Social Tagging bei ARTigo: Welche Tags stehen in Zusammenhang mit “Klassizismus”, welche mit “Expressionismus”?

Scherz-Expressionismus-ImpressionismusIch bin gerade dabei, die ARTigo-Datenbank auf Epochen hin zu analysieren. In einem ersten Schritt möchte ich feststellen, welche von den Spielern eingegebenen Begriffe, also welche Tags, mit dem Begriff „Klassizismus“ und welche mit dem Begriff „Expressionismus“ korrelieren, d.h. welche Begriffe dazu im Zusammenhang stehen.

Folgende Vorgehensweise ist hierzu nötig:

  1. Erstellung von Abfragen auf die ARTigo-Datenbank, in welcher die Bilder mit allen Taggings (nicht nur die gematchten Tags, nein alles, also auch jeder Quatsch der eingegeben wurde) selektiert werden. Das mache ich mit Access. Für die Epoche des Klassizismus habe ich den Entstehungszeitpunkt der Bilder auf 1770 bis 1830 begrenzt, für die Epoche des Expressionismus auf 1900 bis 1920.
  2. Export der Daten in jeweils eine csv-Datei für Expressionismus (250.064 Datensätze) und eine csv-Datei für Klassizismus (527.440 Datensätze) .
  3. Für die weitere Verarbeitung der Daten in R mit dem TM-Package (Textmining) benötige ich mehrere Dateien. Die Aufgabe, die großen aus Access exportierten Dateien aufzuteilen, erledigt ein Script. Als Gruppierungsmerkmal habe ich das Entstehungsjahr der Bilder gesetzt. D.h. pro verschiedenen Zeitbereich wird eine Datei erzeugt. Somit wurden aus der Expressionismus-Datei 203 und aus der Klassizismus-Datei 616 kleinere Dateien erzeugt. Es entsteht deshalb pro Jahr nicht eine Datei, weil der Entstehungszeitpunkt von Bildern verschiedene Formate aufweist, z.B. 1770 oder 1770/1777 oder 1770/1775 etc..  Jeder verschiedene Zeitbereich ergibt eine neue Datei.
  4. Danach werden die Daten in R eingelesen. Zunächst die 203 Expressionismus-Dateien. Ich lasse eine Dokument-Term-Matrix erstellen und wende zunächst den Befehl removeSparseTerms an. Er schmeißt Begriffe, die nicht häufig vorkommen, raus (an dieser Stelle wird möglicher Quatsch entfernt, allerdings auch Fachbegriffe, die sich im Long Tail befinden). Beispiel:
    von 45.310 Begriffen bleiben nach Verwendung des Befehls removeSparseTerms(dtm, 0.99) noch 6.411 übrig.
    Würde ich einen anderen Wert eingeben, z.B. removeSparseTerms(dtm, 0.8) blieben noch 385 Begriffe übrig.
  5. Dann lasse ich mir anzeigen, mit welchen Begriffen das Tag „Expressionismus“ korreliert. Also welche anderen Begriffe kommen im Zusammenhang mit dem Begriff „Expressionismus“ vor? Je größer der Wert (z.B. 0.98 sh. Tabelle unten, desto eher kommen diese beiden Begriffe im Zusammenhang vor).
    Der Befehl hierzu lautet findAssocs(dtm, “expressionismus”, 0.8). Der Wert 0.8 gibt die Korrelation an (1 ist der höchste Wert, bei 0 gibt es keine Korrelation). Setzt man den Wert höher an, korrelieren weniger Begriffe miteinander und die Liste ist kürzer. Das Ergebnis für „Expressionismus“ sieht folgendermaßen aus:
    findAssocs(dtm,“expressionismus“, 8.0) ergibt eine Menge von 350 korrelierenden Begriffen (ich liste hier nur die ersten 30 Begriffe auf, die vollständige Liste sh. anhängendes PDF):

Bewegung 0,98
bunt      0,98
tier         0,97
farbe     0,96
farben  0,96
tiere      0,96
auge      0,95
kopf      0,95
mensch 0,95
orange 0,95
rot          0,95
striche  0,95
wild       0,95
aquarell 0,94
beine    0,94
blau       0,94
blauer   0,94
gelb       0,94
grün      0,94
hund     0,94
moderne 0,94
pferd    0,94
reiter    0,94
rosa       0,94
studie   0,94
violett   0,94
expressionistisch 0,93
farbig    0,93
franz     0,93

Dann wiederhole ich die Schritte 4 und 5 für die Epoche des Klassizismus. Das Ergebnis von findAssocs (dtm, „klassizismus“, 0.6) ergibt eine Menge von 170 korrelierenden Begriffen. Hierbei ist zu beachten, dass die Datenbasis zwar größer ist, aber wesentlich weniger Begriffe hoch korrelieren. Deshalb habe ich hier einen Wert von 0.6 eingegeben. Damit gebe ich an, dass auch Begriffe mit einer geringeren Korrelation ausgegeben werden. Trotzdem erhalte ich als Ergebnis eine geringere Menge höher korrelierender Begriffe als zuvor bei den Expressionismus-Daten.

