Kommunismus im Kurort

Echo des Siebengebirges vom 16. Dezember 1926 (ULB Bonn)

Bei der Reichstagswahl im November 1932 erzielte die Kommunistische Partei Deutschlands im beschaulichen Kurort Honnef (seit 1960: Bad Honnef) 18,4 Prozent der Stimmen, im Ortsteil Selhof waren es sogar rund ein Drittel. Damit lagen die Kommunisten über dem Reichsdurchschnitt und waren hinter dem Zentrum die zweitstärkste Partei. Schon Jahre vorher bemerkte der Bürgermeister, dass „Honnef, ein Luftkur- und Badeort […] als Kommunistennest verschrien“[1] sei.

Nun waren die soziökonomischen Bedingungen in Honnef mit seinen knapp 9.000 Einwohnern keineswegs dazu angetan, eine starke kommunistische Bewegung hervorzubringen – genau das Gegenteil war der Fall. Tief katholisch und kaum industrialisiert hatte es hier eine organisierte sozialistische Arbeiterbewegung vor 1918/19 praktisch nicht gegeben, bei der Reichstagswahl 1912 kam der sozialdemokratische Kandidat lediglich auf 49 von 1247 abgegebenen Stimmen.



[...]

Quelle: http://histrhen.landesgeschichte.eu/2023/03/kommunismus-im-kurort-kuehne/

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Kommunismus im Kurort

Echo des Siebengebirges vom 16. Dezember 1926 (ULB Bonn)

Bei der Reichstagswahl im November 1932 erzielte die Kommunistische Partei Deutschlands im beschaulichen Kurort Honnef (seit 1960: Bad Honnef) 18,4 Prozent der Stimmen, im Ortsteil Selhof waren es sogar rund ein Drittel. Damit lagen die Kommunisten über dem Reichsdurchschnitt und waren hinter dem Zentrum die zweitstärkste Partei. Schon Jahre vorher bemerkte der Bürgermeister, dass „Honnef, ein Luftkur- und Badeort […] als Kommunistennest verschrien“[1] sei.

Nun waren die soziökonomischen Bedingungen in Honnef mit seinen knapp 9.000 Einwohnern keineswegs dazu angetan, eine starke kommunistische Bewegung hervorzubringen – genau das Gegenteil war der Fall. Tief katholisch und kaum industrialisiert hatte es hier eine organisierte sozialistische Arbeiterbewegung vor 1918/19 praktisch nicht gegeben, bei der Reichstagswahl 1912 kam der sozialdemokratische Kandidat lediglich auf 49 von 1247 abgegebenen Stimmen.



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Quelle: http://histrhen.landesgeschichte.eu/2023/03/kommunismus-im-kurort-kuehne/

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Pontafex Minimus

Bukarest. Eine Brandkatastrophe. Mittlerweile 60 Tote.

Der Verfasser dieser Zeilen plante nach seinem letzten Blogbeitrag eigentlich nichts Anderes als eine Weiterverfolgung und Kommentierung der Ereignisse in Rumänien nach der Wahl von Klaus Johannis zum Staatspräsidenten Rumäniens. Und hätte man ihn am Morgen des 30. Oktober 2015 nach den Chancen gefragt, Premierminister Victor Ponta alsbald hinterherwinken zu dürfen, so hätte er mit einem “nur sehr klein” geantwortet. Nein, es schien tatsächlich so, als würde sich Ponta mit aller Macht bis zu den nächsten Parlamentswahlen im Herbst 2016 im Amt halten zu wollen, und würden ihm nicht die eigenen Leute in den Rücken fallen, so stünden seine Chancen hierfür gut… so oder so ähnlich hätte wohl die Antwort gelautet.

Denn Ponta und seine Sozialdemokraten (PSD) hatten offenbar vor, so lange als möglich mit der Methode Aussitzen an der Macht zu bleiben.

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Quelle: http://ostblog.hypotheses.org/620

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Finnland, Russland und die NATO – ein Rollenwandel?

Kürzlich besuchte der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb Berlin. Nachdem er am Vortag den Berlin-Marathon mit neuer persönlicher Bestzeit gelaufen war, standen am darauffolgenden Tag (29.9.) bei seinem Antrittsbesuch politische Gespräche mit Kanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Schäuble auf der Tagesordnung.

Both of us got a PB. One of us broke the World Record. The other perhaps the PM Record. #BerlinMarathon. pic.twitter.com/yrIq5UOYQR

— Alexander Stubb (@alexstubb) September 28, 2014

Am Abend schließlich folgte eine Veranstaltung der Körber-Stiftung, an der ich auch teilnehmen konnte: Stubb hielt dort eine gut besuchte Rede zur europäischen Politik gegenüber Russland, vor allem bezogen auf den Krieg in der Ukraine. Wer erwartet hätte, der finnische Regierungschef würde den großen “Russland-Versteher” geben, sah sich getäuscht. Stubb ging zwar auch auf die Rolle Finnlands ein, vertrat aber vor allem eine geschlossene politische Haltung der EU. Sowohl bei dem sich an die konzise Rede anschließenden Q & A als auch in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurden Fragen gestellt, die auf Finnlands Position vis-à-vis der Sowjetunion im Kalten Krieg rekurrierten.

Im Mittelpunkt stand dabei das Wort “Finnlandisierung”, ein Kampfbegriff aus den Zeiten des Kalten Krieges, der aus Sicht des Westens die vorsichtige finnische Politik vis-à-vis der Sowjetunion benennen und kritisieren sollte. Aufgekommen war der Begriff eigentlich in konservativen bundesdeutschen Politikerkreisen, die damit die aus ihrer Sicht allzu nachgiebige neue Ostpolitik der Regierung Brandt diskreditieren wollte. So wie Finnland den Sowjets zu viele Zugeständnisse mache, bedeute Brandts Politik der Annäherung ein Feilschen um die Werte der westlichen Demokratie. 2010 erkannte die in Moskau erscheinende regierungskritische Moscow Times mögliche Anzeichen für eine “Finnlandisierung Georgiens und der Ukraine“.

