Vernichtungskrieg und Provenienzforschung

Vernichtungskrieg und Provenienzforschung

Bei der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen klingelte Mitte der 1990er Jahre das Telefon. Eine 82-jährige Dame erklärte am anderen Ende der Leitung, sie wolle etwas vor ihrem Tod in Ordnung bringen. Ihr Mann habe im Zweiten Weltkrieg als Soldat in der Sowjetunion gedient. Seine Truppen besetzten damals Zarskoje Selo bei Leningrad mit der früheren Zarenresidenz, dem Katharinenpalast. Aus dem Palast habe er ihr ein Gemälde und einige kostbare Bücher als Erinnerungsstücke mitgebracht. Ob die Wissenschaftler*innen ihr helfen könnten, die Stücke zurückzugeben?[1]

Tatsächlich kehrten das Gemälde und die anderen wertvollen Stücke mit Hilfe der Bremer Forschungseinrichtung in den 1990er Jahren zurück nach Zarskoje Selo, die heutige Stadt Puschkin. Als Kunsthistoriker im Rang eines Wehrmachtsoffiziers hatte der Ehemann der alten Dame den Einheiten angehört, die auf Geheiß Hitlers wertvolle kulturelle Güter in Osteuropa raubten.[2]



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Quelle: https://visual-history.de/2020/12/14/vernichtungskrieg-und-provenienzforschung/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=vernichtungskrieg-und-provenienzforschung

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Der Fotografische Akt

Der Fotografische Akt

Quadrat sample, Foto: Yohan euan o4, 27. Juli 2008. Quelle: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Um Missverständnisse gleich vorwegzunehmen: Bei diesem Text geht es keineswegs um die Beschäftigung mit der fotografischen Form des Akts als einem zentralen Motiv der Kunstgeschichte. Stattdessen wird der fotografische Akt hier als der Akt des Fotografierens verstanden. Es geht also um die Situation, in der Fotograf*in, Fotografierte und Kamera aufeinandertreffen und aus der in der Regel ein Bild entsteht. Damit einher geht die Einschränkung, dass die hier dargelegten Argumente vor allem auf Situationen zutreffen, in denen Menschen fotografiert werden. Während mit „Bildethik“ oft pauschal diverse Aspekte von Fotografie gemeint werden, die sowohl die Ästhetik und die Bildlichkeit als auch die Produktion umfassen, fällt bei einer Zerlegung des fotografischen Prozesses in seine Einzelteile auf, dass sich verschiedene bildethische Fragen stellen.

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Quelle: https://visual-history.de/2020/11/16/der-fotografische-akt/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=der-fotografische-akt

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Der Fotografische Akt

Der Fotografische Akt

Quadrat sample, Foto: Yohan euan o4, 27. Juli 2008. Quelle: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Um Missverständnisse gleich vorwegzunehmen: Bei diesem Text geht es keineswegs um die Beschäftigung mit der fotografischen Form des Akts als einem zentralen Motiv der Kunstgeschichte. Stattdessen wird der fotografische Akt hier als der Akt des Fotografierens verstanden. Es geht also um die Situation, in der Fotograf*in, Fotografierte und Kamera aufeinandertreffen und aus der in der Regel ein Bild entsteht. Damit einher geht die Einschränkung, dass die hier dargelegten Argumente vor allem auf Situationen zutreffen, in denen Menschen fotografiert werden. Während mit „Bildethik“ oft pauschal diverse Aspekte von Fotografie gemeint werden, die sowohl die Ästhetik und die Bildlichkeit als auch die Produktion umfassen, fällt bei einer Zerlegung des fotografischen Prozesses in seine Einzelteile auf, dass sich verschiedene bildethische Fragen stellen.

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Antiziganismus

Antiziganismus

 

Queen Kenny 1996, Berlin. Fotograf: Nihad Nino Pušija (pho_00257_30). Quelle: RomArchive: 50x Fotografien ohne Antiziganismus, Lizenz: CC-BY-NC-ND 4.0

Bisweilen bestechen Bilder erst durch das, was auf ihnen nicht zu sehen ist. Die Art und Weise, wie das Abgebildete eingeordnet und ergänzt, wie aus dem Ausschnitt ein Panorama, aus dem Augenblick eine Geschichte wird, offenbart oftmals mehr über die Wirkweisen von Bildern als diese selbst. So auch im Fall von „Maria“, einem jungen Mädchen, dessen Porträt aus einer Wohnsiedlung von Rom*nja in der griechischen Stadt Farsala im Herbst 2013 weltweite Wogen schlug.

Zu sehen war hierauf eigentlich nicht viel.

