Das hispanische Christentum und die Christianisierung der Stadt

Um ein etwas umfassenderes Bild von der „Christianisierung der Stadt“ zu erhalten, ist es notwendig, den Fokus auf ein repräsentatives Beispiel, nämlich das spätantike Hispanien mit seinen römischen Städten und der lokalen Christianisierung zu richten. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht daher folgende Fragestellung:  Wo finden sich Hinweise für Bemühungen der Christen, die hispanischen Städte mit seinen paganen Gebäuden gezielt zu christianisieren?

Nach den Überlieferungen von Bischof Irenäus gab es in der römischen Provinz Hispanien um 182-188 n. Chr. und laut Tertullian um 200-206 n. Chr. bereits Christen in Hispanien. Von christlichen Gemeinden mit Diakonen, Presbytern und Bischöfen sowie Märtyrern in Hispanien berichtet um 300 n. Chr. Bischof Cyprian aus Karthago.1 Durch verschiedene bischöfliche Synoden bzw. Konzile erhält man weitere aufschlussreiche Einblicke in das hispanische Christentum2 – wie z.B. durch die Synode von Elvira um 302/303 n. Chr., bei der die Bischöfe vorwiegend über die Abgrenzung der Christen zur heidnischen Umwelt debattierten. Laut Kulikowski spiegeln die Kanonen dieser Synode deutlich die Vitalität der urbanen Institutionen zu Beginn des 4. Jhr. n. Chr. wider.3 In diesen Kanonen wird auch die Anbringung von Malereien, in denen kultisch Verehrtes abgebildet wird, in den Kulträumen verboten.4 Aus den Predigten des Bischofs Pacianus von Barcino (Barcelona) lassen sich weitere Erkenntnisse über die Integrationsprozesse der Christen im 4. Jhr. n. Chr. in ein städtisches Umfeld gewinnen.5

Weitere wichtige Quellen stellen die christlichen Inschriften6 dar, von denen die früheste Inschrift (RIT 943) um 393 n. Chr. aus Tarragona stammt. Ab der Mitte des 4. Jhr. n. Chr. traten neben den heidnischen Inschriftentexten vermehrt christliche Textformulare und Zeichen auf, die für die Zeit von der Mitte des 5. Jhr. n. Chr. bis 700 n. Chr. die Inschriften dominierten.7 Die heutzutage vorliegenden Inschriften aus Hispanien ab dem 5. Jhr. n. Chr. bezeugen häufig nicht nur die Existenz von Kirchengebäuden und überliefern Angaben zu Baustiftungen oder Errichtungen von christlichen Gebäuden, sondern übermitteln auch die Anzahl der Geistlichen wie z.B. Bischöfe oder Diakone. Die Grabinschriften überliefern, neben den persönlichen Angaben zu den Bestatteten, die Praxis, dass die öffentliche Dokumentation kirchlicher Ämter auf Grabinschriften in Hispanien üblich war. Sie bezeugen, genauso wie die Bauinschriften, die Berufstätigkeit von Bischöfen und Klerikern. Diese Art der Dokumentation wurde vor allem ab dem 5./6. Jhr. n. Chr. praktiziert. Die Bauinschriften belegen zudem die Zusammenarbeit von Bischöfen mit anderen lokalen Eliten der städtischen Verwaltung.8 Zusätzlich zu den Grabinschriften waren auch die Sarkophage mit Inschriften, und ab dem 4. Jhr. n. Chr., die Grabmosaiken, wichtige christliche Quellen. Ab dem 5. Jhr. n. Chr. wurden Gräber mit Marmorplatten abgedeckt, auf denen ebenfalls christliche Inschriftentexte und Verzierungen wie Monogramme und Kreuze abgebildet waren.9 Auch die in der konstantinischen Zeit geprägten Münzen mit christlichen Symbolen wie z.B. Christus-Monogrammen wurden in Hispanien gefunden.10 Jedoch lassen sich aus diesen Münzfunden, die Reichsprägungen waren und nicht in Hispanien geprägt wurden, keine Aussagen über den Grad der Christianisierung im spätantiken Hispanien treffen. Der Aussagegehalt der byzantinischen bzw. westgotischen Münzen aus dem 5. bis 7. Jhr. n. Chr., auf denen christliche Symbole zu finden sind, ist ebenfalls begrenzt und spiegelt lediglich die Hinwendung der westgotischen Könige zum christlichen Glauben ab 586 n. Chr. wider.11

Archäologische Funde vom hispanischen Christentum liegen heutzutage vor allem fragmentarisch vor. Bisher wurden in Hispanien aus der Zeit vom 4. bis zum 8. Jhr. n. Chr. „materielle[…] Hinterlassenschaften […] christlichen Charakters“12 wie z.B. der Bethesda-Kasten aus Tarragona oder eine Tischplatte bei Rubí gefunden13 und nur wenige sehr gut erhaltene christliche Kirchenbauten wie in „Barcelona, Valencia und Mérida […] sowie in Palencia“14. Bekannt sind laut Kulikowski und Bowes neun innerstädtisch und suburban gelegene Kirchenbauten aus dem 4./5. Jhr. n. Chr.. Durch die weiteren, andauernden Ausgrabungen werden zukünftig auch später zu datierende Kirchenbauten aus dem 6./7. Jhr. n. Chr., wie z.B. in Toledo und Córdoba, zu Tage gefördert. Viele weitere Funde von Resten ehemaliger städtischer Kirchen, Kultbauten, Taufanlagen und Kathedralen wie z.B. in Barcelona15 übermitteln ein ungefähres Bild von der Entwicklung und Integrierung christ-licher Bauten im städtischen Kontext, bei denen Bauten für christliche Kulte wie in Terrassa umgestaltet und Neubauten wie in Ilici errichtet wurden.16 Vermutlich gegen Ende des 6. Jhr. n. Chr. wurden in Tarragona und Mérida christliche Basiliken auf den Flächen paganer Bauten wie einem Amphitheater und einem Diana-Tempel (die seit dem 4. und 5. Jhr. n. Chr. nicht mehr genutzt wurden) errichtet.17 In den ländlichen Gegenden Hispaniens befanden sich villae mit christlichen Kulträumen bzw. Stätten wie z.B. Kapellen, Mausoleen, Schreine oder anderen Kulträumen, die mit Mosaiken aufwendig ausgestaltet waren und den Reichtum ihrer Besitzer – den aristokratischen Familien und Feudalherren – widerspiegelten.18 Manch literarischer Hinweis deutet darauf hin, dass vor allem im 6./7. Jhr. n. Chr. christliche Kulte in den ländlichen Gegenden praktiziert wurden, jedoch belegen archäologische Funde die Errichtung christlicher Bauten bzw. Umbauten paganer Bauten wie z.B. Can Modolell in der Nähe vom heutigen Mataró, bereits zum Ende des 4. Jhr. n. Chr..19

Die Christianisierung einer Stadt oder einer ländlichen Gegend bedeutete demnach, sowohl christliche Gebäude neu zu errichten als auch nicht mehr genutzte pagane Gebäude für christliche Kulte und Zwecke umzugestalten und zu nutzen. Allerdings bleibt zunächst offen, ob christliche Gebäude gezielt in der Stadt errichtet wurden, um pagane Gebäude (z.B. Tempel) und damit die in ihr stattfindenden antichristlichen Praktiken zu verdrängen oder ob die Errichtung christlicher Gebäude lediglich zum Selbstverständnis der christlichen Architektur gehörte, in der christliche Kulträume vorgesehen waren?

Deutlich wird aus den archäologischen Funden, dass sich parallel zu der schwindenden Nutzung der öffentlichen römischen Bauten innerhalb der Stadtmauern, das Christentum mit den christlichen Kulten im Laufe des 5. Jhr. n. Chr. in der suburbia etablierte, was einen zusätzlichen negativen Effekt auf die bisherige römische Stadtform haben sollte.20 Denn durch die ex muros gelegenen christlichen Kultbauten bzw. -stätten wurde das bisherige politische und religiöse Zentrum beim innerstädtischen Forum in die suburbia verlagert. Viele hispanische Städte verfügten, laut Mateos Cruz, schon im 4. Jhr. n. Chr. in der suburbia über eine christliche Nekropole, „die sich aufgrund der Bestattung eines lokalen Märtyrers entwickelt“21 hatte. So konnten die Märtyrerbestattungen als religiöse Anziehungspunkte nicht nur die Errichtung neuer Gräber, sondern auch die Christianisierung bestehender Grabstätten zur Folge haben, weil man glaubte, dass der Körper des Märtyrers sein Umfeld heiligen würde.22 Bei dem sogenannten Märtyrerkult wurden heilige Kultstätten martyria errichtet, die meistens in Verbindung zu dem „Leben und Leidensweg“23 des Märtyrers standen. Die in Hispanien errichteten martyria waren, ähnlich wie die memoria, architektonisch unterschiedlich ausgestaltete Mausoleen oder Kirchenbauten. Diese sind frühestens ab dem 4. Jhr. n. Chr. in der suburbia nachzuweisen und waren später auch innerstädtisch gelegen.24 Die Märtyrer charakterisierte das öffentliche Bezeugen des christlichen Glaubens und die Bereitschaft dafür zu leiden oder sogar zu sterben.25 Als Schutzpatrone stellten sie „einen Mittler zwischen den Menschen und Gott“26 dar, die für die Lebenden mit Fürbitten eintraten.27 Die Seelen der Verstorbenen entschwanden mit dem Begräbnis zwar, doch bliebe „der Heilige im Himmel […] an seinem Grab auf Erden gegenwärtig“28. Ab der Mitte des 4. Jhr. n. Chr. begannen die christlichen Gemeinden in den römischen Provinzen für die Märtyrer besondere Totengedächtnistage mit Eucharistiefeiern abzuhalten. Der Hintergrund des christlichen Totenkultes war die ab dem 3./4. Jhr. n. Chr. erfolgte Adaption wesentlicher Teile der römischen Totenfesttage und des Totenkultes mit der Totenverehrung.29 So nahmen die Hinterbliebenen des Toten ausschließlich Körper-bestattungen vor und feierten zeremoniell den Todestag als „Geburtstag des ewigen Lebens“30. Der Quellenbefund über die hispanischen Märtyrer umfasst literarische Überlieferungen wie z.B. Predigtschriften, liturgische Kalender und Gedichte, Sarkophage, Inschriften und Grabinschriften sowie martyrologische Inschriften aus Nordafrika und Gallien, die z.B. den Märtyrerkult des Vincent von Saragossa belegen.31 Mit der Errichtung von martyria und der Reliquientranslation ab dem 5. Jhr. n. Chr., bei der die Gebeine des Toten kultisch verehrt wurden, entstanden in Hispanien auch zahlreiche christliche Basiliken in den Nekropolen, in denen Märtyrer bestattet wurden.32 Ab dem Ende des 5. Jhr. n. Chr. wurden vermutlich in Hispanien innerhalb der Stadtmauern Kirchen, Bischofskomplexe und bei den Kirchen gelegene Gräberfelder errichtet.33 Dies ist einerseits mit der fehlenden Nutzung öffentlicher römischer Bauten zu erklären34, aber andererseits auch mit dem schwindenden Einfluss der römischen Herrschaft, denn vorher war es durch die römischen Gesetze für die Christen weder erlaubt, Bestattungen innerhalb der Stadtmauern zu vollziehen, noch Begräbnisstätten zu errichten.35

