Seit Dezember erscheint hier auf dem Gemeinschaftsblog “Ordensgeschichte” ein monatlicher Rezensionsüberblick, zu dessen Erstellung alle Interessierten herzlich eingeladen sind. Für den nun folgenden Überblick über Rezensionen, die im Juli 2013 online erschienen sind, wurden sehepunkte, H-Soz-u-Kult, recensio.net, H-Net Reviews, Reviews in History, H-ArtHist, histara, The Medieval Review, IASLonline, Concilium medii aevi und die Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte ausgewertet; die Zusammenstellung muss sich aber künftig natürlich nicht darauf beschränken. Wer sich in Zukunft beteiligen oder Ergänzungen anbringen möchte, ist herzlich eingeladen. Die Rezensionen [...]
Kotau – die chinesische Ehrbezeugung
In Kreuzworträtseln wird regelmäßig nach Ausdruck für eine “chinesische Ehrbezeugung” gefragt. Gemeint ist damit der so genannte Kotau. Der Begriff leitet sich vom Chinesischen ketou 磕頭 (“mit dem Kopf auf den Boden schlagen”) ab. Dieser Ausdruck kam in der Song-Zeit (960-1279) in Gebrauch. Davor war seit der Han-Zeit (206 v.-220 n. Chr.) der Ausdruck koutou 叩頭 dafür gebräuchlich.[1]
In dem von A. C. Burnell und Henry Yule im späten 19. Jahrhundert zusammengestellten Hobson-Jobson. A Glossary of Colloquial Anglo-Indian Terms and Phrases liest man dazu:
“the salutation used in China before the Emperor, his representatives, or his symbols, made by prostrations repeated a fixed number of times, the forehead touching the ground at each prostration. It is also used as the most respectful form of salutation from children to parents, and from servants to masters on formal occasions, &c.”[2]
Wilkinson weist darauf hin, dass diese Form der Ehrbezeugung im traditionellen China ursprünglich nicht so unterwürfig gewesen wäre, wie es vor allem die ab der Wende zum 19. Jahrhundert entstandenen britischen Berichte über China häufig vermittelt hätten. Das Zeremoniell wurde zu einer Zeit eingeführt, als man in China beim Sitzen noch auf dem Fußboden kniete.[3]
Noch in der Qing-Zeit (1644-1911) war der Kotau fixer Bestandteil bei kaiserlichen Audienzen – damals in der Form sangui jiukou 三跪九叩, d. h. “dreimal verbeugen und neunmal mit der Stirn den Boden berühren.” Diese Ehrbezeugung lief wie folgt ab: die zur Audienz Vorgelassenen hatten niederzuknien und zunächst dreimal mit der Stirn den Boden zu berühren. Anschließend mußten sie sich erheben. Das Ganze wurde dann noch zwei mal wiederholt und anschließend wurde den in Audienz Empfangenen gestattet, sich zurückzuziehen.[4]
- Vgl. dazu Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and enlarged (Cambridge, Mass., 2000) 106.
- Stichwort “Kotow, Kowtow”; vgl. dazu die Online-Version in den Digital Dictionaries of South Asia der University of Chicago. Vgl. auch Encyclopaedia Britannica, 11. Aufl., Bd. 15 (1911) 922: “Kowtow, or Kotou, the Chinese ceremonial act of prostration as a sign of homage, submission, or worship. The word is formed from ko, knock, and tou, head. To the emperor, the ‘kowtow’ is performed by kneeling three times, each act, accompanied by touching the ground with the forehead.”
- Wilkinson: Chinese History, 106. Zur “westlichen” Sicht auf diese Form der Ehrbezeugung und die dadurch ab dem späten 18. Jahrhundert entstandenen Spannungen in chinesisch-”westlichen” vgl. James L. Hevia: “‘The ultimate gesture of deference and debasement’: Kowtowing in China. In: Michael J. Braddick (Hg.): “The Politics of Gesture: Historical Perspectives” Past and Present, Supplement 4 (2009) 212-234.
- Vgl. Wilkinson: Chinese History, 106 f.
Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/707
Erfahrungsbericht über das Verfassen eines WP-Artikels
Das Verfassen eines Wikipedia-Artikels hatte ich mir zu Beginn des Seminars einfach vorgestellt. Entsprechend war meine Meinung über die Qualität und Nutzbarkeit von WP-Artikeln für die literaturwissenschaftliche Praxis nicht besonders hoch. Diese muss ich zum Teil, nachdem ich selbst einen Artikel verfasst habe (Ideenreportage), revidieren: Abgesehen von den technischen Hürden (HTML) hat auch das Verfassen des Artikels, vornämlich die Verweise auf die Quellen, mehr Zeit in Anspruch genommen als ich gedacht hätte. Das hat mein Vorurteil – jeder kann WP-Artikel schreiben und daher haben sie für die wissenschaftliche Praxis keinen Wert – zum Teil aufgehoben. Denn um einen Artikel zu verfassen, muss man abgesehen von der Kenntnissen zum Thema, worüber man einen Artikle verfassen möchte, bereit sein, sich mit der HTML-Sprache auseinanderzusetzen – auch wenn nur Grundkenntnisse genügen und Wikipedia Einem Hilfestellung bietet (Wikipedia-Hilfe)-, man muss in seinem Artikel ausreichende Quellennachweise einfügen und der Vollständigkeit halber Verlinkungen zu anderen WP-Artikeln herstellen.
Vornehmlich die Quellennachweise entscheiden meines Erachtens über die Seriösität eines Artikels, da sie zum Einen die Basis für den Artikel bilden und zum Anderen dem Leser die Möglichkeit geben, bei Bedarf den Inhalt des Artikels zu überprüfen bzw. zu rekonstruieren. Das ist der entscheidende Punkt, der meine Einstellung zu Wikipedia als literaturwissenschaftliches Instrument geändert hat: Als Nutzer habe ich die Möglichkeit – über den Aufbau und den Inhalt des Artikles hinaus – mir anhand der Bibliographie und der Versionsgeschichte ein Bild über die Kompetenz sowie das Wissen des Artikel-Autors bzw. Autoren zum Thema des Artikels zu machen.
Mein Fazit ist daher: Wikipedia ist wie jede Quelle kritisch zu nutzen und bietet Transparenz in Blick auf seine wissenschaftlliche Brauchbarkeit (Quellennachweise, Versionsgeschichte etc.); dennoch würde ich WP-Artikel nur mit Einschränkung als Ausgangspunkt, als Möglichkeit, sich einen ersten Überblick über ein Thema zu verschaffen, in der literaturwissenschaftlichen Recherchepraxis empfehlen.
Der Brand von Glogau (1631)
Am 24. Juni 1631 kommt es in Glogau zur Katastrophe: Eine Feuersbrunst bricht aus und erfaßt in wenigen Stunden fast die ganze Stadt. Schon wieder ein Ort, der in diesen unruhigen Zeiten in Asche gelegt wurde, könnte man sagen: Wo ist das Besondere an diesem Fall? Glogau (oder Großglogau, wie die Stadt in diesen Zeiten meist genannt wurde) war die Heimatstadt von Andreas Gryphius. Nun hatte dieser schon einige Jahre zuvor versucht, den Kriegsereignissen und ‑bedrückungen auszuweichen. Doch im Jahr 1631 war er in seine Heimat zurückgekehrt und wurde so Zeuge des Stadtbrands.
Was genau in der schlesischen Stadt passiert war, erfahren wir aus dem Bericht eines kurbayerischen Gesandten. Dieser hielt sich im Frühjahr 1631 in Prag auf und informierte von dort aus Kurfürst Maximilian in München über die aktuellen Entwicklungen in den kaiserlichen Erblanden. Am 5. Juli berichtete der Gesandte über die Ursache des Brands in Glogau: „Am St: Johannes tag, hat herr obriste Wachtmaister von Schaumburg, weill Er ein Creizherr, ein banchet gehalten, ist das feur in der Kuchel entstannden, vnnd zumallen die heiser maistens von holz, ist in wenig stunden, ausser des Schloß, die Statt in Aschen gelegt worden.“ (BayHStA, Dreißigjähriger Krieg Akten 260 fol. 42 Ausf.)