Alexander Stubb, seit dem 24.6.2014 finnischer Ministerpräsident Flickr, CC-BY-NC-ND Ville Oksanen

Alexander Stubb, seit dem 24.6.2014 finnischer Ministerpräsident
Flickr, CC-BY-NC-ND Ville Oksanen

Noch heute empfindet Stubb bei der Frage, ob man der Ukraine eine Politik der Finnlandisierung empfehlen solle, dieses als Schimpfwort. Dennoch verweist er unmittelbar darauf, dass diese Politik Finnland erlaubt habe, ein demokratischer Staat zu bleiben. In der historisch-politischen Forschung Finnlands ist der Begriff der Finnlandisierung inzwischen längst angekommen – als Beschreibung einer Periode in der finnischen Politik, die vor allem mit dem Namen Urho Kekkonens verbunden bleibt.  Finnlandisierung bezeichnet ein übervorsichtiges Agieren in der finnischen Außen- und Sicherheitspolitik, das vor allem darauf angelegt war, Irritationen seitens der Sowjetführung so früh wie möglich zu antizipieren und entsprechend zu handeln. Ziel war es, ein Eingreifen der UdSSR in die finnische Innenpolitik wie in den 1950er und 1960er Jahren zu vermeiden. Dies reichte vor allem in den 1970er Jahren soweit, dass sich die finnischen Medien eine weitgehende Selbstzensur auferlegten und kritische Stimmen gegenüber dem großen Nachbarn vermieden. Die finnische Geschichtswissenschaft hat den Begriff – von seiner polemischen Note befreit – also als Analysebegriff akzeptiert und verwendet ihn mittlerweile regelmäßig.

Abgesehen von Stubbs Ablehnung des Begriffs spiegelt sich in seiner Rede und Interviews im Umfeld des Berlin-Besuchs der Rollenwandel, den Finnland seit einiger Zeit vollzieht, wider. Die Süddeutsche Zeitung spricht im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise vom “Ende der Neutralität” in Skandinavien und sieht Schweden auf einer ähnlichen Linie wie Finnland: Die beiden seit Jahrzehnten durch ihre Neutralitätspolitik bekannten Staaten rücken immer stärker an die NATO heran. Beide Länder stehen seit zwei Jahrzehnten durch das Partnership for Peace-Programm in einer engen Kooperation mit dem nordatlantischen Militärbündnis. Doch für Schweden, das 2014 auf 200 Jahre ohne Kriegsbeteiligung zurückblickt und für Finnland, das sich durch seine – völkerrechtlich letztlich nie verankerte – Neutralitätspolitik vor einer zu starken Vereinnahmung durch Moskau retten konnte, galt die Neutralität lange als in die jeweilige Identität und Selbstwahrnehmung eingebrannt.

Diese Zeiten sind nicht erst seit der Ukraine-Krise vorüber. Bereits der Georgien-Konflikt 2008 hatte Stubb, damals finnischer Außenminister, zu der Stellungnahme “Wir müssen unsere Sicherheitspolitik neu bewerten” veranlasst und gefordert, man solle eine NATO-Mitgliedschaft erwägen. In einem Interview mit der englischen Ausgabe von Spiegel Online meinte er jüngst gar, Finnland hätte bereits 1995, als das Land der EU beitrat, gleichzeitig der NATO beitreten sollen. Unter den Umständen der damaligen Zeit wäre dies wohl kaum zu machen gewesen – in der öffentlichen Debatte in Finnland galt das Thema bis zum Präsidentschaftswahlkampf 2011/2012 als Tabu, auch wenn es gelegentliche Äußerungen in dieser Richtung gab. Präsident (seit 2012) Sauli Niinistö – Parteifreund von Stubb in der konservativen “Kokoomus” [Nationale Sammlungspartei] – hat sich anfangs eher vorsichtig oder gar mahnend in der Frage einer finnischen NATO-Mitgliedschaft geäußert. Doch nun scheint die Angelegenheit zusehends auf die politische Tagesordnung zu geraten. Im Sommer dieses Jahres gab es bereits ein von Niinistö initiiertes Strategietreffen. Experten erwarten zwar, dass das Thema nicht vor den nächsten Parlamentswahlen im April 2015 hohe Dringlichkeit erhalten werde. Im September unterzeichneten beide Länder ein so genanntes Host-Nation-Support-Abkommen mit der NATO, welches engere Zusammenarbeit ermöglicht. Ein möglicher Schritt Finnlands und Schwedens hin zu einem NATO-Beitritt könnte aber für das Folgejahr durchaus anstehen. Russland hat beide Länder bereits vor den Konsequenzen eines solchen Schrittes gewarnt, ohne zu benennen, worin diese bestehen könnten.

