Was sind und zu welchem Ende studiert man Geisteswissenschaften?

Ein polnischer Kollege berichtete mir vor kurzem von einem seiner Studenten, dessen Prüfung sich aufgrund eines neuen Arbeitsplatzes verzögerte, den dieser zur Finanzierung seines Studiums angetreten hatte. Inzwischen hat er sein Studium der Geschichte erfolgreich abgeschlossen. Wie sich herausstellte, arbeitet…

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/7972

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Vulkane in der Umweltgeschichte oder das Problem der ‚Euphorie der Erkenntnis‘

Abstract: Interdisciplinary research promulgates euphoric hopes. By bringing together results of natural sciences and humanities scarce entries in historical data appear in a new light. A single account may offer a convincing explanation of a yet unexplored (or yet unconsidered)…

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/7685

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Der zerstreute Chronist. Zur Überlieferung der deutschsprachigen Chronik Jakob Twingers von Königshofen

Die Vermutung, dass gebildete Laien genauso gerne von vergangenen Zeiten lesen würden wie die gelehrte Geistlichkeit, bewog Ende des 14. Jahrhunderts den Straßburger Kleriker Jakob Twinger von Königshofen zur Abfassung einer Welt- und Stadtchronik in der Volkssprache.[i] Dass das Werk…

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/7063

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Graphdatenbanken für Historiker. Netzwerke in den Registern der Regesten Kaiser Friedrichs III. mit neo4j und Gephi

Inhaltsverzeichnis

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/5995

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Vulkanisches Zwielicht. Ein Vorschlag zur Datierung des Kuwae-Ausbruchs auf 1464

Krater des Vulkans Tambora auf der Insel Sumbawa, Indonesien. Quelle: Wikimedia Commons

Krater des Vulkans Tambora auf der Insel Sumbawa, Indonesien. Quelle: Wikimedia Commons

Vor zweihundert Jahren brach Anfang April 1815 der indonesische Vulkan Tambora aus. Dieses Ereignis, und vor allem das darauf folgende Jahr ohne Sommer 1816 stoßen derzeit auf breites Interesse in den Medien: Unwiderstehlich scheint die Mischung von Vulkanasche, ‚Klimakatastrophe‘, Hunger, Missernten, blutroten Sonnenuntergängen und der Entstehung von Mary Shelleys „Frankenstein“. Vulkane ‚gehen‘ immer. Man darf gespannt sein, ob die jubiiäumsbedingten Treffen der klimatologischen Fachwelt und die damit verbundenen Publikationen das düstere Narrativ bestätigen oder relativieren werden.

In der Suche nach Superlativen für das breite Publikum geht oft unter, dass die Eruption des Tambora in ihrem klimatischen Impact mutmaßlich von zwei Vulkanausbrüchen in mittelalterlicher Zeit in beträchtlichem Umfang übertroffen worden sein dürfte: dem seit kurzem geographisch lokalisierten Ausbruch des Samalas auf der Insel Lombok (Indonesien) vermutlich im Jahr 1257, der größten Eruption des vergangenen Jahrtausends, und dem zweitgrößten Vulkanausbruch der letzten 1000 Jahre. Dieser wurde bisher häufig mit einer unterseeischen Caldera in Vanuatu in Verbindung gebracht, nach einem im Rahmen einer lange schon auf 1452 oder 1453 datierten Eruption verschwundenen Inselstück als Kuwae bezeichnet.[1] Obwohl die Lokalisierung umstritten ist (s.u.) soll im Folgenden weiter von der Kuwae-Eruption gesprochen werden, da sich nicht wie im Fall anderer ungeklärter Eruptionen einfach von einem 1452- bzw. 1458-event sprechen lässt, da auch die bisherige Datierung zunehmend fragwürdig scheint.

„unmistakable marks in world climate records“? Kuwae und der Fall von Konstantinopel

Indikator für den klimatischen Impact eines Vulkanausbruchs ist die Menge an Schwefeldioxid, die die Eruption bis in die Stratosphäre schleudert. Dort wandelt sichdas SO2 relativ rasch zu Sulfat-Aerosolen. Diese Schwebeteilchen reduzieren mutmaßlich die Sonneneinstrahlung und können einige Jahre lang um den Globus zirkulieren, für eine Abkühlung sorgen und so auch die meteorologischen Verhältnisse beeinflussen.[2] Rückschlüsse auf die in der Atmosphäre wirksame Menge an Sulfat-Aerosolen, die wiederum zur Klassifizierung des Ausbruchs dienen, ziehen Geowissenschaftler aus polaren Eisbohrkernen. Die dort nachweisbaren Sulfatschichten können allerdings mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht jahrgenau datiert werden: Vielmehr wurden bisher zur Feindatierung häufig historische Fakten – also aus in der Regel schriftlichen Quellen eindeutig belegte und datierbare Eruptionen – als sog. stratigraphische Marker herangezogen.[3] Ein Ereignis wie der Ausbruch des Tambora 1815 und die Wetterkapriolen im Folgejahr sind in der schriftlichen Überlieferung sehr dicht dokumentiert. Viel problematischer ist die Lage für den sehr großen Kuwae-Ausbruch Mitte des 15. Jahrhunderts.

Die historischen Fakten, die 1993 von dem US-Astronomen Kevin D. Pang in einem kurzen Abstract zur Datierung der Kuwae-Eruption angeführt wurden[4], sind – vorab gesagt – alles andere als die „unmistakable marks in world climate records“, die er präsentieren möchte. Zur globalen Verankerung der Datierung dienen ihm sehr pauschale Verweise auf besondere Kälte in Südchina im Jahr 1453/54, auf schlechte Weinernten in Deutschland sowie Ausfälle der Getreideernte in Schweden Mitte der 1450er und auf dendrochronologische Befunde aus Nordamerika, Europa und China. Dass die fraglichen Jahre tatsächlich als kühl und feucht gelten müssen, steht außer Frage. Dies gilt aber sowohl für Europa wie für China (s.u.) in den gesamten 1450er/60er Jahren. Es ist problemlos möglich, eine Handvoll Belege für Kälte und Feuchte sowie Ernteausfälle zu beinahe jedem beliebigen Jahr anzuführen.[5] Damit verlieren diese pauschal zugeordneten Belege ihre argumentative Kraft. Dasselbe gilt übrigens für dendrochronologische Befunde.[6] Entscheidend sind vielmehr spezifische Aussagen in Schriftquellen, die plausibel allein durch eine Aerosolwolke vulkanischen Ursprungs erklärt werden können. Diese meinte Pang in der älteren Literatur zum Fall Konstantinopels im Mai 1453 gefunden zu haben: „But the gardens in the city produced little at that season […] On the night of the full moon there was an eclipse and three hours of darkness […] the whole city [of Constantinople] was blotted out by a thick fog, a phenomenon unknown in those lands in May […] That night, when the fog had lifted, a strange light played about the Dome of the Hagia Sophia […] Lights, too, could be seen from the walls, glimmering in the distant countryside far behind the Turkish camp.“[7] Diese Belege, die Pang anführt und einer für ein breites Publikum gedachten Darstellung von Steven Runciman von 1965 entnimmt, halten keiner näheren Überprüfung stand. Der implizit als Argument für reduzierte Sonnenstrahlung angeführte agrarische Produktionsausfall konnte in keiner Form in den zeitgenössischen Quellen wiedergefunden werden.[8] Das unnatürliche Licht über der Kuppel der Hagia Sophia ist nach ausdrücklicher Erklärung der einzigen davon berichtenden Chronik der göttliche Schutz, der die Stadt verlässt.[9] Die Stürme und Starkniederschläge, per se schon alles andere als überzeugende Indikatoren für eine Aerosolwolke, finden sich im Kontext der Prozession

Staubschicht in der Atmosphäre nach Ausbruch des Pinatubo 1991. Quelle: Wikimedia Commons

Staubschicht in der Atmosphäre nach Ausbruch des Pinatubo 1991. Quelle: Wikimedia Commons

mit einer bisher die Stadt schützenden Marienikone, die im Mai 1453 hoch symbolisch ‚versagte‘.[10] Der beschriebene Nebel über Konstantinopel geht auf eine Passage bei dem mit deutlichem zeitlichen Abstand schreibenden Kritobulos von Imbros zurück, die keineswegs klar einen langanhaltenden, vulkanischen Trockennebel in großer Höhe erkennen lässt, ihre metaphysischen Bezüge aber deutlich macht.[11] Die für den 20. Mai 1453 berichtete,[12] tatsächlich aber für den 22. Mai anzusetzende, in Konstantinopel sichtbare partielle Mondfinsternis[13] zeichnete sich dadurch aus, dass der zunehmende Mond – Vollmond war für den 24. Mai zu erwarten – für vier Stunden nur in stark verminderter Form zu sehen war, einem dreitägigen Sichelmond gleich. Dabei war die Luft völlig klar und ungetrübt. Von einer außergewöhnlichen, dreistündigen Verdunkelung oder Verfärbung – die tatsächlich der Effekt einer durchziehenden Aerosolwolke sein kann[14] – ist im Bericht des Niccolò Barbaro keine Rede.[15] Die Lichter am Horizont hinter dem türkischen Lager, die die Verteidiger angeblich sahen und von denen sie hofften, es handele sich um ein ungarisches Entsatzheer[16], müssen keineswegs mit den Lichterscheinungen gleichzusetzen sein, die in Nordamerika nach dem Krakatauausbruch für falsche Feueralarme sorgten.

Der Quellenbefund wird von Pang also allerorten überdehnt: Nichts was als Beleg in historischen Quellen für den Durchzug einer Aerosolwolke herangezogen wird, ist dafür ein zwingender, oft noch nicht einmal ein plausibler Beleg. Steven Runciman ordnete die berichteten Naturerscheinungen eindeutig als Omen im Kontext des Untergangs der Stadt ein und betonte ihren metaphysischen Charakter, wie dies auch die jüngere Forschung getan hat.[17] Keines der angeführten Phänomene mit Ausnahme der partiellen Mondfinsternis lässt sich in mehreren, unabhängigen Quellen nachweisen. Die Datierung des Ausbruchs auf das Jahr 1452 – nach dem vom Tambora bekannten Muster, nach dem die Kältewelle und Feuchtigkeit mit gehörigem, viele Monate langem Abstand dem Eruptionsereignis folgte – sowie die Postulierung eines ‚Jahrs ohne Sommer‘ für 1453 ist damit hinfällig, soweit sie sich auf Pangs Ergebnisse bezieht. Trotzdem ist festzuhalten, dass viele Jahre alle geowissenschaftlichen, paläovulkanologischen und klimatologischen Untersuchungen auf Pangs Abstract als unhinterfragten Lieferanten ‚historischer Fakten‘ Bezug genommen haben – erkennbar ohne den kurzen Text je gelesen zu haben.[18] Die vollen Konsequenzen der hier plausibel gemachten Fehldatierung der Kuwae-Eruption auf 1452/53 für die Kalibrierung von Eisbohrkernen und anderen naturwissenschaftlichen Daten kann der Autor dieses Textes nicht kompetent einschätzen; völlig unbedeutend dürften sie aber nicht sein. Allerdings fällt auf, dass neuere geowissenschaftliche Publikationen die Rolle stratigraphischer Marker, die aus der schriftlichen Überlieferung gewonnen werden, für die Datierung von Eisbohrkernbefunden nicht klar benennen: Für Vulkaneruptionen in abgelegenen Weltgegenden wie Vanuatu sei die Gewinnung einer präzisen Chronologie durch die Befragung der zeitgenössischen Überlieferung wohl nicht möglich.[19] Entsprechend haben Eisbohrkernforscher in jüngster Zeit Neudatierungsversuche allein durch das Zählen der jährlichen Ablagerungsschichten in Eisbohrkernen unternommen (wobei sich nur ein kleiner Teil der Bohrungen für dieses independent layer counting eignet) und ordnen nun die Kuwae-Eruption ins Jahr 1458 ein.[20] Auch bei dieser präziseren Methode bleibt eine gewisse Unsicherheit in der Datierung von ca. 2 Jahren (Sigl et al.) oder im Extremfall bis zu 7 Jahren (Plummer et al.). Zur Bestimmung der Unsicherheit wird immer wieder auf durch historische Fakten klar belegte, jüngere Eruptionen zurückgegriffen, weil etwa Jahresschichten an den Übergängen zwischen einzelnen Eisbohrkernteilen fehlen könnten. Im Übrigen wird auch in diesen Publikationen auf die Ergebnisse von Pang Bezug genommen, die erklärt werden müssten.[21] Dass also ‚historische Fakten‘ durch diese verfeinerten Methoden völlig irrelevant geworden wären und die Datierung von Eisbohrkernen durch geowissenschaftliche Methoden wirkliche Jahrgenauigkeit herstellen könnten, ist nicht ersichtlich.

Kleiner Ausbruch eines Rinjani-Nebenkraters 1994. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Mount_Rinjani?uselang=de#/media/File:Rinjani_1994_cropped.PNG

Kleiner Ausbruch eines Rinjani-Nebenkraters 1994. Quelle: Wikimedia Commons

Dass „time marker“ aus narrativen Quellen nach wie vor eine fundamentale Rolle spielen[22], legenauch die jüngsten Befunde außerhalb der Eisbohrkernforschung nahe, die eine Identifizierung des für den sog. 1258-event verantwortlichen Vulkans erlaubt haben. Die genaue Datierung der Eruption des Samalas auf Mai 1257 beruht nach allem, was erkennbar ist, auf drei chronikalischen Belegstellen aus dem mittelalterlichen Europa. Mindestens eine dieser Datierungen ist falsch, berichtet die Chronik doch den zur Einordnung herangezogenen warmen Winter[23] für den Januar 1256 und nicht für den Jahresanfang 1258, wie behauptet.[24] Die zweite nordfranzösische Chronik ist in ihren Zeitangaben uneindeutig.[25] Nur ein Zitat aus der Chronik des Matthew Paris stützt den Datierungsversuch, der allerdings trotz der benannten Fehler – und damit eher zufällig – korrekt sein könnte.[26]

Alternativjahr 1464: „das die sun(n)e ir glaentz nit als claerlich hett, als sy dan(n) haben solt“

Das am Beispiel der Kuwae-Datierung durch Pang aufgezeigte Problem ist also virulent und kein Einzelfall. Es illustriert sehr deutlich die Bedeutung von Kooperationen zwischen Geschichts- und Geowissenschaftlern für gewisse Forschungen bzw. unterstreicht die fatalen Konsequenzen, wenn solche Zusammenarbeit unterbleibt. Doch kann man in narrativen Quellen des späten Mittelalters überhaupt spezifische Belege finden, die auf den Durchzug einer Aerosolwolke und wirklich nur darauf schließen lassen? Bei einer umfangreichen Recherche zu ungewöhnlichen Himmelsphänomenen in den 1460er Jahren[27] stieß der Autor auf einige sehr spezielle Befunde, die in diesem Kontext überaus relevant erscheinen und daher kurz vorgestellt werden sollen:

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 646 f. 211v: Chronik von Konstanz des Gebhard Dacher, ad. ann. 1465.

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 646 f. 211v: Chronik von Konstanz des Gebhard Dacher, ad. ann. 1465.

Ausgangspunkt war eine bemerkenswerte Charakterisierung des Jahres 1465 durch den Konstanzer Chronisten Gebhard Dacher, über das er schrieb, das die sun(n)e ir glaentz nit als claerlich hett, als sy dan(n) haben solt. […] Nun was sy vor das jar jn her zü mengem mal mit ir varb entstelt gewesen, yetz vast geluar, dan(n) rotuar, mit zirkeln, gestalt ain regenbogen, umgeben, ye das sy ir wùrkùng der frùchten halb das jar nit hett als andre jar.[28] Die hier sehr genau beschriebene, übers Jahr hin verminderte Sonnenstrahlung und der damit in Verbindung gebrachte, reduzierte Wuchs der Feldfrüchte ist ein sehr präzises Indiz für eine vulkanische Aerosolwolke. Allerdings ist mit einem Einzelbeleg nichts zu beweisen, besteht doch immer die Gefahr von Fehldatierung in der Überlieferung oder doch fiktionaler Berichte. Die weitere Suche brachte aber drei voneinander und vom Konstanzer Zitat erkennbar unabhängige Befunde aus dem nördlichen Mitteleuropa, die alle von (meist blauen) Verfärbungen und geringer Strahlkraft der Sonne sowie gelblicher Luft um ein ganz spezifisches Datum (13. September 1465) herum berichten.[29] Noch bemerkenswerter ist, dass auch südalpin zum ungefähr selben Datum aus vier verschiedenen Regionen Italiens Berichte vorliegen:[30] Eine Bologneser Chronik schildert einen besonders dunstigen September, in dem die milchweiße, manchmal blaue Sonne ohne Strahlkraft blieb wie der nächtliche Mond und den Wein nicht zum Reifen brachte.[31] Der römische Senatsschreiber Stefano Infessura erwähnt Veränderungen der Sonne am 14. September, die mal grün, mal blau, mal gelb erschien.[32] Ein Chronist aus dem umbrischen Gubbio berichtet ebenfalls, dass die Sonne zur Mittagszeit des 13. September blau wurde und so bis zum nächsten Tag blieb.[33] Doch das Potential zum Kronzeugen einer durchziehenden Aerosolwolke hat eindeutig der neapolitanische Notar Angelo de Tummulillis. Er berichtet, dass vom 8. September an die oberen Luftschichten so dunstig waren, dass die Sonne nach ihrem Aufgang wie der Mond wirkte und selbst um die Mittagszeit keine Schatten warf. Am 13. September wurde sie noch dunkler, am Morgen des 14. September erschien sie ganz gelblich wie hinter Nebeln, am Mittag von blauer Farbe. Mehr als zehn Tage konnte sie die hohen Nebel kaum durchdringen, dazu herrschte völlige Windstille und statt Wolken gab es nur den Dunst in der Höhe. Als nach über einer Woche ein leichter Wind aufkam, konnte dieser den Höhennebel nicht vertreiben.[34]

Die Schilderung durch Angelo de Tummulillis lässt an Präzision nichts zu wünschen übrig und deckt sich mit dem, was zu vulkanischen Trockennebeln nach der Tambora-Eruption bekannt ist.[35] Wie alle anderen genannten Autoren enthält er sich bei der Beschreibung der ihm unerklärlichen Himmelsphänomene bemerkenswerterweise metaphysischer Erklärungsversuche. Wie aber können die Berichte über eine blaue und grüne Sonne plausibel als Effekt einer Aerosolwolke erklärt werden? Im Kontext des Tambora-Ausbruchs wird nichts dergleichen berichtet. Eine Sammlung weltweiter Beobachtungen nach dem Ausbruch des Krakatau 1883 verweist hingegen durchaus auf Berichte aus Äquatornähe, dass dort eine Blau- und Grünfärbung der Sonne nach dem Ausbruch des Vulkans bemerkt wurde.[36] Auch alternative Erklärungen für die blaue Sonne müssen in Betracht gezogen werden: Im September 1950 war über Nordeuropa, v.a. in Schottland und Skandinavien, eine Blaufärbung der Sonne zu beobachten, die hypothetisch auf massive Waldbrände in Kanada zurückgeführt wurde.[37] Allerdings könnte auch bei diesem Ereignis ein in Japan lokalisierter Vulkanausbruch im Spiel gewesen sein, weil völlig unklar ist, ob die Rußpartikel eines Waldbrands die für einen Transport bis nach Europa notwendigen Höhen in der Atmosphäre erreichen können.[38]

An dieser Stelle ist zu betonen, von welchen Zufällen eine solche kohärente Beobachtungskette von Neapel bis Braunschweig abhängt: Voraussetzung ist ein wolkenloser Himmel an denselben Tagen in Regionen, die eigentlich von grundverschiedenen meteorologischen Mustern geprägt sind. Dies mag auch den Negativbefund für West- und Osteuropa erklären. Hinzu kommt die Anwesenheit eines Beobachters, der sich für Himmelsphänomene interessiert und diese brauchbar datiert und beschreibt.[39] Insofern sind sieben voneinander unabhängige, spezifische Quellenbelege schon ein zufriedenstellendes Ergebnis. Offen bleiben muss, ob im September 1465 nur ein Ausläufer einer Aerosolwolke in einem langen Streifen von Norddeutschland bis Süditalien sichtbar war. Nur eine Quelle, Gebhard Dacher, berichtet von dauerhaft eingeschränkter Strahlkraft der Sonne im Jahr 1465. Ein Bericht des uns bereits aus dem Kontext von 1453 bekannten Chronisten Kritobulos von Imbros schildert möglicherweise einen bereits früher erfolgten Durchzug eines ersten Teils der Kuwae-Aerosolwolke: In eben diesen Tagen aber wurde auch eine außergewöhnliche Himmelserscheinung beobachtet. Zur hohen Mittagszeit nämlich verfinsterte sich die Sonne, die ungetrübt und wolkenlos schien, in einem plötzlichen Wechsel und wurde dunkel, und ihr Aussehen veränderte sich, und sie nahm die Farbe von dunklem Kupfer an und wurde ganz und gar finster und schwarz, nicht in der gewohnten Weise wie bei Sonnenfinsternissen (denn es war keine Sonnenfinsternis damals), sondern auf eine andere noch nie dagewesene Art, gleichsam wie wenn ein Nebel oder eine dichte, dunkle Wolke sie überziehe und überschatte, und sie blieb so insgesamt drei Tage und ebenso viele Nächte lang, und es haben sie auch alle so gesehen.[40] Leider ist diese Beobachtung, die vermutlich in der nördlichen Ägais anzusiedeln ist, nicht sicher datierbar. Der Editor schlägt aus dem Kontext der Chronik heraus den Zeitraum Herbst/Winter 1464 vor; eine Sonnenfinsternis kann nachweislich nicht Ursache der Erscheinung sein.[41]

Der Befund aus der Ägais weist aber erstmals über die Grenzen des mittelalterlichen Europa hinaus: Denn bei einem globalen Ereignis wie der Kuwae-Eruption kann man auch weltweite Beobachtungen der Aerosolwolke und ihrer Effekte zumindest erhoffen. Allerdings stößt der Autor spätestens hier an die Grenzen seiner Fähigkeiten, zum einen wegen Sprachbarrieren, zum anderen in den Kenntnissen, wie mit schriftlicher Überlieferung aus dem muslimischen, indischen oder mittelamerikanischen Raum umgegangen werden muss. Nur ein instruktives Beispiel aus China mag zeigen, welche Potentiale in einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit von Mediävisten, Arabisten, Indologen, usw. schlummern dürften: Chinesische Klimahistoriker haben seit den 1980er Jahren die immense schriftliche Überlieferung ihres Landes nach meteorologisch relevanten Informationen von der frühesten Zeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts durchsucht und diese Ergebnisse publiziert.[42] Die Datensammlung für die 1460er Jahre zu interpretieren ist schwierig, werden die Befunde doch in einem sehr annalistischen Stil präsentiert.[43] Da so eine qualitative Einschätzung schwierig bis unmöglich wird, wurde ein simpler quantitativer Ansatz versucht, der Kategorien von Extremereignissen wie Fluten und Dürren in ein prozentuales Verhältnis setzt. Dadurch wurde klar, dass im großen geographischen Raum des mittelalterlichen China z.B. auch Trockenjahre eine für sich genommen beträchtliche Zahl an Fluten in manchen Landesteilen aufweisen können. Dasselbe gilt für extreme Temperaturen. Umso weniger ist es sinnvoll, hier Einzelereignisse wie kalte Winter, zufrierende Flüsse, etc. als Indikatoren herauszugreifen, wie Pang es für die 1450er Jahre getan hat. Erkennbar ist, dass nach einem feuchten Jahr 1460 die Jahre 1461 bis 1463 tendenziell trockener wurden.[44] Einen drastischen Wechsel verzeichnen dann die äußerst niederschlagsreichen Jahre 1464/65.[45] Im Februar 1464 wird ein – allerdings unspezifischer – Nebel für Bejing erwähnt.[46] Sehr viel aussagekräftiger sind Berichte über den Niederschlag von “schwarzer Hirse” in Zentralchina und “schwarzem Reis“ in Südchina im Juli 1464.[47] Innerhalb der vorliegenden chinesischen narrativen Quellen der 1460er Jahre gibt es keine vergleichbaren Berichte. Es ist sehr verlockend, diese beiden wiederum unabhängigen Textstellen als Umschreibungen für den Niederschlag von Vulkanasche des über 7000 km entfernten Kuwae zu verstehen. Allerdings wurde bei der (mutmaßlich kleineren) Tambora-Eruption Vulkanasche nur in einer Entfernung von bis zu 1300 km nachgewiesen.[48] Die Beantwortung der Frage, ob ein Niedergang feiner Vulkanasche auch in so großer Entfernung vom – geographisch ja umstrittenen[49] – Eruptionsort denkbar ist, kann kein Historiker leisten.

Fazit

Mindestens drei Schlussfolgerungen bieten sich abschließend an:

Erstens soll vor dem Rückgriff auf die Ergebnisse Pangs für die Diskussion um die Kuwae-Eruption Mitte des 15. Jahrhunderts nachdrücklich gewarnt werden. Sie sind nicht valide. Selbst wenn sie nicht mehr die zentrale Rolle für die Datierung als stratigraphische Marker spielen, wird auf sie doch immer wieder Bezug genommen, etwa in der Frage, ob es sich um zwei Eruptionen handelte: Arktische Eiskerne weisen gelegentlich zwei Eruptionssignale jeweils Mitte der 1450er und Anfang der 1460er auf; andere zeigen nur ein Signal.[50] Wenn weiterhin aufgrund der invaliden Beobachtungen von Pang ein Zwang zur Erklärung meteorologischer und optischer Phänomene im Jahr 1453 gesehen wird[51], gehen solche Interpretationen des Datenmaterials vermutlich von falschen Voraussetzungen aus.

Zweitens sollen die hier vorgestellten Belege diskutiert werden, und zwar nicht nur von Mediävisten und bewusst im eher informalen Rahmen eines Blogbeitrags: Ermöglichen die dargebotenen Befunde aus den Schriftquellen – vorausgesetzt ihre Interpretation als Effekte einer vulkanischen Aerosolwolke trifft zu – nicht eine ähnlich präzise, ja letztlich präzisere Datierung als das Schichtenzählen bei Eisbohrkernen? Anders als bei Frostringen in dendrochronologischen Befunden, die lokale Phänomene spiegeln und keineswegs zwingend mit Vulkaneruptionen erklärt werden müssen, können die vorlegten Auszüge aus narrativen Quellen so einfach nicht ohne Aerosolwolke erklärt werden. Schließen die naturwissenschaftlichen Datierungen eine Eruption im Jahr 1464 vollständig aus, wenn wir das Jahr 1453 schlicht vergessen und eine Grobeinordnung der Eruption(en) in die Mitte des 15. Jahrhunderts vornehmen, um dann die Diskussion neu zu führen?

Zweifellos hängt die Validität der hypothetischen Datierung auf 1464 von der Qualität der beigebrachten Schriftquellen ab. Der Autor hat hier nur einen kleinen Ausschnitt der erhobene Belege präsentiert, dafür aber ausschließlich solche, die seiner Ansicht nach kaum anders als mit Durchzug einer Aerosolwolke vulkanischen Ursprungs erklärt werden können. Um den hier formulierten Vorschlag einer Datierung der Kuwae-Eruption – oder unter welchem Namen dieser Ausbruch auch immer künftig firmieren wird – auf 1464 argumentativ zu erhärten, bräuchte es vergleichbar präzise und einschlägige Beobachtungen für die Jahre 1452/53 oder auch 1458-60. Eine ähnlich intensive Recherche wie für die 1460er Jahre steht für die 1450er noch aus. Außerdem wäre es fundamental, Alternativerklärungen für die blaue und grüne Sonne, die beschriebenen Höhennebel sowie die reduzierte Sonneneinstrahlung ausschließen zu können. Im Fall der hier vorgestellten Phänomene sind also auch Quellenbefunde aus der Nordhemisphäre relevant für Eruptionsereignisse der Südhemisphäre.[52] Allerdings muss die Überlieferung der außereuropäischen Gesellschaften noch gründlich von Fachleuten durchsucht werden. Dies kann ein Einzelner nicht leisten.

Drittens fokussiert der Beitrag ausdrücklich auf Aspekte, bei denen Geowissenschaftler von historischer Expertise profitieren können. Ausgespart blieb daher das, was Historiker für gewöhnlich eher interessieren würde: die zahlreichen Aussagen der narrativen Quellen zu meteorologischen Extremereignissen zwischen 1460 und 1470 sowie deren mutmaßlicher sozialer und ökonomischer Impact. Für Datierungsfragen sollten diese Beobachtungen, da nicht zwingend durch eine vulkanische Ursache erklärbar, ohne Beachtung bleiben. Der Autor hat sich ihnen an anderer Stelle gewidmet, mit dem substantiierten Eindruck, dass die meteorologischen Konsequenzen der Kuwae-Eruption viel weniger eindeutig dem Tambora-Modell folgen als bisher angenommen und generell die sozio-ökonomischen Folgen weniger harsch und apokalyptisch sind als vielfach angenommen.[53] Vielleicht liegt darin auch eine Erklärung, warum die Wachstumsringe von Bäumen nicht ‚adäquat‘ (d.h. stark) auf vulkanische Eruptionen reagieren:[54] Die vulkanische Abkühlung – so eine abschließende Hypothese im Gegensatz nicht nur zu Mann et al. 2012 – wird nicht unterschätzt, sie wird überschätzt. Aber das bedarf weiterer Forschung, von geowissenschaftlicher wie von geschichtswissenschaftlicher Seite.

Ausdrücklich erbittet der Autor Rückmeldung und Kritik zu seinen hier geäußerten Überlegungen, die genau zu diesem Zweck online gestellt wird. Bei der Recherche geriet er vielfach an die Grenze der eigenen Kompetenzen. Die geäußerte Kritik auch an Kollegen aus anderen Disziplinen erfolgt im Bewusstsein, wie schnell auch der Autor selbst bei diesem Thema zwar noch am wenigsten mit seinem Latein, aber doch mit seinem Verständnis komplexer Prozesse, die andere Fächer beschreiben, am Ende war. Ich erhoffe mir eine fruchtbare Diskussion, die ein wenig mehr Klarheit in das vulkanische Zwielicht bringt.

An English version of this article is upcoming.

Zitiervorschlag:

Martin Bauch: Vulkanisches Zwielicht. Ein Vorschlag zur Datierung des Kuwae-Ausbruchs auf 1464, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 10. April 2015, http://mittelalter.hypotheses.org/5697 (ISSN 2197-6120)

Dieser Beitrag steht unter der Lizenz  https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/.

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Anmerkungen:
[1] Vgl. zuletzt Jeffrey B. Witter; Steven Self, The Kuwae (Vanuatu) eruption of AD 1452: potential magnitude and volatile release, in: Bulletin of Vulcanology 69 (2007), S. 301-318 mit weiterer Literatur.

[2] Jüngste Überblicke über den komplexen Mechanismus z.B. bei Anja Schmidt; Alan Robock, Volcanism, the atmosphere, and climate through time, Chap. 13, in: Volcanism and Global Environmental Change, ed. by Anja Schmidt, Кirsten E. Fristad, Linda T. Elkins-Tanton, (Cambridge University Press, Cambridge, 2015, S. 195-207, hier S. 198f.; Jihong Cole-Dai, Volcanoes and climate, in: Wiley Interdisciplinary Reviews: Climatic Change 1/6 2010, S. 824–839.

[3] Auf neuere, höhere Genauigkeit beanspruchende Datierungsmethoden der Eisbohrkernforscher wird weiter unten eingegangen.

[4] Kevin D. Pang, ‘Climatic impact of the mid-fifteenth century Kuwae caldera formation, as reconstructed from historical and proxy data’, in: Fall Meeting. American Geophysical Union, 1993, S. 106. Zur gewöhnlich falsch wiedergegebenen bibliographischen Angabe dieses Abstracts vgl. Anm. 18.

[5] Für die 1450er Jahre wird auf die klimageschichtliche Online-Datenbank tambora.org verwiesen. Obwohl ein Großteil der darin aufgenommen Daten sich als aus quellenkritischer Sicht gerade für das Mittelalter als problematisch erweist – v.a. die Aufnahme nicht zeitgenössischer Quellen ist zu nennen –, ist das Projekt perspektivisch doch sehr nützlich für die Sammlung meteorologisch relevanter Daten aus narrativen Quellen. Für die 1460er Jahre liegt eine Kompilation quellenkritisch zuverlässiger Belege durch den Autor vor, vgl. Martin Bauch, The day the sun turned blue. The redated Kuwae eruption in 1465 and its putative climatic impact – a globally perceived volcanic disaster in the Late Middle Ages?, in: Schenk, Gerrit J.  (Hg.), Historical Disaster Experiences. A Comparative and Transcultural Survey between Asia and Europe, Heidelberg 2015 (im Druck).

[6] Siehe Anm. 54.

[7] Steven Runciman, The Fall of Constantinople, Cambridge/Mass. 1965, S. 112, 121f.

[8] Die drei von Runciman angeführten Chronisten Niccolò Barbaro, Leonard von Chios und Giorgios Sphrantzes berichten im April und Mai 1453 nichts, was über normalen Nahrungsmittelmangel im Zug einer Belagerung hinausgeht (Vgl. La caduta di Costantinopoli. Le testimonianze dei contemporanei, a cura di Agostino Pertusi, S. 19-29, 129-153) Misswuchs oder Verweise auf reduzierte Sonneneinstrahlung finden sich nirgends. Dass landwirtschaftliche Flächen innerhalb der Stadtmauern im April/Mai wenig Essbares produzierten – und vielleicht meint Runciman nur das –, ist jahreszeitbedingt alles andere als ungewöhnlich.

[9] Il 21 maggio ci fu, a causa di nostri peccati, un tremendo presagio in città: la notte del venerdì tutta la città si illuminò, e le sentinelle, avendo visto ciò, corsero a vedere che cosa stava succedendo: pensavano che i turchi avessero incendiato la città e gridavano a gran voce. Radunatasi una gran folla, si vide che in cima, dalle finestre della Grande Chiesa di Santa Sofia, usciva un gran fuoco che circondò la base della cupola della chiesa per molto tempo e le fiamme riunitesi si trasformarono in un‘ unica gran fiamma, e ci fu come una luce indescrivibile e subito essa salì verso il cielo. Coloro che guardavano incominciarono a piangere amaramente rivolgendo l’invocazione: ‚Signore, abbi pieta!’. Quando quella luce raggiunse il cielo, si aprirono le porte del cielo e, accolta la luca, di nuovo si richiusero. […] [Am nächsten Tag erläutert der Patriarch dem byzantinischen Kaiser das Vorgefallene]: ‘Tu sai, imperatore, tutte le predizioni su questa città, e anche ora c’è stato un presagio tremendo: la luce indescrivibile, che operava già nella Grande Chiesa di Santa Sofia assieme ai più grandi sapienti e ai sommi sacerdoti ecumenici, così come anche l’angelo divino, che Dio aveva reso più forte durante il regno dell‘ imperatore Giustiniano per la conservazione della santa e grande chiesa e di questa città, questa notte se ne sono andati in cielo; e ciò significa che la grazia di Dio e la sua generosità ci hanno abbandonato [S. 283] e che Dio vuole consegnare la città nelle mani di nostri nemici‘. E così gli presentò quelle persone che avevano visto il prodigio; e come l’imperatore ebbe ascoltato quanto essi dicevano, cadde a terra come morto e senza parola per lungo tempo (Nestor Iskander, Racconto di Costantinopoli, in: La caduta di Costantinopoli. Le testimonianze dei contemporanei, a cura di Agostino Perusi, S. 261-298, hier S. 282f.)

[10] Bereits zu Beginn der Prozession war die Ikone von übernatürlichen Kräften zu Boden geworfen worden, so dass sie kaum wieder aufgehoben werden konnte. Doch damit nicht genug: Dann aber […] brach gleich darauf genau um die Mittagsstunde ein starkes Gewitter herein mit dunklem Gewölk, und es goß in Strömen und hagelte heftig, so daß die Priester und Träger der Ikone und die nachfolgende Menge es nicht aushalten und ihren Weg nicht weiter fortsetzen konnten, bedrängt und behindert durch die herabstürzenden Regenmassen und die Gewalt des Hagels. Auch wären viele der mitziehenden Kinder in Gefahr geraten, mitgerissen zu werden und zu ertrinken, fortgeschwemmt von dem starken und reißenden Wasserschwall, wenn nicht Männer sie sogleich ergriffen und mit Mühe der Gewalt des Wassers entrissen hätten. So unerhört und ungewöhnlich war die gewaltige Masse des Regens und jenes Hagels. Fraglos zeigte dies den unmittelbar bevorstehenden, totalen Untergang der Stadt an (Mehmet II. erobert Konstantinopel. Die ersten Regierungsjahre des Sultans Mehmet Fatih, des Eroberers von Konstantinopel 1453. Das Geschichtswerk des Kritobulos von Imbros, Übersetzt, eingeleitet und erklärt v. Diether Roderich Reinsch [Byzantinische Geschichtsschreiber, 17], Graz; Wien; Köln 1986, S. 103).

[11] Tags darauf aber hüllte morgens eine tiefhängende Wolke die ganze Stadt vom Morgengrauen bis zum Abend ein. Dies zeigte zweifellos den Aus- und Rückzug der Gottheit aus der Stadt an und dass sie diese endgültig verließ und sich von ihr abwandte. Denn in eine Wolke gehüllt naht die Gottheit und entschwindet wieder (Ebd., S. 104)

[12] Pur ancora in questo zorno de vintido de mazo [20. Mai 1453], a una hora de note el parse uno mirabel segnal in zielo, el qual segno fo quel che dè ad intender a Costantin degno imperadore de Costantinopoli, che el suo degno imperio sì se aprossimava al finimento suo, come con efeto è stato. Questo segnal si fo de questa condition e forma: questa sera a un hora de notte levò la luna et havea hozi el suo tondo, levando questa luna la dovea levar tuta tonda, ma questa luna si levò come quela avesse abudo tre zorni, la qual puoco parea, e iera l’aiere sereno come un cristalo neto e mundo; questa luna si durò a questo muodo zerca hore quattro, e poi a puoco a puoco quela si se andò fazando el suo tondo, e a ore sie de note, tuta si fo compida de far el suo tondo. (Niccolò Barbaro, Giornale dell’assedio di Costantinopolo, in: Pertusi, La caduta di Costantinopoli [wie Anm. 9], S. 8-38, hier S. 26)

[13] http://eclipse.gsfc.nasa.gov/LEhistory/LEplot/LE1453May22P.pdf

[14] Richard A. Keen, Volcanic Aerosols and Lunar Eclipses, in: Science 222 (1983), S. 1011-1013.

[15] Hier scheint das Versäumnis bei Runciman zu liegen, der die venezianische Quelle irreführend paraphrasiert.

[16] Die wenig präzise Belegpraxis Runcimans macht es unmöglich, die dieser Behauptung zugrunde liegende Quellenstelle zu finden. Da aber die Beobachtung so oder so keine argumentative Kraft hat, wurde darauf verzichtet, umfänglich Editionen durchzugehen.

[17] Runciman, The Fall (wie Anm. 7), S. 121f.; Marios Philippides; Walter K. Hanak, The Siege and the Fall of Constantinople in 1453. Historiography, Topography and Military Studies, Farnham, 2011, S. 214-231.

[18] Die ausnahmlos anzutreffende bibliographische Angabe des in Anm. 4 genannten Abstracts von Pang verweist auf den Publikationsort „Eos. Transactions of the AGU 74 (1993), S. 106“. Die genannte Seitenzahl existiert in keinem der beiden Teilbände 74/9 und 74/10; natürlich findet sich auch Pangs Abstract nicht hier. Dies lässt nur den Schluss zu, dass die Angabe von Publikation zu Publikation übernommen, aber nie überprüft wurde.

[19] Michael Sigl et al., A new bipolar ice core record of volcanism from WAIS Divide and NEEM and implications for climate forcing of the last 2000 years, in: Journal of Geophysical Research, 118/3 (2013), S. 1151–1169, here S. 1152: “While many of the Icelandic eruptions back into the middle ages are associated with reliable eruption dates reported by historic witnesses, this is not true for the majority of eruptions that took place in remote areas of the tropics and the Southern Hemisphere […]. Nevertheless, two additional time markers from large stratospheric eruptions in the tropics are used as tie-points for development of ice core chronologies: an unknown eruption in 1258 […], the largest volcanic event of the last millennium, and the signal in 1452/1453 associated with the eruption of Kuwae in Vanuatu […], the largest volcanic event of the last millennium for most of the Antarctic ice core records. Various volcanic timescales in Antarctica were tied to this 15th century time marker.”

[20] Ebd., S. 1160f.; C.T. Plummer et al., An independently dated 2000-yr volcanic record from LawDome, East Antarctica, including a new perspective on the dating of the 1450s CE eruption of Kuwae, Vanuatu, in: Climate of the Past 8 (2012) S. 1929-1940, hier S. 1936f.

[21] Vgl. Sigl et al., A new bipolar ice core record, S. 1163; Plummer et al., An independently dated 2000-yr volcanic record, S. 1936f.

[22] “only volcanic signals from historically documented eruptions have been used to tie the absolute ages” (Sigl et al., A new bipolar ice core record, S. 1153.

[23] Vgl. zum Auftreten warmer Winter in (Nord-)Europa unmittelbar nach großen Vulkaneruptionen Schmidt/Robock, Volcanisms (wie Anm. 1), S. 200 mit weiterer Literatur.

[24] Franck Lavigne et al., Source of the great A.D. 1257 mystery eruption

unveiled, Samalas volcano, Rinjani Volcanic

Complex, Indonesia, in: PNAS 110/42 (2013), pp. 16742-16747, here p. 1674. Viele inexakte Angaben fallen ins Auge: vom Titel der zitierten Chronik (recte: 1308) bis hin zur fehlenden Seitenzahl in der Edition (S. 131). Vom grundsätzlichen Problem, aus einer mit mindestens 60 Jahren Abstand zum Ereignis niedergeschriebenen Chronik exakte Angaben für das Jahr 1258 zu erwarten, ganz zu schweigen.

[25] Die Chronologie im von Lavigne et al. zitierten Text (S. 2) ist nicht so klar wie behauptet: Der Kontext der Textstelle in der Edition mit seinen Erwähnungen der Wahl Richards von Cornwall (13. Januar 1257) verweist eindeutig auf das Jahr 1257, wenn auch der isolierte Absatz zum warmen Winter tatsächlich, wenn auch keineswegs zwingend, auf das Folgejahr deuten könnte.

[26] Zu verweisen ist auf in Vorbereitung befindliche Artikel zu den Konsequenzen des Samalas-Ausbruchs für das mittelalterliche Europa einerseits durch Bruce Campbell (Belfast), andererseits durch den Autor. Darin werden weitere Belege für einen warmen Winter 1257/58 angeführt.

[27] Vgl. Bauch, The day the sun turned blue (wie Anm. 5). Zur Quellenbasis der Studie, deren datierungsrelevanter Teil hier präsentiert wird: Ein Großteil der wichtigsten edierten Chroniken, Tagebücher und anderer narrativer Quellen in Europa und dem Mittelmeergebiet wurden vom Autor für die Jahre 1460-1470 überprüft. Sie wurden durch Rückgriff auf das unverzichtbare Hilfsmittel der Encyclopedia of the Medieval Chronicle, ed. Graeme Dunphy, 2 Bde., Leiden 2010 ermittelt. Quellen in ungarischer, rumänischer, russischer, griechischer und arabischer Sprache wurden nicht ausgewertet, soweit keine Übersetzung ins Englische, Französische oder Deutsche vorlag. Von einer Gesamtzahl von 280 im Druck vorliegenden narrativen Quellen für die genannte Periode enthielten 181 keine relevanten Informationen zu Wetter, Hunger, Epidemien oder Himmelsphänomenen, 69 erbrachten Resultate. 31 Quellen konnten weder über Fernleihe noch online eingesehen werden.

[28] Die “Konstanzer Chronik” Gebhart Dachers: “By des Byschoffs zyten volgiengen disz nachgeschriben ding vnd sachen …”; Codex Sangallensis 646, Edition und Kommentar, hg. v. Sandra Wolff, Ostfildern 2008, S. 696.

[29] Sog. „Sächsische Bilderchronik“ aus Braunschweig: Darna upp ein fridage vor des hiligen Crützes dage in dem rechten midden dage, do vvas de sunne so blauwe umme getzirkelt alse ein blauw korne blome, unde gaff nenye schyn van sick (Chronicon Brunsvicensium Picturatum dialecto saxonica conscriptum, in: Scriptores rerum Brunsvicensium illustrantium, Bd. 3, hg. v. Gottfried Wilhelm Leibniz, Hannover 1711, S. 277-425, hier S. 411); Soester Stadtbücher: Anno domini 1465. Up des hilgen Cruces avende Exaltacionis do was dey sunne an dem hemele so bla ind dey lucht so gelbleck, dat nummant en wuste, wo dat sin mochte, und dat dey rynck van der sunnen und dey schyn was alle blaewyt und was ok eyne wijle tydes roit und wyt (Die Chroniken der westfälischen und niederrheinischen Städte. Dritter Band: Soest und Duisburg, Leipzig 1895 [Die Chroniken der deutschen Städte, 24], S. 51); Bericht einer Chronik aus der Gegend um Maastricht: Terstont doer noe op synte Cornelis avent off op der Heyligen Cruyts avent due scheyn die sonne also jemerlich inde also blodich, gelick doen hedde sy myt blode besmert off bestreken gewest. Inde dit waes al te jemerlick inde bedroft aen te syen. Inde dit duerde omtrent II dach (J. Habets [Hg.], Chronijck der Landen van Overmaas en der anngrenzende gewesten door eenen inwoner van Beek bij Maastricht, in: Publications de la Société Historique et Archéologique dans le Limbourg 7 (1870), S. 11-218, hier S. 22).

[30] Auf sie verweist erstmals Dario Camuffo, Silvia Enzi, Impact of the Clouds of Volcanic Aerosols in Italy During the Last 7 Centuries, in: Natural Hazards 11 (1995), S. 135-161, hier S. 140. Doch wird das Ereignis hier nicht direkt mit einem global wirksamen Ausbruch in Zusammenhang gebracht.

[31] El mese de settenbre [1465] fu chalinzoso, ché ‘l sole mostrava pocho spiandore, era de colore como è la notte la luna, cum colore azuro e smorto, l’ochio del sole biancho como latta; le uve non se possenno madurare bene, li vini bruschi. Questo durò infino adì 26 de settembre (Corpus Chronicorum Bononiensium. Bd. 4, hg. v. Albano Sorbelli, Città di Castello 1924, [RIS² 18/1-4], S. 341, Cronaca A, Cronaca B quasi identischer Bericht).

[32] Eodem anno [1465] a dì 14 di settembre, in die santae crucis, lo sole fece molte mutationi; quanno pareva verde e quanno azzurro et alcuna volta giallo, tutto lo dì (Diario della città di Roma di Stefano Infessura scribasenato, a cura di Oreste Tommassini, Roma 1890 [Fonti per la Storia d’Italia, 5], S. 69).

[33] A dí 13 de setembre [1465], che fo vènere, circa el mezo dí, el sole deventò celestro, et stecte cosí tucto el sabato, che fo a dí 14; e cosí ando sotto la sera.

[34] Sed in ipso mense septembris .XIIII. indictione infra octavam nativitatis beate virginis Marie totum aer sursum factum nubilosus et caliginosus per plures dies et noctes in tantum quod sol in ortu suo videbatur velut luna non radians, et in meridie non naturaliter set paulisper effundebat radios suos ita quod in oppositis vero faceret umbram, qui cum declinaret ad occasum aspicientibus latebat in totum. Sed eadem ebdomada die veneris .XIII. eiusdem magis oscuratus est et in sequenti die sabati .XIIII. in mane apparuit quasi inter nebulas intrusus crocei coloris usque ad sextam, ita quod vultus etiam hominum sese adspicientium viderentur eiusdem crocey coloris seu zallany; et circa meridiem usque ad vesperos dictus sol apparuit coloris azuri seu brevis parum radians inter nebulas vel caligines interpositas, et omni die in vesperis latebat quasi in totum, et hoc duravit quasi per decem dies cum silentio et tranquilitate aeris sine flatu alicuius venti, nec aliqua nubes apparebat super terram vel in montaneis nisi in aere, quasi caligines sine motu. Set postea ceperunt flare modicum venti super terram non expellentes tamen caligines in aere (Notabilia temporum di Angelo de Tummulillis da Sant’Elia, a cura di Costantino Corvisieri, Livorno 1890 [Fonti per la Storia d’Italia, 7], S. 134)

[35] Vgl. Richard B. Stothers, The Great Tambora Eruption in 1815 and Its Aftermath, in: Science 224/4654 (1984), S. 1191–1198, hier S. 1194f.

[36] Tom Simkin; Richard S. Fiske, Krakatau 1883. The Volcanic Eruption and its Effects, Washington, D.C.: Smithsonian Institute Press, 1983, pp. 154–159.

[37] Rudolf Penndorf, On the phenomenon of the colored sun, especially the “blue” sun of september 1950, Cambridge, MA: Air Force Cambridge Research Center, 1953; Anders Angström, The Blue Sun of September 1950, in: Tellus 3/3 (1951), S. 135-140 mit weiterer Literatur zum Phänomen der blauen Sonne.

[38] Ebd., S. 140.