Wie in anderen Teilen des Römischen Reiches, so wurden auch in Hispanien erstmals Anfang des 5. Jhr. n. Chr. Bischöfe in inner- oder außerstädtisch gelegenen Basiliken eingesetzt. Die größeren Kirchen in Hispanien hatten basilikale Strukturen, weil sie für Versammlungen ausgelegt waren. Gewisse Akzentuierungen in der „räumlichen Gliederung“ deuten auf die Orientierung an der „sich entwickelnden […] hispanischen Liturgie“ hin.36 So orientierten sich die Kirchenbauten des 4./5. Jhr. n. Chr. an „Mediterranean church-building trends“, während sich die Kirchen aus dem 6./7. Jhr. n. Chr. durch die Bestandteile der „so-called counter-apse, tripartite square sanctuaries or cruciform plans“37 von ihren Vorgängern unterschieden. Die Ausstattung der Kirchen war zum Großteil schlicht und nur in wenigen befanden sich Mosaiken, Fresken und Skulpturen. Viele dieser Kirchenbauten wurden für Begräbnisse und als martyria genutzt.38

Die Bischöfe waren in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens wie in der Politik, in der Rechtsprechung und im Bauwesen der Städte aktiv.39 Schon im 4. Jhr. n. Chr. bildeten sich zwei bischöfliche Wirkungsbereiche in der hispanischen Stadt heraus: Der Bischofspalast und die Kathedrale verkörperten ein innerstädtisches Zentrum der „politisch-religiöse[n] Macht“, während die Nekropolen, Klöster und martyria das außerstädtische Zentrum der „religiös-populäre[n]“ Macht darstellten.40 Die Bischöfe gründeten weiterhin städtische christliche Gemeinden und waren für die Verbreitung der christlichen Lehre und Moral zuständig. Sie hatten keinen Einfluss in den ländlichen Gegenden, wo die Feudalherren als lokale Herrscher etabliert waren.41 Als Konfliktpotential zwischen den städtischen Christen unter der Leitung der Bischöfe und den von Bischöfen unabhängigen ländlich-elitären Christen erwiesen sich vor allem Geld-, Lehr- und Machtfragen.42

Zusammenfassend ergibt sich, vor allem für die Frage nach der zielgerichteten Christianisierung der Stadt, folgende Synthese: Von einem planmäßigem Verdrängen paganer Gebäude aus dem Stadtbild zugunsten christlicher Gebäude kann in Hispanien nicht die Rede sein, denn die öffentlichen römischen Gebäude wie z.B. Amphitheater, circi, Bäder und Thermen verloren in der Spätantike im natürlichen Sinne ihre Funktion und Bedeutsamkeit.43 Die Christianisierung der hispanischen Stadt, das heißt, die Entstehung christlicher Zentren mit christlichen Bauten und Gräbern, die durch ihre Bau-, Nutzungs- und Funktionsweise eine Art „Gegenpol“ zu den bisherigen politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Bestandteilen der Stadt darstellten und sie transformierten, begegnet uns im Wesentlichen44 auf drei Bedeutungsebenen:

1. Bauliche Umwidmungen: römische (meist öffentliche) Gebäude oder Gräber wurden nach ihrer Aufgabe umgebaut und als christlicher Kultbau nutzbar gemacht. Es geht hierbei also um eine „Christianisierung durch Vernachlässigung“45

2. Die Neuerrichtung christlicher Bauten und Gräber auf bisher unbebauten Flächen.

3. Die Funktion und Nutzungsweise der christlichen Bauten, die definiert bzw. bestimmt wurde durch christliche Kulte wie dem Märtyrerkult, deren kontinuierliche Praktizierung durch das Wirken der Bischöfe gewährleistet wurde.

 

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Das hispanische Christentum und die Christianisierung der Stadt. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

 

Bibliographie:

  1. Vgl. Mateos Cruz, P.: Die Anfänge der Christianisierung in den Städten Hispaniens, in: Panzram, S. (Ed.): Städte im Wandel. Bauliche Inszenierung und literarische Stilisierung lokaler Eliten auf der Iberischen Halbinsel. Münster 2007. S. 238 ; Irenaeus, Adv. Haer. 1,10 ; Tertullian, Adv. Iud. 7. ; Cypr. epist. 67 ; Arbeiter, A.: Die spätantike Stadt auf der Iberischen Halbinsel, in: Brands, G. / Severin, H.- G. (Eds.): Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale. Wiesbaden 2003. S. 34 ; Kulikowski, M.: Rome’s Gothic wars: from the third century to Alaric. Cambridge 2007. S. 216.
  2. Vgl. Orlandis, J. / Ramos-Lissón, D.: Die Synoden auf der iberischen Halbinsel bis zum Einbruch des Islam (711). (Konziliengeschichte, Reihe: A, Darstellungen). Paderborn 1981.
  3. Vgl. Kulikowski 2004. S. 40-43, 218 ; Kulikowski, M.: Cities and Government in Late Antique Hispania: Recent Advances and Future Research, in: Bowes, K. / Kulikowski, M. (Eds.): Hispania in late Antiquity. Current perspectives. Brill 2005. S. 37.
  4. Vgl. Schlunk, H. / Hauschildt, T.: Hispania Antiqua – Die Denkmäler der frühchristlichen und westgotischen Zeit. Mainz 1978. S. 8.
  5. Vgl. Kulikowski 2004. S. 219-220.
  6. Vgl. Vives, J.: Inscriptiones cristianas de la Espana romana y visigoda. (Monumenta Hispaniae Sacra, Vol. II). Barcelona 1942.
  7. Vgl. Alföldy, G. (Ed.): Die Römischen Inschriften von Tarraco. 2 Bde.. (Madrider Forschungen; Bd. 10) Berlin 1975. S. 482-483.
  8. Vgl. Handley, M. A.: Death, Society and Culture: Inscriptions and Epitaphs in Gaul an Spain, AD 300-750. Oxford 2003. S. 56-64.
  9. Vgl. Schlunk  / Hauschildt 1978. S. 19-28.
  10. Vgl. Bruun, P. M. / Mattingly, H. / Sydenham, E. A.: The Roman imperial coinage. Vol. 7: Constantine and Licinius : A. D. 313-337. London 1966. S. 61.
  11. Vgl. Wohlfeil, R.: Spaniens Geschichte im Spiegel von Münzen und Banknoten. Hamburg 2010. S. 49-90 ; Vives, J.: Inscriptiones cristianas de la España romana y visigoda. (Monumenta Hispaniae Sacra, Vol. II). Barcelona 1942. S. 147-160.
  12. Siehe Arbeiter in: Brands / Severin 2003. S. 34.
  13. Vgl. Schlunk / Hauschildt 1978.  S. 21 u. 28.
  14. Siehe Arbeiter in: Brands / Severin 2003. S. 35f.
  15. Vgl. Bowes, K.: Une coterie espagnole pieuse: Christian Archaelogy and Christian Communities in Fourth- and Fifth Century Hispania, in: Bowes, K. / Kulikowski, M. (Eds.): Hispania in late Antiquity. Current perspectives. Brill. 2005. S.193-201.
  16. Vgl. Arbeiter in: Brands / Severin 2003. S. 35f.
  17. Vgl. Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 258.
  18. Vgl. Bowes, K.: Private Worship, Public Values and Religious Change in Late Antiquity. Cambridge 2008.  S. 180-181 ; Schlunk / Hausschildt 1978. S. 10ff.
  19. Vgl. Kulikowski 2004. S. 249-255.
  20. Ebenda S. 216.
  21. Siehe Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 253. Anm.: Die früheste christliche Inschrift Hispaniens (RIT 944) datiert ins Jahr 393 n. Chr., daher ist die Existenz von christlichen Nekropolen vor 393 n. Chr. noch nicht erwiesen.
  22. Vgl. Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 247. ; Handley 2003. S. 143.
  23. Siehe Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 247.
  24. Vgl. Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 248-250 ; Maldonaldo, P. C.: Angelorum participes: The Cult of the Saints in Late Antique Spain, in: Bowes, K.; Kulikowski, M. (Eds.): Hispania in late Antiquity. Current perspectives. Brill 2005. S. 195 u. 220.
  25. Vgl. Clark, G.: Christianity and Roman Society. Cambridge 2004. S. 39.
  26. Siehe Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 247.
  27. Vgl. Leipziger, U.: Die römischen Basiliken mit Umgang. Forschungsgeschichtliche Bestandsaufnahme, historische Einordnung und primäre Funktion. Nürnberg, Univ., Diss–Erlangen, 2006. S. 149.
  28. Siehe Brown, P.: Die Heiligenverehrung : ihre Entstehung und Funktion in der lateinischen Christenheit. Leipzig 1991. S. 16.
  29. Vgl. Leipziger 2006. S. 104.
  30. Siehe Leipziger 2006. S. 105.
  31. Vgl. Maldonado in: Bowes /Kulikowski 2005. S. 159 ; Handley 2003. S. 144-155.
  32. Vgl. Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 247 ; Maldonado in: Bowes / Kulikowski 2005. S. 165f.
  33. Vgl. Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 261 ; Kulikowski in: Bowes / Kulikowski 2005. S. 65.
  34. Vgl. Kulikowski in: Krause / Witschel 2006. S. 140.
  35. Vgl. Zwölftafelgesetz TABVLA X: „Hominem mortuum in urbe ne sepelito neve urito“, in: Flach, D.: Das Zwölftafelgesetz – Leges XII tabularum. (Texte zur Forschung, Bd. 83). Darmstadt 2004. S. 146.
  36. Siehe Arbeiter in: Brands / Severin 2003. S. 36.
  37. Siehe Bowes in: Bowes / Kulikowski 2005. S. 204.
  38. Vgl. Bowes in: Bowes / Kulikowski 2005. S. 194.
  39. Vgl. Brands, G.: Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung in: Brands, G. / Severin, H.-G. (Eds.): Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale. Wiesbaden 2003. S. 14 ; Kulikowski, M.: The Late Roman City in Spain, in: Krause, J.-U. / Witschel, C. (Eds.): Die Stadt in der Spätantike – Niedergang oder Wandel? Akten des internationalen Kolloquiums in München am 30. und 31. Mai 2003. (Historia Zeitschrift für Alte Geschichte, Heft 190). Stuttgart 2006. S. 141.
  40. Siehe Mateos Cruz in: Panzram 2007. S. 262.
  41. Vgl. Bowes 2008. S. 187ff..
  42. Vgl. Bowes 2008. S. 182-186.
  43. Vgl. Kulikowski 2004. S. 96-101 ; Brands in: Brands / Severin 2003. S. 14-15.
  44. Anm.: Es sind im Römischen Reich nur wenige Beispiele zu finden, bei denen heidnische Gebäude abgerissen wurden, um mit christlichen Gebäuden überbaut zu werden. Vgl. Brands in: Brands / Severin 2003. S. 14-15.
  45. Siehe Brands in: Brands / Severin 2003. S. 18.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/03/das-hispanische-christentum-und-die-christianisierung-der-stadt/

