App zu Ludwig dem Bayern in München


Studierende des Historischen Seminars der LMU München wecken die Erinnerung an den bayerischen Kaiser. Ein Münchner als König und Kaiser

Beispielbild aus der App

Ein Beispielbild aus der App: Wappenschild im Alten Rathaus.
(© Münchner Stadtmuseum)

Ludwig IV. (1314–1347), genannt der Bayer – deutscher König, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und Münchner. Der schillernde und hoch umstrittene Herrscher hinterließ in dieser Stadt zahlreiche Spuren in Bau- und Kunstwerken. Viele davon sind noch heute im Stadtbild sichtbar und mit Hilfe einer kostenlosen App nun erlebbar: Die App http://www.kaiser-ludwig-in-muenchen.de/ verbindet die wichtigsten Erinnerungsorte zu einem digitalen Stadtrundgang, der zur Besichtigung vor Ort einlädt. Dabei werden wesentliche Ereignisse, aber auch vielfältige Aspekte der Persönlichkeit Ludwigs des Bayern durch kurze Erläuterungen und historische Aufnahmen und Bilder veranschaulicht.

Erarbeitet wurde diese App von Studierenden des Historischen Seminars der LMU München im Rahmen einer Lehrveranstaltung im Wintersemester 2013/14, unter der Leitung von Dr. Hubertus Seibert. Das Bildmaterial stellten verschiedene Museen, Archive und Bibliotheken der Stadt zur Verfügung. Das Historische Seminar förderte die Realisierung dieses innovativen Vorhabens finanziell.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3757

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Zitierpflicht für Wikipediaartikel – und wenn ja, für welche und wie?

Enzyklopädische Artikel aus Projekten wie dem Brockhaus oder der Encyclopedia Britannica können in wissenschaftlichen Arbeiten nicht zitiert werden, denn die Autoren1 der Artikel sind nur der Redaktion bekannt, nicht aber dem Leser. Dabei verfügen die ehemaligen Autoren der Brockhaus-Artikel über hohe wissenschaftliche Qualifikation, über 51 Prozent sind habilitiert, ein weiteres Drittel ist promoviert und die Verbleibenden besitzen einen universitären Abschluss.2

Ganz anders und doch vergleichbar sollte es bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia sein. Etwa sieben Prozent der angemeldeten Autoren sind promoviert3 und von vielen Autoren ist der Stand ihrer Ausbildung nicht bekannt. Den Artikeln können zwar Autoren zugeordnet werden, aber nur wenige der Autoren melden sich unter ihrem Klarnamen an. Der ganz überwiegende Teil der angemeldeten Autoren schreibt im Schutz eines Pseudonyms. Mehr noch, bei der Hälfte aller Veränderungen werden nur die Internetprotokoll-Adresse (IP) der Rechner, von denen diese Veränderungen ausgingen gespeichert. Wer der Autor ist, bleibt völlig unklar.

Unter diesen Voraussetzungen ist es kaum möglich einen Wikipedia-Artikel sauber, und wissenschaftlich korrekt zu zitieren, egal mit welcher Sorgfalt es versucht wird. Zwar ist es möglich auf sogenannte feste Versionen zu verlinken, deren Text so unveränderlich wie ein gedruckter ist, aber das Problem der fehlenden Zuordnung zu einem oder mehreren Autor/en bleibt.4 Dieser Status quo – die Wikipedianer wünschen sich zitiert zu werden, die Wissenschaft kann nicht zitieren, weil die Autorenangaben fehlen – hat sich seit Jahren kaum geändert, oder wie es aktuell formuliert wurde: „Jeder benutzt sie, keiner zitiert sie“.5

Allerdings gibt es drei Bedingungen, die, wenn sie erfüllt sind, dazu führen sollten, dass ein Artikel der Wikipedia wissenschaftlich korrekt mit Autorenangabe zitiert werden könnte. Diese Bedingungen sind zwar schwer zu erreichen, aber bei momentan 1,7 Mio. Artikeln in der deutschsprachigen Wikipedia, sollte es doch einige geben, die diese Anforderungen erfüllen. Wohlgemerkt, es geht hier nicht darum, einen Weg zu suchen, alle Wikipediaartikel wissenschaftlich zitierfähig zu machen – das kann aufgrund der von einem kollaborativen Ansatz ausgehenden Gesamtkonstruktion nicht funktionieren –, sondern umgekehrt zu schauen, unter welchen Bedingungen Artikel zitiert werden könnten und dann aber auch zitiert werden müssten, da sie einem oder mehreren Autor/en klar zuordenbar sind.

Die drei Bedingungen sind folgende: (1) Klarname: Der Hauptautor muss namentlich bekannt sein, (2) quantitativer Anteil: dessen Anteil am Text muss eine bestimmte Grenze überschreiten und (3) qualitative Korrektheit: der Autor muss die Korrektheit der zitierten Artikelversion verantworten.

Nun bietet die Wikipedia-Datenbank alle Möglichkeiten, um die Erfüllung dieser Bedingungen zu überprüfen.

Denn neben den Texten der Artikel speichert die Datenbank auch alle Veränderungen und alle zugehörigen Autoren zeichengenau in der Versionsgeschichte ab. Aufgrund dieser Metadaten lässt sich exakt nachweisen, wer wann welches Zeichen geschrieben oder verändert hat. Im Durchschnitt stehen pro Artikel etwa 50 Versionen zur Verfügung. Diese Daten „von Hand“ durchzuschauen ist äußerst zeitaufwendig, seit einigen Jahren haben Programmierer aber Werkzeuge (weiter-)entwickelt, mit denen sich die Versionsgeschichte maschinell auswerten lässt. So kann leicht und schnell ermittelt werden, wie groß der quantitative Anteil eines Autors am Artikeltext ist.6 Für diese Autorenanteile wurden Durchschnittswerte ermittelt: So verfassen etwa 2,6 Nutzer mehr als fünf Prozent eines Artikeltextes. Im Schnitt schreibt ein Hauptautor etwa 70 Prozent des Textes und ein zweiter Autor trägt noch einmal 13 Prozent bei. Im Durchschnitt lassen sich also 83 Prozent eines Artikels zwei Autoren eindeutig zuordnen.7

Natürlich gibt es auch viele Artikel, an denen über 3 000 Autoren mitgeschrieben haben und an denen aufgrund der hohen Dichte verschiedener Bearbeiter kaum jemand mehr als zehn Prozent beigetragen hat.8 Bei diesen Artikeln erreicht kein Autor die Grenze der eindeutigen Zuordenbarkeit und die Artikel sind deshalb nicht zitierfähig.

Um zitierfähige und damit auch zitierpflichtige Artikel zu sein, müssen die oben genannten Bedingungen wie folgt erfüllt sein:

(1) Der Hauptautor muss sich unter seinem Klarnamen angemeldet haben. Dies betrifft momentan etwas über sieben Prozent aller angemeldeten Autoren.9 Die Möglichkeit zu den im Artikel gegebenen Informationen eine reale Person zuzuordnen, ist nur bei diesen gegeben.10

(2) Beim quantitativen Anteil sollten mindestens die Durchschnittswerte überschritten sein, der erste Hauptautor sollte also mindestens 70 Prozent und der zweite Hauptautor mindestens 13 Prozent des Artikels verfasst haben. Oder der Anteil eines einzelnen Hauptautors am Text muss über diesen 83 Prozent liegen. Je spezieller ein Thema, umso eher ist diese Bedingung erfüllt. Je allgemeiner, umso mehr Autoren fühlen sich berufen kollaborativ etwas beizutragen.

(3) Der Hauptautor muss die qualitative Korrektheit der Artikelversion garantieren. Er verantwortet, dass beispielsweise ein falsch eingefügtes „nicht“ den Sinn nicht komplett entstellt, sondern wieder entfernt wird. Dies ist am meisten gegeben bei Artikeln, die durch einen Begutachtungsprozess gelaufen sind und als Prädikat den Status „Lesenswert“ oder „Exzellent“ erhalten haben. Bei der Version, die am Ende dieser Begutachtung steht, ist vergleichsweise sicher, dass der Hauptautor alle Veränderungen aktiv beobachtet hat und diese Artikelversion korrekt ist.

Artikel für die diese drei Bedingungen erfüllt sind, Klarname des Autors bekannt, Autor ist quantitativ für mindestens 83 Prozent des Textes verantwortlich und zum Zeitpunkt einer Begutachtung steht der Autor dafür ein, dass diese Artikelversion qualitativ korrekt ist, wären zitierfähig.

Als Beispiele sollen hier zwei Artikel von Frank Schulenburg genannt werden. Der Autor ist der sogenannten Wikipedia-Community vertraut, war er doch 2005 Administrator der Wikipedia und hat in größerer Zahl Edits beigetragen. Er ist aber auch im Wissenschaftsbereich bekannt, hat an der Universität Göttingen studiert und arbeitet heute im Wikipedia-Hochschulprogramm in den Vereinigten Staaten. Da er unter seinem Klarnamen bekannt ist und auch so bei Wikipedia angemeldet, wäre damit die erste Bedingung (Klarname) erfüllt.

Am Wikipediaartikel über den französischen Autor „Claude Bourgelat“ hat Frank Schulenburg etwa 96 Prozent geschrieben. Da die Anteile aller anderen Autoren sich auf die Korrektur von Formalien und Tippfehlern beschränken, wäre auch die zweite Bedingung (quantitativer Mindestanteil) erfüllt. Zudem wurde der Artikel „Claude Bourgelat“ am 26. April 2008 nach einem von Frank Schulenburg begleiteten Begutachtungsprozess in die Liste der exzellenten Artikel aufgenommen. Der Hauptautor steht dafür, dass diese Version qualitativ korrekt ist, damit wäre auch die dritte Bedingung erfüllt. Werden nun Informationen aus diesem Artikel zitiert, müsste also korrekt angegeben werden:

Art. „Claude Bourgelat“, bearb. von Frank Schulenburg u.a., in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 7. Oktober 2013, 11:53 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Claude_Bourgelat&oldid=123217566 (Abgerufen: 8. Mai 2014).

Das gleiche gilt beispielsweise für die Artikel zu „John Hunter (Chirurg)“11 oder zu „Johann Heinrich Zedler“12, bei denen Frank Schulenburg 90 und 92 Prozent verfasst hat. Oder für verschiedene Artikel des mit seinem Klarnamen angemeldeten Historikers Hans-Jürgen Hübner, wie die „Geschichte der Tr’ondek Hwech’in First Nation“13, die „Urgeschichte Italiens“14, die „Wirtschaftsgeschichte der Republik Venedig“15 oder der Artikel zum „Francesco Datini“16, die Anteile Hübners liegen hier bei 98 Prozent, zwei Mal 96 Prozent und 91 Prozent.

Die Zahl der solchermaßen zitierfähigen Artikel kann aufgrund der kollaborativen Arbeit nicht sehr hoch sein, aber es macht künftig eine grundsätzliche Prüfung notwendig, wenn aus der Wikipedia Informationen entnommen werden, ob damit nicht in dem Fall gegen die mögliche Zitierpflicht mit Autorenangabe verstoßen wird. Es gibt also künftig nicht mehr einfach die Ausrede „Jeder benutzt sie, keiner zitiert sie“, sondern für jede einzelne Information ist zu prüfen – und das ist der große Unterschied zu den früheren gedruckten Enzyklopädien wie Brockhaus oder Encyclopedia Britannica – ob nicht gerade dieser Artikel die Hürden für die Zitierfähigkeit überschreitet und dann zitiert werden muss.

Die Wikipedia sollte die notwendigen Werkzeuge schnell allen Benutzern der Datenbank verfügbar machen, denn die Benutzer kommen nach dem Gesagten um eine genaue Prüfung, zur Vermeidung von Verstößen gegen das Urheberrecht, nicht mehr herum. Auch der Verweis darauf, dass die Wikipediainhalte ja vermeintlich frei sind, ändert daran nichts, denn die zugrundeliegende Creativ Commons Lizenz beinhaltet explizit die „Namensnennung — Sie müssen die Urheberschaft ausreichend deutlich benennen, einen Link zur Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Diese Angaben dürfen in jeder angemessenen Art und Weise gemacht werden, allerdings nicht so, dass der Eindruck entsteht, der Lizenzgeber unterstütze gerade Sie oder Ihre Nutzung des Werks besonders.“17

Künftig gilt für den Umgang mit der Wikipedia: Jeder der sie benutzt, muss prüfen, ob er sie unter bestimmten Umständen nicht sogar mit Autorenangabe zitieren muss.

1     Wenn im Folgenden überwiegend die Form „Autor“ oder „Hauptautor“ verwendet wird, hat dies allein Lesbarkeitsgründe, mitzudenken sind sowohl die Formen „Autorin“ oder „Hauptautorin“ sowie „Autoren“ oder „Hauptautoren“.

2     Vgl. Brockhaus, 17. Auflage, Band 20: Wam-ZZ, Wiesbaden 1974, S. 827–835: Bei 1445 namentlich aufgelisteten Autoren. Der Anteil der Autorinnen liegt bei nur sechs Prozent.

3     Vgl. Ruediger Glott, Philipp Schmidt, Rishab Ghosh: Wikipedia Survey – Overview of Results. 2010. Online: http://www.wikipediasurvey.org/docs/Wikipedia_Overview_15March2010-FINAL.pdf (Abgerufen: 13.12.11), S. 7.

4     Johannes Becher, Viktor Becher: Gegen ein Anti-Wikipedia-Dogma an Hochschulen. Warum Wikipedia-Zitate nicht pauschal verboten werden sollten, in: Forschung und Lehre 18 (2011), H. 2, S. 116–118; Maren Lorenz: Der Trend zum Wikipedia-Beleg. Warum Wikipedia wissenschaftlich nicht zitierfähig ist, ebd., S. 120–122.

5     Stellungnahme des Verlags C. H. Beck zu Plagiatsvorwürfen bezüglich des Buches „Große Seeschlachten. Wendepunkte der Weltgeschichte von Salamis bis Skagerrak“ (München 2013), vgl. online: http://chbeck.de/_assets/pdf/pm_grosse-seeschlachten.pdf (Abgerufen: 9. Mai 2014).

6     Vgl. online: https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:APPER/WikiHistory (Abgerufen: 9. Mai 2014) und online: https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:APPER/WikiHistory/Programm (Abgerufen: 11. Mai 2014).

7     Vgl. online: https://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer:APPER/WikiHistory/Autorenbestimmung (Abgerufen: 11. Mai 2014).

8     Beispielsweise der Artikel „Deutschland“ mit 3 460 Bearbeitern, vgl. online: https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschland (Abgerufen: 9. Mai 2014).

9     Vgl. die Erhebung von Jürgen Engel im Jahr 2011 unter online: http://gemekon.de/dokumente/protokoll.pdf (Abgerufen: 11. Mai 2014), S. 2.

10    Zusätzlich zur Klarnamenanmeldung, die missbraucht werden könnte, gibt es die Möglichkeit das Benutzerkonto gegenüber dem Support-Team mit der E-Mail-Adresse einer Institution zu verifizieren.

11    Art. „John Hunter (Chirurg)“, bearb. von Frank Schulenburg u.a., in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 15. November 2013, 08:52 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=John_Hunter_(Chirurg)&oldid=124478660 (Abgerufen: 15. Mai 2014).

12    Art. „Johann Heinrich Zedler“, bearb. von Frank Schulenburg u.a., in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 25. Februar 2014, 18:38 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Johann_Heinrich_Zedler&oldid=127940244 (Abgerufen: 8. Mai 2014).

13    Art. „Geschichte der Tr’ondek Hwech’in First Nation“, bearb. von Hans-Jürgen Hübner u.a., in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 2. Mai 2014, 21:01 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Geschichte_der_Tr%E2%80%99ondek_Hwech%E2%80%99in_First_Nation&oldid=130047818 (Abgerufen: 15. Mai 2014).

14    Art. „Urgeschichte Italiens“, bearb. von Hans-Jürgen Hübner u.a., in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 5. Mai 2014, 13:47 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Urgeschichte_Italiens&oldid=130119732 (Abgerufen: 8. Mai 2014).

15    Art. „Wirtschaftsgeschichte der Republik Venedig“, bearb. von Hans-Jürgen Hübner u.a., in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 6. Mai 2014, 06:21 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wirtschaftsgeschichte_der_Republik_Venedig&oldid=130140526 (Abgerufen: 8. Mai 2014).

16    Art. „Francesco Datini“, bearb. von Hans-Jürgen Hübner u.a., in: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 28. März 2014, 09:49 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Francesco_Datini&oldid=128974223 (Abgerufen: 15. Mai 2014).

17    Vgl. online: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de (Abgerufen: 9. Mai 2014).

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Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3721

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Interdisziplinärer Sommerkurs „Inschrift – Handschrift – Buchdruck. Medien der Schriftkultur im späten Mittelalter“ Greifswald, 21. – 27. September 2014

Rubenowstein Greifswald (Christine Magin 2014)

Rubenowstein Marienkirche Greifswald
(Christine Magin 2014)

In den letzten Jahren sind aus den Studienplänen vieler mediävistischer Disziplinen Seminare sowie praktische Übungen zu Arbeitstechniken verschwunden, die für den Umgang mit mittelalterlichen Originalquellen unerlässlich sind. Die „Arbeitsstelle Inschriften“ der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, die am Historischen Institut der Universität Greifswald verortet ist, führt daher vom 21. – 27. September 2014 (Anreise am 21.9.) den interdisziplinären Sommerkurs „Inschrift – Handschrift – Buchdruck. Medien der Schriftkultur im späten Mittelalter“ durch. Ziel des Kurses ist die Vermittlung fächerübergreifend anwendbarer Kenntnisse für die Arbeit mit spätmittelalterlichen Originaltexten in Form von Handschriften, Inschriften und Inkunabeln. Im Rahmen des Sommerkurses sollen die entsprechenden Medien behandelt und erworbene oder bestehende Kenntnisse sowohl durch praktische Übungen als auch durch eine Exkursion vertieft werden.

Der Sommerkurs versteht sich als Angebot für Master-Studierende und Promovierende der Fächer Geschichte, Deutsche und Lateinische Philologie des Mittelalters, Kunstgeschichte, Buchwissenschaften, Kirchengeschichte, Musikwissenschaften sowie Editions- und Historische Grundwissenschaften. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen sind ausdrücklich dazu aufgefordert, im Rahmen des Kurses eigene Master- und Dissertationsprojekte zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen.

Die Veranstaltung wird am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald sowie in der Universitätsbibliothek Greifswald und in Rostock stattfinden. Der Kurs wird gefördert von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Essen, und der Sparkasse Vorpommern. Für die kostenfreie Unterbringung auswärtiger Teilnehmer wird gesorgt. Ferner können Reisestipendien beantragt werden.

Bewerbungen werden bis zum 31. Mai 2014 (verlängerte Frist) erbeten. Weitere Hinweise für interessierte Bewerberinnen und Bewerber sowie Informationen zum Kursprogramm finden sich auf den Seiten des Mittelalterzentrums der Universität Greifswald unter www.phil.uni-greifswald.de/fk/maz/aktivitaeten.html.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3700

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Breitseiten und Rohrkrepierer – zum Verhältnis von Feuilleton, Plagiat und historischem Sachbuch

Rohrkrepierer

Rohrkrepierer einer vermutlich österreichisch-ungarischen Feldhaubitze des Ersten Weltkrieges. Ort und Datum der Aufnahme sind unbekannt; ebenso, ob das Rohr überhitzt oder verzogen war.
Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rohrkrepierer.png

Sicher ist auch in der gegenwärtigen, sich immer heißer laufenden Plagiatsdiskussion „für die Klebefähigkeit von übler Nachrede [...] irgendein Haftgrund nötig.“[1] Dass diese Aussage, die Olaf B. Rader in Bezug auf die dem Staufer Friedrich II. nachgesagten Untaten formulierte, auch für ihn zutrifft, liegt an dem leicht vermeidbaren, sicher illegitimen Umgang mit Wikipediazitaten und Bildern aus den Wikimedia Commons in dem von ihm verantworteten Teil des Sachbuchs über „Große Seeschlachten: Wendepunkte der Weltgeschichte“. Die vor zwei Wochen in Gang gesetzte Diskussion kann etwa hier und hier und hier nachgelesen werden, um nur einige der wissenschaftlichen oder doch wissenschaftsnahen Blogs zu benennen. Das Nachverfolgen der Meldungen in den Online-Auftritten etablierter Zeitungen konnte man sich im Großen und Ganzen sparen (mit Ausnahme der NZZ), da dort immer wieder dasselbe kolportiert wurde; im (Online-) Journalismus ja gängige Praxis und keineswegs todeswürdiges Verbrechen.

Doch durch den gestrigen Beitrag des New Yorker Feuilletonkorrespondenten der FAZ, Patrick Bahners, bekommt die Diskussion eine neue Qualität, wenn auch kein höheres Niveau: Die Vorwürfe werden auf frühere Bücher Raders ausgeweitet, darunter die umfangreiche Biographie über Friedrich II. und auch deren Kurzvariante, die in der bekannten Reihe Beck Wissen erschienen ist; keineswegs klar erkennbar ist immer, auf welche der beiden Monographien sich der Vorwurf konkret bezieht. Beleg dafür seien Recherchen Kathrin Passigs, die aber nirgends öffentlich einsehbar sind. Verwiesen wird auf eine laienhafte Internetseite über die ‚falschen Friedriche‘, deren aus einer rechtshistorischen Publikation von 1951[2] basierende Argumentationsstruktur Rader direkt übernehmen soll. Als Beleg wird die Formulierung „in die Knie zwingen“ herangezogen, die der Angeklagte als „auf die Knie zwingen“ variiert. Außerdem sei er gar nicht den kriminalpsychologischen Differenzierungen der ursprünglichen Quelle gefolgt. Tatsächlich, in Chronologie und einzelnen Formulierungen gibt es Ähnlichkeiten zwischen Raders Text und der Internetseite, aber eben auch des Buchs von 1951. Der aktuelle Forschungsstand dürfte anders aussehen, das sei konzediert. Doch ob hier Radbruch/Gwinner die Vorlage ist oder die Internetseite, ist nicht zu entscheiden. Und müssen die drei Seiten (104-106) des Beck-Wissen-Bändchens zum Aspekt der falschen Friedriche wirklich mehr liefern als Faktenwissen?

