Ostern im “September”

GR_Osterei_neuEier der ganz besonderen Art präsentiert die Pasticceria Bombiani in Rom. Unter dem Titel “Le Consistenze del Colore” zeigt sie 22 ovale Kunstwerke. Für jedes einzelne von Ihnen stand ein repräsentatives Werk eines international anerkannten Künstlers Pate. Die Konditorei griff für die Eier auf vorwiegend abstrakte Werke der Künstler zurück. Nur bei Gerhard Richter wählte sie nicht die dafür prädestinierten Streifenarbeiten oder die Farbtafeln aus. Sie entschied sich für das Bild “September (891-5)” von 2005.

Aus dem Faltblatt zur Ausstellung geht die Motivwahl nicht eindeutig hervor. Hier wird auf die Kunst Gerhard Richters im Allgemeinen abgehoben und sein permanenter Medienwechsel, vom Foto zum Gemälde zum Foto zurück, erläutert. Doch bei näherer Betrachtung ist das Motiv mehr als nur ein Stellvertreter der jüngsten Werke Gerhard Richters. Es ist ein Bild unserer Zeit und unserer Gesellschaft.

Richter malte das Bild nach einer Pressefotografie, die das New Yorker Word Trade Center am 11. September 2001 zeigt. In diesem Bild kommt die Tragik des Geschehens in all seinen Nuancen zum stehen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kulminieren in einem Standbild, dass die brennenden kurz vor dem Einsturz stehenden Hochhäuser zeigt. Das World Trade Center war nicht nur der höchste Gebäudekomplex New Yorks, sondern als Welthandelszentrum ein Symbol der amerikanischen Macht sowie der westeuropäischen Zivilisation schlechthin. Mit seiner Zerstörung wurde einmal mehr klar, wie zerbrechlich die Gesellschaft im Grunde ist. Damit wählte die Pasticceria – zufällig oder auch absichtlich – ein politisches Motiv, dass die krisenhafte Gegenwart in Frage stellt.

Während Richters Werk in seinem Kabinettformat, das Ereignis dokumentiert, scheint das auf das noch kleinere Osterei übertragene Motiv wie eine Ermahnung: Unsere Zeit ist fragiler als eine Eierschale. Und mit den Blick auf die christliche Ostergeschichte, fragt sich, ob die Motivübernahme eine Warnung an uns ist. Mit dem Tode und der Auferstehung Christi hat Gott, so die Bibel, Erbarmen mit dem Menschen gehabt und ihm die Möglichkeit gegeben, aus der Hölle zu entfliehen. Im Johannesevangelium geht mit der Auferstehung auch der Friede einher: “Friede sei mit euch!” verkündet Christus seinen Jüngern.

Doch der Mensch, wie es sich in der Geschichte abermals zeigt, schafft sich die Hölle auf Erden immer wieder selbst. Und so sollten wir der Frage, “Was war zuerst das Huhn oder das Ei”, an dieser Stelle nachgehen? Diese der Vernunft des Menschen entspringende Frage führt in ihrer paradoxen Struktur per se das Dilemma der Menschheit vor Augen. Denn unsere Gesellschaft erscheint wie ein perpetuum mobile zwischen friedlichen Miteinander und menschenunwürdiger Gewalt.

Die ovalen Meisterwerke mit Motiven der folgenden Künstler können noch bis zum 6. April bewundert werden:

  1. Afro Basaldella
  2. Federico Cari
  3. Piero Dorazio
  4. Gilbert & Georges
  5. Keith Haring
  6. Hans Hartung
  7. Collettivo Illimine
  8. Anselm Kiefer
  9. Franz Kline
  10. Emily Kame Kngwarreye
  11. Robert Mapplethorpe
  12. Georges Mathieu
  13. Joanna Irena Milewska
  14. Walter Musco
  15. Achille Perilli
  16. Robert Rauschemberg
  17. Mark Rothko
  18. Antoni Tapies
  19. Turkey Tolson Tjupurrula
  20. Cy Twombly
  21. Emilio Vedova

Mein Ausstellungstipp: Gerhard Richter legte 2009 der Edition (139) sein Bild “September (891-5)” zu Grunde. Der 66 auf 90 cm große Digitaldruck zwischen zwei Glasplatten ist noch bis zum 27. September im Dresdner Albertinum ausgestellt.

Mein Literaturtipp: Robert Storr: September. Ein Historienbild von Gerhard Richter, Köln 2010 [ISBN978-3-86560-792-8]

 

Quelle: http://gra.hypotheses.org/1623

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Arbeiter | Kultur | Geschichte. Arbeiterfotografie der Weimarer Republik im Museum

Flyer Tagung

Tagung am 27./28. März – Arbeiter | Kultur | Geschichte

In welchem Sinn sind die proletarischen Amateurfotografien der 1920er Jahre geschichtsträchtig? Sind sie „objektive Dokumente“ von Alltag, Armut, Arbeitslosigkeit? Relikte autobiografischer Erzählungen oder des Klassenkampfs? Als Zeugnisse einer Geschichte des Sehens und Zeigens „von unten“ stehen sie zwischen privater Erinnerung und öffentlichem Gebrauch, zwischen „Dokument“ und „Erfindung“.

Zum Abschluss des DFG-Forschungsprojekts zur Geschichte der Arbeiterfotografie der Weimarer Republik am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) findet im Stadtmuseum Dresden am 27. und 28. März 2015 die Tagung “Arbeiter | Kultur | Geschichte. Arbeiterfotografie der Weimarer Republik im Museum” statt. Sie ist verbunden mit der dritten Station der Ausstellung “Das Auge des Arbeiters”, die 2014 in den Kunstsammlungen Zwickau und dem Käthe Kollwitz Museum Köln zu sehen gewesen war und die in Dresden mit einer wiederum veränderten Konzeption am 20. März eröffnet werden wird.

Die Vorträge stellen Arbeiterfotografien in den Kontext von Alltagskultur und politischer Propaganda und diskutieren ihre Beziehungen zur illustrierten Presse, zu Film und Kunst. Dabei werden auch Methoden anschaulich, Bilder als in einem umfassenden Sinn sozialgeschichtliche Quellen zu verstehen.
Hierzu gehört nicht zuletzt die Frage nach der Wirkung der politischen Verhältnisse in Ost und West zwischen 1945 und 1990 auf die Bestandsbildung in den Museen und damit auch auf das Geschichtsbild über die Weimarer Zeit. Die Tagung richtet sich an Interessierte aus den Bereichen Fotografie- und Mediengeschichte, Industrie- und Alltagskultur, Kunst- und Pressegeschichte sowie an mit der Bewahrung, Erschließung und Ausstellung von Fotografien Beschäftigte in Archiven und Museen.

Veranstalter sind das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. und das Stadtmuseum Dresden in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, dem Käthe Kollwitz Museum Köln und den Kunstsammlungen Zwickau.

Gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen.

 

 

 

Programm

Freitag, 27.3.2015, 12:00 – 20:00
12:00 BEGRÜSSUNG – Ralf Lunau (Beigeordneter für Kultur, Landeshauptstadt Dresden), Erika Eschebach (Stadtmuseum Dresden), Winfried Müller (Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde) und Korinna Lorz (Sächsische Landesstelle für Museumswesen)
12:15 EINFÜHRUNG- Holger Starke (Stadtmuseum Dresden): “Dokumente der Zeit”? Arbeiterfotografien im Geschichtsmuseum
12:30 GESCHICHTE- Mike Schmeitzner (Hannah-Arendt-Institut Dresden): Arbeiterkultur in Sachsen. Milieu und Medien
Andreas Ludwig (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam): Gegenwart als Geschichte. Museales Sammeln und Ausstellen in der DDR
14:00 Kaffeepause
14:30 IKONOGRAFIEN- Günter Agde (Berlin): Ein Muskelmann, ein Symbol und die werktätigen Massen. Metamorphosen eines Logos und seiner Bedeutung
Wolfgang Hesse (ISGV Dresden): Öffentlich privat. Arbeiterfotografien im Familienalbum
16:00 Kaffeepause
16:30 MEDIEN – Andreas Krase (Technische Sammlungen Dresden): Professionelle Amateurfotografie. Das Bildertagebuch Hugo Erfurths
Sabine Kriebel ( University College Cork): Bild und Schrift. Fotomontagen
18:00 AUSSTELLUNGSBESUCH
20:00 Abendessen

Samstag, 28.3.2015, 9:00 – 16:00
9:00 MEDIEN – Anton Holzer (Zeitschrift Fotogeschichte, Wien): Erzählende Bilder. Fotoreportagen in der bürgerlichen und proletarischen Presse um 1930
Klaus Kreimeier (Berlin): “Erobert den Film!” Dokumentarisches Kino und Arbeiterbewegung vor 1933
10:30 Kaffeepause
11:00 KUNST – Johannes Schmidt (Städtische Galerie Dresden): “Den Kampfwillen versinnbildlichen”. Otto Griebel und die Kunst der Agitation
Mathias Wagner (Galerie Neue Meister, SKD Dresden): Die Internationale. Über Massendarstellungen in Fotografie und Kunst
12:30 Mittagspause
13:30 PRAXIS – Jens Bove (Deutsche Fotothek Dresden): Erschließungsfragen. Bilder und Texte
Karl Klemm (TU Bergakademie Freiberg)/ Markus Walz (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig): Ein Forschungsprojekt, drei Ausstellungsplanungs-Prozesse. Erkenntnistransfer im museologischen Rückblick
15:00 PERSPEKTIVEN – Manfred Seifert (Philipps-Universität Marburg): Arbeitskulturen, Mentalitäten, Industriekultur
15:30 SCHLUSSDISKUSSION
16:00 Ende der Tagung

 

Die Tagung findet statt im Festsaal des Stadtmuseums Dresden, Wilsdruffer Straße 2, 01067 Dresden, Eingang: Landhausstraße.

Quelle: http://www.visual-history.de/2015/03/23/arbeiter-kultur-geschichte-arbeiterfotografie-der-weimarer-republik-im-museum/

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Das regionale Bild-Gedächtnis

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Zwei Tendenzen haben innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte in der Geschichtswissenschaftan Gewicht gewonnen die „Wiederkehr des Raums“[1] – der so genannte spatial turn – und die „Wiederkehr der Bilder“ [2], auch als Iconic oder Visual Turn bezeichnet. Ein Ausstellungsprojekt im Braunschweiger Museum für Photographie führt diese beiden Strömungen nun in einer Ausstellung zusammen und fragt nach der Bedeutung des Mediums Fotografie als Mnemotechnik einer Gesellschaft. Im Vordergrund steht dabei die Region als Leitkategorie für Identitäten und Gedächtnisse. 17 Fotografinnen und Fotografen haben ihren persönlichen Zugang zur Geschichte und Gegenwart der Region Niedersachsen fotografisch festgehalten. Die Resultate werden derzeit im Museum für Photographie Braunschweig ausgestellt und parallel dazu online archiviert – als digitaler Grundstock für ein regionales Bild-Gedächtnis, das in den nächsten Jahren sukzessive wachsen soll.

Lucia Halder sprach mit der Museumsleiterin und Kuratorin der Ausstellung Dr. Gisela Parak über das Projekt.

 

Lucia Halder: Der vollständige Titel der Ausstellung lautet „Das regionale Gedächtnis Teil 1 – Ausstellung und Webarchiv. Ein zweiteiliges Ausstellungsprojekt mit den Mitgliedern, Freunden und Gästen des Museums für Photographie Braunschweig e. V. – was war die Ausgangsidee für das Projekt?

Gisela Parak: Wir wollten damit das Wissen unserer Mitglieder für diese Region – Braunschweig, Wolfsburg, Hannover – abrufen, um ein fotografisches Gedächtnis der Region aufzubauen. Niedersachsen ist auf der Fotolandkarte nicht so präsent. Wir schauen in diesem Zusammenhang oft etwas neidisch auf das Ruhrgebiet. Im Laufe des Projektes haben wir aber festgestellt, dass es hier zahlreiche Fotografinnen und Fotografen und auch eine beeindruckende fotografische Tradition gibt. Zum Beispiel Heinrich Heidersberger aus Wolfsburg, oder Peter Keetmann, der im Jahr 1953 inzwischen ikonisch gewordene Bilder des VW-Werks aufgenommen hat. Oder schauen Sie sich die bedeutenden Fotografien des Fagus-Werks in Alfeld an der Leine von Albert Renger-Patzsch an. Das sind Bilder, die aus dem visuellen Gedächtnis nicht mehr wegzudenken sind. Und zwischen diesen historischen Positionen und der Region, so wie sie sich heute darstellt, wollten wir mit der Fragestellung der Ausstellung eine Brücke schlagen.

 

Lucia Halder: Und wie generiert man ein visuelles Gedächtnis in der Praxis?

Gisela Parak: Das Projekt ist partizipativ aufgebaut. Wir haben aus dem Kreis unserer Mitglieder 17 ganz unterschiedliche Persönlichkeiten ausgewählt, die dann in drei Workshops ihr jeweiliges Konzept erarbeitet haben. Manche hatten schon genau im Kopf, was sie abbilden wollen, andere haben sich – wie im Ausstellungstitel angedeutet – auf Spurensuche begeben. Herausgekommen sind beeindruckende Auseinandersetzungen mit der Region und Ihrer Geschichte. Es gibt in der Ausstellung künstlerische Positionen, die zum um die Ecke denken einladen. Aber auch dokumentarische Fotografien. Timo Hoheisel zum Beispiel hat das Atommüll-Endlager Asse fotografiert und sich dabei von außen nach innen vorgearbeitet. Fotos erleichtern die Auseinandersetzung mit einem Ort, mit seiner Geschichte. Die Frage, was ein Ort für ein Individuum bedeutet und wo sich diese Bedeutung zeigt nutzt sich nicht ab und kann zu jeder Zeit immer wieder neu gestellt werden.

