„He even looks evil …“

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ARCHIV-AUGUST 2022

Die Visual History-Redaktion nutzt den Monat August, um interessante, kluge und nachdenkenswerte Beiträge aus dem Visual History-Archiv in Erinnerung zu rufen. Für die Sommerlektüre haben wir eine Auswahl von acht Artikeln getroffen – zum Neulesen und Wiederentdecken!

(7) Am 1. Januar 1945 erschoss Erich Muhsfeldt, Kommandoführer der Krematorien in Auschwitz, 200 polnische Gefangene im Lager Auschwitz II. 489 Personen klickten den „Gefällt-mir“-Button unter dieser Information an, die das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau am 1. Januar 2011 auf seinem Facebook-Profil veröffentlichte – samt Porträt des Täters. Erinnerungskultur findet zunehmend in Social Media statt, und auch Historiker:innen beginnen damit, die Angebote bei Instagram, Twitter, Facebook und TikTok in den Blick zu nehmen – so wie Ina Lorenz, die sich schon 2015 in ihrem Beitrag mit der visuellen Geschichtsvermittlung im virtuellen Raum beschäftigt hat.



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Quelle: https://visual-history.de/2022/08/29/he-even-looks-evil/

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10. Europäische​ Sommer-Universität Ravensbrück

Plakat- 10. Europäische​ Sommer-Universität ​Ravensbrück

Call for Papers Forschungsbörse der 10. Europäischen Sommeruniversität Ravensbrück

Vom 23. August bis 28. August 2015 findet in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück die 10.

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Quelle: https://www.visual-history.de/2015/07/12/einladung-%E2%80%8Bzur-10-europaeischen%E2%80%8B-sommer-universitaet-%E2%80%8Bravens-brueck-fotogr%E2%80%8Bafie-in-konzentratio%E2%80%8Bnslagern-23-28-%E2%80%8Baugust-2015/

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Benno Wundshammer: Photo-Journalism and German History, 1933-1987

Wundshammer, Flugzeug Messerschmitt, Mai 1940

Wundshammer, Warschau, Sptember 1939
Benno Wundshammer, Warschau, Sptember 1939, Luftaufnahme eines Außenforts – Original-Bildunterschrift: “An der Ostfront. Eines der Außenforts der Festung Warschau nach der Bombardierung durch deutsche Kampfflugzeuge. 12051-39L
PK-Wundshammer – Scherl Bilderdienst”. Bundesarchiv Bild 183-S53297, Bild 183-S53297/Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

The current book project focuses upon the life, work and influence of Benno Wundshammer. Like thousands of other official German war photographers who took some 3.5 million photographs during World War Two. Wundshammer helped to shape the way the war was seen between 1939 and 1945 and thus also to affect the visual memory of World War Two up to the present day. After 1945, Wundshammer played an influential role in the development of West German illustrated newspapers and magazines. Before television became widespread in the 1960s, illustrated magazines were the most important medium shaping the visual universe in which West Germans lived. I want to see how Wundshammer and other members of this influential group of German photographers who took pictures for the Nazis but then subsequently worked for the most important post-war West German illustrated magazines dealt with the important propaganda work they had done for the Nazis and, more generally, with the moral and political implications of the practice of photography under dictatorship and, then, post-war democracy.

Wundshammer, Polen, September 1939
Benno Wundshammer, Polen, September 1939: Flüchtlinge (Propagandakompanien der Wehrmacht – Heer und Luftwaffe, Bild 101 I). Bundesarchiv Bild 101I-317-0015-34A/Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

This book is based on Benno Wundshammer’s unusual personal archive, now housed in the Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin. Unlike famous photographers who produced iconic images, photographers like Wundshammer usually disappear behind their cameras. We have their pictures, but we usually know very little about them. If photographers even bother to compile what could be described as an archive, this seldom includes much more than the photographs they have taken. Wundshammer’s archive is unusual. Wundshammer saved – one might even say obsessively hoarded – huge amounts of a wide range of different types of materials that are not normally found in a photographer’s private archive – not just contact sheets and prints of thousands of the photographs he had taken during the course of his long career but also personal correspondence, diaries, manuscripts of articles and books he had written, as well as copies of articles he had published.

In the summers of 2011, 2012, 2013, and 2014 I did extensive research in Wundshammer’s archive. I have now written rough drafts of five chapters of the projected book. I also presented a paper, “Learning War Photography: Benno Wundshammer’s relationship to his wartime photographs before and after 1945,” at a conference on “The Ethics of Seeing: German Documentary Photography Reconsidered” at the German Historical Institute-London from May 23-25, 2013. Wundshammer’s personal archive provides an unusual opportunity to reconstruct the everyday practices of a working photo-journalist in the Third Reich and the early Federal Republic and to see how this one “media worker” functioned within the larger landscape of wartime and post-war German illustrated magazines.

Wundshammer, Adenauer in Japan, März 1960
Benno Wundshammer, Japan, Besuch des Bundeskanzlers Konrad Adenauer, März 1960 (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung – Bildbestand B 145 Bild). Bundesarchiv B 145 Bild-F008258-0021/Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Quelle: https://www.visual-history.de/2015/04/07/benno-wundshammer-photo-journalism-and-german-history-1933-1987/

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Stalag X B – ein Ort für das Gedenken

Michele Montagano
Baracke

Baracke der russischen Krieggefangenen © Sarah Mayr (mit freundlicher Genehmigung)

Dieses Jahr wird, nach 2014, einem weiteren Krieg gedacht. 2015 jährt sich zum siebzigsten Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs. Aus diesem Grund stellt sich Zeitgeschichte-online einen Monat lang mit einem Themenschwerpunkt vor. Das Thema behandelt einen bisher oftmals vernachlässigten Gegenstand der Geschichte – die Kriegsgefangenen in deutschen Arbeitslagern. Dazu werden die Arbeiten von Sarah Mayr vorgestellt. Die Fotografin beendete 2014 ihr Studium an der Ostkreuzschule für Fotografie (Berlin) in der Abschlussklasse von Ludwig Rauch. Sie beschäftigt sich in ihrer Abschlussarbeit mit dem ehemaligen Arbeitslager für Kriegsgefangene in Sandbostel im Zweiten Weltkrieg. Die ungewöhnliche Bezeichnung „Stalag X B“ steht für ein ehemaliges Kriegsgefangenenlager. Damals bezeichnete es das Mannschafts-Stammlager B im Wehrkreis X in Sandbostel. Dort wurden gefangene Soldaten und Widerstandskämpfer aus den verschiedensten Ländern untergebracht und zur Arbeit gezwungen.

Die junge Fotografin ist aus Zufall auf das Lager nordöstlich von Bremen aufmerksam geworden. „Meine Mutter war in die Nähe gezogen. Als ich sie besuchte, zeigte sie mir die verfallenen Barracken, und ich begann, sie zu fotografieren. Damals gab es noch keine Gedenkstätte.“ Sie wollte Öffentlichkeit für den Ort herstellen und beließ es nicht nur bei den Schwarz-Weiß-Aufnahmen, sondern suchte nach Zeitzeugen, die den Lageralltag miterlebt hatten und die Ereignisse schildern konnten. Entstanden sind Porträts und Interviews von acht Männern aus sieben verschiedenen Ländern, die von ihrer Festnahme, über ihre Lagerhaft und die Befreiung sprechen.

