Arbeiten in der Städtischen Denkmalbehörde – Beruf mit historischem Bezug, aber nicht für Historiker?

von Marius Herwig (2-Fach-Bachelor | Geschichte | Politikwissenschaft) Schaut man sich die Liste mit den Baudenkmälern der Stadt Münster an, findet man verschiedene Gebäude, Ehrenmale oder auch Bildstöcke aus den unterschiedlichsten Zeiten der Geschichte Münsters. Sie umfasst prominente Straßen wie den Prinzipalmarkt mit seinen berühmten Giebelhäusern, aber genauso den Zwinger an der Promenade oder aber auch ein normales Wohnhaus aus dem Jahre 1938 an der Malmedystraße. Die städtische Denkmalbehörde als potenzieller Arbeitsplatz für Historikerinnen oder Historiker? Das klingt auf den ersten Blick und vor … Arbeiten in der Städtischen Denkmalbehörde – Beruf mit historischem Bezug, aber nicht für Historiker? weiterlesen

Quelle: https://beruf.hypotheses.org/445

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Über den Dingen: Eine Historikerin als Türmerin

Je nach Perspektive hat sie den „Job mit dem besten Ausblick der Welt“ (KarriereSPIEGEL) oder „Europas älteste Arbeitsstelle“ (BILD): Martje Saljé ist Türmerin von St. Lamberti in Münster. Die studierte Historikerin und Musikwissenschaftlerin ist dafür zuständig, allabendlich vom Kirchturm nach Bränden Ausschau zu halten und jede halbe Stunde ein Signal zu „tuten“. Zusätzlich füllt sie ihre geschichtsträchtige Position über Social Media und einen Blog mit neuem Leben. Martje Saljés Arbeitsalltag als Türmerin ist klar strukturiert: Jeden Abend (außer dienstags) macht sie sich an den … Über den Dingen: Eine Historikerin als Türmerin weiterlesen

Quelle: http://beruf.hypotheses.org/206

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Erwartungen an den Frieden

Auch wenn nach wie vor der Krieg mit aller Härte weitergeführt wurde, richteten sich im Laufe der 1640er Jahre die Blicke immer häufiger nach Münster – dort, wo über den Frieden verhandelt wurde. Doch dies galt nicht nur für die großen Potentaten und die Reichsstände. Auch Wesel, eine der sieben Hauptstädte (d.h. landtagsfähigen Städte) im Herzogtum Kleve, blickte mit gespanntem Interesse auf die Verhandlungen.

Dieses Interesse war nicht ziellos, sondern richtete sich auf einen ganz bestimmten Punkt. Für die Handelsstadt am Niederrhein ging es vor allem um wirtschaftliche Fragen und hier besonders um einen möglichst freien, sprich von Abgaben und Zöllen ungehinderten Warenverkehr. Entsprechend wurde auf der Ratssitzung am 3. Dezember 1647 folgender Beschluß gefaßt: „Weilen nun mehr die fridens tractaten zu Munster zwischen Hispanien vnd den H[erren] Staten zuendtlauffen, So ist resolvirt, Jhr Hochmog[enden] zuerinnern, daß die Hispanische Licenten abgestelt, vnd solches mit in den tractaten inbedongen werden moge“ (Stadtarchiv Wesel, A 3: Ratsprotokolle Nr. 97 [1647-1648], hier fol. 107).

Zunächst einmal ist also festzuhalten, daß es nicht um die Friedensverhandlungen geht, die im Oktober 1648 in die Verträge von Münster und Osnabrück mündeten; vielmehr ging es hier um die Traktate, die den sog. Frieden von Münster zwischen den Generalstaaten und Spanien besiegelten. Die Weseler lagen auch richtig mit ihrer Einschätzung, daß diese Verhandlungen ihrem Ende zustrebten: Am 30. Januar 1648, also keine zwei Monate nach dem Weseler Ratsbeschluß, wurde der spanisch-niederländische Frieden unterzeichnet; die Verhandlungen selbst waren sogar schon am 16. Januar zuende gegangen. Was war also mit dem Weseler Anliegen – hatte es überhaupt noch eine Chance gegeben, diese Aspekte in die Verhandlungen einzubringen?

Ein Blick in die aktuelle Literatur zeigt, daß Handelsbeschränkungen wirklich nicht die Themen waren, um die bis zuletzt gerungen wurde (Rohrschneider, v.a. S. 416 ff.). Gleichwohl regulierte der Friedensvertrag eine ganze Reihe von Fragen der Wirtschaftspolitik und des Handels, besonders ab § VIII. Der Tenor ging dahin, sämtliche Zölle und Wirtschaftsschranken auf den Vorkriegsstand zurückzunehmen. Auch Zölle auf dem Rhein und der Maas wurden explizit angesprochen (s. § XII), doch bezog sich der Vertragstext hier offenbar nur auf niederländisches Gebiet. Ob damit auch Reichsgebiet und damit der Niederrhein miteinbezogen war, ist mir nicht klar.

Es kann durchaus sein, daß Wesel Glück hatte und diese Handelsbeschränkungen ohnehin durch den Frieden von Münster aufgehoben wurden: Hier spielt auch eine Wahrnehmungsfrage die wichtige Rolle: Haben die Generalstaaten das von ihnen besetzte Gebiet am Niederrhein zumindest vertragstechnisch in diesen Friedensschluß integriert? Zu fragen ist aber auch, ob die Aufhebung der spanischen Zölle auf Veranlassung Wesels geschah. Die Bedeutung dieser Stadt als Handelsmetropole ist gar nicht so gering zu veranschlagen, doch der zeitliche Rahmen spricht wenig dafür, daß diese Weseler Initiative den Vertragstext noch hat beeinflussen können.

Wesel mußte damals aber auch noch auf andere Probleme sein Augenmerk richten. In derselben Passage, ja fast in demselben Satz hieß es weiter, daß „dem agenten zuschreiben [sei], daß er fleißigh achthaben solle, damit in der zwischen Jhr Churf dhl [von Brandenburg] vnd den herren Staten gesuchte aliants nichts zu praejudits dieser Statt einverleibt werde.“ Die klevische Stadt sah also deutlich, daß sie auf ihre Interessen im Verhältnis zwischen den Generalstaaten und dem brandenburgischen Kurfürsten, ihrem Landesherrn also, aufpassen mußte. Der Krieg ging zuende, aber die Konflikte wurden nicht weniger.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/570

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Das Siegel des Klosters St. Aegidii in Münster von 1423

An einer Urkunde des Archivbestand Nordkirchen findet sich ein doppelt bemerkenswertes Siegel aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.1 Das Siegelwachs ist grün gefärbt, was auf einen geistlichen Siegelführer hinweist. Es handelt sich um das Siegel des St. Aegidii-Klosters in Münster. Wenden wir uns zunächst der Beschreibung des runden Siegels zu:

Zu sehen sind zwei Halbfiguren im Perlenkranz. Sie durchbrechen mit ihren Köpfen die Umrandung. Die Halbfiguren sind auf zwei Rundbögen gesetzt. Zu sehen ist im Heiligenschein (heraldisch) rechts die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind auf dem linken Arm, in der rechten Hand einen Lilienstengel. Auf der linken Seite-ebenfalls durch einen Heiligenschein deutlich hervorgehoben- ist der heilige Abt Aegidius. In der rechten Hand hält er ein Buch in der linken eine Krummstab. Beide zentrale Figuren sind beschriftet. Unter Maria findet sich auf dem Rundbogen die Aufschrift Virgo Mar[ia], unter der Figur des Abtes die Aufschrift S[anctus] Egidius.

Unter dem rechten Bogen ist deutlich der für Mariendarstellungen typische brennende Dornbusch zu sehen.2

Unter dem linken Bogen schreitet eine Hirschkuh, Sinnbild für Christus3

Die hier bereits nicht mehr so deutliche Umschrift jenseits des das Bild umgebenen Perlenkranzes lautet:Sig[illum] ecclesie beati Marie [San]c[t]iq[ue] Egidii in Monast[erio].

Foto: A. Diener

Das zweite große Siegel des Klosters Sankt Aegidii in Münster 1423

Das Siegel hängt an einer Urkunde von 1423. Es ist das zweite große Siegel des Zisterzienzerklosters St. Aegidii. Das erste Siegel ist von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zum Ende des 14. Jahrhunderts nachzuweisen.4

Inhaltlich hält die Urkunde vom 7. Februar 1423 fest, dass die Äbtissin Mechthild Cleynhorn die Jüngere5 stellvertretend für das ganze Konvent Johann von Büren, Sohn des Junkers Wilhelm  gestattet eine Rente von 3 Mark mit 50 Mark abzulösen, jeweils an Lichtmess.6

Als Zeugen sind angegeben Arnd der Schreiber und Johann Lobbe, Amtmann zu Sankt Ylien. St. Ylien, wieso St. Ylien? Auch in der Einleitung ist eindeutig von Convent St. Ylien in Münster die Rede. Wieso wurde St. Aegidii so genannt? Der Heilige St. Aegidius ist der französische Heilige St. Gilles, der bereits im 12. Jahrhundert in Münster als Retter in der Not höchste Verehrung genossen hat.7

Foto: A. Diener

Eindeutig wird das Kloster Sunte Ylin genannt.

 

Mit der Übernahme des in Westfalen üblichen Niederdeutschen auch in die Sprache der Urkunden wurde aus St. Gilles, bzw. St. Gillis schließlich sunte Ilien oder Tilien ( aus St. Ilien zusammengezogen)  und schließlich St. Ylijn oder- wie in dieser Urkunde St. Ylien.8

Foto: A. Diener

Die Urkunde Nordkirchen, Nr. 233, 1423 Februar 7

 

Literatur:

Wilhelm Kohl,  Das Zisterzienserinnenkloster, später Benediktinerkloster St. Aegidii zu Münster (= Germania Sacra, Dritte Folge 1), Berlin, New York 2009

Theodor Ilgen, Die westfälischen Siegel des Mittelalters / mit Unterstützung der Landstände der Provinz hrsg. vom Verein für Geschichte und Alterthumskunde Westfalens. Bd. III.Die Siegel der geistlichen Corporationen und der Stifts-, Kloster- und Pfarr-Geistlichkeit, Münster 1889

Die zentrale Literaturangabe für die symbolischen Darstellungen auf Siegeln ist: Lexikon der Christlichen Ikonographie.  8 Bände  Hier: Rom, Freiburg, Basel, Wien 1994/2004

  1. Nordkirchen, Urkunden, Nr. 233, 1423 Februar 7
  2. Anders als Ilgen es formuliert ist hier kein Symbol für die Jungfräulichkeit gemeint, vgl. Ilgen, Westfälische Siegel Bd. 3, S. 54. Zum Symbol des Dornenbusches als Mariensymbolik vgl. auch M.Q. Smith, Dornenbusch, in: Lexikon für christliche Ikonographie, Bd. 1, sp. 510-511.
  3. P. Gerlach, Hirsch, in: Lexikon für christliche Ikonographie, Bd. 2, sp. 286-289. Hier v.a. sp. 286-287.
  4. Ilgen, Westfälische Siegel, Bd. 3, S. 54.
  5. Mechthildis Cleivorn die Jüngere (1417-1430) war 1423 Äbtissin. Sie entstammte einem münsterschen Erbmännergeschlecht. Vgl. Kohl,  S.282.
  6. Nordkirchen, Urkunden, Nr. 233, 1423 Februar 7. Domenica prima post Purificationis B. Mariae virginis
  7. Kohl, S. 36-37, hier S. 37.
  8. Kohl, S. 31.

Quelle: http://siegelblog.hypotheses.org/79

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Das Schöpfungsportal des Freiburger Münsters

Gastbeitrag von Michael Schonhardt (Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.)

Einleitung

Seit dem 30. November 2013 empfängt das Augustiner-Museum Freiburg seine Besucher zur großen Baustelle Gotik. Die Sonderausstellung erfreut sich seitdem größter Beliebtheit und wurde unlängst bis Oktober 2014 verlängert. Gleich zu Beginn, am Eingang des großen Ausstellungsraumes, wird der Besucher von einem – gerade im Mittelalter – eher versteckten Schatz des Münsters begrüßt.1

Dieses kleinere Portal auf der Nordseite des spätgotischen Chores steht natürlich im Schatten der monumentalen Portalvorhalle im Westen. Durch seine besondere ikonographische Gestaltung der Genesis-Geschichte ist das Portal aber äußerst faszinierend, und das nicht nur für die Kunstgeschichte, sondern gerade auch für Wissenschaftshistoriker. Es erlaubt einen Einblick in den Stand der Wissenschaften in der Stadt Freiburg und deren Verbindungen zum Oberrhein im 14. Jahrhundert. Gerade deswegen ist es äußerst erfreulich, dass dieses Portal 2006 nicht nur umfassend restauriert wurde2, sondern seit dieser Zeit von verschiedenen Seiten neue Thesen zu Funktion, Baugeschichte und ideengeschichtlichem Hintergrund des Portals vorgelegt wurden.

