Wie keine zweite Organisation kümmert sich «Мемори...
Aufklärung gegen Widerstand: Jurij Dmitriev und der Stalinsche Terror in Sandormoch
Denkmal „Menschen, töten einander nicht“ in Sandormoch. Es wurde auf Initiative Jurij Dmitrievs hin errichtet. – Foto: Archiv Jurij Dmitriev
Vor zwanzig Jahren, im Sommer 1997, wurde in einem stillen Kiefernwald im nordöstlichen Teil Kareliens, zwischen der Stadt Medvež’egorsk und der Siedlung Povenec, ein Massengrab entdeckt – eine der größten Stätten des Stalinschen Terrors in Russland. Die Grabstätte mit unzähligen quadratischen Erdmulden, erhielt den Namen „Sandormoch“, eine topografische Bezeichnung für das dort gelegene Moorgebiet in der Nähe des Weißmeerkanals.
Der Entdecker der bis dahin geheim gehaltenen Grabstätte des sogenannten Volkskommissariats für innere Angelegenheiten (NKWD), der Lokalhistoriker Jurij Dmitriev, wünschte sich damals, dass dem Gedenkfriedhof Sandormoch im heutigen Russland die gleiche symbolische Bedeutung als Erinnerungsort zugesprochen werden würde wie den KZ-Gedenkstätten Dachau oder Buchenwald in Deutschland. In unserem Gespräch 2008 sprach er von seinem Traum, Sandormoch solle den nächsten Generationen als Mahnung dienen: „Nie Wieder ein Verbrecherstaat“.[1]
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[Konferenz] Westeuropäische Kommunisten als Kritiker des Sowjetkommunismus – Potsdam 06/15
Im Zentrum der Konferenz stehen Personen aus West- und Nordeuropa, die, aus der kommunistischen Bewegung kommend, nach 1945 zu Kritikern des sowjetischen Modells und der daran orientierten Staatenwelt wurden.
Vorrangig über personengeschichtliche Zugänge sollen Brüche im Denken und Handeln von Akteuren untersucht werden, die sich der kommunistischen Weltanschauung und Politik verpflichtet hatten. Zwar erodierten deren Grundlagen zunehmend, besaßen aber gleichwohl eine erst langsam nachlassende Bindekraft. Jenseits von Kampfbegriffen wie dem des Renegaten wird der Blick auf teils prominente, teils weniger bekannte Persönlichkeiten geworfen, die nach ihrem Bruch mit dem Sowjetkommunismus ihren Platz in einer vielgestaltigen demokratischen Linken fanden.
Eine vorherige Anmeldung zur Konferenz ist nicht erforderlich. Konferenzgebühren werden nicht erhoben.
Veranstalter: Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF Potsdam); Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg (FZH)
Termin/Ort: 18.06.
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Was bleibt? Die kommunistische Verfolgung von Kommunistinnen und Kommunisten und der Fall Walter Janka
Langfassung eines Vortrags von Michael Brie zur Eröffnung der Konferenz «Walter Janka zum 100. Geburtstag» (18.1.2014, Berlin, Theater Aufbau Kreuzberg).
In seiner Sitzung vom 18. bis 20. Oktober 2013 hat der Parteivorstand der Partei DIE LINKE mit Mehrheit einen Beschluss unter dem Titel „Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus“ gefasst. Der erste Punkt des Beschlusses lautet: „Im Gedenken an die Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die dem großen Terror in der Sowjetunion zum Opfer fielen, wird am Berliner Karl-Liebknecht-Haus eine Gedenktafel angebracht. Die Inschrift lautet: ‚Ehrendes Gedenken an Tausende deutsche Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die in der Sowjetunion zwischen den 1930er und 1950er Jahren willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden.‘“ Sie befindet sich an der gleichen Außenwand, an der noch zu Zeiten der DDR folgende Tafel angebracht wurde: „Ernst Thälmann, der Führer der deutschen Arbeiterklasse, der heldenhafte Kämpfer gegen Faschismus und Krieg, arbeitete in diesem Haus“.