Was hier also für Bahners ein Manko, ja ein klares Indiz für Raders ‚Trivialitäten‘ ist, wird in der zweiten transatlantischen Breitseite zum Anlass für Kritik: Denn hier folgt der Berliner Historiker nun wieder zu sehr (und doch nicht genug!) der Literatur, auf die in der Friedrichsbiographie durchaus verwiesen wird. Es geht um den Aspekt der Waffenmode um 1200, sicher ein äußerst untergeordneter Aspekt in einer Biographie des Stauferkaisers, sollte man meinen. In einem sich gewichtig gebenden Textvergleich werden also einige Zitate Raders neben solche aus einem wissenschaftlichen Beitrag zur Stauferausstellung von 1977 gereiht, auf die sich der Biograph ja bezogen hat. Manche Zitate Raders sind sehr eng an den 35 Jahre alten Artikel angelehnt, manche weniger, was prompt vom Feuilletonisten stilistisch bekrittelt („Man wundert sich, inwiefern wallende, buntbestickte Röcke für einen schlichten Stil stehen können“) und zugleich hyperkorrekt in die Entwicklung der Kriegsmode zwischen 1150 und 1250 eingereiht wird. Fraglich bleibt, ob man solche Details in der von Bahners vorgeschlagenen Breite in einer Biographie des Sizilianers auf dem Kaiserthron lesen möchte und ob Rader hier nicht das Recht, ja die Pflicht zur Kondensierung hat, die fast immer mit Präzisionsverlust einhergeht.

Doch es wird noch investigativer: Rader habe den Leser glauben machen wollen, vor 1150 habe man wohl mit freiem Oberkörper gekämpft, so unpräzise seien seine Formulierungen. Allein, schreibt Rader das? Ihm geht es um das (langärmelige) Panzerhemd mit Handschuhen und Kapuze, das in dieser Zeit aufkommt, kein Widerspruch zur zitierten Literatur. Die Existenz von Kettenhemden vor 1150 dürfte jedem bekannt sein, der einmal ein Bild des Teppichs von Bayeux gesehen hat. Mag man bei den falschen Friedrichen noch ein ungutes Gefühl bei Raders Vorgehen haben, hier baut Bahners einen Pappkameraden auf. Man merkt die Absicht und ist dann noch verstimmter, wenn es etwas nonchalant, nämlich belegfrei weitergeht: Auch stilistisch sei Rader ein Blender, dem regelmäßig Grammatikfehler unterlaufen; alle bisherigen Rezensenten behaupten das Gegenteil, doch geschenkt: de gustibus. Dann wird noch im Vorbeigehen die Mittelalterarchäologie zur wissenschaftlich nicht satisfaktionsfähigen Disziplin herabgewürdigt, derer sich Rader nicht hätte bedienen dürfen. Und schließlich hat er wiederum einen Absatz zum Einfluss der orientalischen Mode nicht aufgenommen, der sich doch hätte aufdrängen müssen.

Dem Leser Bahners seinerseits stellt sich spätestens jetzt die Frage: Was will der Autor des FAZ-Artikels eigentlich erreichen? Mit jahrelanger Verspätung die Rezension schreiben, die schon 2010 – mit sehr positivem, aber nicht unkritischem Tenor und einer Würdigung der Gesamtthese des Buchs – Andreas Kilb in derselben Zeitung übernommen hat? Das Buch wurde ja auch andernorts im Feuilleton gelobt. Raders Buch ist auch im Fach durchweg positiv besprochen worden.[3] Nun, dann wäre es nur eine der Besprechungen, bei denen sich der Rezensent an Quisquilien abarbeitet, aber zum Gehalt des Buches nichts sagen kann oder will. Da aber der Artikel Bahners‘ im Kontext der Diskussion der letzten zwei Wochen über Raders Versäumnisse und Fehler im Seeschlachten-Buch steht, ist der Sachverhalt nicht so einfach. Dies wird auch am nur als diffamierend zu nennenden Schlusssatz des FAZ-Artikels deutlich. Hier soll eine Breitseite ad personam abgefeuert werden, die Diskreditierung Raders als Historiker wird mindestens billigend in Kauf genommen. Um den Ansatz seiner Bücher, um eine Typologisierung zu einem klareren Verständnis der historischen Figur Friedrichs II. und einer zugehörigen Erinnerungeschichte des Staufers, geht es mit keinem Wort. Dass er auch komplizierte Sachverhalte eingängig vermitteln kann, egal: Eine weitere Umdrehung an der Skandalschraube ist zu verlockend, und seien die Vorwürfe – zum jetzigen Stand der Beweislage bezüglich der Friedrichsbiographien – auch minimal fundiert, kleinkariert oder weit hergeholt. Hier wäre die Kärrnerarbeit der verschiedenen Plagiatsplattformen ein Beitrag zur Versachlichung und Substantiierung der Diskussion, bevor gelinde gesagt tollkühn Autoren als Betrüger abqualifiziert werden. Man mag zu diesem neuen deutschen Online-Hobby stehen wie man will: Auf eine kritische Masse von Belegen für unseriöses Vorgehen wird dort bestanden, bevor eine Plagiatsprüfung öffentlich gemacht wird. Im FAZ-Beitrag wird hingegen bei dünnster Faktenlage ein Verdikt formuliert.

Aber es geht nicht nur um die Invektiven gegen Olaf Rader und die fehlende Transparenz der Vorwürfe durch ein Plagiatswiki. In einem Aspekt trifft Bahners Artikel einen wunden Punkt, das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Sachbuch. Welcher Fachhistoriker würde von einem für ein breites Publikum geschriebenen Buch wie dem zu den Seeschlachten, aber auch eines kleinen Beck-Wissen-Bändchens die absolute Präzision und Forschungsnähe erwarten, die die Verlagswerbung suggeriert? Wenn Beck nicht den Unterschied zwischen einer akademischen Qualifikationsarbeit, einer hoch spezialisierten Fachmonographie und einer Publikation mit breiter Zielgruppe (oft ganz ohne Fußnoten, übrigens) zugeben will, ist das allenfalls kaufmännisch zu erklären. Zugleich: Wer kann sich vorstellen, dass Beck ein klar auf Breitenwirkung angelegtes Buch – sei es zu Friedrich II., sei es zu Seeschlachten in der Weltgeschichte – akzeptieren würde, das hinter jeden Satz eine Fußnote setzt und Beleg auf Beleg schichtet? Gut lesbar, da ist Bahners zuzustimmen, sind Spezialmonographien der Forschung quasi nie. Wenn aber der künftige öffentliche Umgang mit Sachbüchern durch diesen Fall präjudiziert wird, welcher Fachhistoriker wird sich noch daran setzen, für ein breites Publikum zu schreiben? Da bleibt man doch lieber im Gärtchen des eigenen Spezialthemas und schreibt gelehrte Abhandlungen mit einem überschaubaren Rezipientenkreis selbst innerhalb des Fachs, anstelle das Risiko der öffentlichen Hinrichtung einzugehen, die gerade an Rader versucht wird. Dasselbe Feuilleton, das sich jetzt darauf kapriziert, Paraphrasen gegenzuprüfen und Sätze zu googlen, wird sich dann wieder über die Unlesbarkeit der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft beklagen und mehr Mut der historischen Zunft einfordern. Übermut wird man nach dieser Diskussion und ihrer sich abzeichnenden Stoßrichtung sagen müssen. Nicht fehlen wird auch das Lob der anglophonen Kollegen, die so packend schreiben, während die deutschen Historiker/innen ihren Fußnotenfetischismus pflegen.

Aber ja, und auch das ist ein Punkt: Wie wäre es, Bücher wieder mehr zu lesen und über ihre Thesen zu reden und weniger ihre Satzfragmente zu googlen? Nein, das ist kein Aufruf zur Legalisierung des Plagiats in der Geschichtswissenschaft und auch nicht im historischen Sachbuch. Und tatsächlich fehlt eine Klärung des Verhältnisses von Fachwissenschaft, breiter angelegter Wissenschaftsvermittlung und neuen Medien wie Wikipedia, egal, welche internen Diskussionen der Wikipedianer es bereits gegeben hat. Und es bleibt kritikwürdig, was Rader im Seeschlachtenbuch getan hat.
Aber eine rein auf formale Aspekte abzielende Kritik verfehlt den Kern des Schreibens über Geschichte; wer Thesen nicht durchdenken, einordnen und abwägen will und stattdessen ausschließlich Belegstellen zählt und Paraphrasen prüft, macht es sich zu bequem. Sicher, mit weniger (intellektuellem) Aufwand gelangt man kaum in die Position des rückhaltlosen Aufklärers. Mehr als ein Skandälchen für zwei Wochen (mit allerdings fatalen und möglicherweise langfristigen Folgen für verschiedene Beteiligte, aber auch die Präsenz historischer Forschung in der Öffentlichkeit) kommt dabei aber nicht heraus. Mit den vorliegenden Begründungen ist die vernichtende Kritik an Raders Friedrichsbiographien durch Patrick Bahners kein Volltreffer, sondern ein Rohrkrepierer.

 

Dieser Beitrag begründet auf diesem Blog die neue Textkategorie “Cum ira et studio”: Kommentare mit erkennbarer Meinung zu mediävistischen Themen und im weitesten Sinn darauf bezogenen Mediengeschehen. Noch mehr als sonst ist für den Inhalt ausschließlich der Autor verantwortlich; der Beitrag gibt nicht notwendig die Meinung der Blogverantwortlichen insgesamt wieder.

[1] Olaf B. Rader: Friedrich II.: Der Sizilianer auf dem Kaiserthron, München 2010, S. 230.

[2] Gustav Radbruch, Heinrich Gwinner: Geschichte des Verbrechens. Versuch einer historischen Kriminologie, Stuttgart 1951.

[3] Vgl. auch Julia Becker, Rez. zu: Olaf B. Rader, Friedrich II. Der Sizilianer auf dem Kaiserthron. Eine Biographie, München (C.H. Beck) 2010, in: QFIAB 91 (2011), S. 503f.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3652

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Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte (Jacobus de Vitriaco: Historia Occidentalis, deutsch), 5

[Fortsetzung des Übersetzungsprojekts]

Fünftes Kapitel

Über die Nachlässigkeit und die Sünden der Kirchenfürsten

Als Grund all dieser Übel hatte sich die Schwäche, Abtrünnigkeit und Dummheit der Kirchenfürsten herausgestellt, denn nicht nur wegen der schläfrigen Hirten, sondern auch der bewusst mitwirkenden, säte ein feindlicher Mensch Unkraut inmitten des Weizens aus. Das Getreide verkam zu Lolch[1] und das verfluchte Land quoll über von Dornen und Unkraut. Den Acker des faulen Menschen und den Weinberg des törichten Mannes erfüllten derweilen die Brennnesseln und Dornen hatten sein Angesicht bedeckt. Während nämlich die schlechte Sorge der Hirten sich in die Raserei der Wölfe verwandelte, ging die Schlichtheit der Schafe in den Gestank der Ziegen über. Die Verkäufer des unschuldigen Josef, Nachahmer Simons des Magiers und Bundesgenossen des Verräters Judas, führten die Schafe, die sie in Sichem, das bedeutet in dem Bemühen um Arbeit und Zucht, weiden sollten, nach Dotan, das bedeutet in den Abfall von allen Gütern. Unbarmherzig waren schließlich auch die Vollstrecker, die Josef an die Ismaeliten verkauften und das Blut des aufrichtigen Abel auf dem Erdboden vergossen, während sie nichts umsonst empfingen und nichts umsonst zusammenrafften. Derweil nämlich das Feuer auf ihre unendliche Gier übergriff, sahen weder sie selbst die Sonne der Gerechtigkeit, noch ließen sie zu, dass deren Strahlen vorbei an der aufgeblähten Gestalt der über- und zwischengeordneten Herrschaft zu den Untergebenen durchdrangen. Dieselben waren tatsächlich keine Hirten, sondern eher Zerstreuer, keine Kirchenfürsten, sondern eher Pilaten. Nicht nur flohen sie beim Anblick des kommenden Wolfes, sondern meistens hielten sie mit denselben Wölfen zum Verderben der Schafe auch noch Frieden. Die „stummen Hunde“[2] wehrten die Wölfe vom Schafstall aus eigenem Verschulden nicht ab, damit sich ihnen nicht einer durch Zufall in den Weg stellte: „Arzt, heile dich selbst.“[3] Der du predigst nicht zu stehlen, du stiehlst, und nicht Unzucht zu treiben, du treibst Unzucht. Ziehe erst den Balken aus deinem Auge, damit du das Hälmchen im Auge deines Bruders sehen kannst. Dafür ist die Braut Christi von jenen preisgegeben worden, Unzucht zu treiben, denen sie zum Schutz anvertraut war.

Kaum fand man in jenen Tagen einen, der diese Stellvertreter Christi bedauert hätte, obwohl er doch über unzählige Diener verfügte; der eine Mauer entgegengesetzt hätte für das Haus des Herrn, den der Eifer für das Haus des Herrn verzehrt hätte, der die Füchslein gefangen hätte, die den Weinberg des Herrn beschädigten. Die den Sohn Gottes erneut kreuzigten und zur Schau stellten, entblößten seine Glieder von den Kleidern nicht nur durch Raub aus Habgier, sondern beraubten (sie) auch der Kraft durch ein Beispiel an Nachlässigkeit. Nachts im Bordell, morgens am Altar! Die die Tochter der Venus nachts betatschten, berührten morgens den Sohn der Jungfrau. Sie misshandelten den Sohn Gottes und verschmutzten das Blut des Bundes. Dagegen jedoch der selige Hieronymus als Zeuge: „Den Leib und das Blut Christi verunreinigt, sobald es in ihm ist, derjenige, der unrein an den Altar tritt.“ Deshalb wurde die mit aussätzigen Händen dargereichte Gabe vom Herrn ausgespieen, wie der Herr durch Jesaja gesagt hat: „Wenn ihr auch eure Gebete vermehren solltet, ich würde nicht hören, denn eure Hände sind voll von Blut.“[4] So wurden die Blinden zu kunstvollen Führern der Blinden und gemeinsam stürzten sie in die Fallgrube. Die Priester selbst jedoch wurden umso tiefer untergetaucht, je mehr sie es schuldig blieben, die Untergebenen in Werken der Heiligkeit und der Vortrefflichkeit des Lebens zu übertreffen.

Während also fast die ganze Welt sich elend dem Fall zuneigte, stieg sie Schritt für Schritt in den Abgrund hinab. Weil nämlich der Hochmut ihr den Gott forttrug, der Neid den Nächsten und der Zorn denjenigen, den der Hochmut geschwollen, der Neid neidisch, der Zorn aufgewühlt, die Trägheit faul, die Begehrlichkeit blind, der Ehrgeiz unruhig, die Völlerei des Bauches als Hund und die Unreinheit der Lust als Schwein zurückgab. Als nun die Herzen der unfrommen Menschen durch Hochmut geschwollen, durch Zorn entflammt, durch Neid vertrocknet und beinahe schon abgenutzt und zu Staub geworden waren, da wurden sie durch Traurigkeit und Trägheit zerstreut, durch Habgier befleckt und ebenso durch Gefräßigkeit besudelt. So wurden die durch Genusssucht Niedergetretenen in den Schlamm zurückgetrieben. So könnte der elende Mensch wahrhaftig sagen: „Niedergetreten wurde ich in den Schlamm der Tiefe und es gibt keinen Halt.“[5] Auch die Geißeln des Herrn riefen die verstockten und zum Bösen geneigten Menschen nicht zurück, als der Herr Pestilenz und Hunger losließ und die störrischen Söhne vergeblich schlug, weil sie die Züchtigung nicht annahmen.

Auch erschütterten Kriege und Händel die Welt fast überall, als sich Volk gegen Volk und Reich gegen Reich erhob. Die heilige römische Kirche wurde auf gefährliche Weise von Schismatikern aufgeschreckt. Das römische Reich, das in sich gespalten war, verödete; Franzosen kämpften gegen Engländer; die Sarazenen unterdrückten die Gläubigen in Spanien über Gebühr; das Königreich Sizilien wurde von Zweitracht und Kämpfen verwüstet und die Länder des Abendlandes wurden überall geschlagen mit verschiedensten Drangsalen nach dem Urteil der göttlichen Vergeltung. Der Herr stürzte um und verschonte nicht das Wohlgestaltete in Jakob. Er häufte auf sein Volk Jammer über Jammer. Die Reste des Herausgerissenen fraß die Heuschrecke, und was die Heuschrecke übrig ließ, verschlang der Käfer. Was aber der Käfer übrig ließ, verzehrte der Mehltau. Dennoch flehten jene nicht zu ihm, als der Herr sie schlug, noch wurden sie bekehrt. Der Herr behandelte Babylon, aber es wurde nicht geheilt. Umsonst blies der Erzgießer an. Vergeudet wurde das Blei und das gute Silber wurde in Schlacke verwandelt und nicht gereinigt.

Beispiele für die Verdammnis der unwürdigen Kirchenfürsten

Zur Schmach und Brandmarkung der unwürdigen Kirchenfürsten und derer, die das Volk lehren sollten, predigte der Herr die Wahrheit des Evangeliums durch einen bösartigen Geist in einem Besessenen, der sich damals in Deutschland aufhielt, oder ließ zu, dass sie gepredigt wurde. Als von diesem erfragt wurde, was sein Name sei oder durch wessen Vollmacht er sich anmaße, dem Volk zu predigen und es zu lehren, antwortete er: „Mein Name ist Feder in der Tinte. Ich werde von Gott gezwungen, zur Verachtung der stummen und des Bellens nicht fähigen Hunde die Wahrheit zu predigen. Und weil ich nichts sagen kann außer das Wahre und das des Niederschreibens Würdige, ist mein Name Feder in der Tinte.

Zum Vorwurf für die, die sich weigerten, würdige Früchte der Buße für ihre Sünden zu bringen, oder die sich scheuten, zitternd vor Furcht, wo keine Gottesfurcht war, stellte der Herr ein armes Mädchen im Königreich Frankreich, in der Diözese Senones, in einem kleinen Ort, der Cudot genannt wird, allen als Beispiel der Enthaltsamkeit vor Augen. Nachdem nämlich die selige Jungfrau sie in einer schweren Krankheit, die sie für viele Tage gehabt hatte, sichtbar besuchte, lebte sie ungefähr vierzig Jahre ohne zu essen oder zu trinken. Zwar saugte sie zur Befeuchtung der Trockenheit des Gaumens und der Kehle ein wenig von einem Fisch oder einer anderen Sache ein, nahm jedoch keinerlei feste Nahrung in den Bauch auf. Samstagnachts und sonntags ließ der Friede Gottes, der sich erhebt und jeden Sinn begräbt, sie, im Geist ergriffen, so still und bewegungslos zurück, dass sie keine Stimme und kein Bewusstsein mehr hatte, und auch nicht mehr zu atmen schien.

Weiterhin sahen wir in den Grenzen Frankreichs und der Normandie nahe einem Ort, den sie Vernon nennen, ein in einer Klause eingeschlossenes Mädchen, das sich aus den harten Fellen von Igeln ein Bußgewand angefertigt hatte. Für viele Jahre hatte sie nichts gegessen oder getrunken. Nichts verließ jemals ihren Körper durch den Mund oder durch ein anderes Instrument der Natur. Den Leib des Herrn jedoch empfing sie an sechs Tagen aus dem Mund einer Taube, die ihr sagte: „Empfange das ewige Leben,“ während sie ihn an den Sonntagen wieder aus den Händen des Priesters entgegennahm. Die Taube hatte ihr nämlich, sowohl wegen der Würde des Priesteramtes und der Einrichtung der Kirche, als auch wegen des Verdachts der Menschen, damit ihr nicht ganz und gar geglaubt werde, befohlen, durch ein Trugbild verhöhnt zu werden, damit sie des Empfangs des wahren Sakraments beraubt werde. Wenn sie jedoch nicht wöchentlich das genannte Sakrament empfing, dann war sie, ermattend vor Schwäche und Erniedrigung, nicht fähig, sich am Leben zu halten. Samstags jedoch und in der Nacht auf Sonntag, wenn ein leuchtendes Feuer vom Himmel her in ihre Lampe hinabstieg, hörte nicht nur sie den lieblichen Gesang der Engel, sondern auch viele andere Anwesende.

[1]    Getreideart, die Vergiftungserscheinungen wie Schwindel und Übelkeit erzeugt.

[2]    Jes 56,10

[3]    Lk 4,23

[4]    Jes 1,15

[5]    Ps 68,3 (Ps 69,3)

D O W N L O A D

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Empfohlene Zitierweise: Jakob von Vitry: Okzidentale Geschichte 4, übers. von Christina Franke, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 21. April 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/3470 (ISSN 2197-6120).

 

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3470

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Divina favente clemencia. Auserwählung, Frömmigkeit und Heilsvermittlung in der Herrschaftspraxis Kaiser Karls IV.