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Überlegungen zur Datierung der Inschrift CIL XVI, 55

Wie kann man eigentlich eine antike Inschrift datieren? Was für Angaben können hilfreich sein den Zeitpunkt der Abfassung näher zu bestimmen? Zu diesen Fragen sollen am Beispiel der Inschrift CIL XVI, 55 1 einige Überlegungen angestellt werden:

In dem sogenannten Auxiliardiplom aus Weissenburg (röm. Biriciana in der römischen Provinz Raetia) für den Reiter Mogetissa begegnen uns nach kurzem Lesen zahlreiche Ehrentitel desjenigen, der dieses Diplom ausstellen ließ. Natürlich handelt es sich beim Auftraggeber und Verfasser der Inschrift um den Kaiser Trajan. Aber auf welchen Zeitpunkt bzw. Zeitraum lässt sich die Inschrift bzw. die Abfassung der Inschrift datieren?

Mal angenommen, dass jemand populäres vor langer Zeit einen Brief verfasst hat und ich viele Jahre später den Zeitpunkt der Abfassung des Briefes näher bestimmen will, dann muss ich den Inhalt des Briefes auch auf mögliche Ereignisse untersuchen, die mir aus anderen Überlieferungen bzw. Quellen bekannt sind. Berichtet der Verfasser des Briefes über diese Ereignisse und weiß ich wann diese Ereignisse sich zugetragen haben, dann kann ich auch eine Aussage über den ungefähren Zeitraum, in der der Brief verfasst wurde, treffen.

Die Inschrift CIL XVI, 55 gibt Auskunft über drei Angaben (Volkstribunat, Konsulate, Anzahl der militärischen Oberbefehle bzw. Imperator), die zur Datierung der vorliegenden Inschrift hilfreich sind.

Eine zusätzliche Hilfe bieten folgende Informationen zur politischen Laufbahn des Kaiser Trajan: Der Kaiser Marcus Ulpius Traianus bekleidete vom 28. Januar 98 n. Chr. bis zum 7. August 117 n. Chr. das Amt des Kaisers. Er wurde Ende 97 n. Chr. zum Caesar und Anfang 98 n. Chr. zum Imperator, Pontifex Maximus, Pater Patriae und Proconsul erhoben.2

Jetzt muss man die drei Angaben einmal durchgehen:

1. Der Kaiser Marcus Ulpius Traianus war ingesamt einundzwanzig Mal Volkstribun (vom 28.10.99 n. Chr. bis August 117 nach Christus. Die Angabe der Inschrift auf das elfte Volkstribunat verweist auf einen langen Zeitraum zwischen dem vierten Volkstribunat vom 10. Dezember 99 n. Chr. bis zum einundzwanzigsten Volkstribunat am 10. Dezember 116 n. Chr., der wenig Aufschluss über die genaue Datierung der Inschrift gibt.

Der Kaiser Marcus Ulpius Traianus war insgesamt sechsmal Konsul und das in der Inschrift fünfte Konsulatsamt bekleidete er vom 1. Januar bis zum 13. Januar 103 n. Chr.

Hilfreicher für die Datierung der Inschrift ist aber die Anzahl der militärischen Oberbefehle bzw. wie häufig der Kaiser zum Imperator ausgerufen wurde. Vom Herbst 101 n. Chr. bis zum Jahr 116 n. Chr. war er dreiundzwanzigmal Imperator. Die Angabe der Inschrift: „zum sechsten Mal zum Imperator ausgerufen“3 verweist auf den August oder Herbst 106 n. Chr. an dem Marcus Ulpius Traianus zum sechsten Mal zum Imperator ausgerufen wurde. Die Inschrift muss aber vor 114 n. Chr. datiert werden, denn 114 n. Chr. wurde der Kaiser zum siebten Mal zum Imperator ausgerufen.

Zusammenfassend kann für die Datierung der Inschrift nur auf einen Zeitraum von 106 n. Chr. bis 114 n. Chr. gedeutet werden. Nach heutigem Forschungsstand setzt man die Datierung allerdings auf 107 n. Chr. fest.4

Der weitere Inhalt der Inschrift befasst sich noch mit folgendem Sachverhalt: Wir lesen darüber, dass der römische Kaiser Trajan Fußsoldaten und Reitern, die 25 oder mehr Jahre in der römischen Armee gedient haben und ehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen worden sind, das römische Bürgerrecht verleiht. Doch nicht nur die Soldaten, sondern auch ihren Kinder und Nachfahren sollten in den Genuss des römischen Bürgerrechts kommen. Außerdem dürfen die Soldaten eine rechtsgültige Ehe mit den Frauen eingehen, die „sie zum Zeitpunkt der Bürgerrechtsverleihung hatten“5 oder die sie in Zukunft haben werden. Besonders wichtig an dem Erlass war aber, dass jeder Soldat nur eine Ehefrau haben durfte. Dies könnte darauf abgezielt haben, dass die meisten der Soldaten zur Zeit der Bürgerrechtsverleihung mehrere Ehefrauen gehabt haben. Möglicherweise hatte auch der Adressat der Inschrift, der Reiter Mogetissa, gegen dieses Monogamiegebot verstoßen und wurde in diesem Diplom wiederholt ermahnt. Dennoch stellen die Aussagen der Inschrift zweifellos allgemeingültige Gebote dar und richten sich nicht allein an den römischen Reiter Mogetissa.

Zu guter Letzt noch eine weitere kleine Hilfe zur zeitlichen Einordnung  der Inschrift: Wir wissen aus anderen Quellen, dass in der Mitte des zweiten Jahrhunderts (ab 140 n. Chr.) die Regelung abgeschafft wurde, dass rückwirkend auch den in der Dienstzeit gezeugten Kindern das römische Bürgerrecht verliehen werden sollte.6 Danach sollte es nur den nach der Dienstzeit des römischen Soldaten gezeugten Kindern gewährt werden das römische Bürgerrecht zu erhalten. Da in dieser Inschrift noch beide Möglichkeiten bestehen, muss die Inschrift weit vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts verfasst worden sein.

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2013): Überlegungen zur Datierung der Inschrift CIL XVI, 55. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

 

Bibliographie:

  1. Anm.: Der lateinische Inschriftentext befindet sich hier: Mommsen, T. / Nesselhauf, Heribert: Corpus Inscriptionum Latinarum, Vol XVI. Diplomata Militaria. Ex Constitutionibus Imperatrum de civititate et conubio militium veteranorumque expressa. Berolini 1936. S. 52.
  2. Vgl. Kienast, D.: Römische Kaisertabelle : Grundzüge einer römischen Kaiserchronologie. Darmstadt 2004. S. 122-123.
  3. Siehe Lambert, N.; Scheuerbrandt, J.: Das Militärdiplom, Quellen zur römischen Armee und zum Urkundenwesen. Stuttgart 2002.
  4. Poethke, G. / Prignitz, S. / Vaelske, V.: Das Aktenbuch des Aurelios Philamon. Prozessberichte, Annona Militaris und Magie in BGU IV 1024-1027. (Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 34, 2012) Berlin u.a. 2012. S. 71. ; Alföldy, Geza. “Zur Beurteilung der Militärdiplome der Auxiliarsoldaten.” Ronzische Heeresgeschichte: Beiträge 1962-1985. Amsterdam 1987. S. 55.
  5. Poethke, G. / Prignitz, S. / Vaelske, V.: Das Aktenbuch des Aurelios Philamon. Prozessberichte, Annona Militaris und Magie in: BGU IV 1024-1027. (Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 34, 2012). Berlin u.a. 2012. S. 71.
  6. Poethke, G. / Prignitz, S. / Vaelske, V.: Das Aktenbuch des Aurelios Philamon. Prozessberichte, Annona Militaris und Magie in: BGU IV 1024-1027. (Archiv für Papyrusforschung, Beiheft 34, 2012). Berlin u.a. 2012. S. 72.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2013/02/uberlegungen-zur-datierung-der-inschrift-cil-xvi-55/

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Die christliche Märtyrer-Basilika im Amphitheater des hispanischen Tarraco

In religiöser Hinsicht brachte die sogenannte Spätantike,  kurz vor dem Ende des Römischen Reiches, nicht nur Christen und ihre christlichen Gemeinden hevor, sondern zeigte sie auch auf, wie sich die Gesinnung der Versammlungsstätten der Christen von einst privaten Räumlichkeiten zu eigenen Kultstätten wandelte. Zeitgleich erhielten die christlichen Kultstätten ihre besondere Anziehungskraft durch die christlichen Märtyrer, derer  an den Orten ihres Martyriums und/oder ihres Begräbnisses gedenkt wurde. Exemplarisch soll in diesem Artikel die christliche Märtyrer-Basilika im Amphitheater Tarracos, gelegen in der Provinz Hispania Tarragonensis, vorgestellt werden.