So unterschiedlich die Reaktionen auf diesen Beschluss waren bezogen auf Formulierung und auf Ort des Gedenkens, so gibt es doch einen Konsens unter jenen, die sich in der Partei DIE LINKE zu Worte meldeten: Dieses Gedenken tut not. Und es ist ein besonders schmerzvolles Gedenken, weil es so lange, gerade in der DDR, in der SED so ungeheuer schwer war, der durch die Sowjetunion und nicht selten unter Mithilfe von KPD, SED und Organen der DDR verfolgten Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten zu gedenken, ohne dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, Nationalsozialismus und sowjetischen Kommunismus gleichzusetzen. Erst 1989 begann sich das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED mit dem Schicksal jener zu beschäftigen, die oft im Auftrag der KPD oder durch sie gewonnen, in die Sowjetunion gegangen waren und dort Opfer des stalinistischen Terrors wurden. Kommunistische Opfer des Kommunismus gab es aber auch in der DDR selbst.
Niemals hat eine politische Bewegung in so kurzer Zeit so viele Menschen in ihren Bann gezogen und so viele Gesellschaften nach ihrem Bilde geformt, wie der von Lenin begründete Parteikommunismus des 20. Jahrhunderts. Und niemals zuvor wurden so viele Anhänger einer solchen Bewegung von deren Führern und ihren Apparaten unterdrückt, verfolgt, eingekerkert und ermordet wie in jener Zeit, die mit dem Stalinismus (und auch Maoismus) verbunden wird. Wie Christa Wolf im Herbst 1989 bei der Lesung von Walter Jankas „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ im Deutschen Theater sagte: „Zum erstenmal wird öffentlich und so radikal wie möglich jenes Grundübel zur Sprache kommen, aus dem über Jahrzehnte hin fast alle anderen Übel des Staates DDR hervorgegangen sind: der Stalinismus.“[1] Die Größe und das Elend des Parteikommunismus sind weltgeschichtlich beispiellos. Er ist von einer einmaligen Tragik geprägt.
Der ganze Beitrag ist hier online und hier als PDF zugänglich.
Michael Brie ist Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung.
Einsortiert unter:Arbeiterbewegung, Biographie, Erinnerung, Geschichtspolitik, Linke Debatte, Meinung, Methodik, Vermittlung
Was bleibt? Die kommunistische Verfolgung von Kommunistinnen und Kommunisten und der Fall Walter Janka
Langfassung eines Vortrags von Michael Brie zur Eröffnung der Konferenz «Walter Janka zum 100. Geburtstag» (18.1.2014, Berlin, Theater Aufbau Kreuzberg).
In seiner Sitzung vom 18. bis 20. Oktober 2013 hat der Parteivorstand der Partei DIE LINKE mit Mehrheit einen Beschluss unter dem Titel „Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus“ gefasst. Der erste Punkt des Beschlusses lautet: „Im Gedenken an die Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die dem großen Terror in der Sowjetunion zum Opfer fielen, wird am Berliner Karl-Liebknecht-Haus eine Gedenktafel angebracht. Die Inschrift lautet: ‚Ehrendes Gedenken an Tausende deutsche Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die in der Sowjetunion zwischen den 1930er und 1950er Jahren willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden.‘“ Sie befindet sich an der gleichen Außenwand, an der noch zu Zeiten der DDR folgende Tafel angebracht wurde: „Ernst Thälmann, der Führer der deutschen Arbeiterklasse, der heldenhafte Kämpfer gegen Faschismus und Krieg, arbeitete in diesem Haus“.
So unterschiedlich die Reaktionen auf diesen Beschluss waren bezogen auf Formulierung und auf Ort des Gedenkens, so gibt es doch einen Konsens unter jenen, die sich in der Partei DIE LINKE zu Worte meldeten: Dieses Gedenken tut not. Und es ist ein besonders schmerzvolles Gedenken, weil es so lange, gerade in der DDR, in der SED so ungeheuer schwer war, der durch die Sowjetunion und nicht selten unter Mithilfe von KPD, SED und Organen der DDR verfolgten Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten zu gedenken, ohne dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, Nationalsozialismus und sowjetischen Kommunismus gleichzusetzen. Erst 1989 begann sich das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED mit dem Schicksal jener zu beschäftigen, die oft im Auftrag der KPD oder durch sie gewonnen, in die Sowjetunion gegangen waren und dort Opfer des stalinistischen Terrors wurden. Kommunistische Opfer des Kommunismus gab es aber auch in der DDR selbst.
