Das Parteiensystem der Weimarer Republik

Von Stefan Sasse

Das Kabinett der "Weimarer Koalition" 1919
Das Parteiensystem der Weimarer Republik besitzt sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten mit dem Parteiensystem der Bonner und Berliner Republik. Die Funktion der Parteien selbst, ihre Rolle für das Funktionieren und Scheitern der Republik sind sowohl unterschiedlich als auch für das Verständnis für die Geschichte Weimars und ihres Scheiterns essentiell. Es ist viel von den Geburtsfehlern Weimars gesprochen worden. Retrospektiv ist das Scheitern natürlich leicht festzustellen; dazu bedarf es nicht viel. Der langsame, siechende Tod der Republik in den frühen Dreißiger Jahren ist dafür viel zu offenkundig. Es ist jedoch die Rolle der Parteien und ihre Funktionsweise in Weimar, die wichtig für dieses Siechen ist, und hier kann es nicht nur um die Rolle der inhärent demokratiefeindlichen Parteien von rechts und links gehen, die ab 1930 eine demokratische Mehrheit unmöglich machten. Bereits in der Anlage der Parteien in Weimar finden sich Probleme, Probleme, die ihrerseits aus dem Kaiserreich mitgeschleppt wurden und die 1949 die Gründung der BRD entscheidend mitprägten. 

Nimmt man die Verfassung der Weimarer Republik, so fällt vor allem das Fehlen der Parteien auf. Ihnen ist keine substantielle konstitutionelle Rolle zugewiesen. Stattdessen konstituiert sie ein reines Verhältniswahlrecht mit relativ großen Wahlkreisen; für jeweils rund 60.000 Stimmen wird ein Sitz im Reichstag vergeben (was mit sinkender Wahlbeteiligung zu einem schrumpfenden Reichstag und entsprechend einem Interesse der Abgeordneten am Vermeiden von Auflösung und Neuwahl führt, was besonders in der Endphase Weimars relevant wird). Der Grund für das fast schamhafte Vermeiden einer Festlegung der Rolle der Parteien in der Verfassung liegt im (selbst heute noch) notorisch schlechten Ruf der Parteien begründet. Im Kaiserreich war die Exekutive aus Kanzler, Kaiser und Regierung dem Parlament nicht verantwortlich, das über seine Budgetrechte aber eine starke Oppositionsrolle ausüben konnte. Es wurde sowohl von der Bevölkerung als auch von den Abgeordneten selbst vorrangig als ein solches Oppositionsinstrument empfunden. Die Parteien fühlten sich den Anliegen ihrer Wähler verantwortlich, nicht dem Staatswesen als Ganzes.

Kapp-Putsch 1920
Diese Einstellung wurde fast nahtlos in die Weimarer Republik überführt. Die zögerliche, fast widerwillige Machtübernahme von SPD, Zentrum und DDP in der Revolution legt davon beredtes Zeugnis ab; die Schaffung der starken Kompetenzen des Reichspräsidenten gerade in Unabhängigkeit vom Parlament ist Ausdruck dieses generellen Misstrauens. Die Parteien waren nicht dazu bereit, tatsächlich Verantwortung für das Staatswesen zu übernehmen und Kompromisse zu schließen. Waren Kernforderungen nicht umsetzbar, weil Rücksicht auf Koalitionspartner genommen werden musste, lies man im Zweifel eher die Regierung platzen und zog sich in die Opposition zurück. Sehr spezifisch für Weimar war außerdem das Problem, dass eine große Zahl der im Reichstag vertretenen Parteien der Republik feindlich oder bestenfalls neutral gegenüberstanden. Hinter dem neuen Staat standen rückhaltlos eigentlich nur SPD und DDP. Das Zentrum war wohlwollend neutral, konnte aber auch mit monarchisch-reaktionären Kräften zusammenarbeiten, genauso wie die DVP. KPD, DNVP und später NSDAP waren klar republikfeindlich. Nur in einem sehr kurzen Zeitraum 1925 bis 1928 stellten sich auch die Rechtsparteien hinter die Republik. Bevor eine detailliertere Analyse dieser Situation durchgeführt werden kann müssen wir uns die Parteien aber genauer ansehen. 

Ganz links in diesem System befindet sich die KPD. Sie ging aus dem radikalen Flügel der USPD und dem Spartakusbund hervor und lehnte die Demokratie als System des Klassenfeindes ab. Stattdessen propagierte sie ein an die Sowjetunion angelehntes Rätesystem. War sie 1919/20 noch eine Splitterpartei, klein, unbedeutend und von inneren Machtkämpfen und politischen Säuberungen erschüttert, brachte ihr das Auseinanderbrechen der USPD bis 1922 einen massiven Mitgliederschub, der sie durch die Weimarer Republik hindurch trug. Obwohl die Partei bereits in den frühen 1920er Jahren schwere Niederlagen einstecken musste (unter anderem in den Ruhrkämpfen und bei einem missglückten Aufstand) und dabei fast die Hälfte ihrer Mitglieder verlor, gelang es ihr, sich zu einer straff organisierten Kaderpartei zu entwickeln. Sie machte der SPD, die sich getreu der Moskauer Vorgabe („rot lackierte Faschisten“) zu ihrem Hauptgegner auserkoren hatte, stets Druck von links. Zusammen mit der NSDAP gehörte die KPD zu den großen Gewinnern am Ende der Weimarer Republik und kam am Ende auf beinahe 20% der Wählerstimmen. 

Ernst Thälmann, KPD-Chef, 1932
Die Ausrichtung der Partei war dabei stramm auf Moskau ausgerichtet. Die KPD war geradezu eine Marionette des Komintern und gehorchte allen Weisungen aus der Sowjetunion. Am weitreichendsten war dabei sicherlich die Direktive, nicht die extreme Rechte als Hauptgegner zu betrachten – wie es ja auch angesichts der verschiedenen Ideologien Sinn gemacht hätte – sondern sich auf die Sozialdemokratie einzuschießen. Jegliche Zusammenarbeit zwischen beiden Strömungen wurde dadurch verhindert, was sich in der Endphase Weimars als tödlich herausstellen sollte. Als die NSDAP und die KPD 1932 örtlich begrenzt bei Streiks gegen die Republik Hand in Hand arbeiteten war die fatale Absurdität dieser Situation klar ersichtlich. 

Auf dem linken demokratischen Flügel der Republik findet sich die SPD, anfangs noch mit Elementen der USPD (beide Parteien vereinigten sich 1922). Die Spaltung der Sozialdemokratie während des Krieges hatte dazu geführt, dass die gemäßigten Elemente der SPD die Oberhand vor den radikaleren Strömungen erhielten und Koalitionsregierungen mit den Bürgerlichen bildeten. Zu Beginn der Republik unternahm die SPD eine zaghafte Öffnung ihrer Wählerbasis von den Arbeitern hin zu den Angestellten und Intellektuellen, die jedoch im Großen und Ganzen erfolglos blieb. Als die gemäßigten Elemente der USPD sich 1922 mit der SPD wiedervereinigten, rückte die Partei deutlich nach links, was Koalitionen mit den Bürgerlichen erschwerte. Das resultierende Heidelberger Programm 1925 war rhetorisch stark von den Ideen des Klassenkampfes a la Marx geprägt, ohne den Worten dabei Taten folgen zu lassen, wodurch die SPD sowohl die linke Basis als auch mögliche Koalitionspartner misstrauisch machte und ihr entfremdete. 

Plakat der USPD, 1919
Die Sozialdemokraten standen unter einem furchtbaren Dilemma: einerseits hatten sie sich einen demokratischen Staat und die Regierungsverantwortung immer erstrebt, andererseits war die Republik mehrheitlich nicht sozialdemokratisch, so dass das Bekenntnis zu ihr stets mit Bauchschmerzen verbunden war. In jeder Regierung konnten Kernforderungen, besonders im Bereich sozialer Reformen, nicht umgesetzt werden, weil Zentrum und Liberale sich dagegenstellten. Entsprechend verliefen Regierungen für die SPD enttäuschend und mit Wählerverlusten, was eine Lust nach der Oppositionsrolle nach sich zog, wo man klare Gegner hatte und die eigenen Anhänger wieder mobilisieren konnte.

Die demokratische "Mitte" der Republik wurde von den Liberalen gebildet. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung 1919 erhielt die DDP, die die Hoffnung auf eine liberale Sammlungspartei gehabt hatte, noch ein gutes Ergebnis. In ihr sammelten sich die republikanisch gesinnten, aber individualistischen Liberalen der Kaiserzeit. Eine echte Parteistruktur konnte nicht etabliert werden; ein verlässlicher Partner konnte die DDP deswegen selten sein. Zudem misslang die Sammlung; in der DVP fand sich von Beginn eine nationalliberale, tendenziell rechtsliberale Partei. Ohne eine Parteiorganisation waren die Liberalen stark auf Spenden aus in der Industrie angewiesen, die die großen Wahlkreise ausnutzend starken Einfluss auf die Listen der Partei nahm und die Liberalen schnell zu einer Interesenvetretung des Großkapitals machte. Konsequent schwierig waren Koalitionen etwa mit der SPD, und die DDP verlor immer mehr Wähler, bis sie zum Ende Weimars auf den Status einer Splitterpartei reduziert war. Die liberal gesinnten Bürger fanden keine neue politische Heimat und stärkten tendenziell die Rechtsparteien.

