“Danke für die freundliche Einführung”, “Vielen Dank für die anregenden Kommentare”, “Ich danke ihnen für die weiterführenden Hinweise”, “Danke, ich werde das gerne aufnehmen” – danke, danke, danke und nichts für ungut in den Geisteswissenschaften. Es gibt eine Reihe von Floskeln, um die im Tagungsbetrieb niemand herumzukommen scheint; Formulierungen, die ihm ins akademische Brevier geschrieben wurden und zwar von Studentenbeinen an.
Verkapselung
Aber was verbirgt sich dahinter eigentlich? Ist es nicht begrüßenswert, dass KollegInnen, einander mit Respekt begegnen? Dass jeder tun und sagen kann, was er tun und sagen möchte, solange der eigene Auftritt davon nicht gestört wird? Etwas ketzerisch jetzt: Man könnte meinen, die Dankesbekundungen auf Tagungen seien mit dem heimlichen Wunsch verknüpft, in Bezug auf den eigenen Vortrag nicht weiter beunruhigt werden zu wollen – und zwar, indem man die Vorredner auch nicht weiter beunruhigt. Im Grunde ist mit diesem gegenseitigen Nichtangriffspakt aber etwas anderes angesprochen – das Verhältnis zur Öffentlichkeit nämlich, die Frage also, wie die Relevanz des jeweiligen Fachs innerhalb und außerhalb der eigenen Reproduktionszyklen ermittelt wird, wenn sie denn überhaupt ermittelt wird. Dass es besonders in Disziplinen mit starkem Theoriebezug einen Hang zur Verkapselung gibt, liegt in der Natur der Sprache, die sie verwendet, aber eben nicht nur. Dass eine außerakademische Öffentlichkeit überhaupt als adressierbar vorstellbar wird, scheint in den Geisteswissenschaften keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein. Theorieexporte in andere Fächer oder Lebensbereiche, das heißt in andere Denk- und Methodenfelder sind selten.
Die Motten und das Licht
Kürzlich auf einer Berliner Tagung zu den historischen Funktionen des geisteswissenschaftlichen Sachbuchs kam es zu einem denkwürdigen Zwischenfall. Ein junger Wissenschaftshistoriker referierte zu Theoriemoden. Seine Historisierung bestimmter Denkstile innerhalb der deutschen Universität bestach durch gut platzierte Pointen, präzise eingesetztes Bildmaterial und eine elegante Rhetorik. Nun waren alle Tagungsbeiträge so angelegt, dass jeweils ein Kollege darauf zu replizieren hatte. Die meisten bedankten sich allerdings nur und hielten anschließend Co-Referate. Im beschrieben Fall passierte etwas Ungewöhnliches. Ein älterer Germanist aus Siegen ging nach anfangs väterlichem Lob für seinen Vorredner in eine angriffslustige Stilkritik über. Er extrapolierte ein paar süffige Stellen aus früheren Aufsätzen des jüngeren Kollegen, etwa solche, in denen davon die Rede war, die akademische Linke hätte sich vom “Jet-Set-Christdemokraten” Niklas Luhmann angezogen gefühlt wie Motten vom Licht. So eine rhetorische Distanzierungsmaßnahme sei zwar hübsch zu lesen, dem Gegenstand aber kaum angemessen, meinte der Ältere. Darf man so etwas? Süffig schreiben? Metaphern als ironische Stilsignale in eine seriöse Forschungsarbeit implementieren? Die “Stilpolizei!”, sah nun ein Geschichtsprofessor aus Luzern am Werk. Irritiert versuchte der inkriminierte Kulturwissenschaftler seinen teilweise feuilletonistischen Schreibstil zu verteidigen. In Bezug auf sein bald erscheinendes Buch gab er zu, dass es ihm schwer gefallen sei, einen „angemessenen“ Ton zu finden, der sowohl der Dignität des Theorie-Themas als auch seinem anekdotischen Potenzial gerecht geworden wäre.