Niemals hat eine politische Bewegung in so kurzer Zeit so viele Menschen in ihren Bann gezogen und so viele Gesellschaften nach ihrem Bilde geformt, wie der von Lenin begründete Parteikommunismus des 20. Jahrhunderts. Und niemals zuvor wurden so viele Anhänger einer solchen Bewegung von deren Führern und ihren Apparaten unterdrückt, verfolgt, eingekerkert und ermordet wie in jener Zeit, die mit dem Stalinismus (und auch Maoismus) verbunden wird. Wie Christa Wolf im Herbst 1989 bei der Lesung von Walter Jankas „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ im Deutschen Theater sagte: „Zum erstenmal wird öffentlich und so radikal wie möglich jenes Grundübel zur Sprache kommen, aus dem über Jahrzehnte hin fast alle anderen Übel des Staates DDR hervorgegangen sind: der Stalinismus.“[1] Die Größe und das Elend des Parteikommunismus sind weltgeschichtlich beispiellos. Er ist von einer einmaligen Tragik geprägt.
Der ganze Beitrag ist hier online und hier als PDF zugänglich.
Michael Brie ist Mitarbeiter des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung.
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Gedenktafel für Stalinismusopfer am Haus der Parteizentrale DIE LINKE
Erklärung von Inge Münz-Koenen und Wladislaw Hedeler zum Beschluss des Bundesvorstandes der LINKEN über die Gedenktafel für Stalinismus-Opfer am Karl-Liebknecht-Haus:
Am Freitag, dem 18. Oktober 2013 beschloss der Parteivorstand der LINKEN, dem seit 13. Dezember 2010 vorliegenden Antrag des “Arbeitskreises zum Gedenken an die in der sowjetischen Emigration verfolgten, deportierten und ermordeten Antifaschisten” unter dem Dach der Berliner VVN-BdA für eine Gedenktafel an der Fassade des Karl-Liebknecht-Hauses zuzustimmen. In den Jahren zuvor hatte dieser Vorschlag immer wieder zu Kontroversen innerhalb der Linkspartei geführt. Die Tafel soll die Inschrift tragen:
„Ehrendes Gedenken an Tausende deutsche Kommunistinnen und Kommunisten, Antifaschistinnen und Antifaschisten, die in der Sowjetunion zwischen den 1930er und 1950er Jahren willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden”
Mitglieder des Arbeitskreises, der seit 2008 besteht, sind ehemalige Sowjetemigranten und deren Nachkommen sowie international ausgewiesene HistorikerInnen mit dem Schwerpunkt Kommunismusforschung.
Eltern, Geschwister und Großeltern der Initiatoren gehörten zu den Tausenden deutschen Antifaschisten, die seit 1933 in die Sowjetunion emigrierten oder schon vorher dem Ruf der Komintern bzw. der sowjetischen Regierung gefolgt waren, ihre Kräfte in den Dienst der kommunistischen Bewegung und des sozialistischen Aufbaus zu stellen. Sie entgingen der Verhaftung durch die Gestapo, gerieten aber ab Mitte der 1930er Jahre völlig unverschuldet in die Fänge des NKWD. Die Ergebnisse historischer Forschung über diese doppelte Verfolgung belegen, dass unter den Millionen Opfern, die der Große Terror in der Sowjetunion forderte, mehrere Tausend Deutsche waren, vor allem Mitglieder der KPD.
In einer ersten Erhebung aus dem Jahre 1991 war von über 1.000 Erschossenen die Rede, die dem Großen Terror zum Opfer gefallen sind. Im Zuge der Öffnung der sowjetischen bzw. russischen Archive konnten diese, bis auf den heutigen Tag nicht abgeschlossenen Recherchen, weitergeführt werden. Wir kennen gegenwärtig die Namen, Lebens- und Sterbedaten von exakt 7.858 Deutschen, die sich in den 1930er Jahren in der Sowjetunion aufgehalten haben. Die mit Archivdokumenten belegte Anzahl der Zurückgekehrten beläuft sich auf rund 1.400 Remigranten, die in der Sowjetunion geborenen Kinder eingeschlossen.