Gustav Stresemann, 1925
Beständig zwischen diesen beiden Polen mäanderte die DVP, die mal rechte, mal liberale Tendenzen dominieren ließ und mit demokratischen wie autoritären Kräften koalitionsfähig war. Sie wurde nie zu einer großen Partei, war jedoch elementar für die Stabilisierung der Republik ab 1923/24. Das Schlagwort, geprägt vor allem von ihrem Vorsitzenden Gustav Stresemann, war "Republikanismus aus Vernunft". Man stellte sich hinter den neuen Staat, nicht begeistert, aber immerhin loyal. Dieser Sinneswandel der DVP brachte sogar die autoritär-radikale DNVP mit ins Boot, die in verschiedenen Koalitionsregierungen beteiligt war. Ab 1929/30 aber rutschte die DNVP unter ihrem Vorsitzenden Hugenberg stark nach rechts ab, während die DVP in der Bedeutungslosigkeit verschwand. 

Die letzte der demokratischen Parteien war das Zentrum. Zusammen mit der DDP hatte es bereits im Krieg mit der SPD zusammengearbeitet und arbeitete mit diesen die Verfassung aus. Sie war die einzige klassenübergreifende Partei Weimars, war aber durch die Konfessionszugehörigkeit scharf von vielen Milieus abgetrennt. In ihr fanden sich sowohl patriarchische Unternehmer als auch ungelernte Facharbeiter, strenge Pfarrer und emsige Hausfrauen. Ihnen war ein konservatives Weltbild gemein, streng und patriarchalisch organisiert, sowie eine starke Orientierung an der katholischen Kirche, was ihr bereits zur Zeit des Kaiserreichs den Vorwurf der Fremdgesteuertheit, des „Ultramontismus“, eingetragen hatte. 

Das Zentrum verfügte zudem über relativ ausgeprägte Flügel. Der rechte dieser Flügel war stets latent monarchisch und autoritär und strebte eher einen ständisch organisierten Staat an. Überspitzt könnte man formulieren, dass ihm eine konservative Variante der Räteideen der Linken vorstrebte; mit republikanisch-demokratischen Idealen vereinbar war sie jedoch sicher nicht. Der linke Flügel des Zentrums dagegen, der auch nach 1945 kurzzeitig und unter Kohls Sozialminister Blühm eine gewisse Rolle spielen sollte kam von der katholischen Soziallehre her und bekannte sich auch eindeutig zu Republik und Demokratie. Verbesserungen für die Arbeiter wurden durchaus angestrebt, sollten aber dem eher konservativen Ideal nach im Konsens mit den Arbeitgebern erreicht werden. Zwischen diesen Flügeln befand sich der Großteil der Partei, der je nach Koalitionspartner mal mehr in die eine, mal mehr in die andere Richtung neigte und dem Zentrum damit großen koalitionspolitischen Spielraum gab. 

DNVP-Plakat 1932
Auf dem rechten Rand des Parteienspektrums in Weimar fand sich eine ganze Reihe von Parteien. Stets vorhanden, aber nie besonders stark war etwa die Bayernpartei, in der der rechte Flügel des Zentrums der linke Flügel gewesen wäre und die für eine Abspaltung oder doch zumindest weitgehende Autonomie Bayerns vom Reich eintrat. Auch andere Splitterparteien entstanden und vergingen. Eine gewisse Dauerhaftigkeit dagegen besaß die DNVP, die Deutsch-Nationale Volkspartei. Sie wanderte im Lauf der Weimarer Republik von rechtskonservativer Opposition gegen die Republik auf eine Stelle an ihrem rechten, aber demokratischen Rand und zu Beginn der 1930er Jahre zurück. Die Anhänger der DNVP waren monarchistisch und revisionistisch und lehnten die Republik ab. In der Zeit zwischen 1924 und 1928 setzte sich allerdings eine Strömung durch, die bereit war, die Republik als eine Art Zwischenzustand zu akzeptieren und von innen heraus zu transformieren. Dies änderte sich mit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Hugenberg, einer Art deutschen Randolph Hearst, der sie zu einer Kaderpartei umfunktionierte. Sein Plan ging nicht auf; am Ende war die DNVP nur der Steigbügelhalter Hitlers. 

Dies lag auch an einem fundamentalen Problem der Rechten in der Weimarer Republik: sie waren sich zwar einig darin, dass sie Weimar ablehnten, aber sie waren sich keineswegs einig darin, was sie an ihre Stelle setzen wollten. Sollte es ein ständisch organisierter, patriarchalischer Staat sein, eine Art romantischer Reminiszenz an eine so nie existierende deutsche Vergangenheit? Ging es um die Restauration der Monarchie, und wenn ja, mit wem? Sollte das Reich gänzlich zerteilt und eine Fürstenherrschaft hergestellt werden? Sollten Technokraten herrschen und „pragmatische“ Politik machen? Oder sollte ein charismatischer Führer die Macht an sich reißen? Die Modelle wurden alle erprobt, und eines nach dem anderen scheiterte. Das Kabinett der „Fachminister“, das Wilhelm Cuno 1923 erprobte, scheiterte kläglich. Die Monarchisten fanden nie einen Anwärter auf den Thron, der halbwegs vernünftig war, und die autoritären Kräfte fanden ebenfalls keinen tragbaren Staatsaufbau, wie sich in der Dauerkrise 1932/1933 deutlich zeigte. 

Es waren Hitler und seine NSDAP, die den Schlüssel fanden und radikal mit konservativen Traditionen brachen. Ihren Erfolg verdankte die NSDAP dem autoritären Führerprinzip auf der einen und der Betonung ihrer Massenbasis auf der anderen Seite. Mit Revolutionsrhetorik, einem scheinbaren Egalitätsanspruch und der uniformierten Anlehnung an das Kriegserlebnis hob sie sich deutlich von dem Elitendünkel der alten Eliten ab und stand gleichzeitig in radikaler Opposition zu Weimar. Aus dieser Attraktivität, und nicht einfach nur aus den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen, speist sich ihr Aufstieg in den frühen 1930er Jahren. 

Kabinett der "Großen Koalition" 1928
Es stellt sich zum Ende hin die Frage, ob diese Parteien Weimer überhaupt tragen konnten. Der allgemeine Hass, die Verachtung oder doch zumindest stille Resignation, die den Parteien entgegen schlug, machte ihre Arbeit von Anfang an sehr schwer. Dazu kam, dass eigentlich nur drei Parteien die demokratische Verfassung des Staates trugen, von denen eine – das Zentrum – auch mit die Republik ablehnenden Rechtsextremen zusammenarbeitete und die andere – die DDP – rapide an Bedeutung verlor. Obwohl die SPD, sehr zum Missvergnügen ihrer Anhänger und ihrer verlorenen Söhne bei USPD und KPD, bei der Verfassungskonstruktion Weimars viel Boden preisgegeben hatte, war sie die einzige Partei, die den Staat vorbehaltlos trug. Die Weimarer Republik war sehr weit vom sozialdemokratischen Ideal entfernt, und trotzdem war er der Staat der SPD. Dass nicht einmal sie sich wirklich für ihn erwärmen mochte, und wohl auch nicht konnte, zeigt die Probleme deutlich auf. 

Trotzdem gab es zwei Perioden, in denen der Staat eine Chance zu haben schien. Dies waren die Regierungszeit der „Weimarer Koalition“ aus DDP, Zentrum und SPD zu Beginn der 1920er Jahre und, zusammen mit der DVP, als „Große Koalition“ 1928-1930, sowie die Zeit der Rechtskoalitionen zwischen 1925 und 1928. Die Weimarer Koalition und später die Große Koalition litten stets unter dem Flügelproblem: nie waren ihre äußeren Flügel mit den Ergebnissen zufrieden, musste blockierende Symbolpolitik zur Besänftigung betrieben werden, die schließlich zum Koalitionsbruch führte, weil niemand zum Gesichtsverlust bereit war. Die SPD kompensierte dies über ausgedehnte Perioden dadurch, dass sie liberal-konservative Minderheitsregierungen unterstütze, aber eine stabile Regierung konnte dadurch nie entstehen. 

Verfassungsfeier 1929
Die Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten 1925 eröffnete der Republik dann eine zweite Chance: die DNVP kam plötzlich als Spieler im demokratischen System mit an Bord und eröffnete der Republik ein rechtes Standbein. Was bisher reine Opposition gegen den Staat gewesen war, arbeitete nun mit – ein Novum in ihrer Geschichte, und ein kurzlebiges dazu. Die Regierungsbeteiligung der DNVP markierte trotzdem eine Zäsur, die nicht unterschätzt werden darf. Wäre es möglich gewesen, die Partei längerfristig an die Republik zu binden, hätte sie vielleicht eine Chance gehabt. So aber wandelte sich die DNVP nach dem Bruch der Regierung 1928 und dem Antritt der Großen Koalition erneut zur radikalen, die Republik ablehnenden Oppositionspartei, die durch ihren neuen Vorsitzenden Hugenberg deutlich verschärft wurde. Das Spiel von Opposition und Regierung und der reibungslose Übergang zwischen diesen politischen Aggregatszuständen aber ist elementar für das Funktionieren einer Demokratie; sein erstes Anstehen daher immer eine Wasserscheide in ihrer Geschichte, ob in Weimar 1928, in den USA 1800 oder in der BRD 1969. Verweigert sich eine Partei diesem Wechsel und den demokratischen Spielregeln, ist das System zum Scheitern verurteilt.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/05/das-parteiensystem-der-weimarer.html

