Schöpfungsportal.
  22. Ebd., S. 183.
  23. Ebd., S. 189.
  24. Ebd., S. 186.
  25. Vgl. Pinkus:  Das Schöpfungsportal; Ders. Patrons and Narratives.
  26. Pinkus: Das Schöpfungsportal, S. 4.
  27. Ebd.
  28. Vgl. Quatmann: Das versteckte Portal.
  29. Vgl. King: Zum Schöpfungsportal.
  30. Ebd., S. 74.
  31. Ebd., S. 76
  32. Ebd.
  33. Vgl. Pinkus: Das Schöpfungsportal, S. 9-11.
  34. Ebd., S. 11.
  35. Pinkus: Patrons and Narratives, S. 209.
  36. Pinkus: Das Schöpfungsportal, S. 9.
  37. Schneider: Ein Modell des Kosmos, S. 242.
  38. Schneider: Ein Modell des Kosmos, S. 243-244.
  39. Ebd., S. 247.
  40. Ebd.
  41. Vgl. zum folgenden Eastwood, Bruce: Ordering the Heavens. Roman Astronomy and Cosmology in the Carolingian Renaissance. Leiden 2007, S. 31-52.
  42. Frei übersetzt Macrobius: Commentarii in Somnium Scipionis (ed. J. Willis 1970.), Buch 1. Kap. 16.
  43. Frei übersetzt nach Wilhelm von Conches: Dragmaticon Philosophiae (ed. von I. Ronca und A. Badia, 1997. In: CCCM 152.), Buch 4, Kap. 5.
  44. Beda: De natura rerum liber ed. von C. W. Jones ,1975. In: CCSL 123A.
  45. Honorius: De imago mundi ed. V. I. J. Flint, 1982. Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 49 (1982), S. 48-151.
  46. Frei übersetzte nach Beda: De natura rerum liber, Buch 13.
  47. Vgl. Eastwood: Ordering the Heavens, S. 47f.
  48. Schaefer: Weltschöpfungsbilder, S. 16.

Quelle: http://oberrhein.hypotheses.org/549

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Wie alt ist die Priamel “Hette ich Venediger macht”?

Worauf sich der Nürnberger Freiherr von Kreß in einer bayerischen Parlamentsdebatte 1831 bezog, ist eine in der Frühen Neuzeit weit verbreitete Spruchweisheit in Form einer Priamel.1) Es ist alles andere als trivial, zu diesem viel zitierten Spruch eine wissenschaftliche Erörterung aufzufinden. Auch mit Hilfe der elektronischen Volltextsuchen stößt man nur mit viel Glück auf die Ausführungen von Karl Steiff und Gebhard Mehring in ihren “Geschichtliche Lieder und Sprüche Württembergs” (1912, S. 71-74 Nr. 21 – online Wikimedia Commons).

Steiff/Mehring edierten drei Versionen, wobei jede Version verschiedene Schlussvarianten aufwies. Als älteste Überlieferung wurde von ihnen Christoph Lehmanns Florilegium Politicum auctum von 1662 entnommen, wo es am Ende heißt: “were ich Herr der gantzen Welt” (Digitalisat). Eindeutige Anspielungen auf den Spruch fanden sie aber schon in einem Ereignislied aus dem Dreißigjährigen Krieg um 1620, und in einem Dialog von 1628 wird der Spruch als “Sprichwort” angesprochen.

Mit Google Books findet man ältere Belege. Etwas jünger als Lehmann sind die Iocoseria eines Hilarius 1659 (VD 17; Digitalisat) ohne Schluss-Satz. Um 1625 notierte sich ein Straßburger Bürger die Verse, wobei er das “Braunschweiger Veldt” ergänzte (Abdruck). In das Ende des 16. Jahrhunderts kommt man zurück mit einer Danziger Handschrift (Katalog), wobei der Kontext auf eine Niederschrift nicht nach 1594 deutet:

Hett ich der Venediger Macht
Und der Augsburger Pracht
Nürnberger Witz
Strasburger Geschütz
Und der Ulmer Geld
So were ich der reichst in der Welt.

Die älteste mir bekannte Überlieferung stammt aus einer Basler Musikhandschrift von 1591, die online eingesehen werden kann.2 Sie enthält noch weitere Zeilen über Schweizer Verhältnisse.

