Informationsinfrastrukturen im Wandel …

Der diesjährige Historikertag wartete mit der erfreulichen Neuerung auf, eine eigene HauptkategorieeHumanities” zu führen, in der jeden Tag mindestens eine Session verortet war. Am Freitag, den 28.9.2012 gab es eine fast vierstündige Sektion unter dem Titel “Informationsinfrastrukturen im Wandel: Zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Informationsverarbeitung in historischer Lehre und Forschung“. Nach einer Reihe von “Impulsreferaten” wurde zunächst mit den Referenten diskutiert, bevor es eine allgemeine Podiumsdiskussion mit anderen Podianten als Vertretern verschiedener Teilbereiche der geschichtswissenschaftlichen Ökosystems (Historiker, Doktoranden, Bibliothekare, Portalbetreiber, Verleger) gab.

Leider hatten alle Teile wenig bis gar nichts mit dem zu tun, was ich selbst unter Informationsinfrastrukturen (geschweige denn in Gegenwart und Zukunft) verstehen würde. Das Thema wurde also eher “implizit” bearbeitet, wenn über die Arbeit des Historikers und die digitalen Wandlungen dieser Arbeit diskutiert wurde. Wenn ich eigens nach Mainz gereist war, um als jemand, der in einem Infrastrukturprojekt beschäftigt ist, etwas über die Sicht der historisch arbeitenden Fachkollegen auf Infrastrukturen zu erfahren, so blieb der Erkenntnisgewinn zu dieser Frage eher gering. Dafür scheinen mir zwei andere Details berichtenswert, die ich hier rein willkürlich herausgreifen möchte und die nicht für die Gesamtheit der Veranstaltung und der Beteiligten stehen.

Zum Einen wurde von Christoph Cornelißen beiläufig darauf hingewiesen, dass die (nicht zuletzt von Peter Haber) viel diskutierten Beschreibungsmuster der Wissenschaftler in der digitalen Welt als “digital immigrants” und als “digital natives” natürlich zu ergänzen sind um die größte, möglichwerweise nicht nur gefühlt 90% umfassende Gruppe der “digital ignorants” – die man bei einer systematischen Betrachtung der gegenwärtigen Wissenschaftstransformation ebenfalls unter die Lupe nehmen müsste. Zum anderen wurde mal wieder (und: ja, ich mache das auch öfters) die Monstranz des “Wir müssen die wissenschaftliche Qualität sichern und die wissenschaftlichen Qualitätsstandards bewahren” aus dem Tabernakel geholt. Dabei ist es immer das gleiche: Die Monstranz wird gezeigt, es wird aber nicht weiter darauf eingegangen, worin die postulierten Qualitäten eigentlich bestehen und wie sie zu sichern, geschweige denn zu prüfen wären. Dass “wissenschaftliche Qualität” in der freien Wildbahn praktisch nur als vage Selbstzuschreibung und als Verteidigungsbegriff gegen alles Andere und Neue vorkommt, ließ sich auch hier wieder eindrücklich beobachten. Pauschal wurde da z.B. von einem auf dem digitalen Feld zu beobachtenden “Wildwuchs” der Angebote gesprochen, die die traditionellen Qualitätsstandards unterlaufen würden und denen gegenüber “Qualitätserfordernisse” definiert werden müssten (was sicher nicht schaden kann). Immerhin mündete der sporadische Verweis auf die Digital Humanities nicht in ein allgemeines DH-bashing, nachdem Charlotte Schubert auf das hohe Maß der Selbstreflexion in den DH verwiesen hatte.