Auch hier sind nur die ersten 30 Begriffe angegeben, die vollständige Liste ist als PDF angefügt:

antike   0,8
säule     0,8
tempel 0,79
sockel   0,77
architektur 0,76
schloss 0,76
antik      0,75
gebäude 0,75
grau       0,74
licht       0,74
säulen  0,74
schatten 0,74
weiß      0,74
bogen   0,73
fries       0,72
hell        0,72
klassik   0,72
mann    0,72
mauer  0,72
schwarz 0,72
wand    0,72
ansicht 0,71
eingang               0,71
haus      0,71
renaissance  0,71
rom       0,71
stein      0,71
tor          0,71
braun    0,7

Aufgrund der auffällig größeren Anzahl von höheren Korrelationen bei einer kleineren Anzahl von Daten scheint der Expressionismus für Spieler im Vergleich zum Klassizismus besser erkennbar, bzw. charakteristischer. Das würde ich zumindest so deuten. Was meinen Sie? Was fällt Ihnen auf?

Insgesamt ist der Ansatz, den ich hier vorstelle, diskussionsbedürftig. Über Hinweise und Anregungen freue ich mich.

Expressionismus.pdf

Klassizismus.pdf

 

 

Quelle: http://games.hypotheses.org/1146

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Hinweis: Völkerschlacht cross-medial

In dieser Woche gab es zahlreiche Hinweise auf ein Cross-Media-Projekt des MDR zum 200. Jahrestag der “Völkerschlacht bei Leipzig” (16.-19. Oktober 1813). Vier Tage lang soll die Geschichte der Schlacht in Form einer Live-Berichterstattung in Fernsehen, Radio, Socialmedia-Kanälen, Blogs und einem eigenen Nachrichtenportal auf der Homepage des MDR journalistisch aufbereitet werden. Daran beteiligt sind zahlreiche bekannte ARD-Mitarbeiter: u.a. Ingo Zamperoni, Anja Kohl, Rolf Seelmann-Eggebert.

http://www.mdr.de/mdr-info/Voelkerschlacht-Serie-Juli112.html

 

Quelle: http://zwopktnull.hypotheses.org/68

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Expertendämmerung

Neulich früh stand das Politische Feuilleton im Deutschlandradio Kultur unter der Überschrift „Warum die Gesellschaft heute ohne Vorbilder auszukommen scheint“. Der Beitrag war interessant, wenngleich man dem trauernden Unterton („früher war alles besser“) nicht unbedingt gern folgt und wenngleich ich an der implizit diagnostizierten demokratiegefährdenden Wirkung einer allgemein sinkenden Vorbildaffinität zweifle.

„Vorbild“ und „Experte“ liegen nahe beieinander. Eine Gesellschaft, die sich nicht auf gemeinsame Vorbilder einigt und diese nicht durch gemeinschaftliche Aufmerksamkeit pflegt und erhält, entzieht auch der „Expertenmeinung“ das Vertrauen: Unsere Gesellschaft lasse „keine Überlebensgröße mehr zu“, hieß es im Radio. Ausdrücklich schreibe ich dies beobachtend und bar jeder Wertung, was vielleicht per se bereits wieder symptomatisch ist, ist doch das mosaikhafte Nebeneinanderstellen unterschiedlicher fragmenthafter Sichtweisen Basis und Kennzeichen der Entwicklung.

Jetzt kommt, aufgepasst, der Dreh zum RKB-Blog. Während der RKB-Konferenz sprach Gudrun Gersmann von der „Expertendämmerung“ im Zusammenhang mit dem (notwendigen) Wandel des Rezensionssystems. Christian Gries schrieb im Tagungsbericht: „Vor der These von Blogs und Tweets als aufmerksamkeitsgenerierenden Instrumenten konstatierte sie einen Expertenschwund und stellte die Frage, ob der traditionelle “Experte” überhaupt noch eine Figur der Zukunft sei“. Fragmentisierung als Tendenz der Zeit und Schlüsselwort der Zukunft? Vielleicht ja, ob man sie nun als Ausdruck wachsender Demokratisierung oder steigenden Selbstbewusstseins des Einzelnen deuten möchte, denn immerhin bleibt die Deutungs- bzw. Wertungshoheit in der Mosaiklandschaft ganz bewusst dem Einzelnen überlassen, oder zumindest den spezifischen Communities, in die der Einzelne sich notwendigerweise einbindet, weil er allein der Daten- und Meinungsmasse hilflos gegenüberstehen würde (s.u. zum Filter). Die Fragmentisierung bringt  „die Crowd“ als Phänomen – oder Phantom – untrennbar mit.

Das wachsende Selbstbewusstsein, mit dem das Individuum diesen Prozess bereichert (durch das Zutun seines eigenen Meinungsmosaiksteins) und abschließt (durch die Wertung vorhandener Fragmente) lässt gar keine Alternative zur sinkenden Wertigkeit von Vorbildern und Experten. Der (wissenschaftliche) Experte wird häufig aufgrund seiner Laufbahn oder seines Titels als solcher betrachtet – oder, um erneut die Brücke zum Rezensionswesen zu schlagen: Ihm wird die Rundumbeurteilung eines Buchs zugetraut, dessen Einzelaspekte möglicherweise besser und objektiver von mehreren oder vielen (fragmenthaft) Kommentierenden eingeschätzt werden könnten, wobei deren jeweilige Position und die Quelle ihrer Kompetenz immer weniger wichtiger wird, je kleinteiliger sich der Prozess darstellt. Vielleicht.