Warum beschäftige ich mich hier auf dem NordicHistoryBlog mit solcher Zukunftsmusik und Spekulation? Für den Historiker ist es interessant zu beobachten, wie zwei neutrale Länder eine historisch gesehen sehr langlebige essentielle politische Leitlinie im Lichte der momentanen Entwicklungen überdenken. Wir beobachten also gerade, wie sich ein historischer Paradigmenwechsel vollzieht. Stubb wehrt Aufforderungen an Finnland ab, seine langjährigen Erfahrungen mit dem russischen Nachbarn in den Dienst der Diplomatie zu stellen und an die Traditionen des Kalten Krieges anknüpfend, als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine aufzutreten. Viele haben dabei die oftmalige Rolle Helsinkis als Ort für Gipfeltreffen der Supermächte oder als Unterzeichnungsort der KSZE-Schlussakte 1975 in Erinnerung. Aber die große Erzählung vom “Land zwischen Ost und West”, die Selbst- und Fremdbild der Finnen über lange Zeit prägten, ist schon seit längerem an ein Ende gekommen. Möglicherweise wird dies aber jetzt erst so recht sichtbar. Stubb unterstreicht in allen seinen Äußerungen, das wichtigste Ereignis in der jüngsten finnischen Geschichte der EU-Beitritt 1995 gewesen sei. Er betont immer wieder mit einer Metapher aus der Sportwelt, Finnland habe sich damals für eine Mannschaft entschieden (die EU) und könne daher nun nicht auf einmal Schiedsrichter sein.

Wenn in Bezug auf den EU-Beitritt 1995 immer wieder gesagt wurde, nun sei  Finnland dort angekommen, wohin es schon lange gestrebt habe, so scheint es dieser Tage so, als würde die Botschaft aufs Neue formuliert und auch jetzt mit der deutlichen Positionierung – auch wenn die Finnen nicht mit allen Teilen der Sanktionspolitik übereinstimmen – zementiert und nochmals deutlicher als bisher manifestiert. Ein Rollenwandel – der abhängige, aus Verlegenheit neutrale Kleinstaat als selbstbewusstes Mitglied der europäischen Staatenfamilie und möglicherweise in einigen Jahren auch Mitglied der NATO.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2572

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1864 und die Folgen, Teil 3 | 1864 – die vergessenen Brüder und Schwestern

Unter den zahlreichen Gedenktagen, die das Jahr 2014 zu bieten hat, fällt neben dem Beginn des Ersten Weltkrieges auch der 150. Jahrestag des Krieges von 1864 mit seinen Schlachten um Düppel und Alsen. Sind diese Ereignisse in Deutschland heute nahezu vergessen, so nahmen sie in Dänemark noch bis vor wenigen Jahren eine immanent wichtige Stellung in der Erinnerungskultur ein – die Brüder und Schwestern jenseits der neuen Grenze sollten nie vergessen werden, so das allgemeine Credo. Schaut man sich aber den Verlauf des Jahres 2014 bisher an, so liegen die Wertungen heuer an ganz anderer Stelle. Zwar diskutiert man auch heute noch über Deutschland, allerdings liegt das Interesse ganz woanders.

Diese Interessenverschiebung soll an der sogenannten Heuschreckendebatte, die in den letzten Wochen die Schlagzeilen der Zeitungen und das politische Leben beherrscht hat, verdeutlicht werden. Unter Heuschrecken versteht man z.Zt. in Dänemark generell EU-Ausländer, die “wie Heuschrecken über die nationalen, dänischen Sicherungssysteme herfallen”, d.h. Ausländer, die in Dänemark arbeiten, so Brian Mikkelsen von der Konservativen Folkeparti. Nachdem vor einigen Jahren ein Vorstoß, Gehaltszahlungen ins Ausland zu verbieten (dänisches Geld soll in Dänemark ausgegeben werden) im Sande verlaufen war, hatte die Regierung 2010 beschlossen, Ausländer, die weniger als 10 Jahre in Dänemark gelebt haben, vom Bezug des Kindergeldes auszuschließen. Nachdem diese Regelung jetzt vom Europäischen Gerichtshof gekippt wurde, gehen die Wogen hoch her, da 0,6 % aller dänischen Kindergeldausgaben nun an Ausländer gezahlt müssen, ein, da sind sich alle Parteien einig, unerträglicher Zustand.

Was hat diese Debatte mit 1864 zu tun? Nun, diese Debatte dreht sich zwar vordergründig um “Polakken” (das dänische Wort für Polen), trifft aber die dänische Minderheit in Schleswig umso schwerer. Und so war es denn auch ein deutscher Staatsangehöriger, der in Dänemark arbeitet, der zusammen mit der Region Sønderjylland vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt und Recht erhalten hatte. In der aufgeheizten nationalen Stimmung, die in zunehmendem Maße seit circa einem Jahrzehnt die dänische politische Landschaft beherrscht, wird Dänemark als nationale ethnische Einheit verstanden, die es abzuschotten gilt. Unter diesen Vorzeichen ist zum Beispiel der gescheiterte Neubau von Grenzsperranlagen an der deutsch-dänischen Grenze oder die Heuschreckendebatte zu verstehen. Für die Region Schleswig/Sønderjylland [Südjütland] bedeutet dieses, dass die dortige Problematik und die dort erreichten friedlichen Lösungen vollständig aus dem Blickfeld der Kopenhagener Öffentlichkeit entschwunden sind. So besitzen z.B. die Mitglieder der dänischen Minderheit die deutsche Staatsangehörigkeit und wohnen in Deutschland, wodurch man ihnen automatisch das Recht auf Kindergeld und Gehaltstransfer abschreiben wollte, sofern sie ihre Sprachkompetenz nutzen und im Mutterland arbeiten wollten.