1000 Worte Forschung: Abgeschlossene Dissertation (Mittelalterliche Geschichte) an der TU Darmstadt (2012)

© Royal Canonry of Premonstratensians at Strahov, Prague, CZ

Miniatur aus dem Liber pontificalis des Albrecht von Sternberg: Kaiser Karl IV. (links) und Albrecht von Sternberg (rechts) verehren Christus. © Královská kanonie premonstrátů na Strahově, Praha, DG I 19, fol. 34v.

Noch immer wird bezüglich der Frage nach der religiösen Legitimierung von Herrschaft im römisch-deutschen Reich des Mittelalters „Canossa als Wende“ (F.-R. Erkens) verstanden. Im Zuge des sog. Investiturstreits und spätestens mit dem Wormser Konkordat hätten die mittelalterlichen Kaiser die sakralen Grundlagen ihres Handelns verloren, allenfalls Schrumpfformen der „politischen Heiligenverehrung“ (J. Petersohn) seien bis in die Stauferzeit tradiert worden, während für das eigentliche Spätmittelalter immer wieder auf den von Hermann Heimpel ausgiebig erforschten Weihnachtsdienst rekurriert wird.

Zu Recht rückt damit die Figur Kaiser Karls IV. (1346-1378) in den Fokus, der berühmt-berüchtigte ‚Reliquiensammler‘, dessen „Staats- und Privatfrömmigkeit“ vor über 30 Jahren Franz Machilek herausgestrichen hat. Seit ca. 15 Jahren findet die Frömmigkeit des Luxemburgers neue Aufmerksamkeit in Einzelstudien unterschiedlichen Umfangs. An diese Arbeiten schließt die vorgelegte Dissertation mit dem Anspruch an, das fromme Herrscherhandeln Karls erstmals in seiner Prozesshaftigkeit zu betrachten und die Frage nach der legitimierenden Wirkung religiös fundierter Herrschaftspraxis im Reich des späten Mittelalters im Detail zu stellen. Zur Schärfung der Handlungszentrierung der Untersuchung und zum besseren Verständnis, wie eine legitimierende Wirkung durch Frömmigkeit erreicht werden konnte, wurden (religions-)soziologische Ansätze von Max Weber und Pierre Bourdieu herangezogen. Archivalische Recherchen erfolgten vor allem an ausgewählten Überlieferungsorten in Nord- und Mittelitalien sowie natürlich in Prag.

Die Ergebnisse der Studie sind in drei Großkapiteln zusammengefasst, die sich Karl IV. als sakralem Akteur sowie spezifischer seinem Erwerb von Reliquien und deren weiteren Nutzung widmen. Gerade die Auserwählung – in den Augen anderer wie im mutmaßlichen Selbstbild Karls – ist ein Strukturmerkmal der karolinischen Herrschaftslegitimierung. Die bekannten Passagen der Vita Caroli Quarti sind dabei keineswegs deren erster Beleg, sondern eher eine Rückprojektion auf Basis einer Entwicklung bis zum Anfang der 1350er Jahre. Der Rückgriff auf die ältere Devotionsformel divina favente clemencia ist keineswegs auf den Kanzleigebrauch nach der Kaiserkrönung beschränkt, vielmehr wird so schon nach 1346 die besondere Rolle Gottes bei den Erfolgen des Königs hervorgehoben. Doch erst der Tod Ludwigs des Bayern im Oktober 1347, in der Perspektive des Luxemburgers ein göttliches Zeichen, ist gleichsam ein Startschuss, der Karls Prägung durch das Vorbild der französischen Könige rasch verblassen lässt. Unmittelbar darauf erfolgt eine Veränderung des Siegelbildes, in dem Karl IV. als erster Herrscher bereits vor der Kaiserkrönung sazerdotale Attribute wie Mitra und Stola führt. Auch die erste Lesung des Evangeliums durch den Herrscher in der Weihnachtsmesse im selben Jahr kann in diesem Zusammenhang besser verstanden werden. Einen weiteren ‚Bewusstseinsschub der Auserwählung‘ bewirkte neben dem Erhalt der Reichsinsignien von den Wittelsbachern das Zusammentreffen Karls mit der Mystikerin Christina Ebener 1350, die ganz konkrete Visionen bezüglich der ihm von Gott zugedachten Rolle mitteilen konnte. Vor diesem Hintergrund kam es ca. 1351/52 (E. Hillenbrandt) zur Abfassung der sog. Autobiographie; nach der Rekonvaleszenz von seiner mysteriösen Lähmung begann Karl ab 1353 zielgerichtet mit der Vorbereitung der Kaiserkrönung, aber auch der eigenständigen Erhebung von Reliquien, die zuvor fehlen.

Detail des Freskos ‚Ecclesia militans‘ von Andrea di Bonaiuto (Andrea da Firenze) aus der Capella Spagnola der Dominikanerkirche S. Maria Novella in Florenz, entstanden 1366/67. In der linken Hand des Kaisers, der als Karl IV. zu identifizieren ist, findet sich statt des Reichsapfels ein menschlicher Schädel. Bemerkenswert auch die Aureole um den Kopf des Kaisers. Foto: Martin Bauch

Dieser Reliquienerwerb wird im zweiten Großkapitel genauer ins Auge gefasst. Dabei stellt sich rasch heraus, dass neben dem Vorbild Ludwigs des Heiligen auch die přemyslidischen Vorfahren Karls beispielgebend waren. Die Reliquienakquise hatte, wie auf Basis einer fast 600 in Prag nachweisbarer Einzelheiltümer umfassenden Liste demonstriert wird, ihre zeitlichen Schwerpunkte im Vorfeld der Kaiserkrönung 1353-55 und des zweiten Italienzuges 1368/69; es kristallisiert sich auch der Südwesten des Reichs mit den Erzstiften und den reichsunmittelbaren Klöstern entlang des Rheins als neben Rom bevorzugten Herkunftsregionen der nach Böhmen verbrachten Reliquien heraus. Tatsächlich nutzte Karl die ökonomische Schwäche der von ihm besuchten Kommunitäten, aber auch gute Beziehungen zum Ortsbischof sowie bereits etablierte Kontakte von Klerikern seiner Kanzlei, um an die begehrten Heiltümer zu gelangen. Großer Wert wurde auf Anciennität und Authentizität der Überreste gelegt – die aus der Praxis rekonstruierten Echtheitskriterien orientierten sich kaum an den Argumenten Guiberts von Nogent. Für die Wahl der Reliquien war nicht in erster Linie die Prominenz des Heiligen wichtig, sondern die Möglichkeit, möglichst große Teile des Körpers zu erhalten. Bemerkenswert war auch die Rolle des erhebenden Herrschers: Nicht nur wurde peinlich genau darauf geachtet, die Fiktion der freiwilligen Herausgabe der Reliquien zu wahren. Auch wurden Gegenleistungen an die Reliquiengeber bestmöglich verschleiert; Geldzahlungen sind kaum je festzustellen, dreister Reliquienraub durch Karl ist ein Forschungsmythos. Auffällig ist auch das Bestreben des Luxemburgers, eigenhändig an der Umbettung der heiligen Gebeine teilzunehmen, obwohl solches Handeln ihm als Laien kanonisch untersagt war. Hier manifestiert sich wie schon beim Weihnachtsdienst oder einigen der untersuchten Herrschereinzüge eine Tendenz zur kontrollierten Grenzüberschreitung, die den römisch-deutschen König oder Kaiser einem Kleriker annäherte, obwohl er eindeutig Laie blieb. Ähnlich liegt der wenig bekannte Fall der an die Person des Herrschers gebundenen Ablässe für Teilnehmer von Messen in Gegenwart Karls.

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Mittleres Feld des Apokalypse-Mosaiks über dem Südportal des Veitsdoms (ca. 1370/71). Unter Christus in der Mandorla finden sich die böhmischen Landespatrone Prokop, Sigismund, Veit, Wenzel, Ludmilla und Adalbert (v.l.n.r.). Darunter die Stifterfiguren Karls IV. (l.) und Elisabeths v. Pommern (r.). Foto: Sebastian Keller

Die sich an diesen Beispielen andeutende Erkenntnis, dass der römisch-deutsche Herrscher als semi-sazerdotaler Heilsvermittler für seine Untertanten tätig wurde, bestätigt sich bei der Untersuchung der weiteren Nutzung der Reliquien: Nicht nur wurden die Herrschaftszentren der luxemburgischen Lande und des Reichs durch Karl IV. gezielt sakralisiert, also durch Liturgie, Architektur und Heiligen- wie Reliquienkult mit einander verbunden; dies galt natürlich vor allem für Prag und den Veitsdom, wobei die Prager Neustadt in Absetzung von der älteren Forschung als Rekonstruktion des Reichs und nicht etwa Jerusalem interpretiert wird. Vielmehr kann auch das Verständnis der mysteriösen Burg Karlstein um neue Aspekte ergänzt werden: Die Heiligkreuzkapelle, ein Nachbau des Himmels selbst, diente dem Kaiser u.a. als Oratorium zur Konsultation mit den in ihren Reliquien präsenten Schutzheiligen des Reichs und seiner Städte. Die ausgeklügelte Praxis der Sakralisierung gerade auch durch Performanz – für die Heiltumsweisungen in der Prager Neustadt kann etwa eine eigenhändige Beteiligung Karls IV. plausibel gemacht werden – hat bald Nachahmer unter den Reichsfürsten gefunden. Und doch stieß sie wie auch der ausgeprägte Heiligenkult schon früh auf Kritik in Böhmen. Aus den Reihen des unter Karl sozialisierten Klerus selbst kamen die Kirchenreformer, auf  denen Jan Hus aufbauen sollte. Die Frage nach dem Erfolg der karolinischen Sakralisierungsbemühungen mit mutmaßlich herrschaftslegitimierendem Effekt wird also am Ende des Forschungsvorhabens keineswegs eindeutig positiv beantwortet.

Trotz allem wird im Lauf der Untersuchung klar, dass das vermeintlich gesicherte Bild des staats- und privatfrommen Luxemburgers mit seiner berüchtigten Vorliebe für heilige Überreste deutlich vielschichtiger ist als bisher gedacht: Die spezifisch karolinische Praxis von Frömmigkeit und Heilsvermittlung vor dem Hintergrund vielfach betonter Auserwählung muss den Vergleich mit den Sakralmonarchien Westeuropas nicht scheuen. Dass sie aufgrund der Hussiten und dynastischer Wechsel keine Kontinuität begründen konnte, teilt sie mit vielen anderen Aspekten des Heiligen Römischen Reichs im späten Mittelalter.

Martin Bauch: Divina favente clemencia. Auserwählung, Frömmigkeit und Heilsvermittlung in der Herrschaftspraxis Kaiser Karls IV., Köln; Wien 2014 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittealters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii, 35).

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3473

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Überlegungen zur gesellschaftlichen Relevanz vasallitischer Beziehungen in der Karolingerzeit

[1] Wenn sich 2014 das Erscheinen von Susan Reynolds Werk „Fiefs and Vassals“ zum zwanzigsten Mal jährt,[2] kommen wir nicht umher zu konstatieren, dass sich unser Bild des anscheinend so feststehenden Konstrukts des „Lehnswesens“ seit 1994 fundamental wandelt. Grundlegend ist dabei für das Frühmittelalter die massive Dekonstruktion des lange Zeit feststehenden Diktums einer vasallitisch durchstrukturierten Gesellschaft der Karolingerzeit. Stattdessen sehen wir heute ein „reichlich diffuses Spektrum mannigfaltiger Möglichkeiten, personale Bindungen zu begründen“, wie es Steffen Patzold kürzlich so treffend betonte.[3] Vor diesem Hintergrund dürfen wir aber eines nicht vergessen, nämlich dass Vasallen ein Teil der damaligen gesellschaftlichen Realität waren, auch wenn ihre Bedeutung für das strukturelle Gefüge des Karolingerreiches längst nicht so groß war, wie früher angenommen.[4] Interessanterweise wird in der Forschung nun aber sehr viel Wert, durchaus zu Recht, auf die Frage gelegt, welche Bedeutung das Benefizium oder besser gesagt, die Landleihe im Allgemeinen im Rahmen der Herstellung besagter personaler Beziehungen hatte. Das Element der Vasallität erscheint dagegen eher, etwas zugespitzt ausgedrückt, als eine Art Randphänomen, denn, um nochmals Steffen Patzold zu zitieren: „Was sich Handfestes über die vassi und vassalli sagen läßt […], ist nicht allzu viel […].“[5]

Ich möchte im Folgenden daher einige Bemerkungen zu der Frage machen, welche gesellschaftliche Relevanz die Vasallität als Mittel einer personalen Bindung unter diesen Umständen nun tatsächlich im 9. Jahrhundert besaß. Beginnen wir mit einigen statistischen Betrachtungen. Aus Freising sind uns durch den Diakon Cozroh für den Zeitraum zwischen 800 und 900 ca. 850 Urkunden überliefert. Nur in sieben von ihnen tritt der Begriff vassus bzw. vassallus auf, also in einem Anteil von etwa 0,8%.[6] Aus den Passauer und Regensburger Traditionen ergibt sich ein kaum besserer Befund. Etwa vierzig Passauer Traditionen sind uns aus dem 9. Jahrhundert überliefert, zwei, also 5% von diesen, enthalten die genannten Begriffe.[7] Aus Regensburg kennen wir ca. 170 zwischen 800 und 900 verfasste Urkunden. Sieben dieser Urkunden beinhalten vassus oder vassallus, etwa 4,1%.[8] Uns liegen also insgesamt ca. 1060 Urkunden aus diesen drei Überlieferungszusammenhängen vor. Die Ausdrücke vassus bzw. vassallus werden jedoch nur in sechzehn Stücken gebraucht, einem Anteil von etwa 1,5%. Auch für St. Gallen sieht der Befund nicht besser aus. Auf insgesamt etwa 800 Originale für die Zeit zwischen 700 und 920 kommen nur sechs Urkunden, in denen namentlich genannte Vasallen überliefert werden, wobei die erste erst von 864 datiert und nur eine dieser sechs keine Königsurkunde ist.[9]

Ich bin mir über die grundsätzliche Problematik dieser statistischen Befunde angesichts der Überlieferungsproblematik durchaus im Klaren, dennoch halte ich sie für aussagekräftig, zumal sie in bezeichnender Weise mit der aus diesen Urkunden bekannten Anzahl der Vasallen auffällig kontrastiert. Allein in zwei Freisinger Gerichtsurkunden des Jahres 822 werden einmal 16 vassi dominici[10] und einmal sogar 56 vassalli[11] aufgezählt, die an dem jeweiligen Urteil beteiligt waren. Woher kommt diese auffallende Diskrepanz zwischen der relativ hohen Anzahl der an Gerichtsverhandlungen und Rechtsgeschäften ihres jeweiligen Herrn beteiligten Vasallen und der kaum vorhandenen Bereitschaft, die eigene Position als vassus bzw. vassallus bei eigenen Rechtshandlungen anzuzeigen? In einer eigenen Schenkung, die zudem nicht einmal Landbesitz umfasste, wird allein Meginhart, der 819 in Pannonien dem Kloster Freising einen Reliquienbehälter und Weidevieh übergab, ausdrücklich als vassus dominicus bezeichnet.[12] Hatte Meginhart selbst ein Interesse daran, seine Stellung in dieser Form in der Urkunde erwähnt zu sehen? Wir wissen es nicht, wenn dem so wäre, wäre er allerdings die absolute Ausnahme gewesen.

Es scheint seitens der Vasallen in jedem Fall wenig Interesse daran bestanden zu haben, als solche aufzutreten, wenn sie nicht für ihren Herrn tätig waren oder in offizieller Funktion bei Gericht auftraten. Dabei konnten sie durchaus wichtige Positionen einnehmen. Die 16 vassi dominici aus der Gerichtsurkunde von 822 wurden beispielsweise direkt hinter dem publicus iudex Kysalhart und dem Grafen Liutpald aufgeführt, noch vor den übrigen Zeugen.[13] Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass der beklagte Adaluni angegeben hatte, die umstrittene Kirche zur einen Hälfte als Eigentum, zur anderen Hälfte als beneficium dominicum besessen zu haben. Die Vasallen traten also geradezu als regionale „Experten“ für die Belange Ludwigs des Frommen auf.[14] Wir können an diesem Beispiel sehr gut sehen, dass ihre Dienste auch außerhalb des Kriegswesens von hoher Relevanz waren.

Warum verschwiegen Vasallen trotz ihrer hohen Bedeutung ihren eigenen Status dennoch so konsequent, wenn es um Schenkungen oder Tauschgeschäfte ging, die keinen Bezug zu ihrer Stellung oder zum eventuell an sie verliehenen Gut hatten? Der Grund dafür dürfte in der Feststellung liegen, dass sowohl Herren als auch Vasallen die Vasallität unter einem bestimmten Blickwinkel betrachteten, der beide Seiten zu unterschiedlichen Folgerungen bezüglich des eigenen Status in dieser personalen Bindung führte.

Um das zu erklären, muss man auf die Wurzeln der Vasallität verweisen. Vassus ist eine Ableitung vom keltischen gwas, was so viel bedeutet wie „Knecht“.[15] Im sogenannten Pactus Legis Salicae vom Anfang des 6. Jahrhunderts wird ein vassus ad ministerium, quod est horogauo im Zusammenhang mit Schmieden erwähnt.[16] Von Vasallen freier Herkunft ist erst zu Beginn des 8. Jahrhunderts in der Lex Alamannorum die Rede.[17] Diese langsame Entwicklung schien sich nach Ansicht der älteren Forschung stark zu beschleunigen, als der bayerische Herzog Tassilo III. Pippin dem Jüngeren und dessen Söhnen nach Auskunft der Reichsannalen 757 Treue gelobte, ergeben, wie ein vassus seinem dominus gegenüber sein soll.[18] 787 soll er sich sogar in die Hände Karls des Großen in vassaticum tradiert haben.[19] Spätestens seit Matthias Bechers grundlegender Neuinterpretation der Vorgänge dürfte deutlich geworden sein, wie sehr unsere Hauptquelle, die um 790 am Hofe Karls verfassten Reichsannalen, unser Bild dieser Vorgänge bestimmt hat. Dass Tassilo sich 757 bzw. 787 wirklich in die Vasallität der Karolinger begeben haben soll, dürfte kaum aufrecht zu erhalten sein.[20] In jedem Fall ist herauszustellen, dass die Eingehung einer vasallitischen Bindung zwischen dem bayerischen Herzog und dem fränkischen König vom Verfasser der Reichsannalen sehr stark betont wurde, was ein Hinweis darauf sein dürfte, dass dieser ganze Vorgang den späteren Treuebruch als umso schlimmer erscheinen lassen sollte. Betrachtet man jedoch die Herkunft der Vasallität aus einem unfreien und gesellschaftlich wenig angesehenen Umfeld, sollte man nicht außer Acht lassen, dass Tassilos Inferiorität durch diese Formulierungen zusätzlich verdeutlicht wurde. Zeitgenössische Anhänger Tassilos hätten die Betonung einer vasallitischen Beziehung mit Sicherheit als Herabsetzung und Demütigung ihres Herzogs angesehen.

Ähnlich, wenn auch nicht direkt mit dem Begriff der Vasallität verbunden, erscheint vor diesem Hintergrund die Beschreibung der Kommendation des Dänenkönigs Harald Klak 826 im Gedicht In honorem Hludovici christianissimi Caesaris Augusti des Ermoldus Nigellus. Während der auf seine Taufe folgenden Jagd habe er sich und sein Reich mittels einer Kommendation an Ludwig den Frommen tradiert und gelobt, dass er sich seinen servitii zur Verfügung stellen wolle. Harald sei so zu Ludwigs fidelis geworden.[21] Ermoldus gibt keine Grundlage dafür her, hier eine vasallitische Kommendation anzunehmen, der Ritus selbst wird jedoch als klare Unterwerfungsgeste definiert und bewegt sich damit auf einer Linie mit der Beschreibung der Kommendation Tassilos in den Reichsannalen. Bedenkt man, dass Harald einige Jahre zuvor vor den Söhnen des 810 ermordeten Dänenkönigs Göttrik geflohen war, wird deutlich, dass Machtlosigkeit und eigene Schwäche Haralds Kommendation geradezu bedingten.[22] Sieht man sich etwa die Beschreibungen der Kommendationen anderer Normannenführer des 9. Jahrhunderts an, so bestätigt sich dieser Eindruck.

