“Ordonnance du Roi, concernant les Gardes Nationales du Royaume” (16.7.1814): die Reform der französischen Nationalgarde durch Ludwig XVIII.
Archives nationales, F9 359 (affaires militaires, garde nationale : Première Restauration), 16.7.1814:
« Ordonnance du Roi, concernant les Gardes Nationales du Royaume:
Louis, par la grâce de Dieu, Roi de France et de Navarre, à tous ceux qui ces présente verront, Salut:
Sur le rapport de Notre Ministre Secrétaire d’Etat au Département de l’Intérieur;
De l’avis de Notre bien-aimé Frère MONSIEUR, Comte d’Artois, Colonel-Général des Gardes nationales du Royaume;
Vu l’arrêté du gouvernement provisoire du 4 avril, et notre Ordonnance du 31 mai, qui licencient les levées en masse, les bataillons de nouvelles levées et les compagnies de réserve départementale;
Vu les dispositions des lois et décrets en vigueur sur les Gardes nationales;
Nous avons ordonné et ordonnons ce qui suit:
Art. 1er. Les Gardes nationales du Royaume sont toutes sédentaires et divisées en Gardes urbaines et rurales, composées, les premières, des cohortes formées dans les villes ; les secondes, des cohortes formées dans les campagnes. Aucune Garde urbaine ne pourra être déplacée de la ville, et aucune Garde rurale ne pourra être déplacée du canton, que pour les cas et dans les formes qui seront déterminés par une loi.
Art. 2. Les Gardes nationales, en ce qui concerne la simple exécution des lois et réglemens [sic] sur le personnel, le service ordinaire, l’instruction et la discipline dans le service, ressortiront à notre bien-aimé Frère, MONSIEUR, Comte d’Artois, Colonel-Général, qui statuera sur les objets autres que ceux qui exigent notre décision, et qui continueront de nous être soumis par lui, ou, d’après ses ordres, par le Ministre d’Etat Major, Général.
Art. 3. Les Gardes nationales, en ce qui concerne la simple exécution des lois sur la formation des listes, la comptabilité, et sur les réquisitions de service extraordinaire, en cas de trouble ou à défaut de garnisons, continueront de ressortir aux Maires, Sous-Préfets et Préfets, et à Notre Ministre Secrétaire d’Etat au Département de l’Intérieur, sauf communication au Ministre d’Etat Major-Général.
Art. 4. Les projets de lois, d’ordonnances et de réglemens [sic] généraux seront préparés par le Ministre d’Etat Major-Général, soumis à l’acceptation du Prince Colonel-Général, et remis à Notre Ministre Secrétaire d’Etat au Département de l’Intérieur, pour être, s’il y a lieu et suivant leur nature, approuvés par Nous en notre Conseil, ou présentés au Corps Législatif.
Les projets sur lesquels Notre Ministre Secrétaire d’Etat au Département de l’Intérieur aurait cru devoir prendre l’initiative, seront, par lui, communiqués au Ministre d’Etat Major-Général, qui les soumettra au Prince Colonel-Général, et les remettra à Notre dit Ministre avec ses observations.
Art. 5. Notre Ministre Secrétaire d’Etat au Département de l’Intérieur est chargé de l’exécution des présentes.
Paris, le 16 juillet 1814,
Signé Louis. »
Zur Quelle:
Die Quelle stellt eine königliche Verordnung Ludwigs XVIII. vom 16.7.1814 zur Organisation der französischen Nationalgarde dar. Sie ist Teil eines umfangreichen Bestimmungswerkes, mit der der König die französische Nationalgarde zu reformieren gedachte. Eine frühere Verordnung vom 5.4.1814 ordnete die Aufstellung der Nationalgarde an. Am 15.5.1814 wurde der Bruder des Königs, der Comte d’Artois (in der Quelle als „Monsieur“ geführt) zum Generaloberst der Nationalgarden im gesamten Königreich ernannt. Am 20.8.1814 und 1.10.1814 folgten weitere Verordnungen des Generalstabs der Nationalgarde, welche die Organisation noch verfeinerten.