Das Online-Archiv beherbergt auch die historischen Sammlungen des Photomuseum Braunschweig.

Das Online-Archiv beherbergt auch die historischen Sammlungen des Photomuseum Braunschweig.

 

Lucia Halder: Die Bilder werden archiviert und online zugänglich gemacht, es soll ein „dauerhaftes fotografisches Gedächtnis“ sein. Gedächtnis und Geschichte sind untrennbar miteinander verbunden. Welche Rolle spielt Geschichte in Ihrem Projekt?

Gisela Parak: Auf der Seite http://dasregionalegedaechtnis.de werden die Bilder eingespeist, ausführlich kommentiert und sind jederzeit abrufbar. Wir haben dort aber auch historische Bestände aus unserer Sammlung eingearbeitet. Mit den Fotografien aus der Ausstellung wollen wir nicht einfach Geschichte illustrieren, sondern einen persönlichen Zugang schaffen. Es geht nicht darum, die Region möglichst flächendeckend zu kartieren, sondern sie individuell und selektiv zu entdecken. Aber die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Region ist natürlich zentral. Braunschweig liegt im einstigen so genannten Zonenrandgebiet. Mit der ersten Ausstellung haben wir einen spannungsreichen Grundstock vorgelegt. Aber ich sehe auch Entwicklungspotential für eine weitere Ausstellung. Eine Fotografinhat eine Wagenkolonie aufgespürt, die sich exakt auf dem ehemaligen Grenzstreifen niedergelassen hat. Ein Weiterer zeichnete Spuren der Protestkultur im Wendland auf. Ein anderer Fotograf setzt sich seit Jahren mit historisch belasteten Orten aus der Zeit des Nationalsozialismus auseinander. So funktioniert das Gedächtnis, man erinnert sich an etwas und findet einen eigenen Zugang, das kann ein spielerischer Zugang sein, das Resultat kann aber auch ein subjektiv-alternatives Geschichtsbild ergeben, das durchaus subversiv sein kann.

 

Lucia Halder: Sie sprechen also von Fotografie als sozialer Praxis…

Gisela Parak: Genau. Es geht darum, dass die Fotografinnen und Fotografen bildlich ihre Sichtweisen vorstellen. Eine der Rubriken in unserer Ausstellung ist „Architektur“. Das wiederaufgebaute Schloss in Braunschweig ist da ein prominentes Beispiel. Das Gebäude wurde rekonstruiert, im Innern befindet sich jedoch eine Shopping-Mall. Daran spalten sich natürlich die Meinungen. Durch die fotografische Dokumentation dieses Prozesses entstehen Statements. Die Fotografierenden erörtern in ihren künstlerischen Kommentaren wichtige Ereignisse, Momente und Orte der kulturellen Identität der Region.

 

Lucia Halder: Produktions- und Firmengeschichten stehen oft in enger Beziehung zur regionalen Erforschung von Geschichte. In Braunschweig waren einst so prägende Firmen wie Voigtländer und Rollei ansässig. Werden sie als Teil des regionalen Gedächtnisses wahrgenommen?

Gisela Parak: Die Firmengeschichten sind noch unheimlich präsent. Braunschweig bezeichnet sich gerne selbst als Fotostadt. Wichtige Firmen – Sie haben sie bereits genannt – haben hier Fotoapparate hergestellt und in alle Welt verkauft.Technikgeschichte ist jedoch aus Fotomuseen zugunsten künstlerischer Annäherungen an das Medium weitest gehend ausgegliedert. Was nicht heißen muss, dass der Aspekt komplett ausgeblendet wird. Die Deichtorhallen Hamburg widmen ihre aktuelle Ausstellung beispielsweise dem 100. Geburtstag der Leica-Kamera. Aber uns in Braunschweig geht es bei dem Projekt eher darum, zu hinterfragen, was eigentlich dran ist, an diesem Selbstbild der Fotostadt.

 

Lucia Halder: Der Medienwissenschaftler Knut Hickethier stellte fest, regionale Forschung gehe davon aus, „daß sich Geschichte in den lokalen und regionalen Besonderheiten manifestiert. Gegenüber dem überregionalen Allgemeinen behauptet die Region ihren Eigensinn.“[3] Was ist das besondere an der Kategorie Region?

Gisela Parak: Ich glaube, dass Ereignisse der Regionalgeschichte oftmals stellvertretend für übergeordnete Prozesse stehen können, sie tun dies aber viel persönlicher und zu Herzen gehend. Das haben wir auch schon vor zwei Jahren in der Ausstellung „Gift-Gegengift“ von Franz Wanner zeigen können. Die Fragestellung war ähnlich. Franz Wanner hat sich auf Spurensuche in dem bayerischen Kurort Bad Tölz gemacht und hat erstaunliches gefunden: Spuren der NS-Geschichte und Hinweise auf Spionageaktivitäten aus der Zeit des Kalten Krieges – Bad Tölz wurde plötzlich zum Prototyp bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte. Und zwar nur, weil sich der Fotograf voll und ganz auf das Regionale eingelassen hatte. In jeder Region gibt es solche Beispiele, in denen sich das große Ganze wiederspiegelt, die aber auch eine gewisse Einzigartigkeit bewahrt. Regionaler Eigensinn ist etwas ganz wunderbares.

 

Lucia Halder: Sind historische Fotoprojekte wie beispielsweise die französischen „Mission héliographique“ von 1851, oder das Fotoprogramm der „Farm Security Administration“ in den USA der 1930 und 40-er Jahre Ideengeber für eine solche „Vermessung der Region“?

Gisela Parak: Als Historikerin habe ich natürlich ein ausgeprägtes Interesse daran, wie eine Stadt oder eine Region in der Vergangenheit funktioniert hat und wie sie heute funktioniert. Da drängen sich mir viele Fragen auf: Was ist Strukturwandel? Welche Teile der Geschichte sind noch lebendig? Was für spezifische Erinnerungsorte gibt es hier? Fotografie ist ein Medium, dass soziale Themen begleitet und reflektiert. Wir wollen unsere Mitglieder als fotografische Feldforscher in Land schicken. In der Art der Ausführung gibt es somiteine gewisse Nähe zu den von Ihnen erwähnten historischen Programmen, wenngleich die Intentionen jeweils völlig andere waren.

 

Lucia Halder: Ende 2015 wird das Projekt fortgesetzt. Wie geht es weiter?