858 erschien der dux eines Teils der Seine-Normannen, Berno, vor Karl dem Kahlen, gab sich in die Hände des westfränkischen Königs und leistete ihm einen Treueid.[23] 862 kommendierte sich der dux Weland Karl und leistete ihm mit den anderen anwesenden Normannen einen Eid.[24] 873 belagerte Karl Angers, das von den Normannen besetzt war. Schließlich kommendierten sich ihm die normannischen Großen, leisteten ihm Eide und stellten Geiseln.[25] Alle drei hier beschriebenen Kommendationen können mit der Situation Haralds verglichen werden, denn auch die Normannen willigten  in einer Notsituation in die Kommendation ein.[26] Berno wird ausdrücklich als dux partis pyratarum Sequanae bezeichnet, vielleicht ein Hinweis darauf, dass es unter den Seine-Normannen zu Unstimmigkeiten gekommen und seine Position nicht ungefährdet war.[27] Kurz vor der Kommendation Welands war es Karl gelungen, dessen Sohn gefangen zu nehmen. Möglicherweise benutzte er ihn, um Weland zur Unterwerfung zu zwingen.[28] Klarer ist die Situation in Bezug auf die in Angers eingeschlossenen Normannen, die sich Karl ergeben mussten. Begriffe, die auf eine vasallitische Kommendation hindeuten könnten, werden auch in anderen Quellen, die sich mit diesen Ereignissen oder Personen beschäftigen, nicht genannt.[29]

Noch deutlicher wird die Verbindung von Vasallität und Inferiorität, wenn man sich dem Epitaphium Arsenii des Paschasius Radbertus zuwendet. In c. 17 des zweiten Buches dokumentiert Radbertus mehrere capitula, die die drei ältesten Söhne Ludwigs des Frommen, Lothar I., Ludwig der Deutsche und Pippin I. von Aquitanien wohl im Juni 833 kurz vor dem Abfall des kaiserlichen Heeres von Ludwig auf dem „Lügenfeld“ von Colmar als Antwort auf Beschwerden ihres Vaters verfasst hatten. In einem dieser capitula betonte Ludwig: „Erinnert euch, dass ihr meine Vasallen (vasalli) seid und dass ihr mir durch einen Eid Treue geschworen habt.“ Diese antworteten, dass es der Fall sei, dass sie von Natur aus, durch Versprechen und durch Treueide seine fideles seien und niemals den militärischen Dienst für ihn verweigert hätten. Ludwigs Ruhm, Ehre und prosperitas seien ihnen wichtiger als ihr eigenes Leben.[30]

Die Stellungnahmen des Kaisers scheinen nur verkürzt und zusammengefasst überliefert worden zu sein.[31] Da Radbert im Epitaphium die Vita Abt Walas von Corbie beschrieb, eines Anhängers Lothars, betrachtete er den Standpunkt der Söhne natürlich mit einer gewissen Sympathie.[32] In der Antwort der Söhne wird bezeichnenderweise der Begriff vasallus vermieden, stattdessen verwenden sie den Ausdruck fideles. Aus ihrer Sicht stehen nicht die promissiones oder die sacramenta an erster Stelle der Begründung, warum sie fideles Ludwigs seien. Hier wird der Ausdruck a natura gebraucht, offenbar also auf den Umstand aufmerksam gemacht, dass Söhne und Väter in einem besonderen Treueverhältnis zueinander stehen, das bereits durch die Geburt geknüpft wurde. Dies weist darauf hin, dass der Begriff vasallus lediglich den untergeordneten Status der Söhne darstellen sollte. Dass dieses mit einem Ausdruck geschah, der durchaus missverständlich verstanden werden konnte, dürfte in der Absicht Radberts gelegen haben.[33]

Aus den genannten Beispielen wird eines deutlich: Unterwerfungsgesten, wie etwa die Kommendation, konnten im Nachhinein durchaus vasallitisch gedeutet werden, da die rituellen Elemente sich nicht wesentlich voneinander unterschieden. Insbesondere der Bericht des Paschasius Radbertus weist darauf hin, wie schwer der angebliche Anspruch Ludwigs des Frommen, dass seine Söhne Vasallen seien, deren Selbstverständnis angegriffen haben könnte. Die Verkürzung der komplexen Vater-Sohn-Beziehung weist, ebenso wie die beabsichtigte Falschdarstellung der Unterwerfung Tassilos durch die Reichsannalen, darauf hin, wie sehr das Denken bis weit ins 9. Jahrhundert hinein von der Inferiorität der Vasallen geprägt worden sein muss. Es ist nicht verwunderlich, dass im Ostfränkischen Reich erst ab dem 10. Jahrhundert Grafen ausdrücklich als Vasallen bezeichnet wurden.[34]

Neben diesen Quellen, die entweder im unmittelbaren Umfeld des karolingischen Hofes entstanden sind oder die die klare Perspektive einzelner Mitglieder der Herrscherfamilie vertraten, gibt es jedoch auch noch solche, die unabhängig davon verfasst wurden, wenn auch Vasallität bei Ihnen nur äußerst selten eine Rolle spielt. Sie tragen jedoch dazu bei, das einseitige Bild, das sich uns bislang geboten hat, zu korrigieren. Es sei zunächst auf die zeitgenössischen Annales Laureshamenses verwiesen, die den Abodritenfürst Witzan anlässlich seiner Ermordung 795 als rex und vassus Karls des Großen bezeichnen.[35] Es ist aus zwei Gründen nahezu ausgeschlossen, dass hier eine technische Verwendung des Begriffes vorliegt.

Zum einen ist es die im Chronicon Moissiacense bezeugte Verwendung des Begriffs Vasall auf die Verhältnisse zwischen Dänenkönig Göttrik und seinen Untergebenen. Zum Jahre 810 wird berichtet, dass der Abodritenfürst Drasco durch einen vassallus Göttriks ermordet wurde. Noch im gleichen Jahr fiel auch Göttrik selbst dem Mordanschlag eines seiner vassalli zum Opfer.[36] Offensichtlich hat der Verfasser des Textes hier versucht, ihm bekannte Institutionen auf Beziehungen zu übertragen, deren genaue Natur ihm nicht vertraut war. Man wird kaum davon ausgehen dürfen, dass dies die Existenz vasallitischer Strukturen bei den Dänen bezeugt. In unserem Zusammenhang gewinnen diese Berichte nun insofern an Bedeutung, als dass das Chronicon Moissiacense sich dabei wohl im Wesentlichen auf eine nicht erhaltene Ausgabe der Lorscher Annalen stützte, die über das Jahr 803 hinaus weitergeführt wurde.[37] Wenn wir nun in Bezug auf Göttrik den offensichtlich untechnischen Gebrauch des Begriffs vassallus herausgestellt haben, so ist zu überlegen, ob nicht auch die Beziehung Witzans zu Karl dem Großen durch den Annalenschreiber mit dem Wort vassus nur eine verherrlichende Umschreibung der völligen Abhängigkeit des Abodritenfürsten von Karls Gunst war und nicht im technischen Sinne gebraucht wurde. Zum anderen wird diese Problematik noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass Witzan der einzige Heide wäre, den wir als Vasallen bezeugt hätten. Es war durchaus nicht unüblich, dass sich Nichtchristen dem fränkischen Herrscher unterwarfen und sich ihm kommendierten.[38] Doch handelte es sich in keinem Fall um eine Kommendation mit vasallitischen Implikationen. Sollte sich also Witzan gegenüber Karl kommendiert haben, so wäre es durchaus nachvollziehbar, dass der Verfasser der Lorscher Annalen versuchte, diese Beziehung mit dem Begriff vassus zu umschreiben. Der in Bezug auf Göttrik gezeigte untechnische Gebrauch dieses Wortes hätte also bereits hier seinen Niederschlag gefunden.

Ein weiterer Beleg stammt aus den Gesta Karoli Magni des Notker Balbulus aus den 880er Jahren. Er berichtet dort, dass Ludwig der Fromme seinem Vater Ludwig den Deutschen, der zu diesem Zeitpunkt sechs Jahre alt war, vorstellen wollte. Als Karl ihn unter den anderen statores stehend bemerkte, erkundigte er sich, wem dieser Junge gehöre. Auf Ludwigs Antwort, dass es seiner sei und dass er, wenn Karl ihn für würdig halte, ihm gehören würde, antwortete der Kaiser: „Gib ihn mir.“ Karl küsste den Knaben und schickte ihn wieder an seinen alten Platz zurück, Ludwig der Deutsche jedoch stellte sich in die gleiche Reihe wie sein Vater. Auf Karls Aufforderung hin fragte Ludwig der Fromme nach, warum er das getan habe. Daraufhin antwortete der junge Ludwig, dass, solange er ein vassallus seines Vaters war, sein Platz hinter diesem, inmitten seiner commilitones gewesen sei. Da er nun aber ein socius und commilito seines Vaters geworden sei, sei er nicht im Unrecht, wenn er sich ihm gleichstelle.[39]

In der historischen Forschung ist man sich schon länger einig, dass Notkers Werk mehr ist als ein Fürstenspiegel. Aus ihm können wir viele Informationen über die soziale und verfassungsrechtliche Wirklichkeit innerhalb des Frankenreichs gegen Ende des 9. Jahrhunderts gewinnen.[40] Welche Aussage steht aber hinter der hier geschilderten Episode? Hans-Werner Goetz sah den Begriff vassallus bei Notker nicht als einen technisch gebrauchten Ausdruck an, sondern betonte, dass er ein „auszeichnender Begriff für die königlichen Gefolgsleute“ gewesen sein soll.[41] Er bezieht sich hierbei auf eine Stelle in Notkers Werk, in der Karl seine legati als optimi vassalli anredet.[42] Seine Auffassung dürfte dort korrekt sein, jedoch muss eine solche Interpretation bei anderen Stellen Notkers nicht unbedingt in dieselbe Richtung verweisen.[43]

Am ehesten lässt sich vielleicht eine untechnische Verwendung dieses Begriffes bei Notkers Beschreibung der Taufe von Normannen zur Zeit Ludwigs des Frommen wiederfinden. Da es sich bei den Normannen herumgesprochen hatte, dass sie bei der Taufe kostbare Geschenke zu erwarten hätten, kamen von Jahr zu Jahr mehr von ihnen am Ostersamstag zum Kaiser, jedoch nicht mehr als fremde legati, sondern als äußerst ergebene vassalli, sich in das obsequium des Kaisers einstellend.[44] Die Getauften wurden von den primores palacii quasi als Adoptivsöhne angenommen, man schuf also einen mit der Taufe Harald Klaks vergleichbaren Kontext. Aus der Erzählung geht nun hervor, dass die Normannen offenbar immer wieder in ihre Heimat zurückkehrten. Wären sie „wirkliche“ Vasallen geworden, wäre ein solches Verhalten kaum zu erklären. Offenbar war das Verhältnis, das Notker hier zwischen Ludwig und den Normannen entwarf, sehr viel unverbindlicher als eines, das auf Vasallität im technischen Sinn aufgebaut worden wäre. Da die Normannen durch die Adoption seitens der primores palacii in ein enges Verhältnis zum fränkischen Hof getreten waren, darf man davon ausgehen, dass hier eindeutig ein „auszeichnender Begriff“ im Sinne von Goetz verwendet wurde.

Auf diese Weise dürfte sich auch das Verhältnis Ludwigs des Deutschen zu seinem Vater und seinem Großvater erklären lassen. Nicht eine vasallitische Bindung, die nicht nachgewiesen werden kann, sondern das quasi naturgegebene obsequium eines Sohnes gegenüber dem Vater macht das „Vasallenverhältnis“ Ludwigs des Deutschen zu Ludwig dem Frommen aus. Durch den Kuss des Großvaters und den Satz „Gib ihn mir!“ rückt ersterer gegenüber Karl in eine Stellung auf, die mit der des Vaters vergleichbar ist, bestimmt durch die Nähe zum Herrscher.[45]  Wie bereits am Beispiel des Paschasius Radbertus gesehen, dürfte auch hier die Treue a natura, die Vater und Großvater zu schulden war, grundlegend für das Verhältnis Ludwigs zu diesen gewesen sein, jedoch mit der entscheidenden Wendung, dass es offenbar nicht negativ verstanden wurde.

Es dürfte deutlich geworden sein, dass offenbar ein, wenn ich es so nennen darf, technisches und ein, wenn auch weniger gebräuchliches, untechnisches Verständnis von „Vasallität“ nebeneinander existierten, einmal mit einem klaren Unterordnungsaspekt, in dem sich die Herkunft des Wortes vassus widerspiegelt, und einmal eher als „Auszeichnung“, durch die sich der Träger von anderen Personen durch die spezielle Beziehung zum jeweiligen Herrn hervorhob. Warum aber war die technische Auffassung so dominierend, dass die Vasallen diese Sicht übernahmen und ihre Position nicht als Heraushebung verstanden?

Der Grund dafür dürfte in der Art der Beziehung der Vasallen zum Königshof zu suchen sein. In der Zeit der Merowinger sind die pueri regis bezeugt, deren militärische und Botendienste denen der späteren Vasallen nicht ganz unähnlich sind.[46] Hierbei handelte es sich um unfreie und freie Personen, die wohl den Söhnen adliger Familien, die zur Erziehung bei Hofe waren, nicht gleichgestellt waren, obwohl es durchaus möglich ist, dass sie zusammen mit ihnen unterrichtet wurden. So lässt sich die enge Beziehung, die selbst Angehörige der Königsfamilie zu pueri hatten, leicht erklären.[47] In den karolingischen Zeugnissen über Personen, die bei Hof militärisch ausgebildet wurden, ist jedoch von pueri in der Regel nicht mehr die Rede. Sehr viel öfter hören wir stattdessen von iuvenes. Dieser Ausdruck wurde auf diejenigen angewandt, die eine Ausbildung an Waffen erhalten hatten, aber eher dem Adel entstammten, was etwa an den iuvenes zu sehen ist, die den westfränkischen König Karlmann 884 auf der Jagd im Wald Bezu begleiteten, auf der er zu Tode kam.[48]

Die Quellen bestätigen, dass die Art der Unterweisung der adligen Jugendlichen sich gegenüber dem Unterricht, den die pueri der Merowingerzeit genossen, nicht wesentlich verändert hatte. Noch immer stand die militärische Ausbildung im Vordergrund. Dies wird etwa aus der um 830 entstandenen Fassung der Vita des hl. Wandregisel deutlich. In der ältesten Vita, die aus dem 8. Jahrhundert stammt, wird der Dienst des jungen Wandregisel bei König Dagobert nur kurz angerissen.[49] Dagegen wird dieser Aspekt in der jüngeren Version weiter mit den Inhalten der Ausbildung ausgeschmückt, wobei die militärische Ausbildung an erster Stelle genannt wird.[50] Die durch Wilhelm Levison dem um 800 lebenden Metzer Diakon Donatus zugeschriebene Vita des Abtes Ermenland von Indre, berichtet, dass die Eltern des zukünftigen Abtes über sein angehäuftes „Bücherwissen“ anscheinend beunruhigt waren und eine andere Laufbahn für ihren Sohn vorgesehen hatten. Sie führten ihn in die aula regia ein und kommendierten ihn dem König zur militärischen Unterweisung und Dienstleistung.[51] Auch wenn neben der Unterweisung in militärischen Dingen ebenfalls eine vorgelagerte Wissensvermittlung zur geistigen Reifung der jungen Adligen zum Unterricht gehörte, wie es Einhard für die Söhne Karls des Großen überliefert,[52] wird doch der Unterschied der Formung einer kriegerisch und aristokratisch geprägten Maskulinität zur rein geistigen Ausbildung an der Hofschule deutlich.[53]

Welche Verbindung lässt sich nun von den iuvenes zu den Vasallen ziehen? Diese ergibt sich aus der Schrift De ordine palatii, die Hinkmar von Reims 882 verfasste, wobei er sich aber in maßgeblicher Weise auf ein nicht mehr überliefertes Werk des Abtes Adalhard von Corbie stützte, das entweder bald nach 781 oder zwischen 810 und 814 entstanden war.[54] Teil dieses Werkes Adalhards dürfte auch die Beschreibung der Aufteilung der Hofgesellschaft sein, die aus drei ordines bestanden haben soll. Die erste Gruppe waren die expediti milites ohne besonderes Amt, die von hohen Herren versorgt wurden und insbesondere von den Inhabern der Hofämter immer wieder zum gemeinsamen Mahl und zur Bekräftigung ihrer freundschaftlichen Bindungen eingeladen wurden. Die zweite Gruppe waren die discipuli, die ihrem Lehrer folgten und von denen jeder einzelne an seinem locus von ihren Herren durch Aufsicht und Ansprache gefördert wurde. Die dritte Gruppe schließlich waren die pueri vel vassalli der höheren und geringeren Leute, die jeder, der sie ohne Verfehlung unterhalten könne, um sich haben wollte.[55]

Von allen drei ordines, das macht schon die Stellung in der Aufzählung deutlich, dürften die expediti milites wohl die angesehenste Gruppe bei Hofe gewesen sein. Hierbei wird es sich um die Vasallen gehandelt haben, die zumindest über längere Zeiträume bei Hofe anwesend waren.[56] Schon die Art der Gaben, die sie erhielten, u.a. Gold, Silber und Pferde, weist darauf hin, dass sie aus höheren Kreisen stammten. Von ihnen unterschieden werden die discipuli. Es ist nicht sicher, wer unter diese Personengruppe fiel. Während Brigitte Kasten annahm, dass es sich um die „Verwaltungshochschule“ der Karolinger handelte, in der die jungen Adligen von den Inhabern der Hofämter unterrichtet würden,[57] sah Bernard Bachrach hierin eher die Schule für die zukünftigen Kommandeure des karolingischen Heeres.[58] Bedenken wir, dass geistige und militärische Ausbildung bei den jungen Adligen durchaus zusammenfallen konnten, sollte man nicht ausschließen, dass beide Ansichten zu berücksichtigen sind, obwohl der militärische Anteil bedeutsamer gewesen dürfte.

Wenden wir uns schließlich dem dritten ordo zu, den pueri vel vassalli der höheren und geringeren Leute. Auch diese durften nach Ausweis Adalhards bzw. Hinkmars eigene bewaffnete Gruppen unterhalten, aber nur unter der Bedingung, dass sie es sich auch leisten konnten. Bemerkenswert ist hierbei, dass für diesen ordo offenbar zwei Bezeichnungen synonym gebraucht werden konnten. Bedenkt man die Herkunft der Begriffe puer und vassallus aus ursprünglich unfreien Zusammenhängen, ist es verständlich, dass sie nur im Zusammenhang mit den Untergebenen der Angehörigen des Hofes verwendet wurde. Geht man davon aus, dass die expediti milites die Königsvasallen bei Hofe waren, die von den discipuli abgegrenzt wurden und aufgrund ihrer Beziehung zum Herrscher offenbar schon eine erhöhte Stellung eingenommen hatten, scheint Adalhard die Bezeichnungen für den dritten ordo in diesem Zusammenhang als wenig angemessen empfunden zu haben und nahm daher eine Beschränkung auf die Untergebenen der Angehörigen des Hofes vor.[59]

Wie dem auch sei, in De ordine palatii wurden also die Jugendlichen bei Hofe von denen unterschieden, die bereits voll ausgebildet waren. Somit darf man annehmen, dass die discipuli mit Beendigung ihrer Ausbildung expediti milites wurden. Ausgehend von dieser Prämisse, ist es sehr wahrscheinlich, dass die discipuli in anderen Quellen als iuvenes bezeichnet wurden. Beide wurden am Hofe ausgebildet, gehörten dem Adel an und stellten das militärische Gefolge des Königs. Des Weiteren können wir davon ausgehen, dass hinter den expediti milites Königsvasallen zu sehen sind, eine Auffassung, die zusätzlich dadurch bestärkt wird, dass sie absque ministeriis, also keine Grafen waren, und ad regale obsequium inflammatum animum ardentius hattenhahh, somit offenbar nicht nur auf bestimmte Aufgabenbereiche, etwa militärische, beschränkt waren.[60] Damit dürfte deutlich geworden sein, dass die iuvenes am karolingischen Hof zum einen als Schüler, zum anderen aber auch als Vorstufe der Vasallen zu sehen sind und dass Königsvasallen zumindest Teile ihrer Ausbildung am Königshof erhielten.

Im Rahmen dieser Ausbildung dürfte eine enge Bindung zum König geknüpft worden sein. Gleichzeitig war damit aber auch die Grundlage dafür gegeben, dass die am Hof herrschende Auffassung von Vasallität als ungleiche Beziehung auch von den Vasallen selbst aufgenommen und so ein Teil der gesellschaftlichen Realität wurde. Man kann also in diesem Fall von einer gezielten Systematisierung des Sprachgebrauchs im Sinne des Hofes ausgehen, wie er etwa im Falle Tassilos zum Ausdruck kam. Diesem entspricht auch die Feststellung Brigitte Kastens, dass Grafen, Äbte und Bischöfe nicht als Vasallen bezeichnet wurden, weil ihr Amt als Teilhabe an einem göttlichen Herrschaftsauftrag interpretiert wurde, das ministerium somit göttlich legitimiert war und nicht einer von Menschen errichteten Größe wie dem Vasallenstatus unterliegen konnte.[61] Wer Vasall wurde, wurde also nicht automatisch Teil des „Establishments“, sondern ging mit dem jeweiligen Herrn nur eine Verbindung zu gegenseitigem Nutzen ein.

Daher scheint die Vasallität für junge Adlige ein erstrebenswerter Status gewesen zu sein, wie ihre Herren von ihnen ergebenen Vasallen auch in Krisenzeiten profitieren konnten. Selbst Baldrich, der ehemalige Markgraf von Friaul, hatte ausweislich einer Freisinger Urkunde 843 in Bayern noch mindestens 15 Vasallen, obwohl er in den Auseinandersetzungen um die Nachfolge Ludwigs des Frommen auf der Seite Lothars I. stand.[62] Obwohl also auf beiden Seiten Interesse an dieser Art von Verbindung bestand, war sie für die „Öffentlichkeit“ oft nur dann von Bedeutung, wenn sie im Rahmen von Rechtshandlungen sozusagen „aktiviert“ wurde, im militärischen Rahmen, als Zeugen oder Beteiligte im Rahmen von Besitzübertragungen bzw. –tausch oder, im Fall von Königsvasallen, als unterstützende Personen bei Gerichtsverhandlungen. Außerhalb dieses Rahmens scheint sie nur von geringer Relevanz gewesen zu sein, da ihre Assoziation mit der Unfreiheit nicht dazu diente, aus der Vasallität ein äußerlich bestimmendes Merkmal der karolingischen Gesellschaft zu machen. Wenn wir uns der Vasallität in Zukunft nähern wollen, sollte man diese Divergenz berücksichtigen. So ist aber auch das Missverhältnis zwischen der lange vorherrschenden Sicht einer vasallitisch durchstrukturierten Gesellschaft und der von der jüngeren Forschung dargestellten untergeordneten Bedeutung der Vasallität als einer von mehreren Bindungsoptionen, der keinesfalls ein Vorrang zukam, zu erklären. Wenn sie im Innenverhältnis wichtiger war als im Außenverhältnis, ist der geringe Niederschlag in den Quellen erklärbar, ändert jedoch nichts daran, dass man ihr kaum die beherrschende Stellung in der Gesellschaft zubilligen kann, die ihr früher zugerechnet wurde. Es gilt eher, den Einzelfall zu betrachten und aus ihm die entsprechenden Schlüsse für die jeweilige Beziehung zwischen Herr und Vasall zu ziehen.

