Gelesen: Als die Karpfen fliegen lernten (2015)

Mitte der 1980er Jahre war Als hundert Blumen blühen sollten von Yue Daiyun [Yuè Dàiyún 乐黛云][1] eine Sensation: Eine Chinesin schildert  offen ihr Leben in der Volksrepublik China – von ihrer Verurteilung während der Kampagne gegen Rechtsabweichler[2] über die Kulturrevolution  bis zur Rehabilitierung in den 1980ern. Trotz allem, was Yuè durchgemacht hatte[3] bleibt sie der Partei gegenüber loyal:

Ich würde mich am Neuaufbau der Partei beteiligen, denn ich war überzeugt, daß nur sie, welche Fehler sie auch immer begangen haben mochte, China vorwärts bringen konnte […][4]

Während Yuè ungebrochen an der Partei festhält, entstehen die  meisten der seit den späten 1980er Jahren erschienen Autobiographien und Familienbiographien (und romanhaften (Auto-)biographien) von Chinesinnen und Chinesen, nachdem die Autorinnen und Autoren China verlassen haben. In den 1990er und frühen 2000er Jahren wurde eine Vielzahl derartiger Texte veröffentlicht.  Während das Interesse im angloamerikanischen Raum anzuhalten scheint, hat es im deutschen Sprachraum etwas nachgelassen.

Das bekannteste Beispiel ist Wilde Schwäne (1991) von Jung Chang [Zhāng Róng 張戎][5].  Weitere Beispiele (nota bene ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Anchee Min [Mín Ānqí  閔安琪]: Rote Azalee (1994).

    [...]

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/2168

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Die Kraft der Bilder: “Das Lied der Fischer” 漁光曲 (1934)

Anfang der 1930er Jahre unternahm die Regierung Chiang Kai-shek  [Jiǎng Jièshí] 蔣介石 alles, um den Einfluss der linksgerichteten Filmstudios in China zurückzudrängen. Waren es zunächst Zensurmaßnahmen, Aufführungsverbote und Verbote  linksgerichteter Vereinigungen., kam es 1934 zu einer Verhaftungswelle und zahlreichen Mordanschlägen.[1] Trotz der schwierigen Situation wurde in diesem Jahr ein Film eines linksgerichteten Filmemachers zum Publikumserfolg.

Still frame from: Song of the Fishermen (漁光曲)
Song of the Fishermen 漁光曲 (1934) Internet Archive

Yúguāng qū 漁光曲[“Das Lied der Fischer”/”Song of the Fishermen”] von Cài Chǔshēng  蔡楚生 (1906-1968)  erzählt die Geschichte einer Fischerfamilie nach dem Tod des Vaters. Cài Chǔshēng  蔡楚生 verzichtet auf plumpe Agitation und jede Form der Indoktrination, die Wirkung entsteht allein aus der Kraft der Bilder. Das Publikum soll sich mit dem Schicksal der dargestellten ‘einfachen’ Leute identifizieren.

Der Film steht zwischen Stummfilm und Tonfilm, der Film kommt ohne gesprochene Dialoge aus, doch die Filmmusik (vor allem das Titellied Yúguāng qū 漁光曲) trägt entscheidend zur Wirkung bei.[2]

Yúguāng qū 漁光曲 war der erste chinesische Film, der bei einem internationalen Festival einen Preis errang: einen Spezialpreis beim Moskauer Filmfestival 1935.[3]

Der Film im Internet Archive:

 

  1. Dazu einführend Stefan Kramer: Geschichte des chinesischen Films (Stuttgart/Weimar: Metzler 1997), 23 f.
  2. S. dazu: Dorothea Charlotte Rusch;  Ideologische Schlager in chinesischen Filmen der 1930er Jahre:  “Siji ge” 四季歌, “Yuguang qu” 渔光曲 und “Dalu ge” 大路歌 (Magisterarbeit, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, SS 2013), 64-68.
  3. Kramer (1997), 24. S. auch Rusch (2013)  8.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/2039

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Die Kraft der Bilder: “Das Lied der Fischer” 漁光曲 (1934)

Anfang 1930er Jahre unternahm die Regierung Chiang Kai-shek  [Jiǎng Jièshí] 蔣介石 alles, um den Einfluss der linksgerichteten Filmstudios in China zurückzudrängen. Waren es zunächst Zensurmaßnahmen, Aufführungsverbote und Verbote  linksgerichteter Vereinigungen., kam es 1934 zu einer Verhaftungswelle und zahlreichen Mordanschlägen.[1] Trotz der schwierigen Situation wurde in diesem Jahr ein Film eines linksgerichteten Filmemachers zum Publikumserfolg.

Still frame from: Song of the Fishermen (漁光曲)
Song of the Fishermen 漁光曲 (1934) Internet Archive

Yúguāng qū 漁光曲[“Das Lied der Fischer”/”Song of the Fishermen”] von Cài Chǔshēng  蔡楚生 (1906-1968)  erzählt die Geschichte einer Fischerfamilie nach dem Tod des Vaters. Cài Chǔshēng  蔡楚生 verzichtet auf plumpe Agitation und jede Form der Indoktrination, die Wirkung entsteht allein aus der Kraft der Bilder. Das Publikum soll sich mit dem Schicksal der dargestellten ‘einfachen’ Leute identifizieren.