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Quelle: https://visual-history.de/2020/11/02/antiziganismus/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=antiziganismus

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Opfer als Bildagenten?

Opfer als Bildagenten?

Zuerst eine nahezu unlösbare Aufgabe: Sich in einen KZ-Überlebenden im Jahr 1945 hineindenken zu wollen, scheint mehr als nur schwierig, eher unmöglich, unvorstellbar, auch vermessen. Nach der Haft in den NS-Konzentrationslagern waren diese Menschen nicht mehr wie andere beispielsweise Bäcker, Juristen, Lagerarbeiter oder Landwirte mit einer spezifischen lokalen und religiösen Identität und Teil einer weitverzweigten Familie. Vielleicht blieb nur wenig von ihrer eigentlichen äußeren Erscheinung übrig. Die Lagerhaft hatte sich deutlich in ihre Psyche und ihre Körper eingeschrieben. Ihr Aussehen, ihr Verhalten, ihre Gestalt waren so anders, dass sie häufig von den alliierten Befreiern als the living dead bezeichnet wurden. Sie waren nicht mehr dieselben Menschen wie zuvor. Eine Rückkehr in ihr altes Leben, in ihr Zuhause, zu ihrer Familie schien in vielen Fällen nicht mehr möglich. Sie kamen nur mit ihrem Leben davon.

Nach der Befreiung sahen sie sich aber nicht mehr als namenlose Häftlinge, Nummern ohne Individualität, sondern als Überlebende mit einer eigenen neuen Identität, die die Notwendigkeit verspürten, gemeinsam auf die ihnen zugefügten Leiden aufmerksam zu machen.

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Quelle: https://visual-history.de/2020/10/26/opfer-als-bildagenten/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=opfer-als-bildagenten

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Gegenbilder

Gegenbilder

 

Wo Worte gesprochen werden, gibt es meist auch Widerworte. Wo Erzählungen gesponnen werden, formen sich Gegen-Narrative. Und so gibt es selbstverständlich zu bildlichen Aussagen auch Gegen-Bilder: Bilder, die in Form, Inhalt und Gebrauch auf andere Bilder reagieren, indem sie diese in Frage stellen oder ihnen widersprechen. Bilder, die als generative Kräfte im historischen Prozess wirken. Oder aber Bilder, die marginalisiert beziehungsweise gar nicht gezeigt wurden und erst zu einem späteren Zeitpunkt ein bislang herrschendes Narrativ in Frage stellen können.

Insbesondere in Bezug auf das Massenmedium Fotografie ist es lohnend, über die Bedeutung von Gegenbildern nachzudenken. Schließlich wurde gerade diesem Medium bei seiner Entstehung zunächst unbedingte Objektivität und Authentizität in der Abbildung von Gegenständen, Personen und Situationen zugeschrieben. Doch bedingen Fotografien häufig eine Steuerung von Sehweisen.

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Quelle: https://visual-history.de/2020/10/20/gegenbilder/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=gegenbilder

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Freiwilligkeit und Zwang

Freiwilligkeit und Zwang

Im Zuge von Handelsreisen, Verwaltungstätigkeiten und Forschungsexpeditionen entstanden bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Fotografien in kolonialistisch-eurozentrischen Kontexten,[1] die das Leben der Bewohner*innen der bereisten Gebiete „als Fremdbilder […] vermittelt durch die vielfältigen Mechanismen der Distribution und des Konsums“[2] darstellten. Manche bilden eindeutig erkennbar inszenierte Szenen wie Gruppenporträts, Kampfgeschehen oder arrangierte Studioaufnahmen ab, andere hingegen suggerieren, dass die Fotografien spontan im Feld aufgenommen wurden. Sie umfassen auch standardisierte anthropometrische Aufnahmen, sogenannte Typenfotografien,[3] welche die abgebildeten Personen häufig nackt oder in vermeintlich traditionellen Gewändern zeigen und wiederum als Wissensquelle für Forscher*innen zur Identifizierung von Gruppen dienten.

Vielfach galten die Abgebildeten dabei als Gegenbild zur westlichen Zivilisation. So stellt der Historiker Jens Jäger fest: „Ob es sich nun um Bilder von Einwohnern der europäischen Kolonien handelte, um Aufnahmen von Bauern, Arbeitern und Angehörigen der Unterschichten oder um Bilder von bürgerlichen Männern und Frauen, implizit wurden diese in der ‚westlichen‘ Kultur an der Norm des weißen, bürgerlichen Menschen (vor allem des Mannes) gemessen.“[4]

Der überwiegende Teil der Bilder, die in einem im weitesten Sinne ethnologischen Forschungskontext aufgenommen und überliefert worden sind, wurde zudem nicht von den Einheimischen erstellt. Sie bilden Machtverhältnisse mal ganz offen, mal verdeckter ab.