 

[1] Den folgenden Beitrag habe ich im Rahmen eines Workshops zum Lehnswesen im Oktober 2013 in Freiburg vorbereitet, der von Prof. Dr. Jürgen Dendorfer und Prof. Dr. Seffen Patzold organisiert wurde. Wesentliche Teile dieses Vortrags beruhen auf meiner kürzlich erschienenen Dissertation: Vasallität und Benefizialwesen im 9. Jahrhundert. Studien zur Entwicklung personaler und dinglicher Beziehungen im frühen Mittelalter (Texte zur historischen Forschung und Lehre 1), Hildesheim 2013. Zentrale Gedanken der Arbeit sind hier in geraffter Form dargestellt und zum Teil mit ergänzenden Bemerkungen versehen worden, die meine Überlegungen noch etwas weiter führen.

[2] Vgl.: Susan Reynolds, Fiefs and Vassals. The Medieval Evidence Reinterpreted, Oxford 1994. Vgl. auch die späteren Beiträge, in denen sie sich mit der Kritik an ihrem Werk auseinandergesetzt hat und weitergehende Gedanken entwickelte: Susan Reynolds, Afterthoughts on Fiefs and Vassals, in: The Haskins Society Journal 7 (1997), S. 1-15; Dies., Susan Reynolds responds to Johannes Fried, in: German Historical Institute London, Bulletin 19, Nr. 2 (November 1997), S. 30-40; Dies., Carolingian Elopements as a Sidelight on Counts and Vassals, in: Balázs Nagy/Marcell Sebők (Hgg.), …The Man of Many Devices, Who Wandered Full Many Ways… Festschrift in Honor of János M. Bak, Budapest/New York 1999, S. 340-346; Dies., Fiefs and Vassals after Twelve Years, in: Sverre Bagge/Michael H. Gelting/Thomas Lindkvist (Hgg.), Feudalism. New Landscapes of Debate (The Medieval Countryside 5), Turnhout 2011, S. 15-26. Zusammenfassungen des aktuellen Forschungsstandes bieten: Brigitte Kasten, Das Lehnswesen – Fakt oder Fiktion, in: Walter Pohl/Veronika Weiser (Hgg.), Der frühmittelalterliche Staat – europäische Perspektiven (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16 = Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse, Denkschriften, 386. Band), Wien 2009, S. 331-353 sowie Steffen Patzold, Das Lehnswesen, München 2012, S. 14-43.

[3] Vgl.: Patzold, Lehnswesen, S. 39.

[4] Nach wie vor die klassische Sichtweise auf das Lehnswesen im frühen Mittelalter am besten darstellend: François Louis Ganshof, Was ist das Lehnswesen? Darmstadt 71989, S. 1-64.

[5] Vgl.: Patzold, Lehnswesen, S. 38.

[6] Vgl.: Die Traditionen des Hochstifts Freising, ed. Theodor Bitterauf (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte N.F. 4), Bd. 1 (744-926), München 1905, ND Aalen 1967: Nr. 419, S. 359-360; Nr. 466, S. 398-400; Nr. 475, S. 406-407; Nr. 604, S. 516-517; Nr. 634, S. 538-549; Nr. 661, S. 556-558; Nr. 989, S. 749-750.

[7] Vgl.: Die Traditionen des Hochstifts Passau, ed. Max Heuwieser (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte N.F. 6), München 1930, ND Aalen 1969: Nr. 73a, aa, S. 61-70; Trad. Pass. Nr. 89, S. 76.

[8] Vgl.: Die Traditionen des Hochstifts Regensburg und des Klosters S. Emmeram, ed. Josef Widemann (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte N.F. 8), München 1943, ND Aalen 1969: Nr. 11, S. 9-10; Nr. 20, S. 25-27; Nr. 40, S. 46-47; Nr. 42, S. 47-48; Nr. 81, S. 75; Nr. 87, S. 79-80; Nr. 92, S. 82-83.

[9] Vgl.: Die Urkunden der deutschen Karolinger 1. Die Urkunden Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren, ed. Paul Kehr (MGH DD regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 1), Berlin 1934, Nr. 113, S. 162; D LD, Nr. 158, S. 222; Die Urkunden der deutschen Karolinger 2. Die Urkunden Karls III., ed. Paul Kehr (MGH DD regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 2), Berlin 1937, Nr. 164, S. 266-267; Die Urkunden der deutschen Karolinger 3. Die Urkunden Arnolfs, ed. Paul Kehr (MGH DD regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 3), Berlin 1940, Nr. 51, S. 74; D Arn, Nr. 73, S. 110; Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen, ed. Hermann Wartmann, Bd. 2, Zürich 1866: Nr. 576, S. 188-189.

[10] Trad. Freis. Nr. 466, S. 399: Kysalhart publicus iudex, Liutpald comes vassi dominici. [sic!] Cundachar. Meginhart. Uuolfperht. Hroadolt. Camanolf. Machelm. Atto. Meiol. Cotescalch. Deotpald. Engilhart. Cundpald. Ratpot, Einhart. Cundperht. Hitto. Vgl. auch: Gerichtsurkunden der fränkischen Zeit, ed. Rudolf Hübner, 1. Abt., Weimar 1891-1893, ND Aalen 1971, S. 42-43, Nr. 243 (zu 823). Dass der Editor den Begriff vassi dominici zu Liutpald comes gezogen hat, ist unverständlich, da in der Urkunde zwei der hier genannten Personen ausdrücklich mit diesem Titel belegt werden: Similiter et Liutpald comes, Hrodolt, Camanolf vassi dominici dixerunt se vidisse ubi Deotperht ipsam ecclesiam in manus Hittonis episcopi reddidit.

[11] Trad. Freis. Nr. 475, S. 406-407: Alii autem vassalli: Machelm. Cotescalch. Reginhart. Etih. Haholf. Emheri. Parto. Hemmi. Crimuni. Hamminc. Meiol. Reginhart. Kamanolf. Chuniperht. Hroadolt. Suuarzolf. Pernker. Cundpald. Chuniperht. Oadalscalch. Coteperht. Engilhart. Lantfrid. Heipo. Reginperht. Spulit. Situli. Regino. Sigur. Paldachar. Poapo. Adalker. Poran. Ratolt. Adalker. Pero. Deothart. Ellanperht. Cundalperht. Hroadhart. Uuichelm. Kotehelm. Sigiperht. Tiso. Crimheri. Morizzo. Chonrat. Hroadolt. Ellanperht. Heilrih. Uuolfolt. Uuolfperht. Tato. Tuti. Reginolt. Alius Uuolfperht seu alii multi. Vgl. auch: Hübner, Gerichtsurkunden, Nr. 238, S. 41.

[12] Trad. Freis. Nr. 419, S. 359: Denique omnibus tam eclesiasticis quam etiam et saecularibus venerabilibus viris satis sit dilucidatum, qualiter Meginhardus vassus dominici reddidit in manus Hittonis episcopi pro manice cervino capsam quam a domo sanctae Marię cum reliquiis accepit Uuasucrim aramiator.

[13] Zur Urkunde, vgl.: Stefan Esders/Heike Johanna Mierau, Der althochdeutsche Klerikereid. Bischöfliche Diözesangewalt, kirchliches Benefizialwesen und volkssprachliche Rechtspraxis im frühmittelalterlichen Baiern (MGH Studien und Texte 28), Hannover 2000, S. 212-214.

[14] Prosopografische Untersuchungen haben ergeben, dass sämtliche in dieser Urkunde genannten Vasallen in Bayern beheimatet waren und daher mit den regionalen Verhältnissen vertraut gewesen sein dürften, vgl.: Salten, Vasallität, S. 189-197.

[15] Vgl.: Heinrich Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, Weimar 1933, ND Darmstadt 1958, S. 17-18; K.-J. Hollyman, Le développement du vocabulaire féodal en France pendant le haut moyen age (Étude sémantique) (Société de publications romanes et françaises 58), Genf/Paris 1957, S. 115; Walther Kienast, Die fränkische Vasallität. Von den Hausmeiern bis zu Ludwig dem Kind und Karl dem Einfältigen, hg. von Peter Herde (Frankfurter Wissenschaftliche Beiträge, Kulturwissenschaftliche Reihe 18), Frankfurt a.M. 1990, S. 89.

[16] Vgl.: Pactus Legis Salicae, ed. Karl August Eckhardt (MGH LL nat. Germ. 4/1), Hannover 1962, c. 35, 9, S. 132. Zur weiteren Begriffsentwicklung, vgl.: Hollyman, Développement, S. 116-117; Kienast, Vasallität, S. 89-96.

[17] Vgl.: Lex Alamannorum, ed. Karl Lehmann (MGH LL nat. Germ. 5/1), Hannover 1888, S. 36-157, hier: c. 36, 3, S. 95-96.

[18] Annales regni Francorum inde ab a. 741. usque ad a. 829. qui dicuntur Annales Laurissenses maiores et Einhardi, ed. Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. i. us. schol. 6), Hannover 1895, ND Hannover 1950, ad a. 757, S. 14-16: Et rex Pippinus tenuit placitum suum in Compendio cum Francis; ibique Tassilo venit, dux Baioariorum, in vasatico se commendans per manus, sacramenta iuravit multa et innumerabilia, reliquias sanctorum manus inponens, et fidelitatem promisit regi Pippino et supradictus filiis eius, domno Carolo et Carlomanno, sicut vassus recta mente et firma devotione per iustitiam, sicut vassus dominos suos esse deberet.

[19] Annales regni Francorum, ad a. 787, S. 78: Tunc praespiciens se Tassilo ex omni parte esse circumdatum et videns, quod omnes Baioarii plus essent fideles domno rege Carolo quam ei et cognovissent iustitiam iamdicti domni regis et magis voluissent iustitiam consentire quam contrarii esse, undique constrictus Tassilo venit per semetipsum, tradens se manibus in manibus domni regis Caroli in vassaticum, et reddens ducatum sibi commissum a domno Pippino rege, et recredidit se in omnibus peccasse et male egisse.

[20] Vgl.: Matthias Becher, Eid und Herrschaft. Untersuchungen zum Herrscherethos Karls des Großen (Vorträge und Forschungen Sonderbd. 39), Sigmaringen 1993, S. 21-78.

[21] Ermoldus Nigellus, In honorem Hludovici christianissimi Caesaris Augusti, ed. Edmond Faral, in: Ders., Ermold le Noir. Poème sur Louis le Pieux et Épitres au roi Pépin (Les Classiques de l’Histoire de France au Moyen Age 14), Paris 1932, S. 2-201, hier: lib. 4, v. 2482-2493, S. 188-190: Mox manibus junctis regi se tradidit ultro / Et secum regnum, quod sibi jure fuit. / „Suscipe, Caesar, ait, me nec non regna subacta; / Sponte tuis memet confero servitiis.“ / Caesar ad ipse manus manibus suscepit honestis; / Junguntur Francis Danica regna piis. / Mox quoque Caesar ovans Francisco more veterno / Dat sibi equum nec non, ut solet, arma simul. / Festa dies iterum surgit renovata nitescens, / Francis et Denis concelebrata micat. / Interea Caesar Heroldum jamque fidelem / Munere donat opum pro pietate sua. Zur grundsätzlichen Bewertung des gesamten Vorgangs, vgl.: Salten, Vasallität, S. 87-94.

[22] Zu den Vorgängen, die der Taufe und Kommendation Haralds unmittelbar vorausgingen, vgl.: Raimund Ernst, Karolingische Nordostpolitik zur Zeit Ludwigs des Frommen, in: Carsten Goehrke/Erwin Oberländer/Dieter Wojtecki (Hgg.), Östliches Europa. Spiegel der Geschichte. Festschrift für Manfred Hellmann zum 65. Geburtstag (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 9), Wiesbaden 1977, S. 81-107, hier: S. 92-94; Volker Helten, Zwischen Kooperation und Konfrontation: Dänemark und das Frankenreich im 9. Jahrhundert, Köln 2011, S. 92-107.

[23] Annales de Saint-Bertin, ed. Félix Grat/Jeanne Vielliard/Suzanne Clémencet, Paris 1964, ad a. 858, S. 76: Berno dux partis pyratarum Sequanae insistentium ad Karlum regem in Vermeria palatio uenit, eiusque se manibus dedens fidelitatem statim iurat.

[24] Annales de Saint-Bertin, ad a. 862, S. 89: Et post uiginti circiter dies ipse Vuelandus ad Karolum ueniens, illi se commendauit et sacramenta cum eis quos secum habuit statim praebuit.

[25] Annales de Saint-Bertin, ad a. 873, S. 194-195: Karolus uiriliter ac strenue obsidionem Nortmannorum in gyro Andegauis ciuitatis exsequens, adeo Nortmannos perdomuit, ut primores eorum ad illum uenerint seseque illi commendauerint et sacramenta qualia iussit egerint, et obsides quot et quantos quaesiuit illi dederint, ut de ciuitate Andegauis constituta de exirent et in regno suo, quamdiu uiuerent, nec praedam facerent nec fieri consentirent.

[26] Vgl.: Harald Neifeind, Verträge zwischen Normannen und Franken im neunten und zehnten Jahrhundert (Heidelberg; Univ.; Diss.), Heidelberg 1971, S. 75.

[27] Der andere Teil der Seine-Normannen nahm noch im gleichen Jahr Abt Ludwig von Saint-Denis gefangen, vgl.: Annales de Saint-Bertin, ad a. 858, S. 77.

[28] Annales de Saint-Bertin, ad a. 862, S. 88-89. Vgl. auch: Neifeind, Verträge, S. 73.

[29] 863 wurde Weland der infidelitas angeklagt und im Zweikampf getötet, dieser Begriff alleine sagt aber nicht über ein spezielles Vasallitätsverhältnis zum König aus, vgl.: Annales de Saint-Bertin, ad a. 863, S. 104. Vgl. auch: Reynolds, Fiefs, S. 31 und 88. Zum Tode Welands, vgl.: Horst Zettel, Das Bild der Normannen und der Normanneneinfälle in westfränkischen, ostfränkischen und angelsächsischen Quellen des 8. bis 11. Jahrhunderts, München 1977, S. 168. Die Belagerung von Angers wird von verschiedenen Quellen des 9. und 10. Jahrhunderts erwähnt, aber auch hier findet sich nichts, was die Annahme einer vasallitischen Bindung erhärten könnte, vgl.: Annales Vedastini, ed. Bernhard von Simson (MGH SS rer. Germ. i. us. schol. 12), Hannover/Leipzig 1909, S. 40-82, hier: ad a. 873, S. 40; Regino von Prüm, Chronicon cum continuatione Treverensi, ed. Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. i. us. schol. 50), Hannover 1890, ad a. 873, S. 106-107; Cartulaire noir de la cathédrale d’Angers, ed. Ch. Urseau, Paris/Angers 1908, Nr. 35, S. 79-80; Folcwin, Gesta abbatum S. Bertini Sithiensium, ed. Oswald Holder-Egger (MGH SS 13), Hannover 1881, S. 607-635, hier: c. 74, S. 621.

[30] Paschasius Radbertus, Epitaphium Arsenii, ed. Ernst Dümmler, in: Abhandlungen der königl. Preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin vom Jahre 1900, Phil.-Hist. Classe, II. Abh., Berlin 1900, S. 1-98, hier: lib. 2, c. 17, S. 85-86: Deinde in  alio capitulo: „Mementote, inquit, etiam et quod mei vasalli estis, mihique cum iuramento fidem firmastis.“ Ad quod rursus iidem: „Bene, inquiunt, recolimus ita esse uti mandastis, quoniam et a natura, et a promissis, et ab omni vere fidei sacramento profecto fideles sumus. Unde sicut numquam deseruimus militiae vestrae servitutem, ita donec spiritus in nobis superest, numquam desertores erimus, quia nobis gloria vestra, honor et prosperitas carior est, quam vita nostra. [...]“

[31] Vgl.: Carl Rodenberg, Die Vita Walae als historische Quelle (Göttingen; Univ.; Diss.), Göttingen 1877, S. 53-54; Mayke de Jong, The Penitential State. Authority and Atonement in the Age of Louis the Pious, 814-840, Cambridge 2009, S. 226.

[32] Vgl.: Brigitte Kasten, Aspekte des Lehnswesens in Einhards Briefen, in: Hermann Schefers (Hg.), Einhard. Studien zu Leben und Werk (Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission N.F. 12), Darmstadt 1997, S. 247-267, hier: S. 261.

[33] Vgl.: Charles Edwin Odegaard, Vassi and Fideles in the Carolingian Empire (Harvard Historical Monographs 19), Cambridge, Mass. 1945, S. 45-46. Vgl. auch: Brigitte Kasten, Economic and Political Aspects of Leases in the Kingdom of the Franks during the Eighth and Ninth Centuries: A Contribution to the current Debate about Feudalism, in: Bagge/Gelting/ Lindkvist (Hgg.), Feudalism, S. 27-55, hier: S. 47-48, die betont, dass Ludwig ein schwerer Fauxpas in den Mund gelegt worden sei, indem er provozierend von seinen Söhnen vasallitischen Gehorsam verlangte.

[34] Vgl.: Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser 1. Die Urkunden Konrad I., Heinrich I. und Otto I., ed. Theodor Sickel (MGH DD regum et imperatorum Germaniae 1), Hannover 1879-1884, Nr. 198, S. 278.

[35] Annales Laureshamenses, ed. Georg Heinrich Pertz (MGH SS 1), Hannover 1826, S. 22-39, hier: ad a. 795, S. 36: [...] ipsi eum pleniter adhuc non venerunt, eo quod vassum domni regis Wizzin regem Abotridarum occiserunt; [...].

[36] Chronicon Moissiacense, ed. Walter Kettemann, in: Ders., Subsidia Anianensia. Überliefeurngs- und textgeschichtliche Untersuchungen zur Geschichte Witiza-Benedikts, seines Klosters Aniane und zur sogenannten „anianischen Reform“ (Duisburg; Univ.-GH; Diss.), Teil 2, Beilage 2, Duisburg/Essen 2008, ad a. 810, S. 113: Et godafredus rex nortmannorum misit quasi pacifice per insidias uassallum suum ut in dolo drosocum, regem abdritorum, occidisset quod ita factum fuit.[...] Et postea illi godafredus fuit interfectus a suo uassallo et perdidit regnum cum uita.

[37] Vgl.: Friedrich Kurze, Ueber die karolingischen Reichsannalen von 741-829 und ihre Ueberarbeitung. III. Die zweite Hälfte und die Ueberarbeitung, in: NA 21 (1896), S. 9-82, hier: S. 26-29; Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, Heft 2: Die Karolinger vom Anfang des 8. Jahrhunderts bis zum Tode Karls des Großen, bearb. von Wilhelm Levison und Heinz Löwe, Weimar 1953, S. 265.

[38] Neben Harald Klak und den erwähnten Normannenführern im Westfränkischen Reich wäre hier insbesondere die Kommendation ’Abdallahs, Sohn des Emirs ’Abdarrahman I. von Cordoba, gegenüber Karl dem Großen 797 zu erwähnen, den sein Bruder nach dem Tode des Vaters nach Mauretanien vertrieben hatte, vgl.: ARF, ad a. 797, S. 100: Et in Aquis palatio Abdellam Sarracenum filium Ibin Mauge regis, qui a fratre regno pulsus in Mauretania exulabat, ipso semetipsum commendante suscepit. Vgl. dazu: Roger Collins, The Arab Conquest of Spain 710-797, Cambridge 1989, S. 202-203, 211.

[39] Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni Imperatoris, ed. Hans F. Haefele (MGH SS rer. Germ., N.S. 12), Berlin 1959, lib. 2, c. 10, S. 65-66: Cumque prima die vel secunda inter reliquos statores eum imperator curiosioribus oculis intueretur, dixit ad  filium: „Cuius est ille puerulus?“ Illo respondente: „Quia meus et vester, si dignamini“ postulabat eum dicens: „Da illum mihi.“ Quod cum factum fuisset, deosculatum serenissimus augustus pusionem remisit ad stationem pristinam. Ille mox dignitatem suam cognoscens et cuiquam post imperatorem secundus remanese dispiciens, collectis animis et membris compositissime collocatis ęquato gradu stetit iuxta patrem suum. Quod providentissimus aspectans Karolus vocato ad se filio Hludowico praecepit, ut interrogarent cognominem suum, cur ita faceret vel qua fiducia se patri adęquare praesumeret. Ille vero raione subnixum reddidit responsum: „Quando“ inqiuens „vester eram vassallus, post vos, ut oportuit, inter commilitones meos steteram. Nunc autem vester socius et commilito non inmerito me vobis coęquo.“

[40] Vgl.: Heinz Löwe Das Karlsbuch Notkers von St. Gallen und sein zeitgeschichtlicher Hintergrund, in: Ders., Von Cassiodor zu Dante. Ausgewählte Aufsätze zur Geschichtsschreibung und politischen Ideenwelt des Mittelalters, Berlin/New York 1973, S. 123-148; Hans-Werner Goetz, Strukturen der spätkarolingischen Epoche im Spiegel der Vorstellungen eines zeitgenössischen Mönchs. Eine Interpretation der „Gesta Karoli“ Notkers von Sankt Gallen, Bonn 1981, S. 21-59. Simon MacLean, Kingship and Politics in the late ninth century. Charles the Fat and the end of the Carolingian Empire (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought: Fourth Series, Nr. 57), Cambridge 2003, S. 199-229 sieht Notkers Werk auch als einen Kommentar zur politischen Situation des Frankenreiches unter Karl III. und als Beitrag zur politischen Theorie der karolingischen Renaissance an.