Die vorliegende Verordnung hielt das Gesetz zur Nationalgarde von 1791 und zentrale Bestimmungen des Kaiserreichs mit dem Verweis auf die neue Charte Constitutionnelle und der darin verankerten Garantie bestehender Gesetze aufrecht. Somit war der Rahmen vorgegeben, in dem Ludwig 1814 die Reorganisation der Nationalgarde unternahm. So legte Artikel 1 der vorliegenden Verordnung fest, dass jede Nationalgarde im Königreich ortsgebunden sein sollte. Das bedeutete, dass ein Einsatz der Garde außerhalb der jeweiligen Stadt oder des jeweiligen Kantons nur in Ausnahmefällen möglich war. Diese Bestimmung stellte eine Ergänzung zur Auflösung der sogenannten „garde nationale mobile“ dar, die Napoleon während der Vorbereitungen zum Russlandfeldzug als gigantisches Reservoir zur Aushebung neuer Rekruten gedient hatte.
Die Verwaltung der „Garde nationale sédentaire“ beruhte derweil auf vier Instanzen. So legte Artikel 2 der vorliegenden Verordnung fest, dass die Bestimmungen zur Ausbildung, zur Disziplin sowie zum regulären Dienst in das Aufgabengebiet des Generalobersts in der Person des Comte d’Artois fielen. Den Präfekten, Vize-Präfekten und Bürgermeistern sollte gemäß Artikel 3 die Aufstellung der Rekrutierungslisten, die Buchhaltung und das Recht zur Mobilisierung der Nationalgarde in Ausnahmefällen zukommen. Der Generalstab von Artois war derweil nach Artikel 4 für die Erarbeitung von Gesetzesvorschlägen und Verordnungen zuständig, für deren Ausführung wiederum der Innenminister verantwortlich war. Damit rief die Verordnung ein eigenständiges Ministerium für die Nationalgarde ins Leben, das gegenüber dem Innenministerium zu einer Doppelstruktur führte. War die Aufrechterhaltung und Garantie der öffentlichen Ordnung vor allem ein Hoheitsgebiet des Innenministers (und Kriegsministers), wurde ihm mit dem Stab Artois‘ ein Exekutivorgan zur Seite gestellt.
Damit war dem Comte d’Artois das gelungen, was Lafayette als Kommandant der Pariser Nationalgarde zwischen 1789 und 1792 nicht gelungen war: den Oberbefehl über sämtliche Nationalgarden im Königreich in einem Ministerium und in einer Hand zu vereinen. Dieser Vorgang ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zunächst stellte die vorliegende Verordnung ein klares Bekenntnis Ludwigs XVIII. zur Nationalgarde dar. Diese war während der Revolution in Paris spontan entstanden, ihre Mitglieder waren Angehörige der mittleren und gehobenen Bourgeoisie, die ein Ausufern der Revolution befürchteten. Ihre Sorge galt aber nicht nur der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz ihres Eigentums, ihrer Geschäfte und Läden. Das Auftreten der Nationalgarde wurde auch als Teil der politischen Emanzipation des dritten Standes wahrgenommen, der sich hier das Recht auf Teilhabe am Gewaltmonopol aneignete. Die Verfassunggebende Versammlung sorgte mit dem Gesetz zur Nationalgarde von 1791 für die soziale Einhegung der Institution, indem allein sogenannte „citoyens actifs“ in die Nationalgarde aufgenommen wurden. Diese Regelung fand in Lafayette einen prominenten Fürsprecher, wurde aber von Seiten der Jakobiner und insbesondere von Robespierre vehement kritisiert.