Vor diesem Hintergrund haben die Hinweise auf die 1864-Feierlichkeiten ganz andere Voraussetzungen als noch 1964, als noch viele Veteranen des Abstimmungskampfes aus den 1920er Jahren zugegen waren. Wartete man 1964 mit Spannung auf das Eingreifen des Königs, der dann auch wirklich mit seiner Rede in Düppel den Dänen aus der nationalen Seele sprach, steht 2014 ein mediales Großereignis an. Der dänische Rundfunk Danmarks Radio hat sich in der teuersten Produktion in der dänischen Rundfunkgeschichte des Jahres 1864 für 170 Millionen dänische Kronen [~ 22,76 Millionen Euro] angenommen und wird die Ereignisse, eine Erzählung über Unschuld und Liebe – über Ignoranz und politischen Wahnsinn [en fortælling om uskyld og kærlighed – om ignorance og politisk dårskab], so DR selbst, in acht Teilen den Dänen näher bringen. Allerdings ist die Filmatisierung nicht rechtzeitig fertig geworden, so dass anstatt des 18. Aprils (des Jahrestages des Sturmes auf Düppel) nun der September als Ausstrahlungstermin ins Auge gefasst wird.

In dieser Serie, bei der ein Massenaufgebot an Soldaten im Kanonenrauch ihr Leben lassen sollte, geht es vor allem um Reenactment und mediale Aufarbeitung, so wie auch die Fregatte Jylland am 14. März mit einer Kanone eine Breitseite (sic!) der Schlacht von Helgoland 1864 nachgeschossen hat und man in Düppel den Krieg von 1864 hautnah und mit Kostümen nacherleben kann. Die heutigen Dänen sollen mit allen Sinnen die Ereignisse von 1864 nachempfinden, wieviel historisches Verstehen dabei allerdings vermittelt wird, bleibt abzuwarten. Und überhaupt ist 1864 im medialen Zeitalter angekommen: Auf der Seite http://1864.dk erhält man die neuesten News vom Schlachtgeschehen 1864 in Wort und Ton und kann die Ereignisse Tag für Tag verfolgen.

1864 ist bisher von den politischen Seiten der Zeitungen ins Feuilleton abgerutscht, die Besetzungsliste und die Finanzierung des 1864er Filmes war bisher wichtiger, als der eigentliche Inhalt – und in der politischen Debatte haben 1864 und Sønderjylland bisher keinen Platz. Natürlich gibt es auch ernsthafte Versuche, sich dieses Themas anzunehmen. Neben einigen Tagungen und Ausstellungen unterstreicht z.B. der NDR zusammen mit DR Süd das friedliche Nebeneinander von Deutschen und Dänen (150 Jahre nach deutsch-dänischem Krieg: Koproduktion von NDR 1 Welle Nord und Danmarks Radio P4 Syd) womit sie wohl Pionierarbeit auf diesem Gebiet leisten. Bis nach Kopenhagen sind diese Bemühungen aber noch nicht vorgedrungen.

Und auch in der Forschung war es bisher verhältnismäßig still, vor allem, wenn man den Mediensturm betrachtet, den Tom Buk-Swientys beide Bände Schlachtbank Düppel im Jahr 2008 und Dommedag Als [Untergangstag in Alsen] aus dem Jahr 2010 ausgelöst haben. Diese beiden Bände waren zum ersten Mal eine Art Nabelschau des eigenen Verhaltens und haben erstmals an dem den Dänen seit 1900 bis heute unverändert in den Schulen gelehrten Weltbild zweifeln lassen. Für eine Aussage, inwieweit dieses Früchte tragen wird, ist es allerdings noch zu früh. Sollte man ein Fazit in den letzten Märztagen des Jahres 2014, vor dem Höhepunkt der eigentlichen Feierlichkeiten Ende April, ziehen, so liegt 1864 im Moment in sehr weiter Ferne. War 1964 Sønderjylland ein heißes, politisches Eisen und 1864 ein Teil der Gegenwartspolitik, so hat man heute die Dänen im Süden vergessen.

Und auch mit den Symbolen hat man seine Probleme. So kam die Mühle von Düppel, Symbol des Krieges von 1864 und des dänischen Verlustes par excellence, in solche Geldnot, dass die laufenden Renovierungskosten nicht mehr bezahlt werden konnten – und es fanden sich kaum Sponsoren. Dänemark ist im Moment so selbstzentriert, dass alles andere außerhalb der jetzigen Grenzen sehr weit weg zu sein scheint. Deutschland ist im Moment kein großes Feindbild, aber auch kein Zusammenarbeitspartner – Deutsche sind halt Ausländer.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2275

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„habe im gebrochenen Deutsch gefragt, was da angeschlagen sei”


RNB St. Petersburg, F 993 Arch. Westf., K. 17, Nr. 10 494–10 686, hier Nr. 10 507: Abschrift einer Deklaration von J. H. G. Oppermann, protokolliert von Hoffmann, Polizeikommissar in Braunschweig, 2. 4. 1813.

„[…] den Tags Befehl d. 29.sten März a.c. in welchen bekannt gemacht worden, daß mehrere Russen [lateinische Schrift] getödtet und zu Gefangnen gemacht worden, und welches an die Ecken der Gaßen angeschlagen worden war, in der Gegend des August Thors abgerissen habe […] Gärtner Oppermann […] dabei gegenwärtig […]

Johann Heinrich Gebhardt Oppermann [deklarierte gemerkt zu haben, wie] mehrere Leute an der Ecken gestanden, und den Tags Befehl gelesen hätten, er sei ebenfalls hinzu getreten, um denselben zu lesen. Ein Französischer Cuirassier habe ebenfalls unter diesen Leuten gestanden, habe im gebrochenen deutsch gefragt, was da angeschlagen sei. Es sei denselben hierauf gesagt, daß 200 Mann Russen getödtet und 17 zu Gefangenen gemacht worden, der Franzose habe hierauf erwiedert.

‚Spricht man die 200 Mann Russen todt, 17 Cosacken Gefangen, aber man sagt nicht wie viel Franzosen todt und gefangen genommen worden. Ich bin in Moscau gewesen, und weiß die Russen zu schätzen, und noch hinzugesagt S. V. Scheiss, und habe in 2 malen von der Ecken den Tags Befehl abgerißen. […]

Oppermann-Hoffmann”. 