Raymond Gourlin

Porträt von Raymond Gourlin © Sarah Mayr (mit freundlicher Genehmigung)

Einer von ihnen ist der ehemalige französische Widerstandskämpfer Raymond Gourlin, der mit 19 Jahren zusammen mit seinem Bruder in das Arbeitslager kam, nachdem er von SS-Männern als Partisan verhaftet worden war. Seine erste Reaktion war lautes Lachen, so beschreibt er seine damalige Situation. Er konnte die Zustände an diesem Ort nicht fassen und lachte über diese abstruse Situation. Später sei ihm das Lachen schnell vergangen. Er erzählt von den Ermordungen, deren genaue Opferzahl unbekannt ist, da alle SS-Dokumente verschwunden seien. So berichtet er: „Ein Russe war auf seinem Arbeitstisch eingeschlafen, und seine Bohrmaschine hatte dabei ein Loch in den Tisch gemacht, er wurde dafür wegen Sabotage verhaftet, in Neuengamme zum Tode verurteilt und in der Fabrik, vor den Augen aller, gehängt. Das Zivilpersonal der Fabrik wurde evakuiert, es blieben nur noch die SS und die Gefangenen. Der Russe stand auf einem Hocker, die Hände hinter dem Rücken gebunden und den Hals in der Schlinge. Ein deutscher Gefangener stieß den Hocker um. Ich stand vier oder fünf Reihen entfernt davon, ich habe alles mit angesehen … alles …“

Dass diese Zeit eine traumatische gewesen sein muss, bestätigen Gourlins Beschreibungen. Am Beispiel von Harry Callan zeigt sich, dass es für die Opfer noch heute schwierig oder sogar unmöglich ist, über das Erlebte zu sprechen. Der Nordire war zwar bereit, sich von Sarah Mayr fotografieren zu lassen, jedoch wollte er nicht über Sandbostel sprechen. Man erfährt nur, dass er Mitglied der Handelsmarine und von 1941 bis 1945 in verschiedenen Arbeitslagern interniert war.

„Willst du mit uns kollaborieren oder bist du gegen uns?“ Der größte Teil hat geantwortet: „Nein, wir wollen nicht kollaborieren, wir sind das italienische Heer und haben mit euch nichts gemein.“ Diese Frage wurde Michele Montagano zuerst von den Deutschen gestellt. Er verneinte sie und wurde in einem Viehwaggon nach Deutschland verfrachtet. Auch er erlebte am eigenen Leib Schikane und Unterdrückung im Gefangenenlager Sandbostel. Trotz allem denkt er nicht kollektiv schlecht über Deutschland. Auf die Frage, welches Verhältnis er heute zu Deutschland habe, antwortet er: „Sehr gut, ich schätze die Deutschen enorm, ich bewundere sie. Alle Deutschen, die ich getroffen habe, nach dem Krieg, waren gute Menschen. Sie waren in Ordnung, ernsthafte Menschen.“ Er warnt aber auch, dass die Deutschen zu angepasst waren und es noch sind – und dass dies gefährlich sei.

Michele Montagano

Porträt von Michele Montagano © Sarah Mayr (mit freundlicher Genehmigung)

Die Interviews sind sehr persönlich. Die Männer reden offen über ihre Erlebnisse und haben auch ihre ganz individuellen Meinungen. So wirkt die Antwort des Polen Wiktor Listopadzki auf die Frage, ob er den Generationen, die keinen Krieg erlebt haben, etwas zu sagen hätte, sehr verletzt und zornig zugleich. „Der Krieg ist das Schlimmste, was der Menschheit passieren kann. Es sterben sehr viele junge, alte, kranke und gesunde Menschen dabei. Es ist eine menschliche Tragödie. So etwas sollte niemals passieren. Alle sollten sich vereinigen und Freunde sein. Es sollte nie dazu kommen, dass jemand einem anderen etwas wegnehmen möchte. Die Menschheit sollte Widerstand gegen jene leisten, die Krieg führen wollen. Mein Leben im Krieg war sehr schlimm. Die ganze Jugend habe ich im Kampf verbracht und wurde ohne Respekt behandelt. Getreten von den Deutschen und den Russen. Sie haben meine Mutter ausgeraubt und … Ich will mich hier nicht weiter aufregen. Danke.“

Wiktor Listopadzki

Porträt von Wiktor Listopadzki © Sarah Mayr (mit freundlicher Genehmigung)

Zu Recht widmet sich Zeitgeschichte-online mit den mutigen Männern aus Sandbostel diesem weitgehend unbekannten Lager der SS. Zu lange wurde diesem Ort nicht die nötige Beachtung geschenkt. Erst 2013 eröffnete auf dem alten Lager-Gelände eine Gedenkstätte. Die Jahre zuvor wollte man sich nicht mit seiner Geschichte auseinandersetzen, und die Gebäude wurden zeitweise als Ferienwohnungen genutzt. Unglaublich erscheint die Verdrängung der unangenehmen Vergangenheit.

Recht hat Michele Montagano damit, wenn er sagt: „An uns muss sich erinnert werden, weil wir Mut hatten, nicht in Italien, sondern in Deutschland, Nein zu sagen. Wir haben Nein gesagt in Deutschland, und das ist es, was sie über uns erzählen sollen. Das bedeutet moralische Integrität.“

Alle acht porträtierten Männer sitzen vor einer grauen Wand und schauen den Betrachter frontal an. Durch ihre Haltung und ihre Kleidung jedoch unterscheiden sie sich. Raymond Gourlin zum Beispiel sitzt gerade auf dem Stuhl und schaut ohne jegliche Emotionen in die Kamera. Er trägt ein Jackett und dazu eine Krawatte, seine Hände ruhen übereinandergelegt auf seinen Beinen. Man vermutet bei einer solchen Darstellung keinen ehemaligen Widerstandskämpfer – umso mehr beeindrucken seine Worte. Anders als der Franzose lässt sich Harry Callan porträtieren. Auch er hat zwar seine Hände auf den Beinen liegen, jedoch posiert er in seiner ehemaligen Uniform, inklusive seiner Auszeichnungen. Wie oben erwähnt, wollte er nicht von seinen Erfahrungen erzählen. Trotzdem lässt sich ein gewisser Stolz über das eigene Leben und Überleben erahnen.

Schaut man sich die Schwarz-Weiß-Aufnahmen an, die Sarah Mayr zu Anfang ihres Projekts machte, wird erkennbar, welche Details in den Abbildungen stecken. Die Bilder zeigen verfallene Gebäude, die nicht mehr an die Grausamkeiten der Nationalsozialisten erinnern, sondern auch Überreste eines Bauernhofs sein könnten. Hier wird wieder einmal klar, dass die Betrachtung von Fotografien ohne Bildunterschrift gänzlich in die Irre führen kann. Am Anfang war Sarah Mayr nämlich nicht klar, was genau sie dort fotografierte, bis sie sich mit der Geschichte des Ortes auseinandersetzte. Sie will die Geschichte öffentlich machen und den Umgang mit dem Nationalsozialismus zeigen und auf ihre Weise darstellen. 2013 besuchte sie die Gedenkfeier in Sandbostel und knüpfte Kontakte zu Zeitzeugen. Sie lediglich zu fotografieren, reichte ihr aber nicht, sie wollte die Geschichte hinter den Menschen erfahren und vermitteln. Sarah Mayr betont: „Das Wissen und die Erinnerungen der Zeitzeugen sind wertvoll, sie bezeugen, was geschehen ist. Ihre Worte stehen gegen die Lüge, die sich in großen Teilen der Gesellschaft wieder breit macht, die alles verharmlost und die die Deutschen als Opfer verklärt.”