Deutlich wird, dass die Nationalgarde bei der Rückkehr der Bourbonen nach Frankreich eine progressive, revolutionäre Institution darstellte, die mit der vorliegenden Verordnung sanktioniert und in das institutionelle Gefüge der neuen Monarchie integriert wurde. Dies entsprach dem Geist der von Ludwig oktroyierten Charte und dem Charakter der französischen Restauration. Die Charte garantierte den Fortbestand bestehender Gesetze (das bedeutet auch jener Gesetze und Institutionen, die aus der Revolution und dem Kaiserreich stammten). Zugleich wurde deutlich, dass die Restauration trotz des dynastischen Anspruchs Ludwigs nicht hinter die Revolution würde zurückgreifen können. Mochte sich Ludwig auch als Nachfahre Ludwigs XVI. und als von Gottes Gnaden bestellter Thronfolger betrachten, konnte er die politische Legitimität doch nur durch die Anerkennung zentraler Prinzipien der Revolution erlangen.
Sicherlich war die Beibehaltung der Nationalgarde auch dem Umstand geschuldet, dass Ludwig nach der Auflösung der Armee Napoleons, deren Reformierung erst langsam anlief und durch die Hundert Tage verzögert wurde, auf die Nationalgarde als bewaffneter Ordnungstruppe angewiesen war. Doch bleibt es bemerkenswert, dass mit dem comte d‘Artois ausgerechnet ein Protagonist des Regimewechsels vom reaktionären Ende des politischen Spektrums Generaloberst der Nationalgarde wurde. Der spätere Karl X. verstand es in den ersten Jahren des Regimes Ludwigs XVIII. ausgezeichnet, die Angehörigen der Nationalgarde von sich zu überzeugen. Schon während seines Einzuges in Paris am 12.4.1814 hatte er die Uniform der Nationalgarde angelegt, was viele Zeitgenossen als einen Grund für den Sturm der Begeisterung nannten, den Artois bei seiner Ankunft in der Stadt unter den Parisern auslöste. Das künftige Regime fand so innerhalb eines besonders einflussreichen Milieus der französischen Gesellschaft einen starken Rückhalt. Anhand der Nomenklatura der Befehlshaber der 13 Legionen der Pariser Nationalgarde lässt sich das Gewicht ihrer Akteure ablesen. Zu ihnen gehörten die wichtigsten Notabeln in Paris, wie etwa der Großindustrielle Terneaux, der spätere Innenminister Lainé oder der Abgeordnete Sosthène de la Rochefoucauld.
Zur weiteren Lektüre:
Georges Carrot: La Garde nationale (1789 – 1871). Une force publique ambiguë, Paris 2001
Roger Dupuy: La Garde nationale, 1789-1872, Paris 2010
Louis Girard: La Garde Nationale 1814-1871, Paris 1964
Wolfgang Kruse: Die Erfindung des modernen Militarismus. Krieg, Militär und bürgerliche Gesellschaft im politischen Diskurs der Französischen Revolution 1789 – 1799, München 2003
Volker Sellin: Die geraubte Revolution. Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Göttingen 2001
#AcWriMo 2013
Im November 2011 kreierte Charlotte Frost nach dem Muster des “NaNoWriMo”[1] die Aktion “AcBoWriMo”, den “Academic Book Writing Month” [2], die zum Teil kontrovers diskutiert wurde, zumeist mit dem Argument “Speed kills (quality)” – wobei Killer-Argumente wie ‘wissenschaftliches Schreiben braucht schlicht (mehr) Zeit’ und ‘ein Buch in einem Monat’ sich selbst disqualifizieren, denn niemand kann ernsthaft annehmen, dass ‘man’ in 30 Tagen von 0 auf 100 ein fertiges Buch schreibt …
Seit 2012 heißt nun die Aktion “Academic Writing Monat”, kurz “AcWriMo” und spielt sich überwiegend via Twitter ab.[3] Unter dem Hashtag #AcWriMo machen Schreibende Ziele, Erfolge und Misserfolge öffentlich und tauschen Tipps und Durchhaltestrategien - von Dezember bis Oktober läuft das unter dem Hashtag #AcWri.
Vor einigen Tagen wurde im Blog PhD2Published der AcWriMo 2013 angekündigt – Ziele & Regeln sind gleich geblieben.
Die “Regeln” in Kurzfassung:
1. Decide on your goal.
[Pläne schmieden ist ja einfach - wen juckt es, ob das Ziel SMART ist ... ]
2. Declare it.
[Tief Luft holen und in das Datenblatt eintragen - man kann es ja jederzeit ändern ....]