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FES: Publikationsreihe des Gesprächskreises Geschichte

http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/gespraechskreis/publikationen.htm Im Gesprächskreis Geschichte der Friedrich-Ebert-Stiftung werden historische Themen von aktueller politischer Bedeutung diskutiert. Die Publikationen der Reihe gehen in der Regel auf Veranstaltungen zurück, die in Bonn oder Berlin stattgefunden haben und sich an eine breitere historisch interessierte Öffentlichkeit richten. Die Schriftenreihe erscheint seit 1992 und ist in der Digitalen Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung im Volltext frei zugänglich. Die [...]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2012/04/2680/

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Neue Informationen vom Ohnesorg-Mord

Von Stefan Sasse

Vor anderthalb Jahren machte die BILD Schlagzeilen mit bahnbrechenden Informationen zum Mord an Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967: der Todesschütze Kurras sei ein Stasi-Spitzel gewesen, bezahlt vom Osten um Informationen aus Westberlin zu liefern. Mit dieser Enthüllung hat die Springer-Presse an einer Saite gerührt, die noch heute einen scharfen Graben zwischen links und rechts, zwischen den 68ern und ihren Gegnern zieht. Der Mord an Benno Ohnesorg galt lange als Fanal der Radikalisierung der Studentenbewegung, spätestens seit "Der Baader-Meinhoff-Komplex" auch als Geburtsstunde der RAF. Es wurde um die Umdeutung der Ereignisse allerdings schnell ruhig. Ob Kurras nun auch noch von der Stasi bezahlt wurde oder nicht spielt letztlich keine große Rolle, was sich umso mehr bewahrheitete, als weitere Informationen über ihn und seinen Lebenswandel ans Licht kamen, die ihn als letztlich reichlich verkommenen Menschen erschienen ließen, der sowohl rechtsradikales Gedankengut pflegen als für den selbst ernannten "Arbeiter- und Bauernstaat" spionieren konnte, während er die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigte. In einer großen Schlagzeile zeigt nun der Spiegel neue Informationen zum Fall an: die alte Frage, ob der Tod Ohnesorgs wirklich Mord war, ist diesen neuen Informationen zufolge endgültig entschieden. 

In bisher unveröffentlichtem Bildmaterial ist demzufolge zu erkennen, dass Kurras sich mit gezückter Waffe einem von anderen Beamten abgeschirmten Ohnesorg genähert und ihn dann erschossen hat. Schlimmer noch als diese nicht unbedingt 100% stichhaltigen Bilder aber sind die Informationen über das Verhalten der Berliner Polizei und der zuständigen Ärzte. Auf Befehl von oben (wessen Befehl geht aus dem Spiegel-Artikel nicht hervor) haben die Ärzte rund um die Einschusswunde Schädelstücke entfernt und die Kopfhaut zugenäht, um so einen Tod durch eine Hiebwaffe vorzutäuschen, und anschließend darüber Stillschweigen bewahrt. Die Polizei selbst behinderte die internen Ermittlungen und versuchte, ihre Mitwirkung zu vertuschen. Diese neuen Erkenntnisse bestätigen die Verschwörungstheorien aller 68er und ihrer Sympathisanten ebenso, wie die Stasi-Enthüllungen von vor anderthalb Jahren ihren Gegnern neue Munition in einem Kampf geben, der kaum mehr als Schattenfechten ist. 1968 ist inzwischen so weit weg, dass der Fervor, mit dem besonders der Springer-Verlag die Schlachten von damals immer noch weiterführt kaum mehr nachvollziehbar ist. 

Im Fall Benno Ohnesorg führen die beiden so kurz aufeinanderfolgenden Enthüllungen zu dem absurden Effekt, dass wir genau dort stehen, wo wir vor zwei Jahren waren. Beide Seiten haben immer noch den gleichen moralischen Boden besetzt, auf dem sie vorher standen, nurn haben sie frische Munition für einen Kampf erhalten, der längst kaum mehr jemanden interessiert und der endlich an die Historiker übergeben werden sollte. Die ständige Auffrischung des 68er-Konflikts von rechts wie von links ist Gift, das sich in eine Gesellschaft hineinfrisst, in der kaum mehr Protagonisten jener Tage aktiv sind. Weder die Springer-Angriffe auf die Legenden von 1968 noch die Verteidigungsversuche ihrer Träger werden irgendetwas zur Wahrheitsfindung beitragen. Es wird Zeit, dass sich Historiker ohne Einmischung der Publikationsorgane und politischen Verbindungen damit beschäftigen können, und vielleicht endlich ein Urteil finden, das ohne das Moralin derer auskommt, die dabei waren oder sich die alten ideologischen Schlachtfelder zu eigen gemacht haben. Die 68er-Debatte ist ein Beispiel dafür, wie eine intensive Beschäftigung mit der Geschichte verheerende Folgen für die Gegenwart haben kann. Wir sollten dieses Buch in die Hände anderer legen und uns aktuellen Dingen zuwenden.

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/03/neue-informationen-vom-ohnesorg-mord.html

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Neue Informationen vom Ohnesorg-Mord

Von Stefan Sasse

Vor anderthalb Jahren machte die BILD Schlagzeilen mit bahnbrechenden Informationen zum Mord an Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967: der Todesschütze Kurras sei ein Stasi-Spitzel gewesen, bezahlt vom Osten um Informationen aus Westberlin zu liefern. Mit dieser Enthüllung hat die Springer-Presse an einer Saite gerührt, die noch heute einen scharfen Graben zwischen links und rechts, zwischen den 68ern und ihren Gegnern zieht. Der Mord an Benno Ohnesorg galt lange als Fanal der Radikalisierung der Studentenbewegung, spätestens seit "Der Baader-Meinhoff-Komplex" auch als Geburtsstunde der RAF. Es wurde um die Umdeutung der Ereignisse allerdings schnell ruhig. Ob Kurras nun auch noch von der Stasi bezahlt wurde oder nicht spielt letztlich keine große Rolle, was sich umso mehr bewahrheitete, als weitere Informationen über ihn und seinen Lebenswandel ans Licht kamen, die ihn als letztlich reichlich verkommenen Menschen erschienen ließen, der sowohl rechtsradikales Gedankengut pflegen als für den selbst ernannten "Arbeiter- und Bauernstaat" spionieren konnte, während er die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigte. In einer großen Schlagzeile zeigt nun der Spiegel neue Informationen zum Fall an: die alte Frage, ob der Tod Ohnesorgs wirklich Mord war, ist diesen neuen Informationen zufolge endgültig entschieden. 

In bisher unveröffentlichtem Bildmaterial ist demzufolge zu erkennen, dass Kurras sich mit gezückter Waffe einem von anderen Beamten abgeschirmten Ohnesorg genähert und ihn dann erschossen hat. Schlimmer noch als diese nicht unbedingt 100% stichhaltigen Bilder aber sind die Informationen über das Verhalten der Berliner Polizei und der zuständigen Ärzte. Auf Befehl von oben (wessen Befehl geht aus dem Spiegel-Artikel nicht hervor) haben die Ärzte rund um die Einschusswunde Schädelstücke entfernt und die Kopfhaut zugenäht, um so einen Tod durch eine Hiebwaffe vorzutäuschen, und anschließend darüber Stillschweigen bewahrt. Die Polizei selbst behinderte die internen Ermittlungen und versuchte, ihre Mitwirkung zu vertuschen. Diese neuen Erkenntnisse bestätigen die Verschwörungstheorien aller 68er und ihrer Sympathisanten ebenso, wie die Stasi-Enthüllungen von vor anderthalb Jahren ihren Gegnern neue Munition in einem Kampf geben, der kaum mehr als Schattenfechten ist. 1968 ist inzwischen so weit weg, dass der Fervor, mit dem besonders der Springer-Verlag die Schlachten von damals immer noch weiterführt kaum mehr nachvollziehbar ist. 

Im Fall Benno Ohnesorg führen die beiden so kurz aufeinanderfolgenden Enthüllungen zu dem absurden Effekt, dass wir genau dort stehen, wo wir vor zwei Jahren waren. Beide Seiten haben immer noch den gleichen moralischen Boden besetzt, auf dem sie vorher standen, nurn haben sie frische Munition für einen Kampf erhalten, der längst kaum mehr jemanden interessiert und der endlich an die Historiker übergeben werden sollte. Die ständige Auffrischung des 68er-Konflikts von rechts wie von links ist Gift, das sich in eine Gesellschaft hineinfrisst, in der kaum mehr Protagonisten jener Tage aktiv sind. Weder die Springer-Angriffe auf die Legenden von 1968 noch die Verteidigungsversuche ihrer Träger werden irgendetwas zur Wahrheitsfindung beitragen. Es wird Zeit, dass sich Historiker ohne Einmischung der Publikationsorgane und politischen Verbindungen damit beschäftigen können, und vielleicht endlich ein Urteil finden, das ohne das Moralin derer auskommt, die dabei waren oder sich die alten ideologischen Schlachtfelder zu eigen gemacht haben. Die 68er-Debatte ist ein Beispiel dafür, wie eine intensive Beschäftigung mit der Geschichte verheerende Folgen für die Gegenwart haben kann. Wir sollten dieses Buch in die Hände anderer legen und uns aktuellen Dingen zuwenden.