Harry Callan

Porträt von Harry Callan © Sarah Mayr (mit freundlicher Genehmigung)

Die Ergebnisse der Interviews und die Porträts können vom 1. April bis 30. April 2015 in der Gedenkstätte Sandbostel angeschaut werden.

 

Sarah Mayr, Letzte Erinnerungen. Porträts ehemaliger Häftlinge des Kriegsgefangenenlagers Sandbostel, in: Zeitgeschichte-online, Dezember 2014, URL: http://www.zeitgeschichte-online.de/thema/letzte-erinnerungen

Quelle: http://www.visual-history.de/2015/02/02/stalag-x-b-ein-ort-fuer-das-gedenken/

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Fotografie im Nationalsozialismus

Sammlung Ulrich Prehn, 4,5 x 6 cm, Teil einer Serie von insgesamt neun Fotografien (Fotograf unbekannt)

Leitung: Prof. Dr. Michael Wildt
Projektkoordination: Dr. Ulrich Prehn
Projektmitarbeiterinnen: Linda Conze, M.A.; Julia Werner, M.A.

 

Für das nationalsozialistische Regime spielten Visualität und visuelle Repräsentation, insbesondere in Form des Mediums Fotografie, von Beginn an eine prominente Rolle. Mit der Fotografie bot sich ein wirksames Mittel zur Implementierung und Verbreitung von Weltanschauung und politischer Idee des Nationalsozialismus sowie zur Festigung seiner Herrschaft.

Der propagandistische Gebrauch der Fotografie und deren spezifische Ästhetik sind vergleichsweise breit untersucht worden. Gleichwohl prägen die offiziellen Selbstinszenierungen des Regimes bis heute das Bild dieser Epoche der deutschen Geschichte. Dabei hatte sich die Fotografie – jenseits der professionellen Bildproduktion – bereits vor 1933 zu einem Massenmedium entwickelt, das es breiteren Schichten ermöglichte, ihren Alltag – wie auch Nichtalltägliches – festzuhalten und aktiv, als Praxis, mitzugestalten.

Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts steht die Selbstaufnahme der sogenannten Volksgenossinnen und Volksgenossen sowohl im Hinblick auf die Inszenierung und Performanz von Gemeinschaft als auch auf Praktiken der Ausgrenzung, Gewalt und Stigmatisierung. Von besonderem Interesse sind dabei Bildserien, also z. B. Fotosammlungen aus einzelnen Orten über einen längeren Zeitraum hinweg (seit Ende der 1920er-Jahre bis in die frühe Nachkriegszeit) oder private Fotoalben. Aber auch Nachlässe von professionellen oder Amateur- und Hobby-Fotografen, die gewissermaßen als Bildchronisten für die Geschichte ihres Ortes, ihres Betriebes oder ihres Dienstalltags in den besetzten Gebieten gewirkt haben, sollen ausgewertet werden, wobei es mehr um den zivilen Blick geht als um den vergleichsweise gut untersuchten Blick von SS- oder Wehrmachtssoldaten.

Sammlung Ulrich Prehn, 4,5 x 6 cm, Teil einer Serie von insgesamt neun Fotografien (Fotograf unbekannt)

Sammlung Ulrich Prehn, 4,5 x 6 cm, Teil einer Serie von insgesamt neun Fotografien (Fotograf unbekannt)

Sammlung Ulrich Prehn, 4,5 x 6 cm, Teil einer Serie von insgesamt neun Fotografien (Fotograf unbekannt)

Sammlung Ulrich Prehn, 4,5 x 6 cm, Teil einer Serie von insgesamt neun Fotografien (Fotograf unbekannt).
Rückseitig beschriftet: „Arbeitsdienst Lippstadt W.
Ein zum Tod verurteilter [sic!]“

Das Forschungsprojekt gliedert sich in folgende drei Teil-Projekte:

 

Linda Conze
Das Fest im Bild. (Selbst-)Inszenierungen von Zugehörigkeit im öffentlichen Raum

Das Promotionsprojekt beschäftigt sich mit privater und semiprivater Fotografie aus der Zeit des Nationalsozialismus, genauer mit solchen Bildern, die im Kontext von Festen und Feiern unterschiedlicher Art entstanden sind. Im Fokus des Interesses steht dabei das Potenzial des Mediums Fotografie, in Prozessen von Vergemeinschaftung und Ausgrenzung Wirkmacht zu entfalten. Mit dem Deutschen Reich der 1920er-, 1930er- und 1940er-Jahre setzt die Studie einen spezifischen Rahmen, innerhalb dessen sie das Verhältnis von Fotografie und Gemeinschaft medienhistorisch ausloten möchte. Diese Rahmung orientiert sich unverkennbar an den politischen Zäsuren der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, die jedoch zugleich kritisch hinterfragt und auf ihre Kongruenz mit einer Geschichte der privaten Fotografie überprüft werden sollen.

Die angestrebte Studie möchte sich der zeitgenössischen Festkultur in ihren vielfältigen Größenordnungen, Ausprägungen und ganz unterschiedlichen Graden von Öffentlichkeit zuwenden. Der Untersuchungsrahmen schließt nationalsozialistische Großveranstaltungen ebenso wie das private Hochzeitsfest, den halböffentlichen Maskenball oder das dörfliche Schützenfest ein. Sie interessiert sich für den fotografischen Blick auf Feste und Feiernde jenseits von Propaganda- oder Pressefotografie, für die Interaktion zwischen Fotograf/inn/en, Kamera und Fotografierten, deren Ergebnis das Bild ist. Das Feiern dient der Studie also einerseits als räumliche, zeitliche und motivische Sphäre, anhand derer das Verhältnis von Bild und Gemeinschaft durchexerziert werden soll. Andererseits ist das Feiern selbst gemeinschaftsstiftende Praxis, das Fest im Sinne eines Rituals selbst Medium – von Kollektivierung, aber auch von Ausgrenzung und Terror.

Als Quellengrundlage dienen zusammenhängende Foto-Serien und -konvolute aus unterschiedlichen Regionen des ehemaligen Deutschen Reichs, anhand derer sich Motive, Blickpositionen und fotografische Aufmerksamkeitstrends über längere Zeiträume hinweg untersuchen lassen.

Kontakt: linda.conze[at]geschichte.hu-berlin.de

 

Ulrich Prehn
Tradition, „Eigen-Sinn“ und nationalsozialistische Formierung: Fotografien der Arbeitswelt

Die Sphäre der Arbeitswelt war bereits Jahrzehnte vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland ein Bereich, in dem die politisch-gesellschaftliche Mobilisierung von Menschen ebenso wie ihre „Einordnung“ in den Betrieb stark über visuelle Medien hergestellt wurde. Doch erst seit den 1920er-/30er-Jahren fotografierten Arbeiterinnen und Arbeiter in zunehmendem Maße auch sich selbst, ihre Arbeit und Freizeit sowie ihre sozialen und politischen Aktivitäten.