Dazu erschien neulich ein höchst lesenswertes Interview in der SZ (Feuilleton, 16. Juli 2013) mit David Weinberger, dessen Überschrift und Untertitel schon viel verraten: „Wer mit Ausbildung argumentiert, macht sich lächerlich. (…) Alternativen zum klassischen Expertentum“. Der Wandel funktioniert eben nur dann, wenn man unbegrenztem Platz und unbegrenzter Meinungsäußerung – im Sinne eines unendlich großen Mosaiks – mit einer Filter- und „Empfehlungskultur“ begegnet, wie Weinberger sagt. Dem Interviewer, der seine gerade im deutschsprachigen Raum so weit verbreiteten Sorge nur schlecht überspielt, diese Umbrüche bedeuteten den Untergang des Abendlands, hält er schlagfertig entgegen: „Sie müssen ein ziemlich einsames Leben da im Internet führen“.

Das alles wirkt, als sei die Entwicklung als ein Demokratiegewinn zu verstehen. Orientierung am Inhalt statt an Meriten und Machtinsignien.

Gibt es gute Gründe, um Sieglinde Geisel, der Autorin des eingangs benannten Politischen Feuilletons, in ihrer Meinung zu folgen, dass der Verlust von Vorbildern tendenziell demokratiegefährdend sei? Stifte(te)n Vorbilder, die wir derzeit reihenweise stürzen und verblassen sehen, tatsächlich Gemeinschaft durch ihre „Gravitationskraft“ – die in der Netzkultur kein Äquivalent findet? Wenn ja: Ist der Verlust von Experten analog auch wissenschaftsgefährdend? Verliert eine wissenschaftliche Diskussion an Wert, wenn sie – positiv formuliert – „auf Augenhöhe“ stattfindet? Das Netz stellt die Augenhöhe per Anonymität her. Erstaunlich, wie hoch der Reputationsunterschied beider Begriffe ist.

Quelle: http://rkb.hypotheses.org/554

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Geplante Sprachen

Im Unterschied zu natürlichen Sprachen, die sich irgendwann im Laufe der Menschheitsgeschichte entwickelt haben1, werden Plansprachen (auch konstruierte Sprachen genannt) von einzelnen Menschen oder Gruppen entworfen. Der Entwurf solcher Plansprachen kann auf unterschiedliche Beweggründe zurückgeführt werden; der bekannteste ist wohl die Erleichterung der Kommunikation über die Grenzen natürlicher Sprachen hinweg durch die Erschaffung einer künstlichen Lingua Franca. Esperanto - 1887 vom polnischen Augenarzt und Philologen Ludwig Zamenhof vorgestellt – dürfte wohl jeder Leserin bzw. jedem Leser ein Begriff sein. Es ist allerdings nur einer von mehreren Ansätzen, eine künstliche Sprache zu schaffen, die als Kommunikationsmittel für die gesamte Weltgemeinschaft dienen könnte.

Das Vokabular des Esperanto besteht zum großen Teil aus Entlehnungen aus romanischen Sprachen, ein Teil lässt sich aber auch auf germanische und slawische Ursprünge zurückführen. Zur leichten Erlernbarkeit setze Zamenhof auf strenge Regularitäten, z.B. eine phonematische Schriftweise (jedem Laut wird genau ein Schriftzeichen zugeordnet bzw. linguistisch korrekt: jedem Phonem entspricht genau ein Graphem); die Wortbildung ist an agglutinierende Sprachen (z.B. Türkisch) angelehnt, wo Sinneinheiten (linguistisch: sprachlichen Konzepten) eindeutige Wortbestandteile (linguistisch: Morpheme) zugeordnet sind. So ist ein Wort, das auf -o endet, immer ein Substantiv, eins auf -a immer ein Adjektiv. Durch Anhängen von -j kann man den Plural bilden, durch Vorsetzen von mal- verneinen:

  • la bela Blogo – der schöne Blog
  • la malbenaj Blogoj – die nicht schönen Blogs

Zamenhof bediente sich also des Vokabulars verschiedener natürlicher Sprachen und versuchte, die Grammatik weitestgehend zu systematisieren. Solche artifiziellen Sprachkonstrukte, die sich an natürlichsprachlichen Vorbildern orientieren, nennt man auch Plansprachen a posteriori. Sie werden unterschieden2 von Plansprachen a priori, die sich in erster Linie an anderen Konzepten (z.B. Logik, Kategorienlehre) anlehnen.

Solche a-priori-Plansprachen können u.a. philosophisch inspiriert sein, wenn z.B. die natürliche Ordnung der Dinge in der Sprache widergespiegelt werden soll. Einen solchen Ordungsversuch unternimmt etwa der anglikanische Geistliche und Naturphilosoph John Wilkins, niedergelegt in seinem “Essay towards a Real Character and a Philosophical Language” von 1668.3 Dafür musste er zunächst grundlegende Begriffsvorstellungen klassifizieren. Für diese klassifizierten Grundideen entwickelt er eine Begriffsschrift, bei der Grundkonzepte aus wenigen Linien bestehen, Untergattungen dann jeweils noch weitere Striche hinzufügen. Daraus resultiert, dass ähnliche Konzepten (die aus den gleichen Obergattungen abgeleitet sind) ähnliche Schriftzeichen zugeordnet werden. In der Übersetzung des Vater unser (Abbildung unten) ist zu sehen, dass sich “Earth” (Zeichen 22) von “Heaven” (24) nur durch einen zusätzlichen Querstrich rechts am Zeichen unterscheidet. Beide sind aus dem Zeichen für “World”, das ähnlich wie ein Additionszeichen (+) aussieht, abgeleitet. “Power” (71) und “Glory” (74) sind, nach ihren Zeichenkörpern zu urteilen, ebenfalls verwandte Konzepte für Wilkins, wie auch (etwas etwas weiter voneinander entfernt) “trespass” (50) und “evil” (65).