[39] Der Befund kann sich auch ganz anders darstellen: In der „Chronik Friedrichs I. des Siegreichen“ (Berichtzeitraum 1452-1475) schreibt Matthias Kemnat zum Thema Von den cometen, hauven vnd irem vbel. Leider ist der Bericht nicht genau zu datieren. Die Kometen werden auf die Jahre 1456, 1469 und 1477 datiert; eine Einordnung der beschriebenen Sonnenverfärbung in die zweite Hälfte der 1460er Jahre wäre also auf jeden Fall denkbar: Auch soltu hie wissen vnd eben mercken, das zu der zeit, do keiser Friederich der dritt hoit regiert, haben zum dickern male erschienen vnd sint gesehen worden die cometen. Das sein stern mit langen schwentzen. Die sone ist vil tag blahe gesehen worden vnd ein creutz ist gesehen worden inn dem mone vnd vil anders wunders an dem himmel (Matthias von Kemnat, Chronik Friedrichs I. des Siegreichen, in: Quellen zur Geschichte Friedrich’s des Siegreichen. Erster Band: Matthias von Kemnat und Eikhart Artzt, hg. v. C. Hofmann, München 1862 (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte, 2), S. 1-141, hier: S. 87).

[40] Das Geschichtswerk des Kritobulos von Imbros (wie Anm. 10), S. 277.

[41] Ebd., S. 327. Tatsächlich gibt es im ganzen Jahr 1464 bis 20. September 1465 keine Sonnenfinsternis, die im Gebiet des heutigen Griechenland und der Türkei hätte sichtbar sein können, vgl. http://eclipse.gsfc.nasa.gov/SEcat5/SE1401-1500.html

[42] De’er Zhang (ed), A compendium of Chinese Meteorological Records of the last 3,000 years, 4 vols., Nanjing 2004. Relevant ist hier Bd. 2 mit Quellen für die Ming-Dynastie (1368-1643).

[43] Meteorologische Ereignisse werden knapp beschrieben: „severe flood“, „long drought“, continuous rainfall”. Ob dies der kompilatorischen Arbeit der Herausgeber zu verdanken ist oder den Wortlaut der Originalquellen spiegelt, entzieht sich bereits der Kenntnis des Autors.

[44] 1460: 55% Hochwasser, 14% Dürre, 18% Dauerregen. – 1461: 38% Hochwasser, 29% Dauerregen, 22% Dürre. – 1462: 35% Hochwasser, 6% Dauerregen, 32% Dürre, 16% kein Schnee im Winter. – 1463: 33% Hochwasser, 29% Dauerregen, 33% Dürre. Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl aller berichteten meteorologischen Extremereignisse, ohne dass diese gewichtet werden könnten.

[45] 1464: 42% Hochwasser, 17% Dauerregen, 6% Dürre. – 1465: 47% Hochwasser, 15% Dauerregen, 14% Dürre.

[46] February 17th, there was great fog, vgl. De’er (ed): A compendium of Chinese Meteorological Records, Bd. 2, S. 705. Für die Übersetzung ins Englische danke ich sehr herzlich Xiangyu Kong (Hangzhou) und Prof. Dr. Mao Zheng Wei (Hangzhou) für die Vermittlung.

[47] Xiangfan (seit 2010: Xiangyang), Provinz Hubei: Black balls like millets fell in Xiangyang; Shunde, heute Teil der Stadt Foshan, Provinz Guangdong (bei Hongkong): In the 6th month summer [5. Juli – 2. August 1464], black rice fell in Shunde, vgl De’er (ed): A compendium of Chinese Meteorological Records, vol. 2, 710.

[48] Richard B. Stothers, The Great Tambora Eruption in 1815 and Its Aftermath, in: Science. 224/4654 (1984), S. 1191–1198, hier S. 1193f.

[49] Károly Németh, Shane J. Cronin, James D.L. White, Kuwae Caldera and Climate Confusion, in: The Open Geology Journal 1/2007, S. 7-11.

[50] Sigl et al., A new bipolar ice core record, S. 1162.

[51] „historical accounts in Europe and China [Pang, 1993] suggest a volcanic eruption in late 1452/early 1453“ (Ebd., S. 1163); Historical evidence of unusual weather phenomena during 1453 also suggests an eruption took place at this time (Pang, 1993), but this historical evidence is primarily from the N[orthern] H[emisphere]” (Plummer et al., An independently dated 2000-yr volcanic record, S. 1936).

[52] „Often it is difficult to obtain reliable dates for reference horizons beyond recent history, especially in the Southern Hemisphere (SH), as historical documentation of eruptions is poor“ (Plummer et al., An independently dated 2000-yr volcanic record, S. 1930).

[53] Vgl. Bauch, The day the sun turned blue (wie Anm. 5), passim. Ähnliche Beobachtungen formulierte bisher mündlich Bruce M. Campbell, der wie der Autor dieses Beitrags eine Publikation zu den Konsequenzen des Samalas-Ausbruchs von 1257 vorbereitet.

[54] Michael Mann; Jose D. Fuentes; Scott Rutherford, Underestimation of volcanic cooling in tree-ring-based reconstructions of hemispheric temperatures, in: Nature Geoscience 5 (2012), S. 202-205.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/5697

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Fiktion und Geschichte: Die angebliche Chronik Wenzel Grubers, Greisenklage, Johann Hollands Turnierreime und eine Zweitüberlieferung von Jakob Püterichs Ehrenbrief in der Trenbach-Chronik (1590)


Der ursprüngliche Beitrag (dort auch Nachträge) von Klaus Graf vom 10. Februar 2015 auf dem Frühneuzeit-Blog der RWTH Aachen wurde mit dem Abstract auf Archivalia zusammengeführt und wird hier geringfügig verändert und um eine pdf-Version ergänzt erneut publiziert.

Abstract:

Die nun auch online zugängliche sogenannte Trenbach-Chronik im Niederösterreichischen Landesarchiv St. Pölten (Signatur: HS StA 0327) ist eine prachtvoll illuminierte Handschrift von 1590, die einzige bekannte Überlieferung der im Wesentlichen im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts zusammengetragenen Familienchronik der bayerischen Adelsfamilie von Trenbach/Trenpeck. Sie war Teil eines genealogisch-historischen “Forschungsprojekts” des sehr auf humanistische Gelehrsamkeit Wert legenden Passauer Bischofs Urban von Trenbach (Amtszeit 1561-†1598), eines aufwändigen Unternehmens, zu dem auch die bemerkenswerte genealogische Inschriftenreihe von 1572 in der Passauer Trenbach-Kapelle zu zählen ist (auch handschriftlich verbreitet). Sicher haben Gelehrte aus seinem Umkreis (Johann Auer aus Kremsmünster und andere) den Bischof dabei unterstützt. Mindestens bis ins 13. Jahrhundert sind die genannten Familienmitglieder wohl alle unhistorisch. Anachronismen lassen den Schluss zu, dass die angeblich 1468/86 entstandene Chronik eines Scheyerner Benediktinermönchs Wenzel Gruber (nach Angaben der Trenbach-Chronik deren Hauptquelle) als Quellenfiktion gelten darf, also eine Fälschung darstellt. Von ihr wurden die Vorrede in der Trenbach-Chronik und die Passage über Hans von Trenbach (†1468) in Bd. 3 des Bayerischen Stammen-Buchs des Wiguleus Hund wiedergegeben. Die Chronikhandschrift überliefert mehrere literarische Verstexte in deutscher Sprache: Abschiedsverse des Hans von Trenbach (Inschrift in der Elisabethkapelle der Burg Burghausen), die dem gleichen Trenbacher in den Mund gelegte ‘Greisenklage’, Johann Hollands ‘Turnierreime’ und eine zweite handschriftliche Überlieferung von Jakob Püterichs ‘Ehrenbrief’ (1462).

Von der nicht nach dem vierten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts und sicher nicht von Hans von Trenbach verfassten ‘Greisenklage’ sind derzeit 17 Textzeugen, 16 Handschriften und ein Einblattdruck bekannt (neu nachgewiesen wurde München, BSB, Clm 7746). Für die Entstehung der angeblich von einem Herold Johann Holland stammenden ‘Turnierreime’ wurde ein Zeitrahmen von 1437 bis 1511 vorgeschlagen. Es gibt mindestens sieben Handschriften (neu: München, BSB, Cod. icon. 390) – die Überlieferung setzt erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts ein – und einen Druck (bei Wiguleus Hund). Die anspruchslosen Verse können sich nicht auf das Turnier von Schaffhausen 1392 beziehen, da dieses vom Herold Georg Rüxner, der an der Textgeschichte der Turnierreime beteiligt war, erfunden wurde. Das Reimpaargedicht sollte der sozialen Abgrenzung und Selbstvergewisserung des bayerischen Turnieradels dienen.

Besonders bemerkenswert ist aber die Überlieferung des für das literarische Leben des 15. Jahrhunderts so bedeutenden ‘Ehrenbriefs’ von Jakob Püterich von Reichertshausen, da bisher nur eine einzige Handschrift bekannt war, 1997 für die Bayerische Staatsbibliothek teuer erworben (Cgm 9220). Nach Angaben der Chronik wurde der ‘Ehrenbrief’ im Herrensitz St. Martin der Trenbacher aufgefunden, was auf die bekannten literarischen Interessen (ablesbar an ihrem Buchbesitz) von Ortolf dem Älteren und dem Jüngeren von Trenbach verweist. Die neue Handschrift war wohl die Vorlage der Münchner Handschrift und sollte einer wünschenswerten Neuausgabe des ‘Ehrenbriefs’ zugrunde gelegt werden. Zwischen Ehrenbrief und Turnierreimen steht eine – anscheinend unbekannte – kurze deutschsprachige Prosa-Aufzeichnung zur Schlacht von Giengen 1462 aus der Feder des bayerischen Küchenmeisters Stefan Lußnitzer.

Die Trenbach-Chronik und die von ihr überlieferten Texte enthalten in unterschiedlicher Weise literarische Stilisierungen und Inszenierungen. Die dadurch aufgeworfene Frage nach der Rolle der Literatur in der Adelskultur, die weder über- noch unterschätzt werden darf, muss differenziert beantwortet werden. Besonders dicht sind die Zeugnisse in Oberdeutschland in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Püterichs Ehrenbrief und weitere Zeugnisse lassen auf ein vergleichsweise kleines Netzwerk literaturbegeisterter Adeliger schließen. Mehr Aufmerksamkeit als bisher verdienen nicht nur deutsche und lateinische Verstexte von Adeligen und aus ihrem Umkreis, sondern auch die Fiktionen in den aristokratischen “Herkommens-Phantasien”. Der Begriff Phantasie empfiehlt sich für die kreativen, spielerischen und literarischen Aspekte historiographischer Fiktionen und literarischer Fälschungen.

Gliederung: Die Trenbach-Chronik im Niederösterreichischen Landesarchiv St. Pölten – Die Quellenfiktion Wenzel Gruber – Die Greisenklage – Johann Hollands Turnierreime – Jakob Püterichs Ehrenbrief (1462) – Stefan Lußnitzer: Aufzeichnung zur Schlacht von Giengen 1462 – Literarische Inszenierung, Fiktion, Fälschung, Phantasie – und die Lebenswelt – Zusammenfassung

Frühneuzeitliche Adelschroniken sind durchwirkt von Fiktionen. Seit dem Zeitalter Maximilians I. war die gelehrte Historiographie bemüht, möglichst alte und glanzvolle Ursprünge und eine möglichst lückenlose Stammreihe darzulegen. Überlieferungslücken wurden kreativ durch Erfindungen oder hypothetische Rekonstruktionen geschlossen. Für die “Epidemie an antik oder biblisch inspirierten Phantasie- oder Imaginationsgenealogien”1 hat Beat Rudolf Jenny schon 1959 den drastischen Begriff der “Herkommensseuche” gewählt.2 Das “Herkommen” war ein Schlüsselbegriff jenes vormodernen Geschichtsdiskurses.3 Die berühmteste aristokratische deutsche Familienchronik des 16. Jahrhunderts, die monumentale “Zimmerische Chronik”, ist reich gesättigt mit Fiktionen zur früh- und hochmittelalterlichen Geschichte.4 Ihr Autor Graf Froben Christoph von Zimmern hat die “komplette zimmerische Frühgeschichte zusammenfabuliert”, wobei es ihm, so Gerhard Wolf, um “Herrschaftslegitimation durch Traditionsfiktion” ging.5 “Fälschungen, Fiktionen, kombinatorische Erfindungen, historisierende Rückprojektionen haben in der frühen Neuzeit Konjunktur; Traditionen werden auf breiter Front erfunden oder zurechtgebogen”.6

Die Trenbach-Chronik im Niederösterreichischen Landesarchiv St. Pölten

Erst nach meinem ungedruckten Vortrag “Mittelalter-Rezeption, höfische Erinnerungskultur und retrospektive Tendenzen” (Rudolstadt 2001)7 wurde ich auf die Chronik eines Wenzel Gruber aufmerksam, die in der Trenbach-Chronik in der Handschriftensammlung des Ständischen Archivs im Niederösterreichischen Landesarchiv (Signatur: HS StA 0327) verwertet ist. In einem Beitrag “Greisenklage und Wenzel Gruber” zur Mailingliste Mediaevistik vom 27. November 20048 vermutete ich, es handle sich um eine Fiktion aus der Zeit um 1550. Ich stützte mich damals auf die Beiträge von Hans-Dieter Mück9 und Andreas Zajic,10 die gemeinsam mit Frieder Schanzes Verfasserlexikon-Artikel über Wenzel Gruber11 den einzigen brauchbaren Ansatzpunkt für eine quellenkundliche Beurteilung der Trenbach- und Gruber-Chronik bieten.12 In Wolfenbüttel referierte ich 2010 über “Codexmythen und Codexphantasien” (die Thematik des Rudolstädter Vortrags von 2001 teilweise wieder aufnehmend) und wiederholte – anhand des alten Teilabdrucks von 187213 – meine Einschätzung, dass die Chronik Wenzel Grubers eine Quellenfiktion sei. Die Handschrift wurde vor kurzem online gestellt. Zuvor konnte ich Reproduktionen nutzen, für deren liebenswürdige Vermittlung ich Volkhard Huth vom Institut für Personengeschichte in Bensheim sehr herzlich danken möchte.14 Bei der Lektüre bestätigte sich mein Verdacht, dass die Handschrift eine unbekannte zweite Überlieferung von Jakob Püterichs ‘Ehrenbrief’ darstellt.

Die in sauberer Kanzleischrift geschriebene Handschrift beeindruckt durch eine Vielzahl qualitätvoller farbiger Illustrationen, meist Wappen/Ahnenproben, aber auch Personenporträts, entweder nach Grabsteinen oder nach der Wirklichkeit gezeichnet.15 Der Titel “Khurtzer begriff des herkhommens, lebenns unnd thuen des allten, edln unnd rittermessigen geschlechts der Trenbeckhen von Trenbach etc.” enthält den erwähnten Schlüsselbegriff “Herkommen”. Es folgt eine Darlegung der komplexen Entstehungsgeschichte der Chronik: Um 1450 habe sie ein Mönch Wenzel Gruber, Kaplan des Hans von Trenbach, verfasst. Überarbeitungen stammten von dem Schulmeister zu Passau und Kremsmünster Johann Awer um 1550, danach gab es Korrekturen vom Pfarrer zu Lochen am Mattsee Hans Trenbeck. Schließlich habe der Passauer Maler und Bürger Leonhard Abent das Buch 1590 gemalt. Ab dem Jahr 1550 habe Bischof Urban von Trenbach die Chronik fortgesetzt. Darunter ist ein Handschriftenstempel des Bischofs zu sehen, links ein eingeklebter Porträtholzschnitt Urbans aus dem Jahr 1564.

Auf die Genese des Texts beziehen sich auch einige Hinweise in der Chronik. Die Einleitung, die auch ausdrücklich Rechenschaft ablegt über die Bearbeitung der Gruber-Chronik, ist datiert 1. Dezember 1552 (Bl. 11v), Grubers Vorrede wird als Ganzes zitiert, Bl. 25v sagt ein “Tertius corrector L. S.”, der Bearbeiter Grubers habe die Chronik bis 1552 geführt. Das alles für bare Münze zu nehmen, ist, wie ich meine, nicht ratsam. Eine genaue Datierung setzt ein intensives Durcharbeiten und Überprüfen des Texts voraus, was noch zu leisten ist. Schon in dem angeblich 1552 entstandenen Anfangsteil wird auf ein erst 1557 erschienenes Buch von Wolfgang Lazius Bezug genommen (Bl. 19r). Die am Schluss wiedergegebenen Turnierreime erhielt der Verfasser 1564 von Lazius aus Wien. Eines der Horoskope trägt die Jahreszahl 1574 (Bl. 237r). Man wird vorläufig annehmen dürfen, dass die Inhalte der Chronik im wesentlichen im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts zusammengetragen wurden. Gegen die Datierung der St. Pöltener Handschrift in das Jahr 1590, wie auf dem Titelblatt angegeben, spricht aus meiner Sicht nichts.

Wappen und Ahnenproben, auch gemalte Porträts, gehören zum typischen Bestand frühneuzeitlicher Familienchroniken. Humanistische Gelehrsamkeit ist ebenfalls nicht selten, aber es hat den Eindruck, als ob für den Verfasser der Trenbach-Chronik die Welt gelehrter Zitate in besonderem Maße zur aristokratischen Standeskultur gehörte. Neulateinische Poesie ist in der Chronik mehrfach vertreten, die mit Gelehrsamkeit prunkende Einleitung führt sogar italienische Verse an (der Abdruck 1872 hat diese Teile weggelassen). Bemerkenswert sind auch die Horoskope, die ab dem Anfang des 16. Jahrhunderts (Bl. 148r) immer wieder begegnen. Exkursartige Darstellungen gelten dem Adelsbegriff und der Wappenführung, der Existenz von Drachen (als Ehrenrettung der Angaben Grubers über einen Drachenkampf), dem Kampfrecht und dem Turnierwesen.

Spiritus rector der eingehenden Beschäftigung mit der Trenbacher Familiengeschichte war offenbar der 1525 geborene Passauer Bischof Urban von Trenbach, der dem Bistum von 1561 bis zu seinem Tod 1598 vorstand.16 Die Trenbach-Chronik darf nicht isoliert betrachtet werden, ist also einzubetten in die gelehrte Hofkultur Urbans, die jedoch noch näher erforscht werden müsste. Neben dem Programm der Passauer Tren(n)bach-Kapelle bietet sich das Material aus den Passauer Inschriftenbänden zum Vergleich an. Bischof Urban ließ 1581/83 sein Schloss Obernzell mit gelehrten mehrsprachigen Sprüchen und anderen anspruchsvollen Bildungsinhalten ausstatten. 1581 datiert sind Kartuschen der ehemaligen Schlosskapelle mit moralisch-religiösen Sprüchen, vor allem auf Latein, aber auch auf Griechisch, Hebräisch und Syrisch. Vor allem das Werk von Juan Luis Vives hat die entsprechenden Sentenzen geliefert. Auch das Gebälk im Festsaal trug 54 vergleichbare mehrsprachige Sprüche (ebenfalls vor allem nach Vives), ein Leitfaden für weisen Lebenswandel. Außergewöhnlich darf ein umfangreicher Päpstefries mit Wappen von 1583 genannt werden, der auf Befehl Bischof Urbans geschaffen wurde. Ein Kamin war ebenfalls mit lateinischen Sprüchen geschmückt.17 Demonstrativ lässt der Bischof polyglotte Gelehrsamkeit demonstrieren. Das gilt nicht weniger für den von Urban seiner Familie gestifteten Rotmarmor-Altar der Trenbachkapelle (am ehemaligen Passauer Domkreuzgang) von 1572, der Inschriften auf Latein, Griechisch und Hebräisch trägt.18

Höchst ungewöhnlich ist die genealogische Konzeption der vom Bischof für sein Geschlecht bestimmten Kapelle. Die 1572 datierte Scheingräberwand (offenbar nach dem Vorbild der Columbarien der römischen Katakomben) enthält 216 gemalte Inschriftentafeln mit 158 Gedenkinschriften für je ein Mitglied der Familie samt Wappen der Ehefrauen.19 Ursprünglich reichte die Reihe bis Hans Christoph von Trenbach (Nr. 165), doch wurden bis nach 1598 weitere Familienangehörige nachgetragen.

Die Bearbeiter des Passauer Inschriftenbandes kannten zwar Abschriften der Inschriftenfolge von 1572 in zwei handschriftlichen Passauer Inschriftensammlungen.20 Es ist ihnen jedoch entgangen, dass diese Trenbach-Genealogie von 1572 auch handschriftlich zirkulierte. Unter den Manuskripten des Historischen Vereins für Oberbayern im Stadtarchiv München findet sich das wappengeschmückte “Gedechtnus und begrebnus etlicher des alten und edlen Geschlechts der Trenbecken von Trenbach”.21 Helmut Freiherr von Tautphoeus veröffentlichte 1913 eine in seinem Besitz befindliche Handschrift “Gedechtnüs vnd begrebnüs Etlicher des Alten vnd Edlen Geschlechts der Trenbecken von Trenbach. A. D. MDLXXII.”22 Auch sie war mit Wappen geschmückt, der Wortlaut entspricht der Inschriftenfolge der Trenbach-Kapelle. Von Ritter Arnold von Trenbach 1160 bis Nr. 144 reicht diese Version.

Sowohl die Trenbach-Chronik in St. Pölten als auch die Genealogie von 1572 dokumentieren für den Passauer Bischof eine intensive Pflege der eigenen Familiengeschichte. Seinen Eltern spendierte er 1589 ein prachtvolles Grabdenkmal im Stift Reichersberg am Inn.23 Um gewisse Malerarbeiten auszuführen schickte er seinen Hofmaler Leonhard Abent 1591 nach Reichersberg. Dieser Passauer Bürger, der für die Ausstattung der Trenbach-Chronik verantwortlich zeichnet, ist von 1574 bis zu seinem Tode 1603 als Hofmaler bezeugt.24

Wer nach Ansicht des Bischofs das Familienwappen unbefugt führte, musste mit seinem erbitterten Widerstand rechnen. Er ging 1586 gegen einen Göttweiger Konventualen Laurentius Trennbeck, Pfarrer zu Unternalb, vor, der ein unehelicher Sohn einer Trenbacherin war. Er ließ ihm alle Petschaften, Wappenringe und Siegel abfordern und wiederholte seinen Befehl nochmals, als dies offenbar nichts fruchtete. Der Pfarrer sollte in Verwahrung genommen werden, bis er alle Gegenstände ausgeliefert hatte, “do er vnsers Alten Trenbeckischen namen und stammens adelichen Wappens sich mit vnfung missbraucht”.25

Ein genauer Vergleich der Genealogie von 1572 und der Trenbach-Chronik wäre nötig, aber schon ein flüchtiger Blick offenbart erhebliche Differenzen. Die Trenbach-Chronik listet Familienangehörige seit dem 10. Jahrhundert, während die Genealogie den Ritter Arnold als Spitzenahn nennt. Arnold erscheint mit der gleichen Jahreszahl 1160 zwar in der Trenbach-Chronik, wird aber nicht besonders hervorgehoben (Bl. 51r). Im ersten Stemma des Bandes Bl. 56v befindet sich sein Kreis unscheinbar am rechten Rand.

Mir erscheint es unwahrscheinlich, die gründlichen familiengeschichtlichen Recherchen und die demonstrative Vielsprachigkeit in der Chronik sowie auf den genannten Monumenten allein dem Bischof selbst zuzuschreiben (auch wenn dieser gelehrter Beiträger von Wiguleus Hund war, wie unten zu lesen ist). Anzunehmen ist die Mitarbeit von einem oder mehreren Gelehrten in seinem Umkreis. In Betracht käme der Kanoniker Lorenz Hochwart,26 der im sogenannten Trenbach-Codex (München, BSB, Clm 27085), einem bistumsgeschichtlich wichtigen historiographischen Sammelband aus der Anfangszeit Bischof Urbans, 1563 die Passauer Bischofschronik des Protestanten Kaspar Bruschius27 überarbeitete28. Aber Hochwart starb schon 1570. Ob man mehr über die auf der Titelseite genannten Beteiligten Johann Awer und Hans Trenbeck herausfindet, bleibt abzuwarten. Nicht sicher ist, ob es sich bei “L.S.” in “Tertius corrector L.S.” um Namensinitialen handelt.

Über Auer ist bisher nur ganz wenig bekannt. Sechs lateinische Verse “a Ioanne Auer ex Kremsmünster Artium candidato Vienne scriptum” auf den Tod Christophs von Trenbach29 1552 überliefert die Chronik (Bl. 218v). 1557 studierte Auer in Padua.30 1560 erschien in Wien von M. Johann Auer ein Gedicht zur Hochzeit von Johann Friedrich Hofmann von Grünbühel.31

Dem Verfasser der Trenbach-Chronik, der sich selbstbewusst als Ich-Erzähler präsentiert, kam es darauf an, die Beschäftigung mit den Ursprüngen des Geschlechts als gelehrtes Thema von Dignität darzustellen. Er gibt an, der Wiener Professor Wolfgang Lazius (dieser starb 1565)32 habe die Chronik Wenzel Grubers gelesen und sei davon zu einer etymologischen Spekulation inspiriert worden (Bl. 19v). Der aus Passau gebürtige Wiener Jurist Philipp Gundelius (gestorben 1567)33 habe – die Chronik suggeriert: nach der Lektüre Grubers – den fiktiven Trierer Stadtgründer Trebeta34 ins Spiel gebracht. Auf Bl. 23v steht ein kurzes lateinisches Carmen des Johannes Engerdus35 auf die Familie, das “Vencslaus monachorum ex ordine Gruber” hervorhebt. Von dem späteren Ingolstädter Rhetorik-Professor Engerdus, von dem auch lateinische Verse Bl. 43r-v über einen Drachenkampf stammen, weiß die ADB, er sei um 1565 in Passau von Urban von Trenbach dazu bewogen worden, zum Katholizismus zu konvertieren.36

Die Quellenfiktion Wenzel Gruber

Vor mir hat anscheinend niemand die Authentizität des Geschichtswerks Wenzel Grubers, der angeblichen Hauptquelle der Trenbach-Chronik, in Frage gestellt. Wohl aber hat der bedeutende bayerische Historiker Wiguleus Hund37 im bis 1830 ungedruckten dritten Teil seines “Bayrisch Stammen-Buchs” (Erstausgabe von Bd. 1 und 2 in Ingolstadt 1586/8638) erhebliche Zweifel an den Angaben Grubers angemeldet.39 Bischof Urban habe selbst die Chronik als falsch und irrig bezeichnet. Anhand seiner Recherchen zu anderen Familien kann Hund die Angaben Grubers nicht bestätigen. Bischof Urban habe ihm ein altes Stiftungsverzeichnis der Deutschordenskommende Gangkofen überlassen, das etliche Trenbeck-Stiftungen kenne, aber nichts von den genealogischen und Heirats-Nachrichten Grubers wisse. Hund, dessen Trenbeck-Passage 1582 datiert werden kann,40 lag offenbar eine frühere Version der Trenbach-Chronik vor, die den Bericht Grubers über Hans von Trenbach in Ich-Form enthielt. Hund teilt ihn glücklicherweise komplett einschließlich des abschließenden, angeblich von Hans von Trenbach verfassten Gedichts (‘Greisenklage’) mit. Die erhaltene Handschrift der Chronik von 1590 verarbeitet diese Angaben Grubers, ist aber keine wörtliche Wiedergabe und auch mehr als eine getreu dem Text bei Hund folgende Paraphrase ohne Erzähler-Ich. Vor der Wiedergabe der Greisenklage unterrichtet der Chronist Bl. 131r-v über den Lebensweg Grubers. Abweichungen sind auch bei den Anekdoten über Ortolf den Jüngeren zu konstatieren, die Hund offenbar ebenfalls aus seiner Version der Trenbach-Chronik hat.41 Hunds Fassung muss aber auch schon die gelehrten Kombinationen über die Ursprünge enthalten haben, denn er bezieht sich auf die erwähnte Äußerung von Wolfgang Lazius, die in der Chronik als Frucht der Lektüre Grubers dargestellt wird.

Was Hund über Bischof Urbans Kritik mitteilt, erstaunt, denn in der Trenbach-Chronik wird schonend mit der Vorarbeit Grubers umgegangen. Ein Urteil durfte sich der Prälat freilich durchaus erlauben, war er doch in der Lage, Hund eigenhändig genealogische Beiträge zu liefern.42 Der Weingartener Mönch Gabriel Bucelin spendete 1667 Urban von Trenbach, von dem er ein Manuskript zu den Ahaimern zur Verfügung hatte, hohes Lob.43 Auch Hund erwähnt bei dieser Familie die Zuarbeit des Bischofs in seinem Stammen-Buch.44

Hunds Fassung muss ebenso wie die überlieferte Chronik den Eindruck erweckt haben, dass die gesamte ältere Genealogie auf Wenzel Grubers Werk aus dem 15. Jahrhundert zurückgeht. Er stellt nämlich fest, dass im Turnierbuch (Georg Rüxners45) auf dem Zürcher Turnier 1165 Arnold Trenbeck erscheine, Gruber aber sage, Ulrich Trenbeck sei dabei getötet worden, woran Hund zweifelt: “Dauon finde ich daselbst oder Anderswo nichts”.46 In der Trenbach-Chronik wird vor allem im einleitenden Teil auf Gruber ausdrücklich Bezug genommen, sonst eher selten. Daher fehlt bei der Angabe über den Tod Ulrich Konrads von Trenbach auf dem Turnier von Zürich 1165 (Bl. 57v) ein ausdrücklicher Hinweis auf Gruber. Die Bearbeitungsprinzipien des Trenbach-Chronisten suggerieren aber, er habe Gruber höchst getreu wiedergegeben. Wer dieser Angabe Glauben schenken will, muss die Notiz zum Zürcher Turnier dann auch (ebenso wie Hund) Gruber zuweisen, womit – unter dieser Prämisse – der Fälschungsnachweis erbracht wäre: Denn eine Quelle des 15. Jahrhunderts kann unmöglich das von dem Herold Georg Rüxner47 erfundene und 1530 erstmals publizierte Turnier von Zürich kennen!

Historisch Interessierte konnten sich im bayerisch-österreichischen Raum in der frühen Neuzeit den ungedruckten dritten Teil von Hunds Stammen-Buch leicht verschaffen. Die Vita des Hans von Trenbach vermochte zu fesseln als Verbindung des mit einer Prise Abenteuer gewürzten Hoflebens und asketischer Frömmigkeit, was dem Erreichen eines biblischen Alters (115 Jahre!) nicht entgegenstand. In der 1733 erschienenen Fortsetzung von Anton Wilhelm Ertls “Relationes Curiosae Bavaricae” gilt der 25. Bericht dieser Person: “Der hochbetagte fromme Hofmann und Carthäuser Johann von Trennbach”.48 Erbaulich ausgewalzt wurde dieser Abschnitt von Alois Adalbert Waibel in den “Lebensblüthen für junge Freunde des Christenthums” (München 1829).49 Ebenfalls an die christliche Jugend richtete sich die Bearbeitung von Reding von Biberegg in den Stuttgarter “Jugendblättern” 1863: “Ein uralter Hofmeister”.50 Weniger fromm gerierten sich die Wiedergaben aus Hund in Lorenz von Westenrieders Baierisch-historischem Kalender für 1787,51 in Hormayrs Taschenbuch 1842 (“Der Kriegsheld, Hofmann und hundertjährige Layenbruder Hanns von Trennbach”)52 und im Oberbayerischen Archiv Jg. 12 (1851).53 Nach Westenrieder referierte 1816 Joseph von Obernberg in einem Reisebericht breit den Lebensweg des Adeligen.54

Großen Eindruck machten auch die sechs Verse, die Trenbach heimlich an die Tür der Elisabethkapelle im Schloss Burghausen geschrieben haben soll:55

Etwann het ich ein gewonnhait
wann ich außraydt
dass ich Gott vasst bath
Das ich widerkhum drat
Nun bit ich Gott inniclich sehr
das ich widerkhumb nimmermer

Ob es diese Inschrift – sie zählt noch heute zu den anerkannten Burghausener Sehenswürdigkeiten56 – damals tatsächlich gegeben hat, lässt sich nicht nachweisen. Wie die ‘Greisenklage’ nimmt sie das Thema Alter auf und verbindet es mit dem greisen Trenbach. Trenbach begab sich, weiß die Chronik, sofort zur Kartause, seine Abschieds-Inschrift ist also zugleich eine Absage an die Welt. In der heutigen Fassung stammt die Inschriftentafel aber aus dem 17. Jahrhundert und wurde offenkundig mit Angaben aus Hund ergänzt, kann also die Angaben der Chronik nicht bestätigen.57

Auch seriöse historische Darstellungen schrieben unkritisch nach, was ihnen Hund oder der auf Hund fußende Burghausener Stadthistoriker Johann Georg Bonifaz Huber 186258 über Hans von Trenbach präsentierten. Nie und nimmer glaube ich, dass Hans von Trenbach 115 Jahre alt wurde.59 Diese Nachricht findet sich sowohl im Gruber-Zitat bei Hund60 als auch in der – sicher von Bischof Urban autorisierten – Genealogie von 1572 (Nr. 51: Hans Trenbach zu Altenbeirn Ritter, Landhofmeister in Bayern obiit 1468, Laibruder zu Gaiming vixit annos 115). Trotz der von Hund angedeuteten Vorbehalte Bischof Urbans gegen Gruber akzeptierte er das offenkundig legendäre Alter.

Es wäre an der Zeit, das Abschreiben einzustellen und mit dem Überprüfen anhand archivalischer Quellen anzufangen. Positiv darf immerhin vermerkt werden, dass im Passauer Inschriftenband 2006 die Aussage, ein Hans von Trenbach sei Laienbruder in der Kartause Gaming gewesen, durch einen dortigen Nekrologeintrag verifiziert werden konnte.61 Auch im Zisterzienserkloster Raitenhaslach, wo eine Grablege des Geschlechts war, vermerkte man zum 25. Juli den Jahrtag eines adeligen Kartäuserkonversen Johannes (Tren?)bechk.62

Früher, als man historiographische Werke üblicherweise anhand der Faktenwahrheit bewertete, hätte man nicht gezögert, den Verfasser der Trenbach-Chronik dreistester Erfindungen hinsichtlich der älteren Genealogie der Familie zu beschuldigen. Mindestens bis zum 13. Jahrhundert scheinen alle Familienmitglieder und Heiratsverbindungen fiktiv zu sein. Um sie als tapfere Helden und Ritter beschreiben zu können, attestierte ihnen der Chronist gern die Teilnahme an bekannten Kriegszügen der deutschen Herrscher. Der angeblich 1160 bezeugte Spitzenahn Arnold der Trenbeck-Genealogie 1572 begleitete Friedrich Barbarossa auf einem Kriegszug in Italien. Die Familienangehörigen wurden also an passender Stelle in die Reichsgeschichte eingehängt. Solche genealogisch motivierten Fälschungen waren in der frühen Neuzeit nicht selten.63

Es liegt auf der Hand, dass für die Fiktionen erforderliche historische Kontext-Informationen in der Mitte des 16. Jahrhunderts aus gedruckter Literatur eher leicht zu beschaffen waren, im 15. Jahrhundert aber nur sehr schwer. Wer sich ein wenig mit der Adelsgeschichte auskennt, benötigt keinen detaillierten “Faktencheck”, um die kruden Erfindungen aufzudecken. Ohnehin versagt die mir bekannte Sekundärliteratur in Sachen Trenbach-Genealogie vor dem 15. Jahrhundert, und auch mit dem in Monasterium.net64 bereitgestellten Material sowie bei Online-Recherchen nach den später im Besitz der Familie befindlichen Herrensitzen (Schloss Sankt Martin im Innkreis und andere) kommt man nicht ohne weiteres über das 15. Jahrhundert zurück. Es kann natürlich nicht angehen, ohne nähere Prüfung jeden Träger des Namens Trenbach/Trenbeck der angeblich aus Ober- und Niedertrennbach bei Gangkofen zuzuweisen. Dass Hans-Dieter Mück die auf Wenzel Gruber zurückgeführte Ursprungsfiktion, die Familie sei um 900 aus Griechisch-Weissenburg in Ungarn nach Bayern eingewandert, als Faktum ausgibt, kann man nur mit Kopfschütteln lesen.65 Besonders umfangreich fiel die Bearbeitung der Familiengeschichte durch Johann Baptist Wittig im “Neuen Siebmacher” zum niederösterreichischen Adel aus,66 aber sie ist für die älteren Generationen völlig wertlos, da sie ohne Kritik (und ohne Belege) die Chronikangaben übernimmt. Es begegnet der 115-jährige Johann, aber auch der in Zürich 1165 gestorbene Ritter Ulrich, obwohl man 1918 längst hätte wissen können und müssen, dass dieses Turnier nie stattgefunden hat. Der Passauer Prälat Ludwig Heinrich Krick begann 1924 klugerweise erst mit dem 115-jährigen Hans dem Reichen und führte seine Stammtafel bis zum 1637 gestorbenen “ultimus stirpis” Hans Christoph, gibt aber keinerlei Nachweise.67

Hat der Trenbach-Chronist neben zahlreichen Familienmitgliedern auch Wenzel Gruber und seine Chronik erfunden? Die vielen Fiktionen, die im 16. eher als im 15. Jahrhundert verfügbares historisches Wissen voraussetzen, müssen stutzig machen. Aus dem Werkkomplex Gruber ausgerechnet die nicht vor 1530 denkbare Nachricht zum Zürcher Turnier herauszubrechen, um die Authentizität Grubers zu retten, erscheint methodisch verfehlt. Es gibt aber noch weitere Fälschungsindizien. Vergleichsweise wenig Gewicht hat das Argument, dass ein Wenzel Gruber, Benediktiner zu Scheyern, in anderen Quellen nicht dingfest gemacht werden kann. Das kann an Überlieferungsverlusten liegen oder einfach daran, dass noch nicht gründlich nach Gruber gesucht wurde. Immerhin hat sich ja niemand wirklich eingehend mit der Quellenkritik seiner Chronik beschäftigt. Frieder Schanze schrieb einen kurzen Lexikonartikel, Mück fokussierte sich auf die Greisenklage und Zajic ging es primär um die Verwertung von Grabdenkmälern durch den Chronisten. Wenzel Gruber hat einen für Altbayern sehr untypischen Vornamen, und ihm wird eine eher ungewöhnliche Vita zugeschrieben, teils in dem von Hund überlieferten Textbruchstück in Ich-Form, teils in der Vorrede (ebenfalls mit selbstbewusstem Ich), die in der Trenbach-Chronik wörtlich wiedergegeben wird. Nachdem er des Hofdienstes überdrüssig war, vermittelten ihm seine Herren, die von Trenbach, einen Dispens in Rom (aber er erscheint nicht in den einschlägigen kurialen Quellen68). In Salzburg zum Priester geweiht, wurde er 33 Jahre später nach dem Tod seines Herrn Hans von Trenbach (1468) auf Fürsprache von dessen Sohn Ortolf (dem Älteren) Mönch in Scheyern. Während Hans von Trenbach 18 Jahre in der Kartause Gaming lebte, hielt es Gruber kaum ein halbes Jahr dort aus. Mück schließt aus der Bezeichnung Margarethes von Österreich (gestorben 1486) als “meiner gned Frauen”,69 Gruber habe seine Chronik zwischen 1468 und 1486 geschrieben.70

Im 15. Jahrhundert muss eine solche selbstbewusste Redseligkeit, die das eigene Ich in den Chroniktext einbringt, erstaunen. Für die nähere Prüfung der Authentizität stehen nur diese beiden Textstücke, in denen Gruber als Ich spricht, zur Verfügung. Die weiteren ausdrücklichen Erwähnungen Grubers sind unergiebig; der “Fälschungsnachweis” anhand der Rüxner-Rezeption soll die jetzige Analyse nicht beeinflussen. Da Fälschungen mich in den letzten Jahren wiederholt beschäftigt haben,71 gestatte ich mir einige methodische Vorbemerkungen. Im Original vorliegende Quellen können mit naturwissenschaftlichen Verfahren untersucht werden.72 Bei abschriftlicher Überlieferung scheidet die äußere Quellenkritik jedoch aus. Die Formgebundenheit der mittelalterlichen Urkunde macht es leichter, ein Fälschungsverdikt zu belegen. Bei neuzeitlichen Quellenfälschungen, die nicht-urkundliche Texte betreffen, gibt es zwar auch oft Konstellationen, bei denen kein vernünftiger Zweifel möglich ist, aber eben auch das Gegenteil: Es bleibt bei einem “non liquet”, oder ein Konsens kann nicht erzielt werden.73 Weder eine sehr späte Überlieferung noch eine verschollene Vorlage rechtfertigen allein einen Fälschungsverdacht. 1868 publizierte Joseph Aschbach seine Überzeugung, die Werke der Nonne Hrotsvit von Gandersheim seien humanistische Fälschungen von Konrad Celtis und dessen Freunden – und blamierte sich damit.74 Wenn eine Quelle zu “interessant” erscheint, also wichtige unbekannte oder besonders farbige Details bietet, rechtfertigt dies zwar einen gewissen “Anfangsverdacht”, aber der Fälschungsvorwurf muss mit hinreichend starken Indizien untermauert werden. In problematischen Fällen wie dem des Rheingauer Privatgelehrten F. W. E. Roth (1853-1924)75 wird man sich damit begnügen müssen, die Beweislast umzukehren, also so viele gewichtige Verdachtsmomente aufzuhäufen, dass ein Forscher, der die von Roth angeführten, nicht mehr auffindbaren Quellen (z.B. Dokumente zu den Mainzer Meistersängern im 16. Jahrhundert) nicht ohne nähere Begründung verwerten darf. Einen “perfekten Mord” mag es nicht geben, aber je kürzer ein zu untersuchender Text ist, um so größer ist die Chance, dass der Fälscher Anachronismen vermeiden kann und aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden muss.76 Eine Unschuldsvermutung wie im Strafprozess gibt es bei Geschichtsquellen freilich nicht; ein Fälschungsfall darf immer wieder neu aufgerollt werden. Bei Wenzel Gruber bin ich zwar fest davon überzeugt, dass es seine Chronik im 15. Jahrhundert nicht gegeben hat, aber ich könnte durch den Fund eines entsprechenden Handschriftenfragments düpiert werden. Beweise im naturwissenschaftlichen Sinn sind dem Historiker ohnehin verwehrt. Wenn sich aber keine ernstzunehmenden Verteidiger Grubers finden, könnte mein Fälschungsverdacht (wenn er denn wahrgenommen und zitiert würde) womöglich – prinzipiell revisibles – Handbuchwissen werden.

In der Gruber-Chronik als Codexphantasie77 steckt eine weitere Codexphantasie, nämlich der Verweis auf ein altes Pergamentbüchlein, das Gruber leihweise von einem Komtur der Deutschordenskommende Gangkofen namens “Teuschessaw” aus Schwaben78 erhalten hatte und das offenbar eine Familienchronik darstellte, die auch die Heiratsverbindungen enthielt, also als Urquelle für die früh- und hochmittelalterliche Geschichte des Geschlechts die (aus heutiger Sicht fiktiven) Angaben der Trenbach-Chronik beglaubigen sollte. Die Komturliste Gangkofens im 15. Jahrhunderts bei Dieter J. Weiss vermag den von Gruber genannten Namen nicht zu bestätigen, weist aber zu große Lücken auf.79

Schon die Berufung auf einen solchen alten Pergamentcodex mit Blick auf die zusammenphantasierten Ahnen stützt die Vermutung einer Quellenfiktion. Natürlich könnte es sich um eine Fiktion Grubers handeln, der das alte Pergamentbüchlein erfunden haben könnte, aber bereits die Existenz einer bayerischen Adelschronik 1468/86 begegnet erheblichen Bedenken. Am Ausgang des Mittelalters begannen, so Steffen Krieb in einem “Studienhandbuch”, auch Angehörige des nichtfürstlichen Adels damit, “das Herkommen ihrer Familie in Chroniken schriftlich zu fixieren”.80 Jüngst hat Clemens Joos nochmals hervorgehoben, wie sehr das verstärkte Interesse am Herkommen beim schwäbischen Adel von den historisch-genealogischen Bestrebungen Maximilians I. bestimmt wurde.81 Darauf hatte schon Rudolf Seigel in einem nach wie vor grundlegenden Aufsatz 1981 aufmerksam gemacht.82 Schon Thomas Lirers 1485/86 in Ulm gedruckte “Schwäbische Chronik”, eine Sammlung fiktiver Chronikerzählungen83 hielt Seigel für einen frühen, “noch tastenden Versuch, Adelsgeschichte zu schreiben”.84 Als älteste südwestdeutsche Adelschronik nannte er (die nur in späterer Überlieferung greifbare) Chronik des Bligger Landschad von Steinach aus dem Jahr 1491.85 Für die Zeit um 1500 kann man in Oberdeutschland drei Männer namhaft machen, die ich als Väter der modernen Genealogie angesprochen habe: Ladislaus Sunthaim,86 Jakob Mennel87 und Matthäus Marschalk von Pappenheim.88 Eng standen die ersten beiden, etwas loser der adelige Augsburger Kanoniker Pappenheim mit Maximilian in Verbindung.89 Nach meiner bisherigen Quellenkenntnis setzt in anderen Regionen die Pflege der Chronistik durch niederadelige Familien erheblich später ein als in Oberdeutschland. Für Altbayern könnte man auf den gemalten Stammbaum des Degenhart Pfeffinger (1514) und seine Familienchronik von 1515 jeweils im Bayerischen Hauptstaatsarchiv verweisen.90 1526 entstand die faszinierende Chronik des Hans von Herzheim im Stadtarchiv München.91 Vor diesem Hintergrund liegt die angenommene Entstehungszeit 1468/86 von Wenzel Grubers Chronik eindeutig zu früh. Dass ein Diener für erwiesene Gunst sich mit einem “Herkommen” revanchiert (so die Vorrede Grubers), erscheint mir sogar singulär zu sein.

Allerdings kann man der Herzheimer-Chronik entnehmen, dass es die offenbar zur Erklärung des Drachens im Familienwappen bestimmte Drachenkampf-Überlieferung schon am Anfang des 16. Jahrhunderts gegeben hat. Otto Titan von Hefner bezog sich 1862 auf eine eigene Handschrift dieser Chronik, die er 1506/30 datierte. Zum Trenbach-Wappen, dem er die Jahreszahl 1510 beigab, zitiert er die Beischrift: “Das wappen so her gößwein von trenbach pey einem Rom. kayser erlangt hat vmb das er ainen tragkhen allain in dem lant zu Preyssen erschlug.”92 In der Trenbach-Chronik erschlägt der Kriegsmann Geßwein Trenbeck von Geßwein einen Drachen auf einem Preußen-Feldzug Kaiser Ottos II. ca. 975. Da der Abschnitt für die Arbeitsweise des Chronisten bezeichnend erscheint, gehe ich etwas näher darauf ein. Aufgrund dieser tapferen Tat wird Geßwein zum Ritter geschlagen und darf das blutige Drachenhaupt im Wappen führen (Bl. 36r). Der Autor weiß zwar nicht, dass es damals überhaupt noch keine Wappen gab, aber wenigstens die Tatsache, dass quadrierte Wappen zu jener Zeit noch nicht in Gebrauch waren, ist ihm bewusst. Geßwein beteiligt sich auch an einem Sizilien-Feldzug Ottos II. (am Rand ist als Quelle Aventin vermerkt) und stirbt bei einer Schlacht vor Avignon im hohen Alter. Anschließend soll eine Mitteilung zu einer Seelen-Schmiede die Vertrautheit des Autors mit italienischen Traditionen demonstrieren. Ein Markgraf, den manche für einen von Brandenburg hielten, sei in eine Schmiede gekommen, wo verdammte Seelen geschmiedet wurden. Ihm werde es auch so ergehen, habe er erfahren, wenn er sich nicht bessere. Aus Reue habe der Markgraf dann sieben genannte Klöster bei Florenz gestiftet.93 Auf Bl. 38r findet sich eine außergewöhnlich qualitätvolle Miniatur: Geßwein kämpft in antikisierender Rüstung mit dem Drachen. Nun muss aber Wenzel Gruber in einem dreiseitigen gelehrten Exkurs “Von dem gewürm oder trackhen” in Schutz genommen werden, da man die Besorgnis haben könnte, Wenzel Gruber, der vor langen Jahren geschrieben habe, habe es “geticht oder aber auß gedichtem grundt nachgeschriben” (Bl. 39r). Unter den aus der gelehrten Literatur zusammengetragenen Drachen-Zeugnissen erscheint auch die Wiltener Drachenzunge des Helden Haymon, die dort in der Sakristei gezeigt werde.94 Es folgt eine kurze zitatschwangere Abhandlung “Vom gebrauch der wappen” (Bl. 40v-42v). Das Thema Drachenkampf wird nochmals von den erwähnten lateinischen Versen des Johannes Engerdus aufgegriffen, bevor eine von lateinischen Versen begleitete Wappenreihe diesen Abschnitt abschließt. Selbstverständlich beweist die Existenz der Trenbacher Drachen-Wappen-Überlieferung am Anfang des 16. Jahrhunderts nicht die Existenz der Chronik Grubers, aus der sie nach Angaben der Chronik stammen soll.