Der folgende Beitrag möchte sich in Anlehnung an diese Forschung vor allem den kosmologischen Modellen der Archivoltfiguren, insbesondere des vierten Schöpfungstages, widmen. Zunächst soll die Außenansicht des Portals, dann der aktuelle Forschungsstand kurz vorgestellt werden. Darauf aufbauend möchte ich einige der jüngeren Thesen zum geistigen Hintergrund der Darstellungen kritisch würdigen und aus der Sicht der Wissenschaftsgeschichte ergänzen.

Das Schöpfungsportal am Freiburger Münster. Quelle Wikicommons, Nutzer: Daderot, Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.

Das Schöpfungsportal am Freiburger Münster. Quelle Wikicommons, Nutzer: Daderot, Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.

Das Portal befindet sich auf der Nordseite des spätgotischen Chores und führte zur alten Andreaskapelle auf dem ehemaligen Friedhof. Ikonographisch ist das Portal (zumindest auf seiner Außenseite) ganz dem Genesisbericht verpflichtet: Während die Figuren der Archivolte die Schöpfung der Welt, aller Geschöpfe und des Menschen darstellen, behandelt das Tympanon in seinem oberen Feld, also dem Bogenscheitel, zunächst den Engelsturz.

Erster Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Erster Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Darunter werden die Ursünde und die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies sowie die tägliche Mühsal als Folge ihres Vergehens geschildert. Die Figuren der Archivolten stellen die Schöpfung in einer zunächst befremdlichen Reihenfolge dar:

Beginnend oben links zeigt die erste Figur die Erschaffung des Himmelsgewölbes (Tag 1). Daneben scheidet Gott Vater das Licht von der Dunkelheit (Tag 2). Es folgt darunter die Erschaffung der Bäume am dritten Tag. Es folgt ein Sprung auf die linke Seite, wo die Erschaffung der Gestirne (4. Tag) anhand eines Sphärenmodells des Kosmos dargestellt ist.

Zweiter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Zweiter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Ein erneuter Sprung führ zurück auf die rechte Seite zum fünften Tag, an dem die Fische und Vögel das Licht der Welt erblicken. Die drei übrigen Szenen der linken Seite illustrieren die Erschaffung des Menschen am sechsten Tag, bis Gottvater nach getanem Werk ruht (rechte Seite, vorletzte Figur). Die letzte Figurenszene zeigt die Vermählung von Adam und Eva.

Dritter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Dritter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

In der Genesis heißt es dazu:

„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag. Dann sprach Gott: Ein Gewölbe entstehe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. Gott machte also das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes. So geschah es und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag. Dann sprach Gott: Das Wasser unterhalb des Himmels sammle sich an einem Ort, damit das Trockene sichtbar werde. So geschah es. […].

Vierter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Vierter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tagen und Jahren dienen; sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, die über die Erde hin leuchten. So geschah es. Gott machte die beiden großen Lichter, das größere, das über den Tag herrscht, das kleinere, das über die Nacht herrscht, auch die Sterne. Gott setzte die Lichter an das Himmelsgewölbe, damit sie über die Erde hin leuchten, über Tag und Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Gott sah, dass es gut war.“3

Betrachtet man die entsprechenden Darstellungen des Freiburger Portals, vor allem der Erschaffung des Kosmos und der Gestirne, so wird deutlich, dass man sich hier nicht auf eine reine Wiedergabe des Genesistextes beschränkte. Vielmehr wurden naturwissenschaftliche Kosmos-Modelle der Zeit integriert, die in ihrem Informationsgehalt weit über den biblischen Bericht hinausgehen.  Vor allem der vierte Schöpfungstag, also die Erschaffung der Gestirne, besticht durch ein detailliertes Sphärenmodell, auf das im Folgenden mehrfach zurückzukommen sein wird (siehe Bild “Vierter Schöpfungstag”). In Freiburg verbindet sich also das biblische Wissen über die Schöpfung mit zeitgenössisch naturwissenschaftlichem Wissen über den Aufbau des Kosmos. Am Freiburger Schöpfungsportal, so stellte Karl Schaefer 1899 fest, „waltet ein anderer, man möchte sagen naturwissenschaftlicher Geist.“4

Forschungsstand

Mit Schaefers Aufsatz im Schau-ins-Land beginnt auch die wissenschaftliche Erforschung dieses Portals. Auch wenn dessen Arbeit sicherlich das Verdienst der ersten Würdigung des Portals zusteht, seine Thesen stellten sich freilich recht schnell als fragwürdig heraus. Die wichtigsten Meilensteine der älteren Forschung nach Schaefer sind die 1915 vorgelegte Studie des Freiburger Kunsthistorikers Wilhelm Vöge5 sowie ein Aufsatz von Adolf Weis von 19526. Daneben wurde das Chorportal natürlich auch in der Übersichtsliteratur zum Freiburger Münster rezipiert.7 Nach einer längeren Pause wurden 2005 und dann im Zuge der Restauration des Portals 2006 und 2007 gleich mehrere wissenschaftliche Publikationen zum Schöpfungsportal vorgelegt, zum einen eine Reihe baugeschichtlicher Studien,8 zum anderen aber auch neue Deutungsversuche9.

Besonders drei Fragen standen im Fokus dieser Forschungen:

  1. Die Frage nach der Einheitlichkeit des Portals und der Urheberschaft der Skulpturen (insbesondere das Verhältnis zur Parlerschule).
  2. Die stilistische Einordnung des Werks und die Frage nach etwaigen Vorbildern.
  3. Das ikonographische Programm und dessen kulturhistorischer Hintergrund.

Schaefer betonte 1899 – nicht ganz zu recht – die Einmaligkeit und Besonderheit des Zyklus, machte aber bereits auf vergleichbare Skulpturen in Worms, Ulm und vor allem Thann aufmerksam. Den „Freiburger Meister“ begrüßt er „als hochbegabten, selbstständig schaffenden, denkenden Künstler“.10 Die Entstehung der Figuren „möchte [… er] am liebsten in die Zeit vor 1400 setzen.“11 „Es macht ganz entschieden den Eindruck, als sei der ganze Bilderschmuck des Portals von einer Hand ausgeführt […].“12

Schöpfung in St. Theobald in Thann. Quelle: Wikicommons, Nutzer: Rama, Lizenz: CC BY-SA 2.0 FR (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/fr/deed.en)

Schöpfung in St. Theobald in Thann. Quelle: Wikicommons, Nutzer: Rama, Lizenz: CC BY-SA 2.0 FR (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/fr/deed.en)

Diesen Thesen widersprach Wilhelm Vöge entschieden in seinem Beitrag für die Freiburger Münsterblätter. Hier nimmt er dezidiert Stellung gegen Schaefers Datierung und dessen These über die Urheberschaft eines einzelnen Meisters: „[W]ir haben, irre ich nicht, aus dieser Zeit nur wenige Portale, die ein so interessantes Neben- und Nacheinander verschiedener Hände und Stile zeigen, wie dieses, an sich nicht bedeutende Freiburger Chorportal der Nordseite.“13 Nach Vöge sei das Portal nicht aus einem Guss geschaffen, sondern ein Konglomerat verschiedener Stile, die teilweise eine oberrheinische Verbindung, insbesondere nach Straßburg, nahelegen: „Der Meister aber, der den Figurenschmuck der Archivolte – die Schöpfungsgeschichte – begonnen hat, ist nach Stil und Wesen weit altertümlicher als die anderen, ist der oberrheinischen – Straßburg-Freiburger – Blüte des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts noch rätselhaft nah.“14

Anders als Paul Hartmann15 reduziert Vöge den Einfluss der berühmten Parlerschule auf das Portal und spart gerade die interessanten Schöpfungsfiguren von diesem aus. Diese Figuren habe man schon ganz zu Beginn der Chorbauten erstellt, als die Parler damit noch nichts zu tun hatten (laut Inschrift begannen die Arbeiten am Chor 1354, erst 1359 wird Johann Parler mit der Bauleitung betraut)16.

Chorinschrift am Freiburger Münster. Quelle: Wikicommons, Nutzer: joergens.mi, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/).

Chorinschrift am Freiburger Münster. Quelle: Wikicommons, Nutzer: joergens.mi, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/).

Er stellt abschließend fest: „[U]nser Meister der ersten Schöpfungstage, der älteste der am Portal beteiligten Meister, hat mit Schwaben und den Parlern nicht das geringste zu tun […]. Er ist Oberrheiner, wobei es dahingestellt bleiben mag, ob er mehr in Straßburg oder in Freiburg zu Hause war.“17

Vöges These einer Verbindung nach Straßburg wurde durch die nachfolgende Forschung weitgehend geteilt,18 wenngleich im Detail unterschiedlich bewertet. Während Kempf in seinem Freiburger Münster19 eine getreue Übernahme des Zyklus aus Straßburg annahm, vertrat Otto Schmitt20 die These einer Erweiterung des Skulpturenprogramms.

Ein grundlegend wissenschaftlicher Fortschritt gelang erst wieder 1952 durch Adolf Weis,21 der das ikonographische Programm der Figuren eingehend würdigte. Weis folgte Vöge darin, dass die ersten Figuren der Archivoltengruppen (die oberen zwei Szenen der linken Seite sowie die oberen drei Szenen der rechten Seite) der Straßburger Bildhauerwerkstatt um 1300 nahe stünden. Im Vergleich zu den anderen Figuren des Portals bestünde ein „tiefgreifende[r] Unterschied in Geist und Form“, der „zwingend auf den Anteil von mehreren Meistern oder zumindest Werkstätten an unserem Portal“ hinweist. Er  vermutet eine „grundlegende Planänderung“ für das Portal, die sich dadurch erklären ließe, „daß bereits im frühen 14. Jahrhundert ein Schöpfungsportal – vielleicht schon für einen neuen Chorbau – projektiert und begonnen, aber nicht vollendet wurde, von dem dann die ausgeführten Teile am heutigen Nordeingang verwendet wurden“.22

Straßburger Skulptur auf Stich des 17. Jahrhunderts. Aus Pinskus 2009.

Straßburger Skulptur auf Stich des 17. Jahrhunderts. Aus Pinkus 2009.

Nicht nur der Stil des Meisters der fünf oberen Archivoltenfiguren lege eine Verbindung nach Straßburg nahe, auch die Ikonographie der Figuren stamme aus der Kathedralstadt am Oberrhein: Ein Stich des 17. Jahrhunderts bezeugt für das mittlere Westportal des Straßburger Münsters entsprechende Figuren, die allerdings den Kirchenstürmen der französischen Revolution zum Opfer gefallen sind und im 19. Jahrhundert keine originalgetreue Rekonstruktion erfuhren. Der Freiburger Meister habe seiner Ansicht nach auf Musterbücher der Straßburger Werkstatt zurückgegriffen, die ihrerseits durch die zeitgenössische Bibel-Malerei und byzantinische Kunst beeinflusst waren.23

Sphärenmodell am Freiburger Münster - Foto: privat

Sphärenmodell am Freiburger Münster – Foto: privat.

Weis betonte auch als erster Forscher die Besonderheit des Sphärenmodels: „Im Straßburg-Freiburger Schöpferbild mit ‚Himmel und Erde‘ sowie vor allem in den ‚acht Sphären‘ hätten wir demnach wohl nichts anderes vor uns als die Umsetzung dieser Motive [gemeint sind Motive der zeitgenössischen Bibel-Malerei und byzantinischen Kunst] in die Monumentalplastik; der Kosmos, der in den Miniaturen gewissermaßen als Querschnitt durch die Himmelssphären aufzufassen ist, wird von den Bildhauern in Seitenansicht als wirkliches Gewölbe gegeben, unter dem die Planetenbahnen mit den aufgesetzten Gestirnen notwendigerweise als Ringe herausragen, um erkennbar zu werden.“24

Weis‘ Studie war der vorerst letzte Baustein der Forschung zum Schöpfungsportal, deren Stand sich folgendermaßen zusammenfassen lässt:

  • Die Skulpturen des Portals entstammen unterschiedlichen Händen und stilistischen Phasen.
  • Die oberen fünf Archivoltskulpturen gehen nicht auf die Parlerschule zurück, sondern sind früher und oberrheinisch geprägt.
  • Die Figuren stehen in starker Abhängigkeit von Straßburg und könnten über dortige Musterbücher von der Buchmalerei und der byzantinischen Kunst beeinflusst sein.