Das "Vater unser" in der Darstellung mit Wilkins Real Characters

Eine grundlegende Eigenschaft natürlichsprachlicher Zeichen ist die willkürliche (arbiträre) Zuordnung von Bezeichnendem (oder Zeichenkörper, Ausdruck, Signifiant) zu Bezeichnetem (oder dahinterstehendem Konzept, Inhalt, Signifié). Wilkins scheint daran gelegen zu haben, diese Willkür weitestgehend aufzuheben bzw. stringenter zu systematisieren, hin zu einem Isomorphismus zwischen Ausdruck und Inhalt. Das Resultat sollte eine nahezu perfekte Sprache sein, durch die Wahrheiten ausgedrückt oder sogar berechnet werden könnten, die sich in natürlichen Sprachen nicht ausdrücken bzw. automatisch berechnen lassen.

Mir ist nicht bekannt, ob jemals wer in der von Wilkins entworfenen Universalsprache tatsächlich korrespondiert hat – für die Zeichen waren keine verbalen Entsprechungen vorgesehen, ein mündlicher Austausch war daher ohnehin ausgeschlossen. Die Aufhebung der arbiträren Zuordnung zwischen Signifiant und Signifié dürfte allerdings im alltäglichen Gebrauch Probleme bereiten: Sprachsignale werden nie perfekt übertragen, auch in der schriftlichen Kommunikation kann es zu Schreibfehlern, Undeutlichkeiten, Verschmutzungen etc. kommen. In einer Sprache, wo ähnliche Signifiants völlig unterschiedlichen Signifiés zugeordnet sind (wie in natürlichen Sprachen), dürfte eine Disambiguierung (linguistisch für die Auflösung von Mehrdeutigkeiten) über den Kontext sehr viel erfolgreicher verlaufen, als in Sprachen, in denen ähnliche Zeichen auch ähnliches bedeuten (wie in Wilkins Sprachkonstrukt).

Der Universalsprachentwurf nach Wilkins hatte mit noch mehr Problemen zu kämpfen, insbesondere stellte die Klassifikation aller denkbaren (und damit potentiell in der Sprache zu verwendenden) Dinge Wilkins vor schwer bewältigbare Herausforderungen.4 Dennoch empfand ich die Beschäftigung mit ihr als lohnend, nicht zuletzt, weil viele der seltsamen Eigenschaften des Textes meines Lieblingsforschungsobjektes (dem Voynich Manuskript) durch einen ähnlichen Sprachentwurf erklärt werden könnten. Diese Idee hatte bereits einer der angesehensten Kryptoanalytiker des 20. Jahrhunderts, der Amerikaner William F. Friedman.5  Problematisch an dieser Hypothese war nur, dass das Voynich Manuskript mit einiger Sicherheit schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Prag kursierte, die ersten Plansprachen a priori aber scheinbar erst über ein halbes Jahrhundert später entworfen wurden (George Dalgarno 1661 und eben Wilkins 1668). Vor kurzem konnte aber gezeigt werden, dass bereits zum Anfang des 16. Jahrhunderts Methoden niedergelegt wurden, deren Anwendung etwas erzeugt, das den Eindruck erwecken kann, ein Text eines Universalsprachentwurfs zu sein, in Wirklichkeit aber ein Chiffrentext ist. Aber dazu hab ich ja schon mal was geschrieben.

So, von den zwei Versprechen, die ich im letzten Post gab, habe ich jetzt das erste eingelöst und damit das andere auch ein wenig wegprokrastiniert. Aber auch da geht es voran. Gut Ding will Weile haben…

______________________________

1 Niemand weiß so genau, zu welchem Zeitpunkt der Mensch anfing, seine Sprache, die sich wahrscheinlich grundlegend von Tierkommunikationssystemen unterscheidet (ich schrieb darüber), auszubilden. Ist vielleicht mal einen eigenen Post wert.

2 Diese Unterscheidung wurde schon 1903 in der Histoire de la langue universelle von Couturat und Leau vorgenommen.

3 Leider habe ich online keine vollständige Ausgabe gefunden – vielleicht hat ja jemand mehr Glück und schickt mir den Link, dann kann ich ihn einbauen. Müsste sich aber wohl um Bilder handeln – da im Original sehr viele Stammbäume abgedruckt sind, düften automatische OCR-Scans Probleme haben.

4 Der Versuch der Sammlung und Kategorisierung aller Konzepte durch Wilkins und seine Mitstreiter, die er in der Royal Society gewann/zwangsverpflichtete, wird sehr anschaulich im Roman Quicksilver, dem ersten Teil des Baroque Cycle von Neal Stephenson beschrieben.

5 Den Gepflogenheiten eines Kryptologen entsprechend hinterließ Friedman seine Vermutung in einem in einer Fußnote verstecktem Anagramm, das viel zu lang war, als dass man es hätte lösen können: “I put no trust in anagrammic acrostic cyphers, for they are of little real value – a waste – and may prove nothing -finis.” Nach seinem Tod war Elizebeth Friedman, seine Witwe und ebenso eine bekannte Kryptoanalytikerin, so gut, die Welt aufzuklären: “The Voynich MSS was an early attempt to construct an artificial or universal language of the a priori type. – Friedman.”