Ausgeschlossen ist es nicht, dass noch ältere Belege auftauchen. Aber die Argumentation, mit der Steiff/Mehring ihre Datierung um 1500 begründen, leuchtet mir nicht ein. Wenn in einem württembergischen Spruch von 1520 von Ulmer Gold die Rede ist, so ist es alles andere als zweifelsfrei, dass eine Anspielung auf die hier besprochene Priamel vorliegt. Ein Blick in Google Books zeigt, dass “Ulmer Gold” ein feststehender Begriff war. Er konnte auch ohne Rückgriff auf den Spruch als Metapher für die finanzielle Potenz der Reichsstadt Ulm gebraucht werden. Ein anderer Spruch aus dem Lager Herzog Ulrichs reimte 1519:

“Nürnberg hübsch metzger macht
der weber von Augspurg treibt den pracht”

Auch hier drängt sich meiner Meinung nach nicht auf, dass die Formulierung die Priamel voraussetzt. Denkbar ist auch, dass eine frühere Fassung mit dem Reim Macht/Pracht als Zwischenglied zwischen der weitverbreiteten jüngeren Version und der Priamel Nürnbergischer Provenienz “Hett ich des keisers weib” aus dem 15. Jahrhundert, die als Vorbild des jüngeren Spruchs gelten kann, anzunehmen ist.3

Was hat man zu beachten, wenn man den Spruch als Geschichtsquelle auswerten möchte?

Zunächst sollte man die Datierung um 1500 nicht übernehmen, sondern vorsichtiger deutlich machen, dass die Priamel erst am Ende des 16. Jahrhunderts erstmals belegt ist.

Es liegt auf der Hand, dass man je nach angenommener Entstehungszeit geneigt ist, den historischen Kontext ganz unterschiedlich zu beurteilen. Um 1500 passt der Spruch prima, während hundert Jahre später schon das Konzept (oder soll man sagen: Klischee?) “Niedergang der Städte” allzu nahe liegt. Schon Lieder des 17. Jahrhunderts (von 1681) haben den Spruch mit der aus ihrer Sicht abweicheneden Wirklichkeit konfrontiert (Steiff/Mehring S. 72 nach Ditfurth). Unabhängig von seinem Wirklichkeitsgehalt war der Spruch bis ins 19. Jahrhundert äußerst beliebt4, wozu sicher auch die Drucküberlieferung beitrug. In den Materialien von Siebenkees 1792 ist von dem “bekannten schon hundertmahl gedruckten Verschen” die Rede.

Der Spruch betont – zugrundegelegt ist die Fassung der Danziger Handschrift – die finanzielle Potenz der oberdeutschen Reichsstädte Nürnberg, Augsburg, Ulm und Straßburg, die mit der machtvollen Serenissima verglichen werden. Bei Ulm steht das Kapitalvermögen im Vordergrund, was aber nicht so verstanden werden darf, dass der Autor die anderen Städte in ihrer finanziellen Leistungskraft abwerten will. Die Erwähnung der Nürnberger Innovationskraft (der Nürnberger Witz hat einen eigenen Wikipedia-Artikel), des Augsburger Luxus und des Straßburger Geschütze-Exports (der erst mit den Burgunderkriegen begann, so Steiff-Mehring) unterstreicht den abschließend (“were ich der reichst”) thematisierten Aspekt sehr großen Reichtums. Als zeitgenössische Wahrnehmung der frühkapitalistischen Macht der oberdeutschen Städte-Republiken wird die Priamel ja noch heute im wissenschaftlichen Diskurs gern zur Veranschaulichung eingesetzt.

  1. Zu Priameln siehe die Beispiele in Archivalia, zur hier besprochenen: http://archiv.twoday.net/stories/948987942/ (mit weiteren Nachweisen
  2. e-manuscripta.ch. Zur Handschrift F IX 70 siehe den Google-Schnipsel aus dem Katalog der Musikhandschriften 1988 und den Handschriftenkatalog.
  3. Siehe etwa das Katalogisat von Werner Hoffmann: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/projekt-Dresden-pdfs/M%2042.pdf
  4. Siehe auch Wander und Plaut.

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1782

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Wie alt ist die Priamel “Hette ich Venediger macht”?

Worauf sich der Nürnberger Freiherr von Kreß in einer bayerischen Parlamentsdebatte 1831 bezog, ist eine in der Frühen Neuzeit weit verbreitete Spruchweisheit in Form einer Priamel.1) Es ist alles andere als trivial, zu diesem viel zitierten Spruch eine wissenschaftliche Erörterung aufzufinden. Auch mit Hilfe der elektronischen Volltextsuchen stößt man nur mit viel Glück auf die Ausführungen von Karl Steiff und Gebhard Mehring in ihren “Geschichtliche Lieder und Sprüche Württembergs” (1912, S. 71-74 Nr. 21 – online Wikimedia Commons).

Steiff/Mehring edierten drei Versionen, wobei jede Version verschiedene Schlussvarianten aufwies. Als älteste Überlieferung wurde von ihnen Christoph Lehmanns Florilegium Politicum auctum von 1662 entnommen, wo es am Ende heißt: “were ich Herr der gantzen Welt” (Digitalisat). Eindeutige Anspielungen auf den Spruch fanden sie aber schon in einem Ereignislied aus dem Dreißigjährigen Krieg um 1620, und in einem Dialog von 1628 wird der Spruch als “Sprichwort” angesprochen.