Der Film steht zwischen Stummfilm und Tonfilm, der Film kommt ohne gesprochene Dialoge aus, doch die Filmmusik (vor allem das Titellied Yúguāng qū 漁光曲) trägt entscheidend zur Wirkung bei.[2]

Yúguāng qū 漁光曲 war der erste chinesische Film, der bei einem internationalen Festival einen Preis errang: einen Spezialpreis beim Moskauer Filmfestival 1935.[3]

Der Film im Internet Archive:

 

  1. Dazu einführend Stefan Kramer: Geschichte des chinesischen Films (Stuttgart/Weimar: Metzler 1997), 23 f.
  2. S. dazu: Dorothea Charlotte Rusch;  Ideologische Schlager in chinesischen Filmen der 1930er Jahre:  “Siji ge” 四季歌, “Yuguang qu” 渔光曲 und “Dalu ge” 大路歌 (Magisterarbeit, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, SS 2013), 64-68.
  3. Kramer (1997), 24. S. auch Rusch (2013)  8.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/2039

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China-News: Yuan Shikai am Opfergelände des Himmels (1914/1915)

Das Opfergelände des Himmels (Tiāntán天壇) , in westlichen Darstellungen in der Regel vereinfachend und irreführend als “Altar des Himmels”/”Himmelsaltar” beziehungsweise “Himmelstempel” bezeichnet,[1] war der Ort, an dem die Kaiser drei der “großen Opfer” [dà sì 大祀] des Staatskultes vollzogen: im ersten Monat qígǔ 祈榖 ["Gebet für eine Reiche Ernte"], im vierten Monat yúsì 雩祀 ["Opfer der Bitte um Regen"] und im elften Monat dōngzhì 冬至 ["Wintersonnenwende"].[2] Das Ende der Qing-Dynastie 1912 bedeutete das Ende des Staatskults – und das Ende der Opferriten.

In den Machtkämpfen, die die ersten Jahre der Republik China kennzeichneten, griff Yuán Shìkǎi  袁世凱 (1859-1916), der seit 10.3.1912 Präsident der Republik war,  noch einmal auf die alten Rituale zurück[3] und vollzog am 23. Dezember 1914, zur Wintersonnenwende, die Opfer auf dem Opfergelände des Himmels.

Runder Hügel auf dem Opfergelände des Himmels, Beijing – Foto: Georg Lehner

Runder Hügel auf dem Opfergelände des Himmels, Beijing – Foto: Georg Lehner (2011)

Fast zwei Monate danach, im Februar 1915, finden  sich in österreichischen Lokal- und Regionalzeitungen kurze Artikel dazu, unter anderem ”Wie Jüanshikai dem Himmel opfert” in Der Arbeiterwille vom 9. Februar 1915[4] und “Juanshikkai als Hohepriester” in der Linzer Tages-Post vom 19. Februar[5]

Beide Artikel dürften auf einem Bericht der Daily News basieren, auf den in Der Arbeiterwille explizit verwiesen wird. Zur Bedeutung der Opfer heißt es in Der Arbeiterwille:

[...] Zum erstenmal in der Geschichte Chinas wurde dabei das heilige Opfer nicht von einem Kaiser dargebracht. Der Präsident bewies dadurch, daß er sich als den rechtmäßigen Nachfolger der chinesischen Herrschaft betrachtet. Der Präsident bewies dadurch, daß er sich als den rechtmäßigen Nachfolger der chinesischen Herrschaft betrachtet. Denn ein Machthaber, der im Himmelstempel die Opfer nach ritueller Sitte darbringt, ist für das chinesische Volk der Kaiser, da mit dem Himmelsopfer auf ihn das Ming[6] das Gottesgnadentum, übergeht.[7]

Die Überlegung, dass Yuán Shìkǎi mit der Vollziehung der Riten zur Wintersonnenwende seinen Herrschaftsanspruch demonstrieren (und legitimieren) wollte, passt zu Zeitungsmeldungen im Januar 1915, Yuán Shìkǎi habe ein Gesetz durchgebracht, das ihm das Präsidentenamt auf Lebenszeit sichern sollte.

Obwohl die alten Rituale befolgt wurden, gab es doch Unterschiede, die Der Arbeiterwille im Detail auflistet:

  • Yuán wäre “in einem Panzerautomobil” schnell gefahren, die Kaiser wören “zum Opferfest [...] stets in einem von Elefanten gezogenen Wagen langsam dahergefahren.”
  • “Der Präsident vollzog auch nicht den vorschriftsmäßigen Kotau, sondern verbeugte sich nur vor dem Altar, vor dem die Kaiser sich der Länge nach hingeworfen hatten.”
  • Auch bei der Vorbereitung hätte sich Yuán die Sache erleichtert: “Die Kaiser hatten auch stets [...] die ganze Nacht in einem neben dem Altar gelegenen Saal verbracht in tiefem Nachdenken und strengem Fasten [...]“. Yuán hingegen “war im ganzen nicht mehr als eine Stunde von seinem Palast abwesend.”[8]

Beide Berichte beschäftigen sich ausführlich mit den Sicherheitsvorkehrungen, die zum Schutz des Präsidenten notwendig waren:

Der erwählte Vertreter des Volkes, der es von der Mandschu-Herrschaft befreit hat, befindet sich täglich und stündlich in größter Lebensgefahr. [...] Der Präsident fürchtet die Rache der Jungchinesen, die auf alle erdenklichen Mittel sinnen, um ihn aus dem Wege zu räumen.[9]

Mit den hier angesprochenen “Jungchinesen” sind die Anhänger der Reformbewegung der 1890er und der Revolutionäre von 1911, die Yuán für einen Verräter hielten, der nur danach strebte, sein diktatorisches Regime zu festigen. Obwohl es Yüan sich schließlich selbst unter der Devise Hóngxiàn 洪憲 selbst zum “Kaiser des Kaiserreichs China” (Zhōnghuá Dìguó Dà Huángdì 中華帝國大皇帝) machte, blieben die Opfer zur Wintersonnenwende 1914 die letzten am Opfergelände des Himmels.