Erst in jüngster Zeit wurden die Forschungen zum Portal wieder aufgenommen. Seit 2006 befasste sich gleich eine ganze Reihe wissenschaftlicher Publikationen mit dessen Baugeschichte und Ikonographie.

Neuere Forschung zur Baugeschichte des Portals

Den ambitioniertesten Versuch einer Neubewertung der Portalskulpturen hat der Kunsthistoriker Assaf Pinkus vorgelegt. Zunächst 2006 in seinem deutschen Aufsatz für die Münsterblätter, 2009 folgte seine umfangreichere Monographie zur Parlerschule.25  Hier schlägt Pinkus gleich in doppelter Hinsicht eine alternative Lesart des Portals vor: zum einen ikonographisch (hierzu später mehr), zum anderen baugeschichtlich. Pinkus vertritt die These, das Chorportal bilde eine programmatische Einheit und ginge in seiner Gesamtheit auf die Planungen Johann Parlers zurück: “Eine Inschrift am nördlichen Chorportal belegt, dass der Grundstein 1354 gelegt wurde, während ein Dokument von 1359 die Anstellung des Meisters Johann von Gmünd nennt, der wahrscheinlich mit Johann Parler zu identifizieren ist. Obwohl Chor und Portal bereits fünf Jahre früher begonnen wurden, war Johann – so die naheliegende Vermutung – von Anfang an für Planung und Baubeginn verantwortlich.”26 Pinkus bezieht sinnvollerweise erstmals nicht nur die Innenseite des Schöpfungsportals in seine Studie mit ein, sondern auch das südliche Chorportal. Das nördliche Portal war seiner Einschätzung nach “im 14. Jahrhundert zweifellos vollendet”.27

Neben Pinkus’ Arbeit müssen vor allem Publikationen aus dem Umfeld der Restauration des Schöpfungsportals aus baugeschichtlicher Perspektive hervorgehoben werden. Zum einen die Studie von Johanna Quatmann zur Funktion und Farbgebung des versteckten Portals am Münster,28 zum anderen die penible Rekonstruktion des Bauprozesses durch Stefan King.29

Kings Untersuchungen bestätigen im Wesentlichen die Meinung der älteren Forschung, die Figuren des Portals unterschiedlich zu datieren. Für die fünf oberen Figuren hält er „die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts [für] wahrscheinlich“,30 womit Johann Parler als Urheber oder spiritus rector der oberen Figuren ausscheiden würde (auch wenn er natürlich für die Integration dieser Figuren in das Portal verantwortlich sein könnte). Seiner Ansicht nach seien diese früheren Skulpturen für ein früheres Bauprojekt geschaffen worden, für ein „nicht ausgeführtes Chorbauprojekt“, oder „eine geplante Aufwertung der Nordportale von Quer- oder Langhaus […]“.31 „Da die Skulpturen teilweise unvollendet blieben, kann vermutet werden, dass man die Arbeit niedergelegt hat, weil das Bauprojekt nicht mehr weiterverfolgt wurde. Dass sie überhaupt bis zu diesem Grad ausgearbeitet sind, könnte dem Umstand geschuldet sein, dass sie während des Versetzens hätten eingebaut werden müssen, und es sich deshalb empfohlen hat, früh genug, vielleicht schon lange vor dem eigentlichen Baubeginn, die Bildhauerarbeit aufzunehmen. Folglich ist es nicht unwahrscheinlich, dass man mit dem eigentlichen Bauvorhaben nie begonnen hat.“32

Zum kulturhistorischen Hintergrund der oberen Archivoltfiguren

Auch wenn sich Pinkus in seiner Annahme einer Parler’schen Provenienz des gesamten Portals wohl geirrt hat, seine ikonographische Neubewertung der Figuren bleibt trotzdem interessant. Er entlockt den beiden Portalen des Chores eine gemeinsame typologische Bedeutung, die Szenen beider Testamente in eine sinnhafte Beziehung zueinander setzt. Zum einen drücke sich in den Szenen die unio mystica aus, also die Verbindung von Seele und Schöpfer bzw. Christus. Zum anderen stünde das Programm der beiden Portale unter dem Motiv von Zurückweisung und Wiederaufnahme: Die Vertreibung aus dem Paradis, die letztlich durch die Inkarnation und das Opfer Jesu in der Erlösung mündet.33  

Im Anschluss an diese interessante Deutung der komplexen Poratlikonographie vertritt der Kunsthistoriker die These, das Schöpfungsportal zeige als eine Art astronomischer Kalender ein mit dieser Deutung in Verbindung stehendes liturgisches Fest an: “Die Freiburger Chorflankenportale scheinen dieser Typologie zu folgen. Miteinander verwoben sind der Fall der Engel, die Ursünde, die Ausweisung aus dem Paradies und die Erschaffung des Lichts im Sinne eines astronomischen Kalenders. Gott zeigt mit seinem Finger den Moment an, an dem diese Ereignisse stattfanden. Obwohl Zeichen des Zodiakus [Sternbilder, die zur Berechnung der Zeit dienen] in Freiburg nicht nachgewiesen werden können und deshalb der genaue Kalender nicht zu rekonstruieren ist, scheint es möglich, dass die astronomischen Zeichen ursprünglich auf die Himmelskugel gemalt waren bzw. daß eine Bemalung geplant war. Jedenfalls verweist der Zeigefinger Gottes, der ‘didaktisch zeigt’ […] auf die Tradition des astrologischen Kalenders.”34 Auch wenn seiner typologischen Interpretation des Bildprogramms zu folgen ist, mit der Deutung des Sphärenmodells als astrologischer Kalender schießt Pinkus meiner Ansicht nach etwas über das Ziel hinaus. Zum einen wäre die naheliegendste Erklärung für den didaktischen Zeigefinger Gottes wohl eher eine didaktische Funktion des Modells, zum anderen konnte Johanna Quatmann keine mittelalterliche Bemalung der Figuren feststellen. Vor diesem Hintergrund bleibt Pinkus’ interessantes Gedankenspiel bloße Spekulation.  

Wahrscheinlicher ist allerdings seine Vermutung, die Darstellung der ersten Schöpfungstage sei nicht von der zeitgenössischen Kunst inspiriert, sondern von wissenschaftlichen Vorstellungen über den Kosmos: „The arrangement of the stars [des Sphärenmodells] […] reflects a simplified model of the cosmos, corresponding to fourteenth-century cosmology”,35 genauer auf die Kosmologie von Johannes von Sacrobosco und Albertus Magnus: “(E)rkennbar sind die Sonne in der vierten Sphäre und ein Halbmond in der zweiten Sphäre.” Am nebenstehenden Thanner Modell ist dies eindeutiger zu erkennen. Dem “Freiburger Digramm [entspricht] die Kosmologie von Albertus Magnus. Die Anregung für dieses Vorbild muss nicht notwendig außerhalb von Freiburg gesucht werden, da Albertus Magnus schon um 1235 Theologie am Predigerkloster in Freiburg lehrte.”36

Sphärenmodell aus St. Theobald in Thann mit der Sonne an vierter Stelle.

Sphärenmodell aus St. Theobald in Thann mit der Sonne an vierter Stelle. Aus Pinkus 2009.

Ähnlich argumentiert auch Wolfgang Schneider, dessen Aufsatz schon 2005 erschienen ist, von Pinkus aber nach Ausweis der Fußnoten nicht rezipiert wurde. Auch er betont die Anordnung der Planeten, die sich “ganz erheblich von früheren, bis dahin überlieferten Vorstellungen vom Kosmos” unterscheide und eine aristotelisch geprägte Deutung des Kosmos vertrete.37

“[E]in kleines Detail […] verrät, daß diesem Bild eine noch neure Vorstellung vom Kosmos zugrunde lag. Die schmalen Ränder der inneren Kugelschalen lassen nämlich jeweils einen stilisierten Stern/Planeten erkennen – außer der vierten Kugelschale, die mit einer stilisierten Sonne besonders gekennzeichnet ist. In Platons Kosmos kreist die Sonne jedoch an zweiter Stelle um die Erde. Der Entwerfer des Bildwerkes am Schöpfungsportal hat sich offenbar an dem ‘neuen’ Weltbild des Aristoteles (384-322 v. Ch.) orientiert”, “[d]essen […] philosophisches und wissenschaftliches System […] im 12. Jahrhundert durch Übersetzungen aus dem Arabischen im Abendland wiederentdeckt [wurde]“,  und sich im “13. Jahrhundert weitgehend durchgesetzt” hat.38Das Portal wäre damit als dezidierte Rezeption der aristotelischen Lehre zu deuten, und das, obwohl es in Freiburg ”im 14. Jahrhundert weder eine Kathedralschule noch eine Universität gab […].”39 Als intellektueller Urheber “wäre indes der Konvent der Dominikaner zu sehen, der rund ein Jahrhundert vor der Errichtung des Schöpfungsportals den Ordensbruder Albertus Magnus mehrmals zu seinen Besuchern zählen durfte; jener herausragende Wissenschaftler, der mit Thomas von Aquin die Synthese von Aristotelismus und Christentum vollzog. Könnte die Anregung für das Bildprogramm am Schöpfungsportal von naturphilosophisch gebildeten Mönchen dieses Klosters ausgegangen sein, die in der Nachfolge des Heiligen Albert sich intensiv den Wissenschaften widmeten?”40

Träfen diese Annahmen zu, wäre dies außerordentlich schmeichelhaft für Freiburg, das sich sogar schon in voruniversitärer Zeit als intellektuelles Schwergewicht am Oberrhein positionieren könnte. Sie sind aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive aber leider nicht sehr wahrscheinlich.

Der Einfluss naturwissenschaftlicher Ideen auf das Schöpfungsportal

Zunächst beziehen sich sowohl Pinkus als auch Schneider auf eine sehr holzschnittartige Lesart der Ideengeschichte, die die mittelalterlichen Naturwissenschaft in zwei Phasen unterteilt: In eine frühe Phase, die vor allem platonisch geprägt ist, und eine spätere Phase, die auf dem neu entdeckten (und vor allem neu übersetzten) corpus aristotelicum basiert. Diese Einteilung mag als grobe Richtschnur sicher sinnvoll sein, die Ideengeschichte mittelalterlicher Kosmsosvorstellungen ist in Wirklichkeit aber weit komplexer, gerade was die Ordnung der Planeten betrifft.41  

In der antiken und mittelalterlichen Kosmologie unterschied man mit Blick auf die Planeten grob gesprochen zwischen zwei Ordnungssystemen: Der Ägyptischen Ordnung (Erde – Sonne – Mond – Merkur – Venus …) sowie der Chaldäischen Ordnung (Erde – Mond – Merkur – Venus – Sonne …). Während Plato sich für die Ägyptische Einteilung entschied, befolgte Aristoteles in Anlehnung an Archimedes das Chaldäische System. Den Gelehrten der Spätantike und des Mittelalters waren diese konkurrierenden Entwürfe wohl bekannt.