3. Draft a strategy.
[Mal schauen, was die anderen machen, zur höchsten Zahl noch was draufschlagen und los ....]
4. Discuss your progress.
[Super, da gibt es virtuellen Applaus für "ich habe schon vor dem Frühstück 345 Wörter geschrieben" etc. und als Extra-Bonus: einen Freibrief zur Twitter-Prokrastination - schließlich muss man ja schauen, was die anderen machen ...]
5. Don’t slack off.
[Ich doch nicht ...]
6. Declare your results.
[Sieg auf ganzer Linie - kann ja keiner überprüfen ...]
(Die Regeln in aller Ausführlichkeit: http://www.phd2published.com/)
Disclaimer: Die Kommentare basieren auf subjektiven Eindrücken der Autorin aus teilnehmender Beobachtung beim #AcWriMo2012.
Nichts Neues unter der Sonne – oder? Klingt wie SMART für SelbstdarstellerInnen mit Freibrief zur Prokrastination: Schnell die Twitter-Timeline checken: Wer sprintet [4] und/oder lädt zum Mit-Sprinten ein, wer geht den x-ten Pomodoro des Tages und wer belohnt sich womit für das eben Geleistete etc. Ergänzend zu Twitter gibt es jede Menge Blogbeiträge, die individuelle Erfahrungen reflektieren (und zum Teil heftigste Diskussionen auslösen): welche Software ist “die ultimativ allerbeste”? welcher Stift schreibt auf welchem Papier quasi von selbst? ob es Morgenseiten[5] bringen? Etc. etc. etc.
Will man sich das wirklich antun?
Die Ziele -
1. Think about how we write,
2. Form a valuable support network for our writing practice,
3. Build better habits for the future,
4. And maybe – just maybe – get more done in less time!
http://www.phd2published.com/2013/10/09/announcing-acwrimo-2013/
- klingen irgendwie verlockend – oder auch nicht.
Bei näherer Betrachtung (und nach den Erfahrungen bei #AcWriMo2012) sollte ich die Finger davon lassen: Das Über-das-Schreiben-Nachdenken (1) führt bei mir eher dazu, dass über all dem Nachdenken (Subtext: wie es richtig wäre/besser gehen könnte/schneller gehen könnte) das Schreiben zu kurz kommt. Jede Form von Gruppen (2) führen bei mir rasch zum Gruppenkoller und zum Gewinnen-Wollen im weitesten Sinn, aus der Spirale (s. Kommentare oben) auszusteigen, hat wesentlich länger gedauert als 30 Tage. Mein Optimierungszwang (3)/Hang zum Perfektionismus ist ohnehin schon hinderlich genug. Und ‘(noch) mehr in (noch) wemiger Zeit’ (4) scheint eher den Weg ins Burnout zu ebnen.
Wie könnte #AcWriMo 2013 für mich besser funktionieren? Sicher ohne Nachdenken über das Schreiben und möglichst ohne Twitter-Rauschen. Denn der Kern passt: Bewusst Zeit für das Schreiben einplanen und dann zu der Zeit tatsächlich schreiben – ohne vermeintlich Dringenderem dann doch wieder den Vorrang zu geben.
Langer Rede kurzer Sinn: Ich nehme die Herausforderung #AcWriMo im November 2013 an.
―
- Chris Baty ‘erfand’ den National Novel Writing Month, kurz “NaNoWriMo”. Ziel dieser Übung ist es, in einem Monat (jedesmal im November) 50.000 Wörter zu schreiben. Zum NaNoWriMo: http://nanowrimo.org/.
- Dazu u.a.: George Williams: “Draft Your Book in One Month” (2.11.2011), Online: The Chronicle of Higher Education; Charlotte Frost: “AcBoWriMo on PhD2Published” (2.11.2011).
- Es gibt auch Gruppen, die sich im November zum gemeisamen Schreiben verabreden/treffen – z.B.: “November ist Schreibmonat” im Schreibzentrum der J.W.Goethe-Universität Frankfurt am Main.