Eine sonderbare Note bekam die Rede über die Qualitätsicherung im historischen Feld allerdings auch dadurch, dass als Grundlage der vorgetragenen Gedanken eine “Diskussion an der Hotelbar am gestrigen Abend” referenziert wurde und dass bemängelt wurde, dass man heute kaum noch einen Vortrag halten könne, ohne dass im Publikum online recherchiert würde, ob der Vortragende auch wirklich keinen Unsinn erzählt (und ich dachte, DAS sei ein Zeichen von Qualitätssicherung). Die reklamierte Qualität der vortragenden Wissenschaftler erscheint so als eine, die sich gerade nicht überprüfen lassen will. Dazu passend wurden dann auch “Freiräume” für den Geisteswissenschaftler reklamiert, die “von elektronischer Beobachtung frei” sein sollten. Die Apologie der digitalen Ignoranz gipfelte im Ausruf, dass man auch heute noch “hervorragende Geschichtswerke ohne das Internet schreiben” könne. Das ist sicher richtig, wenn die historische Erkenntnis rein und vollständig aus den persönlich konsultierten Quellen, aus der Beschäftigung mit der älteren Literatur oder unmittelbar von Gott kommt. Sollte sie allerdings auch auf einem wissenschaftlichen Diskurs gründen, der im Hier und Jetzt stattfindet und der sich nun einmal auch der gegenwärtigen Technologien und Medien bedient, dann wird man die Prozesse der Erkenntnisgewinnung und ihre Qualitätsabschätzung doch etwas differenzierter betrachten müssen. Selbst angelegte Scheuklappen scheinen dann eine eher schlechte Basis für “hervorragende” Wissenschaft zu sein. Und wieso aus Ignoranz Qualität entstehen soll, werde ich vielleicht auch erst später begreifen …

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=915

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Worüber wir reden, wenn wir vom Digital Turn reden

Gibt es ihn, den Paradigmenwechsel in den Geisteswissenschaften, und wenn ja, ist es gar ein “Digital Turn”? Wo und wie sind die deutschen Digital Humanities im internationalen Kontext zu verorten? Nicht nur das Symposium “10 Jahre Forschung & Entwicklung an der SUB Göttingen” verhandelte am gestrigen Donnerstag diese Fragen, sondern auch der Berliner „Tagesspiegel”:

Digitalisierte Geisteswissenschaften: Jedes Wort ein Pixel

Der ebenfalls lesenswerte zugehörige Leser-Kommentar spricht angesichts der vergleichsweise geringen nationalen Fördersummen kritisch von den “BigMacHumanities”.

Immerhin, das Thema schafft es mittlerweile auch in die regionale Tagespresse – ein erfreuliches Zeichen.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=901

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Das Archiv im Zeitalter seiner digitalen Reproduzierbarkeit oder: Wozu brauchen wir Archive?

“Wir stehen noch mit einem Bein im Papierzeitalter.” (Ulrich Raulff)

In seiner “Kulturfragen”-Sommerreihe “Wozu brauchen wir…?” sendete der Deutschlandfunk gestern nachmittag ein Interview Karin Fischers mit Ulrich Raulff, Leiter des Deutschen Literaturarchivs Marbach, zum Thema “Wozu brauchen wir im digitalen Zeitalter Archive?” Die papiernen Archive verlören heute – und auch in absehbarer Zeit – keinesfalls ihr Lebensrecht, so Raulff diplomatisch, gewönnen aber “neue Lebensrechte auf der digitalen Seite”. Der Deutschlandfunk fragt außerdem: Ist das Horten von Büchern in Hunderten von Regalmetern wirklich noch zeitgemäß?  Wer benutzt heute noch Zettelkataloge? Wozu dienen all die steinernen Bücherhäuser, wenn ganze Nachlässe auf Sticks abgegeben werden? Dazu mehr auf

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/kulturfragen/1862168/ (mit Audioplayer).

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=870

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Forschungen zur Wissenschaftskommunikation aus linguistischer, historischer, soziologischer und philosophischer Perspektive

Nach drei anregenden thematisch fokussierten Tagungen hat sich am 5. und 6. September 2012 eine Arbeitsgruppe getroffen, um Projektideen und Forschungen zum Thema Wissenschaftskommunikation zu konkretisieren. Die Darmstädter Linguistin Nina Janich hat diesen Forschungsschwerpunkt initiiert und die Tagungen und Treffen gemeinsam mit ihrem Team organisiert und durchgeführt.