In diesen Wochen und Monaten intensivierten sich die Kämpfe der Kaiserlichen gegen die Schweden. Letztere rückten nicht nur, nachdem sie ihre Position in Pommern ausgebaut hatten, nach Mecklenburg und in die Mark Brandenburg vor, sondern griffen mehr und mehr auch nach Schlesien aus, stießen hiermit also in die kaiserlichen Erblande vor – eine Entwicklung, die man in Wien mit wachsender Sorge betrachtete. Gerade die Städte standen im Mittelpunkt solcher Vorstöße, und der Name Glogaus tauchte in den Berichten aus diesen Wochen immer wieder mal auf. Daß nun im Zuge solcher Überfälle und Kämpfe auch einmal eine Stadt in Flammen aufging, war nicht ungewöhnlich. Aufgrund der Nachricht des kurbayerischen Gesandten wissen wir aber nun sicher, daß im Fall Glogaus keine kriegerischen Verwicklungen zur Katastrophe geführt haben. Vielmehr war es offenbar ein Küchenunfall oder eine Unachtsamkeit, die sich im Zuge eines Banketts ereignete.
Natürlich war dies kein Trost für die Glogauer, die erst 1615 den letzten Stadtbrand hatten erleben müssen. Auch für Gryphius, der damals 16 Jahre alt war, wird dieses Ereignis eine prägende Wirkung gehabt haben. Wenige Jahre später, 1637, erlebte er im schlesischen Freystadt erneut einen Stadtbrand, ein Ereignis, das er dann in der „Fewrigen Freystadt“ beschrieb. Auch in diesem Fall war es wohl eine Unachtsamkeit, die die Feuersbrunst ausgelöst hatte. Für Gryphius und seine Zeitgenossen war der rote Hahn auf dem Dach eines von vielen Schicksalschlägen, die immer wieder vorkamen, neben Seuchen, Hungersnöten und Kriegsdrangsalen.
Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/227
Monastischer Historismus in Südwestdeutschland am Ende des 15. Jahrhunderts
Im Januar 1481 richtete der Abt des Erfurter St. Petersklosters, Gunther von Nordhausen, an die Äbte und Verantwortlichen der Bursfelder Union einen eindringlichen Appell, in den Klöstern der Reformbewegung stärker als bislang Schriftlichkeit und Historiographie zu pflegen. In seiner lateinischen Abhandlung über den Wert historischer Aufzeichnungen sieht er in der Historia die Grundlage menschlicher Existenz, denn ohne sie, meint er, sei der Mensch kein Mensch und der Mönch kein Mönch. Abt Gunther konstatiert jedoch erhebliche Defizite bei seinen Amtskollegen, die, wenn er sie nach [...]
Tagungshinweis: 3. Internationale Doktorandentagung Mittelalterarchäologie
Call for Papers
Der Fachbereich für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie der Universität Innsbruck, die Stadtarchäologie Hall sowie das Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen laden Euch herzlich zur 3. Internationalen Doktorandentagung Mittelalterarchäologie nach Österreich ein. Die Veranstaltung findet dieses Mal vom 28. – 30. März 2014 auf der Burg Hasegg in der historischen Salzstadt Hall in Tirol statt.
Die Doktorandentagung wird seit 2012 als Initiative von Doktoranden in Kooperation mit Hochschulen und Denkmalpflegeeinrichtungen organisiert. Unser Ziel ist es, allen Promotionsstudenten der Mittelalter- und Frühneuzeitarchäologie abseits der großen Fachkongresse und unabhängig von Hochschulherkunft und Thema regelmäßig die Möglichkeit anzubieten, sich in einem kleineren und persönlicheren Rahmen untereinander vorzustellen, auszutauschen und mit verschiedenen europäischen Kollegen zu vernetzen, die bereits langjährig im Berufsleben stehen. Auf diese Weise sollen neue Perspektiven und Strategien für die eigene Tätigkeit aber auch Anregungen zu einer stärkeren Internationalisierung von Arbeitsfeldern über die eigenen Institutsgrenzen hinaus gegeben werden, die uns heute das vereinte Europa ermöglicht.
Neben der Präsentation des eigenen Arbeitsstandes in Form von Kurzvorträgen steht ein workshop-basiertes Problemforum mit Debatte aber auch ein intensives Rahmenprogramm mit Abendvorträgen, Exkursionen in die Umgebung, einer Stadtführung sowie gemeinsamen Essen mit viel Zeit für Gespräche auf dem Programm.