 

Zur Quelle:

 

Diese Quelle ist in zwei Hinsichten interessant: Zum einen zeigt es, wie Übersetzungsprozesse spontan und unkompliziert zustande kamen. Beispielsweise konnte ein Nachbar oder Fremder als Interpret dienen. Im Protokoll vom Polizeikommissar Hoffmann wird deutlich, dass er auf der Suche nach einem französischen cuirassier, der mithilfe der umstehende Bevölkerung den Inhalt des zweisprachigen Anschlags erfuhr. Er sprach zwar nur gebrochen Deutsch, aber seine Zweisprachigkeit genügte, um die versammelten deutschsprachigen Menschen auf der Straße vor dem Anschlag anzusprechen und mit ihrer Hilfe den Inhalt des Anschlags zu erschließen. Aus einem anderen Dokument der gleichen Polizeiakte (Polizeibericht vom Generalpolizeikommissar der Hohen Polizei François Thibault de Guntz an seinen Vorgesetzten Bongars) erfährt man, dass der Tagesbefehl vom 29. März zweisprachig war. Daraus ergibt sich, dass der Cuirassier weder das Deutsche noch das Französische selbst nachlesen konnte, weil er des Lesens nicht mächtig war. Dies bedeutet, dass ein zweisprachiger Analphabet französischer Herkunft über Dritte, nämlich einsprachige deutsche Schriftsässige, durch Vorlesen auf Deutsch trotz geringer deutscher Sprachkenntnisse Zugang zum Inhalt des Anschlags erhielt – und dies, obwohl der gleiche Text eigentlich auch in seiner Muttersprache zur Verfügung stand. Da der französische cuirassier  nicht lesen konnte, hatte er sich in der Hoffnung zu ihnen gesellt, er werde unter den Leuten, die sich um den Anschlag versammelt hatten, bestimmt jemanden finden, der ihm entweder den französischen oder den deutschen Text vorlesen würde.

Zum anderen habe der Cuirassier den Anschlag abgerissen, so der Gärtner Johann Heinrich Gebhardt Oppermann und empört zum Besten gegeben, dass er der napoleonischen Kriegspropaganda kein Glauben mehr spende, nachdem er den Rußlandfeldzug miterlebt habe. Der französische cuirassier äußerte mit dieser Aktion und seinem Wutausbruch seine Desillusion über die Kriegszüge Napoleons und die Informationspolitik der französisch-kaiserlichen und westphälischen Macht, die mehr eine propagandistische Desinformationspolitik war.

 

Weiterführend:

Roger Chartier (Hg.), Pratiques de la lecture, Marseille 1985.

Erich Pelzer, Die „Bulletins de la Grande Armée” als Werkzeuge napoleonischer Propaganda, Selbstdarstellung und Legendenbildung, in: Rüdiger Schmidt, Hans-Ulrich Thamer (Hg.), Die Konstruktion von Tradition. Inszenierung und Propaganda napoleonischer Herrschaft (1799–1815), Münster 2010, S. 209–234.

 

Zitiert/verwendet, in:

Claudie Paye, „Der französischen Sprache mächtig”. Kommunikation im Spannungsfeld von Sprachen und Kulturen im Königreich Westphalen 1807−1813, München 2013, S. 127.

 

Abbildung Banner: C. G. H. Geißler, Französische Soldaten, welche auf dem Marsche zur Armee unter einem Baum biwaquieren, Radierung, um 1807, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Gei III/5a, CC BY-NC-ND 2.0 DE

Quelle: http://naps.hypotheses.org/388

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Auf der Suche nach noch einem König: Finnland als kurzlebige Monarchie 1918


Der 1918 zum finnischen König gewählte Friedrich Karl von Hessen-Kassel
Wikimedia Commons/Svenska centralarkivet (gemeinfrei)