So überliefert bereits Ciceros kosmologisches Werk über den Traum des Scipio die Chaldäische Reihung mit der Sonne als dem mittleren der Planeten. Sein Kommentator Macrobius klärt den mittelalterlichen Leser auf:

“Als nächstes müssen wir einige Dinge über die Ordnung der Sphären sagen, eine Angelegenheit, in der sich Cicero von Plato unterscheidet, da er von der Sphäre der Sonne als der vierten von sieben spricht, die eine mittlere Stellung einnimmt. Dagegen sagt Plato, dass sie gleich über dem Mond steht und damit von oben gezählt den sechsten Platz der sieben Sphären [also den zweiten von der Erde aus betrachtet] einnimmt. Cicero ist in Übereinstimmung mit Archimedes und dem Chaldäischen System; Plato folgt den Ägyptern, den Urhebern aller Zweige der Philosophie, die die Sonne zwischen Mond und Merkur positioniert haben, auch wenn sie die Gründe, aus denen andere schlossen, die Sonne stünde über Merkur und Venus, herausfanden und darlegten.”42

Dieses Bewusstsein gab es auch in der Hochphase des Neuplatonismus. Wilhelm von Conches weist noch im 12. Jahrhundert auf die unterschiedlichen Thesen zur Reihung der Planeten hin, auch wenn er selbst die platonische bevorzugte: Seinem Herzog legt er im Lehrgedicht Dragmaticon in Reaktion auf die Darstellung einer platonischen Planetenreihung die Frage an seinen Lehrer in den Mund: “Wieso sagst du, dass Venus der vierte und Merkur der fünfte Planet nach Plato ist? Gab es andere Philosophen, die anderes behaupten?”, worauf dieser auch die abweichenden Lehrmeinungen zur Sprache bringt.43 Die als richtig erachtete Reihenfolge der Planeten änderte sich also nicht schlagartig während des 13. Jahrhunderts, sondern war im gesamten Mittelalter Gegenstand einer virulenten Debatte. Durch Martianus Capella kannte man darüber hinaus bereits im frühen Mittelalter neuplatonische Versuche einer synthetischen Erklärung des Gelehrtenstreits: In Wirklichkeit hätten sich die Planeten Venus und Merkur nämlich nicht um die Erde gedreht, sondern hätten die Sonne als Zentrum ihrer Bahnen. Je nach Konstellation erschienen daher zuweilen die beiden Planeten, zuweilen die Sonne näher zu Erde (und damit an zweiter bzw. vierter Stelle im Sphärensystem).

Diagramm zum Verhaltnis von Sonne, Merkur und Venus. Aus St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 248, fol. 82v. Lizenz: CC BY-NC 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/).

Diagramm zum Verhaltnis von Sonne, Merkur und Venus. Aus St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 248, fol. 82v. Lizenz: CC BY-NC 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/).

Mit Blick auf das intellektuelle Niveau des Schöpfungsportales ist besonders bezeichnend, dass die aristotelisch inspirierte Reihenfolge der Planeten gerade nicht nur in der scholastischen Literatur des höheren Universitätsniveaus gepflegt wurde, sondern auch in Texten zu finden ist, die zur absoluten Grundlagenbildung des Mittelalters gehören, vor allem Bedas De natura rerum44 und der Imago mundi des Honorius.45  Diese Texte erfreuten sich außerordentlicher Beliebtheit und wurden auch an “gewöhnlicheren” Bildungseinrichtungen, etwa einer Klosterschule, gelehrt. So schreibt Beda im 13. Kapitel seiner kosmologischen Enzyklopädie:

“Der oberste der Planeten ist der Stern des Saturn, der von Natur aus sehr kalt ist. Er vollendet seinen Kurs um die Sonne in dreißig Jahren. Dann kommt der Jupiter, temperiert, mit zwölf Jahren. Als drittes Mars, extrem heiß, der zwei Jahre benötigt. In der Mitte ist die Sonne, [die] in 365 Tagen [die Erde umrundet]. Darunter steht die Venus, die auch Lucifer und Vesper genannt wird, und 348 Tage benötigt. […] Danach kommt der Stern des Merkur, der neun Tage schneller ist. […] An letzter Stelle kommt der Mond […].”46

Auch auf der ikonographischen Ebene ist dieser Befund festzustellen. Die wissenschaftlichen Texte der Spätantike wurden ins Mittelalter weitgehend unillustriert überliefert. Erst in der Karolingerzeit wurden den komplexen Texten Diagramme als klärende und didaktische Hilfsmittel beigegeben. Interessanterweise spiegelt sich die virulente Forschungsdebatte um die Ordnung der Planeten kaum in diesen Diagrammen. Bruce Eastwood hat vielmehr darauf hingewiesen, dass die diagrammatische Tradition der Kosmosdiagramme die Chaldäische Ordnung der Ägyptischen vorzieht, auch wenn der Text selbst die platonische Reihung propagierte.47 Mittelalterliche Kosmos-Diagramme überliefern daher auch in früherer Zeit mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Reihenfolge der Planeten, die die Sonne – wie im Fall des Freiburger Schöpfungsportals – an vierter Stelle der Planeten positionieren, so ein Kosmosmodell der Arnsteinbibel aus dem frühen 13. Jahrhundert.

Kosmosdarstellung aus British Library, Harley 2799, fol. 242r (http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/ILLUMIN.ASP?Size=mid&IllID=17378)

Kosmosdarstellung aus British Library, Harley 2799, fol. 242r (http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/ILLUMIN.ASP?Size=mid&IllID=17378).

Auch wenn die naturphilosophischen Schriften des Aristoteles erst im 13. Jahrhundert eine nennenswerte Verbreitung gefunden haben, war die von ihm gewählte Reihenfolge der Planeten also wohl bekannt und in mittelalterlichen Standardwerken, von denen hier nur einige wenige Beispiele gegeben wurden, in Wort und Bild allgegenwärtig. Ideengeschichtlich lässt sich das Schöpfungsportal daher keineswegs auf neuere wissenschaftliche Strömungen zurückführen. Mit Blick auf die Freiburger Bildungslandschaft und dem anzunehmenden Bildungsgrad der für den Bau Verantwortlichen ist es im Gegenteil viel wahrscheinlicher, dass die inhaltliche Vorlage in den gerade im außeruniversitären Bereich gelehrten Standardwerken von Beda oder Honorius zu sehen ist. Ein Umstand, der dann gerade nicht für eine außerordentliche Bildung des etwaigen spiritus rector sprechen würde.

Meiner Ansicht nach ist Pinkus zwar insofern zuzustimmen, dass die Vorlage des Freiburger Sphärenmodells im wissenschaftlichen Bereich zu suchen ist. Der lehrende Gestus des Schöpfers verweist dabei recht konkret auf eine wahrscheinliche Vorlage für das Sphärenmodell. Gelehrt wurde im Mittelalter nicht nur durch das Lesen bzw. Vorlesen bestimmter Texte, sondern vor allem mit Bezug auf visuelle Hilfsmittel, den Diagrammen. Das oben stehende Beispiel verdeutlicht eindrücklich die ikonographische Nähe des Freiburger Modells zu diesen didaktischen Abbildungen, die in jeder Schule und jedem Kloster in Hülle und Fülle vorhanden waren.

Das Freiburger Sphärenmodell ist als getreue Umsetzung eines gewöhnlichen und ubiquitär anzutreffenden Diagramms des Kosmos also kein Ausweis besonderer Bildung des 14. Jahrhunderts. Gleichwohl stellt es ein beeindruckendes Beispiel für das Interesse der Zeitgenossen an der Schöpfung dar, das über eine rein religiöse Deutung weit hinausreicht. Insofern, um auf Karl Schaefer zurückzukommen, waltete in Freiburg und am Oberrhein vielleicht tatsächlich „ein anderer, man möchte sagen naturwissenschaftlicher Geist.“48

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Michael Schonhardt promoviert bei Prof. Dr. Birgit Studt (Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte II) an der Universität Freiburg und ist Mitarbeiter im Erzbischöflichen Archiv Freiburg. Er beschäftigt sich mit der Tradition und Rezeption von theoretischem Wissen über die Natur im 12. Jahrhundert und begleitet seine Dissertation mit einem Blog unter quadrivium.hypotheses.org. Seine Masterarbeit (Michael Schonhardt: Kloster und Wissen – Die Arnsteinbibel und ihr Kontext im frühen 13. Jahrhundert. Reihe Septem 2, Freiburg 2014.) hat er zu naturwissenschaftlichen Diagrammen des hohen Mittelalters verfasst. Im Rahmen seiner Archivtätigkeit publiziert er außerdem ein Kriegstagebuch aus dem Ersten Weltkrieg.

  1. Vgl. Quatmann, Johanna: Das versteckte Portal am Münster?  In: Münsterblatt 13 (2006), S. 13-19.
  2. Vgl. Kürten, Luzius: Steinrestaurierung und -konservierung am Schöpfungsportal. In: Münsterblatt 13 (2006), S. 21-23; King, Stefan: Bauforschung am Schöpfungsportal. In: Münsterblatt 14 (2007), S. 38.
  3. Genesis 1.1-18.
  4. Schaefer, Karl: Die Weltschöpfungsbilder am Chorportal des Freiburger Münsters. In: Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland 26 (1899), S. 11-24, hier S. 16.
  5. Vöge, Wilhelm: Zum Nordportal des Freiburger Münsters. In: Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters 11 (1915), S. 1-9.
  6. Weis, Adolf: Das Freiburger Schöpfungsportal und das Musterbuch von Strassburg. In: Das Münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft 5 (1952), S. 181-193.
  7. Vgl etwa Hartmann, Paul: Die gotische Monumentalplastik in Schwaben. München 1910; Kempf, Friedrich: Das Freiburger Münster. Karlsruhe 1926, S. 1-9; Schmitt, Otto: Gotische Skulpturen des Freiburger Münsters. Frankfurt 1926, S. 59-60 (jeweils mit umfangreichen Bildmaterial); Lüdke, Dietmar: Artikel in: Die Parler und der schöne Stil 1350-1400. Bd. 1. Köln 1978, S. 298-299; Ingeborg Krummer-Schroth: Geschichte und Einordnung der Skulpturen. In: Die Skulpturen des Freiburger Münsters. Freiburg 3. Auflage 1999, S. 119-121.
  8. Vgl. Quatmann: das versteckte Portal; King, Stefan:
    Zum Schöpfungsportal des Freiburger Münsters: ein Bildprogramm mit “Stilbruch”
    King, Stefan. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 37 (2008), S. 69-76.
  9. Pinkus, Assaf: Das Schöpfungsportal: Kunst und Lehre im mittelalterlichen Freiburg. In: Münsterblatt 13 (2006), S. 4-12; Ders.: Patrons and Narratives of the Parler School. The Marian Tympana 1350-1400. München/Berlin 2009; Schneider, Wolfgang: Ein Modell des Kosmos am Schöpfungsportal des Freiburger Münsters. In: Freiburger Diözesanarchiv 125 (2005), S. 241-248.
  10. Schaefer: Die Weltschöpfungsbilder, S. 19.
  11. Ebd., S. 21
  12. Ebd., S. 20.
  13. Vöge: Zum Nordportal, S. 2.
  14. Ebd., S. 2.
  15. Die gotische Monumentalplastik.
  16. Vgl. Adam, Ernst: Artikel in: Die Parler und der schöne Stil 1350-1400. Bd. 1. Köln 1978, S. 293.
  17. Vöge, Zum Nordportal, S. 6.
  18. anders Ingeborg Krummer-Schroth: Geschichte und Einordnung der Skulpturen.
  19. Vgl. Kempf: Das Freiburger Münster.
  20. Vgl. Schmitt: Gotische Skulpturen.
  21. Vgl. Weis: Das Freiburger Schöpfungsportal.
  22. Ebd., S. 183.
  23. Ebd., S. 189.
  24. Ebd., S. 186.
  25. Vgl. Pinkus:  Das Schöpfungsportal; Ders. Patrons and Narratives.
  26. Pinkus: Das Schöpfungsportal, S. 4.
  27. Ebd.
  28. Vgl. Quatmann: Das versteckte Portal.
  29. Vgl. King: Zum Schöpfungsportal.
  30. Ebd., S. 74.
  31. Ebd., S. 76
  32. Ebd.
  33. Vgl. Pinkus: Das Schöpfungsportal, S. 9-11.
  34. Ebd., S. 11.
  35. Pinkus: Patrons and Narratives, S. 209.
  36. Pinkus: Das Schöpfungsportal, S. 9.
  37. Schneider: Ein Modell des Kosmos, S. 242.
  38. Schneider: Ein Modell des Kosmos, S. 243-244.
  39. Ebd., S. 247.
  40. Ebd.
  41. Vgl. zum folgenden Eastwood, Bruce: Ordering the Heavens. Roman Astronomy and Cosmology in the Carolingian Renaissance. Leiden 2007, S. 31-52.
  42. Frei übersetzt Macrobius: Commentarii in Somnium Scipionis (ed. J. Willis 1970.), Buch 1. Kap. 16.
  43. Frei übersetzt nach Wilhelm von Conches: Dragmaticon Philosophiae (ed. von I. Ronca und A. Badia, 1997. In: CCCM 152.), Buch 4, Kap. 5.
  44. Beda: De natura rerum liber ed. von C. W. Jones ,1975. In: CCSL 123A.
  45. Honorius: De imago mundi ed. V. I. J. Flint, 1982. Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 49 (1982), S. 48-151.
  46. Frei übersetzte nach Beda: De natura rerum liber, Buch 13.
  47. Vgl. Eastwood: Ordering the Heavens, S. 47f.
  48. Schaefer: Weltschöpfungsbilder, S. 16.