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aventinus recensio Nr. 30 [29.03.2012]: Dieter Schiffmann u.a. (Hrsg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz, Mainz 2011.

http://www.aventinus-online.de/recensio/neuzeit/art/Rezension_Diete/html/ca/7a6645b406bdc0c077fb48343a0fed4b/?tx_mediadb_pi1[maxItems]=10 Die Publikation trägt den Untertitel Wissenschaftliche Darstellung und Materialien für den Unterricht – und der Name ist Programm: Sie möchte in einem Band fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse, didaktische Konzepte und Ansätze zur Vermittlung der Thematik anbieten.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2012/03/2586/

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Welche Geschichte zählt? Erinnerung und Geschichtsvermittlung in der Migrationsgesellschaft

Der Begriff Migrationsgesellschaft steht für Vielfalt. Vielfältige historische Erinnerungen, vielfältige Identitäten und vielfältige Perspektiven über historische Ereignisse und deren Deutung. Vielfalt steht für die Chance, die eigene Perspektive zu erweitern und sich als Gesellschaft zu öffnen und weiter zu entwickeln. Sie birgt jedoch auch die Gefahr der Ausgrenzung. Wie kann eine Gesellschaft all der Vielfalt gerecht werden, ohne auszugrenzen? Müssen die Inhalte der historisch-politischen Bildung im (außer-)schulischen im Kontext neu gedacht werden?

Im dritten Teil der Sonderreihe MONTAGSRADIO “Vor Ort” sprechen Oliver Baumann und Kaja Wesner mit Ulla Kux, Leiterin des EVZ-Programms Geschichte(n) in Vielfalt, und Johannes Meyer-Hamme, Lehrer an der Julius Leber Schule in Hamburg und Mitarbeiter im Fachbereich Didaktik der Universität Hamburg, über das “Wir-Gefühl” von Schülerinnen und Schülern in heterogenen Klassen, von multiperspektivischem Geschichtsunterricht und darüber, dass aktuelle politische Debatten (auch in Migrationsgesellschaften) immer noch stark von nationalen Narrativen und Deutungsmodellen geprägt sind.

Und hier noch die Timeline zu dem Gespräch:

0:50 Historische Schlüsselerlebnisse: “Kriege” und die Wahl Helmut Kohls zum Bundeskanzler

6:00 EVZ-Projekt Geschichte(n) in Vielfalt

8:40 Vermittlung historischer Ereignisse in Migrationsgesellschaften

10:15 Aktuelle Politische Debatten orientieren sich an der Erinnerungskultur einer Gesellschaft

13:20 Geschichtsvermittlung in der Schule – lieber Themen anstelle von Daten?

18:00 Multiperspektivischer Geschichtsunterricht ohne Ausgrenzung?

22:30 die Meta-Perspektive eines heterogenen Referenzrahmens

23:15 Sprache als Hindernis?

27:00 “History matters!” – warum es so wichtig ist, sich für Geschichte zu interessieren

29:45 Perspektivänderung durch interdisziplinäre Arbeitsweise zwischen Stadtteilarbeit und Geschichtsvereinen

33:15 Fragebogen “light”

Und hier gehts direkt zum MP3.

Quelle: http://www.montagsradio.de/2012/03/19/welche-geschichte-zahlt-geschichtsvermittlung-in-der-migrationsgesellschaft/

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Eine kurze Geschichte des Faschismus und Nationalsozialismus, Teil 1/2

Von Stefan Sasse

Mussolinis Standarte
Vereinfachend kann man sagen, Liberalismus ziele auf die Selbstverwirklichung des Individuums, Sozialismus auf Gleichheit der Menschen und Kommunismus auf radikale Gleichheit aller Menschen. Der Faschismus hat keine so prägende Botschaft im Angebot. „Faschismus“ hat seinen Ursprung im italienischen „fascio“, das Rutenbündel der römischen Liktoren. Das verweist, etwas diffus, auf Gemeinschaft. Es ist eine Rücknahme auf ein Herrschaftssymbol des römischen Reiches, das durch das Rutenbündel den Anspruch verkündet, eine zerfallende Gesellschaft zusammenzuhalten. „Faschismus“ teilt sich dabei in zahlreiche Spielarten auf, meist nach Ländern und Parteien. Auftrieb beziehungsweise Gründung erhält der Faschismus mit dem Zerfall des Habsburger-Reiches; in Österreich der Austro-Faschismus, in Ungarn das Horthy-Regime, in Rumänien die „Eiserne Garde“, in Kroatien die Ustascha. Der Antisemitismus ist im Faschismus ein eher untergeordnetes Element; als Vernichtungsdrohung ist er eine Eigenart des Nationalsozialismus. Auch in Westeuropa gibt es Varianten. In Frankreich Jean Marais, in Spanien Franco (hier jedoch wegen der stark kirchlichen Prägung eher eine Katholo-Diktatur mit faschistischen Einschlägen als Faschismus, der eigentlich dezidiert anti-klerikal ist), in England Mosley (eher skurril und ohne Massenbasis), in Finnland, Belgien und Holland, sektenhaft auch in der Schweiz. Im Zweiten Weltkrieg entsteht in Norwegen ein faschistisches Marionettenregime unter Vidkun Quisling, der aber stark von Deutschland abhängig bleibt.

Meist wird von „dem“ Faschismus geredet. Dies geht auf den Ursprung in den 1920er Jahren zurück, als „die“ Faschisten in Italien in post-habsburgischer Subformation entstanden. Die Kommunisten mitteleuropäischer Länder diskutierten das Phänomen intensiv. Auf dem V. Weltkongress der Komintern 1924 wird „Faschismus“ zum Etikett für den ideologischen Feind: „Kampfbegriff der Großbourgeoisie gegen das Proletariat“. Selbstverständlich ist das äußerst simplifizierend und bleibt auch nicht unwidersprochen; Clara Zetkin in Deutschland, aber auch italienische Kommunisten hielten es für falsch, allesin kommunistischem Verständnis anti-demokratische automatisch als „faschistisch“ zu etikettieren und zu reduzieren, da man die Gegner sonst nicht differenzieren könne. Trotzdem nahm die Komintern diese Klassifikation vor. Dazu passt die KPD-Etikettierung der SPD als „Sozialfaschisten“ (siehe "Eine kurze Geschichte des Kommunismus"). In der Zeit des Zweiten Weltkriegs wurde in den westlichen Ländern, die Kriegsgegner der NS-Diktatur waren, über „den“ Faschismus nachgedacht. Ab 1939/40 bildete sich langsam eine westliche Faschismustheorie, die in Gegensatz zur östlichen Theorie tritt, obwohl auch sie von „dem“ Faschismus redet. Die westliche Theorie nimmt natürlich viel weniger Bezug auf den Kapitalismus, sondern befasst sich in ihren Überlegungen vorrangig mit dem italienischen und deutschen Faschismus. Kennzeichnungen sind wichtig: die Symbole, die Uniformen, die Diktatur und die allgemeine Gewalttätigkeit. Damit fällt aber auch der Stalinismus in dieses Erklärungsraster, weswegen es vom Erklärungspotenzial her ungenügend ist. Deswegen differenziert man die rote und die braune Diktatur und fasst sie unter dem Topos „Totalitarismus“ zusammen, was auch eine Vergleichbarkeit impliziert. Bekannt ist hier vor allem Hannah Arendt, eine aus Königsberg stammende jüdische Intellektuelle und spätere Emigrantin mit ihrem „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. Ernst Nolte versucht später, den Totalitarismus-Ansatz zu zerstören und den Faschismus als spezifisch europäisches Phänomen einer spezifisch europäischen Epoche zu erklären.

Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch bezieht sich „Faschismus“ ausnahmslos auf den italienischen Faschismus, der schon allein wegen der nicht vorhandenen antisemitischen Komponente vom deutschen Faschismus abzugrenzen ist. Die italienischen Rutenbündel sind im italienischen Selbstverständnis als Form von Gemeinschaftsbildung enthalten. Der Repräsentant der italienischen Faschisten ist Benito Mussolini.

Benito Mussolini
Mussolini wurde 1883 geboren. Er war ab 1900 Mitglied der sozialistischen Partei und wurde 1912 Redakteur der Zeitschrift Avanti!. 1914 erfolgt durch Mussolinis Fürsprache für den Krieg der Bruch mit den Sozialisten. 1921 wurde die Fascio di Combattimento gegründet, die starke Ähnlichkeiten zur SA aufweist und bald Parteistatus erlangte. Sie machte rechte Politik, die in der durch die Nachkriegswirren stark verunsicherten italienischen Gesellschaft starken Anklang fand. 1922 wurde der „Marsch auf Rom“ initiiert, der eine Propagandamaßnahme zur Übernahme des Ministerpräsidentenamtes vom König durch Mussolini, gedeckt durch die konservativen Parteien Italiens war. Auf dieser Grundlage wurden die politischen Kompetenzen immer mehr auf Mussolinis Person hin zur Diktatur gebündelt, was 1928 seinen Abschluss fand. Ab dieser Zeit verschmolz die Begriffsbildung des „Duce“ mit der Person Mussolinis. 1929 schloss er die berühmten Lateran-Verträge mit dem Vatikan, der die Herrschaftsform Mussolinis akzeptierte, während Mussolini gleichzeitig dem Vatikan Immunität zusicherte. 1936 wurde Äthiopien, 1939 Albanien annektiert. 1940 trat Mussolini auf Seiten Hitlers in den Zweiten Weltkrieg ein, der kein Eroberungskrieg im faschistischen Sinne war, sondern Mussolini wird zum Partner einer imperialistischen Politik, die alte Strukturen entfernen und zerstören will, machte. 1943 wurde er abgesetzt und Chef einer Marionettenregierung in Norditalien; 1945 von italienischen Partisanen ermordet.