Im Nachgang zu Michael Penks kurzweiligem Beitrag über das isländische Kokettieren mit der Monarchie drängt sich einem der finnische Vorläufer aus dem Jahr 1918 geradezu auf. Finnland hatte sich am Nikolaustag 1917, der dort als Unabhängigkeitstag Jahr für Jahr mit Grandezza – einige würden böse sagen: Brimborium – begangen wird, formal für unabhängig erklärt. Die Finnen nutzten das postrevolutionäre Chaos, um sich und aus dem zunehmend kollabierenden Russischen Reich gelöst, waren aber gleich darauf in die Wirren eines Bürgerkriegs geraten, der, obgleich von kurzer Dauer, zu den blutigeren Konflikten des 20. Jahrhunderts gehört. Die siegreiche bürgerlich-konservative Seite im Bürgerkrieg, die so genannten “Weißen”, gruppierten sich um die Führungsgestalten Generalleutnant C. G. E. Mannerheim (ehemals im Dienste der kaiserlichen russischen Armee) und den Senatspräsidenten Pehr Evind Svinhufvud. Sie sahen sich nach Ende des Konflikts im Mai 1918 der Frage gegenüber, wie die Verfassung und damit das politische System des souveränen finnischen Staates aussehen sollten. Bei der Ausgestaltung des neuen Staatswesens kam ihnen zweifelsohne der Umstand zupass, dass die eigentliche Opposition der Vorkriegs- und Kriegsjahre – die finnische Sozialdemokratie – im Gefolge des Bürgerkriegs von der politischen Teilhabe ausgeschlossen werden konnte. Ein nicht unbeträchtlicher Teil ihrer Mitglieder befand sich ohnehin unter den ca. 80.000 in Lagerhaft genommenen und anschließend abgeurteilten “Roten”, von denen der Großteil freilich zum Jahresende 1918 wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. In Anbetracht dieser eklatanten Schwächung der republikanischen Kräfte des Landes legte man sich innerhalb der politischen Führung des Landes relativ bald auf die Monarchie als Staatsform fest und favorisierte – zumindest mehrheitlich – die Einsetzung eines deutschen Prinzen auf dem zu schaffenden finnischen Thron. Der erzkonservative, monarchistisch und entschieden pro-deutsch eingestellte Svinhufvud wurde für die Zeit der Suche nach einem geeigneten Staatsoberhaupt zum Reichsverweser bestellt, der konservative Politiker und Bankier J. K. Paasikivi zum Ministerpräsidenten ernannt. Beide wurden übrigens später Staatspräsidenten des Landes, das sie 1917/18 mit aus der Taufe gehoben hatten. Mannerheim, der von der unbedingten Orientierung auf Deutschland nur wenig hielt, lehnte einen deutschen Regenten ab und bemühte sich vergebens um eine schwedische oder dänische Alternative für den finnischen Thron. Zugleich mobilisierten sich im finnischen Parlament, der Eduskunta, die verbliebenen republikanischen Kräfte, die – in Abwesenheit der sozialdemokratischen Mehrheitsfraktion – vor allem aus Agrariern und jungfinnischen Liberalen bestanden. Nach intensiven und zum Teil bitter geführten Debatten wählte die Eduskunta schließlich am 9. Oktober einen Schwager des Deutschen Kaisers Wilhelm II., Friedrich Karl von Hessen-Kassel, als Fredrik Kaarle I. zum “König von Finnland und Karelien, Herzog von Åland, Großherzog von Lappland und Herrn über Kaleva och Pohjola”. Der ursprünglich für den Thron vorgesehene Sohn des Kaisers, Prinz Oskar von Preußen, hatte nach Intervention des Kaisers und der Reichsregierung von der finnischen Königswürde Abstand nehmen müssen.

Was in der Rückschau in der Tat wie ein episodisches “Königsabenteuer” wirkt, entsprach in Wirklichkeit einem ganz offensichtlichen Trend der Zeit sowie den Umständen des letzten Kriegsjahrs in Nordosteuropa. Deutsche Prinzen wurden seit dem 19. Jahrhundert regelrecht zum ‘Exportschlager’, als vor allem auf dem Balkan neue Nationalstaaten entstanden und ein entsprechender Bedarf nach – zumindest nominell – konstitutionell herrschenden Monarchen aufkam. Sie galten als imperial nur bedingt kontaminiert und vergleichsweise (v)erträglich – und es gab ein recht umfängliches Angebot von ihnen, das sich bereitwillig auf die Throne von Griechenland, Albanien oder Rumänien wählen ließ. Nach dem Zusammenbruch des Zarenreichs und dem Frieden von Brest-Litowsk im Frühjahr 1918 kam als weiterer – förmlich zwingender – Grund hinzu, dass man sich bei der Etablierung und Konsolidierung der eigenen Staatlichkeit die Protektion des einzigen verbliebenen Hegemons der Region, des Deutschen Kaiserreichs, wünschte bzw. sich dieser in Ermangelung von Alternativen nicht entziehen konnte. In dem engen Zeitfenster des Jahres 1918 übertrug sich die Vorliebe für den Import deutscher Prinzen daher auch auf die spontan aus dem Boden gestampften baltischen Monarchien, wie sich anhand der buchstäblich im Rohr krepierten Kandidaturen des Württemberger Herzogs Wilhelm Karl von Urach für den litauischen Thron (als Mindaugas II.) und des passionierten Forschungsreisenden und Kolonialabenteurers Adolf Friedrich zu Mecklenburg-Schwerin für das deutsch-baltische Vereinigte Baltische Herzogtum ablesen lässt. Der Turkuer Historiker Vesa Vares hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass sich das finnische Verhalten im Sommer und Herbst 1918 nur in der historischen Rückschau als episodischer Einzelfall, als das von Anders Huldén beschworene “Königsabenteuer” begreifen lässt. Es bildete weit eher die Regel in einem Reigen von vermeintlichen Königsabenteuern, deren Ziel in der Stabilisierung noch völlig ungefestigter und unter existenziellen Verwerfungen leidender Staatswesen bestand.

Dass es sich in der Sicht der Beteiligten um alles andere als ein skurriles Abenteuer handelte, ist auch aus den Vorbereitungen ersichtlich, die die Verantwortlichen in Helsinki in Erwartung der Ankunft ihres Königs trafen. Das finnische Außenministerium entsandte zwei profilierte Jungdiplomaten, den späteren Außenminister Hjalmar Procopé und den Archivar der Behörde (und späteren Gesandten) Harri Holma, nach Schloß Friedrichshof im Taunus, um dem angehenden König und seiner Familie einen landeskundlichen Crashkurs zu verabreichen und zudem erste Grundlagen in der finnischen Sprache zu vermitteln. Währenddessen bereitete die Protokollabteilung des Außenministeriums in Helsinki ein opulentes Begrüßungszeremoniell für das neue Staatsoberhaupt vor, in dessen Zentrum die feierliche Einfahrt des von Tallinn kommenden Königs in den Hafen stehen sollte, begleitet von Salutkanonaden und Kirchengeläut. Den Höhepunkt der Feierlichkeiten sollte die Krönung des neuen Königs bilden, für die der finnische Metallbildhauer und Avantgarde-Künstler Eric O. W. Ehrström bereits eine eigene Krone entworfen hatte.