Interessierte Doktoranden bitten wir, uns einen kurzen Abstract (als PDF oder Word-doc) mit nicht mehr als 300 Wörtern sowie ihrem Namen und Adresse an Mittelalterarchaeologie@uibk.ac.at zu übersenden. Anmeldeschluss ist der 15. Januar 2014.
Auch Studierende im Grund- und Masterstudium können gerne ohne Abhalten einer Präsentation teilnehmen (auch hier Anmeldeschluss 15. Januar).
Die Kurzvorträge sollten 20 Minuten nicht überschreiten. Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Referenten die ihre Präsentation auf Deutsch halten möchten, werden gebeten, diese mit englischen Untertiteln zu versehen und auch ihren Abstract auf Englisch zu verfassen.
Die Teilnahme ist kostenfrei.
Mehr dazu finden Sie hier
Die Tagung wird organisiert von
Universität Göttingen (Seminar für Ur- und Frühgeschichte)
Universität Innsbruck (Fachbereich für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie)
Stadtarchäologie Hall in Tirol
gefördert von der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit e.V.
Der Text wurde übernommen.
CfP: Neue Forschungen zur Kranken- und Altenpflege
Seit ca. 20 Jahren beschäftigen sich Vertreter und Vertreterinnen unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen mit der Geschichte der Pflege. Wenn es sich auch bei der Kranken- und Altenpflege noch um relativ junge Forschungsfelder handelt, so konnten bereits erste Akzente gesetzt werden. Dennoch weist dieser Forschungsbereich große Lücken auf. Daher sind Studien von Interesse, die sich beispielsweise mit der Pflege unter der Genderperspektive, der Entwicklung der Fachpflege, mit der pflegerischen Versorgung in der BRD und DDR sowie mit der Veränderung von Pflegeleitbildern beschäftigen. Auch den durch die [...]
Wir basteln uns ein Hashtag | Heute: Historische Hilfswissenschaften | Ein Vorschlag: #AuxHist
Heute bei Twitter: @HistMonast @Mareike2405 Gibt es bereits einen Hashtag für Tweets, die sich mit den historischen Hilfswissenschaften befassen? — Digitale Akademie (@digicademy) August 15, 2013 @Mareike2405 @digicademy @HistMonast Ja, verwendet werden beispielsweise: #palaeography #codicology #heraldry … — Maria Rottler (@MariaRottler) August 15, 2013 @Mareike2405 @digicademy Vorschlag: #auxhist — Maria Rottler (@MariaRottler) August 15, 2013 hi #twitterstorians – is there a hashtag for the auxiliary sciences in history? what about #auxhist ? @MariaRottler @digicademy — Mareike König (@Mareike2405) August 15, 2013 @Mareike2405 @digicademy Anselm [...]
Die Bücherverbrennung zur Zeit des Ersten Kaisers
Im Jahr 213 v. Chr. führten die Beamten auf Befehl des Ersten Kaisers (Qin Shihuangdi 秦始皇帝) – und vermutlich unter der Aufsicht von dessen Kanzler Li Si 李斯[1] eine Bücherverbrennung durch, deren Ausmaße in späterer Zeit “möglicherweise legendär übertrieben”[2] wurden.