Mussolini wollte die Einheit der Nation durch Vereinigung der Volksmassen, ohne dabei die humanwirtschaftliche Form grundlegend zu verändern, was ihn deutlich vom Sozialismus unterscheidet. Mussolinis politisches Konzept fußt auf der Beseitigung des Parlamentarismus und der Begründung eines autoritären Ein-Parteien-Staats. Das ist eine explosive Verbindung von revolutionär-sozialistischen und imperialistischen Strömungen im Zeitalter der Weltkriege und der Massengesellschaft. Diese Verbindung ist die Grundbedingung des Faschismus. Dazu gehört die Stilisierung der Führungsfigur, oft mit archaischer Symbolik. Mussolini setzt damit für alle nachfolgenden „Führer“ das Vorbild. Der italienische Nationalismus kommt noch hinzu; er fußt auf der späten Bildung des italienischen Nationalstaats in einem über Jahrhunderte von fremden Mächten besetzten Land. Dazu kommt, dass sowohl in Italien als auch in Deutschland einzig der Erste Weltkrieg als Katalysator für Gemeinschaftsgefühl gelten kann.

Mussolini bei einer Rede, 1932
Ein ideologisches Element des Faschismus ist auch der Vitalismus, eine starke Lebensphilosophie mit Beschwörung des Lebens, innerhalb derer aufklärerische Geschichtskategorien wie Fortschrittsglauben nicht inhärent sind. Stattdessen wird die Gesetzmäßigkeit der Geschichte außer Kraft gesetzt und ein Bezug auf eine mystisch verklärte Vorzeit geschaffen. Damit ist auch eine ganz andere Vorstellung von Zukunft verbunden; ebenfalls anti-historistisch findet sie ihren Niederschlag beispielsweise in der Rede vom tausendjährigen Reich; es gibt quasi keine Zukunft mehr nach dem Sieg des Nationalsozialismus. Mussolini selbst beschwor die Vergangenheit des Römischen Reiches und schwor Italien auf dessen Wiedererrichtung ein. Der Faschismus richtet sich sowohl gegen die Individualisierung und Egoisierung des Liberalismus als auch die Gleichheit des Sozialismus. Auch gegen die konservative Vorstellung des „wir und anderen“ richtet sich der Faschismus, der eine massenorientierte, zusammengehörige Gesellschaft schaffen will. Er richtet sich also gegen die elitären Bestrebungen des Liberalismus wie die proletarisch-linke Massenbewegung des Bolschewismus.

Der Aspekt der Gemeinschaftsbildung findet sich auch im Nationalsozialismus, dort im Aspekt der „Volksgemeinschaft“, die älter als er ist und bereits im Ersten Weltkrieg entstand. Im Gegensatz zur italienischen Variante ist die deutsche rassistisch aufgeladen. Der zweite Aspekt des Faschismus ist der Vitalismus (durch die amerikanische Faschismus-Forschung in die Diskussion gekommen). Man beschwört „Leben“ als Bezugsgröße anstelle von „Vernunft“, „Fortschritt“, „Geschichte“ oder „Gesetz“. Leben folgt dabei eigenen, irrationalen Gesetzen. Es ist eine natürliche Größe und enthält die „Vernunft“ der Natur. Das impliziert eine Ähnlichkeit mit dem Konservatismus, die jedoch nicht besteht. Diese Ähnlichkeit im Begrifflichen führt zu der Unterstützung durch die Konservativen, die die Diskrepanz nicht rechtzeitig erkennen. Der dritte Aspekt ist die Theorie des nationalen Imperialismus, was bei Mussolini auffallender ist als bei Hitler, vor allem durch die Selbstinszenierung des „imperium romanum“ und der Zentrierung auf antike Figuren. Diese Stärke der Nation soll nach außen gewendet werden; bei den Italienern findet das im Abessenienkrieg statt. Bei den Deutschen findet als Stärkung der Volksgemeinschaft im Inneren statt, die dann nach außen gewendet werden soll; vordergründig als Revision des Versailler Vertrags, in Wahrheit ungemein aggressiv auf den „Ostraum“ gerichtet. Dort findet sich auch eine Parallele zum imperium romanum, wobei die Italiener nicht so stark in kulturelle Besonderheiten und Bevölkerungsgruppen eingreifen wollen. Dazu kommt der Herrscherkult des Duce, der auf die Errichtung eines möglichst starken Staates zielt (bei Mussolini als antiker Krieger, bei Hitler als Grabenkämpfer des Ersten Weltkriegs). Zur Erreichung dieser Ziele muss Gewalt angewendet werden. Das sagt die Propaganda zwar nicht, sie sorgt aber dafür, dass sich dieser Schluss von selbst einbürgert. Die Führerfigur nimmt dabei die Position eines Ersatz-Monarchen ein. Im Nationalsozialismus ist der Führerkult auch dazu da, den rassistischen Terror im Reich zu vernebeln. In der Geschichtsreflexion wird der Monarch sowohl in Deutschland als auch Italien als Militärlenker dargestellt.

Die Gliederung der italienischen Gesellschaft erfolgte politisch nach diesem Konzept nicht nach Parteien, sonder nach „Ständen“. Stände sind in diesem Verständnis Berufsstände (Bauernstand, Soldatenstand, …). Dieses System macht starke Anleihen, etwa bei der katholischen Soziallehre mit ihren Naturständen (Männer und Frauen, Jungmänner und Jungfrauen). Man wiederrief den Parlamentarismus und die Antithese Kapitalismus-Sozialismus. Letztlich geht es bei diesem korparativen Modell nur um eines: sämtliche arbeitenden Menschen sollen durch den Staat kontrolliert werden. Besonders der Nationalsozialismus übte dabei einen Rückgriff auf eine Bauernideologie aus, die am 19. Jahrhundert angelehnt ist, ohne auf realen Grundlagen zu fußen.

Mussolini und Hitler im Wagen
Der letzte Aspekt des Faschismus ist der radikale Antikommunismus. Er ist die wesentliche Position des Faschismus, weil er eine massive Gegnerposition aufbaut. Der Faschismus ist ein Todfeind des marxistischen Internationalismus und des Klassenfeindgedankens, was sämtliche Gemeinsamkeiten hinwegwischt. Ersetzt wird das durch den radikalen Nationalismus und den Gemeinschaftsdrang; im deutschen Fall wird der Klassenfeind allerdings durch den Rassenfeind ersetzt.

Sieht man den Nationalsozialismus als Spielart des europäischen Faschismus – und das muss man – muss man auf Antisemitismus, Führerkult, Gewaltbereitschaft und Feindschaft zum liberalen Parlamentarismus hinweisen. Er bildet die radikalste Variante des europäischen Faschismus. Damit ist der Nationalsozialismus eng mit dem eigentlich entgegengesetzten Stalinismus verwandt. Das ist auch der Grund, warum vor dem Hintergrund des Hitler-Stalin-Pakts im Westen die Totalitarismustheorie entwickelt wurde. In einer starken Verallgemeinerung werden dabei Stalinismus und Hitlerismus generalisiert in Verbindung gesetzt – und eine ungemeine Begriffsverwirrung ausgelöst. Mit dem Nationalsozialismus gehen drei wichtige Topoi einher:

1)      Völkisches Denken
2)      Rassenantisemitismus
3)      Ideologie des Lebensraums (der nur „höherwertigen“ Rassen zusteht)

Diese drei Elemente heben den Nationalsozialismus vom europäischen Faschismus ab, die ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert haben.

Magazin
Das völkische Denken reflektiert den Grundtatbestand, dass es in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert lange keinen Nationalstaat gab. Es gab ebenso lange keine politische Nation. Diese leitet sich aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon her; seine für das 20. Jahrhundert wichtige Ausprägung erhält das völkische Denken aber erst ab 1871 mit der Gründung des kleindeutschen Nationalstaats. Auf diesem Boden entstehen die Konzepte von "völkisch" und "Volk" und ihrer Bedeutungen. Das ist aber keine reine Angelegenheit der Deutschen, sondern in sich ein Zerfallsprodukt der Habsbjurger Monarchie, aber auch eine ideologische Reaktion auf die einbrechende Moderne, was in teils absurden Weltbildern resultiert. „Volk“ eliminiert die Grenzen des Nationalstaats vollkommen. Damit liegt es nahe, auch die internationalen Normen, in denen Nationalstaaten aufeinander Bezug nehmen und sich normieren, zu ignorieren. „Volk“ erhält seine Legitimität im Kampf gegen andere Völker, nicht Nationen. Juristisch wurde das vor allem von Carl Schmitt festgezurrt. Bis zum Ersten Weltkrieg ist das völkische Denken antimodernistisch; durch

den Ersten Weltkrieg wird es aggressiv. Dazu ist das völkische Denken offen für jede Form von Biologismus. Es bestreitet damit auch sämtliche Ideen von Menschenrechten, die seit dem 18. Jahrhundert besonders im angelsächsischen Raum formuliert wurden. Stattdessen habe jedes Volk natürliche Feinde, die es zu erkennen und bekämpfen gebe. Daraus ergibt sich die Metapher der Schädlingsbekämpfung, die sich im nationalsozialistischen Antisemitismus auch wiederfindet. Das gilt als Naturbegebenheit, der man nicht entrinnen kann. Man braucht also seine Feinde nicht zu hassen. Das wird im Völkermord wichtig, der vollkommen emotionslos organisiert und durchgeführt wird. Das ist auch der Grund, warum diese Intelligenz ihr Tun niemals als verbrecherisch akzeptieren konnte. Schon allein
wegen dieser expliziten Ablehnung der Nationalstaatlichkeit wurde der Massenmord im „rechtsfreien“ Osten durchgeführt.