In der Studie werden Traditionen und Adaptionen, Überschreibungen und Neuerungen auf dem Feld fotografischer Repräsentationen von Arbeitswelt und Arbeiterkultur seit den 1920er-Jahren sowie deren Wandlungen im Nationalsozialismus in den Blick genommen. Zentral ist dabei die Frage nach den verschiedenen Repräsentationsweisen von „Arbeit“, Arbeiterinnen und Arbeitern sowie nach entsprechenden Modi der Erinnerungsproduktion, wenn es um so unterschiedliche Quellenbestände wie die professioneller Auftrags- und Industriefotografen und jene von Privatpersonen – ambitionierten Amateurfotografen und sogenannten Knipsern – geht.

Deswegen werden der quantitativ dominanten Werksfotografie und der unter genuin nationalsozialistischen Vorzeichen stehenden politischen Fotografie der Arbeitswelt sowie der „Organisation“ und Formierung der arbeitenden Menschen in der Analyse bewusst auch solche Aufnahmen an die Seite gestellt, die in anderen Kontexten überliefert sind. Diese zeigen zum Teil eine Sicht „von unten“ beziehungsweise dokumentieren sie mitunter eine individuelle fotografische „Handschrift“ und einen gewissen „Eigen-Sinn“. Solche Fotografien, für die bisweilen auch Spuren überwiegend privaten Gebrauchs oder privater „Aneignungen“ nachweisbar sind, stammen zumeist aus Nachlässen, privaten Sammlungen, Geschichtswerkstätten, kommunalen Archiven und Museen.

Kontakt: prehnulr[at]geschichte.hu-berlin.de

 

Julia Werner
Im besetzten Polen: Fotografie und die Veränderung von Räumen

Mit dem Überfall auf Polen strömten Wehrmachtssoldaten, SS-Männer und Polizisten in den „neu eroberten Raum“; mit ihnen kamen auch Beamte, Unternehmer, Lehrer und ihre Familien. Doch nicht nur die deutschen Besatzer betraten „völliges Neugebiet“, Räume und Raumvorstellungen änderten sich für alle in dieser Region lebenden Menschen. Die unterliegenden Dynamiken waren jedoch von Gruppe zu Gruppe enorm verschieden. Zentral für die Veränderung von Räumen war die von den Nationalsozialisten nach rassistischen Kriterien operierende Bevölkerungspolitik, die Hunderttausende von Menschen auf verschiedenste Art und Weise in Bewegung setzte. Diese unterschiedlichen Formen von Massenbewegung, Vertreibungen, Umsiedlungen, Deportationen und Gettoisierungen treten uns aus vielfältigen fotografischen Quellen entgegen. Zur NS-Bevölkerungspolitik liegt eine breite Forschung vor; diese behandelt die Bevölkerungspolitik allerdings zumeist aus einer Perspektive des social engineering oder als Geschichte konkurrierender Institutionen und Ideologien. Die Folgen dieses bevölkerungspolitischen Planens und Handelns, die sehr konkrete Auswirkungen auf Leben und Alltag der Menschen hatten, stehen weniger im Fokus: So bewegten sich Hunderttausende unter ganz unterschiedlichen Vorzeichen durch die Landschaft, zum Teil mit Gepäck, zum Teil ohne, mussten sich die Menschen zu Fuß oder mit dem Pferdewagen, mit dem Zug, dem Schiff, allein oder in großen Gruppen über lange Strecken bewegen. Die Studie möchte untersuchen, wie diese Bewegungen in Fotografien unterschiedlicher Provenienz visuellen Niederschlag finden.

Als Quellen dienen dem Projekt fotografische Bestände von nicht-professionellen Fotografen, insbesondere Fotoserien und Fotobestände, die von Fotografen über einen längeren Zeitraum hinweg geschaffen wurden. Der zeitliche Rahmen des Projekts ist durch die Zeit der Besatzung eng gesteckt, die Bildkonvolute erlauben aber einen Blick über die Grenzen von 1939-1945 hinaus, da die Bestände natürlich in ihrer Gesamtheit in den Blick genommen werden sollen.

Wie also eigneten sich die Fotografierenden die sich stetig – auch durch ihr eigenes Handeln – verändernde Situation durch ihre fotografische Praxis an? Welche Darstellungs- und Repräsentationsformen wählten die unterschiedlichen fotografischen Akteure? Es geht also darum, die Perspektive des Fotografen aus dem historischen Kontext heraus zu verstehen, sowie die Formen, in der er die Realität durch seine Fotografie rahmte und wahrnahm. Über den Vergleich unterschiedlicher Bestände sollen jedoch größere Muster von Wahrnehmungsweisen und Darstellungsarten herausgearbeitet werden.

Kontakt: juliawerner[at]gmail.com

 

Fotografie im Nationalsozialismus. Alltägliche Visualisierung von Vergemeinschaftungs- und Ausgrenzungspraktiken 1933-1945

Humboldt-Universität zu Berlin

Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell gefördert.

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/11/11/fotografie-im-nationalsozialismus/

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Vom Nationalsozialismus in die Bundesrepublik: Der Bildredakteur Willy Stiewe

Bildberichterstatter fotografieren Paul von Hindenburg anlässlich der Ausstellung „Die Kamera“ im November 1933

Visual History: ARCHIVSOMMER 2023
Die Erstveröffentlichung dieses Artikels erfolgte im Oktober 2014

 

Zur Person

Cover: Willy Stiewe, Der Krieg nach dem Kriege. Eine Bilderchronik aus Revolution und Inflation, Deutsche Rundschau, Berlin o. J. [1932]

Am 21. Juni 1900 geboren, wächst Willy Stiewe in Berlin auf und studiert nach dem Abitur für kurze Zeit Jura. Ab 1921 ist er in der Redaktion der eben vom Hackebeil-Verlag gegründeten Halbwochenzeitschrift „Große Berliner Illustrierte“ tätig, die 1924 in „Hackebeil’s Illustrierte“ umbenannt wird. Neben dieser Arbeit gibt er 1922 zunächst ein Liederbuch heraus, dem 1924 unter dem Titel Der Krieg nach dem Kriege: Eine Bilderchronik aus Revolution und Inflation ein erstes zeitgeschichtliches Fotobuch folgt.

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Quelle: https://visual-history.de/2023/08/08/vom-nationalsozialismus-in-die-bundesrepublik-der-bildredakteur-willy-stiewe/

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Nationalsozialismus, Holocaust und Zweiter Weltkrieg im österreichischen Bildgedächtnis

Im Zuge der nach dem „Anschluss“ Österreichs einsetzenden Pogrome werden jüdische ÖsterreicherInnen wie etwa dieser Teenager zu antisemitischen Beschmierungen gezwungen. Klar erkennbar in dieser mit der Zeit zum Schlüsselbild des Antisemitismus‘ mutierten Aufnahme ist die voyeuristische Beteiligung der Bevölkerung, die aber in den jeweiligen Untertiteln meist nicht thematisiert wird.
Adolf Hitlers „Anschluss“-Rede am Wiener Heldenplatz am 15. März 1938 vor 250.000 ZuhörerInnen.

Adolf Hitlers „Anschluss“-Rede am Wiener Heldenplatz am 15. März 1938 vor 250.000 ZuhörerInnen.