Quelle: http://oberrhein.hypotheses.org/549

Weiterlesen

Das Schöpfungsportal des Freiburger Münsters

 

Gastbeitrag von Michael Schonhardt (Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg i. Br.)

Einleitung

Seit dem 30. November 2013 empfängt das Augustiner-Museum Freiburg seine Besucher zur großen Baustelle Gotik. Die Sonderausstellung erfreut sich seitdem größter Beliebtheit und wurde unlängst bis Oktober 2014 verlängert. Gleich zu Beginn, am Eingang des großen Ausstellungsraumes, wird der Besucher von einem – gerade im Mittelalter – eher versteckten Schatz des Münsters begrüßt.1

Dieses kleinere Portal auf der Nordseite des spätgotischen Chores steht natürlich im Schatten der monumentalen Portalvorhalle im Westen. Durch seine besondere ikonographische Gestaltung der Genesis-Geschichte ist das Portal aber äußerst faszinierend, und das nicht nur für die Kunstgeschichte, sondern gerade auch für Wissenschaftshistoriker. Es erlaubt einen Einblick in den Stand der Wissenschaften in der Stadt Freiburg und deren Verbindungen zum Oberrhein im 14. Jahrhundert. Gerade deswegen ist es äußerst erfreulich, dass dieses Portal 2006 nicht nur umfassend restauriert wurde2, sondern seit dieser Zeit von verschiedenen Seiten neue Thesen zu Funktion, Baugeschichte und ideengeschichtlichem Hintergrund des Portals vorgelegt wurden.

 

Der folgende Beitrag möchte sich in Anlehnung an diese Forschung vor allem den kosmologischen Modellen der Archivoltfiguren, insbesondere des vierten Schöpfungstages, widmen. Zunächst soll die Außenansicht des Portals, dann der aktuelle Forschungsstand kurz vorgestellt werden. Darauf aufbauend möchte ich einige der jüngeren Thesen zum geistigen Hintergrund der Darstellungen kritisch würdigen und aus der Sicht der Wissenschaftsgeschichte ergänzen.

Das Schöpfungsportal am Freiburger Münster. Quelle Wikicommons, Nutzer: Daderot, Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.Das Schöpfungsportal am Freiburger Münster. Quelle Wikicommons, Nutzer: Daderot, Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.

Das Portal befindet sich auf der Nordseite des spätgotischen Chores und führte zur alten Andreaskapelle auf dem ehemaligen Friedhof. Ikonographisch ist das Portal (zumindest auf seiner Außenseite) ganz dem Genesisbericht verpflichtet: Während die Figuren der Archivolte die Schöpfung der Welt, aller Geschöpfe und des Menschen darstellen, behandelt das Tympanon in seinem oberen Feld, also dem Bogenscheitel, zunächst den Engelsturz.

Erster Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.Erster Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Darunter werden die Ursünde und die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies sowie die tägliche Mühsal als Folge ihres Vergehens geschildert. Die Figuren der Archivolten stellen die Schöpfung in einer zunächst befremdlichen Reihenfolge dar:

Beginnend oben links zeigt die erste Figur die Erschaffung des Himmelsgewölbes (Tag 1). Daneben scheidet Gott Vater das Licht von der Dunkelheit (Tag 2). Es folgt darunter die Erschaffung der Bäume am dritten Tag. Es folgt ein Sprung auf die linke Seite, wo die Erschaffung der Gestirne (4. Tag) anhand eines Sphärenmodells des Kosmos dargestellt ist.

Zweiter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.Zweiter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Ein erneuter Sprung führ zurück auf die rechte Seite zum fünften Tag, an dem die Fische und Vögel das Licht der Welt erblicken. Die drei übrigen Szenen der linken Seite illustrieren die Erschaffung des Menschen am sechsten Tag, bis Gottvater nach getanem Werk ruht (rechte Seite, vorletzte Figur). Die letzte Figurenszene zeigt die Vermählung von Adam und Eva.

Dritter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.Dritter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

In der Genesis heißt es dazu:

„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag. Dann sprach Gott: Ein Gewölbe entstehe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. Gott machte also das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes. So geschah es und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag. Dann sprach Gott: Das Wasser unterhalb des Himmels sammle sich an einem Ort, damit das Trockene sichtbar werde. So geschah es. […].

Vierter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.Vierter Schöpfungstag. Bild aus Schmitt 1926.

Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tagen und Jahren dienen; sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, die über die Erde hin leuchten. So geschah es. Gott machte die beiden großen Lichter, das größere, das über den Tag herrscht, das kleinere, das über die Nacht herrscht, auch die Sterne. Gott setzte die Lichter an das Himmelsgewölbe, damit sie über die Erde hin leuchten, über Tag und Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Gott sah, dass es gut war.“3

Betrachtet man die entsprechenden Darstellungen des Freiburger Portals, vor allem der Erschaffung des Kosmos und der Gestirne, so wird deutlich, dass man sich hier nicht auf eine reine Wiedergabe des Genesistextes beschränkte. Vielmehr wurden naturwissenschaftliche Kosmos-Modelle der Zeit integriert, die in ihrem Informationsgehalt weit über den biblischen Bericht hinausgehen.  Vor allem der vierte Schöpfungstag, also die Erschaffung der Gestirne, besticht durch ein detailliertes Sphärenmodell, auf das im Folgenden mehrfach zurückzukommen sein wird (siehe Bild “Vierter Schöpfungstag”). In Freiburg verbindet sich also das biblische Wissen über die Schöpfung mit zeitgenössisch naturwissenschaftlichem Wissen über den Aufbau des Kosmos. Am Freiburger Schöpfungsportal, so stellte Karl Schaefer 1899 fest, „waltet ein anderer, man möchte sagen naturwissenschaftlicher Geist.“4

Forschungsstand

Mit Schaefers Aufsatz im Schau-ins-Land beginnt auch die wissenschaftliche Erforschung dieses Portals. Auch wenn dessen Arbeit sicherlich das Verdienst der ersten Würdigung des Portals zusteht, seine Thesen stellten sich freilich recht schnell als fragwürdig heraus. Die wichtigsten Meilensteine der älteren Forschung nach Schaefer sind die 1915 vorgelegte Studie des Freiburger Kunsthistorikers Wilhelm Vöge5 sowie ein Aufsatz von Adolf Weis von 19526. Daneben wurde das Chorportal natürlich auch in der Übersichtsliteratur zum Freiburger Münster rezipiert.7 Nach einer längeren Pause wurden 2005 und dann im Zuge der Restauration des Portals 2006 und 2007 gleich mehrere wissenschaftliche Publikationen zum Schöpfungsportal vorgelegt, zum einen eine Reihe baugeschichtlicher Studien,8 zum anderen aber auch neue Deutungsversuche9.

Besonders drei Fragen standen im Fokus dieser Forschungen:

  1. Die Frage nach der Einheitlichkeit des Portals und der Urheberschaft der Skulpturen (insbesondere das Verhältnis zur Parlerschule).
  2. Die stilistische Einordnung des Werks und die Frage nach etwaigen Vorbildern.
  3. Das ikonographische Programm und dessen kulturhistorischer Hintergrund.

Schaefer betonte 1899 – nicht ganz zu recht – die Einmaligkeit und Besonderheit des Zyklus, machte aber bereits auf vergleichbare Skulpturen in Worms, Ulm und vor allem Thann aufmerksam. Den „Freiburger Meister“ begrüßt er „als hochbegabten, selbstständig schaffenden, denkenden Künstler“.10 Die Entstehung der Figuren „möchte [… er] am liebsten in die Zeit vor 1400 setzen.“11 „Es macht ganz entschieden den Eindruck, als sei der ganze Bilderschmuck des Portals von einer Hand ausgeführt […].“12

Schöpfung in St. Theobald in Thann. Quelle: Wikicommons, Nutzer: Rama, Lizenz: CC BY-SA 2.0 FR (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/fr/deed.en)Schöpfung in St. Theobald in Thann. Quelle: Wikicommons, Nutzer: Rama, Lizenz: CC BY-SA 2.0 FR (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/fr/deed.en)

Diesen Thesen widersprach Wilhelm Vöge entschieden in seinem Beitrag für die Freiburger Münsterblätter. Hier nimmt er dezidiert Stellung gegen Schaefers Datierung und dessen These über die Urheberschaft eines einzelnen Meisters: „[W]ir haben, irre ich nicht, aus dieser Zeit nur wenige Portale, die ein so interessantes Neben- und Nacheinander verschiedener Hände und Stile zeigen, wie dieses, an sich nicht bedeutende Freiburger Chorportal der Nordseite.“13 Nach Vöge sei das Portal nicht aus einem Guss geschaffen, sondern ein Konglomerat verschiedener Stile, die teilweise eine oberrheinische Verbindung, insbesondere nach Straßburg, nahelegen: „Der Meister aber, der den Figurenschmuck der Archivolte – die Schöpfungsgeschichte – begonnen hat, ist nach Stil und Wesen weit altertümlicher als die anderen, ist der oberrheinischen – Straßburg-Freiburger – Blüte des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts noch rätselhaft nah.“14

Anders als Paul Hartmann15 reduziert Vöge den Einfluss der berühmten Parlerschule auf das Portal und spart gerade die interessanten Schöpfungsfiguren von diesem aus. Diese Figuren habe man schon ganz zu Beginn der Chorbauten erstellt, als die Parler damit noch nichts zu tun hatten (laut Inschrift begannen die Arbeiten am Chor 1354, erst 1359 wird Johann Parler mit der Bauleitung betraut)16.

Chorinschrift am Freiburger Münster. Quelle: Wikicommons, Nutzer: joergens.mi, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/).Chorinschrift am Freiburger Münster. Quelle: Wikicommons, Nutzer: joergens.mi, Lizenz: CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/).

Er stellt abschließend fest: „[U]nser Meister der ersten Schöpfungstage, der älteste der am Portal beteiligten Meister, hat mit Schwaben und den Parlern nicht das geringste zu tun […]. Er ist Oberrheiner, wobei es dahingestellt bleiben mag, ob er mehr in Straßburg oder in Freiburg zu Hause war.“17

Vöges These einer Verbindung nach Straßburg wurde durch die nachfolgende Forschung weitgehend geteilt,18 wenngleich im Detail unterschiedlich bewertet. Während Kempf in seinem Freiburger Münster19 eine getreue Übernahme des Zyklus aus Straßburg annahm, vertrat Otto Schmitt20 die These einer Erweiterung des Skulpturenprogramms.

Ein grundlegend wissenschaftlicher Fortschritt gelang erst wieder 1952 durch Adolf Weis,21 der das ikonographische Programm der Figuren eingehend würdigte. Weis folgte Vöge darin, dass die ersten Figuren der Archivoltengruppen (die oberen zwei Szenen der linken Seite sowie die oberen drei Szenen der rechten Seite) der Straßburger Bildhauerwerkstatt um 1300 nahe stünden. Im Vergleich zu den anderen Figuren des Portals bestünde ein „tiefgreifende[r] Unterschied in Geist und Form“, der „zwingend auf den Anteil von mehreren Meistern oder zumindest Werkstätten an unserem Portal“ hinweist. Er  vermutet eine „grundlegende Planänderung“ für das Portal, die sich dadurch erklären ließe, „daß bereits im frühen 14. Jahrhundert ein Schöpfungsportal – vielleicht schon für einen neuen Chorbau – projektiert und begonnen, aber nicht vollendet wurde, von dem dann die ausgeführten Teile am heutigen Nordeingang verwendet wurden“.22

Straßburger Skulptur auf Stich des 17. Jahrhunderts. Aus Pinskus 2009.Straßburger Skulptur auf Stich des 17. Jahrhunderts. Aus Pinkus 2009.

Nicht nur der Stil des Meisters der fünf oberen Archivoltenfiguren lege eine Verbindung nach Straßburg nahe, auch die Ikonographie der Figuren stamme aus der Kathedralstadt am Oberrhein: Ein Stich des 17. Jahrhunderts bezeugt für das mittlere Westportal des Straßburger Münsters entsprechende Figuren, die allerdings den Kirchenstürmen der französischen Revolution zum Opfer gefallen sind und im 19. Jahrhundert keine originalgetreue Rekonstruktion erfuhren. Der Freiburger Meister habe seiner Ansicht nach auf Musterbücher der Straßburger Werkstatt zurückgegriffen, die ihrerseits durch die zeitgenössische Bibel-Malerei und byzantinische Kunst beeinflusst waren.23

Sphärenmodell am Freiburger Münster - Foto: privat Sphärenmodell am Freiburger Münster – Foto: privat.