Unter dem Namen Scientific Communication Research (SciCoRe) sollen Forschungen zusammengeführt werden, die sich beispielsweise mit Wissensformen, mit Kommunikation innerhalb wissenschaftlicher Communities , aber auch mit nach außen gerichteten Vermittlungskulturen, Medien- und Textformaten beschäftigen (traditionelle und auch neue Formen wie bloggen und twittern). Fragen nach Auswirkungen von Datenaufbereitung wie Datenpräsentation, Virtualisierungen und Visualisierungen, die Tendenz zu Simulationen im Kontrast zu Evidenzbasierung werden ebenso diskutiert wie mediale Aspekte, sprachlich-diskursive Popularisierungsstrategien und politisch-historische Legitimationsprozesse. Dabei werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei den geistes- und gesellschaftswissenschaftliche Disziplinen und den Experimental- und Technowissenschaften betrachtet und hinterfragt.
Die Gruppe setzt sich zusammen aus Soziologen, Philosophen, Historikern, Sprachwissenschaftlern und Digital Humanists. Obwohl es zunächst so schien, als seien unsere Forschungsinteressen stark divergierend und unsere Ausgangspunkte sehr unterschiedlich, stellen sich in den Gesprächen und Arbeitsgruppen rasch zahlreiche Überschneidungen, Vernetzungen und gemeinsame Fragestellungen heraus.

  • Selbstdarstellung im öffentlichen Diskurs
  • Veränderungen von Publikations- und Kommunikationskulturen in den Fachdisziplinen
  • Forschung zwischen Nichtwissen und Beratungsauftrag
  • Virtualisierung von Forschungsprozessen, Simulationen, Evidenzbasierung
  • Status u d Zuschreibungen von “Experten”, “Dilettanten” und “Laien”, deren jeweilige Performanz in unterschiedlichen medialen Kommunikationszusammenhängen
  • Fehler- und Irrtumskultur, Umgang mit vorläufigen Forschungsergebnissen, Zwischenergebnissen

Was mich besonders interessiert – aus sprachwissenschaftlicher wie Digital Humanities-Perspektive – sind gewiss die Fragen nach Virtualisierungen von Forschungsprozessen, da dieses Thema im Rahmen von TextGrid und Dariah zentral ist. Viele Dinge, die wir in diesem Kontext gewissermaßen aus der Praxis heraus täglich bearbeiten und diskutieren, sind bislang nicht systematisch beschrieben und erforscht. Wie die Entwicklungen der Humanities im Hinblick auf Digital Humanities nach innen in die eigene Community, in die “traditionellen” Fachcommunities und in die Öffentlichkeit kommuniziert werden, wie jeweils “Experten-”Status- und Zugehörigkeitszuschreibungen vorgenommen werden, wie mit Unsicherheiten umgegangen wird, wie “Zwischenergebnisse” (z.B. nicht tief annotierte Rohdaten) zur Nachnutzung weitergegeben werden und wie dafür wissenschaftliche Benefits – auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs – generiert werden können, das alles gehört wohl auch auf die Forschungsagenda der Digital Humanities, um die wissenschaftliche Selbstreflexion voranzutreiben und definitorische Beiträge zu den Digital Humanities zu leisten.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=859

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Digital Humanities: The Movie

Was die Digital Humanities können und sollen, darüber wird in der Zunft trefflich und mit Leidenschaft gestritten. Ihr Potential indessen auch einem breiten Publikum verständlich zu vermitteln, das versucht der von TextGrid produzierte Kurzfilm “Virtuelle Forschungswelten: Neue Technologien in den Geisteswissenschaften”.