 

  1. S. dazu auch: Georg Lehner: “Das Opfergelände des Himmels und der konfuzianische Staatskult“. Zur Funktion der Opfergelände: Lei Gao/Jan Woudstra: “From landscape of gods to landscape of man: Imperial altars in Beijing.” In: Studies in the History of Gardens & Designed Landscapes Vol. 31 (2011) Nr. 4, 231-268 – DOI: 10.1080/14601176.2011.587279.
  2. H.S. Brunnert, V. V. Hagelstrom: Present Day Political Organization of China (Shanghai: Kelly & Walsh, 1911) 203 (no. 572) – Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0.
  3. Zu den Gründen s. Peter Zarrow: “Political Ritual in the Early Repubic of China.” In: Kai-wing Chow; Kevin Michael Doak; Poshek Fu (eds.): Constructing nationhood in modern East Asia (Ann Arbor: University of Michigan Press, 2001) 149-188, speziell 151-153.
  4. Der Arbeiterwille Nr. 40 (9.2.1915) 6 f. – Online: ANNO.
  5. Tages-Post (Linz) Nr. 48 (19.2.1915) 3 – Online: ANNO.
  6. D.i. tiānmìng 天命 ["Mandat des Himmels"],
  7. Der Arbeiterwille Nr. 40 (9.2.1915) 6 – Online: ANNO.
  8. Der Arbeiterwille Nr. 40 (9.2.1915) 7. – Online: ANNO.
  9. Tages-Post (Linz) Nr. 48 (19.2.1915) 3 – Online: ANNO.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1838

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Ein Bild sagt mehr …: Das “Alte Observatorium von Beijing” vom 17. Jh. bis ins 21. Jh.

Der aktuelle Header von mind the gap(s) basiert auf einem Foto, das im September 2011 in Beijing entstand:

Beijing, September 2011

Beijing, September 2011 | © Georg Lehner

Das Bild blickt vom Straßenniveau hinauf auf das Běijīng gǔ guānxiàngtái 北京古觀象台, auf das “Alte Observatorium von Beijing”, genauer: zu den Instrumenten auf dem Beobachtungsturm dieses Observatoriums. Dieser Beobachtungsturm  stammt aus der Ming明-Dynastie 1442, doch schon in der Yuan 元-Zeit befande sich in dem Bereich ein Observatorium.

Das Observatorium wurde laufend erneuert und seine Ausstattung verbessert, zuletzt im siebtzehnten und achtzehnten Jahrhundert durch Jesuitenmissionare, die für die Berechnung des Kalenders zuständig waren. Nach der Unterdrückung der Yihetuan 義和團-Bewegung wurde das Observatorium von den Alliierten Truppen geplündert.[1] Die Beutestücke wurden von Frankreich 1902 zurückgegeben, von Deutschland 1921.[2]

Heute befinden sich auf der Plattform acht Instrumente aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert:

  • die Neue Armillarsphäre (1744)
  • ein Quadrant (1673)
  • ein Himmelsglobus (1673)
  • eine  ekliptische Armillarsphäre (1673)
  • ein Altazimut-Instrument (1673)
  • ein Azimutal-Theodolit (1715)
  • ein Sextant (1673)
  • eine äquatoriale Armillarsphäre (1673)

Die Instrumente aus dem 17. Jahrhundert stammen von Ferdinand Verbiest, S.J., der 1669 die Leitung des kaiserlichen Kalenderamtes übernommen hatte und 1673 einige der Instrumente erneuerte (Altazimut, Himmelsglobus, ekliptische Armillarsphäre, äquatoriale Armillarsphäre, Quadrant und Sextant), der Azimutal-Theodolit von Kilian Stumpf (1655-1720) und die Neue Armillarsphäre von Ignaz Koegler, S.J. (1680-1746) und Augustin Hallerstein, S.J. (1703-1774).

Das Bild im Header zeigt Teile von drei Instrumenten: (von links:) der äquatorialen Armillarsphäre[3], des Altazimut-Instruments[4] und des Azimuth-Theodoliten[5].

Die äquatoriale Armillarsphäre und das Altazimut-Instrument sind in einigen von Ferdinand Verbiests Werken abgebildet, unter anderem im  新製儀象圖 [Xinzhi yixiang tu[6], und im Compendium proponens XII posteriores figuras Libri observationum, nec non priores VIII figuras Libri organici. Astronomia europaea sub imperatore Cám Hý ex umbra in lucem revocata][7], s. äquitoriale Armillarsphäre 赤道經緯儀 [chìdào jīngwěiyíund Altazimut-Instrument  地平經儀 [dìpíngjīngyí].

Einen Gesamteindruck von der Situation 1673 gibt Verbiest mit einer Abbildung der Beobachtungsplattform:.

新製儀象圖 Xin zhi yi xiang tu. Liber organicus Astronomię Europęę apud Sinas

新製儀象圖 Xin zhi yi xiang tu. Liber organicus Astronomię Europęę apud Sinas (1668) | Quelle: gallica[8]

Im Atlas général de la Chine, de la Tartarie chinoise, et du Tibet (1790 ?)[9], einer um einige Tafeln ergänzten Neuauflage des Nouvel atlas de la Chine, de la Tartarie chinoise, et du Thibet (1737)[10],  findet sich eine Abbildung des “Observatoire de Peking” … allerdings seitenverkehrt:

Jean-Baptiste Bourguignon d’Anville: Observatoire de Peking. Via Wikimedia Commons.