Der Antrag auf eine Ehrentafel am Karl-Liebknecht-Haus war im Ergebnis der vom Arbeitskreis initiierten Tagung „Das verordnete Schweigen. Deutsche Antifaschisten im sowjetischen Exil“ (Berlin 2010) entstanden. Ergebnis der zweiten Tagung „Nach dem Schweigen. Erinnerungsorte, Gedenkbücher, Opferlisten des sowjetischen Exils “ (Berlin 2011) mit Beteiligung russischer Forscher war die Konzeption einer zweisprachigen Ausstellung (deutsch und russisch) mit dem Titel „’Ich kam als Gast in euer Land gereist …’ Deutsche Hitlergegner als Opfer des Stalinterrors. Familienschicksale 1933-1956“ Link zur Buchpublikation). Sie wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand gefördert und im Frühjahr 2013 in Moskau und Berlin eröffnet. Im Juli 2012, zum 75 Jahrestag der “Deutschen Operation des NKWD“ haben wir auf einer öffentlichen Namenlesung der 1937 in der Sowjetunion erschossenen deutschen Emigranten gedacht. Die Ausstellung ist auf ihrer Wanderschaft durch Deutschland zur Zeit in Meiningen zu sehen. Ihr russisches Double wird am 30. Oktober, aus Kasachstan kommend, in Novosibirsk eröffnet. Nächste Stationen im Ausland sind das Europa-Parlament in Brüssel und das Heinrich-Heine-Haus in Paris.
In den lebhaften Reaktionen auf die Ausstellung kommt immer wieder die Praxis des jahrzehntelangen Verschweigens und Verdrängens stalinistischer Verbrechen zur Sprache, die auch nach dem Sieg über Hitlerdeutschland ihre Fortsetzung fand. Als besonders eindringlich wird die kaum vorstellbare Tragik dieser Familienschicksale empfunden. Eine große Anzahl von Politemigranten wurde von Sondertribunalen willkürlich zu Konterrevolutionären und Spionen erklärt, gefoltert und erschossen. Die Toten wurden in Massengräbern verscharrt, von denen viele unauffindbar sind. Ihre Angehörigen haben bis auf den heutigen Tag keinen Ort, an dem sie ihrer Verwandten gedenken können. Andere Emigranten wurden zu hohen, teilweise mehrfachen Strafen in Gulags verurteilt. Viele starben dort an Entkräftung infolge von Mangelernährung bei grotesk überhöhten Arbeitsnormen. Für Überlebende folgte auf die Haft in Gefängnissen und Lagern die Verbannung „auf ewig”, d. h. ohne Aussicht, jemals zu ihren Familien zurückkehren zu können. Wieder andere wurden an die Gestapo ausgeliefert und kamen in deutsche Konzentrationslager.
Tausende deutsche Emigranten und ihre Angehörigen erlitten in der Sowjetunion das gleiche Schicksal wie Millionen Staatsbürger russischer und anderer Nationalität. Viele der Deutschen überlebten den staatlich sanktionierten Terror, Haft und Verbannung nur Dank der Solidarität ihrer sowjetischen Leidensgefährten. In den sowjetischen Lagern trafen sie auch auf Landsleute – politische Gefangene, die nach dem Einmarsch der Roten Armee in Deutschland verhaftet und verurteilt worden waren. Allein in Russland (auf dem Territorium der ehemaligen RSFSR) gibt es heute 256 solcher Gedenkorte.
Nach 1945 verwehrten die sowjetischen und die DDR-Behörden überlebenden Emigranten die Rückkehr in die Heimat. Viele von ihnen konnten erst in den Jahren 1955 bis 1959 in die DDR kommen. Den Zurückgekehrten wurde von der SED-Führung auferlegt, über die Repressionen zu schweigen. Eine Rehabilitierung erfolgte oft nur halbherzig, verklausuliert oder gar nicht. Erst nach dem Zusammenbruch der DDR wurde das wahre Ausmaß der damals begangenen Verbrechen öffentlich.
Der Arbeitskreis ist der Meinung, dass das Karl-Liebknecht-Haus, in dem von 1926 bis 1933 das Zentralkomitee der KPD seinen Sitz hatte, der angemessene Ort für eine solche längst überfällige Würdigung ist. Dort haben Kommunisten gearbeitet, die im Auftrag der Parteiführung nach Moskau gegangen sind und in der Sowjetunion ermordet wurden. Das Haus war die Arbeitsstätte jener Mitglieder der KPD-Spitze, die dem Stalinterror entgangen sind und die nach 1945 als führende SED-Funktionäre das Verschweigen und Vergessen mit zu verantworten haben.