Der Film zeigt, wie virtuelle Forschungsumgebungen v.a. den textbasierten Geisteswissenschaften die vernetzte Forschung erleichtern und z.B. der Erstellung digitaler Editionen und der Langzeitarchivierung von Forschungsdaten neue Möglichkeiten eröffnen.

Zu sehen auf YouTube:
http://www.youtube.com/watch?v=JRBYR9OA45Q (dt.)
http://www.youtube.com/watch?v=kjO9epVZHa0 (engl.)

Entstanden ist der Film mit finanzieller Unterstützung der D-Grid GmbH unter Mitwirkung der SUB Göttingen sowie den Kolleginnen und Kollegen von TextGrid (http://www.textgrid.de) und DARIAH-DE (http://www.de.dariah.eu/).

Feedback, Kommentare, Anregungen und Verbreitung herzlich willkommen!

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=757

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Die Geburt der Theorie aus dem Geiste der Kritik – oder wie zwei neue Publikationen den Stand der Digital Humanities reflektieren

Eine der spannendsten Diskussionen in den Digital Humanities konzentriert sich auf die Frage, was sich sinnvoll mit diesem Begriff verbinden lässt. Interessant ist diese Frage vor allem deshalb, weil sie die Suche nach dem Kern dessen betrifft, was wir Digital Humanists täglich praktizieren und womit wir uns identifizieren. Doch gerade in implementierenden Projekten bleibt zu wenig Zeit für derartige Reflexionen. Einige Disziplinen tendieren dazu, eine solche reflexive Perspektive grundsätzlich aus der alltäglichen Arbeit „outzusourcen“ und sie als Meta-Knowledge zu begreifen (Evans & Foster 2011). Die Schwierigkeit dieser Strategie liegt darin, dass sie die Grundlagen und Voraussetzungen einer Forschung oder einer Forschungsrichtung in etwas Statisches verwandelt, das damit nicht mehr denselben Prinzipien zeitlicher, räumlicher und sozialer Abhängigkeit unterworfen ist wie die projektbezogene Forschung selbst. Gerade Geisteswissenschaftler haben durch ihre alltägliche Arbeit gegenüber dieser Problematik ein besonderes Verhältnis entwickelt. Im Bereich der Digital Humanities lassen sich ganz unterschiedliche Bestrebungen finden, einen Begriff davon zu entwickeln, welchem Konzept der eigenen Wissenschaft man sich zugehörig fühlt. Am bekanntesten dürften dabei wohl offensive Ansätze sein, wie z. B. das Digital Humanities Manifesto 2.0, das eine regelrechte Mobilisierung der Community zur Folge hatte (UCLA 2009). Ein ganz anderer, dagegen fast schon nüchtern anmutender Ansatz ist die empirische Studie The Landscape of Digita Humanities (Svensson 2010). Hier wurde die Diversität an Projekten und Initiativen untersucht, die sich selbst dem Feld der Digital Humanities zuordnen. Trotz zahlreicher weiterer Aktivitäten rund um eine Standortbestimmung fällt seit jüngerer Zeit jedoch auf, dass zunehmend auch kritische Stimmen aus dem Bereich der Digital Humanities selbst ihre Unzufriedenheit gegenüber einem Mangel an reflexiver, theoretischer oder kritischer Durchdringung des Feldes äußern. Stellvertretend mag der Vortrag von Alan Liu auf der Modern Language Association Convention 2011 genannt werden, in dem konstatiert wird:

In the digital humanities, cultural criticism – in both its interpretive and advocacy modes – has been noticeably absent by comparison with the mainstream humanities (Liu 2011)