Im 19. Jahrhundert machten einige der ersten Photographen, die in China arbeiteten, Aufnahmen vom Observatorium, darunter: John Thomson (1837-1921) “Peking Observatory.” (1874), Thomas Child (1841-1898): “Bronze armillary, Peking Observatory, 1875″ (1875) und “Some instruments on top of the observatory (Pekin).” (1890). Damals ragte der Beobachtungsturm über die Umgebung hinaus, während dermächtige Bau heute neben Stadtautobahnen und Hochhäusern fast unscheinbar wirkt und sich erst auf den zweiten Blick (und nach dem Aufstieg über eine steile Treppe) erschließt.

  1. Eine englische Aufnahme gibt einen Eindruck vom Observatorium vor der Plünderung: National Archives, Image ID 26564: Astronomical instruments in the Imperial Observatory on the city wall, Peking (1900).
  2. Vgl. die kurzen Anmerkungen bei Joseph Needham, Science and Civilisation in China: Volume 3, Mathematics and the Sciences of the Heavens and the Earth (Cambrige et al., Cambridge University Press 1959) p. 451 n. g. Zu der Debatte um die Rückgabe der Instrumente in den 1910er Jahren s. W. W. Campbell: “Kaiser Wilhelm as a Pillager in Boxer Days; He Refused to Return China’s Astronomical Instruments, Though France Set an Example, and Used Them to Ornament Potsdam Palace Grounds”. New York Times, January 06, 1918, , Section The New York Times Magazine, Page 71. Zu den Instrumenten in Potsdam s. Rolf Müller: “Die astronomischen Instrumente des Kaisers von China in Potsdam”, in: Atlantis, Heft 2 (Februar 1931), S. 120 f.
  3. S. dazu: Marilyn Shea: Equatorial Armilla – 1673 – 赤道经纬仪 <zuletzt abgerufen am 28.6.2014>.
  4. S. dazu: Marilyn Shea: Altazimuth – 地平经仪 <zuletzt abgerufen am 28.6.2014>.
  5. Marilyn Shea: Azimuth Theodolite 地平经纬仪 <zuletzt abgerufen am 28.6.2014>.
  6. 新製儀象圖 Xin zhi yi xiang tu. Liber organicus Astronomię Europęę apud Sinas Restitutę sub Imperatore Sino-Tartarico Cām-Hȳ appellato Auctore P. Ferdinando Verbiest Flandro-Belga Brugensi E Societate Jesu Academię Astronomicę In Regia Pekinensi Pręfecto Anno Salutis MDCLXVIII ([Beijing] [1674] – Digitalisat: gallica. Digitalisate aller Drucke: Museum of the History of Science [in sehr guter Qualität].
  7. Ferdinand Verbiest: Compendium proponens XII posteriores figuras Libri observationum, nec non priores VIII figuras Libri organici. Astronomia europaea sub imperatore Cám Hý ex umbra in lucem revocata (Pekini: [s.n.] 1678) – Digitalisate: gallica, [relativ bescheidene Bildqualität] Universiteit Antwerpen, Erfgoedbibliotheek Hendrik Conscience [gute Bildqualität].
  8. Diese Abbildung findet sich auch im [Compendium proponens XII posteriores figuras Libri observationum, nec non priores VIII figuras Libri organici. Astronomia europaea sub imperatore Cám Hý ex umbra in lucem revocata].
  9. Jean Baptiste Bourguignon d’Anville: Atlas général de la Chine, de la Tartarie chinoise, et du Tibet : pour servir aux différentes descriptions et histoires de cet empire  (Paris : Dezauche [1790?].
  10. Jean-Baptiste Bourguignon Anville:  Nouvel atlas de la Chine, de la Tartarie chinoise et du Thibet (La Haye: Scherleer 1737) – Digitalisate → Bibliotheca Sinica 2.0.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1581

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Zwei Sammlungen von China-Karikaturen (1900)

Die militärische Intervention zur Unterdrückung der Yihetuan 義和團-Bewegung (1900/01) war (wie an anderer Stelle ausgeführt) in den Zeitungen Europas das Thema des Sommers  des Jahres 1900, in allgemeinen Zeitungen, aber auch in satirisch-humoristischen Blättern – es ist daher wenig überraschend, dass schon zeitnah Sammlungen von China-Karikaturen erschienen. Zwei dieser Sammlungen sollen in diesem Beitrag vorgestellt werden.

Vermutlich Ende1900 gab der Journalist und Kunsthistoriker John Grand-Carteret (1850-1927) eine Sammlung von China-Karikaturen heraus. Der Titiel – Chinois d’Europe et chinois d’Asie : documents illustrés pour servir à l’histoire des
chinoiseries de la politique européenne de 1842 à 1900. (([John Grand Carteret:] Chinois d’Europe et chinois d’Asie : documents illustrés pour servir à l’histoire des chinoiseries de la politique européenne de 1842 à 1900. Recueillis et mis en ordre par John Grand-Carteret collectionneur ès-chinoiseries. (Paris : Libraire illustrée Montgredien, 1900). – Digitalisat → Bibliotheca Sinica 2.0.)) – erscheint etwas irreführend, denn es handelt sich um eine Sammlung von Karikaturen aus europäischen und amerikanischen Blättern.