Weis betonte auch als erster Forscher die Besonderheit des Sphärenmodels: „Im Straßburg-Freiburger Schöpferbild mit ‚Himmel und Erde‘ sowie vor allem in den ‚acht Sphären‘ hätten wir demnach wohl nichts anderes vor uns als die Umsetzung dieser Motive [gemeint sind Motive der zeitgenössischen Bibel-Malerei und byzantinischen Kunst] in die Monumentalplastik; der Kosmos, der in den Miniaturen gewissermaßen als Querschnitt durch die Himmelssphären aufzufassen ist, wird von den Bildhauern in Seitenansicht als wirkliches Gewölbe gegeben, unter dem die Planetenbahnen mit den aufgesetzten Gestirnen notwendigerweise als Ringe herausragen, um erkennbar zu werden.“24

Weis‘ Studie war der vorerst letzte Baustein der Forschung zum Schöpfungsportal, deren Stand sich folgendermaßen zusammenfassen lässt:

  • Die Skulpturen des Portals entstammen unterschiedlichen Händen und stilistischen Phasen.
  • Die oberen fünf Archivoltskulpturen gehen nicht auf die Parlerschule zurück, sondern sind früher und oberrheinisch geprägt.
  • Die Figuren stehen in starker Abhängigkeit von Straßburg und könnten über dortige Musterbücher von der Buchmalerei und der byzantinischen Kunst beeinflusst sein.

Erst in jüngster Zeit wurden die Forschungen zum Portal wieder aufgenommen. Seit 2006 befasste sich gleich eine ganze Reihe wissenschaftlicher Publikationen mit dessen Baugeschichte und Ikonographie.

Neuere Forschung zur Baugeschichte des Portals

Den ambitioniertesten Versuch einer Neubewertung der Portalskulpturen hat der Kunsthistoriker Assaf Pinkus vorgelegt. Zunächst 2006 in seinem deutschen Aufsatz für die Münsterblätter, 2009 folgte seine umfangreichere Monographie zur Parlerschule.25  Hier schlägt Pinkus gleich in doppelter Hinsicht eine alternative Lesart des Portals vor: zum einen ikonographisch (hierzu später mehr), zum anderen baugeschichtlich. Pinkus vertritt die These, das Chorportal bilde eine programmatische Einheit und ginge in seiner Gesamtheit auf die Planungen Johann Parlers zurück: “Eine Inschrift am nördlichen Chorportal belegt, dass der Grundstein 1354 gelegt wurde, während ein Dokument von 1359 die Anstellung des Meisters Johann von Gmünd nennt, der wahrscheinlich mit Johann Parler zu identifizieren ist. Obwohl Chor und Portal bereits fünf Jahre früher begonnen wurden, war Johann – so die naheliegende Vermutung – von Anfang an für Planung und Baubeginn verantwortlich.”26 Pinkus bezieht sinnvollerweise erstmals nicht nur die Innenseite des Schöpfungsportals in seine Studie mit ein, sondern auch das südliche Chorportal. Das nördliche Portal war seiner Einschätzung nach “im 14. Jahrhundert zweifellos vollendet”.27

Neben Pinkus’ Arbeit müssen vor allem Publikationen aus dem Umfeld der Restauration des Schöpfungsportals aus baugeschichtlicher Perspektive hervorgehoben werden. Zum einen die Studie von Johanna Quatmann zur Funktion und Farbgebung des versteckten Portals am Münster,28 zum anderen die penible Rekonstruktion des Bauprozesses durch Stefan King.29

Kings Untersuchungen bestätigen im Wesentlichen die Meinung der älteren Forschung, die Figuren des Portals unterschiedlich zu datieren. Für die fünf oberen Figuren hält er „die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts [für] wahrscheinlich“,30 womit Johann Parler als Urheber oder spiritus rector der oberen Figuren ausscheiden würde (auch wenn er natürlich für die Integration dieser Figuren in das Portal verantwortlich sein könnte). Seiner Ansicht nach seien diese früheren Skulpturen für ein früheres Bauprojekt geschaffen worden, für ein „nicht ausgeführtes Chorbauprojekt“, oder „eine geplante Aufwertung der Nordportale von Quer- oder Langhaus […]“.31 „Da die Skulpturen teilweise unvollendet blieben, kann vermutet werden, dass man die Arbeit niedergelegt hat, weil das Bauprojekt nicht mehr weiterverfolgt wurde. Dass sie überhaupt bis zu diesem Grad ausgearbeitet sind, könnte dem Umstand geschuldet sein, dass sie während des Versetzens hätten eingebaut werden müssen, und es sich deshalb empfohlen hat, früh genug, vielleicht schon lange vor dem eigentlichen Baubeginn, die Bildhauerarbeit aufzunehmen. Folglich ist es nicht unwahrscheinlich, dass man mit dem eigentlichen Bauvorhaben nie begonnen hat.“32

Zum kulturhistorischen Hintergrund der oberen Archivoltfiguren

Auch wenn sich Pinkus in seiner Annahme einer Parler’schen Provenienz des gesamten Portals wohl geirrt hat, seine ikonographische Neubewertung der Figuren bleibt trotzdem interessant. Er entlockt den beiden Portalen des Chores eine gemeinsame typologische Bedeutung, die Szenen beider Testamente in eine sinnhafte Beziehung zueinander setzt. Zum einen drücke sich in den Szenen die unio mystica aus, also die Verbindung von Seele und Schöpfer bzw. Christus. Zum anderen stünde das Programm der beiden Portale unter dem Motiv von Zurückweisung und Wiederaufnahme: Die Vertreibung aus dem Paradis, die letztlich durch die Inkarnation und das Opfer Jesu in der Erlösung mündet.33  

Im Anschluss an diese interessante Deutung der komplexen Poratlikonographie vertritt der Kunsthistoriker die These, das Schöpfungsportal zeige als eine Art astronomischer Kalender ein mit dieser Deutung in Verbindung stehendes liturgisches Fest an: “Die Freiburger Chorflankenportale scheinen dieser Typologie zu folgen. Miteinander verwoben sind der Fall der Engel, die Ursünde, die Ausweisung aus dem Paradies und die Erschaffung des Lichts im Sinne eines astronomischen Kalenders. Gott zeigt mit seinem Finger den Moment an, an dem diese Ereignisse stattfanden. Obwohl Zeichen des Zodiakus [Sternbilder, die zur Berechnung der Zeit dienen] in Freiburg nicht nachgewiesen werden können und deshalb der genaue Kalender nicht zu rekonstruieren ist, scheint es möglich, dass die astronomischen Zeichen ursprünglich auf die Himmelskugel gemalt waren bzw. daß eine Bemalung geplant war. Jedenfalls verweist der Zeigefinger Gottes, der ‘didaktisch zeigt’ […] auf die Tradition des astrologischen Kalenders.”34 Auch wenn seiner typologischen Interpretation des Bildprogramms zu folgen ist, mit der Deutung des Sphärenmodells als astrologischer Kalender schießt Pinkus meiner Ansicht nach etwas über das Ziel hinaus. Zum einen wäre die naheliegendste Erklärung für den didaktischen Zeigefinger Gottes wohl eher eine didaktische Funktion des Modells, zum anderen konnte Johanna Quatmann keine mittelalterliche Bemalung der Figuren feststellen. Vor diesem Hintergrund bleibt Pinkus’ interessantes Gedankenspiel bloße Spekulation.  

Wahrscheinlicher ist allerdings seine Vermutung, die Darstellung der ersten Schöpfungstage sei nicht von der zeitgenössischen Kunst inspiriert, sondern von wissenschaftlichen Vorstellungen über den Kosmos: „The arrangement of the stars [des Sphärenmodells] […] reflects a simplified model of the cosmos, corresponding to fourteenth-century cosmology”,35 genauer auf die Kosmologie von Johannes von Sacrobosco und Albertus Magnus: “(E)rkennbar sind die Sonne in der vierten Sphäre und ein Halbmond in der zweiten Sphäre.” Am nebenstehenden Thanner Modell ist dies eindeutiger zu erkennen. Dem “Freiburger Digramm [entspricht] die Kosmologie von Albertus Magnus. Die Anregung für dieses Vorbild muss nicht notwendig außerhalb von Freiburg gesucht werden, da Albertus Magnus schon um 1235 Theologie am Predigerkloster in Freiburg lehrte.”36

Sphärenmodell aus St. Theobald in Thann mit der Sonne an vierter Stelle.Sphärenmodell aus St. Theobald in Thann mit der Sonne an vierter Stelle. Aus Pinkus 2009.

Ähnlich argumentiert auch Wolfgang Schneider, dessen Aufsatz schon 2005 erschienen ist, von Pinkus aber nach Ausweis der Fußnoten nicht rezipiert wurde. Auch er betont die Anordnung der Planeten, die sich “ganz erheblich von früheren, bis dahin überlieferten Vorstellungen vom Kosmos” unterscheide und eine aristotelisch geprägte Deutung des Kosmos vertrete.37

“[E]in kleines Detail […] verrät, daß diesem Bild eine noch neure Vorstellung vom Kosmos zugrunde lag. Die schmalen Ränder der inneren Kugelschalen lassen nämlich jeweils einen stilisierten Stern/Planeten erkennen – außer der vierten Kugelschale, die mit einer stilisierten Sonne besonders gekennzeichnet ist. In Platons Kosmos kreist die Sonne jedoch an zweiter Stelle um die Erde. Der Entwerfer des Bildwerkes am Schöpfungsportal hat sich offenbar an dem ‘neuen’ Weltbild des Aristoteles (384-322 v. Ch.) orientiert”, “[d]essen […] philosophisches und wissenschaftliches System […] im 12. Jahrhundert durch Übersetzungen aus dem Arabischen im Abendland wiederentdeckt [wurde]“,  und sich im “13. Jahrhundert weitgehend durchgesetzt” hat.38Das Portal wäre damit als dezidierte Rezeption der aristotelischen Lehre zu deuten, und das, obwohl es in Freiburg ”im 14. Jahrhundert weder eine Kathedralschule noch eine Universität gab […].”39 Als intellektueller Urheber “wäre indes der Konvent der Dominikaner zu sehen, der rund ein Jahrhundert vor der Errichtung des Schöpfungsportals den Ordensbruder Albertus Magnus mehrmals zu seinen Besuchern zählen durfte; jener herausragende Wissenschaftler, der mit Thomas von Aquin die Synthese von Aristotelismus und Christentum vollzog. Könnte die Anregung für das Bildprogramm am Schöpfungsportal von naturphilosophisch gebildeten Mönchen dieses Klosters ausgegangen sein, die in der Nachfolge des Heiligen Albert sich intensiv den Wissenschaften widmeten?”40

Träfen diese Annahmen zu, wäre dies außerordentlich schmeichelhaft für Freiburg, das sich sogar schon in voruniversitärer Zeit als intellektuelles Schwergewicht am Oberrhein positionieren könnte. Sie sind aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive aber leider nicht sehr wahrscheinlich.

Der Einfluss naturwissenschaftlicher Ideen auf das Schöpfungsportal

Zunächst beziehen sich sowohl Pinkus als auch Schneider auf eine sehr holzschnittartige Lesart der Ideengeschichte, die die mittelalterlichen Naturwissenschaft in zwei Phasen unterteilt: In eine frühe Phase, die vor allem platonisch geprägt ist, und eine spätere Phase, die auf dem neu entdeckten (und vor allem neu übersetzten) corpus aristotelicum basiert. Diese Einteilung mag als grobe Richtschnur sicher sinnvoll sein, die Ideengeschichte mittelalterlicher Kosmsosvorstellungen ist in Wirklichkeit aber weit komplexer, gerade was die Ordnung der Planeten betrifft.41  

In der antiken und mittelalterlichen Kosmologie unterschied man mit Blick auf die Planeten grob gesprochen zwischen zwei Ordnungssystemen: Der Ägyptischen Ordnung (Erde – Sonne – Mond – Merkur – Venus …) sowie der Chaldäischen Ordnung (Erde – Mond – Merkur – Venus – Sonne …). Während Plato sich für die Ägyptische Einteilung entschied, befolgte Aristoteles in Anlehnung an Archimedes das Chaldäische System. Den Gelehrten der Spätantike und des Mittelalters waren diese konkurrierenden Entwürfe wohl bekannt.

