Ein übliches, wenn auch kaum verzeihliches Missverständnis beim Reden über Religion(en) ist die Verwechslung ihrer Manuskripte mit ihren Mitgliedern. „Muslime führen den heiligen Krieg!“ ist eine offenbar alltägliche Beobachtung, die allzu gern in die Kommentarspalten von Augsburger Allgemeine bis Zeit Online gekotzt wird. Wenn ich Sie frage, ob Ihr Obsthändler oder Oberarzt schon einmal Sie versklavt, Ihre Frauen geschändet und Ihre Kinder verkauft hat, müssen Sie vielleicht kurz nachdenken, bevor Sie mit Ihrer Faust auf den Fliesentisch hauen und rufen „Aber das steht doch im Koran!“ Wie gesagt, dieses Missverständnis ist kaum verzeihlich, denn es bedarf allein der marginalen Mühe, diesen Gedanken nur eine Hirnwindung weiterzuschieben, um sich die Absurdität dieses Ausrufs zu vergegenwärtigen. Wenn in der Bibel auf S. 37 steht, dass Sie die zarten Kinder ihrer Feinde an einem Fels zerschmettern sollen, und auf S. 240, dass Sie ihren Nächsten lieben sollen wie sich selbst (beides vorhanden), dann müssen Sie ja eventuell auch kurz abwägen, ob Ihnen die eine Maxime mehr zusagt als die andere, oder ob Sie situationsabhängig die mitreisenden Kleinkinder des Blödmanns, der Ihnen gerade den Parkplatz weggeschnappt hat, mit dem Kopf vor den Fels hauen, und dafür den Vordrängler an der Kasse lieben wie sich selbst, oder ob Sie es lieber umgekehrt handhaben.
Was tun Sie also?
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