Dr. Inge Münz-Koenen; Dr. Wladislaw Hedeler
Quelle: www.memoreal37.wordpress.com. Blog zum Gedenken an die während des Stalinismus verfolgten und ermordeten AntifaschistInnen.
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Musik für die Massen – zur Biographie des Arbeitersängers Ernst Busch.
„Er rührte an den Schlaf der Welt…“ – diese Zeilen von Johannes R. Becher bezogen sich auf Lenin – doch eingeprägt haben sie sich durch die Stimme von Ernst Busch, der sie in einer einzigartigen Interpretation um die Welt schickte. Daher ist es mehr als angemessen, wenn Jochen Voit diesen Liedtext zum Titel seiner jüngst erschienenen Biographie des Arbeitersängers wählte. „Mit Worten, die Blitze waren“ lautet die nächste Zeile des Liedes, und auch diese mag man getrost auf Ernst Busch beziehen. Denn für viele Zuschauer war es in der tat ein elektrisierendes Erweckungserlebnis, wenn er Texte von Erich Weinert, Bertolt Brecht und Johannes R. Becher schmetterte, die diese oft eigens für ihn verfaßten. Manch einer soll nur wegen seiner Musik zum Marxisten geworden sein. Ernst Busch war letztlich wohl der einzige Sänger, der politische Generationen wie die Weimarer KPD der 20er Jahre, die DDR-Aufbaugeneration ab 1945 und die westdeutschen 68er gleichermaßen zu begeistern vermochte.
Dies gelang nicht nur mit markiger Stimme und Agitprop-Texten. Auch die Kompositionen seiner Lieder mußten einzigartig sein, und sie waren es. Der Schönberg-Schüler Hanns Eisler, mit dem Ernst Buch zeitweise in einer Künstler-WG zusammenlebte, komponierte zahllose Stücke eigens für ihn, darunter Klassiker wie „Das Solidaritätslied“ oder „Roter Wedding“. Es war diese kongeniale Zusammenarbeit mit der lyrischen und musikalischen Avantgarde seiner Zeit, die den Ruhm der Sängers begründete.
Denn vom 19. Jahrhundert bis in die Zeit des ersten Weltkrieges waren Arbeiterlieder künstlerisch meist schlicht gestrickt, meist bloße Umdichtungen gängiger Volkslieder und Soldatenlieder. Erst das Trio Brecht-Eisler-Busch hob den proletarischen Gesang in den 1920er Jahren auf ein ganz neues Niveau. Sie hinterließen Musik für die Massen – zeitkritische Propagandaschlager, die es mitunter fertig brachten, auch als zeitlose Kunstwerke zu wirken.
Im Jahr 2010, Dreißig Jahre nach dem Tod des Künstlers und 110 Jahre nach seiner Geburt im norddeutschen Kiel legte Jochen Voit die erste kritische Biographie des Arbeitersängers vor. Kritisch – das bedeutet, dass Voit sich der Rolle Buschs als Legende, Idol und Staatskünstler der DDR bewußt ist, ihr aber nicht auf dem Leim geht. Er vermeidet die Versuchung jedes Biographen, seinen Protagonisten unkritisch zu überhöhen oder zu dämonisieren.
Begleitmusik zum Stalinismus
Voit zeigt stattdessen viele von Buschs Ambivalenzen im neuen Licht. Die zentrale davon ist wohl sein Verhältnis zur Diktatur. Denn so berühmt wie Buschs Protestsongs, so berüchtigt ist seine Interpretation der SED-Hymmne mit dem unverfrorenem Refrain „Die Partei hat immer recht“, ebenso unvergessen sein Lied „Stalin, Freund – Genosse“. Auf neueren Best-of Sammlungen sind diese Lieder nicht mehr enthalten. Durch historisches Fernseh-Infotainment und YouTube sind sie dennoch bekannter als manch klassische Protestsongs wie das „Stempellied“.
Trotz seiner Begleitmusik zum Stalinismus gilt Busch erstaunlicherweise vielen als Dissident. Er habe Honecker auf einer Parteiveranstaltung geohrfeigt, sei aus der SED ausgeschlossen worden. Busch habe öffentlich geschwiegen, sei jedoch eigentlich ein Regimekritiker gewesen – so die Legende, die Busch schon zu DDR-Zeiten begleitete.