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/968

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Geplante Sprachen

Im Unterschied zu natürlichen Sprachen, die sich irgendwann1 im Laufe der Menschheitsgeschichte entwickelt haben, werden Plansprachen (auch konstruierte Sprachen genannt) von einzelnen Menschen oder Gruppen entworfen. Der Entwurf solcher Plansprachen kann auf unterschiedliche Beweggründe zurückgeführt werden; der bekannteste ist wohl die Erleichterung der Kommunikation über die Grenzen natürlicher Sprachen hinweg durch die Erschaffung einer künstlichen Lingua Franca. Esperanto – 1887 vom polnischen Augenarzt und Philologen Ludwig Zamenhof vorgestellt – dürfte wohl jeder Leserin bzw. jedem Leser ein Begriff sein. Es ist allerdings nur einer von mehreren Ansätzen, eine künstliche Sprache zu schaffen, die als Kommunikationsmittel für die gesamte Weltgemeinschaft dienen könnte.

Das Vokabular des Esperanto besteht zum großen Teil aus Entlehnungen aus romanischen Sprachen, ein Teil lässt sich aber auch auf germanische und slawische Ursprünge zurückführen. Zur leichten Erlernbarkeit setze Zamenhof auf strenge Regularitäten, z.B. eine phonematische Schriftweise (jedem Laut wird genau ein Schriftzeichen zugeordnet bzw. linguistisch korrekt: jedem Phonem entspricht genau ein Graphem); die Wortbildung ist an agglutinierende Sprachen (z.B. Türkisch) angelehnt, wo Sinneinheiten (linguistisch: sprachlichen Konzepten) eindeutige Wortbestandteile (linguistisch: Morpheme) zugeordnet sind. So ist ein Wort, das auf -o endet, immer ein Substantiv, eins auf -a immer ein Adjektiv. Durch Anhängen von -j kann man den Plural bilden, durch Vorsetzen von mal- verneinen:

  • la bela Blogo – der schöne Blog
  • la malbenaj Blogoj – die nicht schönen Blogs

Zamenhof bediente sich also des Vokabulars verschiedener natürlicher Sprachen und versuchte, die Grammatik weitestgehend zu systematisieren. Solche artifiziellen Sprachkonstrukte, die sich an natürlichsprachlichen Vorbildern orientieren, nennt man auch Plansprachen a posteriori. Sie werden unterschieden2 von Plansprachen a priori, die sich in erster Linie an anderen Konzepten (z.B. Logik, Kategorienlehre) anlehnen.

Solche a-priori-Plansprachen können u.a. philosophisch inspiriert sein, wenn z.B. die natürliche Ordnung der Dinge in der Sprache widergespiegelt werden soll. Einen solchen Ordungsversuch unternimmt etwa der anglikanische Geistliche und Naturphilosoph John Wilkins, niedergelegt in seinem “Essay towards a Real Character and a Philosophical Language” von 1668.3 Dafür musste er zunächst grundlegende Begriffsvorstellungen klassifizieren. Für diese klassifizierten Grundideen entwickelt er eine Begriffsschrift, bei der Grundkonzepte aus wenigen Linien bestehen, Untergattungen dann jeweils noch weitere Striche hinzufügen. Daraus resultiert, dass ähnliche Konzepten (die aus den gleichen Obergattungen abgeleitet sind) ähnliche Schriftzeichen zugeordnet werden. In der Übersetzung des Vater unser (Abbildung unten) ist zu sehen, dass sich “Earth” (Zeichen 21) von “Heaven” (24) nur durch einen zusätzlichen Querstrich rechts am Zeichen unterscheidet. Beide sind aus dem Zeichen für “World”, das ähnlich wie ein Additionszeichen (+) aussieht, abgeleitet. “Power” (71) und “Glory” (74) sind, nach ihren Zeichenkörpern zu urteilen, ebenfalls verwandte Konzepte für Wilkins, wie auch (etwas etwas weiter voneinander entfernt) “trespass” (50) und “evil” (65).

Das "Vater unser" in der Darstellung mit Wilkins Real Characters

Eine grundlegende Eigenschaft natürlichsprachlicher Zeichen ist die willkürliche (arbiträre) Zuordnung von Bezeichnendem (oder Zeichenkörper, Ausdruck, Signifiant) zu Bezeichnetem (oder dahinterstehendem Konzept, Inhalt, Signifié). Wilkins scheint daran gelegen zu haben, diese Willkür weitgehend aufzuheben bzw. stringenter zu systematisieren, hin zu einem Isomorphismus zwischen Ausdruck und Inhalt. Das Resultat sollte eine nahezu perfekte Sprache sein, durch die Wahrheiten ausgedrückt oder sogar berechnet werden könnten, die sich in natürlichen Sprachen nicht ausdrücken bzw. automatisch berechnen lassen.