[41] Vgl.: Goetz, Strukturen, S. 31, Anm. 92. Dieser Ansicht schließt sich auch Brigitte Kasten, Königssöhne und Königsherrschaft. Untersuchungen zur Teilhabe am Reich in der Merowinger- und Karolingerzeit (MGH Schriften 44), Hannover 1997, S. 237 an, die in der Selbstbezeichnung Ludwigs als Vasallen eine „pointierte Übertreibung eines konkurrierenden Befehl-Gehorsam-Gefüges zwischen Großvater und Enkel sowie Vater und Sohn“ zu erkennen glaubt.

[42] Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni, lib. 2, c. 12, S. 74.

[43] Dies scheint zumindest der Fall zu sein, wenn er von bischöflichen Vasallen spricht, vgl.: Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni, lib. 1, c. 18, S. 23; lib. 1, c. 20, S. 26.

[44] Notker Balbulus, Gesta Karoli Magni, lib. 2, c. 19, S. 89-90.

[45] Vgl.: Kasten, Aspects, S. 48.

[46] Belege für pueri als Boten, vgl.: Gregor von Tours, Libri Historiarum X, ed. Bruno Krusch/Wilhelm Levison (MGH SS rer. Mer. 1,1), Hannover 1951, lib. 3, c. 18, S. 118; lib. 5, c. 19, S. 227: lib. 6, c. 35, S. 306; lib. 7, c. 40, S. 363; lib. 7, c. 42, S. 364. Desgleichen für pueri als militärisches Gefolge, vgl.: Ebd., lib. 6, c. 17, S. 286; lib. 6, c. 32, S. 303; lib. 7, c. 29, S. 348-349; lib. 7, c. 47, S. 366; lib. 10, c. 27, S. 520.

[47] Es sei hier nur auf das Beispiel des Gailenus hingewiesen, der ein puer des Chilperichsohnes Merowech, aber auch dessen familiaris war, vgl.: Gregor von Tours, Libri Hstoriarum X, lib. 5, c. 14, S. 208 bzw. lib. 5, c. 18, S. 224.

[48] Annales Vedastini, ad a. 884, S. 56: Franci vero, qui cum Karlomanno fuerant redierunt ad sua loca; pauci iuvenes cum eo remanserunt venandi causa in Basiu silva. In den Annales Fuldenses, ed. Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. i. us. schol. 7), Hannover 1891, ad a. 884, S. 101 wird von einem satelles gesprochen, der Karlmann verwundet habe.

[49] Vita Wandregiseli abbatis Fontanellensis, ed. Bruno Krusch (MGH SS rer. Mer. 5), Hannover 1910, S. 13-24, hier: c. 7, S. 16.

[50] Vita altera S. Wandregisili abbatis, in: AA SS Jul. V, Paris/Rom 1868, S. 272-281, hier: c. 2, S. 272: Cumque adolescentiae polleret aetas in annis, sub praefato rege Dagoberto militaribus gestis ac aulicis disciplinis, quippe ut nobilissimus nobiliter educatus est.

[51] Vita Ermenlandi abbatis Antrensis auctore Donato, ed. Wilhelm Levison (MGH SS rer. Mer. 5), Hannover 1910, S. 682-710, hier: c. 1, S. 684: Parentes autem eius, videntes eum litterarum doctrinis magna ex parte instructum regalibusque miliciis aptum, ab scolis eum recipientes, regiam introduxerunt in aulam atque regi Francorum cum magno cum honore militaturum commendaverunt, quatenus per tramitem huius militiae ad debitum progenitorum perveniret honorem. Zur vermuteten, aber nicht gesicherten Autorenschaft des Donatus, vgl. die Vorbemerkung zur Edition, ebd. S. 674-678 sowie Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, Heft 1: Die Vorzeit von den Anfängen bis zur Herrschaft der Karolinger, bearb. von Wilhelm Levison, Weimar 1952, S. 139.

[52] Einhard, Vita Karoli Magni, ed. Oswald Holder-Egger (MGH SS rer. Germ. i. us. schol. 25), Hannover 1911, ND Hannover 1965., c. 19, S. 23: Liberos suos ita censuit instituendos, ut tam filii quam filiae primo liberalibus studiis, quibus et ipse operam dabat, erudirentur. Tum filios, cum primum aetas patiebatur, more Francorum equitare, armis ac venatibus exerceri fecit [...]. Vgl.: Régine Le Jan, Frankish Giving of Arms and Rituals of Power: Continuity and Change in the Carolingian Period, in: Frans Theuws/Janet L. Nelson (Hgg.), Rituals of Power. From Late Antiquity to the Early Middle Ages (The Transformation of the Roman World 8), Leiden/Boston/Köln 2000, S. 281-309, hier: S. 283-284.

[53] Vgl.: Matthew Innes, „A Place of Discipline“: Carolingian Courts and Aristocratic Youth, in: Catherine Cubitt (Hg.), Court Culture in the Early Middle Ages. The Proceedings of the First Alcuin Conference (Studies in the Early Middle Ages 3), Turnhout 2003, S. 59-76, hier: S. 67. Zur Ausbildung eines Zusammengehörigkeitsgefühls junger adliger Krieger durch gemeinsame „Lerngruppen“, vgl.: Christoph Dette, Kinder und Jugendliche in der Adelsgesellschaft des frühen Mittelalters, in: AKG 76 (1994), S. 1-34, hier: S. 14-16.

[54] Vgl.: Carlrichard Brühl, Hinkmariana, in: Ders., Aus Mittelalter und Diplomatik. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1: Studien zur Verfassungsgeschichte und Stadttopographie, Hildesheim/München/Zürich 1989, S. 292-322, hier: S. 296-298; Brigitte Kasten, Adalhard von Corbie. Die Biographie eines karolingischen Politikers und Klostervorstehers (Studia humanoria 3), Düsseldorf 1985, S. 79.

[55] Hinkmar von Reims, De ordine palatii, ed. Thomas Gross/Rudolf Schieffer (MGH Font. iur. Germ. ant. in us. schol. 3), Hannover 1980, c. 27-28, S. 80-82: Et ut illa multitudo, quae in palatio semper esse debet, indeficienter persistere posset, his tribus ordinibus fovebatur. Uno videlicet, ut absque ministeriis expediti milites, anteposita dominorum benignitate et sollicitudine, qua nunc victu, nunc vestitu, nunc auro, nunc argento, modo equis vel ceteris ornamentis interdum specialiter, aliquando prout tempus, ratio et ordo condignam potestatem administrabat, saepius porrectis, in eo tamen indeficientem consolationem nec non ad regale obsequium inflammatum animum ardentius semper habebant: quod illos praefati capitanei ministeriales certatim de die in diem, nunc istos, nunc illos ad mansiones suas vocabant et non tam gulae voracitate quam verae familiaritatis seu dilectionis amore, prout cuique possibile erat, inpendere studebant; sicque fiebat, ut rarus quisque infra ebdomadam remaneret, qui non ab aliquo pro huiusmodi studio convocaretur. Alter ordo per singula ministeria in discipulis congruebat, qui a magistro suo singuli adhaerentes et honorificabant et honorificabantur locisque singuli suis, prout oportunitas occurrebat, ut a domino videndo vel alloquendo consolarentur. Tertius ordo item erat tam maiorum quam minorum in pueris vel vassallis, quos unusq uisque, prout gubernare et sustentare absque peccato, rapina videlicet vel furto, poterat, studiose habere procurabat. Gemäß der Einschätzung von Jakob Schmidt, Hinkmars „De ordine palatii“ und seine Quellen (Frankfurt, Univ., Diss), Gelnhausen 1962, S. 51 gehört dieser Abschnitt zu jenen, bei denen sich Hinkmar an seine Vorlage gehalten haben dürfte.

[56] Dass die expediti milites „the lowest level of the king’s fighting men“ bildeten, wie Bernard S, Bachrach, Early Carolingian Warfare. Prelude to Empire, Philadelphia 2001, S. 66 annimmt, erscheint fragwürdig, da die Inhaber der Hofämter offenbar großes Interesse daran hatten, sich ihrer Freundschaft zu versichern. Bei Personen geringerer Herkunft erscheint ein solches Verhalten unlogisch. Bachrachs Ansicht beruht auf der Übersetzung der Wendung absque ministeriis zu „ohne Diener“. Eine entscheidende Begründung, warum diese Übersetzung der sonst üblichen „ohne Amt“ vorzuziehen ist, sucht man allerdings vergebens, vgl.: ebd., S. 302-303, Anm. 129.

[57] Vgl.: Kasten, Adalhard, S. 82. Vgl. auch: Henri Peltier, Adalhard. Abbé de Corbie (Bulletin des Antiquaires de Picardie, Mémoires 52), Amiens 1969, S. 82.

[58] Vgl.: Bachrach, Early Carolingian Warfare, S. 71-75.

[59] Bachrach, Early Carolingian Warfare, S. 75-76 denkt an einen engen Zusammenhang der erwähnten pueri mit den ebenso bezeichneten unfreien Kriegern der Merowingerzeit. Zwar ist es nicht auszuschließen, dass auf unterer Ebene, gerade bei den minores, auch unfreie Vasallen vorkamen, dies kann aber nicht mit völliger Ausschließlichkeit gesagt werden.

[60] Reynolds, Elopements, S. 342-343 nimmt zurecht an, dass Vasallen eher zu den jüngeren Personen am Hofe gezählt werden müssen.

[61] Vgl.: Kasten, Aspekte, S. 262-263.

[62] Trad. Freis. Nr. 661, S. 556-558. Zur Wahrscheinlichkeit der Identität des dort erwähnten vir nobilis Baldrich mit dem 828 abgesetzten Markgrafen, vgl.: Salten, Vasallität, S. 203-206.

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Empfohlene Zitierweise

Oliver Salten: Überlegungen zur gesellschaftlichen Relevanz vasallitischer Beziehungen in der Karolingerzeit, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 22. März 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/3278 (ISSN 2197-6120).

 

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3278

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Neu aufgefundene Makulatur aus den Beständen des Stadtarchivs Reutlingen

Dass als Makulatur verwendete Teile von mittelalterlichen und neuzeitlichen Handschriften und Drucken in Archiven und Bibliotheken in einem gewissen Umfang quasi jedes Jahr neu auftauchen, vermag jeder leidgeprüfte Archivar und Bibliothekar zu bestätigen. Von den Fachleuten zwar mit großem Interesse registriert, landen die Fragmente häufig in Kartons und Schubern im besten Fall aus säurefreiem Papier und harren ihrer Erschließung. Inzwischen gibt es dennoch eine nicht unerhebliche Anzahl an Archiven und Bibliotheken, die ihren Fragmentbestand so erschlossen haben, dass er von einer interessierten, wissenschaftlichen Öffentlichkeit benutzt werden kann.[1]

Vor über 20 Jahren, im Jahr 1991, hat auch das Stadtarchiv Reutlingen diesen Weg beschritten, indem es die dortigen Fragmente durch ein Findbuch erschließen ließ.[2] Nach dem Abschluss des Bandes tauchten weitere Fragmente auf, so dass 1994 eine erweiterte und aktualisierte Version des Findbuches angefertigt wurde. Inzwischen wurden einige wenige weitere Fragmente gefunden, die an dieser Stelle vorgestellt werden sollen.

Die im Reutlinger Fragmentbestand bisher vorherrschenden liturgischen Fragmente behaupten ihre herausragende Stellung auch bei den jetzt neu aufgefundenen. Da die Reichsstadt Reutlingen 1519 evangelisch wurde, waren die bisher verwendeten liturgischen Handschriften überwiegend in relativ kurzer Zeit makuliert worden und sowohl für Drucke des 15. und 16. Jahrhunderts als auch für die städtischen Rechnungsbücher zweitverwendet worden. Je zwei unterschiedlich umfangreiche Fragmente stammen aus zwei Missalia bzw. aus zwei Brevieren.

Foto: Stadtarchiv Reutlingen

Abb. 1
Foto: Stadtarchiv Reutlingen

An dem Band der Reichsstädtischen Urkunden und Akten 2644 befindet sich ein zweispaltiges Pergamentfragment in situ.[3] (Abb. 1) Die Ausstattung ist einfach, lediglich eine zweizeilige rote Lombarde markiert den Beginn des Glaubensbekenntnisses. Die Textualis formata stammt aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts. Es handelt sich hier um einen Ausschnitt aus einem Missale Romanum mit dem Ende des Canon missae. Auf den Hymnus angelicus Qui tollis peccata mundi folgt das Credo. Damit endet der Canon missae in der b-Spalte. Die ursprünglich leere Spalte wurde dann sehr zeitnah in einer eher flüchtigen Textualis, die noch Einflüsse einer spätgotischen Minuskel aufweist, mit einer Lesung aus dem Epheser-Brief (Unicuique nostrum) aufgefüllt.[4] Diese Epistellesung, die üblicherweise an der Vigil zu Ascensio domini gelesen wird, endet auf der ansonsten leeren Verso-Seite.

Ein weiteres Missale-Fragment findet sich als Kopert an dem Band der Reichsstädtischen Urkunden und Akten 3247b.[5] Der Text ist in einer gleichmäßigen Textura aus dem 2. Drittel des 15. Jahrhunderts geschrieben. Alternierende ein- bis zweizeilige rote und blaue Lombarden markieren jeweils die unterschiedlichen Textteile. Dieses Missale Romanum weist Ausschnitte aus dem Proprium de tempore auf und zwar zur Dominica quarta et quinta post epiphaniam sowie zur Feria quarta post dominicam quintam post epiphaniam. Inhaltlich bietet dieses Blatt keine Besonderheiten.

Foto: Stadtarchiv Reutlingen

Abb. 2
Foto: Stadtarchiv Reutlingen

Das erste Fragment aus dem Bereich des Offiziums umfasst zwei kleine Stücke aus einem Brevier, die am oberen und unteren Bindungsrand des Koperts als Verstärkung dienen.[6] (Abb. 2) Die ursprüngliche Zeilenzahl lässt sich nicht mehr feststellen. Wahrscheinlich war der Text zweispaltig angelegt. Auch hier ist die Ausstattung recht schlicht: Rubriken sowie  alternierende rote und blaue einzeilige Initialen. Bei der Schrift handelt es sich um eine gleichmäßige Textualis aus dem 2. Drittel des 14. Jahrhunderts. Die gesungenen Texte weisen einen kleineren Schriftgrad auf. Von einer anderen, wohl zeitgleichen, Hand in Buchkursive wurden Marginalien vorgenommen. Auch hier sind die Texte dem Temporale entnommen und zwar zum Sabbato ante dominicam primam in quadragesima. Inhaltliche Besonderheiten sind keine vorhanden. Lediglich die Hand der Marginalien vermisste im Text offensichtlich die Antiphon Fili tu semper zur Prim und trug diese auf dem linken Rand nach.[7] Demselben Schreiber fiel auch auf, dass der Hymnus Jesu quadragenarie zur Laudes fehlte und ergänzte das Initium auf dem unteren Rand.[8]

Das zweite Brevierfragment ist abgelöst und wird in der Sammlung S 201 aufbewahrt. Ein Trägerband ist nicht bekannt. Der Streifen umfasst eine komplette und eine an der Seite abgeschnittene Spalte. Sein Erhaltungszustand ist relativ schlecht, Löcher und nachgedunkelte Stellen schränken die Lesbarkeit ein. Die alternierenden zwei- bis dreizeiligen roten und blauen Lombarden sind mit Fleuronnée verziert. Das Fragment stammt aus dem 1. Drittel des 14. Jahrhunderts. Sein Inhalt besteht aus den Formularen zur Feria tertia post dominicam V post pascham, sowie zu Ascensio domini.

Bis auf das zuletzt genannte Fragment, von dem ein genauer Fundzusammenhang nicht ermittelt werden konnte, sind die drei zuvor genannten mit einem teilweise großen zeitlichen Abstand makuliert oder zumindest als Makulatur verarbeitet worden. Die Schneiderordnung stammt aus dem Jahr 1564, die Artikel der Gerber aus dem Jahr 1574, der Band mit den Zunftprotokollen der Tucher umfasst die Jahre 1614 bis 1739. Eine Weiterverwendung der Liturgica im Gottesdienst scheidet für eine protestantische Reichsstadt wie Reutlingen zwar prinzipiell aus, in der Praxis dürfte es sich aber weitaus schwieriger gestaltet haben, den Gottesdienst gänzlich ohne die „alten“ Schriften durchzuführen, bevor nicht adäquater Ersatz vorhanden gewesen war. Insofern ist zu vermuten, dass ein Teil der Liturgica eventuell weiter benutzt wurde. Die städtischen Buchbinder erwarben gewiss sehr zeitnah eine große Anzahl liturgischer Handschriften wohl zu einem günstigen Preis, aber auch später waren ausgesonderte liturgische Handschriften auf dem Markt, in die dann entsprechende städtische Bände teilweise erst Jahrzehnte später eingebunden werden konnten.

Bei den beiden weiteren, neu aufgefundenen Fragmenten handelt es sich um Drucke. Von dem 1. Fragment ist lediglich ein schmaler Streifen aus einem nicht mehr zu eruierenden Trägerband mit den Resten einiger Zeilen vorhanden.[9] Im Text sind die Namen von mindestens zwei sehr interessanten Persönlichkeiten erkennbar, Henricus Grave und Sebastian Wolff zu Todenwarth. Henricus Grave konnte auf eine steile Karriere zurück blicken. Als promovierter Jurist wurde er kaiserlicher Kammergerichtsadvokat und Syndicus der Stadt Minden. Später brachte er es zum schwedischen Kanzler im Fürstentum Verden und Geheimen Rat.[10] Der ebenfalls genannte Sebastian Wolff zu Todenwarth, geboren um 1548 in Schleusingen, war wie Grave promovierter Jurist.[11] 1563 studierte er an der Universität Erfurt, anschließend an den Universitäten in Jena und Wittenberg. Im Jahr 1578 ist er als Advokat nachweisbar, später hatte er eine Stellung als Prokurator am Reichskammergericht in Speyer inne.[12] Dort ist er auch nach 1616 gestorben. Noch eine dritte Person lässt sich in dem Streifen erkennen, die die beiden oben genannten verbindet. Hier handelt es sich vermutlich um Anna Maria Wolff zu Todenwarth, die Tochter von Sebastian Wolff zu Todenwarth, die mit Henricus Grave verheiratet war.[13] Möglicherweise könnte es sich bei der genannten mater Anna aber auch um Anna Maria Löscher, die 1. Frau des Sebastian Wolff von Todenwarth, handeln, was aus den wenigen Zeilen nicht genauer hervorgeht.

Der geringe Umfang vermittelt, dass es sich um eine Art Lebensbeschreibung bzw. –widmung handeln muss. Eine Leichenpredigt, der im 17. Jahrhundert häufig biographische Partien angehängt waren, scheidet in diesem Fall aus. Zwar erhielt ein Henricus Grave im Jahr 1669 eine umfangreiche gedruckte Leichenpredigt, aber hier handelt es sich um den gleichnamigen Sohn.[14]

Abb. 3. Foto: Stadtarchiv Reutlingen

Abb. 3
Foto: Stadtarchiv Reutlingen

Noch ein letztes Fragment ist hier zu besprechen, ebenfalls neuzeitlich und zugleich das inhaltlich interessanteste, das unter der Sammlungssignatur S 201 aufbewahrt wird. (Abb. 3 und 4) Durch die Verwendung als Kopert-Außenseite ist das Fragment vor allem im unteren Teil stark beschädigt. Dort fehlt ein Teil des Textes, außerdem ist der oberer Rand gleichfalls mit Textverlust abgerissen. Als Inhalt ergibt sich zunächst sehr schnell ein Einblattkalender für das Jahr 1603: So man zelt nach Christi geburt M. DC. III. Der Kalender zeigt im Frontispiz eine Darstellung der Grundfesten des christlichen Staates: ganz links die Gerechtigkeit, daneben die drei Stände. [15] Der dritte Stand (ganz rechts) wird hier verkörpert durch einen Waldarbeiter mit Axt und Haumesser. In der linken Leiste sind verschiedene Wappen abgebildet, identifizierbar sind die des deutschen Königs sowie der Erzbistümer Mainz, Köln, Trier und der Königreiche Böhmen, Frankreich, England, Ungarn, Polen, Dalmatien sowie Kroatien. In der rechten Leiste können Teile von sieben Fischpaaren erkannt werden.