Gisela Parak: Wir werden eine weitere Gruppe von Fotografinnen und Fotografen einladen, ihre Erinnerung aufzuzeichnen und auszustellen. Der Bestand soll sukzessive wachsen. Im Jahr 2016 soll das Projekt dann in eine offene Ausschreibung überführt und das Archiv geöffnet werden. Jeder ist herzlich eingeladen am Gedächtnis der Region mitzuarbeiten.

 

Lucia Halder: Vielen Dank für das Gespräch!

 

Timo Hoheisel, 13.30 Uhr, aus der Serie Asse II, 2013, mit freundlicher Genehmigung des Photomuseum Braunschweig Andreas Gießelmann, Frischluft, aus der Serie OP Bunker, 2010 (mit freundlicher Genehmigung des Photomuseum Braunschweig)

Der Fotograf Timo Hoheisel fotografierte das Endlager Asse (links). Andreas Gießelmann machte sich auf Spurensuche im ehemaligen OP-Bunker in der Celler Straße in Braunschweig (rechts). Mit freundlicher Genehmigung des Photomuseum Braunschweig.

 

[1] Osterhammel, Jürgen: Die Wiederkehr des Raumes: Geopolitik, Geohistoire und historische Geographie, in: Neue Politische Literatur, Jg. 43, 1998, Heft 3, S. 374–397.

[2] Boehm, Gottfried: Die Wiederkehr der Bilder. In: Gottfried Boehm (Hrsg.): Was ist ein Bild? München 1994, S. 11–38.

[3] http://www.massenmedien.de/allg/spur/hicke.htm

Quelle: http://www.visual-history.de/2015/02/16/das-regionale-bild-gedaechtnis/

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Besprechung der Wiener Velázquez-Ausstellung im Frühneuzeit-Info-Blog

Andreas Plackinger hat für das Weblog der Frühneuzeit-Info die noch bis Mitte Februar im Wiener Kunsthistorischen Museum gezeigte Velázquez-Ausstellung besucht und eine Besprechung verfasst, die auch einige Kritikpunkte anzumelden hat.

Sein Fazit:
Derartige Unterlassungen und die nicht immer glückliche Hängung lassen zuweilen den Verdacht aufkommen, die Kuratorin habe sich mit Velázquez schwer getan, ganz so, als hätte es an der rechten Begeisterung für diesen Künstler gefehlt. Nichtsdestoweniger bleibt es eine verdienstvolle Leistung der OrganisatorInnen, Velázquez mit einer umfangreichen monographischen Ausstellung erstmals im deutschsprachigen Raum gewürdigt zu haben.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022386280/

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Eine komponierte Sichtweise

Magdeburg 1998-2000

Passend zum 25. Jubiläum des Mauerfalls präsentiert die LOOCK Galerie vom 18. Oktober bis zum 31. Januar 2015 eine Ausstellung mit Bildern des Fotografen Ulrich Wüst. Die Sammlung mit dem Titel „Übergänge“ beschäftigt sich zwar nicht direkt mit den Ereignissen vom 9. November 1989, aber eben auch mit den Jahren danach.

Berlin 1995-1997

Berlin 1995-1997, Pressefoto zur ausschließlichen Verwendung für die die Besprechung der Ausstellung „Übergänge” in der Loock Galerie (© Ulrich Wüst, veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung)

Es werden drei verschiedene Werkgruppen des Künstlers gezeigt. Eine davon bildet die Veränderungen in Berlin-Mitte (Berlin 1995 – 1997) nach dem Abbau der innerdeutschen Grenze ab. Anhand der zweiten Gruppe Morgenstraße (Magdeburg 1998 – 2000) wird die Geschichte Magdeburgs, Wüsts Geburtsstadt, erzählt. Der Verfall der einstigen Industriestadt steht im Mittelpunkt dieser Arbeiten. Als dritte Sammlung kann man die Bildergruppe Fremdes Pflaster (Köln 2004 – 2005) sehen, welche einerseits das traditionelle Stadtbild zeigt, jedoch auch auf die Entwicklung dieser eingeht.

Die kleine Galerie besteht aus zwei aneinander-grenzenden Räumen, beide sind weiß gestrichen und lassen die Lokalität eher unscheinbar wirken. Wendet man sich jedoch den Bildern zu, bemerkt man, welche starke Aussagekraft diese in Schwarz-Weiß entwickelten Fotografien haben.

Magdeburg 1998-2000

Magdeburg 1998-2000, Pressefoto zur ausschließlichen Verwendung für die die Besprechung der Ausstellung „Übergänge” in der Loock Galerie (© Ulrich Wüst, veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung)

Die erste Wand zeigt Bilder aus Magdeburg. Darunter eine Straße mit einem Haus, welches einen Sexshop mit dazugehörigem Kino beheimatet. Die Fassade des Gebäudes ist aus Beton und bröckelig. Dieser Vordergrund ist durch eine Mauer zum Hintergrund der Fotografie abgegrenzt. Hinter dieser Mauer steht eine Häusergruppe, die aus Neubauten in älterem Stil zu bestehen scheint. Obwohl die Bildkomposition stimmig ist, passen die gezeigten Gebäude nicht zueinander. Es scheint, als sei die Stadt in der Entwicklung zur Moderne hängen geblieben. Die in der Vergangenheit berühmte Industriestadt Magdeburg muss der kommerziellen Dienstleistung in Gestalt der immer beliebter werdenden Pornoindustrie weichen, schafft dabei aber den „Absprung“ zu der modernen Infrastruktur nicht.

Geht man weiter in den nächsten Raum, kann man auf den Fotografien die Straßen von Berlin erkennen. Die Aufnahmen zeigen verfallene Häuser mit eingeschlagenen Fenstern und abgebröckelter Fassade. Oft haben diese Gebäude nur eine Front, oder die Fenster auf der anderen Seite wurden zugemauert. Sie wirken wie Kulissen aus einem Film, als gäbe es keinen Raum hinter den Fenstern. Die Spuren des Postsozialismus oder besser gesagt dessen Reste sind deutlich zu erkennen. Heute erscheint es in Berlin-Mitte kaum noch vorstellbar, dass Straßen oder gar Häuser von der Mauer geteilt wurden, doch damals war das Realität und trennte Familien und Freunde voneinander, die zuvor in demselben Gebäude gewohnt hatten.