Um der Opposition gegen die nach der Einigung des Reiches in den unterschiedlichen Regionen durchgeführten Vereinheitlichungen und Reformen nachhaltig zu begegnen, wurde – unter Androhung der Todesstrafe – ein Verbot des privaten Besitzes von Werken aus den Bereichen Geschichte, Philosophie und Literatur ausgesprochen. Bücher über Medizin und Landwirtschaft sowie Pharmakopöen und Orakelbücher waren von dem Verbot ausgenommen. Ein Exemplar der zu vernichtenden Bücher ging an den Kaiser, denn “niemand außer dem Herrscher verdient das Vertrauen, eine Bibliothek zu besitzen.”[3]
In engem Zusammenhang mit der Bücherverbrennung wird auch die Ermordung zahlreicher “Gelehrter” gesehen. Dieser Zusammenhang wird durch die Phrase fen shu keng ru 焚書坑儒 (“Bücher verbrennen und Gelehrte [lebendig] begraben”) verdeutlicht. Diese Ereignisse führten dazu, dass nach dem Ende der Qin-Dynastie (207 v. Chr.) das Bild des Ersten Kaisers von der im wesentlichen konfuzianisch geprägten Geschichtsschreibung überaus negativ gezeichnet wurde. Ein Wandel in der Beurteilung trat erst nach Gründung der Volksrepublik China ein. In einer Rede auf dem VIII. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas meinte Mao Zedong 毛澤東:
“Was zählt der Erste Kaiser der Qin denn schon? Er hat lediglich 460 Konfuzianer lebendig begraben, während wir 46.000 Konfuzianer lebendig begraben haben. Haben wir denn nicht auch während der Unterdrückung der Konterrevolutionäre einige konterrevolutionäre Intellektuelle einen Kopf kürzer gemacht? Ich habe darüber einmal mit demokratischen Persönlichkeiten diskutiert: Ihr beschimpft uns, wir seien wie der Erste Kaiser der Qin – falsch, wir haben den Ersten Kaiser der Qin noch um ein Hundertfaches übertroffen.”[4]
- Vgl. chinaknowledge.de: Persons in Chinese History: Li Si.
- Helwig Schmidt-Glintzer: Geschichte der chinesischen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (München: 2. Aufl., 1999) 318.
- Zitiert nach: Chinas sensationeller Fund. Qin Shi Huang Di – der erste Kaiser von China und sein Heer aus Ton, Ausstellung Museum für Völkerkunde, Wien, 23. Mai bis 4. August 1985, Wien 1985) 30. – Vgl. dazu auch Jens Østergård Petersen: “Which books did the First Emperor of Ch’in burn?” In: Monumenta Serica 43 (1995) 1-52.
- Reden auf der 2. Sitzung des VIII. Parteitages der Kommunistischen Partei Chinas, 8. Mai 1958. In: Mao Zedong Texte. Bd. 3: 1958. Schriften, Dokumente, Reden und Gespräche. Deutsche Bearbeitung und chinesische Originalfassung. Hg. v. Helmut Martin unter Mitarbeit von Martin Krott (München/Wien 1982) 121 f.
Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/686
Poeten, Patrone und Patrioten. Preußens Landwehr in adelsgeschichtlicher Perspektive
Allerlei Gestalten, groß und klein, pummelig dick bis hungersdünn, mit Zylinder und Samtweste vielleicht ein oder zwei, mit Mütz und Litewka keiner dabei, zerlumpt, barfüßig, darbend kommen so viel mehr, manch einer auch von weiter her. Zwischen 32 und 39 Jahre sind sie alt, Greise bald. Sind vom 2. Landwehr-Aufgebot, im Kriege blieben viele tot. Des Sonntags auf dem großen Acker, in Reih und Glied, angetreten zum Appell. Sie halten sich recht wacker, keiner der’s verriet, doch durchgezählt ist schnell: Frings, Hansen, Schmitz, Hausmann, Esser, Fritz – werden rasch eingetragen, auf das es Ihnen bald gehe an den Kragen, in die Liste säumiger Wehrmänner. Ausgewandert? Nach Virginien letzten Jänner? Krank? Verletzt? Ohne bürgermeisterliches Attest? So werden sie, gleich jetzt, zum Fall für die Gendarmerie. Rechtsschwenk Marsch! Zum Exerzieren ohne Gewehr! Dann Monturpflege, Zeughausdienst – der Leutnant befahl noch manches mehr. Dass einer dabei fror, kam selten vor. Der Dycker Fürst war ihr Major! Einen Gnadenthaler denn auch bekam, wer sich gut benahm.