Besonderes Gewicht hat für mich das Argument, dass Wenzel Grubers Quellenliste in seiner Vorrede anachronistisch ist: “gestifften begrebnussen […], versiglten brieven, alten registern, geschrifften in tottnpüechern, auf alten und neuen grabstainen” (Bl. 2v).95 Ich spreche von einer Quellenliste des antiquarischen Typs, wenn humanistische Historiker eine Reihe von schriftlichen und Sachquellen-Typen aufführen, um ihre umfassende Recherche zu dokumentieren. Seit vielen Jahren habe ich auf solche Listen geachtet, die nach meinen Erfahrungen nicht schon am Anfang des 16. Jahrhunderts zum guten Ton von Chronikvorreden gehören. Abgesehen von einem rudimentären Vorläufer in Konrad Grünenbergs Wappenbuch in den 1480er Jahren – dort heißt es, er habe die Wappen aufgezeichnet aus alten (Turnier-)Blättern, Büchern und Gemälden der Gotteshäuser96 – kenne ich derzeit kein älteres Beispiel für die Verwendung der Quellenliste des antiquarischen Typs als Jakob Mennels Fürstliche Chronik (1518).97

Noch ein kurzer Blick auf das von Hund überlieferte Textstück über Hans von Trenbach. Seine Attraktivität für spätere Autoren resultiert in meinen Augen weniger aus der realen Biographie Trenbachs als aus der konsequenten Stilisierung seiner Vita. Das völlig unglaubwürdige Alter von 115 Jahren, die ihm in den Mund gelegte Greisenklage (dazu unten) und die Burghausener Abschiedsverse beziehen sich auf einen vorbildlichen Lebensweg. Im hohen Alter wendet sich Trenbach vom Hofleben ab, erkennt seine Hinfälligkeit und die Notwendigkeit, seinen Lebensabend fromm-asketisch in der Einsamkeit einer Kartause zu verbringen. Er bleibt trotzdem aktiv, unterstützt das Kloster und stirbt bei einem Reitunfall. Wie hart das Leben in Gaming ist, wird durch die Angabe unterstrichen, dass Wenzel Gruber es kaum ein halbes Jahr dort ausgehalten habe. Reale biographische Versatzstücke – der Aufenthalt eines Hans von Trenbach in Gaming ist ja durch Nekrologe belegt – werden souverän arrangiert, um das Herkommen der Familie über den frommen “Helden” aufzuwerten, aber auch um über das erbauliche “Exemplum” christliche Werte einzuschärfen.98 Wieviel Fiktion wirklich in der Trenbach-Vita steckt, bleibt noch anhand unabhängiger Quellen zu ermitteln. Aus meiner Sicht gehört ein solcher Erzähler eher in das 16. als in das 15. Jahrhundert. Dass Wenzel Gruber als enger Vertrauter des Adeligen wenige Jahre nach dessen Tod in dieser Weise mit der Vita seines Herrn jongliert hat, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber wenig wahrscheinlich.

Fromme Stilisierung begegnet in der Trenbach-Chronik auch bei dem Tod des Priesters Christoph von Trenbach, Urbans Bruder, 1552. Er stirbt mustergültig, indem er das Gesinde über ihre Tugenden und Laster belehrt und zum Guten ermahnt und sich selbst als nichtigen Madensack bezeichnet, der sich zu gern als gnädiger Herr titulieren ließ (Bl. 216r). Zum Priesterbild seines Bruders als eines herausragenden Vertreters der tridentinischen Erneuerung und der Gegenreformation passt diese Darstellung ausgezeichnet.

Als gesichert möchte ich festhalten: Die beiden Wenzel Gruber zugeschriebenen Textstücke weisen Merkwürdigkeiten auf, die klar die Frage nach ihrer Authentizität aufwerfen. Die Indizien für Anachronismen sind eher “weich” als “hart”, und es fehlt eine philologische Beurteilung, ob die Textteile sprachlich ins 15. Jahrhundert passen (ich habe Zweifel). Trotzdem erscheint mir die Beweislastumkehr geglückt: Wer künftig behauptet, Wenzel Grubers Chronik sei ein Text des 15. Jahrhunderts, sollte meine Argumente zu entkräften versuchen. Methodisch unabhängig von der “Beweisführung” anhand der Vorrede und der Vita des Hans von Trenbach habe ich ja oben bereits meine Überzeugung formuliert, dass die Rüxner-Rezeption nicht einfach, um Gruber zu “retten”, von den anderen genealogischen Fiktionen, die der Chronist ja implizit alle Gruber zuschreibt, isoliert werden darf. Wenn man dieses Argument akzeptiert, hat man einen vergleichsweise “harten” Fälschungsnachweis.

In den 1550er oder 1560er Jahren dürfte die Gruber-Chronik fabriziert worden sein. Glaubt man dem Chronisten, lag sie Wolfgang Lazius und zwei anderen Gelehrten vor. Terminus ante quem wäre der Tod des Lazius 1565. Spekulationen darüber sind müßig, was außer den beiden wörtlich wiedergegebenen Textstücken an Gruber-Text zu entwerfen gewesen wäre. Das genealogische Forschungsprojekt des Passauer Bischofs Urban von Trenbach war an sich ja schon sehr aufwändig. Es mussten zahlreiche Quellen und Grabstätten (für die Bilder!) gesichtet werden. Da ist es durchaus denkbar, dass im Zuge dieses Unternehmens nicht nur die vielen Phantasie-Ahnen aus dem Hut gezaubert wurden, sondern auch die Gruber-Chronik gefälscht. Der Zweck dieser Fälschung lässt sich mit dem Begriff der “Beglaubigung” beschreiben. Eine mit ganz wenigen Änderungen getreu wiedergegebene frühere Familienchronik (laut Titelblatt um 1450 geschrieben) eines späteren Benediktinermönchs, der als solcher nicht lügen darf, und die sich wiederum auf eine alte Pergamenthandschrift aus der Kommende Gangkofen beruft, soll die Wahrheit der Chronikangaben verbürgen. Eine solche Quellenfiktion ist keineswegs singulär.99

Wenn Hund die Distanz des Bischofs gegenüber Gruber richtig wiedergibt, ist es schon deshalb wenig wahrscheinlich, dass der Passauer Oberhirte in eigener Person für die Erfindungen und die Gruber-Quellenfiktion verantwortlich war. Urban von Trenbach hat sicher nicht als einziger in seiner genealogischen (Fälscher-)Werkstatt am Familien-Herkommen gedrechselt.

Die Greisenklage

Die ‘Greisenklage’ ist ein offenbar im 15. Jahrhundert verfasstes Reimpaargedicht, das in der Regel gut 50 Verse umfasst. Es stellt die Freuden der Jugend den Gebrechen des Alters gegenüber. Hans-Dieter Mück hat aufgrund des chronikalischen Zeugnisses von Wenzel Gruber, der die Verfasserschaft Hans von Trenbach 1467/68 zuschrieb, und einer Sichtung der ihm bekannten, 1468/69 einsetzenden Überlieferung Hans von Trenbach als Autor angesehen. Auf die Erstellung einer Handschriftenfiliation hatte Mück verzichtet, obwohl man daraus hätte ablesen können, ob die Trenbach-Version tatsächlich wie zu erwarten an der Spitze der Überlieferung steht. Wie ich bereits 2004 zeigte,100 scheitert die Verfasserzuschreibung schon an dem Umstand, dass ich aufgrund von Internetrecherchen zwei ältere Handschriften in St. Gallen (1430/36 von Friedrich Kölner in St. Gallen geschrieben) und Augsburg nennen konnte. Nach dem vierten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts kann der Text nicht entstanden sein.

Ebenso wie mein Beitrag 2010101, den ich mit Nachweisen von Handschriften-Digitalisaten aktualisiert habe, wurde mein Hinweis von 2004 von Mike Malm, der die Greisenklage für das DLL bearbeitete, ignoriert102 Daher fehlt – leider auch im Handschriftencensus (derzeit 13 Handschriften)103 – die von mir beigebrachte zweite Handschrift in der Stadt- und Staatsbibliothek Augsburg 2° Cod 307, Bl. 97rb aus dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts.104 Das DLL hat nur eine Handschrift mehr als der Handschriftencensus, nämlich eine Abschrift der Original-Handschrift des Zimmern’schen Vergänglichkeitsbuchs.105 Allerdings sollte man dann alle bekannten Abschriften des Vergänglichkeitsbuchs Wilhelm Werners von Zimmern und nicht nur eine einzige angeben.106 Es fehlt die Trenbach-Chronik (Bl. 132v), in der Bl. 133r wie in einigen anderen Handschriften ein Bild beigegeben ist: ein hinfälliger Greis, der hier Hans von Trenbach darstellen soll (Abbildung unten). Um die Überlieferungsübersicht nicht zu verzerren, empfiehlt es sich, sowohl beim Vergänglichkeitsbuch als auch bei dem Werkkomplex Trenbach-Chronik/Hunds Stammen-Buch und Ableitungen (z.B. bei Eckher, siehe unten) nur einen Textzeugen zu zählen.107 Bislang übersehen wurde München, Staatsbibliothek, Clm 7746, Bl. 91av aus der Zeit um 1450.108 Außer den Handschriften gibt es noch einen frühen Einblattdruck (in Augsburg), den man inzwischen um 1508/12 datiert.109 Demnach wären also derzeit 17 Textzeugen der ‘Greisenklage’ bekannt, nämlich 16 Handschriften (Zimmern und Trenbach/Hund jeweils als ein Zeuge gezählt) und ein Druck.

Joseph Mayer erwähnte 1862 unter den Sammlungen des historischen Vereins für die Oberpfalz ein (nicht datiertes) Bild Hans von Trenbachs mit den von ihm selbst verfassten Reimen auf der Rückseite110, und im Findbuch zu den Landschaftsakten des Ständischen Archivs im Oberösterreichischen Landesarchiv steht in Nr. 1577: “Epitaph auf Hans Trenbeckh. Verse. Originelle Grabschrift in deutschen Versen. Starb nach 48jährigem Witwerstand als Laienbruder zu Gaming im Jahre 1468, 115 Jahre alt”111. Vermutlich geht beides auf die Wiedergabe bei Hund zurück.

In der Trenbach-Chronik und in Hunds Wiedergabe112 wird die Greisenklage Hans von Trenbach in den Mund gelegt. Vor dem üblichen Textbeginn nennt sich der angebliche Verfasser:

Hannß Trenbeckh Layenbrueder haiß ich
Gott erbarme sich vber mich

Diese “literarische Inszenierung”, die bei Trenbach, wie gezeigt, in den Kontext des Greisen-Motivs und seiner Stilisierung als Vorbild gehört, hat eine eigentümliche Paralelle in der Minnereden-Überlieferung. Die Münchner Lohengrin-Handschrift Cgm 4871 (ursprünglich mit Cgm 4872 und Cgm 4873 zusammengebunden)113 wurde nach einem Schreibervermerk 1461 in Kammer am Attersee (Oberösterreich) von Johannes Fritz von Passau für Ortolf von Trenbach den Jüngeren geschrieben. Im Text von Peter Suchenwirts Minnerede ‘Die schöne Abenteuer’ wird der Name des Sprechers an zwei Stellen durch “hanns von Trenbach” bzw. “Trenbeckh” ersetzt.114 Es liegt nahe, in diesem Hans von Trenbach den Großvater Ortolfs zu sehen, also den vorbildlichen Helden bei “Wenzel Gruber” bzw. in der Trenbach-Chronik. Im Mittelpunkt des Textes115 steht die Begegnung des Sprechers mit den personifizierten Tugenden Minne und Ehre. Wann diese Textänderung, die nur im Cgm 4871 vorhanden ist, erfolgte, lässt sich nicht angeben. Sogar eine Autorvariante Suchenwirts ist denkbar. Damit käme man in die Zeit vor 1400. Um einen direkten Zusammenhang mit der bei Gruber vorgenommenen Stilisierung des Hans von Trenbach (gestorben 1468) erwägen zu können – die Minnerede thematisiert weltliche adelige Vorbildlichkeit und beklagt Missstände beim Adel – ist das 1461 datierte Zeugnis zu alt. Obwohl ich der Überzeugung bin, dass die Gruber-Chronik eine Quellenfiktion des 16. Jahrhunderts ist, könnte es durchaus sein, dass die Greisenklage – womöglich inspiriert durch das Vorbild der Suchenwirt-Minnerede – schon im 15. Jahrhundert mit Hans von Trenbach verbunden wurde. Mehr als eine bloße Möglichkeit ist das aber derzeit nicht.

Am 19. November 1818 wies Franz Hoheneicher dem Germanisten Johann Andreas Schmeller ein unbekanntes Gedicht des “Hanns von Trennbach” nach, das er in einer eigenhändigen Niederschrift des Freisinger Fürstbischofs Johann Franz Freiherr von Eckher (1649-1727)116 gefunden hatte.117 Er vermutete die Sammlung Eckhers inzwischen im Reichsarchiv oder in der Staatsbibliothek. Schmeller erkundigte sich beim Archiv, hatte aber zum Zeitpunkt seines Antwortbriefs an Hoheneicher am 18. Dezember 1818 noch keine Mitteilung dazu erhalten. Hoheneicher setzt das Gedicht ausdrücklich von dem kürzeren Gedicht aus Westenrieders Kalender (also der Greisenklage) ab. In der als Neubearbeitung von Hunds Stammen-Buch konzipierten genealogischen Sammlung Eckhers im Cgm 2268 Bd. 5 finde ich im Trenbach-Abschnitt nur die Greisenklage.118 Vielleicht hat Schmeller den Text später doch noch erhalten. In seinem Nachlass gibt es eine Schrift über Hans von Trenbach, die sich auf die Minnerede Suchenwirts zu beziehen scheint.119 Vermutlich hat Eckher demnach das Suchenwirt-Gedicht aus dem Cgm 4871 oder einer anderen Abschrift kopiert.

Johann Hollands Turnierreime

Eingeleitet vom Bildnis des Herolds Johann Holland in seinem Wappenrock (Bl. 306r) beschließt die leider unvollständige Wiedergabe der ‘Turnierreime’ des Johann Holland die Handschrift der Trenbach-Chronik (Bl. 306v bis Textabbruch Bl. 311v). Eingangs erfährt man, den Text habe der Wiener kaiserliche Leibarzt und Historiker Wolfgang Lazius am 9. September 1564 als Abschrift aus einem alten Pergamentbüchlein zugesendet. Nach einem Hinweis auf die Turnierbücher (Rüxners) und ihre Berücksichtigung in der “Cosmographei” des Sebastian Münster120 kündigt der Chronist Bl. 279r Püterichs Ehrenbrief und die Turnierreime (“aines alten heroldten gedicht in reimen”) an. Letztere will er von Lazius 1563 in Wien zur Abschrift erhalten haben. Überprüfbar ist diese Provenienz des Texts natürlich nicht. Eingedenk der genannten “Codexphantasien” kommt man nicht umhin, auch bei dem alten Pergamentbüchlein als Quelle ein Fragezeichen zu setzen.

2009 schrieb ich in meinem Rüxner-Aufsatz zu Hollands Turnierreimen: “Rüxner hatte seine Hände auch bei der Textgeschichte der Turnierreime des bayerischen Herolds Johann Holland im Spiel. Er fügte eine kurze eigenhändige ‘Antwort’ ebenfalls in Versen bei. Auch wenn es wohl zu weit ginge, in Rüxner den Fälscher der Turnierreime zu sehen, soll festgehalten werden, dass es keinerlei Beweis dafür gibt, dass die erst ab der Mitte des 16.Jahrhunderts in der Überlieferung erschienenen Turnierreime tatsächlich in die Zeit Sigmunds zurückgehen und tatsächlich von einem Herold Johann Holland stammen. Jakob Püterichs Ehrenbrief 1462 liefert auch keinen sicheren Terminus ante quem, da das Abhängigkeitsverhältnis der beiden Texte nicht sicher zu klären ist. Fest steht nur, dass die Erwähnung des Turniers zu Schaffhausen 1392 nicht ursprünglich sein kann, denn dabei handelt es sich um eine Erfindung Rüxners, wie aus einem Vergleich der Namenslisten Rüxners mit den historischen Fakten hervorgeht. Es ist schlicht und einfach unzutreffend, wenn man heute noch liest, dass Rüxners Namenslisten ab der Mitte des 13. Jahrhunderts verlässlich seien”.121

Für Hellmut Rosenfeld, Verfasser des Artikels im Verfasserlexikon,122 wurde Johann Holland um 1390 in Eggenfeld geboren und war Herold und Wappendichter Herzog Ludwig des Bärtigen von Bayern-Ingolstadt (1365-1447): “Zusammen mit Herzog Ludwig kam er zu Kaiser Sigismund, nachdem dieser, von Zürich kommend, am 19. 7. 1415 Schaffhausen besucht und von dem dort 1392 veranstalteten Turnier gehört hatte. Auf Veranlassung des Kaisers bzw. dessen Kanzler Schlick verfaßte H. nunmehr eine gereimte Aufzählung des gesamten am Schaffhauser Turnier von 1392 beteiligten bayerischen Adels”.123 Abgesehen davon, dass Sigismund erst 1433 Kaiser wurde und der ins Auge gefasste Ereignisbezug unzutreffend ist, glaubt Rosenfeld zu naiv den Angaben des Textes. Die jüngere Forschung hat ihre liebe Not mit der Datierung und dem historischen Kontext des eher anspruchslosen Reimpaargedichts. Die Trenbach-Chronik datiert die Verse um 1424, eine Mutmaßung, die sich sicher nicht auf Informationen der Vorlage stützen kann. Martha Mueller, die in ihrer New Yorker Dissertation 1985 die maßgebliche Edition der Turnierreime Hollands vorgelegt hat,124 meinte, der Text könne “wohl kaum vor dem Todesjahr Schlicks (1449)” entstanden sein. Als Terminus ante quem sah sie die Entstehung des von den Turnierreimen abhängigen Ehrenbriefs 1462 an. 2005 kam Wim van Anrooij in einem für das Heroldswesen wichtigen, aber leider recht entlegen erschienenen Aufsatz auf den Zeitraum 1429/1433, als Kaspar Schlick125 Vizekanzler war. Leider begründet er nicht, wieso sich die Bezeichnung cantzeler “notwendigerweise” auf die Vizekanzlerschaft Schlicks 1429-1433 bezieht.126 Am gründlichsten hat sich Joachim Schneider 2003 bei seinen eindringlichen Quellenstudien zum bayerischen Turnieradel mit Hollands Versen beschäftigt.127 Für ihn war die Bezeichnung Schlicks als Kanzler ein eindeutiger Terminus post quem. Entscheidend für die Entstehung der Turnierreime war für ihn die politische Konstellation des Jahres 1434.128

Schneider hat das nur von Rüxner129 bezeugte Schaffhauser Turnier 1392 – endlich! möchte man sagen – in das Reich der Fiktion verwiesen.130 Wäre die nur von der Trenbach-Chronik (und der Münchner Ehrenbrief-Handschrift) gebotene Datierung 1392 – sie fehlt in Muellers Edition nach dem Cgm 1317 als Leithandschrift – keine spätere Interpolation in den Text der Turnierreime, so müsste man womöglich an das Erscheinungsdatum der Erstausgabe des Turnierbuchs 1530 als Terminus post quem denken. Rüxner selbst könnte natürlich auch schon früher das Turnier erfunden haben. Denkbar wäre aber auch, dass er sich von der Jahreszahl 1392 in Hollands Gedicht anregen ließ. Aber es gibt keinen Anhaltspunkt, dass die Lesart der Trenbach-Chronik ursprünglich ist.

Ein archivalischer Nachweis für das Turnier 1392 ist nicht zu finden. Im Katalog der Schaffhauser Turnier-Ausstellung 2014131 hat sich Peter Jezler meine Skepsis zu eigen gemacht, wenn er – über mich hinausgehend – schreibt, Rüxner habe, wie es scheine, “auch von ihm zitierte Quellen selbst geschaffen (Schaffhauser Turnierreime des Johann Holland)”.132 Dagegen bleibt Kurt Bänteli unkritisch der liebgewordenen lokalen Tradition133 verhaftet, wenn er annimmt, Rüxners Mitteilung zu 1392 könne einen wahren Kern haben, da es aus den folgenden Jahren glaubwürdige Nachrichten über Turniere in der Stadt gebe. Er nennt Quellenbelege für Turniere in den Jahren 1405, 1432, 1434 (?), 1435 und 1438.134

Schaut man sich die von Rüxner genannten Personen genau an, so wird man rasch zu dem Schluss kommen, dass anscheinend alles erfunden ist. Dem Schaffhauser Stadtchronisten Johann Jakob Rüeger teilte am 13. Dezember 1595 der Historiker Gottfried von Rammingen mit, die Jahreszahl im Turnierbuch zum Turnier in Schaffhausen müsse falsch sein, da mehrere anwesende Grafen nicht mehr am Leben gewesen seien.135 1931 stellte Eduard Geßler fest, bei Rüxner sei “sehr viel Unrichtiges und geradezu Unmögliches zu finden”. Die Fürstlichkeiten seien niemals in Schaffhausen gewesen, und die Vornamen der Schweizer Geschlechter nicht zu belegen.136 Den dritten Tanz des Turniers gab man, will Rüxner wissen, Herzog Stefan von Bayern, der mit der Gemahlin Markgrafs Rudolfs von Baden getanzt haben soll. Das muss der schon im Jahr zuvor (1391) verstorbene Rudolf VII. gewesen sein, der unverehelicht blieb. Rudolf selbst tanzte – offenbar postmortal – mit der Tochter Herzog Stephans von Bayern. Stephan III. hatte nur aus erster Ehe eine Tochter, die aber schon seit 1385 Königin von Frankreich war (Isabeau de Bavière). Landgraf Ludwig von Hessen nahm schon vor seiner Geburt (1402) am Schaffhauser Turnier teil und war damals bereits pränatal verheiratet. Genug! Wenn man eine authentische Namensliste des Bodensee-Adels aus jener Zeit benötigt (also der potentiellen Turnierer in Schaffhausen), kann man jenes Bündnis wegen Führung des Georgenbanners heranziehen, das am 24. Dezember 1392 über 400 Adelige zur Unterstützung des Hans von Bodman gegen die Böhmen vereinigte.137 Rüxner bietet gänzlich andere Vornamen! Auch für ihn gilt im Turnierbuch das Prinzip der Beweislastumkehr: Wer ihm hinsichtlich des Schaffhauser Turniers 1392 vertrauen möchte, muss das methodisch schlüssig belegen.

Auf welches Turnier in Schaffhausen sich Holland stattdessen bezog, lässt sich nicht sicher sagen. Schneider hat großen Scharfsinn darauf verwendet, Hollands Reimerei politisch zu interpretieren und auf ein möglicherweise 1434 in Schaffhausen stattgefundenes Turnier zu beziehen. Er zeigte, dass die frühere Lektüre des Textes, die von einem Zusammentreffen Ludwigs von Bayern und König Sigismunds ausging (Verse 9-18), nicht zwingend ist. Dann hätte der Herold und nicht der Bayernherzog den König getroffen. Aber auch bei dem von Schneider favorisierten Aufenthalt Sigismund im Mai 1434 in Schaffhausen gibt es ein Problem. Sigismund kam nämlich nicht von Zürich, wie Holland sagt.

Mir scheint es an der Zeit, von der “biographistischen” Deutung der Turnierreime abzurücken und sie stattdessen zuallererst als literarische Inszenierung zu begreifen. Ein Herold Johann Holland ist in den Quellen nicht greifbar. Es könnte sich auch um ein Pseudonym handeln138. Einen Herold Herzog Ludwigs von Bayern mit dem Amtsnamen Holland (er bezog sich auf die Herrschaft bzw. Ansprüche Bayerns auf Holland) gab es 1419, aber er trug den Vornamen Nikolaus.139 Der Geburtsort Eggenfelden, die Tätigkeit als bayerischer Herold, der aufgrund der sechs beherrschten Sprachen weitgereist zu sein vorgibt – nichts muss real gewesen sein. Der Rollen-Figur eines Herolds einen Katalog der turnierfähigen Geschlechter in den Mund zu legen bedeutete, den Geltungsanspruch der Liste zu erhöhen, da Herolde als der Wahrheit besonders verpflichtete Tugend-Richter, als “moralisch-soziale Kontrollinstanz”140 galten. Auf die Funktion, den Adel zu strafen, kommt der Holland-Text zweimal, vor und nach dem Turniererkatalog, zu sprechen (Verse 35-48, 426-428).141 Auf Turnieren tätige Herolde waren bei der Prüfung der Turnierfähigkeit ausgewiesene Experten und konnten die dafür zuständigen Turniergenossen beraten. Was Historikern Kopfschmerzen bereitet, die historische Situierung des Eingangsabschnitts der Turnierreime, erweist sich im literarischen Text als Realitätsfiktion einer “Rahmenerzählung”, die Glaubwürdigkeit herstellen soll.

Leider kommt auch die dem Text beigegebene Illustration nicht zu Hilfe. Die Heroldsdarstellung dürfte nämlich erst für die Trenbach-Chronik geschaffen worden sein. Schlüsse auf das Dienstverhältnis Hollands sind daher verfehlt. Die Chronikhandschrift lässt Holland einen goldenen Wappenrock mit großem zweiköpfigem Reichsadler tragen. Der Herzschild, ein ungekrönter silberner Löwe in Gold, soll wohl auf Herzog Ludwig anspielen.142 Abweichend davon setzt die Münchner Ehrenbrief-Handschrift Cgm 9220143 den österreichischen Bindenschild in den Herzschild. Anrooijs Vermutung, Holland sei den Habsburgern Albrecht II. oder Friedrich III. gepflichtet gewesen,144 geht zu weit. Priorität kommt der Trenbach-Handschrift zu (siehe unten), und auch deren Illustration ist keine vom Text unabhängige Quelle.

Vor Schlicks Erhebung zum Kanzler (1433) kann der Text der Turnierreime nicht entstanden sein. Das Präteritum (Vers 51: “Der konig hett ein cantzeler”) beziehe ich nicht auf den Tod Schlicks, sondern auf den Tod und das Ende der Regierungszeit Sigismunds 1437, mit dem auch Schlicks Kanzlerschaft vorerst endete. Damit wäre eine Datierung nicht vor 1437 gegeben. Möglich ist aber auch, dass der Text erst lange nach der Regierungszeit Sigismunds entstanden ist (und der Auftrag Schlicks fingiert145), denn die in der Forschung angenommene Abhängigkeit des Ehrenbriefs (1462) von den Turnierreimen halte ich nicht für gesichert. Einer hat den anderen benutzt, soviel steht aufgrund der großen Übereinstimmungen im Katalog des Turnieradels fest. Ich kann die komplizierten Ausführungen Muellers dazu nicht nachvollziehen,146 und halte es auch für methodisch unzulässig, textkritisch eine Abhängigkeit sicher anzunehmen, wenn man zum Vergleich nichts weiter in der Hand hat als die Namen der Adelsfamilien. Es ist durchaus denkbar, dass die Turnierreime vor 1462 entstanden sind, womöglich in Kontakt mit Püterich, aber das müsste in schlüssiger Weise abgesichert werden.

Damit kommen als Terminus ante quem nur die Daten der Überlieferungsgeschichte der Turnierreime in Betracht.147 Noch 1999 konnte Ulrich Montag nur auf die drei Münchner Handschriften verweisen,148 wovon die ehemals Herzogenburger Ehrenbrief-Handschrift der Editorin Mueller nicht zur Verfügung stand. 2003 griff Joachim Schneider Heinz Lieberichs Hinweis auf die Überlieferung in Brechtels Leublfing-Turnierbuch auf.149 Ich selbst konnte neben weiteren Handschriften der Leublfing-Turnierchronik eine Handschrift in den USA beitragen und kann nun die bislang unerkannte Überlieferung BSB München Cod.icon. 390 erstmals anzeigen.

Die Überlieferung setzt 1554 mit dem Münchner Cgm 1952 ein, eine Bearbeitung des Texts, bei der die Verse in anderer Reihenfolge Wappen in einem “Hofkleiderbuch” begleiten.150 Muellers Leithandschrift, der Cgm 1317, datiert zwar erst von 1560, enthält aber Bl. 137r einen 1511 datierten Vermerk, wonach von den Geschlechtern des Schaffhauser Turniers noch 76 am Leben seien.151 Die Turnierreime schließen mit einer kurzen gereimten kritischen Nachbemerkung gegen die Kritik an den Gelehrten “Also sagen die Roraffen” (Verse 438-443), die bei Wiguleus Hund dem Herold Georg Rüxner zugeschrieben wird (ebenso unter Bezugnahme auf Hund im Cgm 9220, S. 51f.). Hund hatte eine eigenhändige Abschrift Rüxners vorliegen.152 Rosenfeld vermutete, die Vorlage des Cgm 1317 von 1511 könnte Rüxners Abschrift gewesen sein.153 Am Ende von historischen Notizen (1024-1379) über die bayerischen Herzöge steht Bl. 137r: “Anno 1527 Vff dinstag sannt Calixtey tag, des 14 tag weinmonads Zoch mein Georg von mir” (Calixtus, 14. Oktober, fiel 1527 aber auf einen Montag).154 Ist das der Eintrag einer Mutter, deren Sohn Georg in die Fremde zog? Oder ist hier von einem anderen Abschied, nämlich dem Tod eines Georg, die Rede? Hat die Ehefrau Georg Rüxners damit womöglich sein Todesdatum eingetragen? Zu den Lebensdaten Rüxners, der nach 1526 nicht mehr sicher bezeugt ist, würde es passen.155 Aber diese Annahme scheint mir doch etwas sehr von Wunschdenken bestimmt.

Bislang nicht identifiziert wurde eine gute Überlieferung der Turnierreime in dem Wappenbuch des Heiligen Römischen Reiches des Nürnbergers Stephan Brechtel um 1554 bis 1568: BSB München Cod.icon. 390, S. 888-910.156 Der Text endet mit Vers 437, enthält also Rüxners Zusatz nicht.

Wiguleus Hund druckte die Turnierreime 1585 nach drei Vorlagen, einer im Besitz von Wolf Dieter von Maxlrain,157 einer nicht näher spezifizierten und einer von Georg Rüxner, die nach Hunds Angaben von den anderen stark abwich.158 Ob die gekürzte Fassung (Philadelphia, Rare Book and Manuscript Library der University of Pennsylvania, Ms. Codex 819, Bl. 170r-177r) von ca. 1601/12 eine Druckabschrift aus Hund sein könnte, bleibt zu prüfen.159 Gleiches gilt auch für die Turnierchronik der Freiherren von Leublfing 1617 des Regensburger Chronisten Johann Sigmund Brechtel.160 Von ihr kenne ich drei Überlieferungen: München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Nothaft-Archiv Literalien Nr. 1073; London, British Library, Ms. Egerton 1931; Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, P 10 Bü 462.

Die Ehrenbrief-Handschrift Cgm 9220 enthält Hollands Turnierreime S. 31-53. Leider ist die Überlieferung in der Trenbach-Chronik Bl. 306v-311v unvollständig. Letzter Vers des Grundstocks ist Vers 241, der Reklamant “Noch” verweist auf die fehlende Fortsetzung. Unter Vers 241 stehen noch zwei Verse, die aber ebenso wie weitere vergessene Reimpaare offenbar aus Hunds Abdruck von späterer Hand nachgetragen wurden. Solange die Münchner Ehrenbrief-Handschrift nicht online ist, muss der aus ihr gefertigte Abdruck bei Raimund Duellius161 sie ersetzen. Ob der in dieser Handschrift stehende Zusatz aus Hund zu Rüxners Anhang ursprünglich auch in der Trenbach-Chronik stand, lässt sich nicht sagen. Da Bischof Urban von Trenbach mit Hund nachweislich in Verbindung stand, könnte das durchaus der Fall gewesen sein. Notwendig ist eine solche Annahme aber nicht, denn Hunds Text lag seit 1585 auch gedruckt vor.

Zählt man die Brechtel-Chronik als einen einzigen Textzeugen, so ist derzeit von sieben Handschriften und einem Druck (Hund) auszugehen. Noch zu überprüfen bleibt, was es mit UB Innsbruck Cod. 95, Bl. 131r-141r auf sich hat, einer um 1546 entstandenen, reich illuminierten Chronikhandschrift zur bayerischen Geschichte. Während der neue Katalog von Walter Neuhauser 1987 zurückhaltend formuliert, die Turnierreime seien vom “Typus her” mit Hollands Text vergleichbar, trennt das alte Inventar der illuminierten Handschriften (1905) ein kurzes Gedicht “Ehrenhold” von den Versen “Die alten Edlen Geschlecht aus Bayrn, so Thurniersgenos gewesen sind”.162

Die Überlieferung der Turnierreime setzt also im Original in der Mitte des 16. Jahrhunderts ein. Hinreichend gesichert erscheint aber die Existenz einer Handschrift schon 1511 (Vorlage von Cgm 1317). Für die Entstehungszeit des Gedichts wäre somit, nachdem die Datierung von Püterichs Ehrenbrief 1462 als Terminus ante quem eliminiert wurde, der Zeitraum von 1437 bis 1511 gewonnen. Eine nähere Eingrenzung erscheint mir zu hypothetisch. So sehr ich Sympathie für die Ansicht Joachim Schneiders aufbringen möchte, dass Hollands Turnierreime bei der Formierung des bayerischen Turnieradels als abgegrenzte Gruppe des “höheren” Adels eine Rolle gespielt haben, so wenig überzeugend begründbar erscheint mir eine genaue Verortung in diesem langfristigen sozialen Prozess. Die sparsamen Angaben des Textes zu historischen Details sind nicht belastbar, es kann sich auch um Fiktionen handeln, angefangen bei der Autor-Figur Johann Holland, Herold aus Eggenfelden.

Trotzdem lässt sich der “Sitz im Leben” des literarischen Werks angeben: die für Abgrenzung wie Selbstvergewisserung bestimmte Definition des bayerischen Turnieradels, an der, wie die Überlieferung zeigt, bis ins 17. Jahrhundert in Bayern ein lebhaftes Interesse bestand. Es ist wohl kein Zufall, dass die Überlieferung erst um die Mitte des 16. Jahrhundert einsetzt. Damals interessierte man sich offenbar besonders für die “alten bayerischen Turnierer”.163 Vor diesem Zeitpunkt kann man Hollands Turnierreimen soziale Relevanz nur hypothetisch zumessen. Dieser Überlieferungsbefund lässt das für die eine Datierung nicht nach 1462 sprechende Argument als nicht zwingend erscheinen, dass es für Püterich leichter gewesen sein muss, die Turnierreime in die Hand zu bekommen als für den Verfasser der Turnierreime Püterichs extrem seltenes Werk.164

Mit Blick auf die Rezeption meiner Skepsis im Schaffhauser Ausstellungskatalog 2014 möchte ich unterstreichen, dass eine Fälschung durch den Herold Georg Rüxner zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass es derzeit aber keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür gibt. Er müsste dann mit seiner kritischen Nachbemerkung nur so getan haben, als stamme der vorangehende Text von jemand anderem. Rüxner war aber in jedem Fall in die Textgeschichte der Turnierreime involviert.

Jakob Püterichs Ehrenbrief (1462)

Der 1469 gestorbene165 Jakob Püterich von Reichertshausen166 aus einer in den Landadel gewechselten Münchner Patrizierfamilie war, so Klaus Grubmüller, kein großer Dichter, aber eine “bedeutende Gestalt der deutschen Literaturgeschichte”.167 Der an die in Rottenburg am Neckar residierende Pfalzgräfin Mechthild168 adressierte ‘Ehrenbrief’ Püterichs ist ein “unschätzbares Zeugnis für die Spannungen und Kontraste in Kultur und Gesellschaft des 15. Jahrhunderts, für die Rolle der Literatur bei der Selbstvergewisserung sozialer Gruppen, für die Geschichte des literarischen Geschmacks, für ein beginnendes literaturgeschichtliches Bewusstsein: für die Entstehung der Literaturgeschichte aus dem Geiste der gesellschaftlichen Konkurrenz”.169. Diese rühmenden Worte Grubmüllers stehen in einem Heft der Patrimonia-Reihe der Kulturstiftung der Länder, das den Erwerb der vermeintlich unikalen Ehrenbrief-Handschrift für die Bayerische Staatsbibliothek und die Bayerische Landesstiftung (als Miteigentümerin des Cgm 9220 signierten Codex) im Jahr 1997 feiert und zugleich legitimiert. Der Kaufpreis ist wie in solchen Fällen üblich ein Arcanum, aber er dürfte sehr hoch gewesen sein. Man wird wohl an einen sechs- bis siebenstelligen Betrag zu denken haben.

Möglicherweise war der erworbene Sammelband aus Handschriften und Drucken zunächst im Besitz der Adelsfamilie Nothaft. Anfang des 18. Jahrhunderts befand er sich im Chorherrenstift St. Andrä an der Traisen. Raimund Duellius edierte den Ehrenbrief aus dieser Vorlage 1725 erstmals. Nach Aufhebung des Stifts St. Andrä 1783 gelangte der Band in das Chorherrenstift Herzogenburg. Signiert als Hs. 219 überstand er die Notzeit der Zwischenkriegszeit, als sich viele österreichische geistliche Institutionen gezwungen sahen, Kulturgüter in den Handel zu geben, und ist im Handschrifteninventar aus dem Jahr 1949 noch verzeichnet. Der übliche Ausfuhrstempel des Bundesdenkmalamts Wien ist nirgends zu entdecken, glaubt man den Beschreibungen.170 1964 oder früher muss das Stück ins Ausland verkauft worden sein, denn damals tauchte es im Zürcher Kunsthandel auf. Germanistische Interessenten wimmelten die Kanoniker mit der Angabe ab, die Handschrift sei nicht mehr “auffindbar”.171 1965 wurde sie Handschrift XV 10 des Kunstsammlerehepaars Irene und Peter Ludwig (Aachen). Auf Kosten der Stadt Köln aufwändig katalogisiert, sollte der erlesene Handschriftenbestand der Ludwigs in Köln eine dauernde Bleibe finden, aber Köln und die Ludwigs überwarfen sich und der Band landete mit den anderen Handschriften im Getty-Museum in Malibu. Um anderes zu finanzieren, trennte sich das Museum 1997 aber von einem Teil der Ludwig-Bestände172 und übergab sie dem bekannten Handschriftenhändler Jörn Günther, der sie überwiegend an Privatsammler verkaufte. Nachdem die Staatsbibliothek Berlin generös der Bayerischen Staatsbibliothek den Vortritt ließ, konnte diese die Püterich-Zimelie ihrem Bestand einverleiben.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die nüchterne Feststellung, dass die (früher Wiener, heute St. Pöltener) Handschrift der Trenbach-Chronik von 1590 auf Bl. 281r-299v Jakob Püterichs Ehrenbrief überliefert, als kleine altgermanistische Sensation. Angesichts der prachtvollen Ausstattung der Chronik dürfte im Handel erheblich mehr als für die Münchner Handschrift zu erzielen sein.

Es muss erstaunen, dass diese Zweitüberlieferung so lange unbemerkt geblieben ist. Schon 1872 sprach der Abdruck aus der Trenbach-Chronik von einem “Erelied” Bl. 267-299, dem bis Bl. 299-311 das Leben des Herolds Johann Holland folge.173 Max Voigt, immerhin ein Handschriftenbeschreiber für das Handschriftenarchiv, übernahm diese falschen Angaben 1924.174 Auch Hans-Dieter Mück nannte 1984 das Erelied und wusste von dem Vollbild des Herolds Hollands Bl. 306r.175 Wem die Überlieferungsgemeinschaft von Ehrenbrief und Hollands Turnierreimen aus dem ehemals Herzogenburger Sammelband vertraut ist, dem hätte der Verdacht kommen müssen, dass das “Erelied” (kein Terminus der Quelle!) in Wirklichkeit der Ehrenbrief ist (ich vermutete das jedenfalls, schon bevor ich Reproduktionen einsehen konnte).

“Hienachvolgendt lied genant der ernbrief hat weilanndt Jacob Pütrich von Reichertzhausen gemacht, ze ehrn weilend frauen Machthilden hertzogin zu Österreich unnd geborne pfaltzgrävin, in des von Laber gemainem thon”, lautet die Überschrift Bl. 281r. Es folgen genau wie in der Münchner Überlieferung176 die 148 Titurel-Strophen. Schon die Überschrift ist in dem St. Pöltener Textzeugen verständlicher: “ze ehrn weilend” gegenüber “zeweilln” im Cgm 9220.

Am Ende seines Abschnitts über das Turnierwesen teilt der Trenbach-Chronist etwas über die Provenienz seiner Vorlage mit: “Doch habe ich nit unnderlassen wellen, einen brief, der errnbrief genannt, so Jacob Pütrich, ein edlman, unnd teütsch poet, ime 1462 geschriben, unnd ich aus ainem gar alten puech, zu Sanndt Mörthen abgeschrieben, item auch aines alten heroldten gedicht in reimen verfasst, so mir D. Wolf Latius khay(serlicher) May(estat) historicus in Wien 1563 auß ainem alten pergameen büechlin abzuschreiben geben, in denen beyden der bayrisch adl, so tornierßgenoß, begriffen ist, hieherzusetzen” (Bl. 279r). Die Versdichtungen stammen also, glaubt man dem Chronisten, aus unterschiedlichen Quellen: Während der Ehrenbrief aus dem Trenbachschen Herrensitz St. Martin stammt, wurden die Turnierreime von Lazius vermittelt. In beiden Texten sind die Trenbach aufgeführt. Vermutlich deshalb hat der Chronist sie in sein Werk aufgenommen.

Nach eigenen Angaben hat also der Trenbach-Chronist die Kombination von Ehrenbrief und Turnierreimen hergestellt. Die beiden Porträts, die den Texten vorangestellt sind (Püterich und Holland) passen zum Ausstattungsprogramm der Chronik. Von daher erscheint es schlüssig, die Priorität der Konzeption der Trenbach-Chronik zuzubilligen und die Münchner Handschrift als davon abgeleitet anzusehen.

Ulrich Montag zufolge wurden die handschriftlichen Teile des Cgm 9220 aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert (als einziges datiertes Wasserzeichen nennt er eines von 1578) zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit den Drucken (Turnierbücher von Rüxner und Francolin 1578) vereinigt.177 Die Auszüge aus der Vorrede Hunds zu seinem Stammen-Buch S. 52-70 schließen es aus, dass dieser Handschriftenteil vor 1585 entstanden ist. Ob das noch nicht untersuchte Wappenbuch bayerischer und süddeutscher Geschlechter S. 71-106 versteckte Datierungsmöglichkeiten bietet, bleibt zu prüfen. Den Schriftcharakter der Münchner Handschrift schätze ich jünger als den der Trenbach-Chronik ein. Nichts spricht also dagegen, den Cgm 9220 nach der 1590 anzusetzenden Handschrift in St. Pölten zu datieren.

Ich habe stichprobenhaft den Wortlaut des Ehrenbriefs verglichen und sehe in der St. Pöltener Handschrift eindeutig den besseren Textzeugen.178 Vorerst wird man davon ausgehen dürfen, dass die St. Pöltener Handschrift der Münchner als Vorlage für Ehrenbrief und Turnierreime gedient hat. Eine bloße Kopie war der Cgm 9220 aber nicht, denn er weist einige durchaus anspruchsvolle Änderungen auf. Bereits erwähnt wurde eine Abweichung beim Porträt des Herolds Holland. Das Vollbild Püterichs ist in München ästhetisch erheblich ansprechender als in der Trenbach-Chronik. Die Münchner Handschrift hat im Ehrenbrief zudem die Verse abgesetzt und farbige Wappendarstellungen beigegeben.

Angesichts der notorischen Verständnisprobleme, die Püterichs Verse bereiten, wäre eine Neuedition des Ehrenbriefs (mit Übersetzung!) aufgrund der Trenbach-Chronik lohnend. Ob sich allerdings abgesehen von punktuellen Verbesserungen ein entscheidender Fortschritt ergibt, möchte ich bezweifeln.179 Die bisherigen Fehlleistungen der germanistischen Forschung bei der Identifizierung der von Püterich genannten Personen180 lassen wenig Hoffnung aufkommen, dass von germanistischer Seite auf Anhieb eine einigermaßen zuverlässige Recherche, die auf Archivstudien sicher nicht wird verzichten können, gelingen könnte. Angesichts der Prominenz des Werks ist zu befürchten, dass statt einer für die Allgemeinheit offenen Wiki-Edition als “work in progress” nur eine – heutzutage aus meiner Sicht absolut obsolete181 – gedruckte Edition in einer der renommierten Editionsreihen erscheinen wird, die zwar philologisch korrekt sein dürfte, aber hinsichtlich des historischen Kommentars mangelhaft. Ein solches Vorhaben bedarf zwingend der Zusammenarbeit von Germanisten und Historikern.

Man darf wohl sagen: Die Adelsfamilie von Trenbach hat Püterichs Ehrenbrief für die deutsche Literaturgeschichte “gerettet”, durch die Aufbewahrung in Trennbach-Herrensitzen und später (oder vielleicht auch von Anfang an) in St. Martin, wo der Trenbach-Chronist im 16. Jahrhundert eine Handschrift vorfand und den Text seinem Adels-Herkommen einverleibte. Andere Überlieferungsstränge sind nicht ersichtlich. Bis zum Druck durch Duellius 1725 gibt es anscheinend keinerlei Rezeptionszeugnisse des Ehrenbriefs.182

Natürlich kann man nur spekulieren, wieso der Trenbach-Chronist die alten Verstexte so geschätzt hat, dass er sie zur Gänze in sein Werk aufgenommen hat. Zu dem auf dem Titelblatt der Chronik genannten Johann Auer als Verfasser, der ja in Wien und Padua studiert hat, würden nicht nur die italienischen Bezüge in der Chronik, sondern auch der in Wien leicht mögliche Kontakt zu Wolfgang Lazius passen. Von Lazius, der einige Strophen des sonst damals so gut wie vergessenen Nibelungenliedes abdruckte,183 könnte er das Interesse an älterer deutscher Poesie gelernt haben.

Der Fundort St. Martin ist deshalb so faszinierend (daher scheue ich mich, die Angabe des Trenbach-Chronisten leichthin zur Fiktion und Codexphantasie zu erklären), weil in diesem Herrensitz eine der bestdokumentierten niederadeligen Bibliotheken des 15. Jahrhunderts184 zu vermuten ist: die von der Germanistik wiederholt185 besprochene Büchersammlung von Ortolf dem Älteren (gestorben 1475) und Ortolf dem Jüngeren von Trenbach (gestorben 1502). Auch wenn der Buchbestand der Trenbacher sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch nicht dauerhaft in St. Martin186 befunden haben mag, dürfte er später dort zusammengeflossen sein. Es handelt sich um zehn deutschsprachige Handschriften (in Alba Julia, München, Prag und Wien, davon fünf bereits online)187 und eine deutschsprachige Inkunabel (1488) in Wien.188 Hinzu kommt eine von mir nach Paul Needhams “IPI” nachgewiesene Inkunabel in Washington. Der deutschsprachige Augsburger Barlaam-Druck (um 1476)189 in der Rosenwald-Collection der Library of Congress Nr. 63190 kann nur Ortolf dem Jüngeren gehört haben, auch wenn man dessen Devise “nichts on ursach” vermisst. Angesichts eines so raren Bestandes ist die Versuchung groß, den Inhalten der Bücher möglichst viel über ihre “Gebrauchsfunktion” zu entnehmen. Schon die Studie von Bernd Weitemeier (2006), die sehr ausführlich die Trenbach-Bibliothek erörtert hat,191 ist, wie ich meine, der Gefahr der Überinterpretation der literarischen Interessen der Familie nicht ganz entgangen. Das Unbehagen verstärkt sich aber noch bei der Lektüre der Münchner Dissertation von Andreas Erhard (2009),192 die sich auf die Münchner Codices konzentriert. Über viele Seiten wird etwa “Der ideale geistlich-höfische Ritter Lohengrin als Leitfigur für den bayerischen Ritter Ortolf von Trenbach” traktiert, ohne dass es über die Tatsache hinaus, dass Ortolf (der Jüngere) die Handschrift 1461 schreiben ließ, konkrete Anhaltspunkte für die Gebrauchssituation gibt.

Vom Lohengrin existieren heute nur noch drei vollständige Handschriften (zwei davon in Heidelberg). Püterich rechnet ihn zu den Werken des von ihm verehrten Wolfram von Eschenbach (Ehrenbrief Str. 101). Der Lohengrin wurde von Ulrich Fuetrer193 in seinem ‘Buch der Abenteuer’, das für Herzog Albrecht IV. bestimmt war, verarbeitet, möglicherweise nach einer Handschrift Püterichs. Dass Ortolf von Trenbach Zugriff auf diesen seltenen Text hatte, legt den Schluss nahe, dass er (oder vielleicht auch sein Vater) mit Püterich in engerem Kontakt stand.194 Wenn die beiden Ortolfe Beziehungen zu Püterich und dem literaturaffinen Zirkel am Münchner Hof pflegten, würde dies gut den Umstand erklären, dass die Ehrenbrief-Handschrift ausgerechnet im Trenbach-Schloss St. Martin aufgefunden wurde.

Stefan Lußnitzer: Aufzeichnung zur Schlacht von Giengen 1462

Zwischen dem Ehrenbrief und Hollands Turnierreimen steht Bl. 301r-305v eine Aufzeichnung zur Schlacht von Giengen 1462, die man aufgrund ihrer Zeitstellung vielleicht als Mitüberlieferung des 1462 datierten Ehrenbriefs195 in der Vorlage des Trenbach-Chronisten aus St. Martin betrachten darf. Da Bl. 303r auch Thomas und Ortolf “Trenbekh” im Aufgebot genannt werden, könnte diese Quelle aber auch aus anderem Zusammenhang in das kleine Quellen-Dossier am Schluss der Chronik gelangt sein. Tertium comparationis, das die Aufzeichnung mit den beiden Listen des turnierfähigen Adels verbindet, ist die kriegerische Tüchtigkeit, haben die Trenbacher doch zu dem großartigen Sieg Herzog Ludwigs des Reichen beigetragen. Der Sieg des Bayernherzogs über Markgraf Albrecht Achilles in der Schlacht bei Giengen am 19. Juli 1462 im Rahmen des damaligen “Reichskriegs” wurde auf bayerischer Seite bejubelt, die Unterlegenen wurden geschmäht.196

Auf einen kurzen erzählenden Text, der den Sieg des Bayernherzogs mit Hilfe der Jungfrau Maria preist und an dessen Ende (Bl. 301v) sich der Küchenmeister des Herzogs “Steffan Lußnitzer” als Verfasser und Schlachtteilnehmer nennt, folgt die “geschicht” in Form einer detaillierten Schlachtaufstellung in Listenform mit Nennung der jeweiligen Anführer. Den Schluss bilden Angaben zum raisigen Zeug und zum Fußvolk. Ob dieser Text noch anderweitig, etwa in bayerischen archivalischen Quellen überliefert ist, vermag ich nicht zu sagen. Zumindest die mir zugängliche Literatur erwähnt ihn nirgends.197 Natürlich kann er mit den beiden Verstexten (Turnierreime, Ehrenbrief) nicht konkurrieren, aber als frühe historiographische Prosa-Aufzeichnung des Teilnehmers einer Schlacht verdient das Stück durchaus Beachtung. Es kann dem ganz kurzen deutschen Bericht des ebenfalls auf bayerischer Seite bei Giengen mitkämpfenden Hans Magensreitter (er wurde vor der Schlacht zum Ritter geschlagen) zur Seite gestellt werden.198

Literarische Inszenierung, Fiktion, Fälschung, Phantasie – und die Lebenswelt

Püterichs Ehrenbrief ist ein kunstvolles Gespräch mit Erzherzogin Mechthild, eine höfische Konversation, in der sich der bayerische Adelige selbstironisch gibt und sich über seine Vorlieben für die alten Bücher (die mittelhochdeutsche Klassik) lustig macht. Neben dem Preis Mechthilds bietet er einen langen Katalog der turnierfähigen bayerischen Geschlechter (seine eigene Familie gehörte nicht dazu, aber Püterich durfte gelegentlich an Turnieren teilnehmen) und Mitteilungen über Püterichs eigene Bibliothek (nicht weniger als 164 Bände!) sowie über das, was er anhand eines Verzeichnisses zur Bibliothek der verehrten Fürstin erfahren hatte. Diese besaß mindestens 94 Bücher, von denen er etliche nicht kannte. Während in Mechthilds Bibliothek auch zeitgenössische Literatur vorhanden war, bekannte Püterich, er schätze nur die alten Bücher, nicht die neuen (“doch nur die allten püecher, der neüen acht ich nit zu khainen stunnden”, Str. 123, Bl. 296r). Eine Münchner Hofclique führte ihn nach seinen Worten mit Hinweisen auf ein (nicht existierendes) gar altes Buch in die Irre, dem Püterich dann vergeblich nachjagte.