Am 15. März 1938 hielt Adolf Hitler seine „Anschluss“-Rede am Wiener Heldenplatz vor 250.000 Menschen. Das Foto zeigt dies eindrücklich. Im Bilderkanon der Zweiten Republik war das Bild aber jahrelang absent und wurde erst Ende der 1970er-Jahre Teil des österreichischen Bildgedächtnisses. Die Dissertation nimmt diese Transformationen und Inhalte des Bilderkanons in Österreich nach 1945 hinsichtlich der Visualisierung der NS-Zeit in den Blick. Auch sollen die Einflüsse transnationaler vergangenheitspolitischer Prozesse auf das österreichische Bildgedächtnis analysiert werden. Im Fokus der Arbeit steht dabei der Gebrauch von Fotos, d.h. die sozialen, historischen und politischen Funktionen, die „geschichtsmächtige Bilder“ als Kristallisationspunkte von Vergangenheitsentwürfen erfüll(t)en.

Gefragt wird mit Aleida Assmann danach, nicht welches „Sachwissen“, sondern welches „Identitätswissen“ durch die Fotografien vermittelt wird. Das in der Tradition der Cultural Studies stehende Konzept von „Repräsentation“ nach Stuart Hall ermöglicht die Zusammenführung von Gedächtnis und Visualität in einer historisch-politischen Perspektive: Wie werden durch fotografische Narrative Bedeutungszuschreibungen generiert und in welchem Zusammenhang stehen diese mit Machtkonstellationen? Im Vordergrund steht also die Frage: Welche Bilder repräsentieren welche Vergangenheit? Und welche Aspekte der Vergangenheit werden aus welchen Gründen eher im Dunkeln gelassen?

Die Quellen stammen zum größten Teil aus der Tages- und Wochenpresse sowie aus Schulbüchern, wobei darüber hinaus aber auch historische Ausstellungen sowie Bildbände und vereinzelte TV-Dokumentationen berücksichtigt werden. Vor allem Schulbücher bieten eine gute Ausgangsbasis zur Untersuchung des österreichischen Bildgedächtnisses: Das Schulbuch wird als Vermittler normativer Inhalte gefasst, die ihrerseits Endprodukt soziopolitischer Aushandlungen sind. Im Fokus steht sein Charakter als Ausdruck einer offiziellen, nationalen Vergangenheitssicht und die dadurch gegebene Möglichkeit, Transformationen im historisch-politischen Kontext zu untersuchen.

Durch die Vielzahl an Quellen soll herausgearbeitet werden, wie das Wechselspiel von Einzelbild und Gesamtkorpus, unterschiedlichen Themengebieten und ikonografischen Motiven qualitativ gefasst werden kann. Methodische Prämisse ist es, Bilder in ihrer sozialen Kontextualisierung, kulturellen Einbettung und innerhalb ihrer „cadres médiaux“ zu untersuchen, um im Sinne einer „Visual History“ das soziale Feld, in dem gesehen wird, untersuchen zu können. Warum in welchem historisch-kulturellen Kontext der Kanonisierung aus einer fotografischen Quelle ein Sinnbildungsangebot wird, ist als Leitfrage herauszustreichen.

 Im Zuge der nach dem „Anschluss“ Österreichs einsetzenden Pogrome werden jüdische ÖsterreicherInnen wie etwa dieser Teenager zu antisemitischen Beschmierungen gezwungen. Klar erkennbar ist in dieser mittlerweile zum Schlüsselbild des Antisemitismus avancierten Aufnahme die voyeuristische Beteiligung der Bevölkerung, die aber in den jeweiligen Untertiteln meist nicht thematisiert wird.

Im Zuge der nach dem „Anschluss“ Österreichs einsetzenden Pogrome werden jüdische ÖsterreicherInnen wie etwa dieser Teenager zu antisemitischen Beschmierungen gezwungen. Klar erkennbar ist in dieser mittlerweile zum Schlüsselbild des Antisemitismus avancierten Aufnahme die voyeuristische Beteiligung der Bevölkerung, die aber in den jeweiligen Untertiteln der Fotografie meist nicht thematisiert wird.

Mag.a Ina Markova
DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Projektmitarbeiterin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien
http://www.univie.ac.at/zeitgeschichte/markova-ina/

 

Quelle: http://www.visual-history.de/2014/09/09/nationalsozialismus-holocaust-und-zweiter-weltkrieg-im-oesterreichischen-bildgedaechtnis/

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Berliner Geschichtswerkstatt entwickelt App zur Geschichte der NS-Zwangsarbeit

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Mit der von der Berliner Geschichtswerkstatt entwickelten “Zeitzeugen-App” wird erstmals versucht, das Smartphone für die Bildungsarbeit zur Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Berlin zu nutzen. Mit Ausschnitten aus Videointerviews mit Zeitzeugen, Fotos und Karten lassen sich ihre Spuren und Wege in fünf Touren nachverfolgen – zu Fuß, per Fahrrad oder mit der S-Bahn.

Die “Zeitzeugen-App” ist kostenlos und in deutscher und englischer Sprache via iTunes erhältlich: https://itunes.apple.com/de/app/zwangsarbeit.-die-zeitzeugen/id645930289?mt=8. Eine Android-Version soll folgen.

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=2376

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Die Hamburger Hochbahn AG in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“

von Dr. Christoph Strupp –

Straßenbahn-Wagen aus den 1930er Jahren (Hamburger Hochbahn AG, Archiv)

Straßenbahn-Wagen aus den 1930er Jahren (Hamburger Hochbahn AG, Archiv)

Öffentlicher Nahverkehr ist seit über einem Jahrhundert ein unverzichtbarer Bestandteil der modernen städtischen Infrastruktur. Ohne ihn wäre angesichts der räumlichen Trennung von Wohnung, Arbeit und Konsum beziehungsweise Freizeit das Leben in den Metropolen kaum möglich. Ebenso wie Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke trugen die Straßenbahnen schon im Kaiserreich dazu bei, spezifische Probleme des Urbanisierungsprozesses zu bewältigen und setzten mit ihren Gleisanlagen zugleich stadtplanerische und siedlungspolitische Akzente.

In Hamburg stellte die Geographie besondere Herausforderungen an die Verkehrsplanung, denn hier hätte sich der Mittelpunkt eines klassisch sternförmig angelegten Verkehrsnetzes mitten in der Alster befunden. Städtische Fixpunkte wie das Rathaus, der Hauptbahnhof oder die Kaufhäuser der Mönckebergstraße drängten sich östlich der Alster. Der Hafen als wichtigster Arbeitgeber befand sich im Süden und war von der Elbe durchschnitten, weitere wichtige Einzugsgebiete für den Verkehr befanden sich im dichter besiedelten Westen, Norden und Osten der Stadt. Dafür reichten Straßenbahn-Linien nicht aus, und so wurde 1906 der Bau einer Schnellbahn um die Alster mit Abzweigungen in die Außenbezirke beschlossen. Das erste Teilstück der Ringlinie wurde im Frühjahr 1912 der Öffentlichkeit übergeben.

 

Krisen und Konflikte im Hamburger Nahverkehr der Weimarer Republik

Ähnlich wie andere deutsche Nahverkehrsgesellschaften war die Hamburger Hochbahn AG zunächst ein privatrechtlich verfasstes Wirtschaftsunternehmen, wurde aber im Juli 1918 als sogenannter „gemischtwirtschaftlicher Betrieb“ mit einer umfassenden Konzession für den Hamburger Nahverkehr neu gegründet. Die Hochbahn übernahm den Straßenbahnbetrieb und in den folgenden Jahren weitere kleine Verkehrsgesellschaften. Hinzu kamen in den 1920er-Jahren die ersten Autobuslinien und der Linienverkehr mit Fährschiffen auf der Alster. In der Hand der Reichsbahn blieb dagegen die Stadt- und Vorortbahn (S-Bahn), die von Blankenese über Altona und den Hauptbahnhof nach Ohlsdorf führte.