Mir ist nicht bekannt, ob jemals wer in der von Wilkins entworfenen Universalsprache tatsächlich korrespondiert hat – für die Zeichen waren keine verbalen Entsprechungen vorgesehen, ein mündlicher Austausch war daher ohnehin ausgeschlossen. Die Aufhebung der arbiträren Zuordnung zwischen Signifiant und Signifié dürfte allerdings im alltäglichen Gebrauch Probleme bereiten: Sprachsignale werden nie perfekt übertragen, auch in der schriftlichen Kommunikation kann es zu Schreibfehlern, Undeutlichkeiten, Verschmutzungen etc. kommen. In einer Sprache, wo ähnliche Signifiants völlig unterschiedlichen Signifiés zugeordnet sind (wie in natürlichen Sprachen), dürfte eine Disambiguierung (linguistisch für die Auflösung von Mehrdeutigkeiten) über den Kontext sehr viel erfolgreicher verlaufen, als in Sprachen, in denen ähnliche Zeichen auch ähnliches bedeuten (wie in Wilkins Sprachkonstrukt).

Der Universalsprachentwurf nach Wilkins hatte mit noch mehr Problemen zu kämpfen, insbesondere stellte die Klassifikation aller denkbaren (und damit potentiell in der Sprache zu verwendenden) Dinge Wilkins vor schwer bewältigbare Herausforderungen.4 Dennoch empfand ich die Beschäftigung mit ihr als lohnend, nicht zuletzt, weil viele der seltsamen Eigenschaften des Textes meines Lieblingsforschungsobjektes (dem Voynich Manuskript) durch einen ähnlichen Sprachentwurf erklärt werden könnten. Diese Idee hatte bereits einer der angesehensten Kryptoanalytiker des 20. Jahrhunderts, der Amerikaner William F. Friedman.5  Problematisch an dieser Hypothese war nur, dass das Voynich Manuskript mit einiger Sicherheit schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Prag kursierte, die ersten Plansprachen a priori aber scheinbar erst über ein halbes Jahrhundert später entworfen wurden (George Dalgarno 1661 und eben Wilkins 1668). Vor kurzem konnte aber gezeigt werden, dass bereits zum Anfang des 16. Jahrhunderts Methoden niedergelegt wurden, deren Anwendung etwas erzeugt, das den Eindruck erwecken kann, ein Text eines Universalsprachentwurfs zu sein, in Wirklichkeit aber ein Chiffrentext ist. Aber dazu hab ich ja schon mal was geschrieben.

So, von den zwei Versprechen, die ich im letzten Post gab, habe ich jetzt das erste eingelöst und damit das andere auch ein wenig wegprokrastiniert. Aber auch da geht es voran. Gut Ding will Weile haben…

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  1. Niemand weiß so genau, zu welchem Zeitpunkt der Mensch anfing, seine Sprache, die sich wahrscheinlich grundlegend von Tierkommunikationssystemen unterscheidet (ich schrieb darüber), auszubilden. Ist vielleicht mal einen eigenen Post wert.
  2. Diese Unterscheidung wurde schon 1903 in der Histoire de la langue universelle von Couturat und Leau vorgenommen.
  3. Leider habe ich online keine vollständige Ausgabe gefunden – vielleicht hat ja jemand mehr Glück und schickt mir den Link, dann kann ich ihn einbauen. Müsste sich aber wohl um Bilder handeln – da im Original sehr viele Stammbäume abgedruckt sind, düften automatische OCR-Scans Probleme haben.
  4. Der Versuch der Sammlung und Kategorisierung aller Konzepte durch Wilkins und seine Mitstreiter, die er in der Royal Society gewann/zwangsverpflichtete, wird sehr anschaulich im Roman Quicksilver, dem ersten Teil des Baroque Cycle von Neal Stephenson beschrieben.
  5. Den Gepflogenheiten eines Kryptologen entsprechend hinterließ Friedman seine Vermutung in einem in einer Fußnote verstecktem Anagramm, das viel zu lang war, als dass man es hätte lösen können: “I put no trust in anagrammic acrostic cyphers, for they are of little real value – a waste – and may prove nothing -finis.” Nach seinem Tod war Elizebeth Friedman, seine Witwe und ebenso eine bekannte Kryptoanalytikerin, so gut, die Welt aufzuklären: “The Voynich MSS was an early attempt to construct an artificial or universal language of the a priori type. – Friedman.”

Quelle: http://texperimentales.hypotheses.org/968

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Streng geheim? Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck als Freimaurer

Die Freimaurerei stellte im geselligen 18. Jahrhundert einen der bedeutensten Geheimbünde dar. Zahlreiche bekannte Adlige, Intellektuelle und Kaufleute bevölkerten die freimaurerischen Logen, die sich seit Beginn des Jahrhunderts von Großbritannien aus rasch auf dem Kontinent verbreitet hatten. Auch nach der Französischen Revolution von 1789, die entgegen vieler anders lautender Verschwörungstheorien nicht von den Freimaurern geplant worden war, sondern insbesondere die französische Freimaurerei in eine tiefe Krise führen sollte, riss das Interesse an den Logen und den in ihnen gepflegten Ritualen nicht ab. Der Adel, der im Ancien Régime noch stark die Logen frequentiert hatte, wich um 1800 jedoch mehr und mehr der aufstrebenden bürgerlichen Elite.

 

Das Engagement Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dycks, der nach dem Einmarsch der Franzosen vom Altgrafen zwischenzeitlich zum einfachen “Citoyen” geworden war, innerhalb der napoleonischen Freimaurerei ist somit durchaus auffällig. Hierbei ist zu beachten, dass Napoleon die Logen für seine Sache zu nutzen wusste und sie letztlich sogar durch seinen Archichancelier Cambacérès beaufsichtigen ließ.