Ohne in den ermüdenden Gestus des Entlarvers zu verfallen präsentiert Voit zahllose Fakten, die dieses Bild zurechtrücken. Die Honecker-Ohrfeige hat nie stattgefunden, obwohl sich Busch in der Tat mit Honecker überwarf – freilich zu einer Zeit, als dieser noch Vorsitzender der FDJ war. Für Stalin sang Busch nicht gezwungenermaßen, sondern ebenso inbrünstig wie er gegen Hitler sang. Zum 70. Geburtstag des Generalissimus widmete Busch mit seiner Plattenfirma dem sowjetischen Diktator eine eigene Plattenedition samt Liederbuch. Dreizehn der 36 dort vertretenen Lieder waren Lobeshymmnen auf Stalin, den „Vater der Völker“, zwei davon mit Texten von Bertolt Brecht. Denn der vielgeschmähte Busch war längst nicht der einzige Künstler, der sich am Stalinkult beteiligte. Zu nennen wären neben Brecht auch noch Pablo Neruda und zahllose andere Schriftsteller, Musiker und Intellektuelle. Zu nennen wäre hier auch der Mainstream der demokratischen Presse von London bis in die USA, die Stalin in der Ära der Anti-Hitler-Koalition manche Schmeichelei darbrachte – bevor er schließlich durch den Ausbruch des kalten Krieges 1948 wieder zum Schurken wurde. Ohne das Ernst Busch damit entschuldigt wäre – es ist schade, dass Voit diesen Hintergründen wenig Beachtung widmet und sich nur auf Busch konzentriert, anstatt dem Stalinkult unter Intellektuellen in Ost und West einen Exkurs zu widmen.
Eigensinnig, aber nicht dissident
Auch an anderen Stellen führt Voits biographische Konzentration auf das Individuum dazu, das größere gesellschaftliche Zusammenhänge nicht mal im Ansatz dargestellt werden können. Manches erscheint so als historische Kulisse, die einfach vorausgesetzt wird – dabei kann gerade eine Biographie erklärenden Zugang auch für komplexe historische Zusammenhänge bieten.
Die Stärke des Buches liegt also in der Beschreibung von Busch selbst. In der Tat wurde dieser aus der SED ausgeschlossen, weil er sich anfang der 50er Jahre einer „Parteiüberprüfung“, also einer Säuberung widersetzte. Obwohl er die Prüfung zweifellos bestanden hätte, wollte Busch sich der Prozedur nicht unterordnen. Doch Unterordnung war Zweck der Übung: auch Prominenten wollte man zeigen, dass sie von der Gnade des Apparats abhängig waren.
Dies und das Versagen der SED am 17. Juni 1953 waren verantwortlich für Buschs jahrelanges Schweigen und seinen Rückzug ans Theater. Nicht das Busch der Arbeiterrevolte positiv gegenübergestanden hätte – er hätte gerne mit Revolutionsmusik und Radiopropaganda die Aufständischen von der Falschheit ihres Tuns überzeugt. Stattdessen lief im DDR-Rundfunk seichte Unterhaltungsmusik, während auf den Straßen sowjetische Panzer die Demonstrationen mit Gewalt auseinandertrieben. Panzer statt Propaganda – das war der moralische Bankrott der DDR und ihrer Führungspartei. Busch sah es kommen und konnte es nicht verhindern. Er lehnte die Methoden ab, stand aber zur Sache.
Daher äußerte er sich nie öffentlich systemkritisch – im Gegenteil: 1976 unterstützte er die Ausbürgerung Biermanns, der doch seinerzeit am ehesten so etwas wie sein künstlerischer Nachfolger war. Um solche Widersprüche verstehen, wäre ein vergleichender Blick auf andere Kommunisten seiner Generation hilfreich gewesen: Allesamt waren sie rebellisch und aufrührerisch gegen Kapitalismus und Faschismus, gleichzeitig fast alle loyal bis zum Erbrechen gegenüber dem eigenen Apparat.
Vor diesem Hintergrund war Busch weit aufmüpfiger als andere, die zum Wohle der Sache noch unmittelbar vor ihrer Erschießung erfundene Verbrechen gestanden und die das Regime ihrer Peiniger verteidigten. Nicht nur Folter spielte hier eine Rolle, sondern die völlige Aufgabe der eigenen Identität gegenüber einer Idee, die zur Ideologie verkommen war.
Busch ließ sich niemals derart brechen. Er blieb als Mensch immer widerständig, bockig, egozentrisch, im wahrsten Sinne des Wortes eigensinnig. Aber den Schritt zum Dissidenten tat er trotz Parteiausschluß nie.