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Quelle: https://visual-history.de/2020/09/28/freiwilligkeit-und-zwang/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=freiwilligkeit-und-zwang

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Zeigen / Nichtzeigen

Zeigen / Nichtzeigen

Screenshot der Website der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin: Ethnologie (Volks- und Völkerkunde) [15.09.2020]

Der Ausgangspunkt dieses Textes ist die Frage nach dem Zeigen oder Nichtzeigen von Bildern in Online-Ressourcen aus wissenschaftsethischer Sicht (der Ethnologien[1]). Wobei das konkret zu problematisierende Material vorwiegend aus Fotografien von Menschen aus ethnologischen Forschungskontexten bis mindestens zur Mitte des 20. Jahrhunderts besteht, jedoch auch auf weitere Bildkontexte im Zeitalter des Kolonialismus/Imperialismus übertragen werden kann. Gleichzeitig soll auch die Perspektive einer Infrastruktureinrichtung beleuchtet werden, die für die ethnologischen Fächer Literatur im Rahmen der sogenannten Massendigitalisierung frei zur Verfügung stellt. Dieses fotografische Material wirft Fragen allgemeiner ethischer Natur (Menschenwürde) sowie zum Opferschutz, zu Persönlichkeitsrechten, aber auch zu Rassismus, Selbstrepräsentation und den repräsentierten Machtverhältnissen auf, die in einem separaten Beitrag von uns detaillierter besprochen werden.[2]

Sollen Bilder aus solchen Kontexten, oftmals nach Jens Jäger der Reisefotografie oder dem anthropologischen und ethnografischen Stil der Wissenschaftsfotografie zuzuordnen,[3] frei zugänglich im Internet gezeigt oder sollte dies lieber unterlassen werden?

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Quelle: https://visual-history.de/2020/09/21/zeigen-nichtzeigen/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=zeigen-nichtzeigen

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Ästhetisierung

Ästhetisierung

Auf dem C-Print „Maryann and Jack-Jack“ (2017) der französischen Fotografin Laura Henno (*1976) hält eine junge Frau einen Säugling vor ihrem schmalen Körper. Das Kind ist kräftig und scheint sich von der mädchenhaften Frau wegzudrehen. Sie jedoch hält es mit der rechten sehnigen Hand sicher umfasst. Ihr Gesicht ist der Abendsonne zugewandt, leicht kneift sie Augen und Mund zusammen und strahlt somit eine gedankenvolle Ruhe aus. Das zu große Männerhemd über einem Shirt und ihr ungewaschenes Haar zeugen von ärmlichen Verhältnissen. Auch der wüstenhafte Ort, an dem sich Mutter und Kind befinden, verheißt keine einfachen Lebensumstände. Im Hintergrund sieht man vereinzelt Gestrüpp und karge Bäume. Sie werfen lange bläuliche Schatten auf die sonnengetränkte sandige Erde. Unscharf erkennt man weiter hinten im gleißenden Licht ein Wohnmobil als einsame Behausung in der Wildnis.



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Quelle: https://visual-history.de/2020/09/14/aesthetisierung/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=aesthetisierung

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Visuelle Weltbürgerschaft der Fotografie

Visuelle Weltbürgerschaft der Fotografie

Tod im Bild

Der Mann und das Kind liegen mit dem Gesicht nach unten. Beide tragen kurze Hosen, das Kind Schuhe, der Mann nicht. Der Oberkörper des Kindes ist in das T-Shirt des Mannes gezwängt, und aus seinem Halsausschnitt ragt der rechte Arm des Kindes heraus, als lege es seinem Vater den Arm um die Schulter. Das T-Shirt ist hochgerutscht und legt den Rücken des Mannes bis an die Schulterblätter frei. Die beiden Körper liegen im Wasser, am Rande des Rio Grande in Matamoros, Mexiko, nahe des mit Gräsern bewachsenen Ufers.

Der Vater und seine Tochter sind tot. Óscar Alberto Martínez Ramírez und seine 23 Monate alte Tochter Valeria verließen El Salvador im April, um in den USA Asyl zu beantragen. An diesem Wochenende hatten sie keinen Zugang zum amerikanischen Migrationsbüro; hinzu kommt, dass fast niemandem aus El Salvador die Einreise in die USA erlaubt wird.

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Quelle: https://visual-history.de/2020/08/10/visuelle-weltbuergerschaft-der-fotografie/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=visuelle-weltbuergerschaft-der-fotografie

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