Zwischen der Via Augusta und der Passeig Maritim de Rafael de Casanova wurde um 100 bzw. 130 n. Chr. in Tarraco (heute Tarragona) auf der Fläche eines römischen Gräberfeldes aus augusteischer Zeit das Amphitheater errichtet.1

Ein bedeutender Inschriftenfund weist darauf hin, dass das Amphitheater von einem Provinzialflamen namens Elagabulus gestiftet wurde. Der Sitzraum des Amphitheaters bestand aus drei Sektoren, die sich in elf, zehn und drei Sitzreihen gliederten und ein Fassungsvermögen von 14.000 Zuschauern ergaben. Den Zugang zum Amphitheater erhielt man über zwei Tore. Außerdem verfügte das Amphitheater über unterirdische Gräben, die eine Verbindung zum Strand hatten.2 Noch im III. Jahrhundert wurde das Amphitheater umfangreich restauriert.3 Etwa im V. Jahrhundert wurde das Amphitheater von Tarraco aufgegeben.4

Um 259 n. Chr., zur Zeit der Decischen Christenverfolgungen, fand im Amphitheater die Hinrichtung des Bischofs Fructuosus und seiner Diakone Augurius und Eulogius statt.5 Bei Ausgrabungen zwischen 1948 und 1955 stieß man im Jahre 1953 hier auf eine dreischiffige christliche Märtyrerbasilika, die am Ende des 6. Jhr. als memoria für die drei Märtyrer errichtet wurde. Südlich angrenzend an diese Basilika wurde ebenfalls in der Arena des Amphitheaters eine Nekropole mit Funden von Grabsteinen, Sarkophagen und Mausoleen freigelegt, in der fünfzig Gräber von Angehörigen aus der städtischen Elite, datiert im Zeitraum vom 6-8. Jhr.  sich befanden.6 Einige der Grabstätten wurden zu einem späteren Zeitpunkt bzw. nach der Errichtung der Basilika errichtet. Die ersten im Amphitheater angelegten Gräber standen im direkten Zusammenhang mit der Basilika und es besteht keinen Zweifel daran, dass diese westgotische Nekropole im Amphitheater ad sanctos angelegt war. Mit dem Ende der westgotischen Herrschaft im Jahre 713-714 wurde diese Stätte aufgegeben.7

Die westgotische Basilika weist eine Länge von 22,75 x 13 Meter Breite auf. Für ihren Bau aus Quadersteinen wurden für das Fundament der Apsis Teile aus der Podiumsinschrift des Elagabulus aus dem früheren Amphitheaters wiederverwendet. Die Westseite der Basilika verläuft auf den Grundmauern der quer durch die Arena verlaufenden Gräben.8 Die Basilika besitzt eine hufeisenförmige und erhöhte Apsis, mit einer davor gesetzten Querwand und einem großen Transsept. Auch für die Fundamente der zwei Pfeilerreihen (mit jeweils sechs Pfeilern) wurden vermutlich Steine aus römischer Zeit wiederverwendet.9

Im nördlichen Teil der Basilika befand sich der Altarraum und ein Presbyterium mit Gräbern hinter der Apsis gelegen sowie einem kleinen daran angrenzenden Raum, der als eine Sakristei bzw. als eine Grabkammer genutzt wurde. Beim südlichen Teil der Basilika befand sich direkt an der Außenmauer ebenfalls eine angefügte Grabkammer.10

Laut Dupré i Raventos und den Forschern von TED’A soll der Bau der christlichen Märtyrerbasilika in westgotischer Zeit als Zeichen des Triumphes der christlichen Märtyrer und des christlichen Glaubens über die heidnische Gesellschaft mit ihren Gebäuden gesehen werden, die für die Verfolgung der Christen und für die Hinrichtung vieler Christen wie z.B. den Märtyrern aus Tarraco, verantwortlich waren. Demnach soll die Konstruktion der christlichen Märtyrerbasilika im Amphitheater Tarracos in diesem Zusammenhang gesehen werden.11

Begründet wurde der Märtyrerkult in Tarraco durch die Veröffentlichung der schriftlichen Überlieferung der passio Fructuosi, verfasst vom Soldaten Marcellus am Ende des 3. Jhr. n. Chr. oder am Anfang des 4. Jhr. n. Chr.. Frühe Angaben vor dem Basilika-Bau über die Praktizierung des Märtyrerkultes können daher der Überlieferungsgeschichte der passio entnommen werden. Es ist anzunehmen, dass die passio schon früh mit in die jährliche Gedenkfeier des Martyriums an der Grabstätte einbezogen wurde und daher der Mehrzahl der Einwohner Tarragonas (und am Ende des 4. Jhr. n. Chr. auch in Nordafrika) bekannt war.12

Laut der passio erschien Fructuosus nach seiner Hinrichtung im Amphitheater einer Zahl von Christen und ordnete ihnen an, dass die sterblichen Reste der drei Märtyrer unverzüglich ihm zu Liebe aufbewahrt werden sollten.13 Spätestens am Ende des 4. Jhr. n. Chr. zitierten Prudentius ebenso wie Augustinus um 373 n. Chr. Teile der passio in ihren Schriften.14 Etwas detaillierter als in der passio schrieb Prudentius davon, dass Fructuosus und seine zwei Diakone Augurius und Eulogius, vom Statthalter der Provinz Hispania Citerior am 21. Januar 259 n. Chr. festgenommen wurden, weil sie sich weigerten dem zweiten Edikt des Valerian Folge zu leisten. Er ließ sie bei lebendigem Leibe im Amphitheater verbrennen. Weiterhin berichtet Prudentius von einer Art Erscheinung, in der die drei Märtyrer nach ihrem Tod, in weiße Roben gekleidet, den hinterbliebenen Christen anordneten, dass ihre geheiligten Überreste zusammen in einem Heiligtum aus Marmor bestattet werden sollten.15 Obwohl die Historizität von manchen Angaben in der passio, laut Panzram, anzuzweifeln sind, steht – in Analogie zu den anderen bekannten Martyria im Römischen Reich, die in der Regel in Amphitheatern stattfanden –dennoch außer Frage, dass das Martyrium im Amphitheater von Tarraco stattgefunden hat.16 Für den Märtyrerkult in Tarraco sind daher in diesen Berichten die Angabe des genauen Ortes des Martyriums (Amphitheater) und der Typus der Grabstätte (Heiligtum aus Marmor) von elementarer Bedeutung. Letztere konnte als Krypta oder Mausoleum zeitweise in oder nahe bei der Francolí-Basilika verortet werden. Laut Hauschildt könnte sich das Märtyrergrab direkt neben der Francoli-Basilika befunden haben, doch wäre es bereits im 6. Jhr. in die Basilika des Amphitheaters verlegt worden.17 Zu einem späteren Zeitpunkt wurden die Gebeine der drei Märtyrer, womöglich im Zuge eines sarazenischen Überfalls, aus der Stadt verschleppt.18

Die Grabstätte der Märtyrer war somit in spätrömischer Zeit Anlass für die Errichtung der Francolí-Basilika und für die Entstehung der Nekropole am Francolí-Ufer sowie Grund für die Errichtung der westgotischen Märtyrerbasilika im Amphitheater in westgotischer Zeit. Die zentrale Nutzungsweise bestand bei den christlichen Basiliken in Tarraco in der kultischen Verehrung bzw. dem Märtyrerkult sowie dem bischöflichen Wirken. Ähnlich wie bei der Francolí-Basilika erhielt auch die westgotische Basilika im Besonderen eine religiös-politische Relevanz: Die neue bürgerliche Identität spielgelte sich in der Praktizierung christlicher Kulte wieder. Und nur einem Teil der Bevölkerung war es möglich ein Begräbnis ad sanctos zu erhalten. Diese städtische Elite hatte sich zumindest insofern auf den christlichen Glauben eingelassen hatte, als dass sie die wachsende religiöse Bedeutung von einem Begräbnis ad sanctos erkannte und nutzte, um ihren sozialen Status auch mit der Form und prunkvollen Ausgestaltung des Begräbnisses zu repräsentieren. So werden bei der städtischen Elite nicht nur religiöse Gründe ausschlaggebend für das Begräbnis ad sanctos gewesen sein, sondern auch politische Gründe, was für die Zeit ab dem 5. Jhr. n. Chr. auf eine stark christlich geprägte politische Realität in Tarraco deuten lässt.19 Auch die Praktizierung des Märtyrerkultes an einer Kultstätte wie dem Amphitheater spiegelte bereits in spätrömischer Zeit wieder, dass nun christliche Kultbauten sozial, politisch und religiöse Zentren darstellen. Diese Entwicklung sollte sich mit dem zunehmenden Einfluss der Bischöfe in westgotischer Zeit noch verstärken. Die westgotische Basilika im Amphitheater markierte in der Stadt Tarraco im letzten Jahrhundert unter westgotischer Herrschaft den Höhepunkt christlicher Architektur und deutet durch ihre Relevanz in der städtischen Gesellschaft Tarracos darauf hin, welche weitreichenden Veränderungen sich im Stadtwesen und im Stadtbild Tarracos entwickelt hatten.20

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2012): Die christliche Märtyrer-Basilika im Amphitheater des hispanischen Tarraco. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

Bildquellen: Eigene Aufnahmen, März 2012

 

Bibliographie:

  1. Vgl. Kulikowski, M.: .: Late Roman Spain and Its Cities. Baltimore 2004. S. 95 ; Cities and Government in Late Antique Hispania: Recent Advances and Future Research, in: Bowes, K. / Kulikowski, M. (Eds.): Hispania in late Antiquity. Current perspectives. Brill 2005. S. 58 ; TED’A: L’ amfiteatre romà de Tarragona, la basílica visigòtica i l’església romànica. (Memòries d’excavacio, Bd. 1-3). Tarragona 1990. S. 467.
  2. Vgl. Panzram, S.: Stadtbild und Elite. Tarraco, Corduba und Augusta Emerita zwischen Republik und Spätantike. Stuttgart 2002. 2002. S. 56-57.
  3. Panzram 2002. S. 87.
  4. Panzram 2002. S. 111.
  5. Vgl. Prud. Perist 6, in: Prudentius: The poems of Prudentius.  Übers. H.J. Thomson. London 1961 ; Aug. serm. 273, in: PL 38. Turnhout 1965. S. 1247-1249 ; Passio Sanctorum Martyrum Fructuosi Episcopi, Auguri et Eulogi Diacononorum, in: The acts of the Christian martyrs. Übers. H. Musurillo. Oxford 1972. S. 176-185.
  6. Vgl. Oepen, A.: Die Nutzung kaiserzeitlicher Theaterbauten in Hispanien während der Spätantike und der Westgotenzeit, in: Brands, G. / Severin, H.-G. (Eds.): Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale. Wiesbaden 2003. S. 214-215 ; Alföldy in: RE Suppl. 15 (1978). S. 597 ; Arbeiter, A.: Die spätantike Stadt auf der Iberischen Halbinsel, in: Brands, G. / Severin, H.-G. (Eds.): Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale. Wiesbaden 2003.S. 36 ; Kulikowski 2004. S. 295-296 ; Vilar López, J.: Les basíliques paleocristianes del suburbi occidental de Tarraco. El temple septentrional I el complex martirial de Sant Fructuós. (Bd. 1). Tarragona 2006. S. 310 ; Vaquerizo, D.: Las Áreas Suburbanas en l a ciudad históri ca. Topografía,  usos,  función. Córdoba 2010.S. 316 ; Taller Escola d’Arqueologia: L’ amfiteatre romà de Tarragona, la basílica visigòtica i l’església romànica. (Memòries d’excavacio, Bd. 3). Tarragona 1990. S. 235.
  7. TED’A 1990. S. 468.
  8. Panzram 2002. S. 111-114.
  9. de Palol, P.: Arqueologia de cristiania de la España Romana. Siglos IV-VI. Madrid 1967. S. 61 ; Schlunk, H. / Hauschildt, T.: Hispania Antiqua – Die Denkmäler der frühchristlichen und westgotischen Zeit. Mainz. 1978. S. 161.
  10. TED’A 1990. S. 206 und 468.
  11. TED’A 1990. P. 206.
  12. Vgl. Maldonaldo, P. C.:  Angelorum participes: The Cult of the Saints in Late Antique Spain, en: Bowes, K.; Kulikowski, M. (Eds.): Hispania in late Antiquity. Current perspectives. Brill 2005. S. 179 ; Panzram 2002. S. 112 ; Kulikowski 2004. S. 218 ; Palmer 1989. S. 206.
  13. Vgl. Passio Sanctorum Martyrum Fructuosi Episcopi, Auguri et Eulogi Diacononorum, Kapitel 3, in: Musurillo 1972. S. 179.
  14. Vgl. Prud. Perist 6 ; Aug. serm. 273 ; Oepen in: Brands / Severin 2003. S. 214.
  15. Vgl. Prud. Perist 6, 135-140. ; Panzram 2002. S. 82.
  16. Panzram 2002. S. 114.
  17. Vgl. Schlunk Hausschildt 1978. S. 14. u. 39.; López Vilar 2006. S. 307.
  18. Vgl. López Vilar 2006. S. 307.
  19. Anm.: RIT 953 ist ein Beispiel für den Wandlungsprozess der Grabschriften. Es weist ein heidnisches Textformular auf, aber es könnte aufgrund des enthaltenen Namens Amelius auch als christliche Inschrift identifiziert werden. Vgl. dazu Alföldy, G.: s.v. Tarraco, in: RE Suppl. Bd. 15 (1978). S. 259-371 ; López Vilar 2006. S. 240-248.
  20. TED’A 1990. S. 240.

Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/11/die-christliche-martyrer-basilika-im-amphitheater-des-hispanischen-tarracos/

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Die Ursprünge der Mystik – eine Einführung

Der Begriff Mystik (griechisch: mystikós: „geheimnisvoll“) findet seine erste Verwendung in der griechischen Philosophie und Religion in der Antike. Die Stationen der weiteren Entwicklungen der antiken Mystik reichten von der platonischen theoria über die Mysterienkulte und der philosophischen Mystik des Plotin bis hin zum antiken Christentum.1

Die sogenannte Christliche Mystik hatte vermutlich im 4. Jhr. n. Chr. ihren Ursprung. Vermutlich wurde von den Kirchenvätern, wegen der wachsenden Anzahl der Heidenchristen in den Kirchen, in der Theologie und Spiritualität nach „neuen und fruchtbaren Wegen zu Gott gesucht“.2 Im Kern ist die Christliche Mystik als christliche Spiritualität mit Konzentration auf die Gotteserfahrung zu beschreiben. Durch die auf Theorien und Lehren basierenden Praktiken sollen die Erfahrung und das Erlebnis der innerlichen Einswerdung mit Gott und seiner unergründlichen Unendlichkeit für den Mystiker möglich werden.3 Die sogenannte unio mystica ist eine religiös-spirituelle Erfahrung und spielt in der christlichen Mystik die zentrale Rolle. Ursprünglich wurde der Begriff unio mystica von Dionysius Areopagita um 500 n. Chr. als mystiké henôsis geprägt und wurde dann als lateinischer Begriff unio mystica (zunächst auch als Mystische Theologie übersetzt) ab dem 13. Jhr. eingeführt, um sich dann ab dem 15./16. Jhr. fest im Sprachgebrauch zu etablieren.4

Die Christliche Mystik lässt sich auch als eine Fortführung von der im Alten Bund praktizierten Prophetie und von der im Neuen Bund unter den Aposteln erlebten Charismatik  auffassen.5 Diese Fortführung, aber auch die Adaption der mystischen Lehren aus der griechischen Religion und Philosophie, wurde von den Kirchenvätern wie Aurelius Augustinus, Ambrosius und Gregor der Große in der Spätantike durch ihre Schriften und Lehren initiiert und mit der von Mönchen entwickelten monastischen Mystik im Mittelalter übernommen.6 Sieht man von Johannes Scottus Eriugenas erfolglosen Bemühungen aus dem 9. Jhr. ab, die philosophische Mystik mit der Theologie zu vereinen, so war der Zeitpunkt für den Aufbruch einer neuen Mystik das Jahr 1200.7

Noch im 12. Jhr. wurde die Christliche Mystik von den klösterlichen Schriften der Zisterzienser und Viktorianer geprägt, untern ihnen führend der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux, der die persönliche Gotteserfahrung zu einem ähnlich wichtigen Bestandteil geistliches Lebens erhob, wie die eigentliche Beschäftigung mit der Heiligen Schrift.8 Frühe mittelalterliche Mystik bestand bis zum 13. Jhr. vor allem darin, sich von der Welt zurückzuziehen und sich einer geistlich-privilegierten Gemeinschaft im Kloster anzuschließen.9 Neue Formen religiösen Lebens entstanden ab 1200 mit den städtisch ansässigen Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner sowie den Beginen. Mit ihrem Wirken in den Städten und der Verbreitung der Lehren der Armutsmystik sowie der vita apostolica schwand auch allmählich die Überzeugung von der Notwendigkeit der Weltflucht und dem Rückzug in ein geistlich-abgeschiedenes Leben: Eine Erfahrung von Gottes Gegenwart konnte nunmehr jedem Menschen widerfahren, egal an welchem Ort, denn sie war nicht mehr nur geistlich Privilegierten vorbehalten.10

Gegen Ende des 12. Jhr. erreichte die monastische Mystik ihren Höhepunkt und mit dem Jahr 1200 ging ihre Relevanz mit der Neuentstehung der scholastischen Theologie, die an den neu entstehenden Universitäten gelehrt wurde, zurück.11 Die mittelalterliche Theologie setzte sich nun aus der monastischen, der scholastischen und der volkssprachlichen Theologie zusammen.12 Durch die Bemühungen der Bettelorden der Dominikaner und Franziskaner im 12. und 13. Jhr. wurde ab dem 14. Jhr. auch im geistlich-theologischen Bereich statt Latein vorwiegend die deutsche Volkssprache praktiziert.13 Zudem entstand etwa ab der Mitte des 12. Jhr. eine Frauenmystik, deren Anhängerinnen eine fromme und enthaltsame Lebensweise in religiösen Gemeinschaften führten.14

Eine der hauptsächlichen Ausprägungen der Christlichen Mystik im späten Mittelalter war die Deutsche Mystik, die mit Beginn des 14. Jhr vor allem in den südlichen Gebieten Deutschlands ihren Anfang als Bewegung von verschiedenen Mystikern nahm. Die Schriften und Lehren der Deutschen Mystik wurden größtenteils in der zeitgenössischen deutschen Sprache angefertigt.15 Auch die Frauenmystik entwickelte sich im 14. Jhr. zu einem immens wichtigen Bestandteil der Deutschen Mystik weiter.16 In der Deutschen Mystik wurde nicht nur die altchristliche Mystik aufgegriffen, sondern es wurden auch Lehren aus der heidnisch-griechischen Welt aufgegriffen.17 Die Literatur der Deutschen Mystik bestand vor allem aus „Traktaten, Schriftkommentaren, Briefen, Predigten und Autobiographien“.18

 

Empfohlene Zitierweise: Blümel, Jonathan (2012): Die Ursprünge der Mystik – eine Einführung. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 


Bibliographie:

  1. Dinzelbacher, Peter: Christliche Mystik im Abendland. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ende des Mittelalters. Paderborn u.a. 1994. S. 35-41 ; Langer, Otto: Christliche Mystik im Mittelalter : Mystik und Rationalisierung – Stationen eines Konflikts. Darmstadt 2004. S. 51-69.
  2. Haas, Alois: Mystik im Kontext. München 2004. S. 50 ; Langer 2004. S. 80.
  3. Haas, Alois M.: Sermo mysticus: Studien zu Theologie und Sprache der deutschen Mystik. Fribourg 1979. S. 256.
  4. Haas 2004, S. 53-62
  5. Haas 1979, S. 257 ; Langer 2004, S. 80ff..
  6. McGinn, Bernard: The Flowering of mysticism: men and women in the new mysticism, 1200-1350. New York 1998. S. 2 u. 12 ; McGinn, Bernard: The Changing Shape of Late Medieval Mysticism. In: Church History, Vol. 65, No. 2 (Jun., 1996). S. 198.
  7. Langer 2004, S. 131ff..
  8. McGinn 1996, S. 197.
  9. Haas 1979, S. 259 ; McGinn 1996, S. 198.
  10. McGinn 1996, S. 198 ; Langer 2004, S. 211-218.
  11. McGinn 1998, S. 3 ; Langer 2004, S. 152.
  12. McGinn 1998, S. 19.
  13. McGinn 1998, S. 22ff. ; Haas 1979, S. 258f..
  14. Langer 2004, S. 227 ; Dinzelbacher 1994, S. 194.
  15. McGinn 1998, S. 21 ; Haas 1979, S. 255.
  16. McGinn 1998, S. 15 ; Haas 1979, S. 260.
  17. Haas 1979, S. 258.
  18. Haas 1979, S. 255.