Das Organisationsmodell des gemischtwirtschaftlichen Betriebs, bei dem sich rund 50 Prozent der Aktien im Besitz des Hamburger Staates befanden und viele Maßnahmen, insbesondere die Fahrpreise, politischer Genehmigung bedurften, war in der zeitgenössischen betriebswirtschaftlichen Literatur gepriesen worden: Es vermeide die bürokratische Schwerfälligkeit und die Kosten einer Behörde zugunsten privatwirtschaftlicher Unternehmensstrukturen, sichere dem Staat aber weitreichende Eingriffsmöglichkeiten, um auf das „Wohl der Allgemeinheit“ zu achten. Spätestens unter den schwierigen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Weimarer Republik ergaben sich daraus Konflikte, die mit großer Heftigkeit in den Stadtparlamenten und der Lokalpresse ausgetragen wurden.

Das Hochbahn-Netz in der Zwischenkriegszeit (Hamburger Hochbahn AG, Archiv)

Das Hochbahn-Netz in der Zwischenkriegszeit (Hamburger Hochbahn AG, Archiv)

Der Enthusiasmus, mit dem die Freigabe des erste Teilstücks der Hochbahn 1912 gefeiert worden war, war schon nach dem Ersten Weltkrieg abgeklungen. In den 1920er-Jahren erhöhte das Unternehmen mehrfach seine Tarife, aber Mittel für umfassendere Ausbauten des Schnellbahn-Netzes oder Modernisierungen des Wagenparks waren stets knapp. Der seit 1912 amtierende Vorstandschef, der Ingenieur Wilhelm Stein, agierte nach Ansicht seiner Kritiker selbstherrlich, konzentrierte sich zu sehr auf das Betriebsergebnis und vernachlässigte die Verkehrsbedürfnisse der Bürger und den gesellschaftlichen Auftrag des Verkehrsunternehmens.

Neben Stein selbst waren auch die staatlichen Vertreter im Aufsichtsrat Kritik ausgesetzt, weil sie den Hochbahn-Vorstand stützten. Dies wiederum lag in einem grundsätzlichen Interessengegensatz begründet, der auf Einzelheiten der 1918 getroffenen Regelungen zurückging. Hamburg hatte damals nämlich für Privataktionäre der Hochbahn eine Dividendengarantie von fünf Prozent übernommen. Der Staat musste sich als Sachwalter öffentlicher Interessen also einerseits für ein gutes Verkehrsangebot und billige Fahrpreise einsetzen. Als Großaktionär war er aber andererseits auch an gewinnorientiertem Handeln des Vorstands und hohen Einnahmen interessiert, um für die Dividendengarantie nicht in Anspruch genommen zu werden.

Stein gelang es auch unter den Bedingungen der Weltwirtschaftskrise ab 1930, den finanziell angeschlagenen Hamburger Staat von der Garantie freizustellen, obwohl die Fahrgastzahlen und die Einnahmen einbrachen: Wurden 1930 noch 307 Millionen Personen befördert und 67,8 Millionen RM an Einnahmen erzielt, waren es 1933 nur noch 191 Millionen Fahrten und Einnahmen von 37,62 Millionen RM. Die Menschen gingen zu Fuß oder benutzen preiswert zu erwerbende Fahrräder, und in Presse und Bürgerschaft verschärfte sich die Kritik an der Fahrpreispolitik Steins.

 

Nahverkehr und Nationalsozialismus

Die starke staatliche Position im Nahverkehr trug 1933 dazu bei, dass die deutschen Verkehrsgesellschaften personell unmittelbar unter die Kontrolle der neuen Machthaber gerieten. Stein beschrieb später rückblickend, wie seine Tätigkeit bei der Hochbahn im April 1933 geendet hatte: Der nationalsozialistische Bürgerschaftsabgeordnete Friedrich Stanik war in seinem Büro erschienen und hatte erklärt, er sei vom Senat beauftragt, die Dienstgeschäfte zu übernehmen. Mit Stein mussten zwei seiner Vorstandskollegen sowie die sozialdemokratischen Betriebsräte ihre Schreibtische räumen. Rund vier Wochen später, in der Generalversammlung der Aktionäre, formierte sich auch der Aufsichtsrat neu, indem die demokratischen Senats- und Bürgerschaftsvertreter ihren Rücktritt erklärten bzw. entlassen und durch Nationalsozialisten und konservative bürgerliche Kräfte ersetzt wurden.

Insgesamt können die Jahre des „Dritten Reichs“ für die Entwicklung des Nahverkehrs in Deutschland aber nur bedingt als Einschnitt gelten. Zwar betonten nationalsozialistische Verkehrstheoretiker viel stärker die Aufsichts- und Lenkungsfunktion des Staates, und eine Reihe neuer Gesetze und Verordnungen reglementierten den Straßenverkehr stärker als zuvor. Substanziell eingeschränkt wurden die Handlungsspielräume der Verkehrsgesellschaften vor Ort durch das Reich aber nicht. Der „Sozialismus der Tat im deutschen Verkehrswesen“, den etwa Verkehrsstaatssekretär Gustav Koenigs 1940 beschwor, fand seine Grenzen in dem Gebot wirtschaftlicher Betriebsführung, auf dem man in Berlin genauso nachdrücklich beharrte.

Auch die Propaganda für die Automobilisierung hatte weniger Folgen, als man vermuten könnte, denn Planungen für eine Anpassung der Städte an den zunehmenden Individualverkehr gab es schon vor 1933. Sie liefen auf eine Ausweitung des Schnellbahn- und Autobusverkehrs und eine Zurückdrängung der Straßenbahn aus den Innenstädten hinaus, waren aber verkehrswissenschaftlich umstritten und gelangten nicht in größerem Stil zur Umsetzung. Dasselbe galt für die Überlegungen nationalsozialistischer Stadtplaner zu baulichen Auflockerungen der Städte und Siedlungsprogrammen im Umland, die eine Neuorientierung der Nahverkehrsnetze notwendig gemacht hätten.

 

Nationalsozialistische Machtübernahme bei der Hamburger Hochbahn

Der neue Vorstandschef der Hamburger Hochbahn AG, Friedrich Stanik, war im Ersten Weltkrieg schwer verwundet worden und hatte nach einer kaufmännischen Lehre in den 1920er-Jahren im Ölgeschäft gearbeitet. 1929 war er der NSDAP beigetreten, gehörte bald zum engeren Kreis um den Hamburger Gauleiter und späteren Reichsstatthalter Karl Kaufmann und wurde am 1. März 1933 zum NS-Gauinspekteur ernannt worden. Zahllose weitere politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktionen und Ämter sollten in den folgenden Jahren noch hinzukommen.