Seit Christelrose Rischers Studien 1973199 sieht man Püterichs Ehrenbrief vor allem als “literarische Inszenierung”. Püterich spielt eine artifiziell ausgestaltete Rolle: als Minne-Narr wie als bibliomaner Fan ritterlicher Altertümer. Er pilgert zum Grab seines großen Vorbilds Wolfram nach Wolframseschenbach und sucht bei Lüttich auch das Grab des berühmten Reisenden Johann von Mandeville auf. Sogar die sorgsam gebauten Strophen unterbricht er, um die Grabinschrift Mandevilles auf Latein und Deutsch wiederzugeben (nach Str. 133). Man ordnet Püterich oft einer sogenannten “Ritterrenaissance” zu,200 aber dann muss man sich klarmachen, dass das keine naive oder weltfremd romantische Haltung war.201 Retrospektive Suche nach Altertümern begann damals ausgesprochen modern zu werden.202 Ohnehin war das Rittertum seit dem 13. Jahrhundert “geprägt durch die ständige Verschränkung von Kontinuität und Revitalisierung”.203 Dies gilt auch für das Turnierwesen, das Püterich so am Herzen lag, dass er sein gebildetes Gespräch mit Mechthild mit einem vergleichsweise öden Katalog von bayerischen Adelsfamilien unterbrach.

Nichts deutet in der reichen archivalischen Überlieferung zu Püterich204 darauf hin, dass er als skurriler Sonderling wahrgenommen wurde. Er war einer der vertrautesten Räte seines Landesherrn und führte als vielbeschäftigter “Politiker” ein aktives Leben. Sein hartnäckiges juristisches Vorgehen gegen die Stadt Würzburg (eine “große Sache” für die Würzburger, die einmal deshalb sogar eine Bürgerversammlung einberufen mussten) wirkt ausgesprochen “modern”.205

Welchen Stellenwert besaß die schöne Literatur206 in der Adelskultur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit? Vor allem für den hohen Adel hat Karl-Heinz Spieß 1998 seine Skepsis formuliert: Angesichts der großen Anziehungskraft von Jagden, Turnieren und Festen sei die Beschäftigung mit Literatur nur eine von vielen Ausdrucksformen höfischen Daseins gewesen.207 Was den vermeintlichen “Musenhof” der Erzherzogin Mechthild betrifft, so hat insbesondere der Inszenierungscharakter von Püterichs Ehrenbrief Christine Wand-Wittkowski Argumente geliefert, die Annahme eines literarischen Zirkels der Fürstin als “Irrtum der Mediävistik” zu denunzieren. Gewisse Übertreibungen der Forschung zu kritisieren ist hilfreich und sinnvoll. Sie schüttet aber das Kind mit dem Bade aus208 und hat noch nicht einmal alle relevanten Quellen berücksichtigt. 1991 hatte Felix Heinzer auf ein wichtiges Zeugnis aufmerksam gemacht, das leider nur in Zusammenfassung durch Martin Crusius erhalten ist: ein 1468 entstandenes deutschsprachiges Reimpaargedicht ‘Pfauenherz’ (“Pfowenhertz”) eines Autors, der sich als Sohn des Dichters Hermann von Sachsenheim209 zu erkennen gibt (möglicherweise der Hirsauer Mönch Michael von Sachsenheim). Es rühmt die Tugenden Erzherzogin Mechthilds.210 Anscheinend hat die literaturwissenschaftliche Forschung keine Notiz von diesem Hinweis genommen.

Dieser Quellenfund tritt zu den anderen bemerkenswerten Zeugnissen für die besondere “Attraktivität” Mechthilds hinzu, die man natürlich immer auch so interpretieren kann, dass Mechthild bloße Projektionsfläche für die sie anbalzenden, teilweise schon etwas betagten Literaten war. Soweit man auf literarische Quellen angewiesen ist, ist es methodisch inzwischen ein Kinderspiel, alle historischen Referenzen durch Hinweis auf poetische Rollen-Spiele und Inszenierungen wegbrechen zu lassen. Hilfreich kann ein Blick in die Forschung zu Oswald von Wolkenstein sein. Die Frage nach “Oswalds Spiel mit der Literarisierung und Selbstinszenierung” ist ein ständiges Thema bei der aktuellen Auseinandersetzung mit seinem Werk.211 Vernünftig erscheint die Position von Manuel Braun: “Es kann heute […] nicht mehr darum gehen, biographische Aussagen, die man in den Liedern findet oder zu finden glaubt, einfach neben die Realität zu halten und sie dann entweder zu bestätigen und oder zu korrigieren. Es reicht aber auch nicht, gegen ein solches Vorgehen die Kunstfertigkeit der Texte auszuspielen. […] Vielmehr kommt es darauf an, möglichst genau zu beschreiben, wie die biographischen Elemente in den Liedern eigentlich funktionieren und diese so als Lebenskunst lesbar zu machen.”212

Einige Beispiele mögen zeigen, wie wenig das verstreute und ästhetisch eher anspruchslose Quellenmaterial zu adligen Autoren jenseits der bekannten Namen des 15. Jahrhunderts (Oswald von Wolkenstein, Hermann von Sachsenheim) geeignet ist, sichere Schlüsse zu ermöglichen. Der Reichserbkämmerer Konrad von Weinsberg, einer der wichtigsten Politiker in der Zeit König Sigismunds,213 schrieb eigenhändig zwei geistliche Reimpaargedichte nieder, eine Anrufung des Blutes Christi (1441), nach Frieder Schanze “wahrscheinlich von ihm selbst gedichtet”,214 und eine Version eines weit verbreiteten Glossengedichts über das Ave Maria. Dagegen ist der ihm in den Mund gelegte Zweizeiler in der Spruchsammlung des Augsburger Schreibers Konrad Bollstatter215 ganz sicher nicht sein literarisches Eigentum, sondern stammt aus dem Freidank-Korpus.216

Von Johannes Werner von Zimmern (gestorben 1496) überliefert die Zimmerische Chronik ein schwankhaftes Märe ‘Der enttäuschte Liebhaber’. Obwohl die Chronik “mehrfach zu Unrecht Mitglieder des Hauses Zimmern als Verfasser sonst anonym überlieferter Gedichte nennt” (also eine Parallele zur Greisenklage!), sah Frieder Schanze keinen Anlass, an der Autorschaft des nachgewiesenermaßen literarisch interessierten Adeligen zu zweifeln.217 Er spricht von “privaten und gesellschaftlichen Liebhabereien eines Dilettanten”,218 was die Frage aufwirft, was im Spätmittelalter der Begriff Dilettantismus meint.219 Die Zimmerische Chronik erwähnt auch einen Reimbriefwechsel mit dem befreundeten Adeligen Balthasar von Bühl und gibt einen Wappenspruch Balthasars auf Johannes Werner wieder.220 Die auf einer Adelsversammlung in Nürtingen zusammengekommenen Adeligen sandten Johannes Werner von Zimmern einen langen gereimten Brief, in dem sie sich über sein Ausbleiben beklagen, “wie der zeit ain geselligelicher geprauch gewest”.221 Es ist ohne weiteres denkbar, dass Froben Christoph von Zimmern auch diese Zeugnisse für aristokratische Literatur-Produktion erfunden hat. Selbst wer meinem Vorschlag einer Beweislastumkehr bei der Chronik der Grafen von Zimmern ablehnt, sollte wenigstens ein Fragezeichen hinsichtlich der Authentizität der wiedergegebenen adeligen Reimereien akzeptieren.

“Lieder Heinrichs Grafen von Wirtenberg” edierten 1849 Wilhelm Holland und Adelbert von Keller222 in einer Geburtstagsgabe für Joseph von Lassberg aus dem um 1470 entstandenen sogenannten ‘Königsteiner Liederbuch’ (Berlin, SB, Mgq 719). Paul Sappler, der Editor des stammbuchartigen Liederbuchs, hat aber erhebliche Zweifel geäußert an der Autorschaft des 1519 gestorbenen “verrückten” Grafen, der ab 1492 auf Hohenurach gefangen gehalten wurde.223 Es ließe sich wohl nicht entscheiden, ob die Nachschriften zu drei Liedern, die Heinrich nennen, auf seine Verfasserschaft hinweisen “oder ob sie lediglich bezeugen, daß er solche Lieder gesammelt, möglicherweise auch einmal als Liebesgruß verwendet hat”.224 Heinrich von Württemberg war aber ein durchaus gebildeter Mann, dessen literarische Interessen vor allem durch Bücher aus seinem Besitz belegbar sind.225

Richtig ist: Man sollte die literarischen Aktivitäten der Adeligen nicht überschätzen. Auch wenn man bescheidenes Versemachen mitzählt, hat sich vermutlich nur ein kleiner Kreis von Adeligen damit abgegeben. In den in großem Umfang erhaltenen Korrespondenzen der Adligen konnte man bislang so gut wie keine Hinweise auf Poetisches und ganz selten Hinweise auf Bücher entdecken. Fragen der Jagd und die Sorge um die Pferde hat Hoch- wie Niederadelige allemal mehr interessiert. Andreas Erhard hat in dem von ihm untersuchten deutschsprachigen bayerischen Handschriftenbestand der Bayerischen Staatsbibliothek aus dem 15. Jahrhundert gerade einmal zwei Werke der fiktionalen Literatur angetroffen: den Trenbachschen Lohengrin und eine Handschrift des ‘Friedrich von Schwaben’ von Hans III. von Herzheim (Cgm 5237).226 Freilich muss man mit dramatischen Überlieferungsverlusten rechnen: Von Püterichs so großer und erlesener Bibliothek sind gerade einmal zwei Handschriften einer Predigtsammlung als fromme Schenkung an das Münchner Püterich-Regelhaus erhalten geblieben (Cg, 305 und 306).227

Bei einer Untersuchung, die ich zu Rufnamen literarischer Provenienz, also solchen, die aus dem höfischen Epos stammen,228 vorbereite, konnte ich feststellen, dass es nur sehr wenige Belege gibt, bei denen man methodisch die früher allzu fahrlässig gehandhabte Annahme literarischer Einflüsse229 nachvollziehen kann. Am überzeugendsten ist der Quellenbefund in Bezug auf den bayerischen Adel in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Jakob Püterich nannte einen Sohn Gamuret und eine Tochter Orgeluse (den gleichen Vorname gab Bernhardin Stauff zu Ehrenfels seiner Tochter, bekannt als Argula von Grumbach230).231 “Schynatulander hab ich Hans Herzhamer auch des namens ain brueder gehabt”, schrieb Hans von Herzheim in die erwähnte Handschrift des ‘Friedrich von Schwaben’.232 Solche Belege dafür, wie bayerische Adelige die Literatur bewusst in ihre Lebenswelt einbezogen haben, sollte man nicht einfach beiseiteschieben.

Bei der Beurteilung der Relevanz der schönen Literatur für die adlige Lebenswelt – stets in Gefahr, über-, aber auch unterschätzt zu werden – kommt es offenbar auf Differenzierungen an: nach Zeitraum, nach ständischer bzw. sozialer Zugehörigkeit und nach Adelslandschaften. Für literarische Kennerschaft, wie sie am ausgeprägtesten Püterichs Ehrenbrief dokumentiert, sind die Zeugnisse in Oberdeutschland in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts am dichtesten. Für Schwaben genügt der Hinweis auf den Hof Mechthilds, Hermann von Sachsenheim und die Herren von Zimmern. In Tirol trug Anton von Annenberg (gestorben 1483/84) auf seinem Schloss Dornsberg im Vinschgau eine Bibliothek mit über 250 Handschriften und Drucken zusammen.233 In diese Zeit gehören auch Zeugnisse, die sich katalogartig vor allem mit der höfischen Artus-Literatur beschäftigen. Der von Ladislaus Sunthaim überlieferte ‘Spruch von den Tafelrundern’ könnte in den Umkreis des Münchner Hofs gehören.234 Um 1470 wurde eine Namenliste im Wiener Cod. 3406 notiert, die man als Notizen aus Püterichs Bibliothek ansah oder als Vorlage für das Schlussgedicht von Fuetrers ‘Lannzilet’.235 Ähnlichkeiten dieser Zeugnisse bestehen auch mit dem Namenskatalog des wohl im niederschwäbischen Raum zwischen 1314 und 1463 entstandenen ‘Friedrich von Schwaben’ (den Hans von Herzheim besaß). Man darf diesen Minne- und Aventiure-Roman mit Paul Sappler vielleicht in das 15. Jahrhundert rücken, “in Kreise kundig zurückschauender Literaturliebhaber wie Püterich von Reichertshausen”.236

Im deutschen Nordwesten verfügte die Blankenheimer Schlossbibliothek über einen singulären Schatz an Werken der höfischen Epik des 13. Jahrhunderts, doch dürfte der Bestandsaufbau erst ab 1471 unter Kuno von Manderscheid-Blankenheim (1444-1489) erfolgt sein.237 Hartmut Beckers vermutet, dass die literarischen Interessen von Wirich von Daun zu Oberstein (gestorben 1501)238 geweckt worden sind,239 den Püterich als ausgezeichneten Kenner der älteren Literatur rühmt (Ehrenbrief Str. 76). Solche Beziehungen lassen an ein literaturaffines adeliges Netzwerk in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts denken, das aber nur einen vergleichsweise kleinen Personenkreis umfasst haben dürfte.

Die hier besprochene Trenbach-Chronik führt in den von ihr überlieferten Verstexten ganz unterschiedlich gestaltete literarische Inszenierungen zusammen. Das artifizielle Kunstwerk des Ehrenbriefs steht neben der Reimerei des Herolds Holland, wobei es sich bei diesem Autor auch um ein Pseudonym handeln könnte. Womöglich ist erst viel später, als der Text mit seiner Situierung in der Zeit Sigismunds vorgibt, jemand in die Heroldsrolle geschlüpft, um mit der Autorität dieses Amtes den Kreis der bayerischen Turnier-Geschlechter zu definieren. Bei der Greisenklage und der Minnerede in der Lohengrin-Handschrift beschränkt sich die Inszenierung darauf, den Text einem Familienmitglied in den Mund zu legen. Die angeblichen Burghausener Abschiedsverse des Hans von Trenbach stehen im Kontext der Stilisierung240 seines vorbildlichen Lebens. Die Verse sind ebenso wie die Greisenklage in die Chronik des Wenzel Gruber integriert, die ich ja für eine Quellenfiktion halte. Diese Inszenierungen wären dann dem 16. Jahrhundert zuzurechnen, könnten aber natürlich ältere Vorläufer haben. Als erbauliche, in das Adels-Herkommen integrierte Exempla werte ich auch den Bericht über den Tod des Christoph von Trenbach und die Einbindung der Tradition der Seelen-Schmiede.

Welche anderen Exempla, rhetorischen Stilmittel und narrativen Techniken der Trenbach-Chronist verwendet, müsste genauer untersucht werden. Die integrierten Verstexte verweisen auf einen besonderen Geltungsanspruch der gebundenen Rede. Solche Texte, auch bescheidene Reimereien, wurden lange vernachlässigt, verdienen jedoch mehr Aufmerksamkeit. Sie müssten aus Adelschroniken oder auch dem adeligen Geschäftsschriftgut zusammengetragen und vergleichend analysiert werden, um das vielgestaltige Thema “Adelskultur und Literatur” weiter auszuleuchten. Dabei darf man auch die neulateinischen Verse, die sich ja auch in der Trenbach-Chronik finden, ohne dass ich mich näher darauf eingelassen hätte, nicht übergehen. Das anzunehmende “Teamwork” der Trenbach-Familienforschung im 16. Jahrhundert verweist darauf, dass Adelige bei literarischen Aktivitäten immer auch Helfer und Berater hatten. Auch hier besteht die Gefahr, den persönlichen Anteil der adeligen Männer (und Frauen!) entweder zu gering oder zu hoch zu veranschlagen.

Historiker und Literaturwissenschaftler sollten stärker interdisziplinär zusammenarbeiten, nicht nur wenn es um Texte aus dem Bereich der Adelskultur geht. Viele Adelshistoriker vernachlässigen die kulturellen Aspekte oder finden keinen rechten Zugang dazu, während Philologen die Ergebnisse der regional- und landesgeschichtlichen Forschung nicht zur Kenntnis nehmen: “Regionalia non leguntur” (Franz Staab).241

Wer sich mit Stilisierungen, Inszenierungen, Fiktionen und Fälschungen in Adelschroniken befasst, wird nicht übersehen können, dass diese in jedem Fall Ehre und Ruhm der Familie demonstrieren sollten, also im Dienst ihrer Legitimation standen. Durch konkrete Exempla tugendhaften und ritterlichen Verhaltens im Herkommen konnte die allgemein anerkannte Forderung, den Adel durch Tugend zu bewähren,242 narrativ aufgenommen werden. Nochmals Gerhard Wolf: “Herrschaftslegitimation durch Traditionsfiktion”. Der Begriff der Legitimation ist in manchen kunst- und literaturgeschichtlichen Zusammenhängen fast schon zur Leerformel geronnen, ein vorschnell appliziertes Etikett, das weitere Bemühungen erspart. Gern wird der tiefere Grund, der das jeweilige historiographische Werk veranlasst hat (“Causa scribendi”243), in Krisensituationen oder politischen Konstellationen gesucht. Aber greift das nicht zu kurz?244

Zu problematisieren ist der Begriff der Fälschung. Schon Beat Rudolf Jenny sprach klar aus, dass “sich praktisch keine scharfe Trennungslinie zwischen absichtlicher, sozusagen deliktischer Fälschung einerseits und Geschichtsergänzung bona fide andererseits ziehen läßt”.245 An anderer Stelle formuliert er angesichts einer eindeutigen Quellenmanipulation des Zimmern-Chronisten: “Quellenverbesserung ad maiorem familiae gloriam!”.246 Es ist sinnvoll und lehrreich, Fälschungen zu entdecken und zu diskutieren. Aber der Begriff der Fälschung reduziert ein Dokument auf das Urteil, das aus der Prüfung seiner Authentizität resultiert. Es gilt aber der Kreativität, der fiktionalen Inszenierung von Wirklichkeit und den “unterhaltsamen” Aspekten in historiographischen und literarischen Fälschungen Rechnung zu tragen. Mir erscheint der – keinesfalls abwertend gemeinte – Begriff “Phantasie” geeignet, das literarische Spiel, das sich mit solchen Fiktionen verbindet, zu bezeichnen.247 Betont wird so die schöpferische Imaginationskraft, die Werke nie ganz in ihren sozialen oder politischen Zwecken aufgehen lässt. Man schaut genauer hin, wenn man auf diesen kreativen Bedeutungsüberschuss – in der Romantik hätte man vielleicht von “Poesie” gesprochen – achtet und sich die “Herkommens-Phantasien” immer wieder von neuem vornimmt.

Es ging mir hier primär um die Bekanntmachung neuen Materials (getreu einem Motto Hermann Heimpels: “Die Überlieferung ist selbst Geschichte”248), ausgehend von der vorläufigen Auswertung der Trenbach-Chronik und der in ihr enthaltenen volkssprachlichen Dichtung; eine Einordnung in Forschungszusammenhänge war nur ansatzweise zu leisten. Es kann daher nichts schaden, wenn die Literaturwissenschaft mit dem ihr eigenen Analyse-Instrumentarium meine Ansichten kräftig gegen den Strich bürstet. Historikerinnen und Historiker mögen sich endlich gründlich der Geschichte der Familie Trenbach annehmen, was die Voraussetzung für die angemessene Beurteilung der Trenbach-Chronik als Geschichtsquelle wäre. In jedem Fall ist sie, soviel dürfte deutlich geworden sein, eine der spannendsten frühneuzeitlichen Adelschroniken, und mit der großartigen Online-Bereitstellung des Handschriftendigitalisats durch das Niederösterreichische Landesarchiv sind die besten Voraussetzungen gegeben, die Chronik “des allten, edln unnd rittermessigen geschlechts der Trenbeckhen von Trenbach” endlich aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken.

Zusammenfassung

Die nun auch online zugängliche sogenannte Trenbach-Chronik im Niederösterreichischen Landesarchiv St. Pölten (Signatur: HS StA 0327) ist eine prachtvoll illuminierte Handschrift von 1590, die einzige bekannte Überlieferung der im wesentlichen im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts zusammengetragenen Familienchronik der bayerischen Adelsfamilie von Trenbach/Trenpeck. Sie war Teil eines genealogisch-historischen “Forschungsprojekts” des sehr auf humanistische Gelehrsamkeit Wert legenden Passauer Bischofs Urban von Trenbach (Amtszeit 1561-†1598), eines aufwändiges Unternehmens, zu dem auch die bemerkenswerte genealogische Inschriftenreihe von 1572 in der Passauer Trenbach-Kapelle zu zählen ist (auch handschriftlich verbreitet). Sicher haben Gelehrte aus seinem Umkreis (Johann Auer aus Kremsmünster und andere) den Bischof dabei unterstützt. Mindestens bis ins 13. Jahrhundert sind die genannten Familienmitglieder wohl alle unhistorisch. Anachronismen lassen den Schluss zu, dass die angeblich 1468/86 entstandene Chronik eines Scheyerner Benediktinermönchs Wenzel Gruber (nach Angaben der Trenbach-Chronik deren Hauptquelle) als Quellenfiktion gelten darf, also eine Fälschung darstellt. Von ihr wurden die Vorrede in der Trenbach-Chronik und die Passage über Hans von Trenbach (†1468) in Bd. 3 des Bayerischen Stammen-Buchs des Wiguleus Hund wiedergegeben. Die Chronikhandschrift überliefert mehrere literarische Verstexte in deutscher Sprache: Abschiedsverse des Hans von Trenbach (Inschrift in der Elisabethkapelle der Burg Burghausen), die dem gleichen Trenbacher in den Mund gelegte ‘Greisenklage’, Johann Hollands ‘Turnierreime’ und eine zweite handschriftliche Überlieferung von Jakob Püterichs ‘Ehrenbrief’ (1462).

Von der nicht nach dem vierten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts und sicher nicht von Hans von Trenbach verfassten ‘Greisenklage’ sind derzeit 17 Textzeugen, 16 Handschriften und ein Einblattdruck bekannt (neu nachgewiesen wurde München, BSB, Clm 7746). Für die Entstehung der angeblich von einem Herold Johann Holland stammenden ‘Turnierreime’ wurde ein Zeitrahmen von 1437 bis 1511 vorgeschlagen. Es gibt mindestens sieben Handschriften (neu: München, BSB, Cod. icon. 390) – die Überlieferung setzt erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts ein – und einen Druck (bei Wiguleus Hund). Die anspruchslosen Verse können sich nicht auf das Turnier von Schaffhausen 1392 beziehen, da dieses vom Herold Georg Rüxner, der an der Textgeschichte der Turnierreime beteiligt war, erfunden wurde. Das Reimpaargedicht sollte der sozialen Abgrenzung und Selbstvergewisserung des bayerischen Turnieradels dienen.

Besonders bemerkenswert ist aber die Überlieferung des für das literarische Leben des 15. Jahrhunderts so bedeutenden ‘Ehrenbriefs’ von Jakob Püterich von Reichertshausen, da bisher nur eine einzige Handschrift bekannt war, 1997 für die Bayerische Staatsbibliothek teuer erworben (Cgm 9220). Nach Angaben der Chronik wurde der ‘Ehrenbrief’ im Herrensitz St. Martin der Trenbacher aufgefunden, was auf die bekannten literarischen Interessen (ablesbar an ihrem Buchbesitz) von Ortolf dem Älteren und dem Jüngeren von Trenbach verweist. Die neue Handschrift war wohl die Vorlage der Münchner Handschrift und sollte einer wünschenswerten Neuausgabe des ‘Ehrenbriefs’ zugrunde gelegt werden. Zwischen Ehrenbrief und Turnierreimen steht eine – anscheinend unbekannte – kurze deutschsprachige Prosa-Aufzeichnung zur Schlacht von Giengen 1462 aus der Feder des bayerischen Küchenmeisters Stefan Lußnitzer.

Die Trenbach-Chronik und die von ihr überlieferten Texte enthalten in unterschiedlicher Weise literarische Stilisierungen und Inszenierungen. Die dadurch aufgeworfene Frage nach der Rolle der Literatur in der Adelskultur, die weder über- noch unterschätzt werden darf, muss differenziert beantwortet werden. Besonders dicht sind die Zeugnisse in Oberdeutschland in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Püterichs Ehrenbrief und weitere Zeugnisse lassen auf ein vergleichsweise kleines Netzwerk literaturbegeisterter Adeliger schließen. Mehr Aufmerksamkeit als bisher verdienen nicht nur deutsche und lateinische Verstexte von Adeligen und aus ihrem Umkreis, sondern auch die Fiktionen in den aristokratischen “Herkommens-Phantasien”. Der Begriff Phantasie empfiehlt sich für die kreativen, spielerischen und literarischen Aspekte historiographischer Fiktionen und literarischer Fälschungen.

 

Bild: Greisenklage des Hans von Trenbach aus der Trenbachchronik: Niederösterreichisches Landesarchiv St. Pölten, HS StA 0327, Bl. 132v/133r. Quelle: Wikimedia Commons.

Zitiervorschlag:

Klaus Graf: Fiktion und Geschichte: Die angebliche Chronik Wenzel Grubers, Greisenklage, Johann Hollands Turnierreime und eine Zweitüberlieferung von Jakob Püterichs Ehrenbrief in der Trenbach-Chronik (1590), in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 28. Februar 2015, http://mittelalter.hypotheses.org/5283 (ISSN 2197-6120)