Ein Beitrag der Netzbiographie fragt nach den Gründen, die Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck dazu veranlassten, diesem “diskreten Netzwerk” beizutreten. Dabei zeichnet sich ab, dass es nicht nur politisches Kalkül war, das ihn zur freimaurerischen “Arbeit” berief.

 

Martin Otto Braun

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/221

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Rezensionsüberblick 7/2013 | #HistMonast

Seit Dezember erscheint hier auf dem Gemeinschaftsblog “Ordensgeschichte” ein monatlicher Rezensionsüberblick, zu dessen Erstellung alle Interessierten herzlich eingeladen sind.   Für den nun folgenden Überblick über Rezensionen, die im Juli 2013 online erschienen sind, wurden sehepunkte, H-Soz-u-Kult, recensio.net, H-Net Reviews, Reviews in History, H-ArtHist, histara, The Medieval Review, IASLonline, Concilium medii aevi und die Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte ausgewertet; die Zusammenstellung muss sich aber künftig natürlich nicht darauf beschränken. Wer sich in Zukunft beteiligen oder Ergänzungen anbringen möchte, ist herzlich eingeladen.   Die Rezensionen [...]

Quelle: http://ordensgeschichte.hypotheses.org/5407

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Kotau – die chinesische Ehrbezeugung

In Kreuzworträtseln wird regelmäßig nach Ausdruck für eine “chinesische Ehrbezeugung” gefragt. Gemeint ist damit der so genannte Kotau. Der Begriff leitet sich vom Chinesischen ketou 磕頭 (“mit dem Kopf auf den Boden schlagen”) ab. Dieser Ausdruck kam in der Song-Zeit (960-1279) in Gebrauch. Davor war seit der Han-Zeit (206 v.-220 n. Chr.) der Ausdruck koutou 叩頭 dafür gebräuchlich.[1]

In dem von A. C. Burnell und Henry Yule im späten 19. Jahrhundert zusammengestellten Hobson-Jobson. A Glossary of Colloquial Anglo-Indian Terms and Phrases liest man dazu:

“the salutation used in China before the Emperor, his representatives, or his symbols, made by prostrations repeated a fixed number of times, the forehead touching the ground at each prostration. It is also used as the most respectful form of salutation from children to parents, and from servants to masters on formal occasions, &c.”[2]

Wilkinson weist darauf hin, dass diese Form der Ehrbezeugung im traditionellen China ursprünglich nicht so unterwürfig gewesen wäre, wie es vor allem die ab der Wende zum 19. Jahrhundert entstandenen britischen Berichte über China häufig vermittelt hätten. Das Zeremoniell wurde zu einer Zeit eingeführt, als man in China beim Sitzen noch auf dem Fußboden kniete.[3]

Noch in der Qing-Zeit (1644-1911) war der Kotau fixer Bestandteil bei kaiserlichen Audienzen – damals in der Form sangui jiukou 三跪九叩, d. h. “dreimal verbeugen und neunmal mit der Stirn den Boden berühren.” Diese Ehrbezeugung lief wie folgt ab: die zur Audienz Vorgelassenen hatten niederzuknien und zunächst dreimal mit der Stirn den Boden zu berühren. Anschließend mußten sie sich erheben. Das Ganze wurde dann noch zwei mal wiederholt und anschließend wurde den in Audienz Empfangenen gestattet, sich zurückzuziehen.[4]

 

  1. Vgl. dazu Endymion Wilkinson: Chinese History. A Manual. Revised and enlarged (Cambridge, Mass., 2000) 106.
  2. Stichwort “Kotow, Kowtow”; vgl. dazu die Online-Version in den Digital Dictionaries of South Asia der University of Chicago. Vgl. auch Encyclopaedia Britannica, 11. Aufl., Bd. 15 (1911) 922: “Kowtow, or Kotou, the Chinese ceremonial act of prostration as a sign of homage, submission, or worship. The word is formed from ko, knock, and tou, head. To the emperor, the ‘kowtow’ is performed by kneeling three times, each act, accompanied by touching the ground with the forehead.”
  3. Wilkinson: Chinese History, 106. Zur “westlichen” Sicht auf diese Form der Ehrbezeugung und die dadurch ab dem späten 18. Jahrhundert entstandenen Spannungen in chinesisch-”westlichen” vgl. James L. Hevia: “‘The ultimate gesture of deference and debasement’: Kowtowing in China. In: Michael J. Braddick (Hg.): “The Politics of Gesture: Historical Perspectives” Past and Present, Supplement 4 (2009) 212-234.
  4. Vgl. Wilkinson: Chinese History, 106 f.

Quelle: http://wenhua.hypotheses.org/707

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Erfahrungsbericht über das Verfassen eines WP-Artikels

Das Verfassen eines Wikipedia-Artikels hatte ich mir zu Beginn des Seminars einfach vorgestellt. Entsprechend war meine Meinung über die Qualität und Nutzbarkeit von WP-Artikeln für die literaturwissenschaftliche Praxis nicht besonders hoch. Diese muss ich zum Teil, nachdem ich selbst einen Artikel verfasst habe (Ideenreportage), revidieren: Abgesehen von den technischen Hürden (HTML) hat auch das Verfassen des Artikels, vornämlich die Verweise auf die Quellen, mehr Zeit in Anspruch genommen als ich gedacht hätte. Das hat mein Vorurteil – jeder kann WP-Artikel schreiben und daher haben sie für die wissenschaftliche Praxis keinen Wert – zum Teil aufgehoben. Denn um einen Artikel zu verfassen, muss man abgesehen von der Kenntnissen zum Thema, worüber man einen Artikle verfassen möchte, bereit sein, sich mit der HTML-Sprache auseinanderzusetzen – auch wenn nur Grundkenntnisse genügen und Wikipedia Einem Hilfestellung bietet (Wikipedia-Hilfe)-, man muss in seinem Artikel ausreichende Quellennachweise einfügen und der Vollständigkeit halber Verlinkungen zu anderen WP-Artikeln herstellen.