Mit der Berufung Staniks und der Nazifizierung des Aufsichtsrats war die Hochbahn einerseits unter weitgehender Kontrolle des Staates nach 1933 in Hamburg ähnlich wie Behörden und andere gemischtwirtschaftliche Unternehmen mit hoher infrastruktureller Bedeutung wie die Elektrizitäts-, Gas- oder Wasserwerke fest in das nationalsozialistische Herrschaftssystem in der Hansestadt integriert (ausführlich: Hamburg im „Dritten Reich“). Die Frage von Handlungsspielräumen des Unternehmens gegenüber dem Regime, die die Forschungen zur Privatwirtschaft im „Dritten Reich“ – zu Banken, Versicherungen oder den großen Industrieunternehmen – seit Jahren beschäftigt (zuletzt: Frei / Schanetzky (Hrsg.): Unternehmen), stellte sich formal nicht mehr: Die personelle Verflechtung an der Spitze machte die Hochbahn zu einem Teil des Regimes. Die Probleme in der öffentlichen Akzeptanz der Nahverkehrspolitik von Staniks Vorgänger Stein sicherten diesem Umbruch möglicherweise in Teilen der Öffentlichkeit Sympathien, aber handlungsleitend waren sie für Kaufmann und den neuen nationalsozialistischen Bürgermeister Carl Vincent Krogmann nicht. Andererseits fungierte aber auch unter Stanik der Vorstand nicht als bloßer Befehlsempfänger des Rathauses, und die Hamburger Hochbahn AG blieb auch nach der Machtübernahme ein Unternehmen, in dem zwischen – schon in sich widersprüchlichen – öffentlichen Interessen und den Interessen der Privataktionäre ein Ausgleich gefunden werden musste.

Sitzungssaal des Hochbahn-Vorstands 1939. In der Mitte stehend: Friedrich Stanik (Hamburger Hochbahn AG, Archiv)

Sitzungssaal des Hochbahn-Vorstands 1939. In der Mitte stehend: Friedrich Stanik (Hamburger Hochbahn AG, Archiv)

Noch im Frühjahr 1933 sandte Stanik in seinen Ankündigungen in der Presse ambivalente Signale über den zukünftigen Kurs des Unternehmens, denn neben der Ankündigung eines seit langem geforderten Arbeitslosentarifs und Verbesserungen im Service machte er auch deutlich, dass die Substanz der Hochbahn angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise in Hamburg nicht gefährdet werden sollte. Die neue „nationalsozialistische“ Dimension der Unternehmenspolitik wurde viel stärker intern sichtbar: Im Personalbereich kam es zu einer Entlassungswelle, der rund 260 politisch und gewerkschaftlich engagierte Sozialdemokraten und Kommunisten und auch jüdische Mitarbeiter zum Opfer fielen. An ihrer Stelle wurden mehrere hundert SA-Männer eingestellt.

Auf der symbolpolitischen Ebene zeigte sich das vorbehaltlose Bekenntnis zum „Dritten Reich“ in einem neuen Hochbahn-Emblem mit Hakenkreuz, der im Herbst 1933 gegründeten Betriebszeitschrift „Stirn und Faust“, die bis Ende 1944 in hoher Auflage erschien, nationalsozialistisch ausgerichteten Betriebsversammlungen und der Teilnahme von Abordnungen der Hochbahner an Parteiveranstaltungen, Aufmärschen, Sammlungen usw. Diese Aktionen machten Zweiflern in den eigenen Reihen ebenso wie der Öffentlichkeit deutlich, wo das Unternehmen politisch stand. Später trat noch ein kostspieliges Bündel sozialpolitischer Maßnahmen Staniks für die Belegschaft hinzu: Weihnachtsfeiern und Betriebsfeste, Ausflüge, Freizeitangebote, aber auch die Erneuerung von Arbeits- und Aufenthaltsräumen sowie der Bau von Werkswohnungen. Sie sollten die propagandistisch verklärte Wertschätzung des Arbeiters in dem neuen Staat mit Inhalt füllen und waren Stanik offensichtlich auch persönlich besonders wichtig. Hier schlossen die Interessen der Hamburger NS-Führung und des Hochbahn-Vorstands nahtlos aneinander an.

 

Öffentlicher Nahverkehr im Spannungsfeld von Gemeinwohlorientierung und Wirtschaftlichkeit

Dagegen zeigten sich im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung der Hochbahn Spannungen zwischen der Unternehmensleitung auf der einen und den staatlichen Vertretern auf der anderen Seite, die mit den bereits in der Weimarer Republik zu Tage getretenen Zielkonflikten zwischen Wirtschaftlichkeit und Gemeinwohl-Orientierung zusammenhingen: Die Forderung nach wirtschaftlicher Rentabilität, an der die Stadt aufgrund der 1918 vereinbarten Dividendengarantie und der prekären Haushaltslage unverändert ein besonderes Interesse haben musste, war mit den von Reichsstatthalter Kaufmann ab 1934 persönlich durchgesetzten Tarifsenkungen im Berufsverkehr, die besonders Hafenarbeitern zugute kommen sollten, und der Verlagerung einer Reihe weiterer finanzieller Lasten auf das Unternehmen unvereinbar. Eine Abschaffung der Dividendengarantie wurde zwar erwogen und mit den zuständigen Reichsbehörden in Berlin diskutiert, scheiterte 1938 aber letztlich an dem befürchteten Imageschaden für Stadt und Unternehmen sowie dem hohen Anteil an Kleinaktionären, die ihre Einkünfte nicht verlieren sollten.

Der Reingewinn der Hochbahn sank Mitte der 1930er-Jahre vorübergehend fast auf Null. Trotz gesteigerter Zusatzeinnahmen aus Touristenfahrten mit Hochbahn-Autobussen ins Umland und bis nach Bayern sowie der Verkehrsmittelwerbung in Fahrzeugen und an den Haltestellen wurden die Investitionen in die vorhandenen Wagen und Anlagen vernachlässigt. Auch der weitere Ausbau des Schnellbahn-Netzes, der zunächst auch der Arbeitsbeschaffung, später der großflächigen Umgestaltung Hamburgs zur „Führerstadt“ dienen sollte und viele Millionen gekostet hätte, kam über Planungen auf dem Papier nicht hinaus: Dies galt für die zunächst gewünschte Verbindung vom Jungfernstieg über den Hauptbahnhof Richtung Osten nach Horn und die Verlängerung der Zweiglinie im Westen bis zu Hagenbecks Tierpark ebenso wie für das Anfang der 1940er-Jahre von dem „Führerstadt“-Architekten Konstanty Gutschow geplante halbe Dutzend neuer U-Bahn-Linien, bei denen auch eine Untertunnelung der Elbe in Richtung Harburg vorgesehen war.

Der Hochbahn-Vorstand unter Stanik wurde dabei eher selten mit eigenen Initiativen aktiv, widersetzte sich aber in den Aufsichtsratssitzungen hartnäckig, allerdings am Ende oft erfolglos, den staatlichen Ansinnen. Wenig kooperativ zeigten sich Kaufmann und Krogmann umgekehrt bei den Bemühungen Staniks, sie zu Maßnahmen gegen unerwünschte Konkurrenz – den Individualverkehr der Radfahrer, den preiswerten Nahverkehr der Reichsbahn oder auch kleinere Wettbewerber wie die Verkehrsaktiengesellschaft Altona (VAGA) – zu bewegen. Der 1934/35 mit großem Propagandaaufwand geführte Kampf gegen die Radfahrer erschien ebenso wie z. B. das Festhalten Staniks an Tarifmodellen, die auf eine möglichst exakte Abrechnung jeder einzelnen Fahrt nach Länge und Verkehrsmittel hinausliefen, von mangelnder Flexibilität und wenig Verständnis für die Entwicklung der Verkehrsbedürfnisse geprägt zu sein.