Köln 2004-2005

Köln 2004-2005, Pressefoto zur ausschließlichen Verwendung für die die Besprechung der Ausstellung „Übergänge” in der Loock Galerie (© Ulrich Wüst, veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung)

Dreht man sich zur Seite, landet man thematisch in der nordrhein-westfälischen Stadt Köln. Die Darstellungen sind von einem Paradoxon geprägt. Auf der einen Seite wird das Stadtbild von traditionellen gotischen und antiken Bauwerken dominiert, auf der anderen Seite geht es um die Entwicklung zur modernen Industriestadt. Dies zeigt sich zum Beispiel an einem Foto, das im Hintergrund den Dom in seiner vollen Pracht der gotischen Bauweise zeigt. Der Betrachter schaut von einer Treppe, die ans Ufer des Rheins führt, auf die Szenerie. Links im Bild auf einer Brücke ist von hinten eine Reiterstatue zu erkennen, die in Richtung Dom „schaut“. Den Gegensatz zu diesem edel anmutenden Ausblick bildet der Vordergrund des Fotos. Der Kölner Hauptbahnhof verdeckt mit seiner großen kuppelförmigen Halle und den vielen Oberleitungen den freien Blick auf das früh-neuzeitliche Bauwerk. Die Brücke, auf dem die Statue steht, scheint durch die Eisenbahnbauten verlängert worden zu sein. Dieser Fakt ist ein aussagekräftiges Sinnbild, wie aus dem Alten das Neue, das Moderne entsteht und im neuen Stadtbild integriert wird.

Ulrich Wüst hat mit seinen Werken eine Zeitspanne dokumentiert, die wichtige Etappen der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland umrahmt. Dabei hat er sich nicht auf Schnappschüsse verlassen, sondern seine Aufnahmen streng komponiert. Alles passt zusammen und ist so gewollt. Er fotografiert nicht nur die Eindrücke, sondern verfolgt immer einen Zweck, möchte dem Betrachter eine Botschaft hinterlassen. Das ist Wüst in der Ausstellung definitiv gelungen.

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/12/15/eine-komponierte-sichtweise/

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„Hier wird regiert!“ – eine Ausstellung in Wolfenbüttel

Ausstellungen zur Geschichte der Frühen Neuzeit bringen regelmäßig Aktenschriftstücke als Exponate, aber sie eröffnen keine methodischen Bezüge zur Aktenkunde. Das ist bei dieser Ausstellung in der Neuen Kanzlei in Wolfenbüttel anders.

Die Neue Kanzlei in Wolfenbüttel. Eigenes Bild, CC-BY-SA

Die Neue Kanzlei in Wolfenbüttel. Eigenes Bild, CC-BY-SA

Die Neue Kanzlei beherbergte seit ihrer Fertigstellung 1590 auch die Schreibstube und das Archiv der Verwaltung im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel. Die Fassade hat seit einem historisierenden Umbau Mitte des 19. Jahrhunderts wenig Ähnlichkeit mehr mit dem ursprünglichen Anblick. Das Besondere ist aber, dass sich im Erdgeschoss die markanten Teile der Innenausstattung des Archivs - nach heutigem Verständnis: der Registratur - erhalten haben, nämlich wandhohe Einbauschränke mit hölzernen Aktenladen, daneben auch Archivtruhen von beeindruckenden Ausmaßen (Bild).

Man kann sich leicht vorstellen, wenn man in diesen Gewölben steht, wie geschäftige Sekretäre und Registratoren schreiben, abstreuen und siegeln, Konzepte von Raum zu Raum bringen, Laden öffnen und schließen, Akten ausheben und reponieren.

Die Idee der Macher, ausgerechnet hier eine Ausstellung zur Herrschaft im Zeitalter des "Policey"-Staates und zu deren verschriftlichter Praxis zu inszenieren, ist deshalb brillant. Der Titel der Ausstellung ist ihr Programm: Genau hier wurde regiert. Der zeitliche Bezug ist die Regierungszeit Herzog Anton Ulrichs (Mitregent 1685, allein 1704-1714), eine wichtige Epoche der braunschweigischen Landesgeschichte. (Offizielle Ausstellungsbeschreibung)

Heute beherbergt die Neue Kanzlei die archäologische Abteilung des Braunschweigischen Landesmuseum, das für dieses Projekt mit dem Standort Wolfenbüttel des Niedersächsischen Landesarchivs kooperiert hat. Die Ausstellung läuft bis zum 3. Mai 2015.

Die Ausstellungsmacher haben sich große Mühe gegeben, durch ein ansprechendes, aber nicht krampfhaft zeitgemäßes Design die Ausstellung für ein breites Publikum interessant zu machen; das Symbol der Ausstellung ist die Silhouette eines Würdenträgers mit barocker Perücke und zur "Merkel-Raute" gelegten Händen. Die ungünstigen Öffnungszeiten (Mi. 15-19 Uhr, Fr.-So. 10-17 Uhr) werden dem Publikumserfolg trotz dieses Bemühens um Zugänglichkeit aber wohl Grenzen setzen. Die "Braunschweiger Zeitung" titelte in ihrer Ausgabe vom 19. November 2014 "Mehr Bürokratie wagen" und findet die Ausstellung ganz interessant, auch wenn es viel olles Papier zu sehen gibt. Da ist wohl etwas nicht ganz 'rübergekommen.

Außenaufgang zur Loggia des 1. Stocks (ehemaliger Audienzsaal). Eigenes Bild, CC-BY-SA

Außenaufgang zur Loggia des 1. Stocks (ehemaliger Audienzsaal). Eigenes Bild, CC-BY-SA

Es ist ein Begleitband mit Miszellen zur Herrschaft Herzog Anton Ulrichs erhältlich, der mit Abbildungen zahlreicher Exponate illustriert ist, aber keinen Ausstellungskatalog im eigentlichen Sinne darstellt (Bei der Wieden u. a. 2014). Aus aktenkundlicher Sicht sind aus dem Inhalt besonders hervorzuheben Brage Bei der Wiedens verwaltungsgeschichtlicher Abriss "Die Fürstlichen Kollegien und ihre Organisation" (S. 42-57) und Markus Friedrichs "Regierungspraxis und Archivbenutzung in Wolfenbüttel zur Zeit Anton Ulrichs (S. 136-155) - letzteres ein Zeugnis der erfreulichen Hinwendung der Geschichtswissenschaft zur Archivgeschichte und zum Archiv als Element des Machtapparats der Obrigkeit.

Die Ausstellung ist von der Menge der Exponate her klein, aber aussagekräftig. Das Landesmuseum hat eine Anzahl interessanter Realien von der Münzwage bis zum Richtschwert gestellt. Für hilfswissenschaftlich Interessierte stehen natürlich die Archivalien das Landesarchivs im Vordergrund, die mit dieser Ausstellung in den räumlichen Zusammenhang ihrer Entstehung, administrativen Wirksamkeit und jahrhundertelangen Aufbewahrung zurückkehren. (Die Neue Kanzlei diente vor ihrer Widmung zum Museum bis 1956 als Staatsarchiv.)

Der besondere Reiz dieser Ausstellung liegt in der fassbaren Inszenierung pragmatischer Schriftlichkeit der frühneuzeitlichen Obrigkeit. Diese Erfahrung nutzt auch der praktischen Anwendung der Aktenkunde. Mit einem plastischen Bild von den physischen Verhältnissen vor Augen fällt es leichter, den Geschäftsgang eines frühneuzeitlichen Schriftstücks nicht nur zu rekonstruieren, sondern auch zu verstehen.