Vornehmlich die Quellennachweise entscheiden meines Erachtens über die Seriösität eines Artikels, da sie zum Einen die Basis für den Artikel bilden und zum Anderen dem Leser die Möglichkeit geben, bei Bedarf den Inhalt des Artikels zu überprüfen bzw. zu rekonstruieren. Das ist der entscheidende Punkt, der meine Einstellung zu Wikipedia als literaturwissenschaftliches Instrument geändert hat: Als Nutzer habe ich die Möglichkeit – über den Aufbau und den Inhalt des Artikles hinaus – mir anhand der Bibliographie und der Versionsgeschichte ein Bild über die Kompetenz sowie das Wissen des Artikel-Autors bzw. Autoren zum Thema des Artikels zu machen.

Mein Fazit ist daher: Wikipedia ist wie jede Quelle kritisch zu nutzen und bietet Transparenz in Blick auf seine wissenschaftlliche Brauchbarkeit (Quellennachweise, Versionsgeschichte etc.); dennoch würde ich WP-Artikel nur mit Einschränkung als Ausgangspunkt, als Möglichkeit, sich einen ersten Überblick über ein Thema zu verschaffen, in der literaturwissenschaftlichen Recherchepraxis empfehlen.

Quelle: http://wppluslw.hypotheses.org/453

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Der Brand von Glogau (1631)

Am 24. Juni 1631 kommt es in Glogau zur Katastrophe: Eine Feuersbrunst bricht aus und erfaßt in wenigen Stunden fast die ganze Stadt. Schon wieder ein Ort, der in diesen unruhigen Zeiten in Asche gelegt wurde, könnte man sagen: Wo ist das Besondere an diesem Fall? Glogau (oder Großglogau, wie die Stadt in diesen Zeiten meist genannt wurde) war die Heimatstadt von Andreas Gryphius. Nun hatte dieser schon einige Jahre zuvor versucht, den Kriegsereignissen und ‑bedrückungen auszuweichen. Doch im Jahr 1631 war er in seine Heimat zurückgekehrt und wurde so Zeuge des Stadtbrands.

Was genau in der schlesischen Stadt passiert war, erfahren wir aus dem Bericht eines kurbayerischen Gesandten. Dieser hielt sich im Frühjahr 1631 in Prag auf und informierte von dort aus Kurfürst Maximilian in München über die aktuellen Entwicklungen in den kaiserlichen Erblanden. Am 5. Juli berichtete der Gesandte über die Ursache des Brands in Glogau: „Am St: Johannes tag, hat herr obriste Wachtmaister von Schaumburg, weill Er ein Creizherr, ein banchet gehalten, ist das feur in der Kuchel entstannden, vnnd zumallen die heiser maistens von holz, ist in wenig stunden, ausser des Schloß, die Statt in Aschen gelegt worden.“ (BayHStA, Dreißigjähriger Krieg Akten 260 fol. 42 Ausf.)

In diesen Wochen und Monaten intensivierten sich die Kämpfe der Kaiserlichen gegen die Schweden. Letztere rückten nicht nur, nachdem sie ihre Position in Pommern ausgebaut hatten, nach Mecklenburg und in die Mark Brandenburg vor, sondern griffen mehr und mehr auch nach Schlesien aus, stießen hiermit also in die kaiserlichen Erblande vor – eine Entwicklung, die man in Wien mit wachsender Sorge betrachtete. Gerade die Städte standen im Mittelpunkt solcher Vorstöße, und der Name Glogaus tauchte in den Berichten aus diesen Wochen immer wieder mal auf. Daß nun im Zuge solcher Überfälle und Kämpfe auch einmal eine Stadt in Flammen aufging, war nicht ungewöhnlich. Aufgrund der Nachricht des kurbayerischen Gesandten wissen wir aber nun sicher, daß im Fall Glogaus keine kriegerischen Verwicklungen zur Katastrophe geführt haben. Vielmehr war es offenbar ein Küchenunfall oder eine Unachtsamkeit, die sich im Zuge eines Banketts ereignete.

Natürlich war dies kein Trost für die Glogauer, die erst 1615 den letzten Stadtbrand hatten erleben müssen. Auch für Gryphius, der damals 16 Jahre alt war, wird dieses Ereignis eine prägende Wirkung gehabt haben. Wenige Jahre später, 1637, erlebte er im schlesischen Freystadt erneut einen Stadtbrand, ein Ereignis, das er dann in der „Fewrigen Freystadt“ beschrieb. Auch in diesem Fall war es wohl eine Unachtsamkeit, die die Feuersbrunst ausgelöst hatte. Für Gryphius und seine Zeitgenossen war der rote Hahn auf dem Dach eines von vielen Schicksalschlägen, die immer wieder vorkamen, neben Seuchen, Hungersnöten und Kriegsdrangsalen.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/227

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