Mit Google Books findet man ältere Belege. Etwas jünger als Lehmann sind die Iocoseria eines Hilarius 1659 (VD 17; Digitalisat) ohne Schluss-Satz. Um 1625 notierte sich ein Straßburger Bürger die Verse, wobei er das “Braunschweiger Veldt” ergänzte (Abdruck). In das Ende des 16. Jahrhunderts kommt man zurück mit einer Danziger Handschrift (Katalog), wobei der Kontext auf eine Niederschrift nicht nach 1594 deutet:

Hett ich der Venediger Macht
Und der Augsburger Pracht
Nürnberger Witz
Strasburger Geschütz
Und der Ulmer Geld
So were ich der reichst in der Welt.

Die älteste mir bekannte Überlieferung stammt aus einer Basler Musikhandschrift von 1591, die online eingesehen werden kann.2 Sie enthält noch weitere Zeilen über Schweizer Verhältnisse.

Ausgeschlossen ist es nicht, dass noch ältere Belege auftauchen. Aber die Argumentation, mit der Steiff/Mehring ihre Datierung um 1500 begründen, leuchtet mir nicht ein. Wenn in einem württembergischen Spruch von 1520 von Ulmer Gold die Rede ist, so ist es alles andere als zweifelsfrei, dass eine Anspielung auf die hier besprochene Priamel vorliegt. Ein Blick in Google Books zeigt, dass “Ulmer Gold” ein feststehender Begriff war. Er konnte auch ohne Rückgriff auf den Spruch als Metapher für die finanzielle Potenz der Reichsstadt Ulm gebraucht werden. Ein anderer Spruch aus dem Lager Herzog Ulrichs reimte 1519:

“Nürnberg hübsch metzger macht
der weber von Augspurg treibt den pracht”

Auch hier drängt sich meiner Meinung nach nicht auf, dass die Formulierung die Priamel voraussetzt. Denkbar ist auch, dass eine frühere Fassung mit dem Reim Macht/Pracht als Zwischenglied zwischen der weitverbreiteten jüngeren Version und der Priamel Nürnbergischer Provenienz “Hett ich des keisers weib” aus dem 15. Jahrhundert, die als Vorbild des jüngeren Spruchs gelten kann, anzunehmen ist.3

Was hat man zu beachten, wenn man den Spruch als Geschichtsquelle auswerten möchte?

Zunächst sollte man die Datierung um 1500 nicht übernehmen, sondern vorsichtiger deutlich machen, dass die Priamel erst am Ende des 16. Jahrhunderts erstmals belegt ist.

Es liegt auf der Hand, dass man je nach angenommener Entstehungszeit geneigt ist, den historischen Kontext ganz unterschiedlich zu beurteilen. Um 1500 passt der Spruch prima, während hundert Jahre später schon das Konzept (oder soll man sagen: Klischee?) “Niedergang der Städte” allzu nahe liegt. Schon Lieder des 17. Jahrhunderts (von 1681) haben den Spruch mit der aus ihrer Sicht abweicheneden Wirklichkeit konfrontiert (Steiff/Mehring S. 72 nach Ditfurth). Unabhängig von seinem Wirklichkeitsgehalt war der Spruch bis ins 19. Jahrhundert äußerst beliebt4, wozu sicher auch die Drucküberlieferung beitrug. In den Materialien von Siebenkees 1792 ist von dem “bekannten schon hundertmahl gedruckten Verschen” die Rede.

Der Spruch betont – zugrundegelegt ist die Fassung der Danziger Handschrift – die finanzielle Potenz der oberdeutschen Reichsstädte Nürnberg, Augsburg, Ulm und Straßburg, die mit der machtvollen Serenissima verglichen werden. Bei Ulm steht das Kapitalvermögen im Vordergrund, was aber nicht so verstanden werden darf, dass der Autor die anderen Städte in ihrer finanziellen Leistungskraft abwerten will. Die Erwähnung der Nürnberger Innovationskraft (der Nürnberger Witz hat einen eigenen Wikipedia-Artikel), des Augsburger Luxus und des Straßburger Geschütze-Exports (der erst mit den Burgunderkriegen begann, so Steiff-Mehring) unterstreicht den abschließend (“were ich der reichst”) thematisierten Aspekt sehr großen Reichtums. Als zeitgenössische Wahrnehmung der frühkapitalistischen Macht der oberdeutschen Städte-Republiken wird die Priamel ja noch heute im wissenschaftlichen Diskurs gern zur Veranschaulichung eingesetzt.

  1. Zu Priameln siehe die Beispiele in Archivalia, zur hier besprochenen: http://archiv.twoday.net/stories/948987942/ (mit weiteren Nachweisen
  2. e-manuscripta.ch. Zur Handschrift F IX 70 siehe den Google-Schnipsel aus dem Katalog der Musikhandschriften 1988 und den Handschriftenkatalog.
  3. Siehe etwa das Katalogisat von Werner Hoffmann: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/projekt-Dresden-pdfs/M%2042.pdf
  4. Siehe auch Wander und Plaut.

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1782

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