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  1. Martin Wrede: Ohne Furcht und Tadel – Für König und Vaterland (2012), S. 126.
  2. Beat Rudolf Jenny: Graf Froben Christoph von Zimmern (1959), S. 26.
  3. Zu meiner Verwendung des Begriffs zusammenfassend: Klaus Graf: Ursprung und Herkommen. In: Geschichtsbilder und Gründungsmythen (2001), S. 23-36 (online).
  4. Von den Beiträgen in: Mäzene, Sammler, Chronisten. Die Grafen von Zimmern und die Kultur des schwäbischen Adels (2012) führt vor allem der von Clemens Joos die Forschung zu den Adelschroniken des 16. Jahrhunderts weiter. Dass sich auch schon Wilhelm Werner von Zimmern an den Fälschungen zur höheren Ehre der Familiengeschichte beteiligte, lege ich unter Berufung auf Befunde von Rolf Götz dar in meiner Rezension in Archivalia vom 15. September 2014. Chroniktext nach Barack in Wikisource.
  5. Gerhard Wolf in: Mäzene S. 138, 131.
  6. Klaus Graf: Adel als Leitbild – zur Geschichte eines Grundwerts in Spätmittelalter und früher Neuzeit. In: Gelungene Anpassung? (2005), S. 67-81 (online), hier S. 72. Ebd., S. 71 Anm. 22 hatte ich Literatur zu Adelschroniken zusammengestellt. Nachzutragen wären als besonders wichtige Beiträge Rolf Götz: Wege und Irrwege frühneuzeitlicher Historiographie (2007) und von Clemens Joos außer dem bereits genannten Beitrag von 2012: Herkommen und Herrschaftsanspruch. In: Grafen und Herren in Südwestdeutschland vom 12. bis ins 17. Jahrhundert (2006), S. 121-153. Vgl. jüngst auch die Literaturangaben bei Stephan Selzer: Adelige – Gruppen – Bilder. Eine Skizze zur zeichenhafter Verankerung von adeligem Herkommen und ritterlicher Leistung. In: Adelsbilder von der Antike bis zur Gegenwart (2013), S. 58-84, hier S. 71f.
  7. Text: http://www.aedph-old.uni-bayreuth.de/2001/0431.html.
  8. http://www.aedph-old.uni-bayreuth.de/2004/0330.html.
  9. Hans-Dieter Mück: Zur Verfasserschaft der sog. ‘Greisenklage’. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 3 (1984/1985), S. 267-278 (hiernach zitiert als: Mück). Die gleichlautende etwas ältere Publikation gemeinsam mit Hans Ganser (in: Lyrik des ausgehenden 14. und 15. Jahrhunderts, 1984) ist in Auszügen bei Google Books = GBS online.
  10. Andreas Zajic: “Zu ewiger gedächtnis aufgericht” (2004), S. 75-77. Ein Aufsatz von ihm 2002 in den Studia historica Brunensia 2002 ist online.
  11. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon = ²VL 3 (1981), Sp. 285f. Nur unwesentlich ergänzt: Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter 3 (2012), Sp. 992f. (Auszug GBS).
  12. Weitere Literaturangaben zur Chronik im Online-Findmittel des Archivs. Sie wurde vor allem in der Alchemie-Forschung wahrgenommen. Eine neuhochdeutschen Bearbeitung (nicht: Wiedergabe!) zu Christoph von Trenbach. Pfarrer in Kirchberg am Wagram (mit Porträt), bietet die heimatgeschichtliche Website: http://www.hf-kirchberg.at/index.php/kirchberg-am-wagram/einwohner-von-kirchberg/christoph-von-trenbach. Zu seinem Tod (Trenbach-Chronik Bl. 215r-218v) vgl. auch Rudolf Werner Soukup/Werner Mayer: Alchemistisches Gold (1997), S. 11 (Auszug GBS).
  13. Abdruck der Vorrede: Chronik der Herren Trenbeckhen von Trennbach. In: Heraldisch-genealogische Zeitschrift. Organ des […] Adler in Wien 2 (1872), S. 74-76 (und weitere Folgen), hier S. 74f. (GBS).
  14. Bis zur Abgabe des Manuskripts meines Wolfenbütteler Vortrags “Codexmythen und Codexphantasien” (Preprint in Archivalia vom 31. März 2013) lagen sie leider nicht vor (siehe die dortige Bemerkung). Die neu erstellten Digitalisate konnte ich auch auf dem Server des Archivs nutzen (Link zur Datenbank (Viewer nicht direkt verlinkbar, Tektonik: 05.03), wo sie öffentlich zugänglich sind.
  15. Zu bebilderten Geschlechterbüchern sind die eindringlichen Studien von Hartmut Bock maßgeblich, bequem zugänglich auch im Internet: http://www.hartmut-bock.de/Gattung/gattung.html.
  16. GND.
  17. Ramona Epp: Die Inschriften des Landkreises Passau bis 1650 (DI 80) (2011), Nr. 121-124. Zum Programm vgl. man auch den populären Artikel derselben Bearbeiterin in: Akademie aktuell 2011/4, S. 22f. mit Fotos u.a. einer altspanischen Inschrift (online).
  18. Christine Steininger u.a.: Die Inschriften der Stadt Passau bis zum Stadtbrand von 1662 (DI 67) (2006), Nr. 632. Abbildung auf Wikimedia Commons. Zu Bischof Urban und seiner Bautätigkeit vgl. zusammenfassend ebd., Nr. 722.
  19. Umfangreiche Dokumentation im eben genannten Inschriftenband Nr. 628 (S. 327-365).
  20. BSB München Clm 1302, S. 45-66; Cgm 1730, Bl. 1r-8v.
  21. Karger Findbucheintrag: DDB. Andere Angaben zur Provenienz im Jahresbericht für 1855 (GBS). In Regensburg (Prüfening oder Prüll) gab es bei der Säkularisation noch eine dritte Überlieferung, GBS.
  22. In: Familiengeschichtliche Blätter 11 (1913), S. 57f., 76, 103f., 117f.
  23. Berichte und Mittheilungen des Alterthums-Vereines zu Wien 21 (1882), S. 47 (online).
  24. Ostbairische Grenzmarken 44 (2002), S. 32; Allgemeines Künstlerlexikon – Internationale Künstlerdatenbank – Online.
  25. Theodor Wiedemann: Geschichte der Reformation und Gegenreformation im Lande unter der Enns 3 (1882), S. 225f. (online); Hinweis bei Zajic.
  26. GND.
  27. Lateinische Carmina von ihm – GND – auf Christoph von Trenbach in der Trenbach-Chronik Bl. 216r-218v, das Gedicht “Christophorus cubat” gekürzt als Grabschrift überliefert, vgl. Steininger u.a. Nr. 540 ohne Berücksichtigung der (ansonsten durchaus als Quelle herangezogenen) Trenbach-Chronik.
  28. Markus Müller: Die spätmittelalterliche deutsche Bistumsgeschichtsschreibung (1998), S. 214f.; Steininger u.a.: Inschriften S. XXIV.
  29. GND.
  30. Arnold Luschin von Ebengreuth: Österreicher an italienischen Universitäten […] 1 (1886), S. 12 (MDZ). Nach Altman Kellner: Musikgeschichte des Stifts Kremsmünster (1956), S. 140, 145 war ein Johann Auer, der aus Ingolstadt kam, 1585 Kantor des Stifts.
  31. VD 16. Demnach: GND. Wohl identisch mit: GND.
  32. GND.
  33. GND.
  34. Zu ihm: Ilse Haari-Oberg: Die Wirkungsgeschichte der Trierer Gründungssage vom 10. bis 15. Jahrhundert (1994).
  35. GND.
  36. Wikisource.
  37. GND.
  38. Digitalisat e-rara.ch.
  39. Max Freiherr von Freyberg: Sammlung historischer Schriften und Urkunden 3 (1830), S. 717-738: Trenbeckhen (GBS), hier S. 719.
  40. Ebd., S. 723: “diß 1582 Jars”.
  41. Zu vergleichen ist Hund S. 729 mit Bl. 182v-183r, wo Hunds mittlere Anekdote fehlt. Zur Rolle von Anekdoten im 15. Jahrhundert vgl. auch Tomas Tomasek in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 19 (2012/2013), S. 443-451.
  42. J. A. S. [Johann Andreas Schmeller] in: Bayerische Annalen 22. Juni 1833, S. 548 (GBS), der sich wohl auf den Cgm 2298 bezieht, vgl. seinen Handschriftenkatalog.
  43. Pars quarta Germaniae topo-chrono-stemmato-graphicae […] (GBS).
  44. Stammenbuch 2 (1586), S. 48 (online).
  45. GND.
  46. Hund S. 719. Die Stelle über Arnold in der Erstausgabe Rüxners 1530, Bl. 134r: MDZ.
  47. Zu ihm vgl. Klaus Graf: Herold mit vielen Namen. Neues zu Georg Rüxner alias Rugen alias Jerusalem alias Brandenburg alias … In: Ritterwelten im Spätmittelalter (2009), S. 115-125 (online) und diverse Nachträge in Archivalia.
  48. S. 103-108 (GBS) mit Quellenangabe Hund.
  49. S. 132-137 (GBS). Nochmals in Waibels Tugend-Blüthen (1837), S. 26-28 (GBS).
  50. S. 217-220 (GBS).
  51. S. 278-285 (GBS) mit Kupferstich S. 285: Trenbach auf dem Pferd.
  52. S. 150-156 (GBS) wohl nach Freybergs Ausgabe.
  53. S. 77-79 (GBS).
  54. Joseph von Obernberg: Reisen durch das Königreich Baiern: Reisen über Anzing […] (1816), S. 252-259 (GBS).
  55. Trenbach-Chronik Bl. 130r; Hund S. 724f.
  56. So http://www.burghauserhochzeit.de/40591.html mit Erwähnung des Alters von 115 Jahren als Tatsache. Für Josef Hofmiller war der Vers 1928 die “größte Merkwürdigkeit” der inneren Burgkapelle: http://gutenberg.spiegel.de/buch/versuche-337/16.
  57. Die Kunstdenkmale des Regierungsbezirks Oberbayern 3 (1905), S. 2482 (online). Die Inschrift wird wiedergegeben unter anderem in: Der Bayerische Volksfreund vom 13. Dezember 1827, S. 741 (GBS); Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern 15 (1870), S. 296 (GBS); Friedrich Panzer: Lohengrinstudien (1894), S. 6 (online); Max Fürst: Biographisches Lexikon für das Gebiet zwischen Inn und Salzach (1901), S. 189f. (Artikel über Hans von Trenbeck); Deutsche Gaue 5 (1903), S. 77 mit Abbildung der Örtlichkeit (online); Führer durch Burghausen und seine Umgebung [1905?], S. 19 (online); Das Bayerland 18 (1907), S. 480 (online); Rudolf Werner Soukup: Chemie in Österreich Bd. 1 (2007), S. 260 (Auszug GBS).
  58. Johann Georg Bonifaz Huber: Geschichte der Stadt Burghausen in Oberbayern (1862), S. 89-91 (MDZ). Weiteres: Friedrich Töpfer: Geschichte der gräflich Törringischen Schlösser und Hofmarken Winhering, Frauenbühl, Burgfried, Arbing und Waldberg. In: Oberbayerisches Archiv 9 (1848), S. 147-196, hier S. 178-180 (GBS); August Kluckhohn: Ludwig der Reiche (1865), S. 27f. (MDZ); Sigmund Riezler: Geschichte Baierns 3 (1889), S. 370 (online); Des Ritters Hans Ebran von Wildenberg Chronik. Hrsg. von Friedrich Roth (1905), S. IX (online).
  59. Zu Altersrekorden, die in der Vormoderne nicht hinreichend sicher belegbar sind, vgl. die Seite „Ältester Mensch“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 15. Januar 2015, 00:04 UTC. Bei archivalischen Recherchen wird zu beachten sein, dass es durchaus mehrere, nicht sicher trennbare Angehörige der weitverzweigten Trenbach-Adelsfamilie gegeben haben kann, die den Namen Hans trugen.
  60. Hund S. 725: “bei 115 Jar alt”.
  61. Necrologium Gemnicensium. MGH Necrologia 5/2 (1913), S. 444 (online) zum 29. Juli: “Iohannes Trenbeck cv. baro de Bavaria”.
  62. MGH Necrologia 2 (1904), S. 273 (online).
  63. Vgl. Gerrit Walther und Klaus Graf: Genealogie. In: Enzyklopädie der Neuzeit. 4 (2006), Sp. 426-432.
  64. http://monasterium.net/.
  65. Mück S. 267. Angesichts der im Bereich der Adelsgeschichte häufig unterdurchschnittlich schlechten Wikipedia-Artikel wundert es nicht, wenn dort 1163 als Erstbeleg der Familie angegeben wird: Seite „Liste bayerischer Adelsgeschlechter“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 3. Januar 2015, 15:19 UTC.
  66. Der niederösterreichische landständische Adel S-Z (1918), S. 399-404. Ältere Literatur rezipierte natürlich ebenfalls die Chronik-Fiktionen: Ernst Heinrich Kneschke: Neues allgemeines Adels-Lexikon 9 (1870), S. 265 (GBS); Johann Friedrich Gauhe: Des Heil. Röm. Reichs Genealogisch-Historisches Adels-Lexicon 2 (1747), Sp. 1186 (GBS); Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon 45 (1745), Sp. 389 (online); ebenso zuvor Allgemeines historisches Lexikon 4 (1732), S. 810 (GBS) und Ausgabe 1714, S. 459 (GBS).
  67. Ludwig Heinrich Krick: 212 Stammtafeln adeliger Familien […] des Bistums Passau […] (1924), S. 428-431 Nr. 194.
  68. Repertorium Germanicum und Repertorium Poenitentiariae Germanicum: http://www.romana-repertoria.net/.
  69. Hund S. 723.
  70. Mück S. 268.
  71. Man wird bei dem Sichten der auf http://archiv.twoday.net/stories/96987511/ gelisteten Einträge feststellen, dass ich in einer Reihe von Fällen eigene “Fälschungsnachweise” erbracht habe. Bei einem nicht gefälschten Dokument (ich habe den Casus – es geht um einen von einem deutschen Herold ausgestellten Wappenbrief des 15. Jahrhunderts – noch nicht publiziert) hat mich mein Jagdeifer peinlicherweise aber in die Irre geführt – Grund genug, bei Fälschungsvorwürfen vorsichtig zu sein. Umgekehrt habe ich in Klaus Graf: Beiträge zur Adelsgeschichte des Heubacher Raums. In: Heubach und die Burg Rosenstein (1984), S. 76-89, hier S. 85f. (online) einen erst in Abschrift um 1800 (angeblich aus einem Bruchsaler Manuskript) überlieferten kurzen Text als rechbergisches Adelsherkommen (ca. 1450/1550) interpretiert. Zehn Jahre später tendierte ich aber dazu, eine Fälschung um 1800 anzunehmen, in: Freundliches Lautern (1995), S. 220.
  72. Aus dem Bereich der Buchgeschichte wurde in letzter Zeit berühmt: A Galileo Forgery (2014) (online).
  73. Zu der von mir in Archivalia als Fälschung verdächtigten bayerischen Chronik aus der Zeit um 1500, die 1818 vom Archivar Lipowsky nach einer nicht mehr greifbaren Vorlage publiziert wurde, teilte mir Franz Fuchs (Würzburg) freundlicherweise per Mail vom 30. Juli 2014 mit, er halte sie “nicht für eine Fälschung sondern für eine Kompilation des späten 17. Jahrhunderts”. Dies erkläre die Anachronismen.
  74. Vgl. etwa Katrinette Bodarwé in: A Companion to Hrotsvit of Gandersheim (fl. 960) (2013), S. 344-348 (Auszug GBS).
  75. Außer einigen Andeutungen in Archivalia habe ich zu ihm nichts Größeres veröffentlicht. Sein wissenschaftliches Oeuvre ist riesig, siehe meine Liste in Wikisource.
  76. Dies gilt etwa für die Inschriften-Fälschungen von Hansmartin Deckerhauff. Zu ihnen vgl. Archivalia: “Merkwürdigerweise haben die dort (und in der Regel nur dort) überlieferten Inschriftentexte durchweg große Bedeutung für die genealogische Forschung”. Die Verdachtsmomente resultierten aus der Kenntnis weiterer Fälschungen, nämlich der Texte zur Staufergenealogie aus dem “Roten Buch” des Klosters Lorch, vgl. zusammenfassend zuletzt Graf: Codexmythen.
  77. Zu diesem Begriff vgl. meinen oben genannten Beitrag “Codexmythen und Codexphantasien”.
  78. Die Wiedergabe im “Adler” 1872, S. 75 las falsch Truchsessen; Zajic entzifferte falsch Teuschessarr und dachte an die Familie Teuschnitzer.
  79. Dieter J. Weiss: Die Geschichte der Deutschordens-Ballei Franken im Mittelalter (1991), S. 429.
  80. Krieb in: Geschichte schreiben (2010), S. 347. Vgl. auch Derselbe: Erinnerungskultur und adeliges Selbstverständnis im Spätmittelalter. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 60 (2001), S. 59-75 (online). Zu dem dort behandelten angeblich spätmittelalterlichen Eptinger Hausbuch vgl. kritisch Graf: Codexmythen.
  81. Joos in: Mäzene S. 146f.
  82. Rudolf Seigel: Zur Geschichtsschreibung beim schwäbischen Adel in der Zeit des Humanismus. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 40 (1981), S. 93-118, hier S. 100f.
  83. Sie war Gegenstand meiner Tübinger Dissertation: Klaus Graf: Exemplarische Geschichten (1987) (GBS).
  84. Seigel S. 94.
  85. Zu ihr vgl. Steffen Krieb in: Gelungene Anpassung? (2005), S. 83-101.
  86. Mit neuen Handschriftenhinweisen zu den Genealogica: Klaus Graf: Gottfried Wilhelm Leibniz, Ladislaus Sunthaim und die süddeutsche Welfen-Historiographie. In: Leibniz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen (2012), S. 33-47 (online); Derselbe in: Neue Deutsche Biographie 25 (2013), S. 706f. (online); GND.
  87. Zu seinen Werken meine Zusammenstellung in Wikisource. GND.
  88. Zur Monographie von Thomas Schauerte: Matthäus von Pappenheim (1458-1541) (2009) liefert einige Korrekturen meine Besprechung in Archivalia vom 26. Januar 2013. Diverse Nachträge dazu und zu meinem Artikel in: Deutscher Humanismus 1480-1520. Verfasserlexikon 2 (2013), Sp. 204-209 (online) in Archivalia. GND.
  89. Zu Pappenheims Kontakten mit Maximilian vgl. Joos in: Mäzene S. 147.
  90. Wappen in Bayern (1974), S. 51f. Nr. 56, 59f. Nr. 70; Selzer S. 71. Abbildung des Stammbaums auf Wikimedia Commons.
  91. Einblicke gewährt ein von Andreas Zajic ins Netz gestelltes PDF. Zur Familie vgl. die Hinweise von mir in: Hans Jordan Herzheimers Fischordnung von 1532. In: Archivalia vom 26. Juli 2014.
  92. Otto Titan Hefner: Heraldisches Original-Musterbuch […] (1862), S. 26 (MDZ; E-Text). Zu Wappensagen vgl. jüngst Jörg Schlarb: Mythical Origins of Coats of Arms: A Brief Overview. In: Heraldica nova vom 15. Dezember 2015.
  93. Zu dieser auf den Florentiner Chronisten Giovanni Villani (erste vollständige Druckausgabe 1559) zurückgehenden Tradition vgl. den Hinweis in der Übersetzung “Dantes Paradies” von Afred Bassermann 3 (1921), S. 175f. (Auszug GBS); Robert Davidsohn: Forschungen zur älteren Geschichte von Florenz (1896), S. 31f. Zum Motiv der höllischen Schmiede vgl. z.B. Christa Oechslin Weibel: “Ein übergülde aller der saelikeit” (2005), S. 179 (Auszug GBS).
  94. Zu dieser Tradition vgl. jüngst unzulänglich Dietrich-Testimonien des 6. bis 16. Jahrhunderts. Hrsg. von Elisabeth Lienert (2008), S. 239f., 7 Anm. 21; GND.
  95. Auf sie verwies Birgit Studt: Haus- und Familienbücher. In: Quellenkunde der Habsburgermonarchie (2004), S. 753-766, hier S. 77f. Anm. 11 (online), ohne die Authentizität Grubers in Frage zu stellen.
  96. Ausgabe von 1875, S. IV: MDZ.
  97. Vgl. meinen Beitrag “David Wolleber und die historische Kultur in Württemberg im 16. Jahrhundert” (im Druck, Preprint online), Anm. 81; Graf: Leibniz, S. 38f. Mennels Liste wird zitiert von Dieter Mertens: Zur frühen Geschichte der Herren von Württemberg. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 49 (1990), S. 11–95, hier S. 31 (online).
  98. Zu meinem Begriffspaar Herkommen und Exemplum vgl. jüngst Joos in: Mäzene S. 142.
  99. Vgl. Graf: Codexmythen.
  100. http://www.aedph-old.uni-bayreuth.de/2004/0330.html.
  101. Klaus Graf: Zur Überlieferung der Greisenklage. In: Archivalia vom 1. November 2010.
  102. Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter 5 (2013), Sp. 1525-1527.
  103. http://www.handschriftencensus.de/werke/2462.
  104. Handschriftenkatalog von Wolf Gehrt 1989 (online).
  105. Zu diesem: http://www.ds.uzh.ch/kiening/vergaenglichkeitsbuch/ mit Transkription.
  106. Die autornahe Handschrift Berlin, Kupferstichkabinett, Cod. A 78 A 19, Bl. 45r-46r (vgl. Handschriftencensus; Blattangabe nach dem Handschriftenarchiv) ist nicht weniger wichtig als die ehemals Donaueschinger, nun Stuttgarter Handschrift. Von Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 86321 (Handschriftencensus) kenne ich keine Blattangaben für die Greisenklage.
  107. Horst-Dieter Schlosser. In: ²VL 3 (1981), Sp. 249f. und Hansjürgen Kiepe: Die Nürnberger Priameldichtung (1984), S. 314 beschränkten sich auf die autornahe Hund-Handschrift (mit eigenhändigen Nachträgen Hunds) Cgm 2298 (oben bereits erwähnt), Bl. 579r. Eine Zusammenstellung der weit verstreuten Handschriften (sogar das Institut für Personengeschichte Bensheim verfügt über eine solche) von Hunds Stammen-Buch Bd. 3 existiert leider nicht.
  108. Elisabeth Wunderle (BSB München) bestätigte freundlicherweise die Textidentität und warnte vor Zählfehlern der gültigen Foliierung: “Auf Bl. 92 folgen 90a, dann Bl. 91 und 92 (jeweils mit einem unleserlichen Zusatz); diese sind am besten als 91a und 92a zu zitieren”. Vgl. Handschriftenkatalog; Handschriftencensus. Datierung nach dem ²VL 8 (1992), Sp. 180 um 1450.
  109. GW mit Nachweis eines Digitalisats der UB Eichstätt.
  110. GBS.
  111. PDF.
  112. Hund S. 726f., danach zitiert.
  113. Handschriftencensus.
  114. Jacob Klingner/Ludger Lieb: Handbuch Minnereden 1 (2013), S. 787 (Auszug GBS); Mück S. 277.
  115. Suchenwirt-Edition von Primisser 1827, Nr. 25 (online).
  116. GND.
  117. Brief bei Ludwig Rockinger: An der Wiege der baierischen Mundartgrammatik und des baierischen Wörterbuches = Oberbayerisches Archiv 43 (1886), S. 204f. (online); Antwort S. 207.
  118. Digitalisat MDZ.
  119. In Schmellers Bayerischem Wörterbuch ²1 (1872), Sp. 566 (GBS) bezieht sich Schmeller auf “Butsch’s Blatt” als Überlieferung der Minnerede unter Trenbachs Namen. Butsch’s Blatt ist der Cgm 4781. Das folgende Zitat aus dem Handschriftenkatalog (GBS) zielt auf die Schrift im Nachlass.
  120. Vgl. etwa Sebastian Münster: Cosmographey […] (Basel 1567), S. 1035 (online).
  121. Graf: Herold S. 122.
  122. ²VL 4 (1983), Sp. 106-108.
  123. Ebd., Sp. 106.
  124. Martha Mueller: Der Ehrenbrief Jakob Pütrichs von Reichertshausen, die Turnierreime Johann Hollands, der Namenkatalog Ulrich Fuetrers: Texte mit Einleitung und Kommentar. Dissertation City University of New York 1985, S. 211-238, dieser Teil der Arbeit, da gemeinfrei, auch auf Wikimedia Commons.
  125. GND.
  126. Wim van Anrooij: Bayern, Herolde und Literatur im spätmittelalterlichen Reich. In: 650 Jahre Herzogtum Niederbayern-Straubing-Holland (2005), S. 235-275, hier S. 254. Zu Hollands Text ebd., S. 252-256.
  127. Joachim Schneider: Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel (2003), S. 99-110.
  128. Ebd., S. 110.
  129. Angeblich das 21. Reichsturnier: Erstausgabe 1530, Bl. 253v (MDZ).
  130. Schneider S. 104.
  131. Johannes Waldschütz: Ausstellungsrezension: “Ritterturnier – Geschichte einer Festkultur” im Schaffhauser Allerheiligenmuseum. In: Archivalia vom 18. Juli 2014. Dort der Hinweis, dass in der Ausstellung die Historiziät des Turniers 1392 im Gegensatz zur Dauerausstellung in Zweifel gezogen wurde.
  132. Peter Jezler in: Ritterturnier. Geschichte einer Festkultur (2014), S. 58.
  133. Das Stadtarchiv Schaffhausen übermittelte mir die Kopie eines Separatdrucks eines Aufsatzes “Schaffhausen als Turnierplatz” von Karl Rahn in den Schaffhauser Nachrichten vom 24., 25. und 30. August 1956, der (ohne Quellenbelege) Rezeptionszeugnisse zum Turnier von 1392 zusammenstellt. Vgl. auch Eduard Achilles Geßler in: Anzeiger für schweizerische Altertumskunde NF 33 (1931), S. 14f., 20f. (online).
  134. Bänteli in: Ritterturnier, S. 73. In der Anm. 3 (S. 81) verweist er für Rüxner auf den Beitrag von Jezler, folgt anschließend aber – ohne mich zu zitieren – meinen Bedenken von 2009: “Die Turnierreime des Johann Holland können nicht vorbehaltlos als Bestätigung für Rüxners Angaben gelten, da die Überlieferung über Rüxner läuft und von diesem als Quelle gefälscht sein könnte”.
  135. J. J. Rüeger: Chronik der Stadt und Landschaft Schaffhausen 1 (1884), S. 55. Ebd., S. 371 datiert Rüeger das 21. Reichsturnier 1393. Etliche würden vermuten, der Herrenacker habe davon seinen Namen.
  136. Geßler S. 20.
  137. Vgl. jüngst Tanja Schorn-Jaschkowitz: Gesellschaftsverträge adeliger Schwureinungen im Spätmittelalter (2007), S. 23. Abdrucke unter anderem bei Johann Stephan Burgermeister: Reichs-Ritterschafftl. Corpus-iuris […] (1707), S. 1-5 (MDZ); Zimmerische Chronik ²1 (1881), S. 228-234. Benedikt Bilgeri nannte einen Nachweis der Urkunde im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien.
  138. Diese Möglichkeit erwähnt Schneider: Niederadel S. 110. Zu Thomas Lirer als Pseudonym und zum Verhältnis von Fiktion und Historie vgl. Graf: Exemplarische Geschichten S. 81-93.
  139. Schneider S. 99.
  140. Bernd Thum: Der Reimpublizist im deutschen Spätmittelalter. In: Lyrik des ausgehenden 14. und 15. Jahrhunderts (1984), S. 309-378, hier S. 363.
  141. Otto Koischwitz: Der Theaterherold im deutschen Schauspiel des Mittelalters und der Reformationszeit (1926), S. 40f. erwähnt in seinen wichtigen Materialien zur Herolds-Figur auch den Holland-Text.
  142. Zu dessen Siegeln vgl. z.B. Felix Ludwig Lipowsky: Grund-Linien der theoretisch und praktischen Heraldik (1816), S. 143 (GBS). Auch auf dem Grabmal-Modell Multschers erkennt man die Löwen im Wappen (Abbildung Wikimedia Commons).
  143. BSB München, Cgm 9220, S. 31. Abbildung Wikimedia Commons.
  144. Anrooij S. 255f.
  145. Schlick spielt in der späteren Traditionsbildung rund um die Turnierchronik Rüxners eine gewisse Rolle. Unkritisch hatte 1986 Heide Stamm eine angeblich 1430 entstandene, von Kaspar Schlick in Magdeburg in Auftrag gegebene Turnierchronik als Vorlage für die Rugen’sche Turnierchronik behauptet (Das Turnierbuch des Ludwig von Eyb, S. 44). Ihre Quelle Estor bezieht sich aber auf die Reime Hollands, wie ich zeigen konnte in: Hatte Rugens/Rüxners Turnierchronik eine Magdeburger Vorlage? In: Archivalia vom 26. Juli 2008 mit Nachtrag in Archivalia vom 19. Juni 2011. Johann Sigmund Brechtel von Sittenbach (siehe unten) beruft sich 1617 nach Heinz Lieberich: Landherren und Landleute (1964), S. 25 auf ein Turnierbuch des Grafen Johann Schlick (ihn gab es nie). In der Vorrede ist von Kaspar Schlick die Rede. Es dürfte sich um ein Rezeptionszeugnis der Turnierreime handeln und nicht um eine mittelalterliche Quelle.
  146. Mueller S. 186f.
  147. Zu Handschriften und Drucken vgl. Wikisource (derzeitige Version).
  148. Ulrich Montag in: Bayerische Staatsbibliothek. Jakob Püterich von Reichertshausen. Der Ehrenbrief (1999), S. 48.
  149. Schneider S. 100 Anm. 35; Lieberich S. 28 Anm. 85.
  150. Digitalisat MDZ. Zur Handschrift vgl. Mueller S. 148.
  151. Mueller, S. 147.
  152. Ausgabe 1585.
  153. ²VL 4, Sp. 106.
  154. Zitiert nach Mueller S. 147.
  155. Zu den Lebenszeugnissen vgl. Graf: Herold.
  156. Digitalisat MDZ. In der Beschreibung von Marianne Reuter 2008 nicht erkannt: “Mitglieder des alten bayerischen Turnieradels in Versen”.
  157. Zur Familie vgl. kurz zusammenfassend: Adel in Bayern (2008), S. 66.
  158. Digitalisat.
  159. Digitalisat der UPenn; Hinweis in Archivalia vom 2. Oktober 2013.
  160. Klaus Graf: Historiographische Handschriften des Johann Sigmund Brechtel. In: Archivalia vom 4. Februar 2012. GND.
  161. Fortsetzung des fehlenden Rests bei Raimund Duellius: Excerptorum genealogico-historicorum libri duo […] (1725), S. 259 (online).
  162. http://manuscripta.at/?ID=7676 mit Link zum Inventar von Hermann S, 154; Walter Neuhauser: Katalog der Handschriften der Universitätsbibliothek Innsbruck. Cod. 1-100 (1987), S. 273.
  163. Zitat nach den Wappentafeln des Hans Mielich 1560/71 in der Handschrift der Bußpsalmen des Orlando di Lasso (BSB München, Mus. ms. A III 1), vgl. Adel in Bayern, S. 87-91 (mit Farbabbildungen), hier S. 87. SW-Digitalisat mit unzulänglicher Auflösung: MDZ.
  164. Zur Püterich-Überlieferung siehe unten.
  165. Das Datum 21. Februar 1469 weist Montag S. 50 aus dem Cgm 305, Bl. Iv nach. SW-Digitalisat MDZ.
  166. GND.
  167. Klaus Grubmüller in: Bayerische Staatsbibliothek. Jakob Püterich von Reichertshausen, S. 7.
  168. GND; Marburger Repertorium zur Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus.
  169. Grubmüller S. 12.
  170. Angaben nach Montag S. 45; Handschriftencensus.
  171. Mueller S. 42 nach Auskünften 1974 und 1979. Es ist durchaus möglich, dass der von Lawrence Schoenberg erworbene und 2001 wieder abgestoßene, verschollene Herzogenburger Cod. 82 auf dem gleichen Weg das Stift verlassen hat (aber wohl nicht vor 1966), vgl. Archivalia vom 28. November 2011. Das Stift Herzogenburg hüllt sich dazu bis heute in Schweigen.
  172. Liste im PDF von Melissa Conway and Lisa Fagin Davis.
  173. GBS.
  174. Max Voigt: Beiträge zur Geschichte der Visionenliteratur im Mittelalter I. II (1924), S. 194.
  175. Mück S. 269 Anm. 14. Er dankt Frieder Schanze für Mikrofilmaufnahmen, die in jedem Fall Hollands Turnierreime und wohl auch die Greisenklage abdeckten.
  176. Der Publikation von 1999 ist ein Farbfaksimile des Ehrenbriefs beigegeben. Die BSB hat unzählige weit weniger wichtige Handschriften online gestellt, auf den Cgm 9220 wartete man bislang vergebens. Die maßgebliche Edition legte Mueller 1985 vor: S. 67-117. Online ist die Ausgabe von Fritz Behrend/Rudolf Wolkan im Internet Archive (mit SW-Faksimile). Von den früheren Ausgaben wird die von Arthur Goette (1899) im Netz vermisst.
  177. Montag S. 46f. In meinem Besitz befinden sich Begleitblätter zur Präsentation der Neuerwerbung 1999, in denen die Handschrift “etwa 1590″ angesetzt wird.
  178. Mein Ausgangspunkt waren die Lesarten von Behrend/Wolkan S. 15. Beispielsweise hat Str. 15, 7 die bessere Lesart “khünigin” (statt “khunigen” im Cgm 9220). Str. 125, 2 “frauen nadler” statt Frantzen. Str. 124, 3 liefert einen zusätzlichen Personennamen Schomanndt (statt [ist] schonendt, so Mueller). Auch in Str. 83 sind die Lesarten “zaigt” und “liebe” besser.
  179. Die berüchtigte Stelle Str. 99, 7 liest sich nicht besser: “graf focine [statt freine] leouen weller”. Aus Abbickh von Hohenstain (GND) in Str. 106 wird Albikh (zum Vornamen Alwig zu stellen) von Hohenstain, Verfasser des Heinrich von “Teiserbrugkh”, aber damit ist man einer Identifizierung kaum nähergekommen. Bernd Bastert: Der Münchner Hof und Fuertrers ‘Buch der Abenteuer’ (1993), S. 89 bespricht die schwierigen Verse Str. 117, 6-7. Durch die neuen Lesungen “hüten” und “vberguckhet” wird der Text aber zumindest für mich nicht sehr viel verständlicher.
  180. Zu Jan von Sedlitz/Sedlec (Str. 123) vgl. Klaus Graf: “Disez buch ist maister ian”. Zum Eigentümer der ehemals Maihinger Nibelungenliedhandschrift a. In: Archivalia vom 22. November 2013. Heinz von Rechberg (Str. 83f.) wurde schon von Theodor Schön in: Reutlinger Geschichtsblätter 15 (1904), S. 87 zutreffend mit Heinrich von Rechberg von Hohenrechberg zu Weißenstein gestorben 1489 (Totenschild vgl. Harald Drös in: Inschriften.net) gleichgesetzt. Er war Rat Ludwigs des Reichen von Bayern-Landshut, vgl. Beatrix Ettelt-Schönewald: Kanzlei, Rat und Regierung Ludwigs des Reichen von Bayern-Landshut (1450-1479) 2 (1999), S. 611f. Falsch identifiziert unter anderem von Burghart Wachinger in: ²VL 3 (1981), Sp. 935; Mueller S. 53f.; Christine Wand-Wittkowski: Pfalzgräfin Mechthild und ihr literarischer Zirkel. Ein Irrtum der Mediävistik. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 30 (2005), S. 1-27, hier S. 13 Anm. 29 – obwohl Alfred Karnein in: Medievalia et humanistica N.S. 22 (1995), S. 165 Anm. 3 Schöns Identifizierung bereits rezipiert hatte. Falsch angesetzt daher auch in der GND. Zu Heinrich von Rechberg hatte ich in den 1980er Jahren umfangreiche Materialien (vor allem aus den Nördlinger Missiven) zusammengetragen, die leider einem Umzug zum Opfer gefallen sind. Von Liebesbriefen oder literarischen Briefen Rechbergs ist im Ehrenbrief nicht ausdrücklich die Rede. Biographistisch interpretierend möchte ich die Stelle eher auf das abstoßende äußere Erscheinungsbild der eigenhändigen Schreiben des Adeligen beziehen, der ohne seinen treuen Schreiber Konrad Ützlin von Deinbach nur grobes Gekrakel aufs Papier bringen konnte.
  181. Vgl. Klaus Graf: Edition und Open Access, in: Vom Nutzen des Edierens (2005), S. 197-2003 (online).
  182. Hermann Menhardt in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 77 (Tübingen 1955), S. 319f. hat irrtümlich die Angabe in die Welt gesetzt, auch der Ehrenbrief in der damals Herzogenburger Handschrift stamme von Lazius. Korrigiert schon von Klaus Grubmüller in: ²VL 7 (1989), Sp. 920.
  183. Handschriftencensus.
  184. Zu Adelsbibliotheken des bayerischen Raums vgl. grundlegend Christine Reinle: Auf Spurensuche. Recherchen zu Bibliotheken der Ritterschaft im Süden und Südwesten des Alten Reiches. In: Rittersitze (2002), S. 71-109. Weitere Hinweise zu Adelsbibliotheken etwa bei Hans-Werner Langbrandtner/Monika Gussone: Bibliotheken und Musikalien als Spiegel adliger Bildung. In: zeitenblicke 9, Nr. 1 (2010) (online); Klaus Graf: Oberschwäbische Adelsbibliotheken. In: Adel im Wandel (2006), S. 751-762 (online).
  185. Seit Voigt 1924 S. 192-199.
  186. Soukup: Chemie S. 260 nennt das Schloss “den eigentlichen Stammsitz derer von Trenbach”.
  187. Digitalisate von allen drei Handschriften des Bátthyáneums in Alba Julia R I 54, 84, 82 sind online (Handschriftencensus). BSB München: Cgm 375 (Handschriftencensus; Cgm 4871 (Handschriftencensus), 4872 (Handschriftencensus) und 4873 (Handschriftencensus) gehörten ursprünglich zusammen und sind als eine Handschrift gezählt. Prag, Nationalbibliothek, Cod. XVI E 33 (Handschriftencensus), Digitalisat in Manuscriptorium. Leider fehlen im Handschriftencensus derzeit meist die Provenienzangaben. Bei den Wiener Handschriften zitiere ich stattdessen manuscripta.at: Cod. 2808 (manuscripta.at), 2822 (manuscripta.at), 2846 (manuscripta.at), 2994 (manuscripta.at; die Handschrift ist online).
  188. OPAC.
  189. GW.
  190. Vgl. meinen Hinweis in Archivalia vom 29. September 2012 nach http://ipi.cerl.org/. Vgl. Katalog der Rosenwald-Collection (online).
  191. Visio Georgii. Hrsg. von Bernd Weitemeier (2006), S. 235-246.
  192. Andreas Erhard: Untersuchungen zum Besitz- und Gebrauchsinteresse an deutschsprachigen Handschriften im 15. Jahrhundert nach den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek München. Dissertation München 2009, S. 53-129 (online seit 2012).
  193. GND.
  194. Vgl. auch Georg Steer: Hugo Ripelin (1981), S. 256; Erhard S. 68.
  195. Zur Datierung ist auch zu beachten Schneider S. 111 Anm. 89.
  196. Zur Propaganda (lateinisches Siegesgedicht auf die Schlacht, wohl das erste Zeugnis für den Stoff der “Sieben Schwaben, und weitere Quellen) vgl. Klaus Graf: Über den Ursprung der Sieben Schwaben aus dem landsmannschaftlichen Spott. In: Die Sieben Schwaben. Stereotypen. Ludwig Aurbacher und die Popularisierung eines Schwanks (2013), S. 15-17, 20-23, 27-31.
  197. Ältere Aufstellungen zu den Quellen bei Christoph Friedrich Stälin: Wirtembergische Geschichte 3 (1856), S. 541 (online); Joseph Würdinger: Kriegsgeschichte von Bayern, Franken, Pfalz und Schwaben von 1347 bis 1506 2 (1868), S. 52f. (GBS); Riezler Bd. 3, S. 418 (online). Aus der bayerischen Chronistik nenne ich nur Veit Arnpeck: Sämtliche Chroniken. Hrsg. von Georg Leidinger (1915), S. 618f. (online) bzw. lateinische Fassung S. 367f. Zum Gundelfinger Beutebanner vgl. jüngst den Katalog Ritterwelten im Spätmittelalter S. 181-185. Unergiebig sind Thomas Fritz: Ulrich der Vielgeliebte (1441-1480) (1999), S. 268 und die Ausgabe Lorenz Fries: Chronik der Bischöfe von Würzburg 742-1495 Bd. 4 (2002), S. 199.
  198. Ihn druckte Andreas Felix Oefele: Rerum Boicarum Scriptores 1 (1763), S. 398 Anm. (online) nach Cgm 1934.
  199. Christelrose Rischer: Literarische Rezeption und kulturelles Selbstverständnis in der deutschen Literatur der ‘Ritterrenaissance’ des 15. Jahrhunderts (1973).
  200. Vgl. ausführlich Klaus Graf: Ritterromantik? Renaissance und Kontinuität des Rittertums im Spiegel des literarischen Lebens im 15. Jahrhundert. In: Zwischen Deutschland und Frankreich (2002), S. 517-532 (online).
  201. So auch Peter Strohschneider in LiLi 70 (1988), S. 84 (online).
  202. Zur Vorrede von Konrad von Grünenbergs Wappenbuch siehe oben. Zu den damaligen retrospektiven Tendenzen in der Kunst vgl. Klaus Graf: Stil als Erinnerung. In: Wege zur Renaissance (2003), S. 19-29 (online).
  203. Klaus Graf: Ritter. In: Enzyklopädie des Märchens 11 (2004), Sp. 707-723, hier Sp. 710.
  204. Bedauerlicherweise hat die germanistische Forschung zu wenig Notiz von der verstreuten geschichtswissenschaftlichen Literatur zu Püterich genommen. In Bernd Basterts Artikel in der Neuen Deutschen Biographie 20 (2001), S. 763f. (MDZ) vermisse ich insbesondere: Helmuth Stahleder in: Oberbayerisches Archiv 114 (1990), S. 269 (im Rahmen der Familiengeschichte); Christine Reinle: Ulrich Riederer (ca. 1406-1462) (1993), S. 351f.; Gerda Maria Lucha: Kanzleischriftgut, Kanzlei, Rat und Regierungssystem unter Herzog Albrecht III. von Bayern-München 1438-1460 (1993), S. 288-290 (kurioserweise ohne Hinweis auf seine literarischen Aktivitäten, durch die Püterich berühmt wurde); Andrea Klein: Der Literaturbetrieb am Münchner Hof im fünfzehnten Jahrhundert (1998), S. 100-113. Unzulänglich auch Jens Haustein/Redaktion in der Zweitauflage von Killy Literaturlexikon 9 (2010), Sp. 352f. (Auszug GBS).
  205. Zahlreiche Erwähnungen bei Antonia Bieber: Würzburger Ratsprotokolle 1432-1454 (2014), S. 446 (Register) und Ersterwähnung S. 238 mit Anm. 1635 (mit Literaturangaben). – Bei Helmuth Stahleder: Chronik der Stadt München 1 (2003, CD-ROM) erfährt man zu 1452 vor Juni 15, dass Püterich zur Kaiserkrönung Friedrichs III. in Rom war.
  206. Dass die pragmatische Schriftlichkeit, das Geschäftsschriftgut für den Adel eine wichtige Rolle spielte, belegen zahllose Amtsbücher und Akten in den Archiven.
  207. Karl-Heinz Spieß: Zum Gebrauch von Literatur beim spätmittelalterlichen Adel. In: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter (1998), S. 85-101, hier S. 101 (MDZ).
  208. Zur Kritik vgl. auch Graf: “Disez buch ist maister ian”.
  209. GND.
  210. Wieder in: Felix Heinzer: Klosterreform Und mittelalterliche Buchkultur im deutschen Südwesten (2008), S. 135-137 (Auszug GBS).
  211. Das Zitat aus dem Titel des Beitrags von Richarda Bauschke-Hartung im Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 19 (2012/2013), S. 103, in dem gleich mehrere Beiträge das Problem intensiver erörtern.
  212. Ebd., S. 154.
  213. GND. Zum Buch von Bernd Fuhrmann: Konrad von Weinsberg (2010) vgl. meine Besprechung in Archivalia vom 21. Januar 2011.
  214. ²VL 5 (1985), Sp. 269; vgl. auch Klaus Graf: Quellen zur Geschichte der Göppinger Oberhofenkirche (1439, 1447) aus dem Lehenkopialbuch Konrads von Weinsberg und dem Weinsberger Archiv. In: Hohenstaufen, Helfenstein 2 (1992), S. 55-73, hier S. 63.
  215. GND.
  216. Edition durch Ulrich Seelbach im Repertorium der mittelalterlichen Autoritäten (online): “Graue Conrat von weyynsperg”.
  217. ²VL 4 (1983), Sp. 815. Zu Johannes Werner von Zimmern (GND) vgl. jüngst Klaus Graf: Hat Jakob Weiglin “De duodecim abusivis saeculi” übersetzt? In: Archivalia vom 7. Juli 2014.
  218. ²VL 4 (1983), Sp. 814.
  219. Vgl. Georg Stanitzek: Dilettant. In: Reallexikon zur deutschen Literaturwissenschaft ³1 (1997), S. 364-366 (Auszug GBS).
  220. Zimmerische Chronik Bd. 1, S. 461f.; vgl. Frieder Schanze in: ²VL 1 (1978), Sp. 589.
  221. Zimmerische Chronik Bd. 1, S. 583-586.
  222. GBS.
  223. Vgl. Klaus Graf: Hohenurach und seine Gefangenen, in: Stadt, Schloss und Residenz Urach (2014), S. 115-124, hier S. 119f. (online).
  224. ²VL 3 (1981), Sp. 923.
  225. Klaus Graf: Graf Heinrich von Württemberg († 1519) – Aspekte eines ungewöhnlichen Fürstenlebens. In: Württemberg und Mömpelgard 600 Jahre Begegnung (1999), S. 107-120, hier S. 117f. (online); Nachträge in Archivalia vom 23. November 2009. Zu Heinrichs Büchern: Felix Heinzer: Heinrich von Württemberg und Eberhard im Bart: zwei Fürsten im Spiegel ihrer Bücher. In: Der württembergische Hof im 15. Jahrhundert (2006), S. 149-163 online. GND.
  226. Erhard S. 48. Zum Cgm 5237: Handschriftencensus.
  227. Montag S. 50.
  228. Bei Namen aus der Heldenepik halte ich Schlüsse aus dem Namenbefund auf literarische Rezeption nicht für vertretbar: Klaus Graf: Literatur als adelige Hausüberlieferung? In: Literarische Interessenbildung im Mittelalter (1993), S. 126-144 (online).
  229. Im bayerischen Adel ist insbesondere der Name Wigalois, Wiguleus o.ä. ein schon früh geführter Traditionsname, der über die Rezeption literarischer Texte nichts aussagen kann.
  230. GND.
  231. Vgl. die Zusammenstellungen bei Bastert S. 138f. und Friedrich Panzer: Personennamen aus dem höfischen Epos in Baiern. In: Philologische Studien (1896), S. 205-220 (online).
  232. Handschriftenkatalog von Karin Schneider online.
  233. Marburger Repertorium zur Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus; GND.
  234. So Nikolaus Henkel in: ²VL 9 (1995), Sp. 188-190. Vgl. auch Wikisource.
  235. Ediert von Samuel Singer in Zeitschrift für deutsches Alterthum 38 (1894), S. 205f. (online); vgl. auch Der Ritter mit dem Bock. Hrsg. von Wolfgang Achnitz (1997), S. 189 (Auszug GBS). Zum Schlussgedicht Fuetrers vgl. Mueller S. 242-265. Im Cgm 1, Bl. 347va-348vb; SW-Digitalisat MDZ.
  236. Paul Sappler in: Positionen des Romans im späten Mittelalter (1991), S. 144 Anm. 6 (online). Vgl. auch die Bemerkung in meiner Rezension von Klaus Ridder: Mittelhochdeutsche Minne- und Aventiureromane in: Zeitschrift für deutsches Altertum 129 (2000), S. 105 (online). Zur Rolle Schwabens in diesem Text sehe ich keinen Anlass von Klaus Graf: Genealogisches Herkommen bei Konrad von Würzburg und im ‘Friedrich von Schwaben’. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft 5 (1988/1989), S. 285-295 (online) abzurücken.
  237. Hartmut Beckers in: Literarische Interessenbildung (1993), S. 12; Marburger Repertorium zur Übersetzungsliteratur im deutschen Frühhumanismus.
  238. Vgl. zu ihm aus historischer Sicht die Website http://www.bellerkirche.de/Der+Erbauer. Zu den literarischen Aspekten vgl. Hartmut Beckers: Der Püecher Haubet, die von der Tafelrunde Wunder sagen. Wirich von Stein und die Verbreitung des ‘Prosa-Lancelot’ im 15. Jahrhundert. In: Wolfram-Studien 9 (1986), S. 17-45.
  239. Beckers 1993, S. 16.
  240. Zur Stilisierung nach vorgeprägten Mustern methodisch nach wie vor lesenswert: Erich Kleinschmidt: Herrscherdarstellung (1974).
  241. Vgl. meinen Hinweis in Archivalia vom 4. Juni 2014.
  242. Vgl. etwa Graf: Adel als Leitbild; Derselbe: Feindbild und Vorbild. Bemerkungen zur städtischen Wahrnehmung des Adels. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 141 (1993), S. 121-154 (online).
  243. Den Begriff hat eingeführt Gerd Althoff: “Causa scribendi” und Darstellungsabsicht. In: Litterae medii aevi (1988), S. 117-133.
  244. Zu meinem Unbehagen an der Erklärung mit Legitimationszwängen vgl. Graf: Ursprung S. 28f. Gegen die Privilegierung des Politischen im Rahmen eines Konzepts literarischer Interessenbildung (Joachim Heinzle) argumentierte Jan-Dirk Müller in: Literarische Interessenbildung im Mittelalter (1993), S. 370-372.
  245. Jenny S. 166.
  246. Ebd., S. 156.
  247. Vgl. schon Graf: Codexmythen.
  248. Hermann Heimpel: Die Vener von Gmünd und Straßburg 1162-1447 1 (1982), S. 232.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/5283

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Digitale Farbenspiele oder nützliches Werkzeug – Visualisierung von Netzwerken aus den Registern von Editions- und Regestenwerken


Abstract

Im Rahmen der Big-Data-Welle wird sehr interessante kommerzielle aber auch Open-Source Software zur Analyse von großen Datenmengen entwickelt. In diesem Beitrag wird beispielhaft die Open-Source-Visualisierungssoftware Gehpi zur Visualisierung von Netzwerkstrukturen im Personenregister eines Urkundenbuchs verwendet. Prinzipiell ist dieser Ansatz auf weitere Editions- und Regestenwerke übertragbar. Damit könnten die in den Registern abgelegten Informationen über den traditionellen Zugriff hinaus für einen neuen Blick auf das Quellenmaterial nutzbar gemacht werden.

Inhaltsverzeichnis

1 Am Anfang standen Youtube und Facebook

2 Das kumulierte Register der Regesten Kaiser Friedrichs III.

2.1 Die Idee zur Visualisierung von Registerinformationen

2.2 Die Qualität der Netzwerkdaten

2.3 Das Verweissystem des Registers

3 Ein Beispiel

3.1 Das Personenregister im Arnsburger Urkundenbuch

3.2 Vom Text zur Tabelle

4 Visualisierung des Registers mit Gephi

4.1 Umwandlung der Daten in gexf-Format

4.2 Öffnen der gexf-Datei in Gehpi

4.3 Das Data Laboratory

4.4 Auswahl des Layout: ForceAtlas2

4.5 Modularity

4.6 Degree Range

4.7 Timeline

5 Zusammenfassung

1       Am Anfang standen Youtube und Facebook

Anfang des Jahres 2014 stöberte ich an einem Wochenende auf Youtube nach Visualisierungsmöglichkeiten für Netzwerkstrukturen. Dabei stieß ich auf ein Videotutorial[1] des Youtube-Nutzers spaetzletube[2], in welchem dieser die Visualisierung der Netzwerke seines Facebook-Accounts mit der Opensource-Software Gephi[3] vorstellte.

Die Präsentation war sehr gut strukturiert und weckte mein Interesse. Leider besitze ich selbst keinen Facebook-Account um die Visualisierungsmöglichkeiten an eigenen Daten auszuprobieren und fragte eine Kollegin, ob Sie mir nicht ihre Facebookdaten zur Verfügung stellen könnte. Sie war einverstanden und wir analysierten ihre persönlichen Facebooknetzwerke.

Abbildung 2: Das visualisierte Facebooknetzwerk meiner Kollegin.

Abbildung 2: Das visualisierte Facebooknetzwerk meiner Kollegin

Die Ergebnisse waren überraschend klar, man konnte verschiedene Cluster klar voneinander trennen, wie privater Freundeskreis, Kontakte an der Arbeit und Kontakte aus dem Sport.

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2       Das kumulierte Register der Regesten Kaiser Friedrichs III.

Gleichzeitig war ich im Rahmen meiner Arbeit bei den Regesta Imperii gerade an der Vorbereitung der Internetbereitstellung der kumulierten Register der Regesten Kaiser Friedrichs III. beteiligt.

2.1       Die Idee zur Visualisierung von Registerinformationen

Während meiner Arbeiten am Register kam ich auf eine Idee:

Wäre es nicht denkbar, für zwei Personen, die gemeinsam in einem Regest genannt werden, eine Verbindung zu postulieren. Diese Verbindung ist zwar qualitativ schwach aber doch vorhanden und ergibt sich aus den Angaben im Register. Spielt man diesen Gedanken für das gesamte Register durch, müsste sich eine große Zahl von 1zu1-Beziehungen ergeben, wobei jede Beziehung gleichzeitig mit einem Datum und einer Ortsangabe versehen ist, da sie die gemeinsame Nennung in einem Regest repräsentiert und dieses Regest hat in der Regel ein Datum und einen Ausstellungsort.

Wenn es also gelingen könnte, alle gemeinsamen Nennungen, die sich aus den Angaben in einem Register ergeben computerlesbar aufzubereiten, sollte eine Visualisierung dieser Verknüpfungen analog zu o.a. Facebook-Beispiel möglich sein.

Abbildung 3: Die sich aus den Registerangaben ergebenden Beziehungen der in einem Regest genannten Personen

Abbildung 3: Die sich aus den Registerangaben ergebenden Beziehungen der in einem Regest genannten Personen

Zur Illustration der Idee werden in der Abb. beispielhaft die sich aus Regest Nr. 189 des Heftes 19 der Regesten Kaiser Friedrichs III. ergebenden Bieziehungen dargestellt. So sind in dem Regest mehrere Mitglieder der Familie Volckamer genannt, von denen Stephan Volckammer als Lehensträger bestätigt wird. Anwesend war auch Werner von Parsberg, Schultheiß zu Nürnberg. Ulrich Waeltzli, Mitarbeiter in der Kanzlei Friedrichs III., wird im Kanzleivermerk genannt und steht daher auf qualitativ gleicher Ebene wie die oben genannten Personen mit dem Regest in Verbindung. Und hier ist ein erster Hinweis in Hinblick auf die Qualität der Daten nötig.

2.2       Die Qualität der Netzwerkdaten

Man kann mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sowohl die Mitglieder der Familie Volckamer als auch Werner von Parsberg in den regestierten Vorgang eingebunden und möglicherweise auch vor Ort waren. Der im Kanzleivermerk genannte Ulrich Waelzli war dagegen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zugegen[4], würde aber trotzdem in gleicher Weise mit dem Regest in Verbindung gebracht, wie die anderen genannten Personen auch.

Zieht man daher Schlüsse aus der Visualisierung, muss man sich immer bewusst sein, dass die Qualität der Verknüpfungen im Netzwerk schwach ist. Im Gegensatz zu Auswertungen von Daten sozialer Netzwerke haben wir keine ergänzenden persönlichen Informationen, welche die Verknüpfungen weiter gewichten könnten. Andererseits liegen aber sehr viele Verknüpfungsdaten vor, was wiederum trotzdem interessante Aussagen ermöglichen sollte.

2.3       Das Verweissystem des Registers

Eine zweite wichtige Einschränkung ergibt sich aus der Art der Verweise im Register. Für die Analyse von Netzwerken können nur Register verwendet werden, die auf Urkundennummern, Regestennummern oder ähnliches verweisen, also auf Sinneinheiten. Wird dagegen auf Seitenzahlen verwiesen, ist nicht sichergestellt, dass die Verweise sich auf die gleiche Sinneinheit beziehen.

Am Ende der  Analyse des Regests und der ihm zuordneten Registereinträge steht eine Liste von 1zu1-Beziehungen, die mit Netzwerkvisualisierungssoftware wie z.B. Gephi visualisiert werden kann.

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3       Ein Beispiel

040-Arnsburger Urkundenbuch

Abbildung 4: Arnsburger Urkundenbuch

3.1       Das Personenregister im Arnsburger Urkundenbuch

Die im vorherigen Abschnitt vorgestellte Idee diskutierte ich im folgenden mit vielen Kolleginnen und Kollegen und die meisten fanden den Ansatz sehr interessant, aber leider fand sich keiner, der ihn an einem Beispiel hätte umsetzen können. Daher fasste ich den Entschluss, die Idee selbst modellhaft an einem überschaubaren Datenbestand auszuprobieren. Meine Wahl fiel auf das Register des vom Darmstädter Archivar Ludwig Baur bearbeiteten Urkundenbuchs des Klosters Arnsburg in der Wetterau[5], welches Mitte des 19. Jahrhunderts in drei Teilbänden erschienen ist. Das Urkundenbuch enthält im dritten Teil ein Personen- und ein Ortsregister, wobei hier nur das Personenregister verwendet wurde, da es vor allem um Personennetzwerke gehen soll. Als Scan wurde die Version von Google-Books verwendet, deren Bildqualität für die Retrodigitalisierung ausreichend schien.

Abbildung 5: Ausschnitt aus dem Personenregister des Arnsburger Urkundenbuches

Abbildung 5: Ausschnitt aus dem Personenregister des Arnsburger Urkundenbuches

Im ersten Schritt wurde die PDF-Version des Registers mit Hilfe der OCR-Software Abby-Finereader in eine Textdatei umgewandelt und anschließend nachbearbeitet und korrigiert, bis dann schließlich eine Textdatei des Registers zur Verfügung stand, die vom Layout her dem Original entsprach.

Abbildung 6: Ausschnitt aus dem Ergebnis der Digitalisierung des Registers mit Finereader

Abbildung 6: Ausschnitt aus dem Ergebnis der Digitalisierung des Registers mit Finereader

3.2       Vom Text zur Tabelle

Mit Hilfe eines Kollegen[6] gelang es, den Volltext des digitalisierten Registers in eine strukturierte Form zu bringen, die dann die Weiterverarbeitung in eine Tabelle ermöglichte.

Abbildung 7: Strukturierte Textdaten des Registers (beispielhafter Ausschitt)

Abbildung 7: Strukturierte Textdaten des Registers (beispielhafter Ausschitt)

Abbildung 8: Das digitalisierte Register des Urkundenbuchs im Tabellenformat

Abbildung 8: Das digitalisierte Register des Urkundenbuchs im Tabellenformat

In der Tabelle wird beispielhaft der Abschnitt des Registers um den Eintrag des Ritters Cuno Colbendensel aus Bellersheim und seiner Frau Alheid gezeigt. Es ist zu erkennen, dass zu jeder Urkundennummer im Register eine Tabellenzeile erstellt wurde. Jede Tabellenzeile in dieser Datei repräsentiert also die Nennung einer Person in einer Urkunde des Urkundenbuchs.

Abbildung 9: Schaubild zur Erstellung der Tabellenform des Registers aus den Einträgen in der gedruckten Fassung

Abbildung 9: Schaubild zur Erstellung der Tabellenform des Registers aus den Einträgen in der gedruckten Fassung

Die Darstellung der Registerinformationen in Tabellenform erlaubt es durch Sortierung nach Urkundennummern in kürzester Zeit, alle in einer Urkunde genannten Personen aufzulisten.

Abbildung 10: Nach Sortierung der Urkundennummern erhält man alle in der Urkunden 796 vorkommenden Personen

Abbildung 10: Nach Sortierung der Urkundennummern erhält man alle in der Urkunden 796 vorkommenden Personen.

In der Abbildung werden nach Sortierung der Urkundennummern alle in Urkunde 796 im Register genannten Personen sichtbar. Selbstverständlich könnte man mit dem Durchlesen der Urkunden zum gleichen Ergebnis kommen, ggf. hätte man sogar einen besseren Überblick zu den Inhalten von Urkunde 796. Der Vorteil der Tabellenform ist aber, dass sie computerlesbar ist und mit entsprechenden Programmen alle Verknüpfungen gemeinsam sichtbar gemacht werden können.

Mit der Tabelle liegen nun die notwendigen Informationen des Registers computerlesbar vor.

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4       Visualisierung des Registers mit Gephi

4.1       Umwandlung der Daten in gexf-Format

Vor der Visualisierung des Registers mit Gephi müssen die Daten noch in das Gephi-xml-Format gexf[7] umgewandelt werden[8]. Zunächst wird hierfür eine Liste aller im Register vorkommenden Personen erstellt. Sie finden sich im ersten Teil der xml-Datei. Die Einträge zu den einzelnen Personen werden in Gephi als nodes bezeichnet.

Abbildung 11: Liste aller im Register vorkommenden Einträge, in Gephi als nodes bezeichnet

Abbildung 11: Liste aller im Register vorkommenden Einträge, in Gephi als nodes bezeichnet.

Im zweiten Abschnitt der Datei befinden sich dann alle Verbindungen (edges) zwischen Personen (nodes), die sich aus der gemeinsamen Nennung in einer Urkunde ergeben.

Abbildung 12: Abschnitt der XML-Datei, in der die Edges festgelegt werden

Abbildung 12: Abschnitt der XML-Datei, in der die Edges festgelegt werden

In der Abbildung wird beispielsweise eine Verbindung zwischen der Person (node) mit der ID 16 und der Person (node) mit der ID 95 hergestellt. Hinzu kommen noch Angaben zum Ort (Dreise …) und zum Datum (1198-01-01), die sich jeweils aus den Angaben der Urkunde ergeben[9].

4.2       Öffnen der gexf-Datei in Gehpi

Nach der Installation von Gephi können Sie die Datei nun öffnen. Die Präsentation mit Gephi habe ich auch auf Youtube als Video-Tutorial abgelegt:

Die Software Gephi ist Open-Source und unter

www.gephi.org

für die Betriebssysteme Windows, MacOS und Linux erhältlich[10].

Abbildung 13: Gephi nach dem Öffnen der gexf-Datei. In der Mitte die noch unbearbeitete Visualisierung des Registernetzwerkes

Abbildung 13: Gephi nach dem Öffnen der gexf-Datei. In der Mitte die noch unbearbeitete Visualisierung des Registernetzwerkes

 

Abbildung 14: Ansicht auf einen Ausschnitt des Punktequadrats. Jeder Punkt symbolisiert jeweils ein Lemma aus dem Register, jede Linie jeweils eine gemeinsame Nennung von zwei Lemmata in einer Urkunde.

Abbildung 14: Ansicht auf einen Ausschnitt des Punktequadrats. Jeder Punkt symbolisiert jeweils ein Lemma aus dem Register, jede Linie jeweils eine gemeinsame Nennung von zwei Lemmata in einer Urkunde.

 

 

Nach dem Öffnen in Gephi sieht man im mittleren Fenster ein Quadrat, das zunächst die Visualisierung unseres Registernetzwerkes darstellt.

Zoomt man mit dem Mausrad in das Quadrat[11], werden die einzelnen Punkte mit den Verküpfungen sichtbar. Jeder Punkt (Node) symbolisiert jeweils ein Lemma aus dem Register, jede Linie (Edge) jeweils eine gemeinsame Nennung von zwei Lemmata in einer Urkunde.

 4.3       Das Data Laboratory

Wählt man im oberen Bereich des Programmfensters den Reiter Data Laboratory aus, erscheinen die der Netzwerkvisualisierung zu Grunde liegenden Daten. Unter Nodes erkennen wir unsere Personen aus dem Register wieder. Den ersten Eintrag mit der ID 0 bildet z.B. Wigand von Aslar.

Abbildung 15: Das Data Laboratory bietet in Gephi Zugriff auf die Datengrundlage. Hier werden die Nodes angezeigt.

Abbildung 15: Das Data Laboratory bietet in Gephi Zugriff auf die Datengrundlage. Hier werden die Nodes angezeigt.

Unter dem Reiter Edges werden die Verknüpfungdaten (Edges) angezeigt. Der erste Edge verweist auf eine gemeinsame Nennung von Wigand von Aslar (mit der ID 0) und Adelheid, der Witwe des Ritters Johann von Schelm (mit der ID 2), der zweite Eintrag verweist auch von Wigand von Aslar auf einen Wigand mit der ID 1456 usw. Im Datenlabor hat man also Zugriff auf alle der Visualisierung zu Grunde liegenden Daten.

Abbildung 16: Unter Edges werden alle Verküpfungen zwischen den Nodes aufgelistet

Abbildung 16: Unter Edges werden alle Verküpfungen zwischen den Nodes aufgelistet.

 

Abbildung 17: Die Nodes und Edges nach der Anwendung des Layouts ForceAtlas2.

Abbildung 17: Die Nodes und Edges nach der Anwendung des Layouts ForceAtlas2.

4.4       Auswahl des Layout: ForceAtlas2

Kehren wir zum Quadrat zurück, der nun bearbeitet werden soll. Auf der linken Seite des Programmfensters können im Fenster Layout verschiedene Layouts für die weitere Bearbeitung der Daten ausgewählt werden. In unserem Beispiel wenden wir nun das Layout ForceAtlas2 an. Nach kurzer Zeit hat sich unser Quadrat auseinandergezogen und es werden verschiedene Zentren bzw. Gruppen von Nodes sichtbar. In den folgenden Abschnitten werden noch weitere Funktionen erläutert, mit denen charakteristische Merkmale der Daten sichtbar gemacht werden können.

4.5       Modularity

Abbildung 18: Mit der Funktion Modularity farbig markierte Gruppen im Netzwerk.

Abbildung 18: Mit der Funktion Modularity farbig markierte Gruppen im Netzwerk.

Die verschiedenen Gruppen des Netzwerks lassen sich mit weiteren Funktionen aus der Cluster Analyse besser sichtbar machen. Hierfür wählt man am rechten Rand unter Statistics die Funktion Modularity aus, mit der dann die einzelnen Gruppen farbig gekennzeichnet werden.

4.6       Degree Range

Unter dem Reiter Filters am rechten Bildrand gibt es noch weitere Analysemöglichkeiten. Unter dem Punkt Topology befindet sich der Unterpunkt Degree Range. Mit diesem kann man auswählen, wieviele Verknüpfungen eine Node haben muss, damit sie noch angezeigt wird. Für unser Beispiel haben wir die alle Nodes ausgeblendet, die 42 oder weniger Verknüpfungen haben.

Abbildung 20: Netzwerk mit Degree-Range-Filter.

Abbildung 19: Netzwerk ohne Filter.

Abbildung 20: Netzwerk mit Degree-Range-Filter.

Abbildung 20: Netzwerk mit Degree-Range-Filter.

In der oberen Abbildung (Abb. 19) wird das gesamte Netzwerk abgebildet, im unteren Bild (Abb. 20) nur noch jene Nodes, die 43 oder mehr Verknüpfungen haben. Zu diesen „wichtigen“ Nodes lassen sich auch die Namen einblenden.

Abbildung 21: Eingeblendete Namen der gefilterten Nodes.

Abbildung 21: Eingeblendete Namen der gefilterten Nodes.

Wechselt man von dieser Ansicht ins Datenlabor, werden dort nur noch jene Nodes angezeigt, die in der Auswahl vorher sichtbar waren.

Abbildung 22: Blick ins Datenlabor. Hier werden nur noch jene Nodes angezeigt, die vorher in der Auwahl sichtbar waren.

Abbildung 22: Blick ins Datenlabor. Hier werden nur noch jene Nodes angezeigt, die vorher in der Auwahl sichtbar waren.

 4.7       Timeline

Abschließend soll noch die Verwendung der Timeline in Gephi erläutert werden. Die Datengrundlage unserer Visualisierung bilden zum einen die aus dem Register extrahierten Personen (Nodes) und die aus den Urkundenangaben im Register gewonnen Verküpfungen (Edges). Jede Verküpfung zwischen zwei Personen geht also auf die gemeinsame Zuordnung zu einer Urkunde zurück. Die Urkunde selbst hat in der Regel einen Ausstellungsort und ein Datum. Genau diese Angaben kann man den Verknüpfungen zuordnen, so dass sie sowohl räumlich als auch zeitlich eingeordnet werden können. Hier soll nur auf die zeitliche Einordnung eingegangen werden.

Aktiviert man am unteren Ende des Programmfensters in Gephi die Timeline kann ein bestimmter Zeitintervall für die Anzeige ausgewählt werden.

Abbildung 23: Gephi mit aktivierter Timeline.

Abbildung 23: Gephi mit aktivierter Timeline.

In der Abbildung ist zu erkennen, dass die Daten insgesamt einen Zeitraum vom 31.12.1173 bis zum 25.10.1478 umfassen. Zunächst sind alle Jahre ausgewählt, so dass alles angezeigt wird. Schränkt man die Auswahl mit Hilfe des Zeitbalkens am unteren Fensterrand jedoch ein, werden nur noch jene Edges angezeigt, deren Datumsangabe innerhalb des ausgewählten Intervalls liegen.

Abbildung 24: Gephi Timeline mit Auswahl von ca. 50 Jahren.

Abbildung 24: Gephi Timeline mit Auswahl von ca. 50 Jahren.

Je nach Fragestellungen lassen sich hier also Netzwerkstrukturen für bestimmte Zeiträume visualisieren. Es ist auch möglich, ein ausgewähltes Zeitintervall über den gesamten Zeitraum quasi filmartig ablaufen zu lassen, jedoch lässt sich dieses Feature hier im gedruckten Werk nicht darstellen[12].

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5       Zusammenfassung

In diesem Aufsatz wurde gezeigt, wie man Informationen aus dem Register eines gedruckten Urkundenbuchs aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit Software zur Netzwerkanalyse visualisieren und untersuchen kann. Der Aufsatz schildert nur erste Schritte, verdeutlicht aber, dass es sich um einen interessanten Ansatz handelt. Die meisten Editions- und Regestenwerke besitzen Register, die mit vertretbarem Aufwand computerlesbar und der Netzwerkanalyse zugänglich gemacht werden können. Damit bieten sie eine neue Sicht auf das zu Grunde liegende Quellenmaterial, eröffnen neue Forschungsperspektiven und führen auch zu neuen Erkenntnissen, die vorher nicht sichtbar waren. Der hier geschilderte Ansatz führt jedoch nicht zu einer „Antwort-Maschine“, die dem Historiker die Arbeit abnimmt. Vielmehr können sich dem geschulten Auge in den Visualisierungen neue Interpretationsmöglichkeiten des Quellenmaterials bieten, die den Blick auf interessante Zusammenhänge in den Quellen lenken, welche vorher einfach auf Grund der Datenmasse nicht sichtbar gemacht werden konnten.

[3] https://gephi.github.io abgerufen am 18.12.2014.

[4] Hinweise auf die Bedeutung eines Kanzleivermerks.

[5] Urkundenbuch des Klosters Arnsburg in der Wetterau. Baur, Ludwig [Bearb.]. Baur, Ludwig [Hrsg.]. - Darmstadt (1849 - 1851)

[6] Meinem Kollegen Hans-Werner Bartz aus Mainz möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich für die Unterstützung bei diesem Projekt danken.

[7] Vgl. http://gexf.net/format/. Eine Einführung in gexf findet sich unter: http://gexf.net/1.2draft/gexf-12draft-primer.pdf.

[8] Für die Unterstützung bei der Umwandlung der Textdatei in das gexf-Format möchte ich mich bei meinem Kollegen Ulli Meybohm herzlich bedanken.