Aus dem oben angedeuteten kleinstaatlichen Opportunismus, dem der finnische Staat im 19. und vor allem 20. Jahrhundert seine Existenz schuldet, erklärt sich auch, dass nach Abhandenkommen der projektierten Schutzmacht Deutschland im November 1918 auch das Projekt einer finnischen Monarchie nahezu geräuschlos ad acta gelegt wurde. Erinnerungskulturell sah es sich in den folgenden Jahrzehnten zur Fußnote der finnischen Geschichte relegiert. Obgleich der Gedanke einer monarchischen Ordnung in Finnland bis zur Verabschiedung der finnischen Verfassung noch die eine oder andere Blüte trieb, schwenkten die politischen Eliten des Landes schnell auf den von den Westmächten vorgegebenen Kurs ein und republikanisierten ihre bereits zu großen Teilen geschriebene Verfassung. Der wesentliche Träger der Annäherung an Deutschland, Svinhufvud, wich am 12. Dezember 1918 als Reichsverweser dem stärker auf die Westmächte hin orientierten und anglophilen Mannerheim. Mit ihm verzichtete auch Friedrich Karl von Hessen auf den ihm erst zwei Monate zuvor angetragenen Thron – und Finnland wurde zu jener “halbmonarchistischen” Präsidialrepublik (Juha Siltala), wie sie bis zum Inkrafttreten der neuen Verfassung im Jahre 2000 existierte. Der Staatspräsident erlangte in der Verfassungsrealität quasimonarchische Züge, wie etwa auch die “Überfigur” Urho Kekkonen zeigte. Als Fußnote zu einer Fußnote lässt sich jene Episode bezeichnen, von der Jyrki Paloposki auf Grundlage von Aktenmaterial des Archivs des finnischen Außenministeriums berichtet: Friedrich Karls Interesse an Finnland und das Interesse Finnlands an seinem vormaligen König erstarben offenbar auch nach seiner Abdankung nicht gänzlich. Wochen nach seinem Tod am 28. Mai 1940 schlich sich im Auftrag der finnischen Regierung ein Attaché der Gesandtschaft in Berlin in die Kapelle der Burg Kronberg im Taunus, in der Friedrich Karl als Oberhaupt des Hauses Hessen-Kassel begraben liegt. Nur beobachtet vom Kämmerer der Burg legte er am Grab des gewesenen und doch nicht ganz gewesenen Königs von Finnland einen Kranz nieder, auf dem zu lesen war: “Landgraf Fr. Karl / Die Regierung von Finnland”.

Literatur

  • Rainer von Hessen: “König im „Land der ernsten Augen“. Das finnische Thronangebot an Prinz Friedrich Karl von Hessen im Sommer 1918.” In: Bernd Heidenreich u.a. (Hrsg.): Kronen, Kriege, Künste. Das Haus Hessen im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt: Societäts-Verlag 2009, S. 190–204.
  • Anders Huldén: Finnlands deutsches Königsabenteuer 1918. Reinbek: Warnke Verlag 1997.
  • Jyrki Paloposki: Foreign Ministry Maker of a King in 1918 (23.12.2008), URL: http://formin.finland.fi/public/default.aspx?contentid=153726&nodeid=15153&contentlan=2&culture=en-US
  • Hannes Saarinen: “Friedrich Karl”. In: Suomen kansallisbiografia 3. Helsinki: Suomalaisen Kirjallisuuden Seura 2004, S. 109–110.
  • Vesa Vares: Kuninkaan tekijät: Suomalainen monarkia 1917–1919. Myytti ja todellisuus. Porvoo-Helsinki-Juva: WSOY 1998.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/674

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Das Breivik-Urteil: Was bleibt?


Blumen und Kerzen auf Utøya, 28.7.2011
Flickr, CC-BY-NC-SA NRK P3

Ein Gastbeitrag von Bernd Henningsen

Bernd Henningsen (* 1945) war bis 2010 Professor für Skandinavistik/ Kulturwissenschaft sowie Kultur und Politik Nordeuropas und der Ostseeregion am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Er hat u.A. zur skandinavischen Ideengeschichte, politischen Kultur Nordeuropas sowie den deutsch-nordischen Geistesbeziehungen geforscht.

Am Freitag, den 24. August 2012 pünktlich um 10 Uhr begann die Richterin des Osloer Gerichts, Wenche Elizabeth Arntzen mit der Verlesung des Urteils gegen Anders Behring Breivik, sie dauerte bis in den späten Nachmittag und wurde in voller Länge vom nationalen Fernsehen übertragen. Sich selbst zum „Tempelritter“ ernannt, hatte Breivik nach jahrelanger Vorbereitung am 22. Juli 2011 im Osloer Regierungsviertel eine Autobombe gezündet, bei der acht Menschen starben, neun wurden zum Teil schwer verletzt; anschließend hat er auf der Insel Utøya, dem traditionellen Feriencamp der sozialdemokratischen Arbeiterpartei 69 (fast ausschließlich) Jugendliche erschossen, die meisten von ihnen durch Kopfschuss, einige starben an den Folgen des Massakers, erlagen ihren Verletzungen, ertranken auf der Flucht; 33 Personen erlitten Verletzungen, auch diese in vielen Fällen schwere. Die Zahl der psychisch verletzten und traumatisierten Personen ist außerordentlich. Das von ihm angerichtete Leid ist unermesslich. Auf der Todesliste des Attentäters standen auch der norwegische Premierminister, Jens Stoltenberg und eine seiner Vorgängerinnen, Gro Harlem Brundtland – beide waren mehr oder weniger zufällig zum Zeitpunkt nicht auf der Insel. Der Name Anders Behring Breivik wird im nationalen Gedächtnis Norwegens eingeätzt bleiben – das war auch seine Intention. Hätte das Gericht ihn für nicht zurechnungsfähig erklärt, und wäre er einer psychologischen Behandlung unterworfen worden, wie dies von Gutachtern befürwortet worden war, dann wäre dies in seinen Augen die größte Kränkung seines an Kränkungen reichen Lebens geworden. Nach der norwegischen Rechtsordnung hätte er dann im Falle einer erfolgreichen Behandlung, das heißt also der psychischen Wiederherstellung, aus der Verwahrung entlassen werden müssen – seine Taten waren die eines Kranken, den man nicht für sein Tun verantwortlich machen und bestrafen kann …