Literatur

Bei der Wieden, Brage/Wendt-Sellin, Ulrike/Derda, Hans-Jürgen, Hg. 2014. Hier wird regiert! Die Beamten im Dienste des durchlauchtigsten Herzogs Anton Ulrich. Kleine Reihe des Braunschweigischen Landesmuseums 6. Braunschweig.

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/282

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Das Innere nach außen gekehrt

Alf Lockhart (Großbritannien, 1918)

Alf Lockhart (Großbritannien, 1918)

Alf Lockhart (Großbritannien, 1918). Press photo for exhibition „The Eyes of War“ in the German Historical Museum in Berlin

Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt seit dem 1. Oktober 2014 Fotografien des Niederländers Martin Roemers. 2004 traf der Fotograf den britischen Kriegsveteranen Frederick Bentley, der im Jahre 1944 sein Augenlicht verlor, als er von einer Granate getroffen wurde. Berührt von diesem Schicksal, begann der Niederländer nach Personen zu suchen, die ähnliche Erfahrungen wie Bentley gemacht haben. Entstanden ist eine große Sammlung an Geschichten und Bildern aus den verschiedensten Ländern.

Die Ausstellung umfasst 40 Porträts von Menschen aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, der Ukraine und der ehemaligen Sowjetunion. Die Bilder zeigen Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs als Jugendliche, junge Erwachsene und Soldaten ihr Augenlicht zum Teil oder ganz verloren haben. Begleitet werden die ca. ein Meter großen Aufnahmen von Interviews mit den gezeigten Personen, die ihre persönlichen Geschichten erzählen. So berichtet ein Mann aus Großbritannien von einem Freund, mit dem er gemeinsam einen verschütteten Keller nach interessanten Dingen durchsucht hatte. Dabei fanden die beiden eine Handgranate, die sie aber nicht als solche erkannten und damit spielten. Als der Junge wieder erwachte, hatte er zwei Wochen im Koma gelegen und sein Augenlicht verloren.

Jedes tragische Einzelschicksal berührt und hält einem einmal mehr die Sinnlosigkeit von Kriegen vor Augen. Auf der anderen Seite rufen die Darstellungen nicht nur Mitleid hervor, sondern zeugen von einer besonderen Stärke. So beschreiben die Betroffenen nicht nur ihren Leidensweg, sondern vielmehr ihre persönliche Art und Weise, mit einer solchen Behinderung umzugehen.

Sieglinde Bartelsen (Deutschland, 1930

Sieglinde Bartelsen (Deutschland, 1930). Press photo for exhibition „The Eyes of War“ in the German Historical Museum in Berlin

Dies wird auch durch die Präsentation der Sammlung bestärkt. Die Galerie ist mit schwarzen Wänden ausgekleidet, und auch die Aufsteller sind in dunkler Farbe gehalten. Die Porträts wurden in Schwarz-Weiß entwickelt. Jedoch sind sie auf einem weißen Untergrund angebracht, der sich wie ein Rahmen um die Fotografien schmiegt. Diese Darstellung gibt den Konsens der Ausstellung sehr gut wieder. Jedes einzelne Schicksal ist wichtig und erwähnenswert. Letztendlich werden aber all diese individuellen Geschichten zu einem Ganzen, weil sie trotz unterschiedlicher Nationalitäten das gleiche Schicksal eint. Martin Roemers verweist mit seiner Sammlung darauf, dass Bilder von äußerlich verletzten Menschen auch ihre innere Konstitution widerspiegeln können. Dies wird eindrucksvoll bestätigt, wenn man die Interviews neben den Bildern liest, wie Sieglinde Bartelsen, die trotz ihrer Einschränkung Näherin wurde und ihr eigenes Geld verdiente.

Zudem hat das Deutsche Historische Museum erstmals ein Leitsystem für Blinde und Sehbehinderte entwickelt und angelegt. So können die Besucher in Brailleschrift einen Einführungstext und auch die einzelnen Schicksale neben den Bildern lesen. Es gibt außerdem die Möglichkeit für Menschen ohne Augenlicht, an Führungen mit anschließender Diskussion teilzunehmen.

Ergänzend zu der Sammlung brachte der Hatje Cantz Verlag einen begleitenden Fotoband zur Ausstellung heraus, der jedoch nur noch einmal die Interview-Ausschnitte und die dazugehörigen Bilder zeigt, die ohnehin in der Ausstellung betrachtet werden können. So kann man die Bilder und ihre Geschichten nachlesen, erhält jedoch kaum neue Informationen zur Entstehung.

Norman Perry (Großbritannien, 1919).

Norman Perry (Großbritannien, 1919). Press photo for exhibition „The Eyes of War“ in the German Historical Museum in Berlin

Die Ausstellung läuft noch bis zum 4. Januar 2015 und ist besonders für jüngere Menschen einen Besuch wert. Denn sie zeigt am Beispiel tragischer Ereignisse, dass die vom Krieg betroffenen Menschen noch lange nach solchen Erlebnissen mit der Verarbeitung der Folgen beschäftigt sind. Erschreckend ist auch zu sehen, dass die Bilder ein heute sehr aktuelles Thema ansprechen. Man muss nur auf die Krisengebiete der Welt blicken und kann sich vorstellen, dass solche und noch schlimmere Ereignisse tagtäglich geschehen.

The Eyes of War – Fotografien von Martin Roemers
1. Oktober 2014 bis 4. Januar 2015
Deutsches Historisches Museum Berlin

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/12/01/das-innere-nach-aussen-gekehrt/

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Ausstellung „Time Capsule“ von Chto Delat in Wiener Secession

Nachdem die russische Künstlergruppe Chto Delat schon bei den letzten Wiener Festwochen eine faszinierende Installation samt Hörspaziergang rund um das Heldendenkmal der Roten Armee am Schwarzenbergplatz veranstaltete, zeigen sie nun in der Wiener Secession noch bis zum 25.1.2014 die Ausstellung Time Capsule. Artistic Report on Catastrophes and Utopia; klingt spannend, siehe dazu auch den Bericht im Standard.

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022373436/

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Die Welt um 1914. Farbfotografien vor dem Großen Krieg

Albert Kahn, Les Archives de la planète, Stéphane Passet: Mongolei, nahe Ulaanbaatar, wahrscheinlich Damdinbazar, die achte Inkarnation des mongolischen Jalkhanz Kuthugtu, 17. Juli 1913.

Martin-Gropius-Bau, 1. August – 2. November 2014

 

Ausstellung „Die Welt um 1914. Farbfotografien vor dem Großen Krieg“ im Martin-Gropius-Bau.

Ausstellung „Die Welt um 1914. Farbfotografien vor dem Großen Krieg“ im Martin-Gropius-Bau.