So überliefert bereits Ciceros kosmologisches Werk über den Traum des Scipio die Chaldäische Reihung mit der Sonne als dem mittleren der Planeten. Sein Kommentator Macrobius klärt den mittelalterlichen Leser auf:

“Als nächstes müssen wir einige Dinge über die Ordnung der Sphären sagen, eine Angelegenheit, in der sich Cicero von Plato unterscheidet, da er von der Sphäre der Sonne als der vierten von sieben spricht, die eine mittlere Stellung einnimmt. Dagegen sagt Plato, dass sie gleich über dem Mond steht und damit von oben gezählt den sechsten Platz der sieben Sphären [also den zweiten von der Erde aus betrachtet] einnimmt. Cicero ist in Übereinstimmung mit Archimedes und dem Chaldäischen System; Plato folgt den Ägyptern, den Urhebern aller Zweige der Philosophie, die die Sonne zwischen Mond und Merkur positioniert haben, auch wenn sie die Gründe, aus denen andere schlossen, die Sonne stünde über Merkur und Venus, herausfanden und darlegten.”42

Dieses Bewusstsein gab es auch in der Hochphase des Neuplatonismus. Wilhelm von Conches weist noch im 12. Jahrhundert auf die unterschiedlichen Thesen zur Reihung der Planeten hin, auch wenn er selbst die platonische bevorzugte: Seinem Herzog legt er im Lehrgedicht Dragmaticon in Reaktion auf die Darstellung einer platonischen Planetenreihung die Frage an seinen Lehrer in den Mund: “Wieso sagst du, dass Venus der vierte und Merkur der fünfte Planet nach Plato ist? Gab es andere Philosophen, die anderes behaupten?”, worauf dieser auch die abweichenden Lehrmeinungen zur Sprache bringt.43 Die als richtig erachtete Reihenfolge der Planeten änderte sich also nicht schlagartig während des 13. Jahrhunderts, sondern war im gesamten Mittelalter Gegenstand einer virulenten Debatte. Durch Martianus Capella kannte man darüber hinaus bereits im frühen Mittelalter neuplatonische Versuche einer synthetischen Erklärung des Gelehrtenstreits: In Wirklichkeit hätten sich die Planeten Venus und Merkur nämlich nicht um die Erde gedreht, sondern hätten die Sonne als Zentrum ihrer Bahnen. Je nach Konstellation erschienen daher zuweilen die beiden Planeten, zuweilen die Sonne näher zu Erde (und damit an zweiter bzw. vierter Stelle im Sphärensystem).

Diagramm zum Verhaltnis von Sonne, Merkur und Venus. Aus St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 248, fol. 82v. Lizenz: CC BY-NC 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/).Diagramm zum Verhaltnis von Sonne, Merkur und Venus. Aus St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 248, fol. 82v. Lizenz: CC BY-NC 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/).

Mit Blick auf das intellektuelle Niveau des Schöpfungsportales ist besonders bezeichnend, dass die aristotelisch inspirierte Reihenfolge der Planeten gerade nicht nur in der scholastischen Literatur des höheren Universitätsniveaus gepflegt wurde, sondern auch in Texten zu finden ist, die zur absoluten Grundlagenbildung des Mittelalters gehören, vor allem Bedas De natura rerum44 und der Imago mundi des Honorius.45  Diese Texte erfreuten sich außerordentlicher Beliebtheit und wurden auch an “gewöhnlicheren” Bildungseinrichtungen, etwa einer Klosterschule, gelehrt. So schreibt Beda im 13. Kapitel seiner kosmologischen Enzyklopädie:

“Der oberste der Planeten ist der Stern des Saturn, der von Natur aus sehr kalt ist. Er vollendet seinen Kurs um die Sonne in dreißig Jahren. Dann kommt der Jupiter, temperiert, mit zwölf Jahren. Als drittes Mars, extrem heiß, der zwei Jahre benötigt. In der Mitte ist die Sonne, [die] in 365 Tagen [die Erde umrundet]. Darunter steht die Venus, die auch Lucifer und Vesper genannt wird, und 348 Tage benötigt. […] Danach kommt der Stern des Merkur, der neun Tage schneller ist. […] An letzter Stelle kommt der Mond […].”46

Auch auf der ikonographischen Ebene ist dieser Befund festzustellen. Die wissenschaftlichen Texte der Spätantike wurden ins Mittelalter weitgehend unillustriert überliefert. Erst in der Karolingerzeit wurden den komplexen Texten Diagramme als klärende und didaktische Hilfsmittel beigegeben. Interessanterweise spiegelt sich die virulente Forschungsdebatte um die Ordnung der Planeten kaum in diesen Diagrammen. Bruce Eastwood hat vielmehr darauf hingewiesen, dass die diagrammatische Tradition der Kosmosdiagramme die Chaldäische Ordnung der Ägyptischen vorzieht, auch wenn der Text selbst die platonische Reihung propagierte.47 Mittelalterliche Kosmos-Diagramme überliefern daher auch in früherer Zeit mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Reihenfolge der Planeten, die die Sonne – wie im Fall des Freiburger Schöpfungsportals – an vierter Stelle der Planeten positionieren, so ein Kosmosmodell der Arnsteinbibel aus dem frühen 13. Jahrhundert.

Kosmosdarstellung aus British Library, Harley 2799, fol. 242r (http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/ILLUMIN.ASP?Size=mid&IllID=17378) Kosmosdarstellung aus British Library, Harley 2799, fol. 242r (http://www.bl.uk/catalogues/illuminatedmanuscripts/ILLUMIN.ASP?Size=mid&IllID=17378).

Auch wenn die naturphilosophischen Schriften des Aristoteles erst im 13. Jahrhundert eine nennenswerte Verbreitung gefunden haben, war die von ihm gewählte Reihenfolge der Planeten also wohl bekannt und in mittelalterlichen Standardwerken, von denen hier nur einige wenige Beispiele gegeben wurden, in Wort und Bild allgegenwärtig. Ideengeschichtlich lässt sich das Schöpfungsportal daher keineswegs auf neuere wissenschaftliche Strömungen zurückführen. Mit Blick auf die Freiburger Bildungslandschaft und dem anzunehmenden Bildungsgrad der für den Bau Verantwortlichen ist es im Gegenteil viel wahrscheinlicher, dass die inhaltliche Vorlage in den gerade im außeruniversitären Bereich gelehrten Standardwerken von Beda oder Honorius zu sehen ist. Ein Umstand, der dann gerade nicht für eine außerordentliche Bildung des etwaigen spiritus rector sprechen würde.

Meiner Ansicht nach ist Pinkus zwar insofern zuzustimmen, dass die Vorlage des Freiburger Sphärenmodells im wissenschaftlichen Bereich zu suchen ist. Der lehrende Gestus des Schöpfers verweist dabei recht konkret auf eine wahrscheinliche Vorlage für das Sphärenmodell. Gelehrt wurde im Mittelalter nicht nur durch das Lesen bzw. Vorlesen bestimmter Texte, sondern vor allem mit Bezug auf visuelle Hilfsmittel, den Diagrammen. Das oben stehende Beispiel verdeutlicht eindrücklich die ikonographische Nähe des Freiburger Modells zu diesen didaktischen Abbildungen, die in jeder Schule und jedem Kloster in Hülle und Fülle vorhanden waren.

Das Freiburger Sphärenmodell ist als getreue Umsetzung eines gewöhnlichen und ubiquitär anzutreffenden Diagramms des Kosmos also kein Ausweis besonderer Bildung des 14. Jahrhunderts. Gleichwohl stellt es ein beeindruckendes Beispiel für das Interesse der Zeitgenossen an der Schöpfung dar, das über eine rein religiöse Deutung weit hinausreicht. Insofern, um auf Karl Schaefer zurückzukommen, waltete in Freiburg und am Oberrhein vielleicht tatsächlich „ein anderer, man möchte sagen naturwissenschaftlicher Geist.“48

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Michael Schonhardt promoviert bei Prof. Dr. Birgit Studt (Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte II) an der Universität Freiburg und ist Mitarbeiter im Erzbischöflichen Archiv Freiburg. Er beschäftigt sich mit der Tradition und Rezeption von theoretischem Wissen über die Natur im 12. Jahrhundert und begleitet seine Dissertation mit einem Blog unter quadrivium.hypotheses.org. Seine Masterarbeit (Michael Schonhardt: Kloster und Wissen – Die Arnsteinbibel und ihr Kontext im frühen 13. Jahrhundert. Reihe Septem 2, Freiburg 2014.) hat er zu naturwissenschaftlichen Diagrammen des hohen Mittelalters verfasst. Im Rahmen seiner Archivtätigkeit publiziert er außerdem ein Kriegstagebuch aus dem Ersten Weltkrieg.

  1. Vgl. Quatmann, Johanna: Das versteckte Portal am Münster?  In: Münsterblatt 13 (2006), S. 13-19.
  2. Vgl. Kürten, Luzius: Steinrestaurierung und -konservierung am Schöpfungsportal. In: Münsterblatt 13 (2006), S. 21-23; King, Stefan: Bauforschung am Schöpfungsportal. In: Münsterblatt 14 (2007), S. 38.
  3. Genesis 1.1-18.
  4. Schaefer, Karl: Die Weltschöpfungsbilder am Chorportal des Freiburger Münsters. In: Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland 26 (1899), S. 11-24, hier S. 16.
  5. Vöge, Wilhelm: Zum Nordportal des Freiburger Münsters. In: Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters 11 (1915), S. 1-9.
  6. Weis, Adolf: Das Freiburger Schöpfungsportal und das Musterbuch von Strassburg. In: Das Münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft 5 (1952), S. 181-193.
  7. Vgl etwa Hartmann, Paul: Die gotische Monumentalplastik in Schwaben. München 1910; Kempf, Friedrich: Das Freiburger Münster. Karlsruhe 1926, S. 1-9; Schmitt, Otto: Gotische Skulpturen des Freiburger Münsters. Frankfurt 1926, S. 59-60 (jeweils mit umfangreichen Bildmaterial); Lüdke, Dietmar: Artikel in: Die Parler und der schöne Stil 1350-1400. Bd. 1. Köln 1978, S. 298-299; Ingeborg Krummer-Schroth: Geschichte und Einordnung der Skulpturen. In: Die Skulpturen des Freiburger Münsters. Freiburg 3. Auflage 1999, S. 119-121.
  8. Vgl. Quatmann: das versteckte Portal; King, Stefan:
    Zum Schöpfungsportal des Freiburger Münsters: ein Bildprogramm mit “Stilbruch”
    King, Stefan. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 37 (2008), S. 69-76.
  9. Pinkus, Assaf: Das Schöpfungsportal: Kunst und Lehre im mittelalterlichen Freiburg. In: Münsterblatt 13 (2006), S. 4-12; Ders.: Patrons and Narratives of the Parler School. The Marian Tympana 1350-1400. München/Berlin 2009; Schneider, Wolfgang: Ein Modell des Kosmos am Schöpfungsportal des Freiburger Münsters. In: Freiburger Diözesanarchiv 125 (2005), S. 241-248.
  10. Schaefer: Die Weltschöpfungsbilder, S. 19.
  11. Ebd., S. 21
  12. Ebd., S. 20.
  13. Vöge: Zum Nordportal, S. 2.
  14. Ebd., S. 2.
  15. Die gotische Monumentalplastik.
  16. Vgl. Adam, Ernst: Artikel in: Die Parler und der schöne Stil 1350-1400. Bd. 1. Köln 1978, S. 293.
  17. Vöge, Zum Nordportal, S. 6.
  18. anders Ingeborg Krummer-Schroth: Geschichte und Einordnung der Skulpturen.
  19. Vgl. Kempf: Das Freiburger Münster.
  20. Vgl. Schmitt: Gotische Skulpturen.
  21. Vgl. Weis: Das Freiburger Schöpfungsportal.
  22. Ebd., S. 183.
  23. Ebd., S. 189.
  24. Ebd., S. 186.
  25. Vgl. Pinkus:  Das Schöpfungsportal; Ders. Patrons and Narratives.
  26. Pinkus: Das Schöpfungsportal, S. 4.
  27. Ebd.
  28. Vgl. Quatmann: Das versteckte Portal.
  29. Vgl. King: Zum Schöpfungsportal.
  30. Ebd., S. 74.
  31. Ebd., S. 76
  32. Ebd.
  33. Vgl. Pinkus: Das Schöpfungsportal, S. 9-11.
  34. Ebd., S. 11.
  35. Pinkus: Patrons and Narratives, S. 209.
  36. Pinkus: Das Schöpfungsportal, S. 9.
  37. Schneider: Ein Modell des Kosmos, S. 242.
  38. Schneider: Ein Modell des Kosmos, S. 243-244.
  39. Ebd., S. 247.
  40. Ebd.
  41. Vgl. zum folgenden Eastwood, Bruce: Ordering the Heavens. Roman Astronomy and Cosmology in the Carolingian Renaissance. Leiden 2007, S. 31-52.
  42. Frei übersetzt Macrobius: Commentarii in Somnium Scipionis (ed. J. Willis 1970.), Buch 1. Kap. 16.
  43. Frei übersetzt nach Wilhelm von Conches: Dragmaticon Philosophiae (ed. von I. Ronca und A. Badia, 1997. In: CCCM 152.), Buch 4, Kap. 5.
  44. Beda: De natura rerum liber ed. von C. W. Jones ,1975. In: CCSL 123A.
  45. Honorius: De imago mundi ed. V. I. J. Flint, 1982. Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 49 (1982), S. 48-151.
  46. Frei übersetzte nach Beda: De natura rerum liber, Buch 13.
  47. Vgl. Eastwood: Ordering the Heavens, S. 47f.
  48. Schaefer: Weltschöpfungsbilder, S. 16.