- Zu Gedankensprint, Fokussprint, Schreibstaffel etc. s. Ulrike Scheuermann: Die Schreibfitness-Mappe ()Wien: Linde 2011) 82 -85.
- Julia Cameron/Mark Bryan: The Artist’s Way (Los Angeles: Tarcher 1992 [zahlreiche Auflagen]).
Seminarstart des Zertifikats “Soziale Medienbildung” am 02.11.2013
Am 02.11.2013 beginnt das erste Seminar des berufsbegleitenden Weiterbildungszertifikats “Soziale Medienbildung” an der Hochschule Fulda. Das erste Blended Learning-Seminar mit dem Titel “Facebook & Co” wird am 02. und 03.11.2013 stattfinden. Nach einer sechswöchigen Online Selbstlernphase mittels der Lernplattform Moodle findet am 14.und 15.12.2013 das zweite Präsenzwochenende dieses Seminars statt. Die Dozentin Christine Nowak (Hochschule Fulda / Technische Universität Darmstadt) wird Chancen und Schnittstellen für die pädagogische Arbeit mit Online-Netzwerken thematisieren und dabei auf Medienkompetenz, Datenschutz, Freundschaft, Privatheit, Kontrolle sowie Methoden der Öffentlichkeitsarbeit eingehen [...]
Gramsci übers Rezensieren
Als einzelner kann keiner die ganze über eine Gruppe von Themen veröffentlichte Literatur verfolgen, ja nicht einmal die über ein einziges Thema. Der kritische Informationsdienst für ein mäßig gebildetes Publikum oder für eines, das ins kulturelle Leben einsteigt, über alle Veröffentlichungen zu der Gruppe von Themen, die es besonders interessieren können, ist eine Pflichtleistung. Wie die Regierenden ein Sekretariat oder eine Pressestelle haben, die sie periodisch oder täglich über alle Publikationen informiert halten, deren Kenntnis für sie unverzichtbar ist, so tut es eine Zeitschrift für ihr Publikum. Sie wird ihre Aufgabe festlegen, sie eingrenzen, aber das ist ihre Aufgabe: dies verlangt jedoch, daß ein organischer und vollständiger Informationsblock geboten wird: begrenzt, aber organisch und vollständig. Die Rezensionen dürfen nicht zufällig und unregelmäßig sein, sondern systematisch, und sie müssen unbedingt von rückblickenden »zusammenfassenden Übersichten« zu den wesentlichsten Themen begleitet sein.
Gramsci unterscheidet zwei Typen von Rezensionen:
(...) »zusammenfassende« Rezensionen zu den Büchern, von denen man glaubt, daß sie nicht gelesen werden können, und Rezensionen-Kritiken zu den Büchern, die man zur Lektüre zu empfehlen für notwendig hält, aber natürlich nicht einfach so, sondern nachdem man deren Grenzen bestimmt und die teilweisen Mängel angegeben hat usw. Diese zweite Form ist die wichtigere und wissenschaftlich angemessenere, und sie muß wie eine Mitarbeit des Rezensenten an dem vom rezensierten Buch behandelten Thema aufgefaßt werden.
Gramsci, Antonio: Gefängnishefte. Kritische Gesamtausgabe. Hg. von Bochmann, Klaus/Haug, Wolfgang Fritz. Bd. 5. Hamburg/Berlin: Argument, 1993, S. 977f (Heft 8, §57, 60).
Passend dazu ist soeben eine Publikation erschienen, die einen Einstieg in die Gefängnishefte verspricht:
Gramsci lesen - Einstiege in die Gefängnishefte. Hg. von Florian Becker, Mario Candeias, Janek Niggemann & Anne Steckner. Hamburg: Argument, 2013. [Verlags-Info]
Johann Gerhards Metaphysik-Vorlesung von 1603/4
Johann Gerhards eigenhändiges Manuskript zurMetaphysik aus dem Jahre 1603/4, das die Grundlage für seine Vorlesung an der Universität Jena bildete, ist ein frühes Beispiel für die Wiederkehr einer Disziplin, die im Protestantismus umstritten blieb. Keine einhundert Jahre nachdem Martin Luther die Metaphysik als nutzlose Disziplin von den Hochschulen verbannt hatte, wurde sie wieder ein Teil der philosophischen Ausbildung. Zum einen waren dafür die theologischen Debatten mit den konfessionellen Gegnern verantwortlich. Hierbei griff man zur Klärung der dogmatischen Differenzen auf philosophische Begriffe zurück, die in der Metaphysik verhandelt wurden.