Der Rassenantisemitismus ist auch in nicht-faschistischen Gesellschaften präsent. Der Antisemitismus ist ein europäisches Phänomen seit dem Mittelalter; der Rassenantisemitismus ist ebenso europäisches Phänomen seit dem 19. Jahrhundert. Die Verbindung von Rassenantisemitismus und völkischem Denken jedoch ist spezifisch deutsch und macht den Nationalsozialismus aus. Dieser erkennt somit die Juden als „natürlichen Feind“, will diesen selektieren und vernichten. Die deutsche Bevölkerung bis zum Ersten Weltkrieg hatte den Vernichtungsgedanken im völkischen Denken niemals realisiert; er war ihr völlig fremd. In den 1920er Jahren wird diese Form des Antisemitismus neben Hitler auch von den völkischen Studenten getragen. Das verkoppelt sich mit dem sozialdarwinistischen Denken; als weitere Feinde werden Slawen und Zigeuner (Roma und Sinti) ausgemacht.

Teil 2 folgt.

Bildnachweise: 
Wappen - Flanker (gemeinfrei)
Mussolini - George Grantham Bain (gemeinfrei)
Mussolini 2 - unbekannt (CC-BY-SA 3.0)
Hitler - Zenner (CC-BY-SA 2.0)
Magazin - Hist. Lexikon Bayerns (gemeinfrei)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/02/eine-kurze-geschichte-des-faschismus.html

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Eine kurze Geschichte des Faschismus und Nationalsozialismus, Teil 1/2

Von Stefan Sasse

Mussolinis Standarte
Vereinfachend kann man sagen, Liberalismus ziele auf die Selbstverwirklichung des Individuums, Sozialismus auf Gleichheit der Menschen und Kommunismus auf radikale Gleichheit aller Menschen. Der Faschismus hat keine so prägende Botschaft im Angebot. „Faschismus“ hat seinen Ursprung im italienischen „fascio“, das Rutenbündel der römischen Liktoren. Das verweist, etwas diffus, auf Gemeinschaft. Es ist eine Rücknahme auf ein Herrschaftssymbol des römischen Reiches, das durch das Rutenbündel den Anspruch verkündet, eine zerfallende Gesellschaft zusammenzuhalten. „Faschismus“ teilt sich dabei in zahlreiche Spielarten auf, meist nach Ländern und Parteien. Auftrieb beziehungsweise Gründung erhält der Faschismus mit dem Zerfall des Habsburger-Reiches; in Österreich der Austro-Faschismus, in Ungarn das Horthy-Regime, in Rumänien die „Eiserne Garde“, in Kroatien die Ustascha. Der Antisemitismus ist im Faschismus ein eher untergeordnetes Element; als Vernichtungsdrohung ist er eine Eigenart des Nationalsozialismus. Auch in Westeuropa gibt es Varianten. In Frankreich Jean Marais, in Spanien Franco (hier jedoch wegen der stark kirchlichen Prägung eher eine Katholo-Diktatur mit faschistischen Einschlägen als Faschismus, der eigentlich dezidiert anti-klerikal ist), in England Mosley (eher skurril und ohne Massenbasis), in Finnland, Belgien und Holland, sektenhaft auch in der Schweiz. Im Zweiten Weltkrieg entsteht in Norwegen ein faschistisches Marionettenregime unter Vidkun Quisling, der aber stark von Deutschland abhängig bleibt.

Meist wird von „dem“ Faschismus geredet. Dies geht auf den Ursprung in den 1920er Jahren zurück, als „die“ Faschisten in Italien in post-habsburgischer Subformation entstanden. Die Kommunisten mitteleuropäischer Länder diskutierten das Phänomen intensiv. Auf dem V. Weltkongress der Komintern 1924 wird „Faschismus“ zum Etikett für den ideologischen Feind: „Kampfbegriff der Großbourgeoisie gegen das Proletariat“. Selbstverständlich ist das äußerst simplifizierend und bleibt auch nicht unwidersprochen; Clara Zetkin in Deutschland, aber auch italienische Kommunisten hielten es für falsch, allesin kommunistischem Verständnis anti-demokratische automatisch als „faschistisch“ zu etikettieren und zu reduzieren, da man die Gegner sonst nicht differenzieren könne. Trotzdem nahm die Komintern diese Klassifikation vor. Dazu passt die KPD-Etikettierung der SPD als „Sozialfaschisten“ (siehe "Eine kurze Geschichte des Kommunismus"). In der Zeit des Zweiten Weltkriegs wurde in den westlichen Ländern, die Kriegsgegner der NS-Diktatur waren, über „den“ Faschismus nachgedacht. Ab 1939/40 bildete sich langsam eine westliche Faschismustheorie, die in Gegensatz zur östlichen Theorie tritt, obwohl auch sie von „dem“ Faschismus redet. Die westliche Theorie nimmt natürlich viel weniger Bezug auf den Kapitalismus, sondern befasst sich in ihren Überlegungen vorrangig mit dem italienischen und deutschen Faschismus. Kennzeichnungen sind wichtig: die Symbole, die Uniformen, die Diktatur und die allgemeine Gewalttätigkeit. Damit fällt aber auch der Stalinismus in dieses Erklärungsraster, weswegen es vom Erklärungspotenzial her ungenügend ist. Deswegen differenziert man die rote und die braune Diktatur und fasst sie unter dem Topos „Totalitarismus“ zusammen, was auch eine Vergleichbarkeit impliziert. Bekannt ist hier vor allem Hannah Arendt, eine aus Königsberg stammende jüdische Intellektuelle und spätere Emigrantin mit ihrem „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. Ernst Nolte versucht später, den Totalitarismus-Ansatz zu zerstören und den Faschismus als spezifisch europäisches Phänomen einer spezifisch europäischen Epoche zu erklären.

Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch bezieht sich „Faschismus“ ausnahmslos auf den italienischen Faschismus, der schon allein wegen der nicht vorhandenen antisemitischen Komponente vom deutschen Faschismus abzugrenzen ist. Die italienischen Rutenbündel sind im italienischen Selbstverständnis als Form von Gemeinschaftsbildung enthalten. Der Repräsentant der italienischen Faschisten ist Benito Mussolini.

Benito Mussolini
Mussolini wurde 1883 geboren. Er war ab 1900 Mitglied der sozialistischen Partei und wurde 1912 Redakteur der Zeitschrift Avanti!. 1914 erfolgt durch Mussolinis Fürsprache für den Krieg der Bruch mit den Sozialisten. 1921 wurde die Fascio di Combattimento gegründet, die starke Ähnlichkeiten zur SA aufweist und bald Parteistatus erlangte. Sie machte rechte Politik, die in der durch die Nachkriegswirren stark verunsicherten italienischen Gesellschaft starken Anklang fand. 1922 wurde der „Marsch auf Rom“ initiiert, der eine Propagandamaßnahme zur Übernahme des Ministerpräsidentenamtes vom König durch Mussolini, gedeckt durch die konservativen Parteien Italiens war. Auf dieser Grundlage wurden die politischen Kompetenzen immer mehr auf Mussolinis Person hin zur Diktatur gebündelt, was 1928 seinen Abschluss fand. Ab dieser Zeit verschmolz die Begriffsbildung des „Duce“ mit der Person Mussolinis. 1929 schloss er die berühmten Lateran-Verträge mit dem Vatikan, der die Herrschaftsform Mussolinis akzeptierte, während Mussolini gleichzeitig dem Vatikan Immunität zusicherte. 1936 wurde Äthiopien, 1939 Albanien annektiert. 1940 trat Mussolini auf Seiten Hitlers in den Zweiten Weltkrieg ein, der kein Eroberungskrieg im faschistischen Sinne war, sondern Mussolini wird zum Partner einer imperialistischen Politik, die alte Strukturen entfernen und zerstören will, machte. 1943 wurde er abgesetzt und Chef einer Marionettenregierung in Norditalien; 1945 von italienischen Partisanen ermordet.

Mussolini wollte die Einheit der Nation durch Vereinigung der Volksmassen, ohne dabei die humanwirtschaftliche Form grundlegend zu verändern, was ihn deutlich vom Sozialismus unterscheidet. Mussolinis politisches Konzept fußt auf der Beseitigung des Parlamentarismus und der Begründung eines autoritären Ein-Parteien-Staats. Das ist eine explosive Verbindung von revolutionär-sozialistischen und imperialistischen Strömungen im Zeitalter der Weltkriege und der Massengesellschaft. Diese Verbindung ist die Grundbedingung des Faschismus. Dazu gehört die Stilisierung der Führungsfigur, oft mit archaischer Symbolik. Mussolini setzt damit für alle nachfolgenden „Führer“ das Vorbild. Der italienische Nationalismus kommt noch hinzu; er fußt auf der späten Bildung des italienischen Nationalstaats in einem über Jahrhunderte von fremden Mächten besetzten Land. Dazu kommt, dass sowohl in Italien als auch in Deutschland einzig der Erste Weltkrieg als Katalysator für Gemeinschaftsgefühl gelten kann.