[9] Bei Dreise handelt es sich um den Ausstellungsort, das im Urkundenbuch genannte Datum 1198 wurde auf 1174-01-01 normalisiert.

[10] Nähere Informationen zur Installation von Gephi finden Sie hier: https://gephi.github.io/users/install/

[11] Unter Windows kann man mit dem Mausrad in das Quadrat zoomen, bei MacOS mit zwei Fingern über das Mousepad streichen.

[12] Wie bereits oben erwähnt können Sie sich die Gehpi-Präsentation auch auf Youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=oZD6GwedbtY ansehen.

D O W N L O A D (pdf)

Zitationsempfehlung/Suggested citation: Andreas Kuczera: Digitale Farbenspiele oder nützliches Werkzeug – Visualisierung von Netzwerken aus den Registern von Editions- und Regestenwerken, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 8. Januar 2015, http://mittelalter.hypotheses.org/5089 (ISSN 2197-6120).

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/5089

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Ferdinand Güterbock – Mediävist und Mitarbeiter der Monumenta Germaniae Historica

Der Beitrag entstand im Rahmen der 2013/14 bei den MGH vorgenommenen Teilerschließung der Akten des „Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde“, vgl. den Bericht unter: http://mittelalter.hypotheses.org/4036. Zu danken habe ich dem Leiter des MGH-Archivs, Prof. Dr. Mentzel-Reuters für die Möglichkeit, die Archivalien auch nach Abschluss des Projekts benutzen zu können.

 

Biographisches

 

Ferdinand Güterbock[1] wurde 1872 als Sohn des Historien- und Orientmalers Leopold Güterbock und einer ebenfalls als Malerin tätigen Mutter in Berlin geboren. Er entstammte einer alteingesessenen jüdischen Familie, ein Vetter war der Königsberger Rechtshistoriker Carl Eduard Güterbock.[2] Auch zu dem Orientalisten Bruno Güterbock, der mit der Schweizer Schriftstellerin Grethe Auer verheiratet war, bestanden verwandtschaftliche Beziehungen. Ursprünglich im kaufmännischen Bereich und im Bankgewerbe tätig, führten Teile der Familie ein Leben als Rentiers wie etwa der Vater von Bruno Güterbock, der mit seinen Brüdern das Bankgeschäft der Eltern aufgegeben hatte.[3] Ferdinand Güterbock heiratete eine Verwandte von Grethe Auer, nämlich Mina Güterbock-Auer. Die Familien Güterbock und Auer waren beide mit dem Schweizer Ort Engelberg verbunden, die Eltern von Ferdinand Güterbock verbrachten dort seit den 1860er Jahren ihre Sommerfrische.[4]

Ferdinand Güterbock promovierte bei Paul Scheffer-Boichorst 1895 über den Frieden von Montebello.[5] Die enge Verbundenheit zu seinem Lehrer geht aus dem Lebensabriss vor, den Güterbock als Mitherausgeber der Schriften Scheffer-Boichorsts verfasste.[6] Güterbocks bevorzugte Forschungsgebiete waren Friedrich Barbarossa, die Geschichte Italiens besonders der Stauferzeit sowie später die Geschichte der Schweiz. Die Archivlandschaft Italiens erschloss Güterbock sich durch regelmäßige Reisen.[7]

Güterbock lebte als Privatgelehrter, ohne jemals ein universitäres Lehramt zu erreichen.[8] Diese Existenz beruhte auf dem Vermögen seiner Familie, das ihm wirtschaftliche Unabhängigkeit ermöglichte. In seiner auch mit Kunstsammlungen ausgestatteten Villa in Berlin-Steglitz führte er einen gastlichen Haushalt, der einen beliebten Treffpunkt für Historiker darstellte. Güterbock suchte dabei auch den wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern.[9] Heute kaum noch bekannt und aufgrund der Exklusion infolge des ‘Dritten Reichs’ in der Wissenschaftsgeschichte marginalisiert, war Güterbock offensichtlich gut vernetzt und auch ohne akademisches Amt voll anerkannt. Mit dem Wissenschaftsorganisator und späteren Vorsitzenden der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica, Paul Fridolin Kehr verband ihn Freundschaft[10] wie auch mit den Monumentisten Erich Caspar und Robert Holtzmann.[11] Für den Historiker Karl Hampe und seine Familie stellte Güterbock eine von deren engsten Vertrauenspersonen dar.[12]

Ob seine Gelehrtenexistenz mit den auch nach 1918/19 durchaus fortbestehenden Beeinträchtigungen, als Jude eine akademische Karriere erreichen zu können, zusammenhing, mag dahingestellt bleiben.[13] Dass Güterbock, der sich offensichtlich wie so viele jüdische Intellektuelle und Gelehrte voll mit dem Kaiserreich identifizieren konnte,[14] antisemitischen Anwürfen ausgesetzt war, belegt seine wissenschaftliche Kontroverse mit dem Schüler Hampes, Karl Schambach, über Heinrich den Löwen.[15]

Güterbock emigrierte 1937 in die Schweiz,[16] wo er sich in Weggis niederließ und kurz vor seinem Tod auch eingebürgert wurde.[17] In seinen letzten Lebensjahren beschäftigte er sich besonders mit der Geschichte der Benediktinerabtei Engelberg, in der er – mitten in der Arbeit an einer Studie über die Gründung des Klosters – 1944 infolge einer Embolie oder Herzattacke verstarb.[18]

 

Güterbock und die Monumenta Germaniae Historica

 

Bereits seit Mitte der 1890er Jahre stellte Güterbock den Ertrag seiner Archivreisen nach Italien wohl auch den Monumenta etwa in Form der Erstellung von Kollationen zur Verfügung.[19] Erstmals offizielle Verbindungen lassen sich nach der Jahrhundertwende feststellen. Oswald Holder-Egger als gewählter, aber nicht ernannter Vorsitzender der Zentraldirektion und Leiter der Abteilungen Scriptores und Epistolae stattete im Jahresbericht für 1905 Güterbock seine Dankesschuld für die Untersuchung einer Abschrift der von ihm selbst bearbeiteten Chronik des Salimbene de Adam aus dem 16. Jahrhundert ab.[20] Güterbock wurde außerdem Mitarbeiter des „Neuen Archivs“ und trug darin kurz vor dem Ersten Weltkrieg eine Fehde mit Johannes Haller aus, in der sich sowohl Harry Bresslau, als auch die Redaktion – Michael Tangl, Karl Zeumer und sein Mitarbeiter Richard Salomon – auf seine Seite stellten.[21] Güterbock übernahm immer wieder kleinere Aufgaben im Rahmen der Monumenta, so zum Beispiel die Vergleichung von Handschriften der Schrift „De ruina civitatis Terdonae“ im Rahmen einer Italienreise.[22] 1925 wurden ihm die „Historia Frederici I“ von Otto Morena sowie die Faventiner Chronik des Magister Tolosanus übertragen.[23] Die Bearbeitung von Quellen italienischer Schriftsteller aus der Stauferzeit durch Güterbock hatte bereits Holder-Egger beabsichtigt: Nach einer handschriftlichen Aufzeichnung bot dieser dem jüdischen Gelehrten nicht nur die Werke von Morena und Tolosanus an, sondern plante auch die Aufnahme von „De ruina civitatis Terdonae“ ins Editionsprogramm. Da die Ausgaben italienischer Schriftsteller nach dem Tod Holder-Eggers zurückgestellt worden waren, regte Güterbock ihre Wiederaufnahme selbst an.[24] Für die Arbeit an der Morena-Edition unternahm er 1926 eine Archivreise nach Mailand, Modena und Faenza.[25] Die Morena-Edition konnte bereits 1930 erscheinen.[26] Zu Tätigkeiten im Rahmen der Faventiner Chronik finden sich keine weiteren Hinweise.[27] Güterbock verfügte aber offensichtlich über ein gewisses Interesse, sich langfristig aktiv oder aber theoretisch in das Editionsprogramm der Monumenta einzubringen. 1931 legte er der Zentraldirektion ein Gutachten über die Scriptores-Abteilung vor, in dem er verschiedene Ideen zur Verbesserung der auf Holder-Egger und Bresslau zurückgehenden Editionsmethoden, aber auch der Druckgestaltung entwickelte.[28]

Die Aufnahme Güterbocks in die Zentraldirektion wurde unter der Ägide Paul Fridolin Kehrs erwogen. Anlässlich der Jahressitzung 1931 erörterte man die Frage der Zuwahl von neuen Mitgliedern ausführlich, wobei verschiedene Kandidaten zur Debatte standen. Der der Zentraldirektion bekanntermaßen grundsätzlich nicht unbedingt positiv gegenüberstehende Kehr schlug „nach dem Bedürfnis der Arbeiten“ der Monumenta Güterbock, der „viel gearbeitet“ habe und Ernst Perels, von dem „sachlich etwas […] zu erwarten“ sei, vor: „Beide könnten erwünscht oder doch tragbar erscheinen.“ Auch Karl Hampe sprach sich „entschieden für Güterbock“ sowie Perels aus, ein Votum, dem sich Wilhelm Levison anschloss. Ernst Heymann stimmte ebenfalls für Perels, für den nur Oswald Redlich „sich nicht recht erwärmen“ konnte, „obwohl er ein trefflicher Editor sei.“ Letztlich stellte jedoch nur Hampe einen offiziellen Antrag auf Zuwahl, und zwar von Erich Caspar. Nach Wiederaufnahme der Diskussion in der Nachmittagssitzung beantragten einzelne Zentraldirektoren die Zuwahl verschiedener Kandidaten: Levison die von Perels, Güterbock und Percy Ernst Schramm, Adolf Hofmeister die von Bernhard Schmeidler und Edmund Ernst Stengel sowie Hampe zusätzlich zu Caspar die von Robert Holtzmann. Kehr empfahl daraufhin, obwohl er selbst sich nochmals für Perels und Güterbock aussprach, „angesichts gewisser Schwierigkeiten, und da 3 Mitglieder der ZD. fehlen, wohl besser diesmal von Zuwahlen überhaupt abzusehen.“ Formell abgestimmt wurde schließlich nur über die Aufnahme von Caspar in die Zentraldirektion, wonach Levison, da die Abstimmung negativ ausfiel, seinen Antrag auf Zuwahl von Perels und Güterbock zurückzog. Eine Erweiterung der Zentraldirektion kam somit nicht zustande.[29] Eine erneute Diskussion zwei Jahre später und damit bereits nach der ‘Machtergreifung’ wurde nun von Kehr abgeschmettert. Weder die Zuwahl des von ihm später als seinen Nachfolger befürworteten Karl August Eckhardt, die Heymann vorgeschlagen hatte, noch die von Güterbock oder Perels waren Kehr jetzt genehm. Die Meinung Heymanns, man brauche einen ‘jüngeren Mann’, teilte Kehr nicht, er sah darin eine Bedrohung seiner Autorität als Vorsitzender.[30]

In den Akten der 1935 in ein „Reichsinstitut für Ältere Deutsche Geschichtskunde“ umgewandelten Monumenta taucht der Name Güterbocks nur noch am Rande auf, inwieweit nach der nationalsozialistischen ‘Machtergreifung’ noch persönliche Kontakte fortbestanden, lässt sich daraus nicht erschließen.[31] Güterbocks Arbeiten wurden allerdings im Reichsinstitut weiterhin wahrgenommen (und auch rezensiert). 1937 bat der damalige Leiter des Reichsinstituts, Wilhelm Engel, den Direktor des Departementalarchivs von Vesoul, Jacques Dropet, um Photographien von Siegeln aus Vesoul, die Güterbock in einem Aufsatz besprochen hatte.[32] Im Jahr 1938 leitete die Landesbibliothek Hannover einen Brief Güterbocks mit der Bitte um Bearbeitung an das Reichsinstitut weiter. Güterbock benötigte Photographien eines Briefes von Notar Burchard aus dem Jahr 1161, die Handschrift war gerade an das Reichsinstitut aus Hannover verliehen worden.[33] 1942 riet Präsident Edmund Ernst Stengel dem Archivar und Byzantinisten Werner Ohnsorge, in einem Aufsatz über die Byzanzpolitik Friedrich Barbarossas für das „Deutsche Archiv“[34], „im Text lieber keine Namen aus der neueren Forschung über den Prozeß Heinrichs des Löwen zu nennen“ und in den Anmerkungen „entweder nur die letzte Arbeit G a n a h l s [sic] mit Hinweis auf das dort gegebene Schrifttum oder aber neben ihr auch die übrigen wichtigsten neueren Arbeiten“ zu verzeichnen. Im letzteren Falle könne er auch auf Güterbock verweisen, dem „in vieler Beziehung“ zwar nicht zu folgen sei, der aber „das Problem unbedingt sehr stark“ gefördert habe.[35] Ohnsorge war an einer „leisen Hervorhebung“ u.a. der Arbeit von Güterbock, dem er inhaltlich nicht zustimmte, „gelegen“.[36] Planungen zwischen dem Präsidenten Theodor Mayer und Martin Lintzel bezüglich möglicher Beiträger zur Festschrift für Robert Holtzmann Ende 1942 schlossen Güterbock – neben Richard Koebner und Wilhelm Levison! – aufgrund des „Arierparagraphen aus“.[37]

 

Ferdinand Güterbock und Benito Mussolini

 

In politischer Hinsicht bemerkenswert ist Güterbocks Sympathie für Benito Mussolini, der Güterbock in zwei Audienzen 1923 und 1924 als ersten Deutschen überhaupt empfing.[38] Güterbock legte 1923 aus der Perspektive des wissenschaftlich ausgewiesenen, lebenslangen Quellenforschers in Italien und damit auch Kenners der zeitpolitischen Umstände eine Studie über die Entstehung des Faschismus vor. Er begründete dieses Werk mit der singulären Neuheit von Mussolini und seiner Bewegung, die eine reizvolle Aufgabe für jeden Historiker darstellen müsse.[39]

Güterbock nimmt in dem knapp 130-seitigen Werk, das auf der Auswertung italienischer Zeitungen beruht, zwar vordergründig eine objektive Position ein, das von Mussolini auf ihn ausgehende Faszinosum wird aber deutlich erkennbar. Die Charakterisierung als ‘Tatmensch’, ‘Führernatur’ und ‘Realpolitiker’ hebt auf die Singularität des ‘Duce’ ab, explizit nennt Güterbock „eine ausgesprochene Persönlichkeit, deren Bekanntschaft zu machen wohl der Mühe lohnt.“[40] Die von Güterbock vorgenommenen Zuschreibungen sind ohne weiteres im Kontext des Führer-Diskurses der Weimarer Zeit zu verorten.[41] Die Ehrlichkeit von Mussolinis Absichten sieht er für gegeben an, und auch die so wahrgenommene Entwicklung ‘vom Sozialismus zum Chauvinismus’ beurteilt er als logische Folge eines aufrechten Charakters.[42] Obwohl Güterbock in der gesamten Darstellung zwar den Ton des objektiven historiographischen Berichterstatters beibehält,[43] liefert er indirekte Stellungnahmen und am Schluss einen Ausblick, der seine eigene Haltung zu erkennen gibt.

Es ist offensichtlich gerade die Verbindung nationaler und sozialer Ideen, die Güterbocks Beifall findet und seine für das nationale Bürgertum so typische Furcht vor dem Sozialismus bedient: Mussolini habe die Sozialisten gezwungen, „von dem Plan einer Terrorisierung des Bürgertums Abschied zu nehmen.“[44] Sein Sozialismus sei der einer praktischen Anwendung durchaus berechtigter sozialer Ideen und nicht Ausdruck blinden Parteidoktrinarismus’.[45] Die grundsätzliche Zuschreibung eines weltfremden Utopismus an sozialistisch und kommunistische Gesellschaftsentwürfe wird in der Formulierung, dass jedoch Mussolini „gerade aus Liebe zum Proletariat praktisch durchführbare Vorschläge mache und keinen Utopien nachjage“[46], deutlich. Affirmativ erscheint Güterbocks Bemerkung, dass nach Mussolini „das Klasseninteresse des Proletariats dem Interesse der Nation unterzuordnen sei.“[47] Bei allem Verständnis für berechtigte soziale Forderungen, so offensichtlich auch Güterbock: Das Wohl des Volksganzen, der Nation, steht höher. Güterbocks Charakterisierung von Mussolinis „jugendfrische[...][m]“ Nationalismus lässt unschwer Sympathien für die darin von ihm perzipierten Elemente dieses Nationalgedankens fassen, „der dem Vaterlande die natürlichen Grenzen geben, der möglichst allen Volksgenossen in Europa die nationale Einigung bringen und sie zu einer ‘friedlichen Expansion im Mittelmeer und in der Welt’ führen“ wolle. Inhärent sei ihm zugleich die „Bekämpfung der krankhaften Keime des Staatsorganismus wie der Volksseele, durch eine Demokratisierung und Modernisierung der Verfassung, durch eine gesunde Sozialgesetzgebung, eine freiheitliche Wirtschafts- und eine strenge Finanzpolitik“ um das Land „innerlich [zu] regenerieren und mit neuen Kräften [zu] erfüllen […].“[48]

Auch die Elemente zeitgenössischer Parlamentarismuskritik scheinen auf, wenngleich Güterbock hier wiederum nicht direkt Stellung bezieht. Er vermerkt, dass Mussolini „hitzig […] gegen die Schwäche des liberalen Staates und gegen die Energielosigkeit der bisher herrschenden demokratischen Partei“ polemisiert habe.[49] Noch deutlicher spricht er an anderer Stelle von Mussolinis Eintreten gegen „das demokratisch-sozialistische Dogma der Vergötterung der Majorität, das dem gesunden Menschenverstand oft widerstreite“ und gegen „das demokratische System einer Nivellierung des Lebens und einer Züchtung des Mittelmaßes.“[50] Ein identifikatorisches Potenzial besitzen ganz offensichtlich Elemente der faschistischen Ideologie, die sich als Eintreten für die Interessen aller sozialen Klassen interpretieren lassen. So weist Güterbock den Vorwurf italienischer Sozialisten an den Faschismus als Interessenvertreter der „Kapitalisten, […] Industriellen und Großgrundbesitzer“ zurück. Obwohl „Angehörige der Industrie und der Landwirtschaft aus Besorgnis vor der bolschewistisch-sozialistischen Gefahr die Fascisten durch Zuwendung von Geld, Waffen und Automobilen unterstützt“ hätten und „heute hinter dem Unternehmen Mussolini stehen“ würden, könne man Mussolini nicht die Begünstigung „wirtschaftlicher Sonderinteressen“ vorwerfen und ihn „am allerwenigsten ein Diener kapitalistischer Interessen“ nennen. Güterbock bekräftigt vielmehr den in seinen Augen vorrangig idealistischen Charakter der Bewegung, „die in verschiedenen Gegenden verschiedene Bevölkerungsklassen […] ergriffen hat, die jedem etwas bieten und die alle Berufsstände in gleicher Weise umspannen möchte.“[51] Den Begriff der ‘Volksgemeinschaft’, der seit den 1860er Jahren für verschiedenste politische Richtungen feststellbar ist und von radikalnationalistischen wie völkischen Kreisen infolge des Ersten Weltkriegs zum verschiedene Minderheiten ausschließenden Konzept der rassischen Gemeinschaft umgedeutet wurde[52], verwendet Güterbock nicht.

Apologetisch klingen Güterbocks Bemerkungen zu möglichen Kritikpunkten aus bürgerlich-liberaler Sicht wie etwa zum Thema Antisemitismus, dem er eine Relevanz innerhalb der faschistischen Bewegung abspricht. So gebe es zwar Anklänge bei Mussolini selbst und einzelnen Vertretern des Faschismus, aber andererseits habe der ‘Duce’  den Antisemitismus 1921 öffentlich verworfen und auch im Parteiprogramm sei er nie ‘bemerkbar’ hervorgetreten.[53] Einen ähnlichen Tonfall schlägt er in Bezug auf den Einsatz von Gewalt als politisches Mittel durch den Faschismus an. Der „manchmal […] übermäßig rohe[...] Charakter“ des Faschismus gehe auf das Konto von „Verbrechernaturen“, Mussolini selbst hingegen erlaubte nach Güterbock Gewalt nur als „Abwehrmaßnahme[...]“.[54]  An anderer Stelle nennt er Gewalttaten „vorübergehende Rückfälle in Kinderkrankheiten“ oder ein „nur ein vorübergehend anzuwendendes Mittel im Kampf gegen antinationale Strömungen“.[55] Allerdings erklärt Güterbock mit der Begründung, Druck erzeuge Gegendruck, die zukünftige Aufgabe terroristischer Methoden zur Schicksalsfrage: Mussolini müsse sein Werk auf die Grundlage einer freiheitlichen Ordnung stellen.[56]

Die Bemerkungen zur Situation in Italien nach dem Staatsstreich zielen auf als positiv beurteilte Maßnahmen in verschiedenen Bereichen und spiegeln damit unverkennbar politische Urteile des Kommentators wider. In der Wirtschaftspolitik etwa diagnostiziert Güterbock das Überwiegen liberaler Prinzipien bei kleinstmöglichen staatlichen Eingriffen im Interesse der Produktionssteigerung.[57] Die beabsichtigte „Eindämmung der parlamentarischen Tätigkeit und eine Reform des parlamentarischen Wahlrechtes“ begründet Güterbock explizit mit Machtsicherung aber auch der angeblichen erzieherischen Absicht Mussolinis, „die […] Abgeordneten zu umsichtigeren Vertretern der italienischen Nation zu erheben“, eine Formulierung, aus der das parlamentarismuskritische Topos des ‘Parteiegoismus’ hervorgeht.[58] Die Metapher des Arztes, „der auch vor chirurgischen Eingriffen und scharfen Kuren nicht zurückschreckt“ zielt auf den so perzipierten Reformcharakter des Faschismus, „der in den lange verschlossenen dumpfen Bürokratenstuben rücksichtslos die Fenster“ aufreiße und „frische Zugluft eindringen“ lasse.[59]

Eine Parallelisierung zum Deutschland Anfang der 20er Jahre nimmt Güterbock selbst vor, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu präsentieren. Zwar sieht er im Reich „vielfach parallele Krankheitsempfindungen und Gefühlsregungen“ vorhanden und meint damit „eine Reaktion gegen übertriebene Sozialisierungsversuche, eine Unzufriedenheit mit dem unfähigen Bürokratentum, eine Abneigung gegen den schlaffen Parlamentarismus, eine Regeneration des Nationalismus“[60]; schätzt grundsätzlich Italien aber für ‘kränker’ und damit reformbedürftiger ein. Hier erteilt er explizit „äußere[n] Begleiterscheinungen […] wie de[...][m] Gummiknüppel“ die Absage, adaptionswürdig sei jedoch „die eigentliche fascistische Medizin mit ihren manchesterlichen und nationalistischen Bestandteilen“.[61] Hier geht Güterbock auch direkt auf die nationalsozialistische Bewegung ein, die er vom Faschismus abgrenzt. Mussolini selbst habe betont, dass es keine Berührungspunkte zum ‘bayerischen’ Nationalsozialismus gebe und auch Güterbock konstatiert, dass dieser sich „in der Tat von seinem italienischen Vorbild nur das Mittel des Gummiknüppels und das Ziel einer nationalen Diktatur aneignet, ohne in den Kern des Problems einzudringen.“[62]

In einem Beitrag zur Festschrift seines Schullehrers, des jüdischen Pädagogen und Historikers Moritz Schäfer, unternimmt Güterbock ein paar Jahre später eine eher kursorische Einordnung Mussolinis in die Geschichte der Stadt Rom seit der Antike.[63] Hier hebt er die Stützung der „Staatsautorität“ und des „Nationalgefühls“ der Italiener durch antike Reminiszenzen des Faschismus besonders hervor. Er weist ihre Einschätzung als „theatralische[...] Aueßerlichkeiten“ zurück, sie hätten vielmehr zu einem Aufschwung der italienischen Wissenschaft, besonders der Archäologie, geführt.[64] Neben der Förderung archäologischer Projekte durch Mussolini streicht Güterbock ausdrücklich die „politischen imperialistischen Tendenzen“ in Nachfolge „der alten Römer“ etwa in Form von Expansionstendenzen im Norden heraus. All dies habe dazu geführt, dem italienischen Volk, „das zum Partikularismus wie zur Schwäche und Korruption“ neige, ein „stärkeres Nationalgefühl“ zu verleihen, wie auch „Ordnungssinn und Selbstzucht“.[65] Der nach Güterbock seit dem Mittelalter in Italien eingetretenen „Verweichlichung“ – als Beispiel nennt er die Niederlage römischer Truppen 1167 vor Tusculum – suche der Faschismus „durch sportliche[...] und militärische[...] Ausbildung“ entgegenzutreten, um „ein neues männliches kampfbereites Geschlecht heranzuerziehen und zu diesem Behuf das Menschenmaterial des heimatlichen Bodens umzuformen durch Beschwörung der Geister der Ahnen.“[66]

Man wird Güterbocks Stellungnahmen zum italienischen Faschismus – und damit indirekt auch zur Weimarer Republik – als Ausdruck eines dem politischen Umsturz nach dem Ersten Weltkrieg skeptisch gegenüberstehenden bürgerlichen Liberalismus begreifen müssen. Kritik an einem als ausschließlichen Diener von Sonderinteressen aufgefassten Parlamentarismus, Sympathien für die Vorstellung einer nationalen Volkseinheit, scharfe Frontstellung gegen den Sozialismus und Bolschewismus bei gleichzeitiger Sehnsucht nach Erneuerung und Reform, Führer-Diskurs – Güterbock artikuliert hier Denkmuster ehemals demokratisch-liberalen, nun in die politische Sinnkrise geratenen Bürgertums. Dazu tritt die Verkennung des faschistischen Antisemitismus – wobei seine diesbezügliche Einschätzung des Nationalsozialismus offenbleiben muss.[67]

 

[1]    Die biographischen Angaben folgen: Beck, Marcel, Ferdinand Güterbock +, in: Neue Zürcher Zeitung, 29.04.1944, Bl. 2; Vasella, Oskar, Nekrolog Ferdinand Güterbock, in: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte 38 (1944), S. 160; Holtzmann, Walther, Nekrolog Ferdinand Güterbock, in: Deutsches Archiv 8 (1951), S. 498; ders., Ferdinand Güterbock, in: Historische Zeitschrift 172 (1951), S. 433f. Vgl. auch: Kies, Dorothea, Die Juden und die MGH. Jüdische und jüdischstämmige Monumenta-Mitarbeiter im Spiegel ihrer Zeit, Magisterarbeit Tübingen ca. 2012 (PDF-Version: http://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/b/b070295.pdf), S. 91-93.

[2]    Carl (auch: Karl) Eduard Güterbock (1830-1914), seit 1851 evangelisch getauft, erlangte 1865 eine ordentliche Professur in Königsberg. Zu seinen Spezialgebieten zählte die Geschichte des mittelalterlichen Strafrechts; vgl.: Claußen, Hans-Kurt, „Güterbock, Carl Eduard“, in: Neue Deutsche Biographie 7 (1966), S. 290.

[3]    Zu Bruno Güterbock (1858-1940) und Grethe Auer (1871-1940) vgl. die Autobiographie: Auer, Grethe, Wenn ich mein Leben betrachte… Wien – Bern – Marokko – Berlin. Erinnerungen. Im Auftrag von Hans Gustav Güterbock hg. von Herzeleide Henning, Berlin 1995. Zur Familie Güterbock siehe auch: Panwitz, Sebastian, Die Gesellschaft der Freunde 1792-1935. Berliner Juden zwischen Aufklärung und Hochfinanz (= Haskala. Wissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 34), Hildesheim u.a. 2007, S. 66 und 301. Bruno Güterbocks Name findet sich auch in den Akten der Monumenta Germaniae Historica: 1909 teilte der Vorsitzende der Zentraldirektion mit, dass durch Vermittlung Güterbocks die Bibliothek seines Freundes Ludwig Traube in das Eigentum des Reichs und in den Besitz der MGH übergegangen sei, Protokoll der 35. Plenarversammlung der Zentraldirektion, 15.04.1909, MGH-Archiv 338/47, Bl. 12. Bruno Güterbock konvertierte zum protestantischen Glauben; vgl. Renger, Johannes, Altorientalistik und jüdische Gelehrte in Deutschland – Deutsche und österreichische Altorientalisten im Exil, in: Jüdische Intellektuelle und die Philologien in Deutschland 1871-1933 (= Marbacher Wissenschaftsgeschichte 3), hg. von Wilfried Barner und Christoph König, Göttingen 2001, S. 247-262, hier S. 256.

[4]    Heer, Gall, Einführung, in: Güterbock, Ferdinand, Engelbergs Gründung und erste Blüte 1120-1223. Neue quellenkritische Forschungen von Ferdinand Güterbock. Aus seinem Nachlass herausgegeben von P. Gall Heer, Zürich 1948, S. VI-VII. Auch Bruno Güterbocks Familie hielt sich regelmäßig dort auf, siehe: Auer, Erinnerungen (wie Anm. 3), S. 259.

[5]    Güterbock, Ferdinand, Der Friede von Montebello und die Weiterentwicklung des Lombardenbundes. Von Ferdinand Güterbock. Mit Widmung des Verf. an Prof. Holder-Egger, Berlin 1895.

[6]    Güterbock, Ferdinand, Aus Scheffer-Boichorsts Leben, in: Gesammelte Schriften von Paul Scheffer-Boichorst. 1. Bd.: Kirchengeschichtliche Forschungen, Berlin 1903, S. 1-62.

[7]    Holtzmann, Nekrolog (wie Anm. 1), S. 498; Beck, Güterbock (wie Anm. 1), Bl. 2. Zu Güterbocks Werk siehe auch: Beck, Marcel, Bibliographie der historischen Arbeiten von Ferdinand Güterbock, in: Güterbock, Ferdinand, Engelbergs Gründung und erste Blüte 1120-1223. Neue quellenkritische Forschungen von Ferdinand Güterbock. Aus seinem Nachlass herausgegeben von P. Gall Heer, Zürich 1948, S. 144-147. Vgl. zu Güterbocks Forschungen zu Barbarossa: Berwinkel, Holger, Die Schlacht bei Legnano (1176), in: Kirche und Frömmigkeit – Italien und Rom. Colloquium zum 75. Geburtstag von Professor Dr. Jürgen Petersohn. Würzburg, 7. und 8. Mai 2010, hg. von Jörg Schwarz, Matthias Thumser und Franz Fuchs, Würzburg 2012, S. 70-80, hier S. 70f., S. 75f.

[8]    In den Jahresberichten der Monumenta Germaniae Historica nach dem Ersten Weltkrieg erscheint Güterbock unter dem Titel eines Professors, vgl. z.B.: Kehr, Paul, Bericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae Historica 1920, in: Neues Archiv 44 (1922), S. 1-10, hier S. 4. So auch Vasella, Nekrolog (wie Anm. 1), S. 160.

[9]    Holtzmann, Nekrolog (wie Anm. 1), S. 498; Beck, Güterbock (wie Anm. 1), Bl. 2.

[10]  So Holtzmann, Nekrolog (wie Anm. 1), S. 498; Beck, Güterbock (wie Anm. 1), Bl. 2.

[11]  Beck, Güterbock (wie Anm. 1), Bl. 2.

[12]  Reichert, Folker, Gelehrtes Leben. Karl Hampe, das Mittelalter und die Geschichte der Deutschen (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 79), Göttingen 2009, S. 249.

[13]  Eine Parallele stellt das Leben seines Verwandten Bruno Güterbock dar: Sein Amt als Schriftführer der Deutschen Orient-Gesellschaft, was u.a. die Herausgabe des Publikationsorgans wie auch der wissenschaftlichen Veröffentlichungen ihrer Mitarbeiter beinhaltete, übte er ohne Bezahlung aus. Güterbock erhielt später die Ehrenprofessorwürde; so Auer, Erinnerungen (wie Anm. 3), S. 271-273.

[14]  Vgl. seine Reaktion auf den Ausbruch des 1. Weltkriegs: Reichert, Hampe (wie Anm. 12), S. 203.

[15]  Dargelegt bei: Reichert, Hampe (wie Anm. 12), S. 166, S. 251f.

[16]  So Kies, Juden (wie Anm. 1), S. 92.

[17]  Heer, Einführung (wie Anm. 4), S. VIf.

[18]  Kies, Juden (wie Anm. 1), S. 92f.; Beck, Güterbock (wie Anm. 1), Bl. 2.

[19]  Güterbock, Ferdinand, Einige Beobachtungen zu den SS-Editionen, 25.10.1931, MGH-Archiv 338/52, Bl. 137f., hier Bl. 138.

[20]  Holder-Egger, Oswald, Bericht über die 31. Jahresversammlung der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica, in: Neues Archiv 30 (1905), S. 1-12, hier S. 5.

[21]  Güterbock hatte der Feststellung von Johannes Haller, das Privileg Friedrichs I. für Kloster Neuburg von 1174 stelle eine Fälschung dar, massiv und rhetorisch recht unverblümt widersprochen; vgl.: Güterbock, Ferdinand, Ein echtes und ein unechtes Privileg Friedrichs I. für Kloster Neuburg (im Elsass), in: Neues Archiv 38 (1913), S. 559-561. Eine Erwiderung Hallers erschien nicht, weil dieser sich weigerte, die aus Sicht der Redaktion zu ausfälligen Formulierungen seiner „Gegenerklärung“ zu modifizieren. Vgl. den Brief von Harry Bresslau an Karl Zeumer, 12.10.1913, MGH-Archiv 3338/66: Haller „unterstellt, daß er [d.i. Güterbock; Anm.d.V.] seinen Artikel nicht aus wissenschaftlich-sachlichen, sondern aus persönlichen Motiven, um Haller zu diskreditieren, geschrieben habe. Ein solcher Vorwurf, wenn er nicht bewiesen werden kann, erscheint mir unzuläßig.“ Siehe auch den Brief Karl Zeumers an Michael Tangl mit der Zustimmung zu Harry Bresslaus Gutachten, 14.10.1913 sowie den Briefwechsel zwischen Michael Tangl und Johannes Hallers Anwalt F. Sailer aus dem Mai 1914 mit dem Rückzug von Hallers Erwiderung; ebd. Zur Redaktion des „Neuen Archivs“ durch Karl Zeumer und Michael Tangl bzw. später Ernst Perels vgl.: Schaller, Annekatrin, Michael Tangl (1861-1921) und seine Schule. Forschung und Lehre in den Historischen Hilfswissenschaften (= Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 7), Stuttgart 2002, S. 250-252.

[22]  Kehr, Paul, Bericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae Historica 1920, in: Neues Archiv 44 (1922), S. 1-10, hier S. 4; ders., Bericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae Historica 1921, in: Neues Archiv 45 (1924), S. 1-13, hier S. 4. Im MGH-Archiv findet sich eine kurze Zusammenstellung der von Güterbock für die MGH geleisteten Arbeiten, darunter auch seine Aufsätze für das „Neue Archiv“, MGH-Archiv 338/52, Bl. 124.

[23]  Kehr, Paul, Bericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae Historica 1925, in: Neues Archiv 46 (1926), S. *I-*VIII, hier S. *IV.

[24]  Güterbock, Ferdinand, Pro memoria von Editionen italienischer Schriftsteller der Stauferzeit, 01.4.1926, MGH-Archiv 338/41, Bl. 136-138.

[25]  Kehr, Paul, Bericht über die Herausgabe der Monumenta Germaniae Historica 1926, in: Neues Archiv 47 (1928), S. I-VII, hier S. III. Belege für weitere Italienreisen im Dienst der Monumenta finden sich z.B. in der Jahresrechnung der Zentraldirektion für 1928 mit der Erstattung der Auslagen Güterbocks von 800 Mark, MGH-Archiv 338/191.

[26]  Güterbock, Ferdinand (Hg.), Das Geschichtswerk des Otto Morena und seiner Fortsetzer über die Taten Friedrichs I. in der Lombardei (= MGH SS rer. Germ. n.s. 7), Berlin 1930.

[27]  Nach Holtzmann, Nekrolog (wie Anm. 1), S. 498, hinderte die Vertreibung durch die Nationalsozialisten sowie der Kriegsausbruch Güterbock an der Inangriffnahme der Edition.

[28]  Güterbock, SS-Editionen (wie Anm. 19), Bl. 137f. Konkret mahnte Güterbock dabei an, auf genauere Feststellung der Entstehungsdaten von Textteilen zu achten, bei der Eruierung der Quellen noch weiterzugehen, im Fall zweifelhaften Wortlauts bei mangelhafter Überlieferung in der Edition Elemente zur Nachprüfung anzugeben sowie klassische und Vulgata-Zitate nicht wörtlich wiederzugeben. Für die Indizes schlug er möglichst vollständige Namen- und beschränkte Sachregister vor; geographische Ortsbestimmungen sollten allgemein verständlich nach nahe gelegenen größeren Städten oder Ortschaften nach dem Vorbild von Georg Heinrich Pertz vorgenommen werden. Die Namensformen von Orten und Personen seien nach Urkundenbüchern anzusetzen. Das Druckbild wünschte Güterbock sich möglichst klar und übersichtlich, außerdem eine weitergehende Vereinheitlichung aller Bände.

[29]  Protokoll der Sitzung der Zentraldirektion, 24.04.1931, MGH-Archiv 338/51, Bl. 116-118.

[30]  Protokoll der Ausschusssitzung der Zentraldirektion, 29.04.1933, MGH-Archiv 338/52, Bl. 55.

[31]  Vgl. dazu die Bemerkungen im Nachruf des Perels-Schülers Oskar Vasella, demzufolge „die Beziehungen mit dem einstigen Wirkungskreis auch nie ganz ab[rissen]“, ders., Nekrolog (wie Anm. 1), S. 160.

[32]  Wilhelm Engel an Jacques Dropet, 19.07.1937, MGH-Archiv B 539, Bl. 109. Es handelt sich um den Aufsatz: Güterbock, Ferdinand, Zur Geschichte Burgunds im Zeitalter Barbarossas, in: Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 17,2 (1937), S. 145-229. Siehe auch die Rezension im Deutschen Archiv 2 (1938), S. 289f.

[33]  Landesbibliothek Hannover an das Reichsinstitut, 12.03.1938, MGH-Archiv B 540/41, Bl. 90f. (Brief Güterbocks beigefügt).

[34]  Ohnsorge, Werner, Die Byzanzpolitik Friedrich Barbarossas und der “Landesverrat” Heinrichs des Löwen, in: Deutsches Archiv 6 (1943), S. 118-149.

[35]  Edmund Ernst Stengel an Werner Ohnsorge, 06.01.1942, MGH-Archiv B 569, Bl. 415.

[36]  Werner Ohnsorge an Edmund Ernst Stengel, 09.01.1942, MGH-Archiv B 569, Bl. 413.

[37]  So Martin Lintzel an Theodor Mayer, 26.12.1942, MGH-Archiv B 569, Bl. 86.

[38]  Schieder, Wolfgang, Mythos Mussolini, München 2013, S. 106f.

[39]  Güterbock, Ferdinand, Mussolini und der Fascismus, München 1923, S. 5. Eine erweiterte, ins Spanische übersetzte Ausgabe erschien ein Jahr später; vgl. ders., Mussolini y el fascismo, Berlin 1924. Im Wintersemester 1924/25 nahm Güterbock an einer Vortragsreihe der Universität Königsberg zum Thema „Romanische Völker“ teil und fasste seine Beobachtungen zu Mussolini und zum Faschismus dort noch einmal bündig zusammen; ders., Mussolini und der Fascismus, in: Die romanischen Völker (= Auslandsstudien 1), Königsberg 1925, S. 89-110. Vgl. zu Güterbocks Buch auch: Damm, Matthias, Die Rezeption des italienischen Faschismus in der Weimarer Republik (= Extremismus und Demokratie, Bd. 27), Baden-Baden 2013, S. 181f. Rezensiert wurde Güterbocks Studie im Berliner Tageblatt von dem Kulturhistoriker und Schriftsteller Mario Krammer, der ebenfalls Mitarbeiter der Monumenta war, ebd.

[40]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 9. Vgl. ebd.: „Feuergeist, der mit zündenden Worten sein Land in den Weltkrieg trieb und der als ein geborener Beherrscher der Menge erscheint, [..] ein die Majorität verachtender Individualist, der ‘die Aristokratie der Intelligenz und Kraft’ verherrlicht; ein warmherzig für die Freunde empfindender Mensch und andererseits eine auf die Gegner rücksichtslos einstürmende, roh gewaltsame Kampfnatur […]; ein heißblütiger, begeisterungsfähiger Idealist und zugleich ein dogmenfeindlicher, klar und konsequent denkender Realpolitiker […]; bei alledem ein aufrechter Charakter, der ohne ein Prinzipienreiter zu sein, doch mannhaft für seine Überzeugung eintritt […].“

[41]  Eine Auswahl bei Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 126: „ein ganzer Mann; seinem Wesen haftet nichts Schwächliches oder Weichliches, nichts Dekadentes an.“; ebd.: „unersättlicher Tätigkeitsdrang“; S. 127: „aristokratische Machttheorien und Gewaltmethoden, mit denen er auch über Leichen geht und gleicherweise Gegner und Anhänger niederhält. Ja, er übertrumpft als Herrennatur sogar den eisernen Kanzler und wandelt als nietzschescher Übermensch auf den schwindelnden Pfaden eines Napoleon, indem er gelegentlich die drohende Geste des Diktators fast zynisch herausfordernd hervorkehrt“.

[42]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 23.

[43]  Güterbocks Bemühungen um eine Objektivierung zeigen sich besonders in seinen Ausführungen zum Ersten Weltkrieg, die der in anderen zeitgenössischen deutschen Schriften zum Thema so hervorstechenden nationalen bis nationalistischen Empörung vollständig entbehren. So beurteilt Güterbock die italienische Position äußerst verständnisvoll und begründet den Kriegseintritt aufseiten der Entente mit Fehlern Österreich-Ungarns auf dem Balkan; Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 25-39. Obwohl er die ‘Gräuelpropaganda’ der Entente gegenüber Deutschland kritisiert, versucht er ihren medialen Erfolg in Italien teilweise wiederum zu erklären. In Bezug auf die Deutschfeindlichkeit Mussolinis lässt sich nur eine indirekte Stellungnahme durch die Bezeichnung des „italienischen Clemenceau“ (S. 45) erkennen und er zieht aus ihr sogar den Schluss – auch wenn ‘uns’ diese Einstellung Mussolinis unsympathisch erscheine – dass der ‘Duce’ sich dadurch nationale Verdienste errang, weil er den italienischen Kriegswillen aufrecht erhielt, S. 46.

[44]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 76. Vgl. auch die Bemerkung Güterbocks im Kontext von Mussolinis Deutschlandreise: Das Reich habe „in schwierigster Lage sich von dem Bolschewismus nicht infizieren“ lassen „und der roten Sturmwelle einen unerschütterlichen Damm entgegen[...][gesetzt]“; ebd., S. 95.

[45]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 23.

[46]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 101. Der Faschismus stelle im Gegensatz zum Bolschewismus ein realpolitisches Reformieren statt des ‘Beseitigens’ in den Mittelpunkt, ebd., S. 129.

[47]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 100.

[48]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 62.

[49]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 105.

[50]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 106.

[51]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 75. Vgl. noch pointierter S. 131: „[...] die Einigung der verschiedensten Volksklassen auf ein gemeinsames Programm, der Zusammenschluß von Stadt und Land, von Intelligenz und Proletariat, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, von konservativen Monarchisten und radikalen Republikanern zu einer einheitlichen Partei.“

[52]  Vgl. dazu: Bruendel, Steffen, Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die „Ideen von 1914“ und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, Berlin  2003, bes. S. 275ff.

[53]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 63f.

[54]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 75.

[55]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 83 bzw. S. 87.

[56]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 128. Kurz darauf konstatiert Güterbock aber auch, der Faschismus habe den revolutionären Überschwang seiner Anfänge bereits überwunden, S. 129

[57]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 124.

[58]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 125.

[59]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 125.

[60]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 130. Vgl. ebd.: „Immerhin werden wir aus der Geschichte des italienischen Faschismus auch manches für die Behandlung unseres erkrankten Volks- und Staatskörpers – man denke nur an die bürokratischen Auswüchse unserer Wohnungsämter – lernen können.“

[61]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 130.

[62]  Güterbock, Mussolini (wie Anm. 39), S. 130.

[63]  Güterbock, Ferdinand, Roma Aeterna und der moderne Fascismus, in: Festschrift zum 70. Geburtstage von Moritz Schaefer, Berlin 1927, S. 79-84.

[64]  Güterbock, Roma Aeterna (wie Anm. 63), S. 80.

[65]  Güterbock, Roma Aeterna (wie Anm. 63), S. 82.

[66]  Güterbock, Roma Aeterna (wie Anm. 63), S. 83f.

[67]  Vgl. hier wiederum die Haltung seines Verwandten Bruno Güterbock: Nach Grethe Auer waren sie und ihr Ehemann Anhänger der rechtsliberalen DVP, weil die eigentlich bevorzugte DNVP wegen ihres Antisemitismus nicht wählbar erschien, Auer, Erinnerungen (wie Anm. 3), S. 377.  Das Ehepaar begrüßte sogar die ‘Machtergreifung’ von 1933, da es sie aus starker Sympathie mit der Arbeiterschaft als Revolution von rechts und verhinderten Klassenkampf begriff, ebd. S. 391. Die 1940 verstorbene Auer verharmlost in ihren Erinnerungen die antisemitischen Maßnahmen des NS-Regimes, von denen das Ehepaar und ihre zwei Söhne selbst betroffen waren.

 

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Empfohlene Zitierweise:
Nikola Becker: Ferdinand Güterbock – Mediävist und Mitarbeiter der Monumenta Germaniae Historica, 18. September 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/4304 (ISSN 2197-6120).

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/4304

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Mediävistik auf dem Ameisenpfad oder: Mit der ANT das Königreich der Himmel stürzen

 

Ameisen1Ameisen ‘ernten’ Weizen. Aus dem Bestiarium des Philippe de Thaon (um 1121). Quelle: Wikimedia Commons

„Ich muss Sie leider warnen: Ich bin nur ein einfacher Doktorand“ – „die anderen Studenten haben mich gewarnt, ich solle das ANT-Zeug nur mit der Pinzette anfangen“.[1] So lauten zwei Fragmente eines fiktiven Dialogs, der ins Büro eines renommierten Gastprofessors an der London School of Economics führt. Der Autor des Textes, der französische Soziologe Bruno Latour, gefällt sich darin in der Rolle des unbequemen Dozenten, der das Welt- und Wissenschaftsverständnis seines Besuchers gründlich durcheinanderwirbelt. Ob der enigmatischen Einlassung seines Gesprächspartners, der das Theoriegerüst der Dissertation genüsslich zerpflückt und doch kein gleichwertiges Gegenmodell zu präsentieren vermag, wendet sich der Nachwuchswissenschaftler schließlich ernüchtert ab: Er werde es lieber mit Niklas Luhmann versuchen und künftig die Finger von der Akteur-Netz­werk-Theorie (ANT) lassen.

Forscherinnen und Forschern der mediävistischen Fachdisziplinen ein derartiges Frustrationserlebnis zu ersparen, ist das erklärte Ziel dieses Beitrages. Er bezweckt in dieser Hinsicht dreierlei: Zunächst soll er eine knappe Einführung in das Theoriedesign der ANT bieten.[2] Auf der Sachebene zeichnet er sodann ein konkretes Netzwerk nach. Exemplarisch soll auf diesem Weg schließlich die Frage beantwortet werden, inwieweit die Quellendichte des Mittelalters es überhaupt gestattet, sich des methodischen Instrumentariums moderner Sozialwissenschaften zu bedienen. Ist die ANT dazu geschaffen, „Luxusprobleme“[3] zu bearbeiten, die im Überlieferungshorizont der Epoche keine geeignete Materialgrundlage finden? Oder gestattet sie es im Gegenteil, über bislang wenig beachtete Zeugnisse einen neuen Zugang zur Geschichte des Mittelalters zu gewinnen?

Die Akteur-Netzwerk-Theorie im Aufriss

Enttäuschung mag sich vornehmlich dann einstellen, wenn man von der ANT einen elaborierten Erklärungsansatz, einen festen Theorierahmen oder gar ein Makromodell sozialer Strukturzusammenhänge erwartet. Sie selbst versteht sich in erster Linie als ein heuristischer Erfassungs- und Beschreibungsmodus des empirisch Gege­benen. Als solcher lenkt sie den Blick auf ein hybrides Gefüge aus menschlichen und materiellen Entitäten, geschaffen und zusammengehalten durch reziproke und multilaterale Assoziationen. Metaphorisch ließe sich dieses Gebilde mit einem Fischernetz vergleichen, dessen Knoten die jeweiligen Akteure repräsentieren.[4] Jeder von ihnen wird nur durch die Verknüpfung mit anderen Knotenpunkten in seiner Position gehalten, ausgerichtet und ggf. verschoben. Als flexible Verbindungsstränge dienen Performanzen, das Netzwerk wird prozesshaft auf der Handlungsebene konstituiert. Als Knoten bzw. Akteure zu verstehen sind folglich allein jene „Entitäten, die Dinge tun“[5] und zugleich „von vielen anderen zum Handeln gebracht“[6] werden. Dies schließt explizit nicht-humane Elemente mit ein, sofern sie von anderen Mitwirkenden mit Handlungspotential versehen werden. Die Dinge geraten dadurch, erlöst aus ihrem Schlummer als museale Schaustücke und befreit von den Banden unverrückbar ‚objektiver’ Existenz, ins Zentrum wissenschaftlicher Vergangenheitsrekonstruktion.