Im Hauptfeld befindet sich der Kalender, der Teile der Monate Januar, Februar, Mai, Juni, Juli, September, Oktober sowie November umfasst und der inhaltlich prinzipiell dem Bistum Konstanz zuzuordnen ist. Dies zeigt sich an der Eintragung von entsprechenden Heiligen. So sind zwar bedingt durch das junge Alter gegenüber dem bei Hermann Grotefend gedruckten, für das Bistum Konstanz gültige Kalendarium wesentlich mehr Heilige eingetragen, worunter sich spezifische Konstanzer Feste befinden.[16] Am aussagekräftigsten ist hier zunächst das als Hochfest rot eingetragene Fest der Konstanzer Kirchweihe am 9. September. Einige weitere typische Konstanzer Heilige, wie Konrad oder Gebhard, fehlen aufgrund der fragmentarischen Überlieferung.[17]

Abb. 4. Foto: Stadtarchiv Reutlingen

Abb. 4. Foto: Stadtarchiv Reutlingen

Dieser Kalender alten Stils war aber für und in eine/r evangelischen Stadt mit entsprechendem Umland gedruckt worden.[18] Unter Einbeziehung des Konstanzer Kalenders, des evangelischen Umfelds sowie von Frontispiz und Seitenleisten kommt den Fischpaaren in der rechten Seitenleiste eine besondere Bedeutung zu. In einem Einblattkalender von 1571 findet sich genau dieses Frontispiz mit den entsprechenden Seitenleisten und bei den Fischen handelt es sich um Fische des Zürichsees. [19] Dieser Druck von 1571 stammt aus der Offizin von Christoph Froschauer d. J. in Zürich.[20] Noch ein weiterer Kalender mit den Fischpaaren ist von Christoph Froschauer d. J. aus dem Jahr 1573 bekannt.[21] Nach dessen Tod 1585 wurde die Werkstatt von den Brüdern Escher übernommen und weitergeführt.[22] Doch bereits 1591 verkaufte Anna Escher, die Witwe von Hans Escher, die Offizin an Johann Wolf, der sie bis zu seinem Tod im Jahr 1627 weiter betrieb. Von Johann Wolf sind bislang sechs Einblattdrucke bekannt, unter denen sich der jetzt im Stadtarchiv Reutlingen aufgefundene jedoch nicht befindet.[23]

Ein Vergleich der beiden Kalendarien ergab eine weitest gehende Übereinstimmung. Bedauerlicherweise ist gerade bei dem Eintrag der Züricher Kirchweihe am 12. September das Reutlinger Exemplar nicht mehr lesbar. Es könnte sein, dass das im Kalender von 1571 rot eingetragene Fest im Reutlinger Exemplar nicht durch die Farbe als Hochfest herausgehoben wurde, mit Sicherheit lässt sich dies aufgrund der Zerstörung allerdings nicht sagen.

Es ist für Einblattkalender nicht ungewöhnlich, dass sich aus einzelnen Jahren mehrere Exemplare überliefert haben, aus anderen Jahren jedoch kein einziger. Das Reutlinger Exemplar dieses Züricher Kalenders von 1603 dürfte somit das einzig bekannte Stück sein.[24]

Zu den 1991/1994 bearbeiteten Fragmenten lassen sich in einigen Fällen genauere Angaben machen. Bei Nr. 62 handelt es sich um Ausschnitte aus dem Jesaja-Kommentar des Hieronymus (Buch III, cap. 7, Verse 11-14 sowie 20-21).[25] Der Text des Fragmentes Nr. 199 konnte inzwischen als Auszug aus einer Biblia latina, Act 11,21-30 identifiziert werden.[26] Weiterhin handelt es sich bei dem Fragment Nr. 195 um einen Auszug aus der Legenda aurea des Jacobus de Voragine mit Ausschnitten aus der Vita des Gregorius sowie der Legende zum Fest Purificatio Mariae.[27]

[1] Die neueste Publikation aus Bibliotheken: Katalog der lateinischen Fragmente der Bayerischen Staatsbibliothek München, Bd. 3: Clm 29550-29990, beschrieben von Hermann Hauke und Wolfgang-Valentin Ikas (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monancensis IV, pars 12.3), Wiesbaden 2013. Eine Übersicht unter Berücksichtigung der Fragmente demnächst bei Maria Gramlich: Die Bibliothek der Abtei Ottobeuren, VIII. – XIII. Jahrhundert.
[2] Stadtarchiv Reutlingen, Findbuch zur Sondersammlung S 201: Abgelöste Bucheinbände, Reutlingen 1991, Reutlingen 21994; Dazu Anette Löffler, Das unscheinbare Kleid alter Bücher. Die Reutlinger Sondersammlung „Abgelöste Bucheinbände“, in: Reutlinger Geschichtsblätter NF 33 (1993), S. 1-87.
[3] Es handelt sich bei dem Trägerband  um die Artikel der Gerber von 1574.
[4] Eph 4,7-13.
[5] Der Trägerband beinhaltet die Zunftprotokolle der Tucher von 1614-1739.
[6] Die Signatur des Trägerbandes lautet RUA 3132, dies ist die Schneiderordnung von 1564.
[7] Réne-Jean Hesbert, Corpus antiphonalium officii, Bd. 3: Invitatoria et antiphonae (Rerum ecclesiasticarum documenta, Series maior, Fontes 9), Rom 1968, Nr. 2875.
[8] Analecta Hymnica Medii Aevi, Bd. 51: 51. Thesauri hymnologici hymnarium : Die Hymnen des Thesaurus hymnologicus H. A. Daniels und anderer Hymnen-Ausgaben, hg. von Clemens Blume, Leipzig 1908, Nr. 58; Ulysse Chevalier, Repertorium Hymnologicum. Catalogue des chants, hymnes, proses, tropes en usage dans l’église latine depuis les origines jusqu’à nos jours, Band 2, Löwen 1897, ND Brüssel 1959, Nr. 9607.
[9] Er wird aufbewahrt unter der Sammlungssignatur S 201.
[10] Fritz Roth, Auswertung von Leichenpredigten, Bd. 1: R 1 – R 1000, Boppard 1959, S. 396.
[11] Eckhart G. Franz (Bearb.), Familienarchiv Wolff von Todenwarth (Bestand O 4). Repertorien des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt, Darmstadt 1984/2006, S. V.
[12] Friedrich Battenberg (Hg.), Das Reichkammergericht im Spiegel seiner Prozessakten. Bilanz und Perspektiven der Forschung (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 57), Köln 2010.
[13] Franz (wie Anm. 11), S. V.
[14] Roth (wie Anm. 10), R 762, S. 395-396. Zu seiner Leichenpredig: Güldener Trost-Löwe [..], gedruckt bei Johann Walther, [Lüneburg] 1669; eingesehen in SUB Göttingen, Sign.: Alv. T 172 (1).
[15] Hellmut Rosenfeld, Kalender, Einblattkalender, Bauernkalender und Bauernpraktiken, in: Bayrisches Jahrbuch für Volkskunde 1962, S. 7-24, hier S. 16.
[16] Hermann Grotefend, Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, Bd. I, Hannover 1891, S. 86-90. Das Kalendarium bei Grotefend geht auf Handschriften des 15. und frühen 16. Jahrhunderts zurück.
[17] Wolfgang Müller, Studien zur Geschichte der Verehrung des heiligen Konrad, in: Freiburger Diözesanarchiv 95 (1975), S. 150-314, hier S. 212-224.
[18] Freundliche Mitteilung von Josef H. Biller (München) vom 15. Dezember 2013.
[19] Rosenfeld (wie Anm. 15), S. 16 mit Abb. 6.
[20] Ursula Baumgartner, Einblattkalender aus der Offizin Forschauer in Zürich. Versuch einer Übersicht, in: Gutenberg-Jahrbuch 1975, S. 122-135, hier Nr. 28, S. 133. Von dem Druck von 1571 befinden sich Exemplare in der UB Bern sowie der BSB München. Letztere besitzt kein Exemplar des Drucks von 1603, freundliche Mitteilung von Helga Tichy (München) vom 8. Januar 2014.
[21] Ursula Baumgartner, Vier Wandkalender aus der Offizin Froschauer, in: Gutenberg-Jahrbuch 1976, S. 152-157.
[22] Christoph Reske / Josef Benzing, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 51), Wiesbaden 2007, S. 1040-1045.
[23] Paul Leemann-van Elck, Die zürcherische Offizin Wolf 1591-1626, in: Schweizer graphischer Zentralanzeiger 50 (1944), S. 1-3. Manfred Vischer, Züricher Einblattdrucke des 16. Jahrhunderts, Baden-Baden 2001.
[24] In der Kalendersammlung des ZB Zürich ist kein Exemplar bekannt, freundliche Mitteilung von Anikó Ladány (Zürich) vom 19. Dezember 2013.
[25] Hieronymus, Commentariorum in Esaiam libri I-XI, hg. von Marinus Adriaen (Corpus Christianorum Series Latina 73), Turnhout 1963, S. 100-188.
[26] Robert  Weber, Biblia sacra iuxta Vulgatam versionem, Stuttgart 52007.
[27] Johanne Georg Theodor Graesse (Hg.), Jacobi a Voragine Legenda aurea, vulgo Historia Lombardica dicta, Leipzig 1890, cap. 37, S. 160-161 und cap. 46, S. 197-198.

D O W N L O A D  (pdf)

Empfohlene Zitierweise

Anette Löffler: Neu aufgefundene Makulatur aus den Beständen des Stadtarchivs Reutlingen, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 27. Februar 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/3118 (ISSN 2197-6120).

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3118

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DFG-Projekt: Historische Bio-Bibliographien als OPAC-Bausteine an den Monumenta Germaniae Historica

Durch das vom 01. Juni 2011 bis 30. Mai 2013 von den Monumenta Germaniae Historica bearbeitete DFG-Projekt „Historische Bio-Bibliographien als OPAC-Bausteine“ wurde eine Web 2.0-kompatible Erweiterung der Sacherschließung im OPAC der MGH-Bibliothek vorgenommen. Sie erfolgte durch die Einbindung der Personennamen aus der Gemeinsamen Normdatei GND (bzw. vorher der Personennamendatei PND) der Deutschen Nationalbibliothek auf Grundlage bereits digitalisierter historischer Bio-Bibliographien.

Die Bibliothek der MGH als international renommierte Spezialbibliothek mit ca. 140.000 Bänden und umfangreichste Sondersammlung für das europäische Mittelalter trug mit dem Projekt zur Verbesserung einer wissenschaftlich gesicherten Erschließung mittelalterlicher Personen bei. Durch den Abgleich mit der Normdatei GND werden die digitalisierten Bio-Bibliographien in kritischer Form neu für die wissenschaftliche Nutzung zur Verfügung gestellt.

1.) Historische Bio-Bibliographien

Grundlage des Projekts waren folgende Werke:

- Trithemius, Johannes: Liber de scriptoribus ecclesiasticis. Basileae: Amerbach 1494 (= Hain 15613; Klebs 0990,1; BMC III 755; BSB-Ink T-459), http://www.mgh-bibliothek.de/cgi-bin/trithemius.pl?blatt=-5&rv=r

- Fabricius, Johann Albert: Bibliotheca latina mediae et infimae aetatis (5 Bde., 1734- 1736), (Digitalisat der neusten Ausgabe in 3 Bänden, ed. D. Mansi, Florenz 1858), http://www.mgh.de/bibliothek/digitale-bibliothek/hifo/fabricius/

Obwohl sachlich überholt, handelt es sich beim „Liber de scriptoribus ecclesiasticis“ von Trithemius um eine bedeutende Quelle zur spätmittelalterlichen Bildungsgeschichte. Die „Bibliotheca latina mediae et infimae aetatis“ steht in der Tradition des Trithemius, den Fabricius – neben zahlreichen frühneuzeitlichen bio-bibliographischen Verzeichnissen und Quellenzusammenstellungen – nahezu vollständig ausgewertet hat.

Für die einzelnen Lemmata der beiden Bio-Bibliographien wurden jeweils eigene, über den OPAC der MGH-Bibliothek abrufbare Datensätze angelegt. Trotz der Abhängigkeit des Fabricius von Trithemius kam es nicht zu einer werkübergreifenden Zusammenführung der Lemmata.

Zusätzlich wurde im Projektzeitraum erschlossen:

- Trithemius, Johannes, Cathalogus illustrium virorum, Mainz 1495 (=Hain 15615)

Die MGH-Bibliothek stellt in ihrem OPAC darüber hinaus in gleicher Weise die Lemmata der im Internet verfügbaren „Catholic Encyclopedia (CE)“ und des „Bio-Bibliographischen Kirchenlexikons (BBKL)“ aus dem Bautz-Verlag zur Verfügung.

2.) Durchgeführte Arbeiten

Die in den Lemmata der digitalisierten Bio-Bibliographien verzeichneten mittelalterlichen (bei Trithemius teils antiken) Autoren wurden mit der Gemeinsamen Normdatei (GND) der Deutschen Nationalbibliothek abgeglichen. Im Fall eines bereits existierenden Personensatzes der GND erfolgte dessen Einspielung in den MGH-OPAC unter Verknüpfung mit den entsprechenden Datensätzen aus Trithemius und Fabricius. Bei diesen übernommenen GND-Datensätzen musste in etwa 300 Fällen eine Änderung vorgenommen werden. Diese bezog sich meist auf die Ergänzung von Verweisungsformen bei den Namen. Bei rudimentären GND-Sätzen waren teilweise aber die Zufügung biographischer Informationen zur Verbesserung der Erschließung, aber auch Korrekturen nötig.

Für Autoren, die bisher noch nicht in der Normdatei der GND erfasst waren, mussten Neuansetzungen vorgenommen werden. Im Zeitraum des Gesamtprojekts wurden dabei neue GND-Sätze für ca. 1450 Personen angelegt. Die Recherchen stützten sich in erster Linie auf BISLAM (Online-Datenbank im System „Mirabile“ von SISMEL in Florenz) und dem auf Mikrofiche publizierten „Biographical Archive of the Middle Ages“ (BAMA/WBIS) des Saur-Verlags. Darüber hinaus wurden weitere digitale und gedruckte Nachschlagewerke wie das „Oxford Dictionary of National Biography“ oder das „Dizionario Biografico degli Italiani“ herangezogen.

Bei der Abgleichung wie Neuerstellung von GND-Sätzen ergaben sich verschiedene Probleme. Aufgrund der häufig sehr unzureichenden Informationen bei Fabricius stellte sich die Überprüfung einzelner von ihm lemmatisierter Personen an den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung in manchen Fällen sehr schwierig dar. Sie verlangte daher einen langwierigeren Rechercheaufwand, der sich aber als notwendig erwies, um falsche Neuansetzungen, und damit Doppelungen, zu vermeiden. Problematisch erschien auch die Neuansetzung von Autoren, die trotz ausführlicher biographischer Hinweise von Fabricius nicht in neueren Nachschlagewerken oder neuerer Forschungsliteratur nachgewiesen werden konnten. In solchen Fällen wurde bei der Anlegung des GND-Satzes ausdrücklich auf die unsichere Identität der Person hingewiesen.

Zu den Problemen bei der Umsetzung historischer Namenszeugnisse auf eine Normdatenbank siehe den Aufsatz der Projektbearbeiterin: „DFG-Projekt ‚Historische Bio-Bibliographien als OPAC-Bausteine’ an den Monumenta Germaniae Historica – Probleme bei der Erschließung mittelalterlicher Personennamen“ (in: Bibliothek. Forschung und Praxis, Preprint-Artikel: http://www.mgh-bibliothek.de//dokumente/b/b072526.pdf)

3.) Errichtung einer BEACON-Schnittstelle

Um die Personendaten über die PND/GND und den MGH-OPAC hinaus nutzen zu können, wurde eine BEACON-Schnittstelle geschaffen.

Folgende BEACON-Dateien sind über die Homepage der MGH zu erreichen:

- http://www.mgh-bibliothek.de/beacon/trithemius

- http://www.mgh-bibliothek.de/beacon/trithemius_cathalogus

- http://www.mgh-bibliothek.de/beacon/fabricius

- http://www.mgh-bibliothek.de/beacon/mghopac

- http://www.mgh-bibliothek.de/beacon/cathen

Diese BEACON-Dateien sind in technischer Form über folgende URL verfügbar, wobei für “GND” die jeweilige GND-Nummer zu setzen ist: http://www.mgh.de/services/seealso/?id=GND

Die Schnittstelle ist dokumentiert unter:

http://www.mgh.de/datenbanken/beacon/

Für die externen Links wird der SeeAlso-Service von beacon.findbuch.de abgefragt. Alle BEACON-Dateien wurden im zentralen Nachweis bei der Wikipedia eingetragen (http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia%3ABEACON). Die spezielleren Angebote „Fabricius“ und „Trithemius“ fanden Aufnahme unter die „weiteren Informationen“ des ABD/NDB-Portals in der neugeschaffenen Rubrik „historische Lexika“ (vgl. z.B. http://www.deutsche-biographie.de/sfz64782.html#adb für Johannes Trithemius als historische Person).

4.) Ergebnisse

Durch die Vernetzung der Personenerschließung des MGH-OPAC und der Erschließung der Digitalisate zu einem Web 2.0-kompatiblen Gesamtangebot ergibt sich ein Beitrag zur Anreicherung der Literaturerschließung. Der OPAC wird als bibliographisches Subsystem für beliebige Web-Angebote nutzbar. Die Gemeinsame Normdatei (GND) erfährt eine Erweiterung durch die Neuanlegung von Datensätzen zu bisher nicht erschlossenen mittelalterlichen Autoren. Das Projekt stellt insgesamt die Voraussetzung für ähnlich gelagerte künftige Erschließungen historischer Forschungsumgebungen wie z.B. der Magdeburger Centurien dar.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3137

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Die Magdalenenflut 1342 – ein unterschätztes Jahrtausendereignis?

 


an(no) m° ccc° xl ii do ver drank hermen goltsmet in der groten vlot to sentemargret(en) dage
.[1]

Vermutlich war es der wohlhabende Göttinger Goldschmied und Ratsherr Hans, der seinem 1342 verstorbenen Vater Hermann ein seiner Profession gemäßes Denkmal setzte.[2] Auf der Spitze der Göttinger Albanikirche ist die oben stehende Inschrift, auf einem Reliquienkreuz noch oberhalb der Wetterfahne angebracht, bis heute erhalten geblieben. Nun ist der niedersächsische Goldschmied nicht einfach ein Opfer eines beliebigen Hochwassers geworden, sondern in der mutmaßlich schwersten Flutkatastrophe Mitteleuropas in den letzten 1000 Jahren ertrunken: Der nach dem Festtag der Heiligen am 22. Juli benannten Magdalenenflut von 1342.

Als im letzten Sommer an Donau, Elbe und Saale die zweite Extremflut seit dem Milleniumswechsel tausende Menschen bedrohte, fand auch ein selbst unter Mediävisten oft wenig bekanntes Ereignis wie die Magdalenenflut 1342 erneute mediale Aufmerksamkeit. Dies steht in deutlichem Gegensatz zum (Des-)Interesse der Geschichtswissenschaft: Explizit mediävistische Auseinandersetzungen mit der Magdalenenflut 1342 finden sich so gut wie nicht[3], etwas besser ist es bei der Nachbardisziplin Archäologie bestellt.[4] Betrachtet man hingegen die Publikationen aus dem im weitesten Sinn naturwissenschaftlichen Bereich mit historischem Fokus, aber auch umweltgeschichtlichen Werken, fällt auf, dass durchaus viel auf das Flutereignis von 1342 verwiesen wird.[5] Dies bedeutet allerdings keineswegs in jedem Fall eine intensive Beschäftigung damit, v.a. nicht mit der schriftlichen Überlieferung.[6] Dabei ist die Quellenlage durchaus vielversprechend, wie im Folgenden kurz skizziert werden soll.

Die klimageschichtliche Datenbank tambora.org bietet ad ann. 1342 bereits einen ersten Eindruck von dem Ausmaß der Flut, wenn auch viel zu viele der Einträge nicht zeitgenössischen Ursprungs sind, so dass sie sich für historisches Arbeiten nicht verwenden lassen. Trotz der notwendigen Einschränkungen zur Benutzbarkeit der Datenbank aus historisch-quellenkritischer Sicht zeigt dieses verdienstvolle Projekt trotz allem die Entwicklungspotentiale kollaborativer Datenbanken gerade im Bereich der Klimageschichte auf. Doch in Kombination mit gedruckten Repertorien meteorologischer Ereignisse aus dem 20. Jahrhundert kann man sich schnell dem Ereignis nähern: Curt Weikinns nach historiographischen Maßstäben auch nicht durchweg verlässliche, aber äußerst materialreiche Quellensammlung zu hydrologischen Ereignissen[7] liefert eine komfortable Ausgangsbasis für die Erforschung der Magdalenenflut. In Kombination mit der Materialsammlung des nicht minder akribischen, aber doch quellenkritischeren Sammlers meteorologischer Nachrichten, Pierre Alexandre[8], zeigt sich, welcher große europäische Raum 1342 unter den Überschwemmungen zu leiden hatte: Ost- und Zentralfrankreich, die Provence, Norditalien, das ganze heutige Deutschland sowie Böhmen, Österreich und Ungarn waren von massiven Fluten betroffen. Im Einzelfall wäre freilich erst noch zu klären, ob es sich dabei um jeweils um ein- und dasselbe Flutereignis handelt. Doch die Ausgangsbasis von über 40 verschiedenen Extremwetterbelegen für 1342 in edierten Chroniken sollte die  weitere Untersuchung der Magdalenenflut deutlich erleichtern. Und dabei ist die Sammlung von Weikinn und Alexandre noch keineswegs vollständig.[9] Auch das eingangs aufgeführte Beispiel mit dem Göttinger Reliquienkreuz ist keineswegs die einzige Inschrift, die als Beleg der Magdalenenflut angeführt werden kann.[10]

Schriftquellen sind also in relativer Fülle vorhanden, und doch ist die Chronologie des meteorologischen Extremjahres 1342 noch lange nicht geklärt, wie ein rascher Blick in die bisherige Forschung und deren (knappe) Aussagen zu Vorgeschichte und Verlauf der Flutkatastrophe zeigt: Intensiver Schneefall im Winter 1341/42 soll zu einer starken Schneeschmelze mit ersten Hochwassern geführt haben, dann folgte ein regenreiches Frühjahr. Der im Sommer noch immer feuchte Boden konnte schließlich die Starkregenfälle Mitte Juni 1342 nicht mehr aufnehmen.[11] Andere Interpreten sehen keine nennenswerten, durch die Schneeschmelze propagierten Hochwässer im Frühjahr 1342.[12] Je nach regionalem Fokus wird auch von einem Eisstoß im späten Winter 1342, – dem der Vorgängerbau der Prager Karlsbrücke zum Opfer fiel –, dann einem Frühjahrshochwasser im April und dem eigentlichen Magdalenenhochwasser im Juli 1342 ausgegangen.[13] Ganz ausgeblendet wird bisher die Lage in Frankreich und Italien, aber auch in Ostmitteleuropa jenseits Böhmens. Warum es so wichtig ist, die Abfolge der Niederschläge und Flutereignisse möglichst sicher zu identifizieren, leuchtet spätestens dann ein, wenn wir die unvermeidliche Frage stellen, was der geophysikalische Hintergrund der Katastrophe von 1342 war.