 

Hamburger Nahverkehr unterm Hakenkreuz. Titelblatt der Mai-Ausgabe der Betriebszeitschrift "Stirn und Faust", 1936 (Hamburger Hochbahn AG, Archiv)

Hamburger Nahverkehr unterm Hakenkreuz. Titelblatt der Mai-Ausgabe der Betriebszeitschrift "Stirn und Faust", 1936 (Hamburger Hochbahn AG, Archiv)

 

 

Die Hamburger Hochbahn AG im Zweiten Weltkrieg

Der Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 veränderte die Rahmenbedingungen für das Unternehmen in allen Bereichen: Angesichts der Einschränkungen des privaten Verkehrs waren die städtische Kriegsgesellschaft und die Hamburger Rüstungsbetriebe auf die Nahverkehrsgesellschaft wie nie zuvor angewiesen. Die ständig steigende Nachfrage musste aber mit immer weniger Personal und Material auf einem immer schadhafteren Streckennetz bewältigt werden, sodass der Vorstand bald über Methoden nachdachte, wie man Fahrgäste abweisen konnte. Die Kritik der Bevölkerung an der Qualität des Service in den überfüllten Wagen verstärkte sich und stellte eine Konstante dar, die alle politischen Umbrüche von den frühen 1920er-Jahren bis in die Bundesrepublik überdauerte. Die Struktur der Belegschaft veränderte sich durch die Beschäftigung von Pensionären, Hilfskräften, Frauen sowie ausländischen Zivil- und Zwangsarbeitern. Schaffnerinnen und später auch Fahrerinnen stand man allerdings vor dem Hintergrund der bisherigen, männlich geprägten Unternehmenskultur und der Rollenbilder des Nationalsozialismus distanziert gegenüber.

Jüdische Fahrgäste, die schon in den 1930er-Jahren Schikanen ausgesetzt sein konnten, durften nach der Einführung der Kennzeichnungspflicht im September 1941 – dem „Judenstern“ – öffentliche Verkehrsmittel nur noch eingeschränkt nutzen. In einigen wenigen Fällen behandelten Mitreisende sie noch freundlich, und in anderen schämten sich Menschen immerhin für ihr distanziertes Verhalten. Ansonsten berichteten Zeitzeugen später aber von Beschimpfungen und tätlichen Angriffen auf Juden, die von den Schaffnern geduldet wurden

Die Auseinandersetzungen zwischen Vorstand und Staat über Finanzierungsfragen traten im Krieg in den Hintergrund – sie sollten erst in den späten 1940er-Jahren unter demokratischen Vorzeichen wieder aufleben, als Fragen der Finanzierung des Wiederaufbaus und neuer Strecken ebenso wie das Problem der Dividendengarantie Politik und Öffentlichkeit erneut beschäftigten. In der Kriegszeit erweiterte sich zunächst das Aufgabenspektrum der Straßenbahn um den Gütertransport und die Abfuhr von Schutt, aber spätestens nach dem „Feuersturm“ im Sommer 1943, bei dem mehrere hundert Wagen von U-Bahn und Straßenbahn sowie wichtige Betriebshöfe, Haltestellen und Gleisanlagen vor allem im Osten der Stadt zerstört wurden, ging es nur noch darum, durch Improvisationen den Betrieb aufrechtzuerhalten. Dem Druck der Verhältnisse geschuldet, die am Ende selbst das Papier für die Fahrscheine zur Mangelware machten, war eine im Herbst 1942 beschlossene drastische Vereinfachung der Tarife und die Förderung von Zeitkarten, die nicht mehr jede Fahrt individuell abrechneten. Damit kam man heute gängigen Formen der Tarifgestaltung nahe.

Schon Friedrich Stanik hatte im Sinne nationalsozialistischer Deutungen des Luftkriegs die Zerstörungen der zweiten Kriegshälfte als Bewährungsprobe interpretiert, der sich das Unternehmen und seine Mitarbeiter erfolgreich gestellt hatten. Nach 1945 prägte ein entkontextualisierter und entpolitisierter Blick auf die Leistungen der Hochbahn in Krieg und Wiederaufbau die Selbstdarstellung des Unternehmens. Dagegen vermied man nach der Entlassung eines Teils der als engagierte NSDAP-Mitglieder kompromittierten Mitarbeiter 1945/46 ähnlich wie viele andere Betriebe und Institutionen in Westdeutschland lange eine vertiefte Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in den Jahren des „Dritten Reichs“.

 

Fazit

Ob die Geschichte der Hamburger Hochbahn AG paradigmatische Züge für Nahverkehrsgesellschaften im Nationalsozialismus oder gar für städtische Infrastruktur-Unternehmen insgesamt hat, lässt sich angesichts der bisherigen Zurückhaltung der Forschung in diesem Bereich nicht leicht beantworten. Rahmenbedingungen wie der besondere rechtliche Status Hamburgs und die herausgehobene Rolle Reichsstatthalter Kaufmanns, die 1918 getroffene Dividendenregelung oder auch das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 und die „Führerstadt“-Planungen legen zunächst eine Unternehmensentwicklung mit individuellen Zügen nahe. Reichsweit dürfte aber gegolten haben, dass ein funktionsfähiger Nahverkehr im Interesse der jeweiligen lokalen und regionalen Machthaber lag und politisch motivierten Interventionen damit Grenzen setzte, weil Mängel in der Bereitstellung städtischer Dienstleistungen auf das Ansehen des Regimes insgesamt zurückgefallen wären und zudem den wirtschaftlichen Wiederaufstieg bzw. die Rüstungs- und Kriegswirtschaft behindert hätten.

Dass der Nahverkehr mit gewissen Ausnahmen beim Einsatz der populären Autobusse zumeist buchstäblich in den eingefahrenen Gleisen aus den Jahren des späten Kaiserreichs verblieb, verweist auf die Pfadabhängigkeit moderner städtischer Infrastruktur, die ebenfalls überall ähnlich gewirkt haben dürfte und grundlegenden Neuausrichtungen im Weg stand. Dies gilt auch für die relativ gleichbleibende Unzufriedenheit der Kunden, in der sich berechtigte Kritik mit Animositäten und Reibereien mischten. Die politischen Verwerfungen der 1930er- und 1940er-Jahre spiegelten sich in Hamburg im öffentlichen Verkehrswesen damit nur im Austausch von Vorständen und Personal, in – realen oder rhetorischen – Anpassungen der Unternehmensphilosophie sowie symbolpolitischen Veränderungen wider.

 

Literatur:

  • Frei, Norbert / Schanetzky, Tim (Hrsg.): Unternehmen im Nationalsozialismus. Zur Historisierung einer Forschungskonjunktur, Göttingen 2010.
  • Hamburg im „Dritten Reich“, hrsg. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Göttingen 2005.
  • Strupp, Christoph: Nahverkehr und Nationalsozialismus. Die Hamburger Hochbahn AG im „Dritten Reich“, München/Hamburg 2010.

 

Dr. Christoph Strupp ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) und Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Universität Hamburg.
Publikationen u. a.: Nahverkehr und Nationalsozialismus. Die Hamburger Hochbahn AG im „Dritten Reich“, München/Hamburg 2010; Fremde Blicke auf das „Dritte Reich“. Berichte ausländischer Diplomaten über Herrschaft und Gesellschaft in Deutschland 1933-1945, (hrsg. mit Frank Bajohr) Göttingen 2011.

 

 

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=16

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