Darüber hinaus wurde auf Digital Humanities Now unter dem Titel „Digital Humanities and theory round-up“ eine Zusammenstellung an Blog-Artikeln veröffentlicht, die sich der Rollenbestimmung von Theorie in den Digital Humanities widmete (ohne Autor 2011). Und zum Jahresende suchte Frederick Gibbs schließlich noch den „critical discourse in the digital humanities“ (Gibbs 2011). Auch der jüngst stattgefundene „Cologne Dialogue on Digital Humanities“ war nicht unbeeinflusst von diesem sich entwickelnden Thema, so wenn z. B. Willard McCarty im Prelimanry Paper schreibt „it’s the worrying I take interest in. This worrying is worth far more to us than to be treated either as romantic reaction or as premonition“ (McCarty 2012, p.4) und dieser Sorge um die “Idee der Geisteswissenschaften” seinen Vortrag widmet.

Um ein Analysewerkzeug für die beschriebenen Entwicklungen und Äußerungen zu entwickeln, bietet sich ein Anschluss an die hybride Grundkonstellation der Digital Humanities selbst an. Digitale Techniken erscheinen immer noch derart messianisch und besitzen eine solche Innovationsdynamik, dass sie die Vorstellung produzieren, als würde sich die Welt innerhalb der digitalen Techniken reproduzieren. Ein Motiv, welches z. B. in der Rede über die Digital Natives zum Ausdruck kommt, die alles nur noch digital machen. Bezogen auf die Geisteswissenschaften kommt diese Denkart im Blog von Lauren Klein zum Ausdruck, wenn ein Autor das Unternehmen Digital Humanities beschreibt als: „Taking humanities and putting them into a digital format“ (cpeagler1 2012). Wie eine breit angelegte, empirische Studie vor kurzem deutlich gemacht hat, ist der Ansatz des nativ Digitalen eine Mär. Vielmehr kommt es 30 Jahre nach der Etablierung dieses Begriffs zu komplexen und unterschiedlichen Arrangements zwischen digital vermittelten Handlungsweisen und anderen Praktiken (Shah 2011). Um in der beliebten Werkzeugmetapher zu bleiben, die gerne bei der Konzeption von Tools benutzt wird, bedeutet dies im Bereich der Digital Humanities, nicht nur bei einer Suche nach digitalen Werkzeugen/Tools zu verweilen. Vielmehr sollte die Werkzeugmetapher im Rahmen andauernder Reflexion auch auf digitale Techniken als solche angewendet werden. Bevor man das zuvor formulierte Bedürfnis nach einer derartigen Reflexion in einer sehr einfachen Argumentation lediglich als eine gewöhnliche Begleiterscheinung eines Medienwechsels verwirft, ist zu bedenken, dass hiermit auch eine im Kern geisteswissenschaftliche Tätigkeit verworfen werden würde, die immer darin bestand,

nicht nur Lösungen für Probleme anzubieten, (…) sondern über die eigentliche Form dieser Probleme nachzudenken; ein Problem auch genauso zu erkennen, wie wir ein Problem wahrnehmen. (Zizek 2010)

Es sagt also etwas über das Feld der Digital Humanities aus, wenn die bloße Bedürfnisformulierung nach dieser ureigensten geisteswissenschaftlichen Bewegung bei einigen Skepsis und Kritik hervorruft. Gegenteilig könnte man diese Entwicklung auch als Erfolgsgeschichte der Digital Humanities werten. Sie markiert einen Prozess, in dem die Digital Humanities sich wirklich in den Geisteswissenschaften verankern und den Status einer „eingeschworenen Gemeinde“ verlassen. Auch aus der Perspektive empirisch arbeitender Richtungen, die weniger Anlass für ein epistemisch begründetes Zaudern verspüren, sollte eine solche Auseinandersetzung begrüßt werden. Schließlich bietet sie doch die Möglichkeit, vermeintliche oder reale Vorurteilen und Barrieren zu entkräften. Um der Pointe halber diese Beobachtung etwas zu pauschalisieren, ließe sich sagen, dass in den geisteswissenschaftlichen Publikationen in Zusammenhang mit digitalbasierten Medien das diffuse Feld der Digital Humanities bisher primär die Rolle übernahm, die Möglichkeiten dieser Medien für die geisteswissenschaftliche Forschung zu propagieren. Eine Reflexion dieser Medien fand vorwiegend in Bereichen der Medientheorie und der Kulturwissenschaften statt. Für die dortige Forschung waren digitale Medien aber mehr ein Objekt der Forschung denn ein Objekt, mit dem geforscht werden könnte. Durch diese Distanz praktizierten beide Diskursräume in der Vergangenheit zu häufig unabhängig voneinander. Gerade hier findet aber zur Zeit eine Verschiebung statt. Diese zeigt sich, so die angestrebte Pointe und gleichzeitig eigentlicher Anlass dieses Posts, in zwei nahezu zeitgleich publizierten Büchern der letzten Monate:

  • Berry, David M. (Hrsg.): Understanding Digital Humanities, Palgrave Macmillan 2012.

  • Gold, Matthew K. (Hrsg.): Debates in the Digital Humanities, Minneapolis, London: University of Minnesota Press 2012.

Beide Publikationen beinhalten eine Sammlung von Aufsätzen, die versuchen, das Feld Digital Humanities zu erschließen, zu theoretisieren und zu kontextualisieren. Dabei hat sich David Berry von der Universität in Swansee als Herausgeber von „Understanding Digital Humanities“ bisher dem Thema vor allem aus medientheoretischer Richtung genähert. Dazu zählen Beiträge, wie „The Philosophy of Software“ (Berry 2011) oder auch „The Computational Turn“ (Beavers et al. 2011). „Debates in the Digital Humanities brings together leading figures in the field“ und war daher von vornherein stärker als Selbstreflexion der Community konzipiert. Der Umstand, dass einige Autoren in beiden Büchern auftauchen, sowie die stärkere Fokussierung der Medienphilosophie auf das Feld der Digital Humanities jenseits des überfrachteten Forschungsgegenstandes „Computation“ bezeugen die angesprochene Entwicklung. In einer ersten Reaktion auf die Debates durch Ramsay (Ramsay 2012) begrüßt er zwar die Publikation, belastet sie aber gleichzeitig wieder dadurch, dass er der Suche nach einer intensiveren theoretischen Durchdringung der Digital Humanities und der partiell kritischen Distanz einiger Autoren die Ursache der Ängstlichkeit unterstellt. Hoffnungsvoll bleibt er „not because it (die Debates in Digital Humanities, A.d.V.) shows no signs of the anxieties I’ve mentioned, but because “debate” always holds out the possibility that benevolence will be the result.“ Wer so argumentiert, hat für sich im Vorfeld bereits definiert, was das Ziel dieser Diskussion sein soll, und hofft nun auf das „Wohlwollen“ der Diskutierenden. Jenseits seiner Angst, dass dies nicht passieren könnte, sollten wir uns verdeutlichen, dass eine ernsthafte Debatte selbst definiert, wie Ergebnisse und Kriterien „zum Wohle“ der Sache aussehen könnten. Eine Debatte deren Maßstäbe von vornherein festgelegt sind, ist keine offene Debatte mehr, und sie wird mit Sicherheit auch nicht das Unbehagen – Unbehagen, nicht Angst – beseitigen, aus der sie hervorgegangen ist. Vielmehr muss es darum gehen diesem Unbehagen eine wissenschaftliche Form zu geben und dies geschieht in der Theorie.

In diesem Sinne, viel Spaß beim Lesen und Denken…

 

Anon, 2011. Digital Humanities and Theory Round-Up. Digital Humanities Now. Available at: http://digitalhumanitiesnow.org/2011/11/digital-humanities-and-theory-round-up/ [Accessed April 16, 2012].

Anon, 2009. Digital Humanities Manifesto 2.0.