Als Beispiele seien hier die Begriffe Substanz, Form, Materie, Prinzip, Eines, Gutes und Wahres genannt. Zum andern erkannte man, dass man für das gesamte Wissenschaftssystem eine Grundlagenwissenschaft benötigt, die jenes befragt, was die übrigen Disziplinen schon immer als gegeben voraussetzen: Das Seiende als Seiendes.
Johann Gerhard (1582-1637) war mit diesen Debatten bestens vertraut. Er studierte seit 1599 Philosophie und Theologie an der Universität in Wittenberg. 1603 wechselte er an die Universität in Jena, wo er noch im selben Jahr die Magisterwürde erwarb. Von den Studenten wurde er gedrängt, eine Vorlesung zur Metaphysik, der ersten ihrer Art in Jena, zu geben. Gerhard war auf diese Aufgabe durch die Lektüre katholischer Autoren – insbesondere von Pedro Fonseca und Francisco Suárez – sowie der wenigen protestantischen Autoren gut vorbereitet. So besaß er eine Abschrift der vermutlich ersten Vorlesung zur Metaphysik auf protestantischem Boden von Cornelius Martini, die dieser 1597 in Helmstedt gehalten hatte. Sie befindet sich noch heute im Gerhard-Nachlass in der Forschungsbibliothek Gotha (FBG, Chart. B 452, Bl. 4r-64v). Gerhard begann seine Einführung in die Metaphysik („Isagoge Metaphysicae“) im November 1603. Sie dauerte fast ein Jahr. Grundlage dieser Vorlesung ist das vorliegende Manuskript aus Gerhards Hand. Der Text ist durch viele Durchstreichungen und Änderungen gekennzeichnet und mitunter in großer Hast niedergeschrieben. Das Manuskript liefert nur einen knappen Einblick in die wesentlichen Inhalte dieser neuen Disziplin. Gerhard unterteilte die Metaphysik in die drei Abschnitte „Über das Seiende im Allgemeinen“, „Über die Intelligentien“ und „Über Gott“. Die beiden letzten Abschnitte bilden eine Art natürliche Theologie, die Gott und die Engel im Rahmen des durch die Vernunft Erkennbaren beschreibt – soweit dies eben ohne Offenbarung möglich ist. Gerhards Metaphysik, die hier digital zur Verfügung gestellt wird, ist von der Forschung bis jetzt noch nicht ausgewertet worden. (Text: Sascha Salatowsky)
Literatur:
Max Wundt: Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts. Tübingen 1939.
Bengt Hägglund: Die Heilige Schrift und ihre Deutung in der Theologie Johann Gerhards. Eine Untersuchung über das altlutherische Schriftverständnis. Lund 1951.
Walter Sparn: Die Wiederkehr der Metaphysik. Die ontologische Frage in der lutherischen Theologie des frühen 17. Jahrhunderts. Stuttgart 1976.
Richard Schröder: Johann Gerhards lutherische Christologie und die aristotelische Metaphysik. Tübingen 1983.