Der veränderte Blickwinkel erweist sich indes als voraussetzungsvoll. Bruno Latour bezeichnet die ANT zu Recht als „negatives Argument“: Sie hegt eine grundlegende Aversion gegen konstruktivistische Zugriffsweisen, die auf das Apriori abstrakter Modellbildung, den alles durchdringenden „Äther des Sozialen“, angewiesen sind.[7] Daher meidet sie Begriffe wie ‚Gesellschaft’, ‚Struktur’ oder ‚System’ und verweigert sich den Dichotomien von Mikro und Makro, Kultur und Natur. Der virulenten ‚Metasprache der Soziologie’ sucht sie durch eine ‚Infrasprache’ beizukommen, deren Begriffsinstrumentarium einen vorurteilslosen Zugang zu allen Akteuren gestattet. Zur ANT-Terminologie – deren „lächerliche Armut“ wohl allein ihr Schöpfer selbst zu preisen vermag[8] – zählen Assoziationen, Allianzen und Aktanten (performativ mit Handlungsmacht ausgestattete Entitäten), Blackboxes, Symmetrien (gleichwertige Einbeziehung von Menschen und Dingen) und Übersetzungen (das Aufbauen und Aushandeln von Assoziationen, verbunden mit einer Modifikation von Interessen und Identitäten). Es ist der forcierte Gestus des Gegenaufklärers, sein sperrig-kapriziöser Schreib­stil, mit dem Bruno Latour mehr als seine ANT-Mitstreiter akademische Abwehrreflexe ausgelöst hat. Es waren und sind seine ‚kleinen’ Essays und konkreten Fallstudien, durch die er den nicht-initiierten Leser zu gewinnen vermag. Insofern möchte ich mich im Folgenden mit der Sprache und Sichtweise der ANT einem einzelnen ausgewählten ‚Gegenstand’ der mittelalterlichen Geschichte zuwenden: Der Lichterscheinung in der Grabeskirche zu Jerusalem am 21. April 1101.[9]

Ameisen2Auf dem Ameisenpfad. Foto: „Worker ant carrying leaf“ von Scott Bauer, U.S. Department of Agriculture via Wikimedia Commons

Alte Allianzen und neue Konstellationen

Mit den Augen der ANT betrachtet blickt man auf eine Allianz, deren Geschichte sich seit dem 9. Jahrhundert gut nachzeichnen lässt: Sie verbindet Gott und die christlichen Kirchen, lässt sich in einem konkreten Kirchbau lokalisieren und assoziiert Akteure unterschiedlicher Art. Bereits der knappe Report des fränkischen Mönches Bernard enthüllt um 870 eine Bündniskonstellation, die ohne materielle Mittler in Form von Klängen, Lampen und transzendenten Effekten historisch niemals wirksam geworden wäre: „Nach Ab­schluss der Messe wird das Kyrie eleison angestimmt, bis durch das Eintreffen eines Engels das Licht in den Lampen aufleuchtet, die über dem genannten Grab hängen. Von diesem spendet der Patriarch den Bischöfen und dem übrigen Volk, damit jeder von ihnen das eigene Heim beleuchte.“[10] In diesem Miteinander von Menschen und Dingen ‚übersetzten’ sich die beteiligten Entitäten wechselseitig: Mit der Aura des Heiligen versehen, verwandeln die Gebete und brennenden Lampen die versammelte Menge in wahre Gläubige, welche die Evidenz des Wunders wiede­rum effektiv bezeugen. Der Pakt beruhte demnach auf einem erfolgreichen ‚Enrolement’, das die Vertragspartner durch attraktive Identitätsangebote zu gewinnen verstanden. Innerhalb dieser ‚Heiligen Allianz’ agiert der Klerus mit dem Patriarchen an der Spitze als anerkannter Regisseur: Er orchestriert die Rollenzuweisung und definiert den ‚obligatorischen Passage­punkt’, den alle Mitwirkenden zur Erfüllung ihrer Ziele durchschreiten müssen.[11] Die liturgischen Handlungen markieren zugleich die Distanz zum Kollektiv der ‚Ungläubigen’, die sich der Assoziation von Wunder­zeichen und Heilsgewissheit ostentativ verweigern. Lateinische, griechische und selbst ara­bische Textzeugnisse weisen muslimischen Protagonisten einhellig die Rolle von Störern zu.[12] All ihr Be­mühen, das Bündnis durch alternative Deutungsangebote zu sprengen, ist freilich zum Scheitern ver­ur­teilt: Die Manipulation des Materiellen – durch kupferne Dochte etwa oder Diebstahl der Kerzen – und eine waffenstarrende Drohkulisse entfalten letztlich nur affirmative Wirkung.[13] Gleichwohl waren die Mus­lime keineswegs vom Mirakelereignis ausgeschlossen: Vor der Eroberung Jerusalems 1099 und erneut nach dem Ende der Kreuzfahrer­herrschaft fungierten sie als scheinbar interessenlose Garanten für die Authentizität des Wundergeschehens. Für diese Rolle ließen sie sich nicht zuletzt deshalb rekrutieren, weil das Heilige Feuer einen weiteren materiellen Akteur zu mobilisieren vermochte: „Entweder ist dem Fürsten der Geldbetrag lieber, der dir aus dieser Quelle zufließt, oder die Aufklärung darüber“, so fasst der arabische Gelehrte al-Dschaubari im 13. Jahrhundert diese wirkmächtige Verbindung prägnant zusammen.[14]

Die Wende zum 12. Jahrhundert bezeichnet in mehrfacher Hinsicht den Bruch etablierter Bünd­­nisstrukturen. Kurz nach der Ankunft der Kreuzfahrer zeigten sich erste Friktionen im Kollektiv der christlichen Glaubens­brüder, das sich alljährlich am Grab des Herrn versammelt hatte. Der amtieren­de Patriarch von Jerusalem, Daimbert von Pisa, war durch die abend­ländische Eroberung an die Spitze der lokalen Hierarchie getragen worden. Als Reprä­sentant der römischen Kirchen­reform suchte er den lateinischen Ritus in der Heiligen Stadt rigoros durchzusetzen.[15] Die ecclesia orientalis, zu deren Befreiung die Kreuzfahrer einst ausgezogen waren, war im Verlauf des Unternehmens sukzessive unter Häresieverdacht geraten und hatte in der Grün­dungs­phase des Königreichs Jerusalem allenthalben an Boden verloren. Während die syrisch-ortho­­doxe Geistlichkeit die Stadt bereits vor ihrer Einnahme zeitweilig geräumt hatte[16], büßte der griechische Klerus unter Federführung Daimberts u.a. seine Pfründen an der Grabes­kirche ein: „Die Franken gingen so weit, alle Armenier, Griechen, Syrer und Georgier aus ihren Klöstern zu vertreiben“, so resümiert der armenische Chronist Matthäus von Edessa.[17] Gleichwohl war auch die Stellung des lateinischen Patriarchen keineswegs gefestigt: Nur fünf Tage vor dem Osterfest des Jahres 1101 war sein Zerwürfnis mit Bal­duin I. offen zu Tage getreten, als der König Daimbert formell der Veruntreuung und des Verrats bezichtigte. Balduin selbst rang im ersten Jahr seiner Regierung um die politische und militärische Kontrolle seines von zahlreichen Seiten bedrohten Königreiches. Das bevorstehende Hochfest eröffnete ihm die Gelegenheit, die Befehls­haber eines genu­esischen Flottenverbandes für seine Ziele zu gewinnen. Unter diesen Vorzeichen avancierte das Heilige Feuer zum allseits begehrten Bündnispartner. Den Akteuren in und um die Grabeskirche bot es die Möglichkeit, sich in der Allianz zwischen Gott und den Menschen selbst als Mittler zu verankern und die eigene prekäre Position durch den erneuerten Pakt mit den himmlischen Mächten sichtbar und dauerhaft zu stabilisieren.

Doppelte Übersetzungen

Noch zu Ostern 1100, dem ersten Jahr nach der Eroberung, schien die Situation hinreichend kontingent, um die alten Allianzen abermals zu reaktivieren: In der Nacht zum 1. April jedenfalls ging die Feier der gaudia Paschalia in der Grabeskirche solemnis – also wohl störungsfrei – vonstatten.[18] Für das Folgejahr jedoch weiß die Chronik Fulchers von Chartres konsterniert zu berichten: „Alle wurden in Verwirrung gestürzt wegen des Feuers, das wir am Samstag im Grab des Herrn nicht empfingen“.[19] Das Ausbleiben des Licht­wunders stieß bei den zeitgenössischen Berichterstattern auf breite Resonanz, der Ablauf der Ereignisse lässt sich dadurch erstaunlich präzise rekonstruieren:[20] Unter der Leitung Daimberts begann man um die dritte Stunde mit der Messfeier. Die Perikopen wurden dabei abwechselnd in lateinischer und in griechischer Sprache gelesen. Zumal die wundersame Entzündung des Feuers traditionell in den frühen Nachmittagsstunden erfolgte, dauerte das Hochamt annähernd bis zur Non an und wurde abrupt unterbrochen, als griechische Geistliche erstmals das Kyrie eleison anstimmten: „Ich Fulcher aber, der solche Klänge niemals vernommen hatte, und viele andere (…) sprangen mit zerknirschten Herzen, die Augen zum Himmel gewandt vom Boden auf und erwarteten bereits das Erscheinen des gnadenbringenden Lichts irgendwo in der Kirche“.[21]

Diese Hoffnung wurde enttäuscht, die Lesungen wiederaufgenommen und schließlich wieder und wieder flehentlich das Erbarmen des Herrn herbeigerufen. Irritiert öffnete der Patriarch die Pforten der Grabeskapelle um dort persönlich nach dem Heiligen Feuer zu suchen. Vergebens, die alten Allianzen verweigerten sich der neuen Kräftekonstellation. Die Kreuzfahrer hatten das etablierte Netzwerk zerrissen, erwiesen sich selbst gegenüber Gott und seinen Geschenken aber als nicht koalitionsfähig. Von einem Augenblick zum anderen schienen sie von Befreiern in Zerstörer des Heiligen Grabes ‚übersetzt’.

In der Forschungslogik Bruno Latours bildet „jedes Ding, das eine gegebene Situation verändert, indem es Unterschiede macht“, einen Akteur.[22] Diese Definition schließt das Heilige Feuer zweifellos mit ein: Es war kein bloßer Gegenstand der Geschichte, kein passives Objekt diskursiver Sinnzuschreibung, sondern besitzt unübersehbar „phänomenologische Gewalt“[23] über andere Akteure. Seine schiere physische Präsenz – oder eben Absenz – schuf Verbindungen und Verbindlichkeiten, stiftete eine relationale Ordnung zwischen den Anwesenden und verlieh damit dem Osterfest seine spezifische Dramaturgie. Die Protagonisten des Jahres 1101 adaptierten das veränderte Drehbuch und akzeptierten scheinbar demütig ihre ‚Übersetzung’ in reuige Büßer. Der Patriarch zog gleichwohl alle Register, um aus seiner gewandelten Rolle heraus neuerlich Bündnisverhandlungen mit dem Spender des Heiligen Feuers anzuknüpfen. Er legte ein ausführliches Sündenbekenntnis ab, gab den Bischofsstab zugleich mit dem geistlichen Hirtenamt aus der Hand, warf sich unter Tränen flehentlich zu Boden und forderte die Anwesenden auf, es ihm gleich zu tun.[24] Doch alle Demutsgesten genügten nicht, um Gehör bei Gott zu erlangen. Daimbert sah sich daher genötigt, dem zunehmend riskanten Aushandlungsprozess ein abruptes Ende zu setzen. Der versammelten Menge stellte er in öffentlicher Predigt vor Augen, dass gerade mit der Gewinnung Jerusalems für die Christenheit jeglicher Anlass für göttliche Gnadenzeichen entfallen sei: „Solange sich diese heilige Stadt in der Gewalt der Heiden befand, war es gut und gerecht, dass Gott durch seine Wunderwerke die Ungläubigen zum Glauben führte“.[25] Diese gedankliche Kapriole eröffnete die Aussicht, den lateinischen Eroberern ihre Identität als Befreier des Heiligen Grabes zurückzugeben. Allein, nur die sapientiores unter den Zuhörern zeigten sich geneigt, das veränderte Deutungsangebot anzunehmen.[26] Daimbert entschloss sich daher, den Schauplatz zu wechseln und auf diese Weise einen neuen materiellen Akteur zu rekrutieren. Barfüßig führte er eine Bittprozession zum Tempel Salomons, der aus biblischer Tradition heraus als geeigneter Ort erschien, in Zwiesprache mit dem Allerhöchsten zu treten. Griechen und Syrer hingegen blieben in der hereinbrechenden Dämmerung betend und klagend vor den verschlossenen Pforten der Grabeskirche zurück.[27] Dieses Neu­­arrangement führte endlich zum Erfolg: In den ersten Morgenstunden des Ostertages wurde vermeldet, dass zwei Leuchter im Kircheninneren durch göttliche Einwirkung entflammt seien. Der Patriarch eilte mit den Schlüsseln schleunigst zum Heiligen Grab zurück und zündete dort die erste Wachskerze an. Jubel erhob sich, Glöckchen wurden in der ganzen Stadt geläutet und der Chronist Fulcher ließ gemeinsam mit anderen das Kyrie eleison erschallen. Die Klänge der griechischsprachigen Liturgie etablierten sich damit erneut als Mittler, der die einheimischen Christen als Rechtgläubige rehabilitierte.[29] Kaum hatten die Lateiner die Kirche verlassen, wiederholte sich das Lichtwunder während der Messe der Syrer und bis zur Vesper hatten sich 16 Lampen scheinbar ohne menschliches Zutun entzündet.[28] „Wie sehr wir auch zuvor gelitten hatten, so sehr frohlockten wir nunmehr angesichts des Wunders“, so resümiert Fulcher von Chartres den Ausgang des Geschehens.[30] Durch die Reintegration des materiellen Akteurs wurden die menschlichen Mitwirkenden erneut ‚übersetzt’.

Tatsächlich wandelte sich mit der Wiederkehr des Wunders die Kräftekonstellation des Kreuz­­fahrerkönigreiches grundlegend. Daimbert von Pisa wurde „von allen nach übereinstimmendem Willen und Zuspruch wiedergewählt“[31] – konnte seine Position also vorübergehend stabilisieren. Sein Nachfolger Ebremar beeilte sich am Jahreswechsel 1102/3, den ritus anteriorum in der Grabeskirche wieder einzuführen, verbunden vermutlich mit einer Pfründen­restitution zugunsten des einheimischen Klerus.[32] Der Kirchenbau avancierte in der Folge zum multirituellen Ort, der von Lateinern, Griechen, Syrern, Armeniern und Kopten simultan genutzt wurde.[33] Zumindest in den Augen des Armeniers Matthias von Edessa markierte das Ausbleiben des Lichtwunders den historischen Wendepunkt: „Als also die Franken dieses furchterregenden Fingerzeigs gewahr wurden, der eine göttliche Ermahnung darstellte, da (…) stellten sie jede Gemeinschaft wieder an ihren angestammten Platz.“[34] König Balduin I. schließlich gelangte zu einem günstigen Vertragsabschluss mit den Genuesen, deren Flotte ihm wenige Wochen später die Einnahme der Küstenstadt Arsuf ermöglichte. Er trat als Garant religiöser Pluralität in die Fußstapfen der muslimischen Emire und etablierte sich als Zentralfigur des Zeremonialgeschehens, der unter anderem die erste am Heiligen Feuer entzündete Kerze zustand.[35] Die neue Allianz präsentierte sich damit als Aktualisierung altbewährter Assoziationen.

Menschen und Dinge zusammendenken

Das Heilige Feuer des Jahres 1101 scheint mit jenem Tageslichtprojektor vergleichbar, dessen Ausfall Bruno Latour exemplarisch schildert: Erst das Eintreten der Funktionsstörung macht die Existenz des Gerätes vollends bewusst und enthüllt das Netzwerk aus Ersatzteilen, Lieferanten und Monteuren, die mit ihm verbunden sind: „Wir konzentrieren uns nicht länger auf das Objekt, sondern sehen eine Gruppe von Menschen um dieses Objekt“. Der Moment der Krise vermag die Vielfalt der Verbindungen in einer ‚Blackbox’ sichtbar zu machen, die sonst „vollkommen unsichtbar im Hauptprogramm unseres Handelns“, dem großen Gang der Geschichte, verschwindet.[36] Das Ausbleiben des Lichtwunders leistet Ähnliches: Es lenkt den Blick auf Assoziationen, die gewöhnlich unter dem Berichthorizont unserer Quellen bleiben. Es offenbart, wie sich der Lauf der Geschichte durch das Dazwischentreten materieller Handlungsträger, eines widerständigen Netzwerkknotens, performativ veränderte.

Vollständig aufschlüsseln lässt sich der Inhalt der ‚Blackbox’ indes nicht mehr, das Mirakelereignis entfaltet seine Mobilisierungseffekte nur als inenarrabile mysterium.[37] Allein einige arabische Autoren suchen mit Hilfe vermeintlich „rational technische[r] Erklärungen“ und in unverkennbar polemischer Absicht zum Kern des Geschehens vorzudringen.[38] Die Lampen würden vermittels eines Auslösemechanismus über ein balsamgetränktes Seil artifiziell ‚ferngezündet’.[39] Als Drahtzieher glaubt die moderne Forschung überwiegend die griechisch-ortho­doxe Geistlichkeit aus­ge­macht zu haben, deren „fromm gemeinte[n] Feuerwerkszauber (…) um 1100 von den Kreuzfahrern noch nicht durchschaut wurde“.[40] Sie hätte ihren Wissensvorsprung in manipulativer Weise zur Diskreditierung des lateinischen Patriarchen ausgespielt.

Kon­stru­iert wird unter der Prämisse naturwissenschaftlicher Faktizität mithin eine einfache Kausalkette, die dem komplexen Geflecht von Interessen und Identitäten kaum gerecht werden kann. Die ANT schließt hingegen mit dem Prinzip eines ‚allgemeinen Agnostizismus’[41] die Privilegierung scheinbar objektiv-technischer Lesarten aus. Ihr Credo, einfach ‚den Akteuren zu folgen’, führt hinter die Kulissen monokausaler Konspirationshypothesen und holt sämtliche Handlungsträger auf die Bühne historischer Interpretation. Dort treten sie nicht als autonom agierende Virtuosen, sondern als Gesamtensemble in Erscheinung. Sie autorisieren und befähigen sich wechselseitig dazu, Handlungsmacht über andere auszuüben: Nicht ‚die Orthodoxen’ oder ‚der Zündmechanismus’ machten am 2. April 1101 Geschichte. Erst das Zusammenspiel aller Kräfte gestaltete das Drama jenes denkwürdigen Osterfestes.

In Szene gesetzt wurde das Stück demnach weder durch einen individuellen Akteur noch durch eine überwölbende Idee. Sein Skript lässt sich schwerlich aus dem Ideal christlicher caritas oder gar einem kategorischen Imperativ ableiten. Die ANT hilft dabei, das ‚Königreich der Himmel’ zu stürzen: Die Notwenigkeit zur friedlichen Koexistenz, die „Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft“[42], bildet nicht das moralische Apriori der Ereigniskette. Sie beschreibt allenfalls das zeitweilig stabile Ergebnis erfolgreicher Netzwerkbildung. Der Geist weht, anders als im Herrenwort, in der Geschichte eben nicht, wo er will:[43] Er ist gebunden an menschliche und materielle Mittler, an konkrete Handlungen und ihre Settings. Mit ihrem Slogan „schaut nach unten“ ermahnt die ANT dazu, fleißig den unmittelbar fassbaren Spuren und Details zu folgen statt als Erklärungsrahmen jenes abstrakte „Gesamtbild“ zu bemühen, „das die Soziologen gern mit einer typischen Geste begleiten, indem sie mit den Händen einen Umriß in der Größe eines Kürbis in die Luft zeichnen.“[44] Eine solche Sichtweise korrespondiert erstaunlich eng mit dem sorgsam gehegten Selbstbild einer empirieorientierten Mittelalterforschung.

Sollte sich die Mediävistik demnach auf den Ameisenpfad begeben? Untersuchungsobjekte jedenfalls gäbe es genug. Bedenkt man, dass Bruno Latour bislang scheinbar banale Alltagsdinge wie Hotelschlüssel, Türschließer oder Sicherheitsgurte zum Ausgangspunkt seiner Analyse gemacht und sogar Comicstrips als Quellenbasis verwendet hat, besteht hinsichtlich der Materialgrundlage kaum ein Mangel. Im Gegenteil: Indem die ANT materielle Artefakte als Mitwirkende begreift, erweitert sie den Quellenfundus historischen Arbeitens beträchtlich. Bleibt der bisweilen schwer erträgliche theoretische und terminologische Ballast, der die Bündnisangebote Latours begleitet. Die Frage der Anschlussfähigkeit entscheidet sich letztlich innerhalb des wissenschaftlichen Netzwerkes, das ohne materielle Mittler in Form von Büchern und Blogbeiträgen mithin kaum funktionsfähig sein dürfte.

Bemerkung zur Zitation: Die Publikationsform als Blogbeitrag ermöglicht es, durch Hyperlinks direkt auf Online-Ressourcen zu verweisen. Dies ist hier überall dort geschehen, wo weniger prominente Ausgaben und Aufsätze referenziert wurden, während die Benutzung von google-books, dmgh etc. ins Belieben des Lesers gestellt wird. Alle Links wurden am 26.08.2014 letztmals abgerufen.

[1] Bruno Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie. Aus dem Englischen von Gustav Roßler. Frankfurt a. M. 2007, S. 244, 254.

[2] Unter den zahlreichen verfügbaren Einführungen empfehle ich Ingo Schulz-Schaeffer, Akteur-Netzwerk-Theorie. Zur Koevolution von Gesellschaft, Natur und Technik, in: Johannes Weyer (Hrsg.), Soziale Netzwerke. Konzepte und Methoden der sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung. München 2000, S. 187–210 (https://www.uni-due.de/imperia/md/content/soziologie/akteurnetzwerktheorie.pdf) und Andréa Belliger/David J. Krieger, Netzwerke von Dingen, in: Stefanie Samida/Manfred K.H. Eggert/Hans Peter Hahn (Hrsg.), Materielle Kultur. Bedeutungen, Konzepte, Disziplinen. Stuttgart 2014, S. 89–96. Einen instruktiven Lektüreblog, der als erklärender Kommentar fungieren kann, bietet http://peter.baumgartner.name/2009/10/18/gemeinsam-latour-lesen-gll/

[3] Christian Schwaderer, Mauern, Maschinen und Menschen. Das Bewusstsein von Technik, materieller Veränderung und Innovation zwischen 500 und 1200. Tübingen 2013, S. 39 (http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/volltexte/2013/7014/). Der vorliegende Text ist teils als Reaktion auf die Forendiskussionen auf http://mittelalter.hypotheses.org/, teils auf Diskussionsbeiträge der Tagung „Reassembling the Past?! Akteur-Netzwerk-Theorie und Geschichtswissenschaft“, Göttingen 3.–5. Juli 2014 entstanden. Die Frage, ob Mediävisten ANT-fähig sind, wird sich letztlich in der Forschungspraxis erweisen müssen.

[4] Vgl. Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm. 1), S. 229.

[5] Jim Johnson (alias Bruno Latour), Die Vermischung von Menschen und Nicht-Menschen: Die Soziologie eines Türschließers, in: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 237–258, S. 247.

[6] Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm. 1), S. 81.

[7] Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm. 1), S. 245, 82.

[8] Bruno Latour, Über den Rückruf der ANT, in: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 561–572, S. 566. Diesen „Rückruf“ revidiert Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm.1), S. 14, Anm. 24, übrigens erneut.

[9] Vgl. zum Geschehen und Quellenlage Otto Meinardus, The Ceremony of the Holy Fire in the Middle Ages and To-Day, in: Bulletin de la societe d’archeologie copte 16, 1961/62, S. 243–252; Christopher MacEvitt, The Crusades and the Christian World of the East. Rough Tolerance. Philadelphia 2008, S. 115–120; Camille Rouxpetel, Trois récits occidentaux de la descente du feu sacré au Saint-Sépulcre (Pâques 1101): polyphonie chrétienne et stratégies discursives, in: Mélanges de l’École française de Rome – Moyen Âge 126-1/2014 (http://mefrm.revues.org/1932). Unter der älteren Literatur seien hervorgehoben mit ausführlicher Rezeptionsgeschichte: Titus Tobler, Golgatha. Seine Kirchen und Klöster. Nach Quellen und Anschau. St. Gallen/Bern 1851, S. 460–483 (http://books.google.de/books?id=G4tAAAAAcAAJ&hl); sowie Gustav Klameth, Das Karsamstagsfeuerwunder der heiligen Grabeskirche. Wien 1913 (http://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a137177.pdf); Bernhard Schmidt, Die Feier des heiligen Feuers in der Grabeskirche, in: Palästinajahrbuch des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des heiligen Landes zu Jerusalem 11, 1915, S. 85–118 (https://archive.org/details/palstinajahrbu1915dalm).

[10] Josef Ackermann, Das ‚Itinerarium Bernardi Monachi’. Edition – Übersetzung – Kommentar (MGH Studien und Texte 50). Hannover 2010, S. 115–127, c. 11, S. 121.

[11] Begriffe ‚Enrolement’, ‚Heilige Allianz’ und ‚obligatorischer Passagepunkt’ erläutert bei Michel Callon, Einige Elemente einer Soziologie der Übersetzung: Die Domestikation der Kammmuscheln und der Fischer der St. Brieuc-Bucht, in: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 135–174, S. 150.

[12] Vgl. zur Frühphase Thomas Pratsch, Der Platz der Grabeskirche in der christlichen Verehrung im Osten, in: Ders. (Hrsg.), Konflikt und Bewältigung. Die Zerstörung der Grabeskirche zu Jerusalem (Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 32). Berlin/Boston 2011, S. 57–66, hier S. 62–65.

[13] Vgl. Paul E. D. Riant, Lettre du clerc Nicétas à Constantin VII Porpphyrogénète sur le Feu sacré (avril 947), in: Archives de l’Orient latin 1, 1881, S. 376–382 (https://archive.org/details/archivesdelorie01parigoog); Gotthard Strohmaier, Al-Birunis Bericht über das Osterfeuer und den Grabfelsen in Jerusalem, in: Ders. (Hrsg.), Hellas im Islam. Interdisziplinäre Studien zur Ikonographie, Wissenschaft und Religionsgeschichte (Diskurse der Arabistik 6). Wiesbaden 2003, S. 186 f, S. 187; Chronicon Hugonis monachi Virdunensis et Divionensis, hrsg. von Georg Heinrich Pertz (MGH SS 8). Hannover 1848, S. 280–503, hier S. 396; Rodulfus Glaber, Historiarum Libri Quinque, hrsg. von Neithard Bulst/John France. Oxford 1989, IV 19, S. 202. Interessanterweise befürchtet Niketas den Waffeneinsatz der Muslime für den Fall, dass das Feuer erscheint, Hugo von Flavigny hingegen im umgekehrten Fall.

[14] Übers. nach Richard Hartmann, Arabische Berichte über das Wunder des heiligen Feuers, in: Palästinajahrbuch des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des heiligen Landes zu Jerusalem 12, 1916, S. 76–94, S. 82 f. Siehe auch: Eilhard Wiedemann, Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaft XII, in: Sitzungsbericht der physikalisch-medizinischen Sozietät zu Erlangen 89, 1907, S. 200—225, S. 200–225, S. 205 f. (https://archive.org/details/sitzungsbericht00erlagoog) Ähnlich argumentieren nach Riant, Lettre du clerc Nicétas (wie Anm. 13), S. 377 auch die Schreiber des lokalen Emirs gegenüber dem Kalifen.

[15] Vgl. Michael Matzke, Daibert von Pisa. Zwischen Pisa, Papst und erstem Kreuzzug (Vorträge und Forschungen. Sonderband 44). Sigmaringen 1998, bes. S. 178–187; Klaus-Peter Kirstein, Die lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Von der Eroberung der Heiligen Stadt durch die Kreuzfahrer 1099 bis zum Ende der Kreuzfahrerstaaten 1291 (Berliner Historische Studien 35). Berlin 2002, hier S. 62, 486 f.

[16] Vgl. Johannes Pahlitzsch, St. Maria Magdalena, St. Thomas und St. Markus. Tradition und Geschichte dreier syrisch-orthodoxer Kirchen in Jerusalem, in: Oriens christianus 81, 1997, S. 82–106, S. 85.

[17] Übers. folgt: Ara Edmond Dostourian (Hrsg.), Armenia and the Crusades. Tenth to Twelfth Centuries: The Chronicle of Matthew of Edessa. Lanham/New York/London 1993, S. 179 sowie knapper: Edouard Dulaurier (Hrsg.), Chronique de Matthieu d’Edesse (Bibliothèque historique arménienne). Paris 1858, S. 1–322, S. 234. Zum Häresieverdacht generell vgl. MacEvitt, Crusades (wie Anm. 9), S. 100-106.

[18] Historia belli sacri/Tudebodus imitatus et continuatus, in: Recueil des historiens des croisades. Historiens occidentaux, Bd. 3. Paris 1866, S. 165–229, S. 226 f. Hingegen berichtet Guibert von Nogent, wohl ex post, von Schwierigkeiten, siehe Heinrich Hagenmeyer (Hrsg.), Fulcheri Carnotensis Historia Hierosolymitana. Heidelberg 1913, S. 836 (https://archive.org/details/historiahierosol00foucuoft).

[19] Ebd., S. 395. Dieser Satz findet sich in allen Fassungen der Chronik, die Handschrift L enthält jedoch einen weitaus ausführlicheren Text, der bei Hagenmeyer gemeinsam mit weiteren Berichten zum Ereignis auf S. 831-–837 wiedergegeben ist.

[20] Neben den hier verwendeten, bei Hagenmeyer abgedruckten Versionen Fulchers (S. 831–834), Bartolfs de Nagis (S. 834–836) und Guiberts von Nogent (S. 836 f.) berichten ausführlich: Cafari Annales Ianuenses, hrsg. von Georg Heinrich Pertz (MGH SS 18). Hannover 1863, S. 1–39, S. 12 f. und Ekkehard von Aura, Chronik, hrsg. von Franz-Josef Schmale/Irene Schmale-Ott (Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters 15). Darmstadt 1972, Rec. I, S. 123–209, hier S. 176–178.

[21] Fulcheri Carnotensis Historia (wie Anm. 18), S. 831.

[22] Latour, Eine neue Soziologie (wie Anm. 1), S. 123.

[23] Lars Frers, Zum begrifflichen Instrumentarium – Dinge und Materialität, Praxis und Performativität (http://userpage.fu-berlin.de/frers/begriffe.html).

[24] Die Stabniederlegung nur bei Bartolfs de Nagis, S. 834 f.

[25] Cafari Annales Ianuenses (wie Anm. 20), S. 12: Donec civitas ista sancta in potestate infidelium erat, bonum et equum fuit, ut Deus miracula faciendo, incredulos ad fidem reduceret.

[26] Fulcheri Carnotensis Historia (wie Anm. 18), S. 832.

[27] Bartolf (wie Anm. 18/20), S. 835, ergänzt als einziger Augenzeuge die Armenier, die auch an einer Stelle durch Guibert von Nogent (wie Anm. 18), S. 837, erwähnt werden.

[28] Zum Stellenwert von Klang und Raum vgl. eindrucksvoll ROUXPETEL, Trois récits occidentaux (wie Anm. 9).

[29] So Ekkehard von Aura, Chronik (wie Anm. 20), S. 178, der hier einen Brief des Priesters und Augenzeugen Hermann zitiert. Auch Fulcher (wie Anm. 18/20), S. 833, berichtet, dass zu einem späteren Zeitpunkt zwei Lampen entflammt seien.

[30] Fulcheri Carnotensis Historia (wie Anm. 18), S. 833.

[31] Bartolf (wie Anm. 18/20), S. 836.

[32] Matzke, Daibert von Pisa (wie Anm. 15), S. 184; Kirstein, Die lateinischen Patriarchen (wie Anm. 15), S. 162, beide mit Verweis auf Geneviève Bresc-Bautier, Le cartulaire du Chapitre du Saint-Sépulcre de Jérusalem (Documents relatifs à l’histoire des croisades 15). Paris 1984, Nr. 19, S. 72 ff.

[33] Eindrucksvoll bei Theodericus, Libellus de locis sanctis, hrsg. von Robert B. C. Huygens, in: Peregrinationes tres: Saewulf, John of Würzburg, Theodericus (Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, 139). Turnhout 1994, S. 143–197, hier S. 152: Hee sunt professiones sive secte que in ecclesia Iherosolimitana divina peragunt officia, scilicet Latini, Suriani, Armenii, Greci, Iacobini, Nubiani. Hii omnes in conversatione quam in divinis ofiiciis suas quisque habet differentias. Das Ringen um die Bündnisstruktur war damit freilich noch nicht zu Ende. Der russische Abt Daniel, der 1107 dem Lichtwunder beiwohnte, berichtet, dass allein die Lampen des orthodoxen Klerus, die direkt auf dem Grab standen sich wie von selbst entzündet hätten, während die Hängelampen der Lateiner nicht am Wundergeschehen teilgehabt hätten. Übers. August Leskien, Die Pilgerfahrt des russischen Abtes Daniel ins heilige Land 1113–1115, in: Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins 7, 1884, S. 17–64, hier 57–61 (https://archive.org/details/zeitschriftdesde07deut).

[34] Wie Anm. 17.

[35] Der liturgische Ablauf des 12. Jahrhunderts ist wiedergegeben im sog. Rituale von Barletta: Charles Kohler, Un Rituel et un Breviaire du Saint sepulchre de Jerusalem, in: Revue de l’Orient latin 8, 1900/1901, S. 383–500, hier S. 421: Deinde patriarcha regi, si presens fuerit, et ceteris omnibus obtalum ignem déferre vel mittere festinat. Vgl. dazu Iris Shagrir, The Visitatio Sepulchri in the Latin Church of the Holy Sepulchre in Jerusalem, in: Al-Masaq 22,1, 2010, S. 57–77, S. 58 ff. (http://www.openu.ac.il/Personal_sites/iris-shagrir/download/ShagrirAlMasaq.pdf).

[36] Bruno Latour, Über technische Vermittlung: Philosophie, Soziologie und Genealogie, in: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld 2006, S. 483–528, hier S. 492.

[37] So Bartolf (wie Anm. 18/20), S. 834.

[38] Dietrich Lohrmann, Östliche Mechanik auf dem Weg nach Europa zur Zeit der Kreuzzüge, in: Hans-Jürgen Kotzur (Hrsg.), Die Kreuzzüge: kein Krieg ist heilig. Mainz 2004, S. 286–295, hier S. 288.

[39] Vgl. Hartmann, Arabische Berichte (wie Anm. 14). Derartige Aussagen lassen sich aus Sicht der ANT als ‚Gegenprogramme’ beschreiben: Sie bemühen sich um eine ‚Übersetzung’ des Wundergeschehens, indem sie ein vermutlich rein virtuelles Seil als Mittler in das Setting einzubringen versuchen und so die Zuordnung der Akteure verändern. Gott wird auf diese Weise aus dem Netzwerk ausgeschlossen.

[40] So Matzke, Daibert von Pisa (wie Anm. 15), S. 185.

[41] Callon, Einige Elemente (wie Anm. 11), S. 167.

[42] So der programmatische Titel: Hans Eberhard Meyer (Hrsg.), Die Kreuzfahrerstaaten als multikulturelle Gesellschaft. Einwanderer und Minderheiten im 12. und 13. Jahrhundert (Schriften des Historischen Kollegs 37). München 1997.

[43] „Der Wind weht, wo er will; du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht.“ (Joh. 3,8 nach der Einheitsübersetzung). Dies mag für das Numinose zutreffen, kaum aber für irdische Interaktionen.

[44] Bruno Latour, Gabriel Tarde und das Ende des Sozialen, in: Soziale Welt 52,3, 2001, S. 361–376, hier S. 368.

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Empfohlene Zitierweise:
Jan Keupp: Mediävistik auf dem Ameisenpfad, oder: Mit der ANT das Königreich der Himmel stürzen, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 04. September 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/4237 (ISSN 2197-6120).

 

 

 

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/4237

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Überlegungen zur gesellschaftlichen Relevanz vasallitischer Beziehungen in der Karolingerzeit

[1] Wenn sich 2014 das Erscheinen von Susan Reynolds Werk „Fiefs and Vassals“ zum zwanzigsten Mal jährt,[2] kommen wir nicht umher zu konstatieren, dass sich unser Bild des anscheinend so feststehenden Konstrukts des „Lehnswesens“ seit 1994 fundamental wandelt. Grundlegend ist dabei für das Frühmittelalter die massive Dekonstruktion des lange Zeit feststehenden Diktums einer vasallitisch durchstrukturierten Gesellschaft der Karolingerzeit. Stattdessen sehen wir heute ein „reichlich diffuses Spektrum mannigfaltiger Möglichkeiten, personale Bindungen zu begründen“, wie es Steffen Patzold kürzlich so treffend betonte.[3] Vor diesem Hintergrund dürfen wir aber eines nicht vergessen, nämlich dass Vasallen ein Teil der damaligen gesellschaftlichen Realität waren, auch wenn ihre Bedeutung für das strukturelle Gefüge des Karolingerreiches längst nicht so groß war, wie früher angenommen.[4] Interessanterweise wird in der Forschung nun aber sehr viel Wert, durchaus zu Recht, auf die Frage gelegt, welche Bedeutung das Benefizium oder besser gesagt, die Landleihe im Allgemeinen im Rahmen der Herstellung besagter personaler Beziehungen hatte. Das Element der Vasallität erscheint dagegen eher, etwas zugespitzt ausgedrückt, als eine Art Randphänomen, denn, um nochmals Steffen Patzold zu zitieren: „Was sich Handfestes über die vassi und vassalli sagen läßt […], ist nicht allzu viel […].“[5]

Ich möchte im Folgenden daher einige Bemerkungen zu der Frage machen, welche gesellschaftliche Relevanz die Vasallität als Mittel einer personalen Bindung unter diesen Umständen nun tatsächlich im 9. Jahrhundert besaß. Beginnen wir mit einigen statistischen Betrachtungen. Aus Freising sind uns durch den Diakon Cozroh für den Zeitraum zwischen 800 und 900 ca. 850 Urkunden überliefert. Nur in sieben von ihnen tritt der Begriff vassus bzw. vassallus auf, also in einem Anteil von etwa 0,8%.[6] Aus den Passauer und Regensburger Traditionen ergibt sich ein kaum besserer Befund. Etwa vierzig Passauer Traditionen sind uns aus dem 9. Jahrhundert überliefert, zwei, also 5% von diesen, enthalten die genannten Begriffe.[7] Aus Regensburg kennen wir ca. 170 zwischen 800 und 900 verfasste Urkunden. Sieben dieser Urkunden beinhalten vassus oder vassallus, etwa 4,1%.[8] Uns liegen also insgesamt ca. 1060 Urkunden aus diesen drei Überlieferungszusammenhängen vor. Die Ausdrücke vassus bzw. vassallus werden jedoch nur in sechzehn Stücken gebraucht, einem Anteil von etwa 1,5%. Auch für St. Gallen sieht der Befund nicht besser aus. Auf insgesamt etwa 800 Originale für die Zeit zwischen 700 und 920 kommen nur sechs Urkunden, in denen namentlich genannte Vasallen überliefert werden, wobei die erste erst von 864 datiert und nur eine dieser sechs keine Königsurkunde ist.[9]

Ich bin mir über die grundsätzliche Problematik dieser statistischen Befunde angesichts der Überlieferungsproblematik durchaus im Klaren, dennoch halte ich sie für aussagekräftig, zumal sie in bezeichnender Weise mit der aus diesen Urkunden bekannten Anzahl der Vasallen auffällig kontrastiert. Allein in zwei Freisinger Gerichtsurkunden des Jahres 822 werden einmal 16 vassi dominici[10] und einmal sogar 56 vassalli[11] aufgezählt, die an dem jeweiligen Urteil beteiligt waren. Woher kommt diese auffallende Diskrepanz zwischen der relativ hohen Anzahl der an Gerichtsverhandlungen und Rechtsgeschäften ihres jeweiligen Herrn beteiligten Vasallen und der kaum vorhandenen Bereitschaft, die eigene Position als vassus bzw. vassallus bei eigenen Rechtshandlungen anzuzeigen? In einer eigenen Schenkung, die zudem nicht einmal Landbesitz umfasste, wird allein Meginhart, der 819 in Pannonien dem Kloster Freising einen Reliquienbehälter und Weidevieh übergab, ausdrücklich als vassus dominicus bezeichnet.[12] Hatte Meginhart selbst ein Interesse daran, seine Stellung in dieser Form in der Urkunde erwähnt zu sehen? Wir wissen es nicht, wenn dem so wäre, wäre er allerdings die absolute Ausnahme gewesen.

Es scheint seitens der Vasallen in jedem Fall wenig Interesse daran bestanden zu haben, als solche aufzutreten, wenn sie nicht für ihren Herrn tätig waren oder in offizieller Funktion bei Gericht auftraten. Dabei konnten sie durchaus wichtige Positionen einnehmen. Die 16 vassi dominici aus der Gerichtsurkunde von 822 wurden beispielsweise direkt hinter dem publicus iudex Kysalhart und dem Grafen Liutpald aufgeführt, noch vor den übrigen Zeugen.[13] Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass der beklagte Adaluni angegeben hatte, die umstrittene Kirche zur einen Hälfte als Eigentum, zur anderen Hälfte als beneficium dominicum besessen zu haben. Die Vasallen traten also geradezu als regionale „Experten“ für die Belange Ludwigs des Frommen auf.[14] Wir können an diesem Beispiel sehr gut sehen, dass ihre Dienste auch außerhalb des Kriegswesens von hoher Relevanz waren.

Warum verschwiegen Vasallen trotz ihrer hohen Bedeutung ihren eigenen Status dennoch so konsequent, wenn es um Schenkungen oder Tauschgeschäfte ging, die keinen Bezug zu ihrer Stellung oder zum eventuell an sie verliehenen Gut hatten? Der Grund dafür dürfte in der Feststellung liegen, dass sowohl Herren als auch Vasallen die Vasallität unter einem bestimmten Blickwinkel betrachteten, der beide Seiten zu unterschiedlichen Folgerungen bezüglich des eigenen Status in dieser personalen Bindung führte.

Um das zu erklären, muss man auf die Wurzeln der Vasallität verweisen. Vassus ist eine Ableitung vom keltischen gwas, was so viel bedeutet wie „Knecht“.[15] Im sogenannten Pactus Legis Salicae vom Anfang des 6. Jahrhunderts wird ein vassus ad ministerium, quod est horogauo im Zusammenhang mit Schmieden erwähnt.[16] Von Vasallen freier Herkunft ist erst zu Beginn des 8. Jahrhunderts in der Lex Alamannorum die Rede.[17] Diese langsame Entwicklung schien sich nach Ansicht der älteren Forschung stark zu beschleunigen, als der bayerische Herzog Tassilo III. Pippin dem Jüngeren und dessen Söhnen nach Auskunft der Reichsannalen 757 Treue gelobte, ergeben, wie ein vassus seinem dominus gegenüber sein soll.[18] 787 soll er sich sogar in die Hände Karls des Großen in vassaticum tradiert haben.[19] Spätestens seit Matthias Bechers grundlegender Neuinterpretation der Vorgänge dürfte deutlich geworden sein, wie sehr unsere Hauptquelle, die um 790 am Hofe Karls verfassten Reichsannalen, unser Bild dieser Vorgänge bestimmt hat. Dass Tassilo sich 757 bzw. 787 wirklich in die Vasallität der Karolinger begeben haben soll, dürfte kaum aufrecht zu erhalten sein.[20] In jedem Fall ist herauszustellen, dass die Eingehung einer vasallitischen Bindung zwischen dem bayerischen Herzog und dem fränkischen König vom Verfasser der Reichsannalen sehr stark betont wurde, was ein Hinweis darauf sein dürfte, dass dieser ganze Vorgang den späteren Treuebruch als umso schlimmer erscheinen lassen sollte. Betrachtet man jedoch die Herkunft der Vasallität aus einem unfreien und gesellschaftlich wenig angesehenen Umfeld, sollte man nicht außer Acht lassen, dass Tassilos Inferiorität durch diese Formulierungen zusätzlich verdeutlicht wurde. Zeitgenössische Anhänger Tassilos hätten die Betonung einer vasallitischen Beziehung mit Sicherheit als Herabsetzung und Demütigung ihres Herzogs angesehen.

Ähnlich, wenn auch nicht direkt mit dem Begriff der Vasallität verbunden, erscheint vor diesem Hintergrund die Beschreibung der Kommendation des Dänenkönigs Harald Klak 826 im Gedicht In honorem Hludovici christianissimi Caesaris Augusti des Ermoldus Nigellus. Während der auf seine Taufe folgenden Jagd habe er sich und sein Reich mittels einer Kommendation an Ludwig den Frommen tradiert und gelobt, dass er sich seinen servitii zur Verfügung stellen wolle. Harald sei so zu Ludwigs fidelis geworden.[21] Ermoldus gibt keine Grundlage dafür her, hier eine vasallitische Kommendation anzunehmen, der Ritus selbst wird jedoch als klare Unterwerfungsgeste definiert und bewegt sich damit auf einer Linie mit der Beschreibung der Kommendation Tassilos in den Reichsannalen. Bedenkt man, dass Harald einige Jahre zuvor vor den Söhnen des 810 ermordeten Dänenkönigs Göttrik geflohen war, wird deutlich, dass Machtlosigkeit und eigene Schwäche Haralds Kommendation geradezu bedingten.[22] Sieht man sich etwa die Beschreibungen der Kommendationen anderer Normannenführer des 9. Jahrhunderts an, so bestätigt sich dieser Eindruck.

858 erschien der dux eines Teils der Seine-Normannen, Berno, vor Karl dem Kahlen, gab sich in die Hände des westfränkischen Königs und leistete ihm einen Treueid.[23] 862 kommendierte sich der dux Weland Karl und leistete ihm mit den anderen anwesenden Normannen einen Eid.[24] 873 belagerte Karl Angers, das von den Normannen besetzt war. Schließlich kommendierten sich ihm die normannischen Großen, leisteten ihm Eide und stellten Geiseln.[25] Alle drei hier beschriebenen Kommendationen können mit der Situation Haralds verglichen werden, denn auch die Normannen willigten  in einer Notsituation in die Kommendation ein.[26] Berno wird ausdrücklich als dux partis pyratarum Sequanae bezeichnet, vielleicht ein Hinweis darauf, dass es unter den Seine-Normannen zu Unstimmigkeiten gekommen und seine Position nicht ungefährdet war.[27] Kurz vor der Kommendation Welands war es Karl gelungen, dessen Sohn gefangen zu nehmen. Möglicherweise benutzte er ihn, um Weland zur Unterwerfung zu zwingen.[28] Klarer ist die Situation in Bezug auf die in Angers eingeschlossenen Normannen, die sich Karl ergeben mussten. Begriffe, die auf eine vasallitische Kommendation hindeuten könnten, werden auch in anderen Quellen, die sich mit diesen Ereignissen oder Personen beschäftigen, nicht genannt.[29]

Noch deutlicher wird die Verbindung von Vasallität und Inferiorität, wenn man sich dem Epitaphium Arsenii des Paschasius Radbertus zuwendet. In c. 17 des zweiten Buches dokumentiert Radbertus mehrere capitula, die die drei ältesten Söhne Ludwigs des Frommen, Lothar I., Ludwig der Deutsche und Pippin I. von Aquitanien wohl im Juni 833 kurz vor dem Abfall des kaiserlichen Heeres von Ludwig auf dem „Lügenfeld“ von Colmar als Antwort auf Beschwerden ihres Vaters verfasst hatten. In einem dieser capitula betonte Ludwig: „Erinnert euch, dass ihr meine Vasallen (vasalli) seid und dass ihr mir durch einen Eid Treue geschworen habt.“ Diese antworteten, dass es der Fall sei, dass sie von Natur aus, durch Versprechen und durch Treueide seine fideles seien und niemals den militärischen Dienst für ihn verweigert hätten. Ludwigs Ruhm, Ehre und prosperitas seien ihnen wichtiger als ihr eigenes Leben.[30]

Die Stellungnahmen des Kaisers scheinen nur verkürzt und zusammengefasst überliefert worden zu sein.[31] Da Radbert im Epitaphium die Vita Abt Walas von Corbie beschrieb, eines Anhängers Lothars, betrachtete er den Standpunkt der Söhne natürlich mit einer gewissen Sympathie.[32] In der Antwort der Söhne wird bezeichnenderweise der Begriff vasallus vermieden, stattdessen verwenden sie den Ausdruck fideles. Aus ihrer Sicht stehen nicht die promissiones oder die sacramenta an erster Stelle der Begründung, warum sie fideles Ludwigs seien. Hier wird der Ausdruck a natura gebraucht, offenbar also auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass Söhne und Väter in einem besonderen Treueverhältnis zueinander stehen, das bereits durch die Geburt geknüpft wurde. Dies weist darauf hin, dass der Begriff vasallus lediglich den untergeordneten Status der Söhne darstellen sollte. Dass dieses mit einem Ausdruck geschah, der durchaus missverständlich verstanden werden konnte, dürfte in der Absicht Radberts gelegen haben.[33]

Aus den genannten Beispielen wird eines deutlich: Unterwerfungsgesten, wie etwa die Kommendation, konnten im Nachhinein durchaus vasallitisch gedeutet werden, da die rituellen Elemente sich nicht wesentlich voneinander unterschieden. Insbesondere der Bericht des Paschasius Radbertus weist darauf hin, wie schwer der angebliche Anspruch Ludwigs des Frommen, dass seine Söhne Vasallen seien, deren Selbstverständnis angegriffen haben könnte. Die Verkürzung der komplexen Vater-Sohn-Beziehung weist, ebenso wie die beabsichtigte Falschdarstellung der Unterwerfung Tassilos durch die Reichsannalen, darauf hin, wie sehr das Denken bis weit ins 9. Jahrhundert hinein von der Inferiorität der Vasallen geprägt worden sein muss. Es ist nicht verwunderlich, dass im Ostfränkischen Reich erst ab dem 10. Jahrhundert Grafen ausdrücklich als Vasallen bezeichnet wurden.[34]

Neben diesen Quellen, die entweder im unmittelbaren Umfeld des karolingischen Hofes entstanden sind oder die die klare Perspektive einzelner Mitglieder der Herrscherfamilie vertraten, gibt es jedoch auch noch solche, die unabhängig davon verfasst wurden, wenn auch Vasallität bei Ihnen nur äußerst selten eine Rolle spielt. Sie tragen jedoch dazu bei, das einseitige Bild, das sich uns bislang geboten hat, zu korrigieren. Es sei zunächst auf die zeitgenössischen Annales Laureshamenses verwiesen, die den Abodritenfürst Witzan anlässlich seiner Ermordung 795 als rex und vassus Karls des Großen bezeichnen.[35] Es ist aus zwei Gründen nahezu ausgeschlossen, dass hier eine technische Verwendung des Begriffes vorliegt.