Die rund 170 Karikaturen sind etwa 50 verschiedenen Blättern entnommen. Darunter finden sich viele der bekannten Blätter wie Punch (London), Le Charivari (Paris), Simplicissimus[1], Kladderadatsch[2], Puck (New York), Kikeriki[3], Figaro ((Digitalisiert bei ANNO -  S/W und in zum Teil eher schlechter Qualität.)) und Floh[4]. Darunter finden sich aber auch Blätter, die heute zum Teil vergessen sind: Papagallo (Bologna), Pasquino (Torino), Bolond Istök und Borsszem Jankö, El Cardo (Madrid) oder Humoristické listy[5]
Zu jeder Karikatur wird die Quelle – Titel der Zeitschrift und Datum – angegeben, Titel und Texte der einzelnen Karikaturen sind in französischer Übersetzung angeführt – wobei die Übersetzungen in manchen Fällen den ursprünglichen Text verzerren oder gar grob verfälschen …

Die Sammlung beginnt mit einigen französischen Karikaturen aus der Zeit des so genannten Zweiten Opiumkrieges (1856-1860) aus den späten 1850er und frühen 1860er Jahren, mit deutschen Karikaturen zur Reform der chinesischen Armeen aus den 1880er und 1890er Jahren und mit Karikaturen zur Europareise Li Hongzhangs. Der überwiegende Teil der Karikaturen bezieht sich auf die Ereignisse des Sommers 1900.

Ein deutschsprachiges Gegenstück ist das Album “Zopf ab” : die chinesische Affaire im Lichte der europäischen Karikatur[6]

In diesem Band finden sich neben Karikaturen aus satirisch-humoristischen Blättern Europas auch satirische Texte, die diesen Blättern entnommen sind. In der Regel wird nur der Titel des Blattes (häufig in Abkürzung) genannt, das genaue Datum fehlt.

Sammelalben wie die beiden hier vorgestellten zeigen, dass der China-Diskurs in der satirisch-humoristischen Publizistik weit über simple Bildchen von ‘kleinen gelben Männchen mit langem Zopf und komischer Kleidung’ hinausgeht. Texte und Bilder zeugen von Fakten- und Kontextwissen zu den Ereignissen in China, aber auch von Wissen um chinesische Besonderheiten (im weitesten Sinn) beim Publikum, denn kein Karikaturist hätte in seinen Arbeiten Markierungen verwendet, von denen er annehmen musste, dass das Publikum sie nicht spontan erkennt …

  1. Digital: simplicissimus.info.
  2. Digitalisat: UB Heidelberg.
  3. Digitalisiert bei ANNO-  S/W und in zum Teil eher schlechter Qualität
  4. Digitalisiert bei ANNO – der Floh war das erste Wiener Blatt mit farbigem Titelblatt, weshalb hier das (teilweise sehr schlechte)  S/W-Digitalisat kritisch anzumerken ist.
  5. Digitalisat: Ústav pro českou literaturu AV ČR.
  6. “Zopf ab” : die chinesische Affaire im Lichte der europäischen Karikatur (Berlin : Verlag von Dr. Eysler [1900]]. Digitalisat → Bibliotheca Sinica 2.0.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1502

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Ein Bild sagt mehr … (XXII): “The Germans to the Front” in zwei Karikaturen (1900, 1915)

Der Ausspruch “The Germans to the front” wurde im Sommer 1900 dem britischen Admiral Sir Edward Hobart Seymour (1840-1929) zugeschrieben. Seymour hatte im Juni 1900 versucht, von Tianjin aus auf Beijing vorzurücken, um die belagerten Gesandtschaften zu befreien, musste diesen Vorstoß jedoch abbrechen und nach Tianjin zurückkehren. Daraufhin soll er deutsche Soldaten vorgeschickt haben – eben mit der Aufforderung: “The Germans to the front!” Der Ausspruch wurde bald zum geflügelten Wort, Anspielungen darauf finden sich (nicht nur) in satirischen Blättern immer wieder. Zwei Beispiele sollen hier kurz vorgestellt werden.

Im Sommer 1900 dominierte in den österreichisch-ungarischen satirisch-humoristischen Blättern nur ein Thema: die Yihetuan 義和團-Bewegung (der sogenannte ‘Boxeraufstand’) und die militärische Intervention der acht Mächte zu ihrer Unterdrückung. Ein großer Teil von Figaro, Kikeriki, Floh und Humoristischen Blättern ist den Vorgängen in China und den Debatten über die Vorgänge in China in den Parlamenten Europas gewidmet. Obwohl das Deutsche Reich ungleich stärker in die Ereignisse involviert war, beschäftigen sich die großen satirisch-humoristischen Blätter wie Kladderadatsch, Simplicissimus und Der wahre Jakob doch eher verhalten mit dem Thema. Ein Beispiel ist die Titelkarikatur “Gute Freunde” im Beiblatt zum Kladderadatsch vom 12. August 1900.[1].

Kladderadatsch (Beiblatt), 12.8. 1900

Beiblatt zum Kladderadatsch, 12. August 1900 | UB Heidelberg

Das Bild zeigt eine etwas makabere Szene in einer Schlucht. In der Mitte liegen auf einer in den Fels gehauenen Treppe Totenschädel und Skelettteile. Am Kopf der Treppe sitzt ein Drache, der eine Art von Schatz (Kisten und Vasen) zu bewachen scheint.  Auf einer Klippe über der Schlucht kniet “Uncle Sam” und versucht, nach dem Schatz zu angeln. Im Vordergrund – mit dem Rücken zum Betrachter – sind zwei Figuren zu sehen: ein beleibter “John Bull”, der gerade dabei ist, sich anzuziehen – und “Michel”, ein Ritter mit gezücktem Schwert. “John Bull” spricht zum Ritter: “Vorwärts, Michel! Ich komme gleich nach.”