Berry, D.M., 2011. The Philosophy of Software: Code and Mediation in the Digital Age, Palgrave Macmillan. Available at: http://www.amazon.com/Philosophy-Software-Code-Mediation-Digital/dp/0230244181.

cpeagler1, 2012. Digital Humanitites. Digital Humanities. Available at: http://lkleincourses.lcc.gatech.edu/dh12/2012/01/23/digital-humanitites/ [Accessed March 16, 2012].

Evans, J. a. & Foster, J.G., 2011. Metaknowledge. Science, 331(6018), pp.721–725.

Gibbs, F., 2011. Critical Discourse in the Digital Humanities. Historyproef. Available at: http://historyproef.org/blog/digital-humanities/critical-discourse-in-the-digital-humanities/?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed:+DigitalHumanitiesNow+(Digital+Humanities+Now).

Liu, A., 2011. Where is Cultural Criticism in the Digital Humanities, Available at: http://liu.english.ucsb.edu/where-is-cultural-criticism-in-the-digital-humanities/.

McCarty, W., 2012. The residue of uniqueness. In Cologne Dialogue on Digital Humanities. Köln. Available at: http://www.cceh.uni-koeln.de/files/McCarty.pdf.

Ramsay, S., 2012. The Hot Thing. Stephen Ramsay. Available at: http://lenz.unl.edu/papers/2012/04/09/hot-thing.html?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed%3A+DigitalHumanitiesNow+%28Digital+Humanities+Now%29 [Accessed April 12, 2012].

Shah, N., 2011. In Search of the Other: Decoding Digital Natives, Available at: http://dmlcentral.net/blog/nishant-shah/search-other-decoding-digital-natives.

Svensson, P., 2010. The Landscape of Digital Humanities. , 4(1). Available at: http://www.digitalhumanities.org/dhq/vol/4/1/000080/000080.html.

Zizek, S., 2010. Zeit der Monster. Le Monde Diplomatique (Deutsch). Available at: http://www.monde-diplomatique.de/pm/2010/11/12.mondeText.artikel,a0048.idx,14 [Accessed April 5, 2012].

 

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=458

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The Cologne Dialogue on Digital Humanities 2012

Derzeit, am 23. und 24. April 2012,  findet in Köln am Cologne Center for eHumanities ein Dialogmartahon mit hochkarätigen Teilnehmern statt.

Der erste Tag fragt “What are the Digital Humanities?“, der zweite steht unter dem Zeichen “Making the Digital Humanities work: Tools, infrastructures, technology and conceptual work.

Es werden 7 Kontroversen ausgetragen, die jeweils eine Diskussion anstoßen sollen und von weiteren eingeladenen Experten kommentiert werden.

  1. Do the Digital Humanities have an intellectual agenda or do they constitute an infrastructure?
    mit Willard McCarty und Patrick Svensson
  2. Are all approaches towards interdisciplinary research between the Humanities and Computer Science meaningfully represented by the current concept of Digital Humanities?
    mit Domenico Fiormonte und Susan Schreibman
  3. What is the scope of the Digital Humanities? What is the relationship between individual disciplines served by them?
    mit Jeremy Huggett und Jan Christoph Meister
  4. What is the appropriate role of markup?
    mit Espen S. Ore und Desmond Schmidt
  5. Big structures or lightweight webs. What is the most sensible technical template for research infrastructures for the Digital Humanities?
    mit Sheila Anderson und Joris J. van Zundert
  6. “Digital curation” or “digital preservation” is a topic, which has originated within the world of digital libraries; recently it has been drawn closer and closer to the Digital Humanities. Using its as example: What is the proper balance between conceptual work and technology?
    mit Henry R. Gladney and Hellen Tibbo
  7. “Digital Libraries” have started their life as an answer to opportunities created by a specific stage of technical development. Where are they now, between Computer Science and the Digital Humanities?
    mit Edward A. Fox und Hans-Christoph Hobohm

Mehr Information zur Veranstaltung

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=423

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