Ausstellung: Filmaufnahmen aus Albert Kahns Sammlung „Archives de la planète“.

Ausstellung: Filmaufnahmen aus Albert Kahns Sammlung „Archives de la planète“.

Die kultur-, technik- und fotogeschichtliche Ausstellung Die Welt um 1914. Farbfotografien vor dem Großen Krieg präsentiert drei Fotokampagnen, die die Schönheit und Vielfalt der Welt vor dem Ersten Weltkrieg dokumentieren sollen. Gezeigt werden 200 Farbfotos des Fotochemikers Adolf Miethe, seines Assistenten und Fotodokumentars des Russischen Reiches Sergei M. Prokudin-Gorskii und Fotos aus der Sammlung „Archives de la planète“ des französischen Bankiers Albert Kahn. Neben Bildkarten, Feldpostkarten, den ersten Fotobüchern und den „Kaiserpanoramen“ des Berliner Unternehmers August Fuhrmann wird auch die Entwicklung der Farbfotografie allgemein vorgestellt. In den letzten beiden Räumen sind Farbfotos aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zu sehen, die aus dem Bereich der Kriegspropaganda stammen.

 

Ausstellungsplakat: Albert Kahn, Les archives de la planète, Stéphane Passet: China, Peking, Palast des Himmlischen Friedens, vierter Hof, östlicher Anbau, ein buddhistischer Lama in zeremoniellem Gewand, 26. Mai 1913.

Ausstellungsplakat: Albert Kahn, Les archives de la planète, Stéphane Passet: China, Peking, Palast des Himmlischen Friedens, vierter Hof, östlicher Anbau, ein buddhistischer Lama in zeremoniellem Gewand, 26. Mai 1913.

Eröffnet wurde die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau am 1. August 1914 – 100 Jahre nach Beginn des Kriegs, veranstaltet von den Berliner Festspielen im Zusammenhang mit dem „Europäischen Monat der Fotografie“. Der Landschaftsverband Rheinland-LVR gedenkt dem Ersten Weltkrieg in Form des Verbundprojekts „1914 – Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg“, zu dem auch dieses Ausstellungskonzept gehört, welches bereits 2013 in Paris und Bonn zu sehen war. Das Kuratorenteam besteht aus dem Medienhistoriker Rolf Sachsse, dem stellvertretenden Direktor des LVR-LandesMuseums Bonn Lothar Altringer und dem Leiter des Verbundprojekts Thomas Schleper. Die Ausstellung konnte in Kooperation mit dem Musée Albert-Kahn in Boulogne-Billancourt realisiert werden.

Die Farbfotografie gilt als medialer Umbruch, die neben den neuen Möglichkeiten, die Welt möglichst naturgetreu abzubilden, auch Gefahren der Manipulation mitführte, wenn der scheinbare Beweischarakter nicht hinterfragt wurde. Die Brüder Auguste Marie und Louis Jean Lumière entwickelten 1905 ein eigene Farbfototechnik: das Autochromverfahren, deren Diapositive auf Glasplatten für den Drei- und Vierfarbdruck verwendet werden konnten und bis Mitte der 1930er-Jahre den Markt dominierten. Die Herausforderung des Autochromverfahrens lag in der langen Belichtungszeit von 2 bis 15 Sekunden, weshalb die Abbildung von Menschen und bewegten Objekten Ungenauigkeiten hervorrief und eine standbildartige Haltung benötigte.

Der Chemiker Adolf Miethe (1862 bis 1927) von der Technischen Universität Berlin erfand 1902 eine panchromatische Filmbeschichtung zur Fotoeinfärbung, die an das Dreifarb-Druckverfahren anschloss und besonders gut für Verlagswerke und Bildpostkarten geeignet war. Er ließ einen Projektor bauen und führte seine Fotodokumentation der deutschen Landschaften Kaiser Wilhelm II. und auch auf der Weltausstellung 1903 in St. Louis vor.

 

Ausstellung: Stollwerk Sammelalbum No. 7. Aus Deutschlands Gauen.

Ausstellung: Stollwerk Sammelalbum No. 7. Aus Deutschlands Gauen.

Danach erschienen die Fotos als Sammelbilder in Schokoladentafeln und wurden mit dem ersten Farbbildband Deutschlands dem „Stollwerck-Album“ verbreitet, das auch neben anderen Fotobüchern in der Ausstellung durchgeblättert werden kann. Das xm:lab der Hochschule der Bildenden Künste im Saarland stellte für die Besucher der Ausstellung das Drei-Farb-Verfahren zum selbst Ausprobieren und Fotografieren bereit.

Mit dem in der Ausstellung zu sehenden Original-Projektor von Miethes Assistent Sergei Mikhailovich Prokudin-Gorskii (1863 bis 1944), eine Leihgabe aus dem Deutschen Museum in München, soll dieser Zar Nikolaus II. von der Farbfotografie überzeugt haben:

 

Ausstellung: Projektor von Sergei Mikhailovich Prokudin-Gorskii, Leihgabe aus dem Deutschen Museum München.

Ausstellung: Projektor von Sergei Mikhailovich Prokudin-Gorskii, Leihgabe aus dem Deutschen Museum München.

Der Zar beauftragte ihn von 1909 bis 1916 mit einer Fotodokumentation des Russischen Reichs. Von den ca. 4500 Farbfotografien sind über 2000 erhalten geblieben, die sich als Digitalisate in der Library of Congress befinden. Die intendierte Verbreitung der Fotos scheiterte am teuren Reproduktionsverfahren.

Prokudin-Gorskiis Bilder verheimlichen die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes und zeigen vorwiegend Landschaften, Dorfansichten, Kirchen, die Entwicklung der Industrie und spiegeln die ethnische Vielfalt wider. Aufgrund der Aufnahmetechnik mussten Bilder von spontanen menschlichen Handlungen inszeniert werden.

Sergeĭ Mikhaĭlovich Prokudin-Gorskiĭ, 1909, Russisches Reich: Dinner during haying.

Sergeĭ Mikhaĭlovich Prokudin-Gorskiĭ, 1909, Russisches Reich: Dinner during haying.

Der Großteil der Ausstellung zeigt Farbfotos aus der fotografisch-filmischen Sammlungstätigkeit des reichen Bankiers Albert Kahn (1860 bis 1940) aus Boulogne bei Paris, der seit 1906/09 Stipendien und Aufträge für Fotodokumentationen in Europa, Asien und Afrika vergab. Er präsentierte die Arbeiten mithilfe eines Projektors in seinem Anwesen vor einem elitären Kreis, u.a. auch dem Kaiser. Bis auf wenige zeitgenössische Veröffentlichungen blieben die Bilder aber weitestgehend unbekannt, sodass manche von ihnen zum ersten Mal im Rahmen der Ausstellung publiziert worden sind.