Im März 1915 findet sich im Kikeriki die Karikatur “Die Zukunft Chinas”

Kikeriki (7.3.1915)

Kikeriki (7.3.1915) | Quelle: ANNO

Dargestellt ist ein gefesselter Drache “China”, sein Kopf ist in einen Maulkorb gezwängt, seine Klauen sind an einen vierrdrigen Wagen genagelt, der Schwanz ist verknotet. Am Maulkorb ist mit einem Schloss eine Kette bestigt. Diese Kette hält eine durch Uniform und Gesichtszüge als japanisch markeirte Figur, die mit einer Peitsche auf den Drachen einschlägt. Im Hintergrund steht ‘Uncle Sam’ (erkennbar an Zylinder, Frack, gestreifter Hose und dem typischen Bart) und ‘John Bull’ (erkennnbar an der beleibten Gestalt im knappen Frack und am flachen Hut). Der Text zum Bild:

John Bull: Das dürfen wir uns nicht bieten lassen von Japan; da müssen unbedingt wieder Deutsche an die Front![2]

Der riesige Drache China ist gefesselt und dem kleinen Japan ausgeliefert. Auch hier ergibt sich aus dem Erscheinungsdatum der Kontext: die Verhandlungen über die Einundzwanzig Forderungen, die die japanische Regierung im Januar 1915 an China gerichtet hatte. Diese Forderungen hätten Japan de facto volle Kontrolle über die Mandschurei und über die Wirtschaft Chinas gegeben. Sohl die USA (“Uncle Sam”) als auch Großbritannien (“John Bull”) waren gegen jede Ausweitung des japanischen Einflusses in China.

Auffallend ist, dass im Kladderadatsch die Nationalallegorien “Uncle Sam”, “John Bull” und “Michel” durch Inserts benannt sind. Im Kikeriki ist zwar der Drache mit “China” bezeichnet, “Uncle Sam”/USA, “John Bull”/Großbritannien und Japan sind nur durch Kleidung, Körperform, Gesichtszüge, Haar- und Barttracht markiert. Beide Karikaturen ist eines gemeinsam: Sie funktionieren nur, wenn dem Betrachter der Ausspruch “The Germans to the front!” vertraut ist – im Sommer 1900 ebenso wie im März 1915.

 

 

  1. Beiblatt zum Kladderadatsch Nr. 32 (12. August 1900) [1].
  2. Kikeriki, Nr. 10 (7.3.1915), [8] – Online: ANNO.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1485

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Ein Bild sagt mehr … (XXI): “Das ostasiatische Geschäft” (1914)

Großbritannien und Japan waren seit dem Vertrag von 30.1.1902 Verbündete – und im August 1914 forderte Großbritannien die Hilfe des Verbündeten. Japan trat an der Seite Großbritanniens in den Krieg ein. Das Deutsche Reich wurde per Ultimatum aufgefordert, alle Kriegsschiffe aus chinesischen und japanischen Hoheitsgewässern abzuziehen und die Kontrolle über ‘Tsingtao’ (Qingdao 青島) an Japan zu übergeben. Nach Ablauf des Ultimatus folgte die Kriegserklärung. Qingdao wurde am 7. November 1914 nach drei Monaten Belagerung besetzt.

In der allgemeinen Presse (sowohl in deutschen als auch in österreichisch-ungarischen Blättern) wurden die Ereignisse eher beiläufig geschildert und wenig kommentiert.[1] In den deutschen satirisch-humoristischen Blättern wurde Japan in zum Teil sehr drastischen Bildern (im Wortsinn wie im übertragenen Sinn) als Handlanger der Engländer gezeichnet – ein Beispiel ist das Gedicht “Tsingtau” (Kladderadatsch Nr. 46 (15.11.1914) [S. 2] – oder als Barbar oder Affe verunglimpft, der sich an seiner Beute “erwürgen” soll (s. Die Bombe Nr. 46 (15.11.1914) S. 2.).
In vielen Texten, die sich auf die Ereignisse in Ostasien beziehn, werden Spannungen zwischen den ‘Verbündeten’ voraus – vor allem um die besetzten deutschen Kolonien im Pazifik ‘vorhergesehen’. Der Wahre Jakob bringt in der Nummer vom 28. November 1914[2] den Bilderbogen “Das ostasiatische Geschäft”.

Der Wahre Jakob

Der Wahre Jacob Nr. 740 (28.11.1914) 8524
Quelle: UB Heidelberg

Das ersten drei Bilder zeigen identische Szenen: einen Thronsessel auf einem Podest, im Hintergrund ein Motiv, das an die Kyokujitsuki 旭日旗, die Flagge der aufgehenden Sonne” erinnert. Dargestellt sind drei Personen, zwei sind durch Kleidung, Haar- und Barttracht und Schuhe als ‘japanisch’ markiert, die dritte durch den Tweed-Anzug als ‘britisch’. Der eine der beiden ‘Japaner’ sitzt auf dem Thronsessel, er ist prächtig gekleidet und trägt einen großen Orden um den Hals. Der zweite – etwas schlichter gewandete – steht neben ihm. Der ‘Engländer’ steht auf den Stufen des Podests beziehungsweise vor dem Podest und spricht zu den beiden:

“Wenn Japan unser Bundesgenosse werden will, erhält es Kiautschau[3], die Mariannen [sic!] , und die Karolineninseln[4] —” [Bild oben links]
“— auch auf Deutsch-Ostafrika soll es uns nicht ankommen, wenn Japan uns hilft, Indien und China in Ruhe zu halten!” [Bild oben rechts]

Der auf dem Thron sitzende ‘Japaner’ nimmt den großen Orden, den er um den Hals trägt ab und schickt sich an, diesen dem sich vor ihm verneigenden ‘Engländer’ umzuhängen:

“Dein erhabener König soll an mir einen guten Bundesgenossen haben!” [Bild unten links]

Im letzten Bild wird die weitere Entwicklung skizziert: Aus dem Podest im Thronsaal ist eine lange Treppe geworden, an deren Fuß ‘Engländer’ und einer der ‘Japaner’ derangiert am boden liegen – denn sie wurden von ‘Indien’ und ‘China’ die Treppe hintergeworfen:

“Wie es den braven Bundesgenossen wahrscheinlich ergehen wird.” [Bild unten rechts.]

Es bleibt zunächst offen, wer die dargestellten Personen sind – ob sie für konkrete Personen stehen oder ob sie ‘Typen’ darstellen sollen. Aus dem Text zum Bild links unten wird klar, dass die auf dem Thron sitztende Figur den japanischen Kaiser darstellen soll. Ob das Publikum die auf dem Thron sitzende Figur spontant als den Taishō-tennō 大正天皇 (1879-1926, regierte 1912-1926) identifizieren konnte?

  1. Vgl. dazu “Der Fall von Tsingtau” in Neue Freie Presse (9.11.1914) 3. Online: ANNO.
  2. Der Wahre Jacob Nr. 740 (28.11.1914) – Digitalisat → UB Heidelberg.
  3. Gemeint ist das Pachtgebiet Jiaozhou 膠, das 1898 von China an das Deutsche Reich verpachtet worden war. Hauptort des Pachtgebiets war Tsingtau [Qingdao].
  4. Die Nördlcihen Marianen und die Karolinen waren ebenfalls 1899 durch den Deutshc-Spanischen Vertrag unter die Kontrolle des Deutschen Reichs gekommen.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1450

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Ein Bild sagt mehr … (XIX): “Die verkehrten Verbeugungen” (1901)

Im Beitrag Sühne wurde eine Karikatur zur so genannten “Sühnegesandtschaft” diskutiert, die die Diskrepanz zwischen den Erwartungen an eine Sühnegesandtschaft und dem tatsächlichen Verlauf thematisierte. Nach dem eigentlichen Sühne-Akt überschlugen sich die Kommentare, wie das Ereigniss einzuschätzen wäre und warum sich wer wann wie verhalten hat. Eine sehr prägnante Interpretation findet sich in der Karikatur “Die verkehrten Verbeugungen.” im Kikeriki vom 15. September 1901:

Kikeriki Nr. 74 (15.9.1901) 1.

Kikeriki Nr. 74 (15.9.1901) 1  | Quelle: ANNO

Die anonyme Karikatur, die knapp die Hälfte der Titelseite der Nummer ausfüllt, zeigt zwei Figuren: Rechts steht hoch erhobenen Hauptes eine männliche, europäisch markierte Figur, die durch die Pickelhaube als Deutscher und durch die Gesichtszüge (und den “Es-ist-erreicht”-Bart) als deutscher Kaiser identifiziert wird. Links steht eine durch Zopf, Kleidung und Kappe mit Pfauenfeder als ‘asiatisch’ markierte Figur. Der Asiate verbeugt sich und reckt dabei dem Deutschen den verlängerten Rücken entgegen, auf dem ein lachendes Gesicht aufgemalt ist.
Darunter eine kurze Zeile:

Wahrscheinlich hat _diese_ Concession den Prinzen Tschun zur Reise nach Berlin bewogen.

Ohne Wissen um den Kontext erscheint das Bild eher banal und nicht besonders originell.
Was ist daran bemerkenswert, dass ein je nach Blickwinkel lächelndes oder hämisch grinsendes) komisches Männchen einer ebenso merkwürdig adjustierten Figur den Allerwertesten entgegenreckt?

Wie aber kommt man (so der Kontext nicht geläufig ist, darauf, was/wer gemeint sein könnte bzw. gemeint ist?
Es empfiehlt sich ein Blick in überregionale Tageszeitungen vom September 1901 nach Berichten über China und das Deutsche Reich und/oder einen Chinesen beim deutschen Kaiser. Für den Anfang sollten einige Berichte  genügen:

  • Neuigkeits-Welt-Blatt Nr. 200 (1.9.1901), 1; Nr. 203 (5.9.1901) 1 f.
  • Neue Freie Presse Nr. 13301 (5.9.1901) 1-3 (mit Abdruck der beim Sühne-Akt gehaltenen Reden)
  • Das Vaterland Nr. 243 (5.9.1901) 1 und 3.
  • Die Arbeiter-Zeitung Nr. 243 (5.9.1901) 1.
  • Pester Lloyd Nr. 212 (5.9.1901) 3.