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/08/die-ursprunge-der-mystik-eine-einfuhrung/

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Einblicke in die Strafvollzugsgeschichte

So lange es Verbrechen gibt, so lange gibt es auch Gefängnisse. Weit gefehlt! Das Gefängniswesen so wie wir es in unserer heutigen Zeit kennen, ist relativ neu. Gewisse Ansätze des Gefängniswesens sind zwar schon in der Antike bekannt: Zum Beispiel wird in der Bibel von mehreren Gefängnissaufenthalten von Paulus gesprochen, jedoch waren das keine Freiheitsstrafen, die vom Staat vollzogen wurden. Solche Haftaufenthalte dienten vielmehr zur Aufbewahrung des Täters bis zur Aburteilung oder Hinrichtung.1

Auch im Mittelalter wurden keine Freiheitsstrafen durchgesetzt, denn das Strafsystem sah ausschließlich sogenannte Leib- und Lebensstrafen (Prügel- und Todesstrafe) vor. Auch den heutigen Grundgedanken der Besserung und Wiedereingliederung von Straftätern gab es nicht. Zwar gab es Gefängnisse in Klöstern, aber  auch diese dienten keiner Besserung, sondern allein der Sanktion durch Umkehr und Buße von Nonnen und Mönchen. Weiterhin dienten andere Gefängnisse allein zu Folter- oder Hinrichtungszwecken.

Erst im späten 16. Jahrhundert entstanden in vielen europäischen Ländern Arbeits- und Zuchthäuser, in denen unter anderem Bettler und Landstreicher eingesperrt wurden. Eines der ersten und „modernen“ Zuchthäuser war das Amsterdamer Tuchthuis von 1596, welches das Gefängniswesen revolutionierte. Hier traf zum ersten Mal die Besserung der Straftäter in den Vordergrund und verdrängte den Vergeltungsgedanken.2Durch harte Arbeit sollten die Gefangenen an ein anständiges Leben in Freiheit gewöhnt werden. Des Weiteren erteilte man den Gefangenen Unterricht um ihre Chancen auf ein späteres gesellschaftlich-angesehenes Leben zu erhöhen. Die Ursache für diese Entwicklung „war im Wesentlichen die soziale, religiöse und  wirtschaftliche Situation. Die stetig wachsende Kleinkriminalität konnte nicht mehr nur durch die Vollstreckung von Leibesstrafen begegnet werden – gefordert war eine andere Reaktionsform“3.

Um 1790 entstand in den Vereinigten Staaten ein neues Gefängnissystem: Das Pennsylvanisches System oder auch „Separate System“ genannt. Dies bedeutete für alle Insassen strenge Einzelhaft, ohne Möglichkeit zu arbeiten. Es wurde daraufhin auch das „solitary-system“ genannt.4 Jeder Häftling war komplett abgeschottet und getrennt von anderen Insassen. (Architektonisch stand dieses Modell konträr zum Modell des Panoptikums, bei dem der Wärter aus der Mitte des kreisförmigen Gefängnisbaus Augenkontakt zu jedem der Häftlinge hatte, weil die Zellen sich im Kreis um den Wärterposten formierten). Weiterhin hatten im Pennsylvanischem System  die einzelnen Insassen nur Kontakt zu den Wärtern, mit denen es jedoch verboten war zu reden. Insgesamt hatten die Insassen immer zu schweigen. Die Wärter kannten auch weder die Namen noch die verübten Straftaten der Insassen. In den Zellen gab es jeweils nur die Bibel zu lesen (andere Bücher waren verboten). So sollte den Insassen zur inneren Einkehr geholfen werden. Allerdings wurde damit oftmals das Gegenteil erreicht: Viele Insassen wurden apathisch und psychisch krank und versuchten Suizid zu verüben. Dieses System wurde später von ca. 300 anderen Gefängnissen weltweit nachgeahmt, jedoch musste es im Laufe der Jahre modifiziert werden, da es dem Staat zu teuer wurde Insassen in Einzelhaft ihre Strafe abbüßen zu lassen.

Eine Modifizierung dessen ist das sogenannte „Auburn System“: Es folgte eine gemeinsam verrichtete Arbeit mit Schweigegebot,5  bei sonstiger Isolation. Diese Methode wurde auch das „silent system“6 genannt. Nicht die Stille und die Einsamkeit sollen den Straftäter zur Einkehr bewegen, sondern die schwere Arbeit.  Zwei weitere Merkmale des Systems waren die einheitlichen Uniformen, die jeder Häftling tragen musste und der „Lockstep“, das bedeutet, dass die Füße der Häftlinge mit seinen vorderen und hinteren Nachbarn verbunden wurden und sie sich nur im Gleichschritt fortbewegen konnten.

Doch auch dieses System wurde als unmenschlich angesehen und zum Ende des 19. Jahrhunderts in den USA fast vollständig abgeschafft. Eine neue Art des Gefängniswesens brachte der „Stufenstrafvollzug“ oder auch „Englisches Progressivprogramm“ genannt. Dieser sah drei Stufen für den Häftling vor. Als erstes neun Monate Einzelhaft mit harter Arbeit, aber auch Unterricht und Zuspruch. Bei guter Führung kam der Häftling in die Gemeinschaftshaft, auch dort musste er weiterhin Arbeit verrichten. Zudem konnte er durch ein „Mark-System“ sich weitere Marken verdienen oder sie wurden ihm bei schlechtem Benehmen entzogen, das heißt dass er auch wieder in die unterste Stufe degradiert werden konnte. Die dritte Stufe sah eine frühzeitige Entlassung vor. In Deutschland wurde der Stufenstrafvollzug aufgrund der Machtübernahme Hitlers nicht mehr eingeführt.7

Heutzutage wird in den meisten westlichen Ländern der „Individualvollzug“ durchgeführt, der im Gegensatz zum Stufenmodell noch variabler ist und auf jeden einzelnen Gefangenen genau abgezielt werden kann, zumindest in der Theorie.

Was aus der sogenannten früheren Zeit der Strafvollzugsgeschichte geblieben ist, ist die Tatsache, dass das Gefängnis auch heute noch als Hinrichtungsort dient.

Insgesamt erkennt man die sich ständig veränderte Funktion des Gefängnisses. Zunächst als Ort der Verwahrung vor der Verhandlung oder Hinrichtung entwickelte sie sich zum zentralen Strafinstrument. Dies geschah oftmals aus gesellschaftlichen und ökonomischen Gründen. Erst relativ spät setzte die Entwicklung hin zum Resozialisierungsvollzug ein. Auch heute noch wird die Institution Strafvollzug modernisiert und entwickelt. In Deutschland wurde 2007 in Hessen das erste Gefängnis (teil-)privatisiert8. Was in den Vereinigten Staaten völlig normal scheint, ist in Deutschland umstritten. Natürlich wirft diese Entwicklung der Privatisierung von Gefängnissen viele Fragen auf. Allen voran jedoch die Frage danach inwieweit dadurch der Grundgedanke der Besserung und Wiedereingliederung für die Produktivität und Effizienz der Gefängnisanstalten aufgehoben werden soll?

Exkurs: Eine Welt ohne Gefängnisse?

Aktuell gibt es auch einige Befürworter der Abschaffung der Gefängnisse.  In der Sozialkriminologie nennt man diesen theoretischen Ansatz Abolitionismus (lat. für Abschaffung). Damit ist der absolute Verzicht auf Gefängnisse und totale Institutionen gemeint. Des Weiteren wird auch die Abschaffung des Strafrechts gefordert. Zu ihren bedeutendsten Vertretern gehören u.a der deutsche Kriminologe Sebastian Scheerer sowie der niederländische Soziologe Louk Hulsman.

Als totale Institution definiert Erving Goffman eine Anstalt in der alle Lebensäußerungen eines Menschen von außen geregelt und zu kontrolliert werden. Als Beispiel nennt er dabei Klöster oder eben Gefängnisse.

Der Mensch wird in der Institution für eine bestimmte Zeit isoliert und muss somit mit seiner früheren sozialen Rolle brechen.

Eine Totale Institution weist nach Goffman folgende Merkmale auf9:

  • Eine Totale Institutionen umfasst das ganze Leben des sozialen Akteurs. Das bedeutet, dass das Leben aller Mitglieder ausschließlich an einem Ort stattfindet und ist einer einzigen zentralen Autorität unterworfen ist.
  • Alle Mitglieder der Institution führen ihre alltägliche Arbeit mit anderen Schicksalsgefährten aus.
  • Alle Tätigkeiten und sonstigen Lebensäußerungen sind exakt geplant und vorgeschrieben.
  • Die verschiedenen Tätigkeiten und Lebensäußerungen werden beobachtet und überwacht dienen dazu offizielle Ziele der Institution zu erreichen.

Weitere Kritiker sind natürlich Michel Foucault mit seinem Werk „Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses.“ Hierbei wird in Gefängnissen durch Wärter (am effektivsten durch die Organisation wie im Panoptikum10) Wissen produziert , welches als Machtinstrumentarium gegen den Gefangenen angewendet werden kann. Das Panoptikum in dem der Wärter jeden Gefangenen immer und von überall überwachen und beobachten kann, kann laut Foucault auch auf weitere, aktuellere Gesellschaftsformen angewendet werden. Genau diese subtilen Machtmechanismen sind eine Bedrohung für andere Gesellschaftsformen, wie zum Beispiel die Disziplinargesellschaft11.

Auch der französische Soziologe  Loïc Wacquant steht dem Gefängniswesen kritisch gegenüber. Laut Wacquant werden (vornehmlich in US-Gefängnissen) keine Kriminellen eingeschlossen, um zu verwahren und Gerechtigkeit zu erlangen, sondern aus vollkommen anderen Gründen:

„Wir müssen daher die Funktionen des Gefängnisses in den Blick nehmen, die mit Bestrafen und Kontrolle von Kriminalität nichts zu tun haben. Das Gefängnis dient nicht dazu, Verbrechen zu bekämpfen, sondern dazu, die Armen zu regulieren, soziale Unruhen einzudämmen und diejenigen zu verwahren, die durch die neue gesellschaftliche Arbeitsteilung, den technologischen Wandel und die Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse überflüssig gemacht worden sind. Darüber hinaus hat das Gefängnis den Nutzen, die Souveränität und Autorität des Staates zur Schau zu stellen“12.