Zum einen ist es die im Chronicon Moissiacense bezeugte Verwendung des Begriffs Vasall auf die Verhältnisse zwischen Dänenkönig Göttrik und seinen Untergebenen. Zum Jahre 810 wird berichtet, dass der Abodritenfürst Drasco durch einen vassallus Göttriks ermordet wurde. Noch im gleichen Jahr fiel auch Göttrik selbst dem Mordanschlag eines seiner vassalli zum Opfer.[36] Offensichtlich hat der Verfasser des Textes hier versucht, ihm bekannte Institutionen auf Beziehungen zu übertragen, deren genaue Natur ihm nicht vertraut war. Man wird kaum davon ausgehen dürfen, dass dies die Existenz vasallitischer Strukturen bei den Dänen bezeugt. In unserem Zusammenhang gewinnen diese Berichte nun insofern an Bedeutung, als dass das Chronicon Moissiacense sich dabei wohl im Wesentlichen auf eine nicht erhaltene Ausgabe der Lorscher Annalen stützte, die über das Jahr 803 hinaus weitergeführt wurde.[37] Wenn wir nun in Bezug auf Göttrik den offensichtlich untechnischen Gebrauch des Begriffs vassallus herausgestellt haben, so ist zu überlegen, ob nicht auch die Beziehung Witzans zu Karl dem Großen durch den Annalenschreiber mit dem Wort vassus nur eine verherrlichende Umschreibung der völligen Abhängigkeit des Abodritenfürsten von Karls Gunst war und nicht im technischen Sinne gebraucht wurde. Zum anderen wird diese Problematik noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass Witzan der einzige Heide wäre, den wir als Vasallen bezeugt hätten. Es war durchaus nicht unüblich, dass sich Nichtchristen dem fränkischen Herrscher unterwarfen und sich ihm kommendierten.[38] Doch handelte es sich in keinem Fall um eine Kommendation mit vasallitischen Implikationen. Sollte sich also Witzan gegenüber Karl kommendiert haben, so wäre es durchaus nachvollziehbar, dass der Verfasser der Lorscher Annalen versuchte, diese Beziehung mit dem Begriff vassus zu umschreiben. Der in Bezug auf Göttrik gezeigte untechnische Gebrauch dieses Wortes hätte also bereits hier seinen Niederschlag gefunden.

Ein weiterer Beleg stammt aus den Gesta Karoli Magni des Notker Balbulus aus den 880er Jahren. Er berichtet dort, dass Ludwig der Fromme seinem Vater Ludwig den Deutschen, der zu diesem Zeitpunkt sechs Jahre alt war, vorstellen wollte. Als Karl ihn unter den anderen statores stehend bemerkte, erkundigte er sich, wem dieser Junge gehöre. Auf Ludwigs Antwort, dass es seiner sei und dass er, wenn Karl ihn für würdig halte, ihm gehören würde, antwortete der Kaiser: „Gib ihn mir.“ Karl küsste den Knaben und schickte ihn wieder an seinen alten Platz zurück, Ludwig der Deutsche jedoch stellte sich in die gleiche Reihe wie sein Vater. Auf Karls Aufforderung hin fragte Ludwig der Fromme nach, warum er das getan habe. Daraufhin antwortete der junge Ludwig, dass, solange er ein vassallus seines Vaters war, sein Platz hinter diesem, inmitten seiner commilitones gewesen sei. Da er nun aber ein socius und commilito seines Vaters geworden sei, sei er nicht im Unrecht, wenn er sich ihm gleichstelle.[39]

In der historischen Forschung ist man sich schon länger einig, dass Notkers Werk mehr ist als ein Fürstenspiegel. Aus ihm können wir viele Informationen über die soziale und verfassungsrechtliche Wirklichkeit innerhalb des Frankenreichs gegen Ende des 9. Jahrhunderts gewinnen.[40] Welche Aussage steht aber hinter der hier geschilderten Episode? Hans-Werner Goetz sah den Begriff vassallus bei Notker nicht als einen technisch gebrauchten Ausdruck an, sondern betonte, dass er ein „auszeichnender Begriff für die königlichen Gefolgsleute“ gewesen sein soll.[41] Er bezieht sich hierbei auf eine Stelle in Notkers Werk, in der Karl seine legati als optimi vassalli anredet.[42] Seine Auffassung dürfte dort korrekt sein, jedoch muss eine solche Interpretation bei anderen Stellen Notkers nicht unbedingt in dieselbe Richtung verweisen.[43]

Am ehesten lässt sich vielleicht eine untechnische Verwendung dieses Begriffes bei Notkers Beschreibung der Taufe von Normannen zur Zeit Ludwigs des Frommen wiederfinden. Da es sich bei den Normannen herumgesprochen hatte, dass sie bei der Taufe kostbare Geschenke zu erwarten hätten, kamen von Jahr zu Jahr mehr von ihnen am Ostersamstag zum Kaiser, jedoch nicht mehr als fremde legati, sondern als äußerst ergebene vassalli, sich in das obsequium des Kaisers einstellend.[44] Die Getauften wurden von den primores palacii quasi als Adoptivsöhne angenommen, man schuf also einen mit der Taufe Harald Klaks vergleichbaren Kontext. Aus der Erzählung geht nun hervor, dass die Normannen offenbar immer wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Wären sie „wirkliche“ Vasallen geworden, wäre ein solches Verhalten kaum zu erklären. Offenbar war das Verhältnis, das Notker hier zwischen Ludwig und den Normannen entwarf, sehr viel unverbindlicher als eines, das auf Vasallität im technischen Sinn aufgebaut worden wäre. Da die Normannen durch die Adoption seitens der primores palacii in ein enges Verhältnis zum fränkischen Hof getreten waren, darf man davon ausgehen, dass hier eindeutig ein „auszeichnender Begriff“ im Sinne von Goetz verwendet wurde.

Auf diese Weise dürfte sich auch das Verhältnis Ludwigs des Deutschen zu seinem Vater und seinem Großvater erklären lassen. Nicht eine vasallitische Bindung, die nicht nachgewiesen werden kann, sondern das quasi naturgegebene obsequium eines Sohnes gegenüber dem Vater macht das „Vasallenverhältnis“ Ludwigs des Deutschen zu Ludwig dem Frommen aus. Durch den Kuss des Großvaters und den Satz „Gib ihn mir!“ rückt ersterer gegenüber Karl in eine Stellung auf, die mit der des Vaters vergleichbar ist, bestimmt durch die Nähe zum Herrscher.[45]  Wie bereits am Beispiel des Paschasius Radbertus gesehen, dürfte auch hier die Treue a natura, die Vater und Großvater zu schulden war, grundlegend für das Verhältnis Ludwigs zu diesen gewesen sein, jedoch mit der entscheidenden Wendung, dass es offenbar nicht negativ verstanden wurde.

Es dürfte deutlich geworden sein, dass offenbar ein, wenn ich es so nennen darf, technisches und ein, wenn auch weniger gebräuchliches, untechnisches Verständnis von „Vasallität“ nebeneinander existierten, einmal mit einem klaren Unterordnungsaspekt, in dem sich die Herkunft des Wortes vassus widerspiegelt, und einmal eher als „Auszeichnung“, durch die sich der Träger von anderen Personen durch die spezielle Beziehung zum jeweiligen Herrn hervorhob. Warum aber war die technische Auffassung so dominierend, dass die Vasallen diese Sicht übernahmen und ihre Position nicht als Heraushebung verstanden?

Der Grund dafür dürfte in der Art der Beziehung der Vasallen zum Königshof zu suchen sein. In der Zeit der Merowinger sind die pueri regis bezeugt, deren militärische und Botendienste denen der späteren Vasallen nicht ganz unähnlich sind.[46] Hierbei handelte es sich um unfreie und freie Personen, die wohl den Söhnen adliger Familien, die zur Erziehung bei Hofe waren, nicht gleichgestellt waren, obwohl es durchaus möglich ist, dass sie zusammen mit ihnen unterrichtet wurden. So lässt sich die enge Beziehung, die selbst Angehörige der Königsfamilie zu pueri hatten, leicht erklären.[47] In den karolingischen Zeugnissen über Personen, die bei Hof militärisch ausgebildet wurden, ist jedoch von pueri in der Regel nicht mehr die Rede. Sehr viel öfter hören wir stattdessen von iuvenes. Dieser Ausdruck wurde auf diejenigen angewandt, die eine Ausbildung an Waffen erhalten hatten, aber eher dem Adel entstammten, was etwa an den iuvenes zu sehen ist, die den westfränkischen König Karlmann 884 auf der Jagd im Wald Bezu begleiteten, auf der er zu Tode kam.[48]

Die Quellen bestätigen, dass die Art der Unterweisung der adligen Jugendlichen sich gegenüber dem Unterricht, den die pueri der Merowingerzeit genossen, nicht wesentlich verändert hatte. Noch immer stand die militärische Ausbildung im Vordergrund. Dies wird etwa aus der um 830 entstandenen Fassung der Vita des hl. Wandregisel deutlich. In der ältesten Vita, die aus dem 8. Jahrhundert stammt, wird der Dienst des jungen Wandregisel bei König Dagobert nur kurz angerissen.[49] Dagegen wird dieser Aspekt in der jüngeren Version weiter mit den Inhalten der Ausbildung ausgeschmückt, wobei die militärische Ausbildung an erster Stelle genannt wird.[50] Die durch Wilhelm Levison dem um 800 lebenden Metzer Diakon Donatus zugeschriebene Vita des Abtes Ermenland von Indre, berichtet, dass die Eltern des zukünftigen Abtes über sein angehäuftes „Bücherwissen“ anscheinend beunruhigt waren und eine andere Laufbahn für ihren Sohn vorgesehen hatten. Sie führten ihn in die aula regia ein und kommendierten ihn dem König zur militärischen Unterweisung und Dienstleistung.[51] Auch wenn neben der Unterweisung in militärischen Dingen ebenfalls eine vorgelagerte Wissensvermittlung zur geistigen Reifung der jungen Adligen zum Unterricht gehörte, wie es Einhard für die Söhne Karls des Großen überliefert,[52] wird doch der Unterschied der Formung einer kriegerisch und aristokratisch geprägten Maskulinität zur rein geistigen Ausbildung an der Hofschule deutlich.[53]

Welche Verbindung lässt sich nun von den iuvenes zu den Vasallen ziehen? Diese ergibt sich aus der Schrift De ordine palatii, die Hinkmar von Reims 882 verfasste, wobei er sich aber in maßgeblicher Weise auf ein nicht mehr überliefertes Werk des Abtes Adalhard von Corbie stützte, das entweder bald nach 781 oder zwischen 810 und 814 entstanden war.[54] Teil dieses Werkes Adalhards dürfte auch die Beschreibung der Aufteilung der Hofgesellschaft sein, die aus drei ordines bestanden haben soll. Die erste Gruppe waren die expediti milites ohne besonderes Amt, die von hohen Herren versorgt wurden und insbesondere von den Inhabern der Hofämter immer wieder zum gemeinsamen Mahl und zur Bekräftigung ihrer freundschaftlichen Bindungen eingeladen wurden. Die zweite Gruppe waren die discipuli, die ihrem Lehrer folgten und von denen jeder einzelne an seinem locus von ihren Herren durch Aufsicht und Ansprache gefördert wurde. Die dritte Gruppe schließlich waren die pueri vel vassalli der höheren und geringeren Leute, die jeder, der sie ohne Verfehlung unterhalten könne, um sich haben wollte.[55]

Von allen drei ordines, das macht schon die Stellung in der Aufzählung deutlich, dürften die expediti milites wohl die angesehenste Gruppe bei Hofe gewesen sein. Hierbei wird es sich um die Vasallen gehandelt haben, die zumindest über längere Zeiträume bei Hofe anwesend waren.[56] Schon die Art der Gaben, die sie erhielten, u.a. Gold, Silber und Pferde, weist darauf hin, dass sie aus höheren Kreisen stammten. Von ihnen unterschieden werden die discipuli. Es ist nicht sicher, wer unter diese Personengruppe fiel. Während Brigitte Kasten annahm, dass es sich um die „Verwaltungshochschule“ der Karolinger handelte, in der die jungen Adligen von den Inhabern der Hofämter unterrichtet würden,[57] sah Bernard Bachrach hierin eher die Schule für die zukünftigen Kommandeure des karolingischen Heeres.[58] Bedenken wir, dass geistige und militärische Ausbildung bei den jungen Adligen durchaus zusammenfallen konnten, sollte man nicht ausschließen, dass beide Ansichten zu berücksichtigen sind, obwohl der militärische Anteil bedeutsamer gewesen dürfte.

Wenden wir uns schließlich dem dritten ordo zu, den pueri vel vassalli der höheren und geringeren Leute. Auch diese durften nach Ausweis Adalhards bzw. Hinkmars eigene bewaffnete Gruppen unterhalten, aber nur unter der Bedingung, dass sie es sich auch leisten konnten. Bemerkenswert ist hierbei, dass für diesen ordo offenbar zwei Bezeichnungen synonym gebraucht werden konnten. Bedenkt man die Herkunft der Begriffe puer und vassallus aus ursprünglich unfreien Zusammenhängen, ist es verständlich, dass sie nur im Zusammenhang mit den Untergebenen der Angehörigen des Hofes verwendet wurde. Geht man davon aus, dass die expediti milites die Königsvasallen bei Hofe waren, die von den discipuli abgegrenzt wurden und aufgrund ihrer Beziehung zum Herrscher offenbar schon eine erhöhte Stellung eingenommen hatten, scheint Adalhard die Bezeichnungen für den dritten ordo in diesem Zusammenhang als wenig angemessen empfunden zu haben und nahm daher eine Beschränkung auf die Untergebenen der Angehörigen des Hofes vor.[59]

Wie dem auch sei, in De ordine palatii wurden also die Jugendlichen bei Hofe von denen unterschieden, die bereits voll ausgebildet waren. Somit darf man annehmen, dass die discipuli mit Beendigung ihrer Ausbildung expediti milites wurden. Ausgehend von dieser Prämisse, ist es sehr wahrscheinlich, dass die discipuli in anderen Quellen als iuvenes bezeichnet wurden. Beide wurden am Hofe ausgebildet, gehörten dem Adel an und stellten das militärische Gefolge des Königs. Des Weiteren können wir davon ausgehen, dass hinter den expediti milites Königsvasallen zu sehen sind, eine Auffassung, die zusätzlich dadurch bestärkt wird, dass sie absque ministeriis, also keine Grafen waren, und ad regale obsequium inflammatum animum ardentius hattenhahh, somit offenbar nicht nur auf bestimmte Aufgabenbereiche, etwa militärische, beschränkt waren.[60] Damit dürfte deutlich geworden sein, dass die iuvenes am karolingischen Hof zum einen als Schüler, zum anderen aber auch als Vorstufe der Vasallen zu sehen sind und dass Königsvasallen zumindest Teile ihrer Ausbildung am Königshof erhielten.

Im Rahmen dieser Ausbildung dürfte eine enge Bindung zum König geknüpft worden sein. Gleichzeitig war damit aber auch die Grundlage dafür gegeben, dass die am Hof herrschende Auffassung von Vasallität als ungleiche Beziehung auch von den Vasallen selbst aufgenommen und so ein Teil der gesellschaftlichen Realität wurde. Man kann also in diesem Fall von einer gezielten Systematisierung des Sprachgebrauchs im Sinne des Hofes ausgehen, wie er etwa im Falle Tassilos zum Ausdruck kam. Diesem entspricht auch die Feststellung Brigitte Kastens, dass Grafen, Äbte und Bischöfe nicht als Vasallen bezeichnet wurden, weil ihr Amt als Teilhabe an einem göttlichen Herrschaftsauftrag interpretiert wurde, das ministerium somit göttlich legitimiert war und nicht einer von Menschen errichteten Größe wie dem Vasallenstatus unterliegen konnte.[61] Wer Vasall wurde, wurde also nicht automatisch Teil des „Establishments“, sondern ging mit dem jeweiligen Herrn nur eine Verbindung zu gegenseitigem Nutzen ein.

Daher scheint die Vasallität für junge Adlige ein erstrebenswerter Status gewesen zu sein, wie ihre Herren von ihnen ergebenen Vasallen auch in Krisenzeiten profitieren konnten. Selbst Baldrich, der ehemalige Markgraf von Friaul, hatte ausweislich einer Freisinger Urkunde 843 in Bayern noch mindestens 15 Vasallen, obwohl er in den Auseinandersetzungen um die Nachfolge Ludwigs des Frommen auf der Seite Lothars I. stand.[62] Obwohl also auf beiden Seiten Interesse an dieser Art von Verbindung bestand, war sie für die „Öffentlichkeit“ oft nur dann von Bedeutung, wenn sie im Rahmen von Rechtshandlungen sozusagen „aktiviert“ wurde, im militärischen Rahmen, als Zeugen oder Beteiligte im Rahmen von Besitzübertragungen bzw. –tausch oder, im Fall von Königsvasallen, als unterstützende Personen bei Gerichtsverhandlungen. Außerhalb dieses Rahmens scheint sie nur von geringer Relevanz gewesen zu sein, da ihre Assoziation mit der Unfreiheit nicht dazu diente, aus der Vasallität ein äußerlich bestimmendes Merkmal der karolingischen Gesellschaft zu machen. Wenn wir uns der Vasallität in Zukunft nähern wollen, sollte man diese Divergenz berücksichtigen. So ist aber auch das Missverhältnis zwischen der lange vorherrschenden Sicht einer vasallitisch durchstrukturierten Gesellschaft und der von der jüngeren Forschung dargestellten untergeordneten Bedeutung der Vasallität als einer von mehreren Bindungsoptionen, der keinesfalls ein Vorrang zukam, zu erklären. Wenn sie im Innenverhältnis wichtiger war als im Außenverhältnis, ist der geringe Niederschlag in den Quellen erklärbar, ändert jedoch nichts daran, dass man ihr kaum die beherrschende Stellung in der Gesellschaft zubilligen kann, die ihr früher zugerechnet wurde. Es gilt eher, den Einzelfall zu betrachten und aus ihm die entsprechenden Schlüsse für die jeweilige Beziehung zwischen Herr und Vasall zu ziehen.

 

[1] Den folgenden Beitrag habe ich im Rahmen eines Workshops zum Lehnswesen im Oktober 2013 in Freiburg vorbereitet, der von Prof. Dr. Jürgen Dendorfer und Prof. Dr. Seffen Patzold organisiert wurde. Wesentliche Teile dieses Vortrags beruhen auf meiner kürzlich erschienenen Dissertation: Vasallität und Benefizialwesen im 9. Jahrhundert. Studien zur Entwicklung personaler und dinglicher Beziehungen im frühen Mittelalter (Texte zur historischen Forschung und Lehre 1), Hildesheim 2013. Zentrale Gedanken der Arbeit sind hier in geraffter Form dargestellt und zum Teil mit ergänzenden Bemerkungen versehen worden, die meine Überlegungen noch etwas weiter führen.

[2] Vgl.: Susan Reynolds, Fiefs and Vassals. The Medieval Evidence Reinterpreted, Oxford 1994. Vgl. auch die späteren Beiträge, in denen sie sich mit der Kritik an ihrem Werk auseinandergesetzt hat und weitergehende Gedanken entwickelte: Susan Reynolds, Afterthoughts on Fiefs and Vassals, in: The Haskins Society Journal 7 (1997), S. 1-15; Dies., Susan Reynolds responds to Johannes Fried, in: German Historical Institute London, Bulletin 19, Nr. 2 (November 1997), S. 30-40; Dies., Carolingian Elopements as a Sidelight on Counts and Vassals, in: Balázs Nagy/Marcell Sebők (Hgg.), …The Man of Many Devices, Who Wandered Full Many Ways… Festschrift in Honor of János M. Bak, Budapest/New York 1999, S. 340-346; Dies., Fiefs and Vassals after Twelve Years, in: Sverre Bagge/Michael H. Gelting/Thomas Lindkvist (Hgg.), Feudalism. New Landscapes of Debate (The Medieval Countryside 5), Turnhout 2011, S. 15-26. Zusammenfassungen des aktuellen Forschungsstandes bieten: Brigitte Kasten, Das Lehnswesen – Fakt oder Fiktion, in: Walter Pohl/Veronika Weiser (Hgg.), Der frühmittelalterliche Staat – europäische Perspektiven (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16 = Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse, Denkschriften, 386. Band), Wien 2009, S. 331-353 sowie Steffen Patzold, Das Lehnswesen, München 2012, S. 14-43.

[3] Vgl.: Patzold, Lehnswesen, S. 39.

[4] Nach wie vor die klassische Sichtweise auf das Lehnswesen im frühen Mittelalter am besten darstellend: François Louis Ganshof, Was ist das Lehnswesen? Darmstadt 71989, S. 1-64.

[5] Vgl.: Patzold, Lehnswesen, S. 38.

[6] Vgl.: Die Traditionen des Hochstifts Freising, ed. Theodor Bitterauf (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte N.F. 4), Bd. 1 (744-926), München 1905, ND Aalen 1967: Nr. 419, S. 359-360; Nr. 466, S. 398-400; Nr. 475, S. 406-407; Nr. 604, S. 516-517; Nr. 634, S. 538-549; Nr. 661, S. 556-558; Nr. 989, S. 749-750.

[7] Vgl.: Die Traditionen des Hochstifts Passau, ed. Max Heuwieser (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte N.F. 6), München 1930, ND Aalen 1969: Nr. 73a, aa, S. 61-70; Trad. Pass. Nr. 89, S. 76.

[8] Vgl.: Die Traditionen des Hochstifts Regensburg und des Klosters S. Emmeram, ed. Josef Widemann (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte N.F. 8), München 1943, ND Aalen 1969: Nr. 11, S. 9-10; Nr. 20, S. 25-27; Nr. 40, S. 46-47; Nr. 42, S. 47-48; Nr. 81, S. 75; Nr. 87, S. 79-80; Nr. 92, S. 82-83.

[9] Vgl.: Die Urkunden der deutschen Karolinger 1. Die Urkunden Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren, ed. Paul Kehr (MGH DD regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 1), Berlin 1934, Nr. 113, S. 162; D LD, Nr. 158, S. 222; Die Urkunden der deutschen Karolinger 2. Die Urkunden Karls III., ed. Paul Kehr (MGH DD regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 2), Berlin 1937, Nr. 164, S. 266-267; Die Urkunden der deutschen Karolinger 3. Die Urkunden Arnolfs, ed. Paul Kehr (MGH DD regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 3), Berlin 1940, Nr. 51, S. 74; D Arn, Nr. 73, S. 110; Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen, ed. Hermann Wartmann, Bd. 2, Zürich 1866: Nr. 576, S. 188-189.

[10] Trad. Freis. Nr. 466, S. 399: Kysalhart publicus iudex, Liutpald comes vassi dominici. [sic!] Cundachar. Meginhart. Uuolfperht. Hroadolt. Camanolf. Machelm. Atto. Meiol. Cotescalch. Deotpald. Engilhart. Cundpald. Ratpot, Einhart. Cundperht. Hitto. Vgl. auch: Gerichtsurkunden der fränkischen Zeit, ed. Rudolf Hübner, 1. Abt., Weimar 1891-1893, ND Aalen 1971, S. 42-43, Nr. 243 (zu 823). Dass der Editor den Begriff vassi dominici zu Liutpald comes gezogen hat, ist unverständlich, da in der Urkunde zwei der hier genannten Personen ausdrücklich mit diesem Titel belegt werden: Similiter et Liutpald comes, Hrodolt, Camanolf vassi dominici dixerunt se vidisse ubi Deotperht ipsam ecclesiam in manus Hittonis episcopi reddidit.

[11] Trad. Freis. Nr. 475, S. 406-407: Alii autem vassalli: Machelm. Cotescalch. Reginhart. Etih. Haholf. Emheri. Parto. Hemmi. Crimuni. Hamminc. Meiol. Reginhart. Kamanolf. Chuniperht. Hroadolt. Suuarzolf. Pernker. Cundpald. Chuniperht. Oadalscalch. Coteperht. Engilhart. Lantfrid. Heipo. Reginperht. Spulit. Situli. Regino. Sigur. Paldachar. Poapo. Adalker. Poran. Ratolt. Adalker. Pero. Deothart. Ellanperht. Cundalperht. Hroadhart. Uuichelm. Kotehelm. Sigiperht. Tiso. Crimheri. Morizzo. Chonrat. Hroadolt. Ellanperht. Heilrih. Uuolfolt. Uuolfperht. Tato. Tuti. Reginolt. Alius Uuolfperht seu alii multi. Vgl. auch: Hübner, Gerichtsurkunden, Nr. 238, S. 41.

[12] Trad. Freis. Nr. 419, S. 359: Denique omnibus tam eclesiasticis quam etiam et saecularibus venerabilibus viris satis sit dilucidatum, qualiter Meginhardus vassus dominici reddidit in manus Hittonis episcopi pro manice cervino capsam quam a domo sanctae Marię cum reliquiis accepit Uuasucrim aramiator.

[13] Zur Urkunde, vgl.: Stefan Esders/Heike Johanna Mierau, Der althochdeutsche Klerikereid. Bischöfliche Diözesangewalt, kirchliches Benefizialwesen und volkssprachliche Rechtspraxis im frühmittelalterlichen Baiern (MGH Studien und Texte 28), Hannover 2000, S. 212-214.

[14] Prosopografische Untersuchungen haben ergeben, dass sämtliche in dieser Urkunde genannten Vasallen in Bayern beheimatet waren und daher mit den regionalen Verhältnissen vertraut gewesen sein dürften, vgl.: Salten, Vasallität, S. 189-197.

[15] Vgl.: Heinrich Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Weimar 1933, ND Darmstadt 1958, S. 17-18; K.-J. Hollyman, Le développement du vocabulaire féodal en France pendant le haut moyen age (Étude sémantique) (Société de publications romanes et françaises 58), Genf/Paris 1957, S. 115; Walther Kienast, Die fränkische Vasallität. Von den Hausmeiern bis zu Ludwig dem Kind und Karl dem Einfältigen, hg. von Peter Herde (Frankfurter Wissenschaftliche Beiträge, Kulturwissenschaftliche Reihe 18), Frankfurt a.M. 1990, S. 89.

[16] Vgl.: Pactus Legis Salicae, ed. Karl August Eckhardt (MGH LL nat. Germ. 4/1), Hannover 1962, c. 35, 9, S. 132. Zur weiteren Begriffsentwicklung, vgl.: Hollyman, Développement, S. 116-117; Kienast, Vasallität, S. 89-96.

[17] Vgl.: Lex Alamannorum, ed. Karl Lehmann (MGH LL nat. Germ. 5/1), Hannover 1888, S. 36-157, hier: c. 36, 3, S. 95-96.

[18] Annales regni Francorum inde ab a. 741. usque ad a. 829. qui dicuntur Annales Laurissenses maiores et Einhardi, ed. Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. i. us. schol. 6), Hannover 1895, ND Hannover 1950, ad a. 757, S. 14-16: Et rex Pippinus tenuit placitum suum in Compendio cum Francis; ibique Tassilo venit, dux Baioariorum, in vasatico se commendans per manus, sacramenta iuravit multa et innumerabilia, reliquias sanctorum manus inponens, et fidelitatem promisit regi Pippino et supradictus filiis eius, domno Carolo et Carlomanno, sicut vassus recta mente et firma devotione per iustitiam, sicut vassus dominos suos esse deberet.

[19] Annales regni Francorum, ad a. 787, S. 78: Tunc praespiciens se Tassilo ex omni parte esse circumdatum et videns, quod omnes Baioarii plus essent fideles domno rege Carolo quam ei et cognovissent iustitiam iamdicti domni regis et magis voluissent iustitiam consentire quam contrarii esse, undique constrictus Tassilo venit per semetipsum, tradens se manibus in manibus domni regis Caroli in vassaticum, et reddens ducatum sibi commissum a domno Pippino rege, et recredidit se in omnibus peccasse et male egisse.

[20] Vgl.: Matthias Becher, Eid und Herrschaft. Untersuchungen zum Herrscherethos Karls des Großen (Vorträge und Forschungen Sonderbd. 39), Sigmaringen 1993, S. 21-78.

[21] Ermoldus Nigellus, In honorem Hludovici christianissimi Caesaris Augusti, ed. Edmond Faral, in: Ders., Ermold le Noir. Poème sur Louis le Pieux et Épitres au roi Pépin (Les Classiques de l’Histoire de France au Moyen Age 14), Paris 1932, S. 2-201, hier: lib. 4, v. 2482-2493, S. 188-190: Mox manibus junctis regi se tradidit ultro / Et secum regnum, quod sibi jure fuit. / „Suscipe, Caesar, ait, me nec non regna subacta; / Sponte tuis memet confero servitiis.“ / Caesar ad ipse manus manibus suscepit honestis; / Junguntur Francis Danica regna piis. / Mox quoque Caesar ovans Francisco more veterno / Dat sibi equum nec non, ut solet, arma simul. / Festa dies iterum surgit renovata nitescens, / Francis et Denis concelebrata micat. / Interea Caesar Heroldum jamque fidelem / Munere donat opum pro pietate sua. Zur grundsätzlichen Bewertung des gesamten Vorgangs, vgl.: Salten, Vasallität, S. 87-94.

[22] Zu den Vorgängen, die der Taufe und Kommendation Haralds unmittelbar vorausgingen, vgl.: Raimund Ernst, Karolingische Nordostpolitik zur Zeit Ludwigs des Frommen, in: Carsten Goehrke/Erwin Oberländer/Dieter Wojtecki (Hgg.), Östliches Europa. Spiegel der Geschichte. Festschrift für Manfred Hellmann zum 65. Geburtstag (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 9), Wiesbaden 1977, S. 81-107, hier: S. 92-94; Volker Helten, Zwischen Kooperation und Konfrontation: Dänemark und das Frankenreich im 9. Jahrhundert, Köln 2011, S. 92-107.

[23] Annales de Saint-Bertin, ed. Félix Grat/Jeanne Vielliard/Suzanne Clémencet, Paris 1964, ad a. 858, S. 76: Berno dux partis pyratarum Sequanae insistentium ad Karlum regem in Vermeria palatio uenit, eiusque se manibus dedens fidelitatem statim iurat.

[24] Annales de Saint-Bertin, ad a. 862, S. 89: Et post uiginti circiter dies ipse Vuelandus ad Karolum ueniens, illi se commendauit et sacramenta cum eis quos secum habuit statim praebuit.

[25] Annales de Saint-Bertin, ad a. 873, S. 194-195: Karolus uiriliter ac strenue obsidionem Nortmannorum in gyro Andegauis ciuitatis exsequens, adeo Nortmannos perdomuit, ut primores eorum ad illum uenerint seseque illi commendauerint et sacramenta qualia iussit egerint, et obsides quot et quantos quaesiuit illi dederint, ut de ciuitate Andegauis constituta de exirent et in regno suo, quamdiu uiuerent, nec praedam facerent nec fieri consentirent.

[26] Vgl.: Harald Neifeind, Verträge zwischen Normannen und Franken im neunten und zehnten Jahrhundert (Heidelberg; Univ.; Diss.), Heidelberg 1971, S. 75.

[27] Der andere Teil der Seine-Normannen nahm noch im gleichen Jahr Abt Ludwig von Saint-Denis gefangen, vgl.: Annales de Saint-Bertin, ad a. 858, S. 77.

[28] Annales de Saint-Bertin, ad a. 862, S. 88-89. Vgl. auch: Neifeind, Verträge, S. 73.

[29] 863 wurde Weland der infidelitas angeklagt und im Zweikampf getötet, dieser Begriff alleine sagt aber nicht über ein spezielles Vasallitätsverhältnis zum König aus, vgl.: Annales de Saint-Bertin, ad a. 863, S. 104. Vgl. auch: Reynolds, Fiefs, S. 31 und 88. Zum Tode Welands, vgl.: Horst Zettel, Das Bild der Normannen und der Normanneneinfälle in westfränkischen, ostfränkischen und angelsächsischen Quellen des 8. bis 11. Jahrhunderts, München 1977, S. 168. Die Belagerung von Angers wird von verschiedenen Quellen des 9. und 10. Jahrhunderts erwähnt, aber auch hier findet sich nichts, was die Annahme einer vasallitischen Bindung erhärten könnte, vgl.: Annales Vedastini, ed. Bernhard von Simson (MGH SS rer. Germ. i. us. schol. 12), Hannover/Leipzig 1909, S. 40-82, hier: ad a. 873, S. 40; Regino von Prüm, Chronicon cum continuatione Treverensi, ed. Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. i. us. schol. 50), Hannover 1890, ad a. 873, S. 106-107; Cartulaire noir de la cathédrale d’Angers, ed. Ch. Urseau, Paris/Angers 1908, Nr. 35, S. 79-80; Folcwin, Gesta abbatum S. Bertini Sithiensium, ed. Oswald Holder-Egger (MGH SS 13), Hannover 1881, S. 607-635, hier: c. 74, S. 621.

[30] Paschasius Radbertus, Epitaphium Arsenii, ed. Ernst Dümmler, in: Abhandlungen der königl. Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin vom Jahre 1900, Phil.-Hist. Classe, II. Abh., Berlin 1900, S. 1-98, hier: lib. 2, c. 17, S. 85-86: Deinde in  alio capitulo: „Mementote, inquit, etiam et quod mei vasalli estis, mihique cum iuramento fidem firmastis.“ Ad quod rursus iidem: „Bene, inquiunt, recolimus ita esse uti mandastis, quoniam et a natura, et a promissis, et ab omni vere fidei sacramento profecto fideles sumus. Unde sicut numquam deseruimus militiae vestrae servitutem, ita donec spiritus in nobis superest, numquam desertores erimus, quia nobis gloria vestra, honor et prosperitas carior est, quam vita nostra. [...]“

[31] Vgl.: Carl Rodenberg, Die Vita Walae als historische Quelle (Göttingen; Univ.; Diss.), Göttingen 1877, S. 53-54; Mayke de Jong, The Penitential State. Authority and Atonement in the Age of Louis the Pious, 814-840, Cambridge 2009, S. 226.

[32] Vgl.: Brigitte Kasten, Aspekte des Lehnswesens in Einhards Briefen, in: Hermann Schefers (Hg.), Einhard. Studien zu Leben und Werk (Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission N.F. 12), Darmstadt 1997, S. 247-267, hier: S. 261.

[33] Vgl.: Charles Edwin Odegaard, Vassi and Fideles in the Carolingian Empire (Harvard Historical Monographs 19), Cambridge, Mass. 1945, S. 45-46. Vgl. auch: Brigitte Kasten, Economic and Political Aspects of Leases in the Kingdom of the Franks during the Eighth and Ninth Centuries: A Contribution to the current Debate about Feudalism, in: Bagge/Gelting/ Lindkvist (Hgg.), Feudalism, S. 27-55, hier: S. 47-48, die betont, dass Ludwig ein schwerer Fauxpas in den Mund gelegt worden sei, indem er provozierend von seinen Söhnen vasallitischen Gehorsam verlangte.

[34] Vgl.: Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 1. Die Urkunden Konrad I., Heinrich I. und Otto I., ed. Theodor Sickel (MGH DD regum et imperatorum Germaniae 1), Hannover 1879-1884, Nr. 198, S. 278.

[35] Annales Laureshamenses, ed. Georg Heinrich Pertz (MGH SS 1), Hannover 1826, S. 22-39, hier: ad a. 795, S. 36: [...] ipsi eum pleniter adhuc non venerunt, eo quod vassum domni regis Wizzin regem Abotridarum occiserunt; [...].

[36] Chronicon Moissiacense, ed. Walter Kettemann, in: Ders., Subsidia Anianensia. Überliefeurngs- und textgeschichtliche Untersuchungen zur Geschichte Witiza-Benedikts, seines Klosters Aniane und zur sogenannten „anianischen Reform“ (Duisburg; Univ.-GH; Diss.), Teil 2, Beilage 2, Duisburg/Essen 2008, ad a. 810, S. 113: Et godafredus rex nortmannorum misit quasi pacifice per insidias uassallum suum ut in dolo drosocum, regem abdritorum, occidisset quod ita factum fuit.[...] Et postea illi godafredus fuit interfectus a suo uassallo et perdidit regnum cum uita.

[37] Vgl.: Friedrich Kurze, Ueber die karolingischen Reichsannalen von 741-829 und ihre Ueberarbeitung. III. Die zweite Hälfte und die Ueberarbeitung, in: NA 21 (1896), S. 9-82, hier: S. 26-29; Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, Heft 2: Die Karolinger vom Anfang des 8. Jahrhunderts bis zum Tode Karls des Großen, bearb. von Wilhelm Levison und Heinz Löwe, Weimar 1953, S. 265.

[38] Neben Harald Klak und den erwähnten Normannenführern im Westfränkischen Reich wäre hier insbesondere die Kommendation ’Abdallahs, Sohn des Emirs ’Abdarrahman I. von Cordoba, gegenüber Karl dem Großen 797 zu erwähnen, den sein Bruder nach dem Tode des Vaters nach Mauretanien vertrieben hatte, vgl.: ARF, ad a. 797, S. 100: Et in Aquis palatio Abdellam Sarracenum filium Ibin Mauge regis, qui a fratre regno pulsus in Mauretania exulabat, ipso semetipsum commendante suscepit. Vgl. dazu: Roger Collins, The Arab Conquest of Spain 710-797, Cambridge 1989, S. 202-203, 211.

[39] Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni Imperatoris, ed. Hans F. Haefele (MGH SS rer. Germ., N.S. 12), Berlin 1959, lib. 2, c. 10, S. 65-66: Cumque prima die vel secunda inter reliquos statores eum imperator curiosioribus oculis intueretur, dixit ad  filium: „Cuius est ille puerulus?“ Illo respondente: „Quia meus et vester, si dignamini“ postulabat eum dicens: „Da illum mihi.“ Quod cum factum fuisset, deosculatum serenissimus augustus pusionem remisit ad stationem pristinam. Ille mox dignitatem suam cognoscens et cuiquam post imperatorem secundus remanese dispiciens, collectis animis et membris compositissime collocatis ęquato gradu stetit iuxta patrem suum. Quod providentissimus aspectans Karolus vocato ad se filio Hludowico praecepit, ut interrogarent cognominem suum, cur ita faceret vel qua fiducia se patri adęquare praesumeret. Ille vero raione subnixum reddidit responsum: „Quando“ inqiuens „vester eram vassallus, post vos, ut oportuit, inter commilitones meos steteram. Nunc autem vester socius et commilito non inmerito me vobis coęquo.“

[40] Vgl.: Heinz Löwe Das Karlsbuch Notkers von St. Gallen und sein zeitgeschichtlicher Hintergrund, in: Ders., Von Cassiodor zu Dante. Ausgewählte Aufsätze zur Geschichtsschreibung und politischen Ideenwelt des Mittelalters, Berlin/New York 1973, S. 123-148; Hans-Werner Goetz, Strukturen der spätkarolingischen Epoche im Spiegel der Vorstellungen eines zeitgenössischen Mönchs. Eine Interpretation der „Gesta Karoli“ Notkers von Sankt Gallen, Bonn 1981, S. 21-59. Simon MacLean, Kingship and Politics in the late ninth century. Charles the Fat and the end of the Carolingian Empire (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought: Fourth Series, Nr. 57), Cambridge 2003, S. 199-229 sieht Notkers Werk auch als einen Kommentar zur politischen Situation des Frankenreiches unter Karl III. und als Beitrag zur politischen Theorie der karolingischen Renaissance an.

[41] Vgl.: Goetz, Strukturen, S. 31, Anm. 92. Dieser Ansicht schließt sich auch Brigitte Kasten, Königssöhne und Königsherrschaft. Untersuchungen zur Teilhabe am Reich in der Merowinger- und Karolingerzeit (MGH Schriften 44), Hannover 1997, S. 237 an, die in der Selbstbezeichnung Ludwigs als Vasallen eine „pointierte Übertreibung eines konkurrierenden Befehl-Gehorsam-Gefüges zwischen Großvater und Enkel sowie Vater und Sohn“ zu erkennen glaubt.

[42] Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni, lib. 2, c. 12, S. 74.

[43] Dies scheint zumindest der Fall zu sein, wenn er von bischöflichen Vasallen spricht, vgl.: Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni, lib. 1, c. 18, S. 23; lib. 1, c. 20, S. 26.

[44] Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni, lib. 2, c. 19, S. 89-90.

[45] Vgl.: Kasten, Aspects, S. 48.

[46] Belege für pueri als Boten, vgl.: Gregor von Tours, Libri Historiarum X, ed. Bruno Krusch/Wilhelm Levison (MGH SS rer. Mer. 1,1), Hannover 1951, lib. 3, c. 18, S. 118; lib. 5, c. 19, S. 227: lib. 6, c. 35, S. 306; lib. 7, c. 40, S. 363; lib. 7, c. 42, S. 364. Desgleichen für pueri als militärisches Gefolge, vgl.: Ebd., lib. 6, c. 17, S. 286; lib. 6, c. 32, S. 303; lib. 7, c. 29, S. 348-349; lib. 7, c. 47, S. 366; lib. 10, c. 27, S. 520.

[47] Es sei hier nur auf das Beispiel des Gailenus hingewiesen, der ein puer des Chilperichsohnes Merowech, aber auch dessen familiaris war, vgl.: Gregor von Tours, Libri Hstoriarum X, lib. 5, c. 14, S. 208 bzw. lib. 5, c. 18, S. 224.

[48] Annales Vedastini, ad a. 884, S. 56: Franci vero, qui cum Karlomanno fuerant redierunt ad sua loca; pauci iuvenes cum eo remanserunt venandi causa in Basiu silva. In den Annales Fuldenses, ed. Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. i. us. schol. 7), Hannover 1891, ad a. 884, S. 101 wird von einem satelles gesprochen, der Karlmann verwundet habe.

[49] Vita Wandregiseli abbatis Fontanellensis, ed. Bruno Krusch (MGH SS rer. Mer. 5), Hannover 1910, S. 13-24, hier: c. 7, S. 16.

[50] Vita altera S. Wandregisili abbatis, in: AA SS Jul. V, Paris/Rom 1868, S. 272-281, hier: c. 2, S. 272: Cumque adolescentiae polleret aetas in annis, sub praefato rege Dagoberto militaribus gestis ac aulicis disciplinis, quippe ut nobilissimus nobiliter educatus est.

[51] Vita Ermenlandi abbatis Antrensis auctore Donato, ed. Wilhelm Levison (MGH SS rer. Mer. 5), Hannover 1910, S. 682-710, hier: c. 1, S. 684: Parentes autem eius, videntes eum litterarum doctrinis magna ex parte instructum regalibusque miliciis aptum, ab scolis eum recipientes, regiam introduxerunt in aulam atque regi Francorum cum magno cum honore militaturum commendaverunt, quatenus per tramitem huius militiae ad debitum progenitorum perveniret honorem. Zur vermuteten, aber nicht gesicherten Autorenschaft des Donatus, vgl. die Vorbemerkung zur Edition, ebd. S. 674-678 sowie Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, Heft 1: Die Vorzeit von den Anfängen bis zur Herrschaft der Karolinger, bearb. von Wilhelm Levison, Weimar 1952, S. 139.

[52] Einhard, Vita Karoli Magni, ed. Oswald Holder-Egger (MGH SS rer. Germ. i. us. schol. 25), Hannover 1911, ND Hannover 1965., c. 19, S. 23: Liberos suos ita censuit instituendos, ut tam filii quam filiae primo liberalibus studiis, quibus et ipse operam dabat, erudirentur. Tum filios, cum primum aetas patiebatur, more Francorum equitare, armis ac venatibus exerceri fecit [...]. Vgl.: Régine Le Jan, Frankish Giving of Arms and Rituals of Power: Continuity and Change in the Carolingian Period, in: Frans Theuws/Janet L. Nelson (Hgg.), Rituals of Power. From Late Antiquity to the Early Middle Ages (The Transformation of the Roman World 8), Leiden/Boston/Köln 2000, S. 281-309, hier: S. 283-284.

[53] Vgl.: Matthew Innes, „A Place of Discipline“: Carolingian Courts and Aristocratic Youth, in: Catherine Cubitt (Hg.), Court Culture in the Early Middle Ages. The Proceedings of the First Alcuin Conference (Studies in the Early Middle Ages 3), Turnhout 2003, S. 59-76, hier: S. 67. Zur Ausbildung eines Zusammengehörigkeitsgefühls junger adliger Krieger durch gemeinsame „Lerngruppen“, vgl.: Christoph Dette, Kinder und Jugendliche in der Adelsgesellschaft des frühen Mittelalters, in: AKG 76 (1994), S. 1-34, hier: S. 14-16.

[54] Vgl.: Carlrichard Brühl, Hinkmariana, in: Ders., Aus Mittelalter und Diplomatik. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1: Studien zur Verfassungsgeschichte und Stadttopographie, Hildesheim/München/Zürich 1989, S. 292-322, hier: S. 296-298; Brigitte Kasten, Adalhard von Corbie. Die Biographie eines karolingischen Politikers und Klostervorstehers (Studia humanoria 3), Düsseldorf 1985, S. 79.

[55] Hinkmar von Reims, De ordine palatii, ed. Thomas Gross/Rudolf Schieffer (MGH Font. iur. Germ. ant. in us. schol. 3), Hannover 1980, c. 27-28, S. 80-82: Et ut illa multitudo, quae in palatio semper esse debet, indeficienter persistere posset, his tribus ordinibus fovebatur. Uno videlicet, ut absque ministeriis expediti milites, anteposita dominorum benignitate et sollicitudine, qua nunc victu, nunc vestitu, nunc auro, nunc argento, modo equis vel ceteris ornamentis interdum specialiter, aliquando prout tempus, ratio et ordo condignam potestatem administrabat, saepius porrectis, in eo tamen indeficientem consolationem nec non ad regale obsequium inflammatum animum ardentius semper habebant: quod illos praefati capitanei ministeriales certatim de die in diem, nunc istos, nunc illos ad mansiones suas vocabant et non tam gulae voracitate quam verae familiaritatis seu dilectionis amore, prout cuique possibile erat, inpendere studebant; sicque fiebat, ut rarus quisque infra ebdomadam remaneret, qui non ab aliquo pro huiusmodi studio convocaretur. Alter ordo per singula ministeria in discipulis congruebat, qui a magistro suo singuli adhaerentes et honorificabant et honorificabantur locisque singuli suis, prout oportunitas occurrebat, ut a domino videndo vel alloquendo consolarentur. Tertius ordo item erat tam maiorum quam minorum in pueris vel vassallis, quos unusq uisque, prout gubernare et sustentare absque peccato, rapina videlicet vel furto, poterat, studiose habere procurabat. Gemäß der Einschätzung von Jakob Schmidt, Hinkmars „De ordine palatii“ und seine Quellen (Frankfurt, Univ., Diss), Gelnhausen 1962, S. 51 gehört dieser Abschnitt zu jenen, bei denen sich Hinkmar an seine Vorlage gehalten haben dürfte.

[56] Dass die expediti milites „the lowest level of the king’s fighting men“ bildeten, wie Bernard S, Bachrach, Early Carolingian Warfare. Prelude to Empire, Philadelphia 2001, S. 66 annimmt, erscheint fragwürdig, da die Inhaber der Hofämter offenbar großes Interesse daran hatten, sich ihrer Freundschaft zu versichern. Bei Personen geringerer Herkunft erscheint ein solches Verhalten unlogisch. Bachrachs Ansicht beruht auf der Übersetzung der Wendung absque ministeriis zu „ohne Diener“. Eine entscheidende Begründung, warum diese Übersetzung der sonst üblichen „ohne Amt“ vorzuziehen ist, sucht man allerdings vergebens, vgl.: ebd., S. 302-303, Anm. 129.

[57] Vgl.: Kasten, Adalhard, S. 82. Vgl. auch: Henri Peltier, Adalhard. Abbé de Corbie (Bulletin des Antiquaires de Picardie, Mémoires 52), Amiens 1969, S. 82.

[58] Vgl.: Bachrach, Early Carolingian Warfare, S. 71-75.

[59] Bachrach, Early Carolingian Warfare, S. 75-76 denkt an einen engen Zusammenhang der erwähnten pueri mit den ebenso bezeichneten unfreien Kriegern der Merowingerzeit. Zwar ist es nicht auszuschließen, dass auf unterer Ebene, gerade bei den minores, auch unfreie Vasallen vorkamen, dies kann aber nicht mit völliger Ausschließlichkeit gesagt werden.

[60] Reynolds, Elopements, S. 342-343 nimmt zurecht an, dass Vasallen eher zu den jüngeren Personen am Hofe gezählt werden müssen.

[61] Vgl.: Kasten, Aspekte, S. 262-263.

[62] Trad. Freis. Nr. 661, S. 556-558. Zur Wahrscheinlichkeit der Identität des dort erwähnten vir nobilis Baldrich mit dem 828 abgesetzten Markgrafen, vgl.: Salten, Vasallität, S. 203-206.

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Empfohlene Zitierweise

Oliver Salten: Überlegungen zur gesellschaftlichen Relevanz vasallitischer Beziehungen in der Karolingerzeit, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 22. März 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/3278 (ISSN 2197-6120).

 

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3278

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