Eine facettenreiche Darstellung
Obwohl Voit kaum den Versuch macht, das Phänomen des Stalinismus zu erklären oder zu verstehen, so liefert er doch durch seine in über zehn Jahren Forschungsarbeit einzigartig recherchierte Zusammenstellung dem Publikum alles an die Hand, um sich selbst ein Bild von der widersprüchlichen Haltung Buschs zu machen. Ihn auf seinen politischen Abstand oder nicht-Abstand zur Diktatur zur verkürzen, ginge jedoch am Menschen Ernst Busch vorbei.
Voit präsentiert daher zahllose Facetten von Busch – auch unbekanntes über seine Anfänge als Kieler Arbeiterjunge, über erste Auftritte auf einer Kinderrepubliken der sozialdemokratischen Falken. Ja – auch der SPD stand Busch zeitweise nahe, bevor er sich in den 1920ern der KPD zuwandte, der er allerdings erst 1945 unter dem Eindruck der faschistischen Katastrophe beitrat. Entlassen aus dem Zuchthaus Brandenburg, geschlagen, gequält, die eine Gesichtshälfte gelähmt, war es damals unklar, ob Busch seine Karriere als Sänger und Schauspieler jemals fortsetzen konnte. Doch der Sänger gab nicht auf, obwohl er es nicht leicht hatte. Die Deutschen, so konstatierte Busch 1947, hätten gegen Faschismus und Judenverfolgung nie ernsthaft etwas einzuwenden gehabt – nur das Kriegverlieren habe sie am Ende doch gestört. Jeden Tag, so Busch, kämpften er und seine Mitarbeiter im Kulturbetrieb ein zweites Stalingrad.
Voit präsentiert alle Aspekte seines Themas mit einzigartiger Leichtigkeit. Man sieht diesem Buch nicht an, dass es aus einer Dissertation entstand – was angesichts der oft immer noch erschütternd langatmigen deutschen Wissenschaftsprosa eindeutig als Kompliment zu werten ist. Manchmal schießt er jedoch übers Ziel hinaus, die Sprache wird süffisant, der Härte des Dargestellten unangemessen. Voit rutscht hier mitunter in die Haltung des Geschichtenerzählers, an manchen Punkten verfehlt er systematische historische Erklärungsansätze – dennoch: Er erzählt seine Geschichte gut.
Jochen Voit: Er rührte an den Schlaf der Welt. Ernst Busch – Die Biographie
Aufbau-Verlag, Berlin 2010, 515 Seiten, gebunden, 24,95 Euro
Einsortiert unter:Biographie
Nie wieder Kommunismus? Zur linken Kritik an Stalinismus und Realsozialismus
Ein Lesetipp.
Bis vor wenigen Jahren war in der aktivistischen Linken das Thema Stalinismus- bzw. DDR-Kritik toter als tot. Die antiautoritäre Linke verlor mit einigem Grund nicht viel Worte über den „Realsozialismus“, ist dieser doch Lichtjahre entfernt von einer nicht näher definierten, utopischen, herrschaftsfreien Gesellschaft („Auf Staat und Parlamente, habe ich noch nie vertraut“). Mit der Hinwendung zum Kommunismus-Begriff, den in den vergangenen Jahren größere Teile der radikalen Linken unternommen haben, wächst auch die Notwendigkeit und das Interesse daran, sich mit dem Wesen und der Genese des Stalinismus auseinanderzusetzen. Ein erster Höhepunkt war sicherlich Bini Adamczak’s Essay „gestern morgen“ aus dem Jahr 2007.
Und tatsächlich: In der Auseinandersetzung mit der autoritär gewendeten Revolution kann nur gewonnen werden, der Band der Gruppe INEX ist dafür ein gutes Beispiel. Die Entstehung des Bandes ist verbunden mit einer Reihe von Veranstaltungen, die sich zum Teil hier nachhören lassen, geht aber in seiner Breite (12 Aufsätze und eine Einleitung) weit darüber hinaus.