Mussolini bei einer Rede, 1932
Ein ideologisches Element des Faschismus ist auch der Vitalismus, eine starke Lebensphilosophie mit Beschwörung des Lebens, innerhalb derer aufklärerische Geschichtskategorien wie Fortschrittsglauben nicht inhärent sind. Stattdessen wird die Gesetzmäßigkeit der Geschichte außer Kraft gesetzt und ein Bezug auf eine mystisch verklärte Vorzeit geschaffen. Damit ist auch eine ganz andere Vorstellung von Zukunft verbunden; ebenfalls anti-historistisch findet sie ihren Niederschlag beispielsweise in der Rede vom tausendjährigen Reich; es gibt quasi keine Zukunft mehr nach dem Sieg des Nationalsozialismus. Mussolini selbst beschwor die Vergangenheit des Römischen Reiches und schwor Italien auf dessen Wiedererrichtung ein. Der Faschismus richtet sich sowohl gegen die Individualisierung und Egoisierung des Liberalismus als auch die Gleichheit des Sozialismus. Auch gegen die konservative Vorstellung des „wir und anderen“ richtet sich der Faschismus, der eine massenorientierte, zusammengehörige Gesellschaft schaffen will. Er richtet sich also gegen die elitären Bestrebungen des Liberalismus wie die proletarisch-linke Massenbewegung des Bolschewismus.

Der Aspekt der Gemeinschaftsbildung findet sich auch im Nationalsozialismus, dort im Aspekt der „Volksgemeinschaft“, die älter als er ist und bereits im Ersten Weltkrieg entstand. Im Gegensatz zur italienischen Variante ist die deutsche rassistisch aufgeladen. Der zweite Aspekt des Faschismus ist der Vitalismus (durch die amerikanische Faschismus-Forschung in die Diskussion gekommen). Man beschwört „Leben“ als Bezugsgröße anstelle von „Vernunft“, „Fortschritt“, „Geschichte“ oder „Gesetz“. Leben folgt dabei eigenen, irrationalen Gesetzen. Es ist eine natürliche Größe und enthält die „Vernunft“ der Natur. Das impliziert eine Ähnlichkeit mit dem Konservatismus, die jedoch nicht besteht. Diese Ähnlichkeit im Begrifflichen führt zu der Unterstützung durch die Konservativen, die die Diskrepanz nicht rechtzeitig erkennen. Der dritte Aspekt ist die Theorie des nationalen Imperialismus, was bei Mussolini auffallender ist als bei Hitler, vor allem durch die Selbstinszenierung des „imperium romanum“ und der Zentrierung auf antike Figuren. Diese Stärke der Nation soll nach außen gewendet werden; bei den Italienern findet das im Abessenienkrieg statt. Bei den Deutschen findet als Stärkung der Volksgemeinschaft im Inneren statt, die dann nach außen gewendet werden soll; vordergründig als Revision des Versailler Vertrags, in Wahrheit ungemein aggressiv auf den „Ostraum“ gerichtet. Dort findet sich auch eine Parallele zum imperium romanum, wobei die Italiener nicht so stark in kulturelle Besonderheiten und Bevölkerungsgruppen eingreifen wollen. Dazu kommt der Herrscherkult des Duce, der auf die Errichtung eines möglichst starken Staates zielt (bei Mussolini als antiker Krieger, bei Hitler als Grabenkämpfer des Ersten Weltkriegs). Zur Erreichung dieser Ziele muss Gewalt angewendet werden. Das sagt die Propaganda zwar nicht, sie sorgt aber dafür, dass sich dieser Schluss von selbst einbürgert. Die Führerfigur nimmt dabei die Position eines Ersatz-Monarchen ein. Im Nationalsozialismus ist der Führerkult auch dazu da, den rassistischen Terror im Reich zu vernebeln. In der Geschichtsreflexion wird der Monarch sowohl in Deutschland als auch Italien als Militärlenker dargestellt.

Die Gliederung der italienischen Gesellschaft erfolgte politisch nach diesem Konzept nicht nach Parteien, sonder nach „Ständen“. Stände sind in diesem Verständnis Berufsstände (Bauernstand, Soldatenstand, …). Dieses System macht starke Anleihen, etwa bei der katholischen Soziallehre mit ihren Naturständen (Männer und Frauen, Jungmänner und Jungfrauen). Man wiederrief den Parlamentarismus und die Antithese Kapitalismus-Sozialismus. Letztlich geht es bei diesem korparativen Modell nur um eines: sämtliche arbeitenden Menschen sollen durch den Staat kontrolliert werden. Besonders der Nationalsozialismus übte dabei einen Rückgriff auf eine Bauernideologie aus, die am 19. Jahrhundert angelehnt ist, ohne auf realen Grundlagen zu fußen.

Mussolini und Hitler im Wagen
Der letzte Aspekt des Faschismus ist der radikale Antikommunismus. Er ist die wesentliche Position des Faschismus, weil er eine massive Gegnerposition aufbaut. Der Faschismus ist ein Todfeind des marxistischen Internationalismus und des Klassenfeindgedankens, was sämtliche Gemeinsamkeiten hinwegwischt. Ersetzt wird das durch den radikalen Nationalismus und den Gemeinschaftsdrang; im deutschen Fall wird der Klassenfeind allerdings durch den Rassenfeind ersetzt.

Sieht man den Nationalsozialismus als Spielart des europäischen Faschismus – und das muss man – muss man auf Antisemitismus, Führerkult, Gewaltbereitschaft und Feindschaft zum liberalen Parlamentarismus hinweisen. Er bildet die radikalste Variante des europäischen Faschismus. Damit ist der Nationalsozialismus eng mit dem eigentlich entgegengesetzten Stalinismus verwandt. Das ist auch der Grund, warum vor dem Hintergrund des Hitler-Stalin-Pakts im Westen die Totalitarismustheorie entwickelt wurde. In einer starken Verallgemeinerung werden dabei Stalinismus und Hitlerismus generalisiert in Verbindung gesetzt – und eine ungemeine Begriffsverwirrung ausgelöst. Mit dem Nationalsozialismus gehen drei wichtige Topoi einher:

1)      Völkisches Denken
2)      Rassenantisemitismus
3)      Ideologie des Lebensraums (der nur „höherwertigen“ Rassen zusteht)

Diese drei Elemente heben den Nationalsozialismus vom europäischen Faschismus ab, die ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert haben.

Magazin
Das völkische Denken reflektiert den Grundtatbestand, dass es in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert lange keinen Nationalstaat gab. Es gab ebenso lange keine politische Nation. Diese leitet sich aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon her; seine für das 20. Jahrhundert wichtige Ausprägung erhält das völkische Denken aber erst ab 1871 mit der Gründung des kleindeutschen Nationalstaats. Auf diesem Boden entstehen die Konzepte von "völkisch" und "Volk" und ihrer Bedeutungen. Das ist aber keine reine Angelegenheit der Deutschen, sondern in sich ein Zerfallsprodukt der Habsbjurger Monarchie, aber auch eine ideologische Reaktion auf die einbrechende Moderne, was in teils absurden Weltbildern resultiert. „Volk“ eliminiert die Grenzen des Nationalstaats vollkommen. Damit liegt es nahe, auch die internationalen Normen, in denen Nationalstaaten aufeinander Bezug nehmen und sich normieren, zu ignorieren. „Volk“ erhält seine Legitimität im Kampf gegen andere Völker, nicht Nationen. Juristisch wurde das vor allem von Carl Schmitt festgezurrt. Bis zum Ersten Weltkrieg ist das völkische Denken antimodernistisch; durch

den Ersten Weltkrieg wird es aggressiv. Dazu ist das völkische Denken offen für jede Form von Biologismus. Es bestreitet damit auch sämtliche Ideen von Menschenrechten, die seit dem 18. Jahrhundert besonders im angelsächsischen Raum formuliert wurden. Stattdessen habe jedes Volk natürliche Feinde, die es zu erkennen und bekämpfen gebe. Daraus ergibt sich die Metapher der Schädlingsbekämpfung, die sich im nationalsozialistischen Antisemitismus auch wiederfindet. Das gilt als Naturbegebenheit, der man nicht entrinnen kann. Man braucht also seine Feinde nicht zu hassen. Das wird im Völkermord wichtig, der vollkommen emotionslos organisiert und durchgeführt wird. Das ist auch der Grund, warum diese Intelligenz ihr Tun niemals als verbrecherisch akzeptieren konnte. Schon allein
wegen dieser expliziten Ablehnung der Nationalstaatlichkeit wurde der Massenmord im „rechtsfreien“ Osten durchgeführt.

Der Rassenantisemitismus ist auch in nicht-faschistischen Gesellschaften präsent. Der Antisemitismus ist ein europäisches Phänomen seit dem Mittelalter; der Rassenantisemitismus ist ebenso europäisches Phänomen seit dem 19. Jahrhundert. Die Verbindung von Rassenantisemitismus und völkischem Denken jedoch ist spezifisch deutsch und macht den Nationalsozialismus aus. Dieser erkennt somit die Juden als „natürlichen Feind“, will diesen selektieren und vernichten. Die deutsche Bevölkerung bis zum Ersten Weltkrieg hatte den Vernichtungsgedanken im völkischen Denken niemals realisiert; er war ihr völlig fremd. In den 1920er Jahren wird diese Form des Antisemitismus neben Hitler auch von den völkischen Studenten getragen. Das verkoppelt sich mit dem sozialdarwinistischen Denken; als weitere Feinde werden Slawen und Zigeuner (Roma und Sinti) ausgemacht.

Teil 2 folgt.

Bildnachweise: 
Wappen - Flanker (gemeinfrei)
Mussolini - George Grantham Bain (gemeinfrei)
Mussolini 2 - unbekannt (CC-BY-SA 3.0)
Hitler - Zenner (CC-BY-SA 2.0)
Magazin - Hist. Lexikon Bayerns (gemeinfrei)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/02/eine-kurze-geschichte-des-faschismus.html

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Eine kurze Geschichte des Kommunismus, Teil 2/2

Von Stefan Sasse

Teil 1 findet sich hier. 