Im Neuigkeits-Welt-Blatt heißt es am 5. September 1901:

In dem an den seltsamsten Zwischenfällen überreichen Drama des Kreiges mit _China_ darf die jüngste Episode, die famose _Sühn-Expedition_ des Prinzen _Tschun_ als eine der interessantesten erscheinen, wiewohl sie in ihrem Verlaufe nahe daran war, zu einer Farce herabzusinken. [...] Prinz Tschun weigerte sich, die sichere Schweiz zu verlassen, ehe man in Berlin von dem geforderten “Kotau”[1] Abstand nahm.
Diese echt chinesische Zeremonie besteht in einer dreimaligen tiefen Verbeugung des Oberkörpers und einer neunmaligen Rumpfbeuge, und ihre Durchführung erschien dem chinesischen Prinzen, dem Bruder des Kaisers von China, als eine zu große Demüthigung, obgleich sie in China selbst weder unter Prinzen noch unter Mandarinen etwas Seltsames ist.
Nun ist eine Sühneleistung, die nach dem Ausmaß der Verbeugungstiefe berechnet wird, allerdings eine Forderung, der man auch in den Bevölkerungskreisen Deutschlands wenig Geschmack abgewinnen kann, allein es liegt dem Begehren des deutschen Kaisers doch ein tieferer Sinn zu Grunde. In China spielt eben das Zeremoniell in allen Dingen, namentlich aber im Verkehr mit den Vertretern des Auslandes eine große Rolle. Sollten die chinesischen Machthaber den vollen Ernst ihrer Pflicht, für das begangene Verbrechen des Gesandtenmordes Buße zu thun, erkennen, dann müßte dies auch in einer Form geschehen, die ihrem eigenen, dem chinesischen Zeremoniell entspricht und gerade aus der Weigerung des Prinzen Tschun, sich dieser Forderung zu unterwerfen, kann man den Schluß ziehen, daß es den Chinesen noch immer beliebt, Europa mit den gewohnten Ränken zu begegnen.[2]

Und in der sozialdemokratischen Arbeiter-Zeitung vom selben Tag heißt es:

[...] Dem maßlos eitlen Sinn des deutschen Kaisers mag es schmeicheln, die Chinesen einmal so anschnauzen zu dürfen, wie er es sonst nur mit seinen “Unterthanen” wagen dard; aber ob die erlittene Demüthigung den Chinesen imponiren, sie einschütern wird, ist noch sehr die Frage [...][3]

Damit wird klar, was dem zeitgenössischen Leser im September 1901 niemand erklären musste: Die chinesische Seite hat Abbitte geleistet, doch wäre zu bezweifeln, ob das von der chinesischen Seite allerdings tatsächlich ernst genommen wurde.

 

  1. Zum “Kotau” s. den Beitrag Kotau – die chinesische Ehrenbezeugung von Georg Lehner auf De rebus sincis.
  2. Neuig-keits-Welt-Blatt Nr. 203 (5.9.1901) 1 – Online: ANNO.
  3. Arbeiter-Zeitung Nr. 243 (5.9.1901) 1 – Online: ANNO.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1402

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Ein Bild sagt mehr … (XIV): “Die junge Republik” (1912)

Mit dem 1. Januar 1912 -  guó chénglì jìniàn 國成立紀念 – begann offiziell die Republik China. Drei Tage vorher, am 29. Dezember 1911 war Sun Yat-sen 孫逸仙 zum provisorischen Präsidenten ernannt worden. In den europäischen Zeitungen waren die Entwicklungen in China eher Randnotizen, die Schlagzeilen dominierten andere Themen. Das spiegelt sich auch in deutschen satirisch-humoristischen Periodika[1], wo China nur selten groß thematisiert wird. Umso überraschender wirkt die Titelseite des Kladderadatsch vom 14. Januar 1912 mit “Die neue Republik”.

Die neue Republik (Kladderadatsch 65.1912)

“Die neue Republik” (Kladderadatsch Nr. 2 (14.1.1912)
Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg (Nutzung gemäß CC-BY-SA 3.0 DE)

Die Karikatur von Ludwig Stutz (1865-1917) zeigt eine ziemlich durch Kleidung, Bart und Zopf als chinesisch markierte Figur mit einem glänzenden Zylinder auf dem Kopf. “Der chinesische Drache” hat die Arme um die Schultern des französischen Präsidenten Armand Fallières (1841-1931, Präsident 1906-1913[2]) und von US-Präsident William Howard Taft (1857-1930, Präsident 1909-1913[3]) gelegt, die durch Porträt und Inserts markiert sind, bei Fallières steht der Name auf einer Tricolore-Schärpe, bei Taft auf der Frackweste, er trägt die US-Flagge als Kummerbund.

“Der chinesische Drache” spricht zu den beiden:

“Ich sei, gewährt mir die Bitte,
Mang euren Zylindern der Dritte!”

Die Anspielung auf den Schlussvers von Schillers Bürgschaft[4] impliziert den Anspuch, gleichberechtigter Partner zu sein. Der Zylinder ist allerdings nur ‘draufgesetzt’, Kleidung und Haartracht sind traditionell. Ob sich der Chinese jovial zwischen die beiden drängt oder von den beiden gestützt wird, bleibt offen …

  1. In den satirisch-humoristischen Periodika Österreich-Ungarns war das etwas anders, dort finden sich – ganz gegen den internationalen Trend – häufig Bezüge auch China.
  2. Kurzbiographie: Armand FALLIERES (1906-1913) bei elysee.fr.
  3. Kurzbiographie: William Howard Taft auf whitehouse.gov.
  4. Vgl. Friedrich Schiller, “Die Bürgschaft”. In: Ders. (ed.), Musen-Almanach für das Jahr 1799 (Tübingen: Cotta 1799) S. 176-182.

Quelle: http://mindthegaps.hypotheses.org/1252

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