Willemsen, Precht, Sloterdijk
Auch wenn man die etwas plumpe Stilkritik des Germanisten altbacken finden konnte, so lag in ihr doch ein gewisses Diskussionspotenzial. Denn es lässt sich an eine solch sprachkritische Aufwallung doch die Frage gut knüpfen, was für Typen von öffentlich agierenden Intellektuellen es in Deutschland überhaupt gibt. Da wären zum einen die (freiwillig oder unfreiwillig) aus dem akademischen Betrieb Ausgeschiedenen vom Schlage eines Roger Willemsen, der sein schlummerndes Showtalent auf ziemlich überzeugende Weise mit intellektueller Kompetenz zu koppeln weiß. Ein anderes Beispiel wäre Richard David Precht, bei dem der volkspädagogische Impuls im Vordergrund steht, was zwar zu Lasten der wissenschaftlichen Akkuratesse geht, aber eine Breitenwirkung nach sich zieht, die in den Geisteswissenschaften derzeit ihresgleichen sucht. Zuletzt gibt es noch ein paar institutionell eher auf Abwegen wandelnde Figuren wie Peter Sloterdijk, die aber schon wieder kaum jemand außerhalb des akademischen Feldes kennt. Ein paar Professoren mit Standleitung ins deutsche Feuilleton wie neuerdings Harald Welzer haben sich auf Zeitdiagnostik verlegt. Wo soll sich die disziplinär gebettete GermanistIn, Theorie- oder IdeengeschichtlerIn in diesem Spektrum einordnen? Mit welchem Ziel? Und vor allem: in welcher Sprache?
Antiöffentliches Schreiben
Die Zeit der bürgerlichen Buchgelehrsamkeit ist jedenfalls an ihr Ende gekommen. Auch scheint Theoriebildung heute nicht mehr an eine politische Erlebniskultur à la 68 gekoppelt zu sein. Heißt das für die Geisteswissenschaften den endgültigen Rückzug in die Intimität des jeweiligen Fachs, das den Kontakt zum akademischen Außen längst verloren hat, weil es nach der Anschlussfähigkeit der von ihm aufgeworfenen Fragen an außerfachliche Sphären gar nicht mehr fragt? Nicht einmal zehn Prozent des Umsatzes im Bereich staatlich subventionierter Sachbücher wird heute über den Buchhandel generiert, konnte man auf der Berliner Tagung erfahren. Das heißt im Klartext: Obwohl so viel Wissenschaftsprosa wie nie produziert wird, nimmt kaum ein Laie je Kenntnis davon – bei der schieren Menge dessen, was heute an Universitäten publiziert wird, muss das zwar kein kulturelles Verfallssymptom sein, aber absurd ist die Vorstellung, dass da offensichtlich notorisch und irgendwie auch unhinterfragt für eine Antiöffentlichkeit geschrieben wird, schon.
Was hat das alles mit den dankenden Rückversicherungen dafür zu tun, dass man sich im Format der Fachtagung wohl in einer Art Reservat zu befinden meint? Ziemlich viel. Denn Dankbarkeit kann, wie gesagt, auch eine Verabredung zur Untätigkeit sein.
Literatur
- Kaube, Jürgen: Denken zwischen Mülltrennung und Notaufnahme. Über das wissenschaftliche Sachbuch, in Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 16.3.2012, online.
- Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt a.M. 1991 (frz. EA 1971).
- Bourdieu, Pierre: Homo academicus, Frankfurt a.M. 1988 (frz. EA 1984).
Externe Links
- Programm der Tagung “Geist im Buch. Historische Formen und Funktionen des Buchs in den Geisteswissenschaften” v. 3.-5.4.2014 in Berlin, http://geistimbuch.wordpress.com/programm/ (zuletzt am 8.5.2014)
- DFG-Schwerpunktprogramm 1409 “Wissenschaft und Öffentlichkeit”, http://wissenschaftundoeffentlichkeit.de (zuletzt am 8.5.2014)
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Abbildungsnachweis
Tagungsraum eines Schlosses. © Thomas Bornschein (2007) / Pixelio.de
Empfohlene Zitierweise
Teutsch, Katharina: Danke und nichts für ungut! Geisteswissenschaften ganz bei sich. In: Public History Weekly 2 (2014) 15, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-2021.
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