Der Band ist politisch auf der Höhe der Zeit sowohl wissenschaftlich als auch politisch.[bearbeitet 25.09.2012 nach Einwand P.B./Kommentar 1) Auch wenn im Folgenden nur einzelne erwähnt sind, habe ich alle Aufsätze samt Einleitung gelesen und nur bei einem einzigen Aufsatz keine rechte Lust gehabt, ihn zu Ende zu Lesen – das ist eine verdammt gute Quote. (Hier geht’s zum Inhaltsverzeichnis)
Für einen kenntnisreichen, hoch aktuellen und systematischen Überblick über den Stalinistischen Terror etwa ist der Aufsatz von Christoph Jünke („Schädelstätte des Sozialismus“) sehr zu empfehlen. Er geht nicht nur auf die Opferzahlen oder die berüchtigten Moskauer Prozesse ein, sondern gibt gleichzeitig Einschätzungen zum Charakter dieser Maßnahmen und schließlich auch zum Widerstand dagegen.
Der Beitrag von Hendrik Wallat belegt eindrücklich, was man schon immer geahnt oder zumindest gehofft hatte: Es gab von Anfang zeitgenössische linke und kommunistische Kritik am Bolschewismus – Analysen, die sich auch heute noch mit Gewinn lesen lassen. Einige wichtige Texte wurden von Wallat ausgegraben und samt ihres rätekommunistischen oder anarchistischen Kontextes vorgestellt.
Bini Adamzcak steuert einen Text zur „geschlechtlichen Emanzipation“ in der russischen Revolution bei („Hauptsache Nebenwiderspruch“). Er ist zum Teil erheiternd, zum Teil sehr spannend, auf jeden Fall aber perspektivenerweiternd. Im Grunde genommen präsentiert dieser Aufsatz zunächst ein sehr originelles Gesamtverständnis der russischen Revolution, bevor er zur Haupt/Nebenwiderspruchsfrage übergeht.
Es liegt an Konzept und Fragestellung des Bandes, dass sich auch die weiteren Aufsätze des Bandes auf Bolschewismus bzw. Staatssozialismus konzentrieren (z.B. der Beitrag der Gruppe paeris) und historisch nicht wirksam gewordene Alternativen (Anarchismus, Sozialrevolutionäre) entsprechend randständig bleiben. Deshalb erscheint mir die zum Teil recht harsche Kritik in dieser Hinsicht als ziemlich unangemessen.
Meckern kann man ja meistens, hier zum Beispiel darüber, dass nur Ulrike Breitsprecher es geschafft hat, auf andere Artikel innerhalb des Bandes zu verweisen. Die Verdienste dieses Bandes werden aber durch solche kleineren Unzulänglichkeiten nicht ernsthaft eingeschränkt.
Gruppe INEX (Hg:) Nie wieder Kommunismus? Zur linken Kritik an Stalinismus und Realsozialismus, Münster 2012.
232 Seiten, 14,80 Euros
Einsortiert unter:Arbeiterbewegung, Literatur
Pluralität der Erinnerungen! Aber verstehe ich die Erinnerung wirklich?
Was sind die Unterschiede und was die Gemeinsamkeiten nationaler, regionaler und lokaler Erinnerungen junger Europäer an die Gewalterfahrungen des 20. Jahrhunderts? Passt das westliche Modernisierungsmodell der Aufarbeitung auch zu den mittelosteuropäischen Ländern und ihrem Umgang mit Geschichte?
Im vierten Teil der Sonderreihe MONTAGSRADIO “Vor Ort” sprechen Miriam Menzel und Kaja Wesner auf der Geschichtsmesse 2012 in Suhl mit Dr. Jennifer Schevardo über die Geschichtswerkstatt Europa, die Notwendigkeit der Verständigung über die erlebte Geschichte auf lokaler Ebene und darüber, dass die jeweils differierenden Erinnerungen nur durch einen Perspektivwechsel verstanden werden können.
Und hier gibts noch die Timeline zu dem Gespräch:
00:45 Historisches Schlüsselerlebnis: Abiturfahrt nach Prag
02:15 Projektvorstellung “Geschichtswerkstatt Europa”
05:15 Kriterien für den Vergleich von Erinnerungen
07:00 Werden ausgewählte Projekte gegenüber anderen bevorzugt?
10:00 Pluralität der Erinnerungen
13:15 Stand der historisch-politischen Aufarbeitung in Mittelosteuropa
15:30 Die Reflexion der unterschiedlichen Erinnerungen
17:20 Sprache als Problem?
18:20 Fragebogen “light”
Und hier gehts direkt zum MP3.