Eine Vb-Wetterlage braut sich zusammen: Ein sog. Genuatief vom 7. Oktober 1996. (Quelle: Wikimedia Commons)Eine Vb-Wetterlage braut sich zusammen: Ein sog. Genuatief vom 7. Oktober 1996. (Quelle: Wikimedia Commons)

Verantwortlich für die extremen Niederschläge soll eine meteorologische Konstellation gewesen sein, die so auch 1997, 2002 und 2013 die extremen Hochwässer in (Ost-)Mitteleuropa hervorgerufen hat: Eine sogenannte Vb-Wetterlage, bei der ein Tiefdruckgebiet über Norditalien sich über der Adria oder dem Golf von Genua immens mit Feuchtigkeit auflädt und dann eine Zugbahn am Ostalpenrand entlang über das heutige Österreich, Ungarn und Tschechien bis nach Polen einnimmt. Im Kontakt mit wesentlich kälteren Luftmassen im Norden und Westen kommt es zu sehr ergiebigen Niederschlägen über dem skizzierten Teil Ostmitteleuropas bis hin nach Bayern.[14] Doch passt dieses Szenario schon geographisch nicht widerspruchsfrei zur Überschwemmungslage und den Extremniederschlägen des Jahres 1342. Ob noch andere Faktoren wie etwa Vulkanausbrüche[15] zu den Mitverursachern der Starkregen gehören, ist bisher kaum diskutiert worden.

Das meteorologische und klimahistorische Interesse an dem Ereignis liegt auf der Hand. Aber welchen breiteren historischen Erkenntnisfortschritt darf man sich von einer Beschäftigung mit der Magdalenenflut erwarten?
Zum einen natürlich ein besseres Verständnis der Häufung exogener Schocks, denen die mitteleuropäischen Gesellschaften in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ausgesetzt waren. Neben der Magdalenenflut wäre die Abkühlungstendenz seit ca. 1310, die Große Hungersnot von 1315-18, Einfälle von Heuschrecken 1338 und natürlich die Pest 1347ff. zu nennen. Die umweltlich-natürlichen Rahmenbedingungen müssten also zu einer Neubewertung der „Krise des 14. Jahrhunderts“ verstärkt herangezogen werden, ist doch eine letzten Endes sozialdeterministische Tendenz zur Relativierung der krisenhaften Momente im Spätmittelalter hin zu einem überwiegenden Reflex von Diskursen des 20. Jahrhunderts zu beobachten.[16] Vielleicht ist es daher an der Zeit im Zeichen eines material turn – obwohl diese Wende die Mediävistik bisher wenig tangiert – den natürlichen Rahmenbedingungen und konkreten Einflüssen von Umweltveränderungen auf den historischen Prozess auch im Spätmittelalter zu ihrem Recht zu verhelfen, ohne in platte Determinismen zu verfallen.
Eine klarere Vorstellung vom potentiellen Impact der Flut von 1342 liefern allerdings nicht die historischen Quellen allein: Vielmehr sind es die Überlegungen von historisch arbeitenden Geowissenschaftlern, die die Dimensionen des Ereignisses erst recht erahnen lassen, etwa durch Modellrechnungen der Scheitelabflussmenge – der Höchstmenge an Wasser, die in einem Moment einen bestimmten Punkt am Fluss passiert. So ist für den Main im Juli 1342 eine Zahl 3500 m²/s errechnet worden[17], während für das Sommerhochwasser 2013 in Würzburg eine Scheitelabflussmenge des Mains von ‘nur’ 900 m²/s erreicht wurde.[18] Die Konsequenzen für den modernen Hochwasserschutz und seine unterstellten historischen Maximalwerte sind enorm.[19]
Darüber hinaus sind es die Untersuchungen von Geoökologen wie Hans-Rudolf Bork und seinen Schülern, die die apokalyptischen Ausmaße der Erosion in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts vorstellbar und plausibel machen. [20] Ganz entgegen der allgemein vorherrschenden Vorstellung von Erosion als langsamem Prozess betonen die naturwissenschaftlichen Kollegen die massiven Veränderungen innerhalb kürzester Zeit und ordnen, gestützt auf zahlreiche Beispiele aus Mittel- und Nordostdeutschland, etwa die Hälfte des gesamten Erosionsabtrags in Mitteleuropa seit dem Frühmittelalter dem Zeitraum 1313 bis 1348 zu.[21] Dabei nimmt ein Einzelereignis – nach aller Plausibilität die Magdalenenflut von 1342 – eine beträchtliche Rolle ein. Diese Annahmen werden auch durch die Befunde aus Warvenchronologien unterstützt.[22]
Besonders betroffen zeigten sich von der Erosion landwirtschaftliche Nutzflächen in Höhenlagen, die oft erst im Zug des hochmittelalterlichen Landesausbaus erschlossen wurden. Sie verloren nach der geomorphologischen Einschätzung so viel fruchtbare Krume, dass ihre weitere Bewirtschaftung sinnlos wurde. Die Belege dafür lieferten markante, tobelartige Kerbtäler,

Die Wolfsschlucht bei Pritzenhagen/Oberbarnim, Brandenburg. Das Kerbtal ist wesentlich durch einige wenige Erosionsereignisse in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts geprägt. (Quelle: Wikimedia Commons)Die Wolfsschlucht bei Pritzenhagen/Oberbarnim, Brandenburg. Das Kerbtal ist wesentlich durch einige wenige Erosionsereignisse in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts geprägt. (Foto: Lienhard Schulz, Lizenz: CC-BY-SA, Quelle: Wikimedia Commons)

durch massive Erosion (‚Schluchtenreissen‘) geschaffen, an deren Ende das weggespülte Erdreich sog. Schwemmfächer bildet. Die genaue Analyse von deren Schichten belegt wenige, einzelne Starkregenereignisse, die über im Material enthaltene Holzkohlestückchen auf die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert werden können. Im Einzugsgebiet eines untersuchten Schwemmfächers, am Abhang einer Rodungsfläche zu einem See hin gelegen, muss es zu großflächigen Verlusten an fruchtbarem Ackerboden gekommen sein.[23] Ein ähnlicher Befund wurde für spätmittelalterliche Wölbäcker im Eichsfeld festgestellt, die von einem singulären Niederschlagsereignis im 14. Jahrhundert verändert wurden, wobei hier eine Datierung des erodierten Materials über spätmittelalterliche Keramik plausibel gemacht werden konnte.[24] Vor diesem Hintergrund sollten die Wüstungsprozesse des Spätmittelalters über die sozialen, politischen und ökonomischen Erklärungstheorien von Wilhelm Abel hinaus gedacht werden – die meteorologischen Extremereignisse mit ihren mutmaßlich verheerenden Folgen für die Landwirtschaft sind als Faktor unbedingt mit einzubeziehen.[25] Aber auch die ungeklärte Frage nach dem Erlahmen des Landesausbaus in Ostmitteleuropa noch vor der Pest könnte von einer Untersuchung der klimatischen Ungunstverhältnisse seit 1300 profitieren. Im Einzelfall bestätigen auch die Schriftquellen die hydrologisch-bodenkundlich begründeten Hypothesen, wie etwa im Fall des Kloster Loccum bei Hannover: Es ergossen sich vom Himmel nämlich Regenmassen, Gewässer brachen aus der Erde hervor, Flüsse zerstörten die Dämme, Quellen und Gießbäche strömten aus der Erde, die Flüsse erhoben ihre Wasser, so daß sie über ihre Ufer traten, nicht nur die Saaten und viele Pflanzen auf den Feldern, sondern auch die Äcker selbst und die Wege vernichteten, in Burgen, Städte, Dörfer und Kirchen eindrangen, bis über die Altäre anwuchsen, Mauern und Türme umstießen, zahlreiche Menschen und Zugtiere ertränkten und viele andere Schäden herbeiführten.[26]
Es scheint daher sinnvoll, nicht nur nach Hinweisen auf Wüstungsprozesse, sondern auch nach Berichten zu Infrastrukturschäden bzw. Baumaßnahmen zum Hochwasserschutz oder zur Wiederherstellung von Brücken in Rechnungs- und Urkundenbüchern zu suchen. Rainer Schreg etwa hat ein anschauliches Beispiel in einer Urkunde gefunden, das sich auf einen Rechtsstreit im Zusammenhang mit einer Hangrutschung in Esslingen im September 1342 bezieht.[27] Christian Rohr verweist auf eine Donaubegradigung größeren Umfangs beim Kloster Oberalteich.[28] Am 23. September 1342 gewährte Ludwig d. Bayer eine Erhöhung des Brückenzolls für Frankfurt am Main und umliegende Ortschaften für Wiederaufbaumaßnahmen.[29] Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass die Jahrtausendflut von 1342 der zentralen Katastrophe des 14. Jahrhunderts den Weg ebnete: Inwiefern die Ernteeinbrüche in der Folge von 1342 sowie die ebenfalls sehr feuchten, häufig von Nahrungsmangel gekennzeichneten Jahre unmittelbar vor Ausbruch der Pest zum verheerenden Impact des Schwarzen Todes in Europa beigetragen haben, müsste weiter erforscht werden.

Nach dieser tour de force durch viele denkbare Perspektiven auf die Magdalenenflut 1342 hört dieses Opusculum dort auf, wo sonst die eigentliche historische Arbeit erst einsetzen würde. Das aufgezeigte Panorama, und sei es noch so unvollständig und verkürzt, sollte m.E. Historiker/innen ermutigen, das Jahrtausendereignis von 1342 genauer in den Blick zu nehmen, um einerseits die relativ reichen Schriftquellen systematisch zu sammeln und zu analysieren und andererseits die wertvollen Anregungen benachbarter, aber auch fremder Disziplinen aufzugreifen und das Gespräch mit den Kollegen zu suchen. Erst mit ihrer Hilfe können wir die Tragweite der Magdalenenflut richtig einschätzen und ersehen, ob auch aus geschichtswissenschaftlicher Sicht von einem Jahrtausendereignis gesprochen werden sollte.

[2] Vgl. Urkundenbuch der Stadt Göttingen, Bd. 1: Bis zum Jahre 1400, hg. v. Karl Gustav Schmidt, Hannover 1863, Nr. 236

[4] Rainer Schreg: Die Krisen des Spätmittelalters: Perspektiven, Potenziale und Probleme der archäologischen Krisenforschung, in: Falko Daim; Detlef Gronenborn; Rainer Schreg (Hrsg.): Strategien zum Überleben. Umweltkrisen und ihre Bewältigung, Mainz 2011, S.197-214; Ders., Bodenerosion 1342 – ein Rechtsstreit in Esslingen, in: Archäologik, 19. Januar 2013 und Ders., Unwetterschäden im Raum Tübingen im Jahr 1342 (?), in: Archäologik, 28. August 2013; Udo Recker: Wüstungserscheinungen im Kontext mittelalterlicher Unweltkrisen und Risiken, in: Falko Daim; Detlef Gronenborn; Rainer Schreg (Hrsg.): Strategien zum Überleben. Umweltkrisen und ihre Bewältigung, Mainz 2011, S.197-214

[5] Josef H. Reichholf: Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, Frankfurt/Main 2007, S.  53f.; Rüdiger Glaser: Klimageschichte Mitteleuropas. 1200 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen, 2. aktual. und erw. Auflage, Darmstadt 2008, S. 230f. Umwelthistorische Werke: Wolfgang Behringer: Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung, Bonn 2007, S. 146; Christian Rohr: Extreme Naturereignisse im Ostalpenraum. Naturerfahrung im Spätmittelalter und am Beginn der Neuzeit, Köln; Weimar; Wien 2007, S. 226-228.

[7] Curt Weikinn: Quellentexte zur Witterungsgeschichte Europas von der Zeitenwende bis zum Jahre 1850. Hydrographie, Teil 1 (Zeitenwende – 1500), Berlin 1958 sowie fünf weitere Bände bis 1850. Dass damit nur 20% der Weikinnschen Sammlung ausgewertet wurden, lässt sich der Website eines abgeschlossenen Projekts der Sächsischen Akademie der Wissenschaften entnehmen. Es bleibt nur zu hoffen, dass eine baldige Veröffentlichung der dadurch erschlossenen meteorologischen Daten von Weikinn kurz bevorsteht.

[8] Vgl. Pierre Alexandre: Le Climat en Europe au Moyen Age. Contribution à l’histoire des variations climatiques de 1000 à 1425, d’après les sources narratives de l’Europe occidentale, Paris 1987, S. 467-470.

[9] So z.B. ein zufällig durch den Autor gefundener Beleg für Kloster Corvey im Weserland: Anno Domini 1343 [sic!] fuit diluvium aque et inundavit monasterium et castrum istut et fecit dampnum magnum undique et fames diu erat in terra. (Corveyer Abtskatalog von 1467, in: Friedrich Philippi; Otto Grotefend: Neue Quellen zur Geschichte Westfalens in Handschrift 861 der Leipziger Universitätsbibliothek, in: Westfälische Zeitschrift 60 (1902), S. 108-156, hier S. 144). Die Jahresangabe muss korrekt natürlich 1342 lauten.

[10] Zu verweisen wäre auf eine Gedenkinschrift am Würzburger Hof ‚Zum großen Löwen‘: DI 27, Die Würzburger Inschriften bis 1525. Auf der Grundlage des Nachlasses von Theodor Kramer unter Mitarbeit von Franz Xaver Hermann, bearbeitet von Karl Borchardt, Wiesbaden 1988, Nr. 61 u. Abb. 34. Auch auf einem Steinquader der Kirche St. Blasius in Hann.-Münden findet sich ein eindrucksvoller Beleg: DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 9 (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0000901. Eine nur schriftlich belegte Flutmarke in derselben Stadt: DI 66, Lkr. Göttingen, Nr. 10† (Sabine Wehking), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di066g012k0001007.

[11] Vgl. Gauger, Hochwasser und ihre Folgen (wie Anm. 3), S. 100; Zbinden, Magdalenen-Hochwasser (wie Anm. 6), S. 200.

[12] Vgl. Glaser, Klimageschichte (wie Anm. 5), S. 230.

[13] Vgl. Rohr, Extreme Naturereignisse (wie Anm. 5), S. 226.

[14] Vgl. Zbinden, Magdalenen-Hochwasser (wie Anm. 6), S. 200.

[15] Vgl. dazu die Datenbank Global Volcanism Program:  Denkbar wäre ein nur sehr grob auf 1340 datierter, massiver Ausbruch des Mont Pélee auf Martinique (Karibik) (Eruption No 12424) oder des isländische Hekla (Eruption No 12726).

[16] Vgl. nur ein Beispiel: Peter Schuster, Die Krise des Spätmittelalters. Zur Evidenz eines sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Paradigmas in der Geschichtsschreibung des 20 Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 269 (1999), S. 19-55

[17] Vgl. Zbinden, Magdalenen-Hochwasser (wie Anm. 6), S. 197f., verweisend auf Gerd Tetzlaff, Michael Börngen, Manfred Mudelsee, Armin Raabe: Das Jahrtausendhochwasser von 1342 am Main aus meteorologisch-hydrologischer Sicht, in: Wasser&Boden 54 (2002), S. 41–49

[19] Vgl. z.B. die Konsequenzen für die Schweizerischen Atomkraftwerke und deren Hochwasserschutz, die sich aus den Ergebnissen einer historischen Rekonstruktion seit dem Beginn des Spätmittelalters ergeben müssten: Oliver Wetter, Christian Pfister, Rolf Weingartner, Jürg Luterbacher, Tom Reist & Jürg Trösch (2011): The largest floods in the High Rhine basin since 1268 assessed from documentary and instrumental evidence, in: Hydrological Sciences Journal 56/5 (2011), S.733-758

[20] Hans-Rudolf Bork; Arno Beyer; Annegret Kranz: Der 1000-jährige Niederschlag des Jahres 1342 und seine Folgen in Europa, in: Falko Daim; Detlef Gronenborn; Rainer Schreg (Hrsg.): Strategien zum Überleben. Umweltkrisen und ihre Bewältigung, Mainz 2011, S. 231-242; Hans-Rudolf Bork u.a.: Spuren des tausendjährigen Niederschlags von 1342, in: Ders. (Hg.): Landschaften der Erde unter dem Einfluss des Menschen, Darmstadt 2006, S. 115–120;  Hans-Rudolf Bork; Markus Dotterweich: Jahrtausendflut 1342, in: Archäologie in Deutschland 4 (2007), S. 20-23; Hans-Rudolf Bork u.a.: Landschaftsentwicklung in Mitteleuropa. Wirkungen des Menschen auf Landschaften, Gotha 1998, hier v.a. S. 226-251.

[21] „Von 1313 bis 1348 wurden in Deutschland zusammen 34 Mrd. t Boden erodiert – etwa die Hälfte des gesamten mittelalterlich-neuzeitlichen Bodenabtrags. Die ackerbaulich genutzten, von Bodenerosion betroffenen Flächen Deutschlands wurden von 1310 bis 1350 im Mittel um etwa 25 cm tiefer gelegt.“ (Ebd., S. 230).

[22] So z.B. die Untersuchung des Schalkenmehrener Maars, vgl. Frank Sirocko (Hg): Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung. Von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert, Darmstadt 2009, S. 167f.

[23] Das gut untersuchte Beispiel findet sich im ostelbischen Ausbaugebiet, in der sog. Wolfsschlucht bei Pritzhagen (Barnim, Brandenburg). Vgl. Bork, Landschaftsentwicklung (wie Anm. 20), S. 66-75. Ähnliche Kerbtäler sind etwa die sog. ‘Rummeln’ im Hohen Fläming, ebenfalls einer von massiven Wüstungsprozessen im Spätmittelalter veränderten Landschaft, die im Ausbauprozess v.a. durch große Getreideanbauflächen auf der Hochebene gekennzeichnet war.

[24] Die Grabung zwischen Rüdershausen und Gieboldeshausen war der Ausgangspunkt der Beschäftigung Borks mit den spätmittelalterlichen Erosionsphänomenen, vgl. Bork, Landschaftsentwicklung (wie Anm. 20), S. 93-102.

[25] Eine echte Beweisführung über Zusammenhänge zwischen klimatischen Veränderungen und Wüstungen hat bisher nämlich seitens der Historiker noch nicht stattgefunden, auch nicht im einschlägig betitelten Artikel von Werner Rösener: Die Wüstungen des Spätmittelalters und die Klimafaktoren, in: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde 115 (2010), S. 57-77.  Ermutigende Befunde aber von archäologisch-naturwissenschaftlicher Seite: Markus Dotterweich;  Jochen Haberstroh: Bodenressourcennutzung und Klimawandel zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Barbara Scholkmann u.a. (Hg.): Zwischen Tradition und Wandel. Archäologie des 15. und 16. Jahrhunderts, Büchenbach 2009 (Tübinger Forschungen zur historischen Archäologie 3), S. 501-510

[26] Nam pluvis a coelo descentibus et aquis de terra emergentibus ruinis aggerum ruptis, fontibus et torrentibus supereffluentibus, flumina levaverunt aquas suas ita, ut metas suas transcendentes non solum segetes et multa viventia in agris, verum etiam ipsos agros et vias dissiparent, castra, civitates, villas et ecclesias intrarent, super altaria ascenderent, muros, domos, turres everterent, plures hominess et jumenta submergando necarent et alia plura damna (De Origine et Abbatibus Monasterii Luccensis, in: Gottfried Wilhelm Leibniz (Hg.): Scriptores Brunsvicensiusm illustrationi inservientes. Bd. 3, Hannover 1711, S. 690-699, hier: 695). Übersetzung nach Christoph Erich Weidemann, Geschichte des Klosters Loccum, hg. v. Friedrich Burchard Köster, Göttingen 1822. Mit ganz ähnlichem Tenor, wenn auch weniger konkret Johann von Viktring, Liber certarum historiarum (MGH SSrG 36, 2) Buch 6, Kapitel 11, S. 225f.

[28] Vgl. Rohr, Extreme Naturereignisse (wie Anm. 5), S. 227, 364f.; RI VII, H. 1,3, Nr. 591; RI VIII, H. 3, Nr. 533

[29] Vgl. Johann Friedrich Böhmer (Hg.): Codex diplomaticus Moenofrancofurtanus. Urkundenbuch der Reichstadt Frankfurt, Frankfurt /Main 1836, S. 578f. Den Hinweis auf die erste der beiden Urkunden verdanke ich Frau Ulrike Fliege (Darmstadt).

Citation: Martin Bauch: Die Magdalenenflut 1342 – ein unterschätztes Jahrtausendereignis?, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 04. Februar 2014, http://mittelalter.hypotheses.org/3016 (ISSN 2197-6120).

 

 

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/3016

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