Das Gericht ist dieser Interpretation nicht gefolgt, es hat Breivik für zurechnungsfähig erklärt und ihn mit einer Höchststrafe für 21 Jahre in Haft geschickt, nach norwegischem Rechtsbrauch bedeutet dies, dass er nie mehr freikommen wird. Ein solches Urteil hat er gewollt, auf eine Revision hat er verzichtet. Jedem, der seine Reaktion bei der Urteilsverkündung erlebt oder der sie auf dem Bildschirm gesehen hat, wird das Grinsen erinnerlich bleiben, mit dem er die richterliche Zurechnungsfähigkeitserklärung quittierte. Das Urteil war für ihn eine Genugtuung.

Der Breivik-Prozess hatte nicht primär zur Aufgabe, den Angeklagten zu überführen – er war ja in allen Punkten geständig. Insofern ist auch mit einer gewissen Berechtigung gefragt worden, warum das Gericht diesen Aufwand betrieben hat. Der Prozess war allerdings der Versuch, hat zumindest diese Funktion gehabt, den gesellschaftlichen Frieden wieder herzustellen, den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, den Beteiligten und Hinterbliebenen die Anerkennung ihres Leids zu demonstrieren und ihnen bei der Trauma-Bearbeitung – soweit ein Gericht das kann – zu helfen. Indem das Gericht den Attentäter für zurechnungsfähig erklärt hat, hat es außerordentlich klug und vorausschauend geurteilt. Indem die Staatsanwälte, die auf das Gegenteil plädiert hatten, auf eine Revision verzichteten, sind sie dieser richterlichen Klugheit gefolgt – sie haben bedacht unterschieden zwischen Recht haben und Recht bekommen: Man mag sich nicht ausmalen, was den Opfern im Besonderen und der Gesellschaft im Allgemeinen zugemutet worden wäre, wenn es  eine Fortsetzung des Prozesses und/oder eine Neuauflage gegeben hätte, geben sollte. Dem Rechtsfrieden ist eine Chance gegeben worden.

Das Gericht hat in einer gesellschaftlichen Krisensituation in vorbildlicher Weise die Funktion angenommen, die es in einer demokratischen Gesellschaft haben soll: Repräsentant eben dieser Gesellschaft zu sein, Recht zu sprechen, aber auch symbolisch auszudrücken, was diese Gesellschaft zusammenhält. Nach allem was man erfährt, haben die Hinterbliebenen, hat die Mehrheit der Gesellschaft sowohl den Prozess als auch das Urteil akzeptiert und als symbolischen Akt der Krisenbewältigung verstanden. Das auch anzutreffende und durchaus weit verbreitete Gefühl, endlich eine bedrängende Situation überstanden zu haben, ist dazu kein Widerspruch, diese (verständliche) Erleichterung stützt eher die These. Mit Fug und Recht wird man festhalten können, dass die norwegische Gesellschaft ungemein kreativ die materielle und symbolische Krisenbewältigung angenommen hatte und noch annimmt. Die Fähigkeit zu trauern war eine ungemein weit verbreitete.

Breivik hat während des ganzen Prozesses kein Mitleid für die Opfer und Hinterbliebenen gezeigt, er war nur gerührt über eine von ihm selbst verfertigte und im Gerichtssaal gezeigte Präsentation seines Programms, über das in seinen Augen korrekte Urteil – und er zeigte Gefühle darüber, dass er nicht mehr Menschen erschossen hat, sein Ziel war gewesen, alle 564 Teilnehmer des Camps hinzurichten. Er wird in den kommenden Jahren bei der Lektüre des Urteils sicherlich noch berührt werden von der Klarsicht des Gerichts, das ihm attestiert hat, dass sein Tun und Handeln nicht nur verantwortungslos war, sondern dass das politische Gerüst, das er gezimmert hat, auf Hirngespinsten beruhte: Es gibt keinen Tempelritterorden, es sei denn in seiner Phantasie. Das Gericht hat festgehalten, dass er in einer Fantasy-Welt gelebt hat, in der es kein Recht auf Leben für andere, nicht-weiße Norweger gibt.

Und eine weitere Kränkung wird Breivik verarbeiten müssen: Sein Fall hat länger als ein Jahr Schlagzeilen in den internationalen Medien provoziert, ihm war weltweit Aufmerksamkeit sicher. Der Tag nach der Urteilsverkündung war sein letzter Tag des narzisstischen Triumpfes: Er bestimmte am Samstag, den 25. August 2012 die Schlagzeilen der Weltpresse – schon am Sonntag war der Fall Breivik der Presse keine Nachricht mehr wert, es gibt ihn nicht mehr. In Norwegen selbst wird es allerdings eine lang andauernde Debatte geben, ja geben müssen über die politische, die polizeiliche Verantwortung, über den Strafvollzug, über den Umgang mit den traumatisierten Opfern – vor allem aber wohl über die Meinungsfreiheit und den Umgang mit Fremden. Die von Jens Stoltenberg reklamierte offene und tolerante norwegische Gesellschaft, die man sein und bleiben will, muss die Herausforderung aufnehmen. Sie tut es bereits, anderswo könnte man sich daran ein Beispiel nehmen.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/624

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