Das 1908 von Kahn gegründete „Les Archives de la planète“ konnte von ihm bis 1931 finanziert werden und enthält neben Schwarz-Weiß-Bildern über 100 Stunden Filmaufnahmen, auch 72.000 farbige Diapositive/Autochromplatten. Kahns Archivleiter Jean Brunhes (1869 bis 1930) gilt als „Humangeograf“, der das Bildprogramm maßgeblich mitbestimmt haben soll. Die Bildmotive wurden in Bezug auf die Wechselbeziehungen zwischen den Menschen und ihrer natürlichen Umgebung ausgewählt. Dazu zählen lokale Landschaften, Menschen in traditioneller Kleidung und die Architektur.

 

Albert Kahn, Les Archives de la planète, Stéphane Passet: Mongolei, nahe Ulaanbaatar, wahrscheinlich Damdinbazar, die achte Inkarnation des mongolischen Jalkhanz Kuthugtu, 17. Juli 1913.

Albert Kahn, Les Archives de la planète, Stéphane Passet: Mongolei, nahe Ulaanbaatar, wahrscheinlich Damdinbazar, die achte Inkarnation des mongolischen Jalkhanz Kuthugtu, 17. Juli 1913.

Albert Kahn, Les Archives de la planète, Auguste Léon: Bosnien-Herzegowina, Sarajevo, Brothändler auf dem Markt, 15. Oktober 1912.

Albert Kahn, Les Archives de la planète, Auguste Léon: Bosnien-Herzegowina, Sarajevo, Brothändler auf dem Markt, 15. Oktober 1912.

 

Menschen sollten in ihrer Umgebung bei alltäglichen, beruflichen, aber auch kulturellen und religiösen Handlungen festgehalten werden. Ziel war es, die kulturelle Vielfalt zu dokumentieren, um durch sie eine Völkerverständigung zu fördern. Kahns Fotosammlung versteht sich somit als Friedensmission und Bewahrung einer verschwindenden Welt vor 1914. Trotz seiner philanthropischen Intention transportierten auch Kahns Bilder weiterhin Vorurteile gegenüber Bevölkerungsgruppen und ihren Sitten.

 

Albert Kahn, Les Archives de la planète, Stéphane Passer: Mongolei, Ulaanbaatar, Verurteilter und Wärter im Gefängnis, 25. Juli 1913.

Albert Kahn, Les Archives de la planète, Stéphane Passer: Mongolei, Ulaanbaatar, Verurteilter und Wärter im Gefängnis, 25. Juli 1913.

Die Ausstellung „Die Welt um 1914“ präsentiert vor allem Auftragsarbeiten der Fotografen Auguste Léon (1857 bis 1942) und Stéphane Passet (1875-unbekannt). Auguste Léon startete 1909 die erste Fotokampagne für Albert Kahn und reiste über Wien in den Balkan und die Türkei. Seine Fotos zeigen Spuren der Balkankriege, wie den zerstörten mittelalterlichen Markt in Shkodra im Oktober 1913. Der ehemalige französische Kolonialoffizier Stéphane Passet unternahm eine Reise von 1913 bis 1914 über China, die Mongolei, Indien und die Türkei. Das Musée Albert Kahn bewahrt 350 seiner Bilder, die neben der Architektur auch wenige Menschen zeigen, darunter vorwiegend bekannte Bevölkerungsgruppen und ihre alltäglichen Handlungsabläufe. Nach Passets Meinung fotografierte er auch bisher nie festgehaltene Szenen wie ein muslimisches Gebet in Delhi.

 

Albert Kahn, Les Archives de la planète, Stéphane Passet: Frankreich, Paris, Eine Familie in der Rue du Pot de fer, 24. Juni 1914.

Albert Kahn, Les Archives de la planète, Stéphane Passet: Frankreich, Paris, Eine Familie in der Rue du Pot de fer, 24. Juni 1914.

Anlässlich des 100. Jahrestags des Kriegsausbruchs zeigt die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau auch vermehrt Farbfotos aus der Anfangsphase des Ersten Weltkriegs. Die Welt vor 1914 wird dabei als eine Welt im Verschwinden begriffen, die durch die Farbfotos positiv erinnert werden sollte. Zudem wird die Entwicklung der Bildpostkarten angesprochen, die sich seit dem deutsch-französischen Krieg als Feldpostkarten zum Massenmedium entwickelten. Vom Ersten Weltkrieg werden dem Besucher hauptsächlich Propagandabilder gezeigt, die das Leben hinter der Front, Landschaften und freundliches Miteinander unter den Soldaten abbilden sollen und die Zerstörungen, das Kriegstreiben oder das persönliche Leid verschweigen.

 

Ausstellung: Hans Hildenbrand: Bildpostkarten mit verschiedenen Motiven vor und um 1914, LVR-LandesMuseum Bonn.

Ausstellung: Hans Hildenbrand: Bildpostkarten mit verschiedenen Motiven vor und um 1914, LVR-LandesMuseum Bonn.

Zu sehen sind Arbeiten des Stuttgarter Fotografen Hans Hildebrand (1870 bis 1957), der als offizieller Fotojournalist des deutschen Propaganda-Hauptamts für das Elsass, die Vogesen und die Champagne zuständig war. Auch Kahns Auftragsfotografen wie Jules Gervais-Courtellemont (1863 bis 1931) arbeiteten als Kriegsfotografen für das französische Informations- und Kunst-Ministerium.

Die Ausstellung „Die Welt um 1914. Farbfotografien vor dem Großen Krieg“ spiegelt eine philanthropische Sichtweise und die Begeisterung für die neue Technik der Farbfotografie wider. Durch die naturgetreuere Darstellung der Menschen, Landschaften und Gebäude scheint uns die Welt zu Anfang des 20. Jahrhunderts näher als auf den bekannteren Schwarz-Weiß-Bildern, die unsere Erinnerungen dominieren. Die Ausstellung und der dazugehörige Katalog zeigen eine fast touristische Perspektive auf faszinierende Sehenswürdigkeiten und Momentaufnahmen von posierenden Menschen verschiedener Bevölkerungsgruppen. Auch wenn ihr zeitgenössicher Beitrag zur Völkerverständigung und Friedenssicherung gering blieb, bleibt bis heute die generationsübergreifende Wirkmächtigkeit von Bildern aktuell.

 

 

Die Welt um 1914. Farbfotografien vor dem Großen Krieg

Albert Kahn, Sergei M. Prokudin-Gorskii, Adolf Miethe

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin

1. August – 2. November 2014

 

Katalog: 1914 – Welt in Farbe. Farbfotografie vor dem Krieg

Hatje Cantz Verlag, 144 Seiten, 101 Abbildungen

Maße: 24,3 x 28,2 cm, ISBN: 978-3-7757-3644-2

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/11/10/die-welt-um-1914-farbfotografien-vor-dem-grossen-krieg/

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