Foto: FBG, Chart. B 281, Bl. 137r-216v, hier: 138r. © Universität Erfurt, Forschungsbibliothek Gotha
Nach Feierabend…
… ist leider, wie viele all zu häufig erleben, nicht zwingend der Zeitpunkt, zu dem man die Arbeit gedanklich oder geographisch hinter sich lässt, um sich seiner “Life-Work-Balance” zu widmen. Nach Feierabend ist nicht selten auch der Zeitpunkt, zu dem es erst richtig los geht. Begrüßen sollten wir dies im Falle des 9. Bandes des Zürcher Jahrbuchs für Wissensgeschichte, das am Zentrum für Wissensgeschichte der ETH Zürich herausgegeben wird und vor wenigen Tagen im Diaphanes Verlag erschienen ist. Besonders wenn, neben der intellektuellen Anregung, auch ein akademischer Schmunzler gestattet ist, denn “Nach Feierabend” ist der Titel der Zürcher Jahrbücher, der so ihre Tradition zum konstruktivistischen Wissenschaftshistoriker Paul Feyerabend aufrecht erhält. Ob dies nun als Kalauer zu werten ist, sei jedem selbst überlassen.
Unzweifelhaft positiv sollte hingegen gesehen werde, dass dieser Band dem Leitthema “Digital Humanities” gewidmet ist. Nun mag so manch einer, wie nicht selten zu hören ist, anmerken, dass von allen Seiten versucht wird auf einen Zug aufzuspringen, der sich zur Zeit gut verkauft, und dies auch noch ohne wirklich Digital Humanities zu praktizieren (im strengen Sinne einer Code geleiteten Methodik). Ich sehe jedoch in der abgrenzenden Selbstpflege einer exotischen und belächelten, aber avantgardistischen Community als die sich die Digital Humanities lange Zeit gern gesehen und genossen haben keinen Selbstzweck und schon gar kein Mittel zu Stärkung der Digital Humanities. Die Aporie zwischen Code und Text, die nicht selten auf eine Gegenüberstellung von “traditionellen” versus digitalen Geisteswissenschaften übertragen wird und öffentlichkeitswirksam gern auch als “Show don’t Tell” formuliert wird, ist nur eine Aporie weil sie alzu gerne in der Euphorie neuer technologischer Möglichkeiten zu einer solchen gemacht wird.
Code und Text sind weder widersprüchlich noch ineinander überführbar, auch wenn versierte Coder den Text gerne ersetzen wollen und Medienwissenschaftler den Code zu häufig allein im Epistem des Textes wahrnehmen. Text und Code müssen ihre Beziehung zueinander finden und eben dies beginnen nun auch Digital Humanities und “traditionelle” Geisteswissenschaften. Herauskommen werden keine Geisteswissenschaften, die identisch sind mit dem Selbstverständnis der gegenwärtigen Digital Humanities. Vielleicht ist auch deswegen die Ablehnung immer noch recht groß, die den sich häufenden theoretischen Ansätzen aus Kultur- und Medienwissenschaften sowie Philosophie von den Digital Humanities entgegengebracht wird. Auf der anderen Seite werden Konzepte, Methoden und Ansätze der Digital Humanities in weiten Teilen unhintergehbar bleiben und zu einer substanziellen Transformation der Geisteswissenschaften beitragen. Im Sinn einer solchen Transformation “aus beiden Richtungen” steht die oben aufgeführte Publikation, zu der ich – dies möchte ich nicht zum blinden Fleck meines Plädoyers machen – mit dem Titel “Text, Denken und E-Science: eine intermediale Annäherung an eine Konstellation” auch etwas beitragen durfte. Nicht unerwähnt bleiben darf die Publikation eines der letzten, wenn nicht der letzte Artikel des kürzlich verstorbenen Peter Harber. Aus dem Inhalt:
- Philipp Theisohn: Verteidigung der Paraphrase. Das Wiedererzählen und die Krise der Geisteswissenschaften
- Niels-Oliver Walkowski: Text, Denken und E-Science. Eine intermediale Annäherung an eine Konstellation
- Max Stadler: Der Geist des Users. Oder: vom Ende des »Boole’schen Traums«
- Philippe Wampfler: »online first«. Geisteswissenschaften als Social Media
- Tobias Hodel: Das kleine Digitale. Ein Plädoyer für Kleinkorpora und gegen Großprojekte wie Googles Ngram-Viewer
- Omar W. Nasim: Was ist historische Epistemologie?