Die Zeit der Romantik sah viele Dichter in Uniform. Auch die preußische Landwehr wich nicht ab von dieser ‘Norm’. Im Gegensatz zu obigen Zeilen (die mit etwas Glück einen wohlwollenden Schmunzler evozieren mögen) ist ihre Lyrik voll Ästhetik, Esprit, oft tiefer Melancholie. Jene hingegen spiegeln schlicht einige rein subjektive Eindrücke, die der Leser der überaus umfangreichen Appell- und Manöverberichte, Stärkelisten, Tagesbefehle, Bataillonsrapporte und Offizierskorrespondenzen im Dycker Archiv, Niederschlag einer über drei Jahrzehnte währenden aktiven Dienstzeit Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck als Offizier der preußischen Landwehr, gewinnen mag. Poeten, Melancholiker, die gab es auch in seinem Bataillon. Und damit ist nicht allein sein Adjutant Leutnant Althoff gemeint, der – es heißt verbotener Liebe trunken – sich anno 1820 mit seines fürstlichen Kommandanten Stieftochter im Tode vereinte. Als völlig ungefährlich, wenn auch kaum weniger anhänglich, erwiesen sich demgegenüber solche Landwehroffiziere, die der Dichtkunst seiner Gattin Constance de Salm huldigten, sie verehrten… .
Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck war im Jahre 1817 freiwillig in die Landwehr eingetreten – man mag sie grob ein auf Grundlage der Allgemeinen Wehrpflicht während der Befreiungskriege errichtetes, lokal organisiertes ‘Reserveheer’ des neupreußischen Staates nennen. Warum er dies (noch im fortgeschrittenen Alter) tat, wie es ihm gelang, trotz fehlender militärischer Ausbildung und Erfahrung, auch in dieser ‘Arena’ zu bestehen, welche Früchte ihm sein langjähriges und zeitraubendes Engagement einbrachte, und nicht zuletzt, was sich der Hohenzollernstaat von seiner Einbindung erhoffte, dies sind Fragen, denen ein einschlägiger Beitrag innerhalb der multiperspektivischen Netzbiographie zu seiner Person nachgeht. Hier hingegen soll für das äußerst breite Erkenntnisspektrum sensibilisiert werden, welches die Nachlässe adliger Landwehroffiziere aus Restauration und Vormärz bieten, die wenigstens im Rheinland im Übrigen zahlreicher sind, als es das Forschungspostulat eines “bürgerlichen Offizierskorps der Landwehr” (Rolf-Dieter Müller) suggeriert. Fürst Joseph ist auch hier nur einer von etlichen, doch er gibt uns wieder einmal die volle “Messlatte” an die Hand.
Ganz im Sinne einer Adelsgeschichte als ‘Sonde’ zur Ausleuchtung wesentlich breiterer Themenbereiche, lässt sich auf dieser Grundlage noch viel weiter fragen. Zum Beispiel nach Patronage- oder Kreditnetzwerken. Mancher Pächter, Schuldner und Angestellte Fürst Josephs sah in ihm zugleich den lokalen Landwehrkommandeur, mancher Subalternoffizier einen reichen Gönner und Gläubiger. Welche adligen Netzwerke verliefen entlang der lokal bis regional gestrickten Landwehrstrukturen? Dieser war zugleich ein gemeinsamer Erfahrungsraum von Hunderttausenden preußischer Untertanen in national-patriotisch bewegten Zeiten. Konnte die Landwehr im entfeudalisierten Rheinland einen ‘Ersatz’ für verlorene Selbsterfahrungsmöglichkeiten als lokaler Herrschaftsträger bieten? Adel in der Landwehr – ein Bollwerk vor dem Thron? Wie konsequent setzten adlige Landwehroffiziere, hier gar ein ‘liberaler’ Regionalpolitiker, die staatlichen Zivilbehörden (Gensdarmerie, Bürgermeisterei, Landratsamt) zur Verfolgung pflichtvergessener Wehrmänner – und damit auch eigener Interesen – ein. Andersherum eröffnen die Überlieferungen der Adelsarchive einmalige Perspektiven auf die (Un-)Beliebtheit des unbesoldeten, tief in die noch weitgehend ländlichen Strukturen einschneidenden Landwehrdienstes. Landarmut und Auswanderung, Religiosität und Brauchtum scheinen als Ursachen für die oft apostrophierte und von ihren Gegnern im Militärapparat viel bemühte ‘Unzuverlässigkeit’ der Landwehr auch und gerade im Rheinland weit schwerer gewogen zu haben als ‘Vaterlandsvergessenheit’ oder demokratisch-liberale Politisierung. Es gäbe dazu noch so viel zu sagen, und zu forschen… Abtreten! Im Archiv melden! Weitermachen!
Florian Schönfuß
Quelle: http://rhad.hypotheses.org/215