 

 

Weitere interessante Literatur unter:

http://www.falk-bretschneider.eu/biblio/biblio-index.htm

 

Empfohlene Zitierweise: Goździelewska, Agnieszka (2012): Einblicke in die Strafvollzugsgeschichte. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 


Bibliographie:

  1. Rössner, Dieter: Geschichte des Strafvollzugs, Vorlesung Strafvollzug – Sommersemester 2008 am Institut für Kriminalwissenschaften der Philipps-Universität Marburg, S. 1. http://www.uni-marburg.de/fb01/lehrstuehle/strafrecht/roessner/roessner_vermat/roessner_archiv/ss08-0110400064vl/strafv_mat02 (Abrufdatum: 12.07.2012)
  2. Weitere Informationen unter: http://www.gr.ch/DE/institutionen/verwaltung/djsg/ajv/dienstleistungen/JVASennhof/Geschichtliches/Seiten/EntwicklungimStrafvollzug.aspx (Abrufdatum: 11.07.2012).
  3. Rössner, Dieter: Geschichte des Strafvollzugs, Vorlesung Strafvollzug – Sommersemester 2008 am Institut für Kriminalwissenschaften der Philipps-Universität Marburg, S. 2. http://www.uni-marburg.de/fb01/lehrstuehle/strafrecht/roessner/roessner_vermat/roessner_archiv/ss08-0110400064vl/strafv_mat02 (Abrufdatum: 12.07.2012).
  4. Laubenthal, Klaus: Strafvollzug, Springer-Verlag Berlin 2011, S. 55.
  5. Anm.: Dem Separate System wurde immer angekreidet, dass es zu einfach wäre in Einzelhaft zu schweigen. In Gruppen sei dies logischerweise schwieriger.
  6. Laubenthal, Klaus: Strafvollzug, Springer-Verlag Berlin 2011, S. 55.
  7. Laubenthal, Klaus: Strafvollzug, Springer-Verlag Berlin 2011, S. 56f.
  8. Reißman, Oliver: Die ziehen die Schrauben ganz schön an, Artikel vom 31.01.2007, Spiegel-Online unter: http://www.spiegel.de/wirtschaft/private-gefaengnisse-die-ziehen-die-schrauben-ganz-schoen-an-a-463009.html (Abrufdatum: 11.07.2012).
  9. Erving Goffman: Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1973, S. 15f.
  10. Siehe dazu:  Bentham, Jeremy: Panopticon; Or, The Inspection-House: London 1791.
  11. Foucault, Michel: Überwachen und Strafen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 39 ff.
  12. Zitiert aus Heigl, Richard: Geschichte des Gefängnisses: Eine Bibliographie und eine aktuelle Diskussion, vom 31.10.2009 http://kritischegeschichte.wordpress.com/2009/10/31/geschichte-des-gefangnisses-eine-bibliographie/ (Abrufdatum: 12.07.2012).

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2012/07/einblicke-in-die-strafvollzugsgeschichte/

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Die Geschichte des Geldes – ein Opferkult?

Ungedeckte Kredite und Schulden in Milliardenhöhen sind im 21. Jahrhundert Normalität. Die westlichen Finanzsysteme kollabieren, die Folge sind ganze Staatspleiten und gemeinschaftliche Rettungssysteme. Der Reiz des Geldes bleibt dennoch ungebrochen. Woraus resultiert die Anziehungskraft des Geldes und wer leidet in Finanzkrisen am meisten?

Im kommenden MONTAGSRADIO 06/2012 sprechen Markus Heidmeier und Jochen Thermann mit Christina von Braun, Professorin für Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin über ihr Buch “Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte”, das 2012 im Aufbau Verlag erschienen ist. Demnächst erscheint hier das komplette Gespräch.

Quelle: http://www.montagsradio.de/2012/05/07/die-geschichte-des-geldes-%E2%80%93-ein-opferkult/

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Ein Überblick über die städtebaulichen Entwicklungsprozesse Tarracos

In diesem Artikel sollen die städtebaulichen Entwicklungsprozesse der römischen Stadt Tarraco, gelegen in der römischen Provinz Hispania Citerior, von der Gründungsphase bis in die Spätantike,  überblicksartig skizziert werden.1

Die Stadt Tarraco2 (heute: Tarragona), die „an der Ostküste der iberischen Halbinsel, zwischen der Mündung des Iberus und den Höhen der Pyrenäen“3 gelegen war, kennzeichnete die Lage auf einem Kalksteinfelsen, der umringt war von der fruchtbaren Ebene des Campo, die für „Oliven-, Wein- und Obstanbau geeignet“4 war. Auf der westlichen Seite stieg der Felsen in terrassenförmigen Ebenen zu den Hafenanlagen und zum Mittelmeer hinab, während er auf allen anderen Seiten steil abfiel. Westlich des Stadthügels befand sich der Tulcis-Fluss (heute: Francolí-Fluss), der in das Mittelmeer mündete.

Tarraco wurde aufgrund seiner wirtschaftlichen und politischen Bedeutsamkeit um 45 v. Chr. von Caesar zur colonia Iulia Urbs Triumphalis Tarraco erhoben5 und seit dem 2. Jhr. v. Chr. aber spätestens 27 v. Chr. unter Augustus offiziell zur Hauptstadt und damit auch zum Verwaltungszentrum der Provinz Hispania citerior (deren inoffizieller kaiserzeitlicher Name Hispania Tarraconensis war).6 Zwar deuten archäologische Funde auf die Existenz einer vorrömischen iberischen Besiedlung in der Gegend von Tarraco hin, doch wurde Tarraco als größere Besiedlung mit der Errichtung der Stadtmauer erst zu Beginn des 2. Punischen Krieges um 218 n. Chr. angelegt und in den Kriegen gegen die Keltiberer im 2. Jhr. v. Chr. zu einem wichtigen römischen Stützpunkt.7 Die Zeit Tarracos unter römischer Vorherrschaft dauerte bis 476 n. Chr. an, bis Tarraco in das Westgotenreich eingliedert wurde. Ab 716 n. Chr. wurde Tarraco schließlich von den Mauren eingenommen.8

Rekonstruktionsmodell von Tarraco zu kaiserzeitlicher Zeit
Rekonstruktionsmodell von Tarraco zu kaiserzeitlicher Zeit

Die jeweiligen Stadtbilder römischer Zeit sind den archäologischen Funden zufolge – die mit Beginn der ersten systematischen Ausgrabungen unter Juan Serra Vilaró von 1928-19359 bis zu den Ausgrabungen in neuster Zeit unter Jordi López Vilar zu Tage gefördert wurden – folgendermaßen zu beschreiben: Die Besiedlung in der republikanischen Zeit konzentrierte sich auf das Hafengebiet. Ein Stadtforum wurde nahe der Stadtmauern mit Türmen an der westlichen Ecke errichtet, in deren Nähe in der suburbia Grabsteine sowie Denkmäler angelegt wurden.10 In der augusteischen Zeit und insbesondere zur Zeit des Aufenthalts des Augustus erhielt Tarraco als Hauptstadt und Verwaltungszentrum der Hispania citerior gesteigerte politische Bedeutung, was auch am Ausbau der Via Augusta erkennbar war.11 In der Kaiserzeit wurde auf den beiden höchsten Ebenen des Stadthügels das Provinzialforum der Hispania citerior errichtet. Auf der ersten Ebene befanden sich die Sakralbauten des Jupiter- und Augustustempels sowie der Altar des Augustus. Auf der zweiten Ebene befand sich ein Repräsentationsforum, das vermutlich zur Zeit des Nero oder des Vespasian ausgebaut wurde.12 Die eigentliche kaiserzeitliche Stadt umfasste ein Gebiet vom Circus auf der dritten Ebene bis zum Hafengebiet und enthielt neben den insulae auch öffentliche Bauten wie z.B. Tempelanlagen oder das Stadtforum der Kolonie, das noch unter Augustus mit einer Basilika ausgebaut wurde.13

Für das spätantike Tarraco, das bis Mitte des 5. Jhr. n. Chr. seine frühere urbane Struktur beibehielt und dessen Bevölkerungszahl im späten 5. und 6. Jhr. n. Chr. schwand14, ist durch archäologische Funde folgendes Stadtbild überliefert: Dem Stadtbild und der Wirtschaft des spätantiken Tarraco wurden durch den Einfall der Franken um 260 n. Chr. erheblicher Schaden zugefügt. Aus diesem Grunde wurden zwischen 286 n. Chr. und 293 n. Chr. Restaurierungsarbeiten an der „porticus Ioviae [basilicae?]“ (RIT 91) sowie am Ende des 3. Jhr. n. Chr. bzw. am Anfang des 4. Jhr. n. Chr. an den „Thermae Montanae“ (RIT 155) durchgeführt.15 Das Stadtforum der Kolonie behielt bis in die 360er Jahre n. Chr. seine Funktion, wobei die Basilika durch ein Feuer zerstört wurde und der Bau eines praetoriums vermutet werden kann.16

Der Circus von Tarraco im Jahr 2011
Der Circus von Tarraco im Jahr 2011

Das Provinzialforum und der Circus behielten ihre Funktion hingegen bis ins 5. Jhr. n. Chr., bis am Provinzialforum ein Mülldepot entstand. Ab 440 n. Chr. wurden Pflastersteine, Säulen und weitere Bauwerkfragmente vom Provinzialforum abgetragen, die vermutlich für Wohnbauten auf dem Forum wiederverwendet wurden. Ein nordöstlicher Bezirk des Provinzialforums funktionierte noch als Marktplatz bis in die 440er Jahre n. Chr.. Um 450 n. Chr. entstand an der heutigen Plaça d’En Rovellat, zwischen der republikanischen und der östlichen Mauer des Provinzialforums ein Kirchenkomplex.17 Um 473 n. Chr wurde Tarraco von den Westgoten unter den Befehlshabern des Königs Eurich eingenommen. Dies geschah, laut Bischof Isidor von Hispalis, gegen den Widerstand des provinzialen Adels. Konkrete Formen und Auswirkungen dieses Widerstands sind nicht überliefert.18 Negative Auswirkungen auf das Stadtbild Tarracos hatte wahrscheinlich die Verlagerung des Hauptstadtsitzes nach Toledo sowie die Steuerpflicht an Barcino als fiskalischem Zentrum des nordöstlichen Hispaniens. Tarraco blieb aber als Metropolitanbistumssitz religiös bedeutsam, was auch im Stadtbild deutlich erkennbar wurde.19 Das Provinzialforum wurde in der Spätantike in ein bischöfliches Zentrum umgewandelt: Hier wurde zwischen 475-525 n. Chr. am apex, nämlich im Sakralbezirk des Provinzialforums, eine Bischofsresidenz (episcopium) errichtet. In der Nähe, auf der Fläche des ehemaligen Augustustempels, wurde vermutlich die westgotische Kathedrale Sancta-Jerusalem errichtet, in der Gräber aus dem 5./6. Jhr. n. Chr. gefunden wurden.20 Die Besiedlung in westgotischer Zeit konzentrierte sich auf das Hafengebiet und das Gebiet des ehemaligen Provinzialforums.21