- Nathalie Dietschy, Claire Clivaz, Dominique Vinck: Ein digitales Kulturobjekt. Der Fall der »Restaurierung« des Ecce homo von Borja
- Alfred Messerli: Neue und neueste Versuche einer allgemeinen Erzähltheorie. Zu Fritz Breithaupts und Albrecht Koschorkes Studien
- Peter Haber: »Google-Syndrom«. Phantasmagorien des historischen Allwissens im World Wide Web
- Philipp Sarasin: Schlaue Maschinen. Peter Habers kritische Medienwissenschaft und unsere Lage im Netz heute
Titel | Nach Feierabend 2013: Digital Humanities |
Herausgeber | David Gugerli, Michael Hagner, Caspar Hirschi, Andreas B. Kilcher, Patricia Purtschert, Philipp Sarasin, Jakob Tanner |
Verlag | Diaphanes Verlag, 2013 |
Quelle: http://dhd-blog.org/?p=2396
Stellenangebot an der Universitätsbibliothek Leipzig
The Leipzig University Library (LUL) in Germany is piloting a project to conceptualize and implement various infrastructure components which will be used to create, organize and provide fulltext-data and meta-data from various sources. Therefore the resulting concepts must be appropriate for digital born content as well as for digitized content and need to be implemented in a decentralized, heterogenous structure. The project focusses on open source solutions and will be conducted with various partners, especially in close partnership with the Workgroup for Automated Language-Processing (ASV) and the Workgroup for Image- and Signal-Processing (BSV) of the Leipzig University Computer Science Department.
The following vacancy is available at the Leipzig University Library:
Research associate (50% part-time, fixed-term contract until: 31. December 2014)
Allocated salary: pay grade 13 TV-L
The full job offer (in german) is available at:
http://bit.ly/1ggSkEh
Quelle: http://dhd-blog.org/?p=2404
Reformhoffnung oder politischer Büttel? Papst Hadrian VI. (1522-23) aus Pariser Perspektive
Über Papst Hadrian VI. (1459-1523) gehen die nationalen und konfessionellen Meinungen in Europa seit Jahrhundert weit auseinander. Mal galt der gebürtige Niederländer als Vorbote der katholischen Reform, mal als verhasster Austeritätsprediger aus Nordeuropa. Manche sahen in ihm einen ungeeigneten, schwächlichen Staatsmann, andere heben seine ansatzweisen Bemühungen um Ausgleich zwischen den rivalisierenden politischen Blöcken Habsburg und Frankreich hervor. Eine zeitgenössische Pariser Quelle schärft dabei den Blick auf die spezifisch französische Wahrnehmung des letzten nicht-italienischen Papstes vor Johannes Paul II. Meist wurde besonders die unterschiedliche Wahrnehmung im Alten Reich und Rom betont. Während altgläubige deutsche Flugschriftenautoren kurzfristig große Hoffnungen in den neuen Mann auf dem Stuhl Petri setzten, lästerten die Römer bald über den angeblich kunstfeindlichen Biertrinker aus dem Norden. Anfängliche Sympathie schlug in Ablehnung und Feindseligkeit um. Dieser Papst passte nicht in das Mikrosystem des römischen Klientelismus, zumal vor der Konklavereform von 1621/22. Im Reich hingegen beeindruckte Hadrian mit einer auf dem Reichstag von Nürnberg 1523 durch Nuntius Chieregati abgegebenen Erklärung, die Missstände in der Kirchenhierarchie anerkannte und in drastischen Worten Abhilfe versprach. Bei meinen Recherchen habe ich einen zeitgenössischen französischen Blick auf Hadrian VI. gefunden, der insofern überrascht, als dass er die Reformfrage völlig außen vor lässt, auch auf die [...]
(1) Kriminalität und Strafe: Seismographen des moralischen Wandels – Im Interview Susanne Karstedt
Anknüpfend an das Interview mit den Wissenschaftlern in unserer aktuellen Ausgabe „Kriminalität und soziale Normen” werden in einer Blogreihe in wöchentlichen Abständen weitere Kriminalsoziolog_innen auf gleiche Fragen zum Teil zu ähnlichen, zu einem größeren Teil aber auch zu sehr unterschiedlichen Antworten … Weiterlesen