 

 

Quelle: http://oberrhein.hypotheses.org/549

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Seltsame Wege. Straßennamen heute

 

Historische Orientierung gesucht! In öffentlichen und virtuellen Räumen werden derzeit hitzige Debatten über Straßenumbenennungen geführt. Gestritten wird um Fragen der Ehre und Tradition. Kommunale Geschichtspolitik trifft auf heterogene Geschichtsbedürfnisse.

 

Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Vom Graseweg zur Bäckergasse – frühe Straßennamen sind dem alltäglichen Sprachgebrauch entlehnt und folgten den räumlichen Orientierungsbedürfnissen der StadtbewohnerInnen. Dies änderte sich im 19. Jahrhundert. Das expandierende Straßennetz wurde als symbolisches Instrument städtischer Geschichtspolitik entdeckt und in den Dienst politisch-ideologischer Identitätsstiftung gestellt. Entlang politischer Zäsuren wurden seither zentrale historische Orientierungsachsen wiederholt umbenannt – vom Schlossplatz zum Platz der Republik und zurück. Ebenso können Traditionsstränge im semantischen Netz der Stadt fortschrieben oder aber als Artefakte marginalisiert werden. Dem Flaneur erschließt sich die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen nur bedingt. Dagegen eröffnen jüngste Untersuchungen zu Straßennamenkorpora oder zu Diskursen um Straßenumbenennungen den Blick auf das historisch gewachsene Benennungs- und Identitätsprofil deutscher Städte und die damit verbundenen Geschichtsbilder und Wertorientierungen.

Wirklich neue Wege?

Während die Vergabe und Umbenennung von Straßennamen bislang ein Arkanum der Kommunalpolitik zu sein schien, erregt die Frage der Zukunftsfähigkeit städtischer Wegweiser zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit. Ausgelöst von lokalen Debatten um „NS-belastete“-Straßennamen beginnt man nicht nur in Wien1 oder Münster2 mit der systematischen Erfassung, Analyse und Veröffentlichung der Straßennamenkorpora. Einerseits wird auf diesem Wege eine breit zugängliche Diskussionsgrundlage geschaffen: Biografien einst geehrter Namensgeber werden neu bewertet, die symbolische Bedeutung von Erinnerungsorten wird vergegenwärtigt und der Kontext der Benennung erhellt. Andererseits gewinnen weiße Flecken städtischer Erinnerungskultur, aber auch Muster der Marginalisierung gruppengebundener Traditionen an Kontur. Ob man dies als Demokratisierung städtischer Geschichtspolitik interpretieren kann, die auf Transparenz, Diskurs und Reflexivität setzt, bleibt abzuwarten.

Divergente Interessen

Überregionale Trends in der Benennungspraxis sind jedoch unübersehbar: Monumentalisches Erinnern weicht mit der Debatte um NS-belastete Straßennamen kritischer Identitätsreflexion. Mit ehrend-mahnender Erinnerung an die Opfer zweier deutscher Diktaturen aber auch deutscher Kolonialpolitik gewinnen Straßennamen als symbolische Form der Wiedergutmachung an Bedeutung.3 Aktuell erregt so in Hamburg die auf das Engagement von Bürgerinitiativen zurückgehende Wanderausstellung „freedom roads! Koloniale Straßennamen und postkoloniale Erinnerungskultur“ öffentliche Aufmerksamkeit.4 Wie in Münster entdeckt städtische Geschichtspolitik die Straßennamen aber auch als ökonomisches Kapital. Der Hindenburgplatz wird zum Schlossplatz. Mit der Aura des Authentischen lockt man TouristInnen, betreibt city branding. Und jeder Monopoly-Spieler ahnt: Immobilienbesitzern verheißt die Adresse Wertsteigerung.

Entsorgung vs. Erinnerungsstolz

Im Feld der Kommunalpolitik ist die ehrende Funktion von Straßennamen unstrittig.  Umbenennungen werden gern als Ausweis eines städtischen „Geschichtsbewusstseins“ inszeniert. UmbenennungsgegnerInnen prangern dagegen die Form der „Entsorgung der Vergangenheit“ an, die in „Geschichtslosigkeit“ münde.5 Mit analytischer Distanz kann man wie Götz Aly den Quellenwert des städtischen Schilderwaldes preisen – ein Friedhof der Ahnen, der die Selektivität und Vergänglichkeit historischer Deutungen demonstriert und damit den Zeitgeist jeder Schilderstürmerei offenbart.6 Andere sehen eine Geschichte „mit Ecken und Kanten“ als didaktische Chance. Einst ehrende Zeichen würden so zu Mahnmalen gegen das Vergessen. Erläuterungstafeln unter Straßenschildern demonstrieren nicht zuletzt den „Erinnerungsstolz“ der Gegenwart, beseelt vom Wunsch, dem gesellschaftlichen Lern- und Wandlungsprozesses Dauer zu verleihen.

Postmodernes Spiel

Die Debatte um die historische Orientierungsfunktion städtischer Straßennamen ist im Gange – viele Fragen sind offen: Ob und wie die „zerbrochenen Spiegel“ deutscher Geschichte symbolisch repräsentieren? Hauptstraße oder Sackgasse – welche Räume öffnen für heterogene politische, religiöse, soziale und ethnische Identitätsbedürfnisse, für Mehrheiten und Minderheiten, unterschiedliche Generationen? Obsiegt die Ökonomisierung der Geschichtskultur? Sind Straßennamen zukünftig gewinnbringendes Kapital in den Händen des Stadtmarketing? Lehnen wir uns zurück, beobachten wir mit analytischer Distanz, wie das postmoderne Spiel mit Sinn und Bedeutungen nicht nur im virtuellen Raum,7 sondern auch auf unseren Straßen zu historischer Orientierungslosigkeit führt? Nein! Die Beschreibfläche ist limitiert. Mit Karl Schlögl bleibt „Namensgeschichte immer auch Herrschaftsgeschichte“8 und geschichtspolitischer „Straßenkampf“ damit ein unverzichtbares Mittel kollektiver Identitätsvergewisserung.

 

Literatur

  • Sänger, Johanna: Heldenkult und Heimatliebe. Straßen- und Ehrennamen im offiziellen Gedächtnis der DDR, Berlin 2006.
  • Pöppinghege, Rainer: Wege des Erinnerns. Was Straßennamen über das deutsche Geschichtsbewusstsein aussagen, Münster 2007.
  • Werner, Marion: Vom Adolf-Hitler-Platz zum Ebertplatz. Eine Kulturgeschichte der Kölner Straßennamen seit 1933, Köln/Weimar/Wien 2008.

Externe Links

 

Abbildungsnachweis
© Saskia Handro. Im Jahr 2010 umbenannte Straße in Münster.

Empfohlene Zitierweise
Handro, Saskia: Seltsame Wege. Straßennamen heute. In: Public History Weekly 1 (2013) 4, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2013-255.

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Quelle: http://public-history-weekly.oldenbourg-verlag.de/1-2013-4/seltsame-wege-strassennamen-heute/

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Kriegserfahrungen am Rhein

Am 16. und 17. September fand an der Bonner Universität die Herbsttagung der Abteilung für Rheinische Landesgeschichte statt. Unter dem Thema „Krieg und Kriegserfahrung am Rhein. Der Westen des Reiches im langen 17. Jahrhundert, 1568-1714“ kamen ganz unterschiedliche Aspekte zur Sprache, die sich nicht nur auf der Zeitschiene vom Achtzigjährigen Krieg bis zum Spanischen Erbfolgekrieg bewegten, sondern auch regional fast den gesamten Verlauf des Rheins abdeckten. Selbstverständlich wurden immer wieder auch Beispiele aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs angesprochen; einige wenige Beobachtungen möchte ich hier vorstellen.

Ganz allgemein erwies sich der zeitliche Zuschnitt der Tagungskonzeption als sehr reizvoll, als sich bestimmte Phänomene im Kriegsalltag über die gesamte Epoche hinweg verfolgen ließen. Gerade was das Verhältnis zwischen den Soldaten und der Bevölkerung angeht, blieben die Erfahrungshorizonte über die Jahrzehnte hinweg sehr konstant – vielleicht keine große Überraschung, wenn man davon ausgeht, daß auch die militärischen Organisationsformen und besonders ihre Mängel (konkret das nie zu bewältigende Problem der Logistik) in dieser Zeitspanne weitgehend identisch blieben.

Auf das Fortwirken der Hochzeitsmetapher, die vor allem durch den Untergang Magdeburgs 1631 traurige Berühmtheit erlangt hatte, wies Astrid Ackermann hin. So sei in der Publizistik, die die Einnahme Breisachs durch Bernhard von Weimar im Jahr 1638 kommentierte, eine ähnliche Begrifflichkeit verwandt worden. Daß dieses Bild fortlebte, verwundert nicht; allerdings macht das Beispiel Breisach deutlich, daß der Hochzeitsbegriff keineswegs nur auf die Fälle angewandt wurde, in denen eine Stadt oder eine Festung im Sturm genommen wurde.

In der Wahrnehmung der Konflikte, die zwischen dem Militär und der Bevölkerung aufbrachen, erscheinen beide oftmals als festgefügte Gruppen. Wie wenig stimmig dieses Bild ist, zeigte René Hanke, als er einen Fall referierte, der einen heftigen Streit unter einer Dorfgemeinschaft offenbarte. Denn wie die vom Militär geforderten Kontributionen auf die einzelnen Höfe umzulegen waren, löste große Kontroversen aus. Die Bauern warfen einander eine ungleiche und vor allem ungerechte Lastenverteilung vor. Solidarität in Krisenzeiten aufrechtzuerhalten, war offenbar schwierig.

Ein schönes Beispiel dafür, daß die territorialen Obrigkeiten ihre ganz eigenen Konsequenzen aus einer militärischen Okkupation zogen, zeigte Jutta Nowosadtko. Nachdem im Münsterland spanische, niederländische und auch schwedische Truppen sog. Lizenten eingeführt hatten, dachte der Kurfürst von Köln (der damals auch Bischof im Hochstift Münster war) gar nicht daran, diese Steuern nach Abzug der fremden Truppen abzuschaffen, und erhob sie nun selbst. Hier lernte also die Landesobrigkeit von einer fremden militärischen Obrigkeit, wie man im eigenen Territorium das Steueraufkommen optimieren konnte. Oder anders ausgedrückt: Was der Historiker zunächst als Kriegsbedrückung identifiziert, deklariert er im Weiteren als einen Schritt im Staatsbildungsprozeß.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/304

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Biographische Tafel

1657    (30. März) - Joseph, Sohn von Pierre Vivian (sic!), „marchand“, und Antoinette Devambe, wird in der Kirche St.-Pierre et St.-Saturnin in Lyon getauft 1672    – 1681 - Schüler von François Bonnemer (1638-1689) an der „Académie royale de peinture et de sculpture“ in Paris … Weiterlesen

Quelle: http://vivien.hypotheses.org/243

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Gesucht (2)

Mit Hilfe des Freundeskreises des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Münster wurde 1997 aus dem Kunsthandel ein Porträt des Ferdinand Freiherrn von Plettenberg-Nordkirchen (1690-1737) erworben, das im “Kunstwerk des Monats” vom Juni 1998 von Gerd Dethlefs vorgestellt und Vivien … Weiterlesen

Quelle: http://vivien.hypotheses.org/214

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