Das Amphitheater Tarracos
Das Amphitheater Tarracos

Was die Topographie der suburbia anbelangt, so scheint es, dass das Christentum dort eine bestimmende Rolle spielte, denn sieht man von dem Theater, gelegen an der heutigen Carrer dels Caputxins, den römischen Gräberfeldern im Norden (Mas Rimbau) und den Gräberfeldern aus republikanischer Zeit am heutigen Plaza de Toros sowie den in der Nähe gelegenen Villen und Gräbern aus kaiserzeitlicher Zeit ab, so ist ein umfangreiches christliches Areal mit Beginn der Spätantike extra muros auszumachen.22 Deutlich erkennbar wird am Beispiel des Theaters, das vermutlich in der Kaiserzeit errichtet, im 2. Jhr n. Chr. aufgegeben und später überbaut wurde, der in der Spätantike gängige Funktionsverlust von öffentlichen römischen Bauten.23 Direkt in der Nähe, an der heutigen Calle de Pere Martell, wurden in den Nekropolen frühchristliche Gräber (Bsp. RIT 997) mit zahlreichen Inschriften aus dem 3./4. Jhr. n. Chr. entdeckt. Die Flächen dieser Nekropolen wurden in der Kaiserzeit noch für Villen-, Gräber und Gartenanlagen genutzt.24 Zudem wurden öffentliche römische Bauten für christliche Kulte „umfunktioniert“ bzw. nutzbar gemacht. Zwischen der Via Augusta und der Passeig Maritim de Rafael de Casanova wurde um 100 bzw. 130 n. Chr. auf der Fläche eines römischen Gräberfeldes das Amphitheater errichtet25, in dem die Hinrichtung des Bischofs Fructuosus und seiner Diakone Augurius und Eulogius um 259 n. Chr., zur Zeit der Decischen Christenverfolgungen, stattfand.26 Bei Ausgrabungen zwischen 1948 und 1955 stieß man hier auf eine dreischiffige christliche Märtyrerbasilika aus dem 6. Jhr. bzw. frühen 7. Jhr. n. Chr., die als memoria für die drei Märtyrer errichtet wurde. Südlich dieser Basilika wurde eine Nekropole ad sanctos mit Funden von Grabsteinen, Sarkophagen und Mausoleen freigelegt.27

Auch wurde eine  christliche Francolí-Basilika, die umgeben war von einer großen Nekropole um 400 n. Chr. am Ostufer des Francolí-Flusses errichtet. Diese dreischiffige Basilika wurde für den Märtyrerkult und Begräbnisse genutzt. Am Anfang des 5. Jhr. wurde eine weitere christliche Basilika im Norden der Nekropole (Parc Central Church) errichtet. Diese Basilika wurde wie die Francolí-Basilika zwar auch für Begräbnisse genutzt, aber nicht für die Ausübung des Märtyrerkultes, sondern sie war klösterlich mit einem Atrium ausgestattet und war in ihrer Nutzungsweise mit einer anliegenden villa verbunden.28

 

Empfohlene Zitierweise:

Blümel, Jonathan (2011): Ein Überblick über die städtebaulichen Entwicklungsprozesse Tarracos. In: JBSHistoryBlog.de. URL: http://jbshistoryblog.de [Zugriff: DD:MM:YYYY]

 

Bild: Rekonstruktionsmodell von Tarraco zu kaiserzeitlicher Zeit, von Amadalvarez auf Wikipedia [Zugriff: 25.11.2011]

Bild: Der Circus von Tarraco im Jahre 2011, von Bernard Gagnon auf Wikipedia [Zugriff: 25.11.2011]

Bild: Das Amphitheater Tarracos, von Bernard Gagnon auf Wikipedia [Zugriff: 25.11.2011]

 

Bibliographie:

  1. Anm.: Der Forschungsstand dieses Artikels beläuft sich auf August 2011.
  2. Anm.: Einem iberischen Münzfund aus dem 3. Jhr. v. Chr. zufolge hieß die Stadt auch „Tarakon“, in der lateinischen Literatur finden sich auch die Namen „Tarracon“, „Tarracona“ und „Terracona“, bis sich der Name Tarrcaco ab der Verleihung des Kolonialranges durchsetzte. Vgl. Alföldy, G.: s.v. Tarraco, in: RE Suppl. 15 (1978). S. 578 u. 593.
  3. Siehe Panzram, S.: Stadtbild und Elite. Tarraco, Corduba und Augusta Emerita zwischen Republik und Spätantike. Stuttgart 2002. S. 23.
  4. Vgl. Alföldy in: RE Suppl. 15 (1978). S. 580.
  5. Ebenda S. 593.
  6. Vgl. Panzram 2002. S. 26-33.
  7. Vgl. López Vilar, J. / Prevosti, M.: El poblament rural del Camp de Tarragona en època tardorepublicana (seglesII-I aC) in: Laboratori d’Arqueologia i Prehistòria. Institut de Recerca Històric (Ed.): Època de canvis. Als inicis de la romanització (Estudis sobre el món rural d’ Època Romana, Bd. 5). Girona 2010. S. 111f. ; Ferrer, M. A.: Història de Tarragona. Una ciutat mediterrània. Tarragona 2006. S. 65ff. ; Alföldy 1978. S. 581-589. ; Panzram 2002. S. 27ff..
  8. Vgl. Ferrer 2006. S. 85 ; Panzram 2002. S. 120.
  9. Vgl. Serra Vilaró, J.: Excavaciones en la necropolis romano-christiana de Tarragona. Madrid 1928-1935.
  10. Vgl. Alföldy in: RE Suppl. 15 (1978). S. 588-590 ; Kulikowski 2004. S. 57-63 ; López Vilar, J.: El poblament rural del Camp de Tarragona en època romana: assaig de síntesi. (Butlletí Arqueològic, 28, Reial Societat Arqueològica Tarraconense). Tarragona 2006. S. 100f.
  11. Vgl. Alföldy in: RE Suppl. 15 (1978). S. 596-597.
  12. Vgl. Panzram 2002. S.35-39 ; Kulikowski, M.: Late Roman Spain and Its Cities. Baltimore. S. 57-62.
  13. Vgl. Panzram 2002. S. 45-50 ; Kulikowski , M.: Cities and Government in Late Antique Hispania: Recent Advances and Future Research, in: Bowes, K. / Kulikowski, M. (Eds.): Hispania in late Antiquity. Current perspectives. Brill 2005. S. 62-63 ; Hauschild, T.: Tarragona Romana. Tarragona 1993. S. 137-140.
  14. Vgl. Kulikowski 2004. S. 296.
  15. Siehe López Vilar, J.: El poblament rural del Camp de Tarragona en època romana, assaig de síntesi. (Butlletí Arqueològic, 28, Reial Societat Arqueològica Tarraconense). Tarragona 2006. S.117 ; vgl. Alföldy 1978. S. 598.
  16. Vgl. Keay S.: Tarraco in Late Antiquity, in: Christie, N. ; Loseby, St. (Eds.): Towns in Transition. Urban Evolution in Late Antiquity and the Early Middle Ages. Aldershot 1996. S. 30 ; Panzram 2002. S. 108 ; López Vilar, J.: El poblament rural del Camp de Tarragona en època romana, assaig de síntesi. (Butlletí Arqueològic, 28, Reial Societat Arqueològica Tarraconense). Tarragona 2006. S. 117.
  17. Vgl. Kulikowski 2004. S. 113-114 ; Panzram 2002. S. 110.
  18. Vgl. Panzram 2002. S. 108.
  19. Vgl. Keay in: Christie / Loseby 1996. S. 34-35.
  20. Vgl. Kulikowski in: Bowes / Kulikowski 2005. S. 64; Arbeiter, A.: Die spätantike Stadt auf der Iberischen Halbinsel, in: Brands, G. / Severin, H.-G. (Eds.): Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale. Wiesbaden 2003. S. 38. ; Panzram 2002. S.109-110 ; Keay in: Christie / Loseby 1996. S. 37.
  21. Vgl. López Vilar, J.: El poblament rural del Camp de Tarragona en època romana, assaig de síntesi. (Butlletí Arqueològic, 28, Reial Societat Arqueològica Tarraconense). Tarragona 2006. S. 125.
  22. Vgl. Alföldy in: RE Suppl. 15 (1978). S. 606- 609 ; Niquet, H.: Christians at late Roman Tarraco: a reappraisal of the evidence, in: Mayer i Olivé, M.: Acta. XII Congressus Internationalis Epigraphiae Graecae et Latine ; Provinciae Imperii Romani Inscriptionibus Descriptae ; Barcelona, 3 – 8 septembris 2002. (Monografies de la Secció Històrico-Arqueològica, 10). Barcelona 2007. S. 1023.
  23. Vgl. Oepen, A.: Die Nutzung kaiserzeitlicher Theaterbauten in Hispanien während der Spätantike und der Westgotenzeit, in: Brands, G. / Severin, H.-G. (Eds.): Die spätantike Stadt und ihre Christianisierung. Symposion vom 14. bis 16. Februar 2000 in Halle/Saale. Wiesbaden 2003. S. 214 ; Panzram 2002. S. 91.
  24. Vgl. Alföldy in: RE Suppl. 15 (1978). S. 606-609.
  25. Vgl. Kulikowski 2004 S. 95 ; Kulikowski in: Bowes / Kulikowski 2005. S. 58.
  26. Vgl. Prud. Perist 6, in: Prudentius: The poems of Prudentius.  Übers. H.J. Thomson. London 1961 ; Aug. serm. 273, in: PL 38. Turnhout 1965. S. 1247-1249 ; Passio Sanctorum Martyrum Fructuosi Episcopi, Auguri et Eulogi Diacononorum, in: The acts of the Christian martyrs. Übers. H. Musurillo. Oxford 1972. S. 176-185.
  27. Vgl. Oepen in: Brands / Severin 2003. S. 214-215 ; Alföldy in: RE Suppl. 15 (1978). S. 597 ; Arbeiter in: Brands / Severin 2003. S. 36.
  28. Vgl. Kulikowski 2004. S. 222ff. ; Bowes in: Bowes / Kulikowski 2005. S. 200f. ;  López Vilar, J.: Les basíliques paleocristianes del suburbi occidental de Tarraco. El temple septentrional I el complex martirial de Sant Fructuós. (Bd. 1). Tarragona 2006. S. 296.

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Quelle: http://jbshistoryblog.de/2011/11/ein-uberblick-uber-die-stadtebaulichen-entwicklungsprozesse-tarracos/

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