Sowjetunion und Kommunismus

Pin of the Flag of CPSU.png
Emblem der KPdSU
Anfang der 1920er Jahre wurden die „Kommunistische Partei der Sowjetunion“ und die Sowjetunion gegründet. Sehr schnell wurden dabei besonders in der westlichen Welt eine durch Lenin und die KPdSU durchaus gewollte Assoziation en vogue, nach der Kommunismus gleichbedeutend mit Terror und Diktatur ist. Diese Entwicklung wurde in Europa überwiegend negativ rezipiert. Ab 1924 begann die KPD in einen moskauzentrierten Sog zu geraten. Auf der III. Internationale der Kommunistischen Internationalen, die von 1929-1943 bestand, dominierte Moskau die KPs Deutschlands und Frankreichs, später auch der anderen europäischen Länder. Die KPs der europäischen Länder fungierten nun mehr als reine Sektionen der Moskauer Parteizentrale. Der Kommunismus wurde zur Staatsidee, in der Marx nur noch als Stichwortgeber fungierte – diese Entwicklung begann jedoch bereits mit Lenin. Der verbreitete Antikommunismus richtete sich gegen Ende der 1920er Jahre nicht mehr nur gegen die KPs, sondern auch gegen die Sowjetunion selbst. Im Rahmen des Fortschritts des Faschismus’ in den 1920er Jahren gewann auch der Kommunismus an Einfluss. Warum er in den 1930er Jahren nicht weiter an Einfluss gewann, sondern verlor, liegt an den großen Säuberungen und dem Nichtangriffspakt mit Hitler. Die bolschewistisch-kommunistischen Intellektuellen kamen nun in die Situation, ihre theoretische Überzeugung widerrufen müssen. Sie wandten sich dem New-Deal-Liberalismus zu, der sozialdemokratische Elemente enthielt und der zu dieser Zeit von Roosevelt betrieben wurde. Diese Leute wird man 1944 in den USA und um 1950 in Westdeutschland als energische Antikommunisten wieder finden.

KPD

Die KPD entstand in der so genannten Gründungskrise der Weimarer Republik. Diese Phase reicht von der Gründung der KPD Anfang 1919 über 1920, als sie mit dem linken Teil der USPD fusionierte, bis zum kurzfristigen Verbot 1923. In einer zweiten Phase von 1924 bis 1928 wurde die KPD nach bolschewistischem Vorbild stalinisiert und spätestens ab 1925 willenloses Organ der Komintern, die wiederum willenloses Organ der KPdSU war. Seit 1925 war Ernst Thälmann der Vorsitzende der KPD. Die dritte Phase reichte von 1928 bis 1933 und war ideologisch von der Theorie des Sozialfaschismus geprägt. Diese Ideologie besagt, dass der eigentliche Feind der Kommunisten nicht der Faschismus, sondern die Sozialdemokratie sei. Diese These führte letztlich zum Untergang des Kommunismus in Deutschland, da die KPD sich strikt weigerte, mit der SPD gegen den Faschismus und Nationalsozialismus zusammenzuarbeiten, was bereits 1925 zur Wahl Hindenburgs und 1932 in einem Streik zur Zusammenarbeit der KPD und NSDAP führt, mit denen diese eine SPD-geführte Regierung zu stürzen hoffen. Unter umgekehrten Vorzeichen ereignete sich dies 1949 wieder, als Schuhmann die Koalition mit der KPD kategorisch ausschloss. 

Karl-Liebknecht-Haus in Berlin
Die Gründung der KPD erfolgte in der Novemberrevolution 1918/19. Es gab den Rat der Volksbeauftragten, der aus MSPD und USPD bestand und der von Friedrich Ebert geleitet wurde. Selbiger wollte einen Waffenstillstandsvertrag schließen und die Demobilisierung organisieren. Zu diesem Zweck suchte Ebert den Schulterschluss mit dem Militär und damit den alten Eliten des Kaiserreichs. Dadurch wurden die Bestrebungen der Radikalen von der Revolutionsregierung unterdrückt. Die Radikalen der USPD, die sich mit den Namen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verbinden und im Spartakusbund organisiert sind, sind von der SPD-Linie abgespalten. Sie rebellierten gegen Ebert und den Rat, in dem die USPD die MSPD unterstützte. Auf einer Konferenz dieser Radikalen entstand (in Rückdeutung) die KPD. Sie hatte kein Programm, sondern nur eine vage politische Orientierung, die noch überhaupt nicht auf die Kader der Bolschewiki hin gerichtet und auf Eigenständigkeit bedacht war. Die KPD war dabei entgegen der SPD nicht bereit, mit „bürgerlichen“ Parteien zu koalieren. Dass die KPD von Arbeiter- und Soldatenräten sprach bedeutet dezidiert nicht, dass ein bolschewistisches System übernommen werden sollte. 

In der ersten Januarhälfte 1919 kam es zum so genannten „Spartakusaufstand“ - ein polemischer Begriff, den die MSPD prägte. Es handelt sich um einen Versuch der Radikalen, ihre Position zu stärken. Die Spartakisten verloren und wurden zum Teil umgebracht. Luxemburg und Liebknecht wurden in diesen Tagen von Freikorpssoldaten erschossen. Der Tod Luxemburgs war für die Entwicklung des radialen demokratischen Sozialismus’ eine Tragödie, denn mit Luxemburg starb der demokratische Kommunismus. Damit konnten sich die bolschewistischen, auf Diktatur der Räte (statt Rätedemokratie) gerichteten Kräfte durchsetzen. Im März 1919 trat die KPD der III. Internationalen als erste ausländische Partei bei. Die Taktik der Kommunisten zwischen 1920 und 1923 schwankte zwischen den Bemühungen um eine Arbeitsfront mit den Sozialdemokraten und an deren Ausschluss. Bis 1923 dominiert die Vorstellung der Arbeitsfront nicht zuletzt wegen der auf diese Vorstellung gerichteten EKKI (Exekutivorgan der Komintern). In der Situation des Ruhrstreiks 1923 stellt sich die KPD auf die Seite der Streikenden und versagt sich so gesehen der Internationalisierung und steuerte einen nationalbolschewistischen Kurs, während sie mit den rechtsradikalen Kräften zusammenarbeitete. Das hängt damit zusammen, dass die EKKI und Komintern die Interessen der sowjetischen Außenpolitik vertraten. Deren Interesse bestand zu jener Zeit in der Vereitelung jeder Chance eines Ausgleichs zwischen Deutschland und Frankreich, um die Entstehung einer geeinten Front gegen die SU zu verhindern. Generell war die Komintern bis zum Zusammenbruch des Ostblocks eine Interessensorganisation der sowjetischen Außenpolitik. Die Parole der Arbeiter aller Länder, sich zu vereinigen, wurde damit aus der Ideologie des Kommunismus entfernt. Wegen des Agierens im Ruhrkampf wurde die KPD bis April 1924 auch verboten, während das Reich unter extremistischen Regierungen in den Ländern auseinanderzubrechen drohte.

Ernst Thälmann 1932
Der Vorsitzende der KPD, Ernst Thälmann, wurde von der SU unterstützt, obwohl die deutschen Kommunisten ihn für unfähig hielten, weil Thälmann die Ideologie des „Sozialismus in einem Lande“ unterstützte und damit die KPD der KPdSU unterordnete. Das begann 1925 und wurde 1928 zum Prinzip erhoben. 1929 trat die KPD in ihre „ultralinke“ Phase ein. Damit grenzt sich die KPD entschieden gegenüber der SPD ab und nahm weitere, aber nicht so entschiedene Abgrenzungen gegen die NSDAP und die bürgerlichen Parteien vor. Damit kapselte sie sich ein und isolierte sich im Weimarer Parteiensystem, das zu jener Zeit noch immer ein Mehrparteiensystem war. Ab 1929 wurde mit der Keule des „Faschismus“-Begriffs auf alles propagandistisch eingeschlagen, was man vorfand: den „Sozialfaschismus“ der SPD, der „Nationalfaschismus“ der NSDAP, der „Brühning-Faschismus“ der Regierung Brüning und des Zentrums. 

Am so genannten „Blutmai“ des Jahres 1929 (1.5.1929) werden unbewaffnete kommunistische Demonstranten von der Polizei mit Gummiknüppeln und –geschossen auseinandergetrieben. Wichtig ist dabei, dass Preußen, zu dem Berlin gehört, eine Bastion der Sozialdemokraten war. Diese gingen also gewalttätig gegen die kommunistischen Demonstranten vor. Man handelte nach dem Prinzip, um jeden Preis die parlamentarische Stabilität zu verteidigen und so die „sozialistisch-demokratischen Reformen“ nicht zu gefährden. Deswegen konnte es von Seiten der SPD keine Kooperation mit den Kommunisten geben. Vielmehr mussten Kommunisten, seit der Begriff des „Sozialfaschismus“ in der KPD dominierte, von der SPD als Gegner betrachtet werden. Seit diesem 1. Mai 1929 gab es keine Möglichkeit mehr zur Kooperation der SPD, KPD und der Gewerkschaften gegen den realen Faschismus. Diese Chance wurde damit bereits vor der Ausbreitung der NSDAP vertan, die dann auch erst diese Wirkung entfalten konnte. Diese Gegnerschaft hielt sich auch in die Nachkriegszeit und bis heute in der Gegnerschaft der West-SPD gegenüber der Ost-SPD und der KPD bzw. deren Erbin, der Linkspartei. 

Magazin der Internationale
Als nächsten Schritt verbietot die SPD in Preußen den kommunistischen Rotkämpferbund, was die KPD in ihrer Position nur berstärkte. Die KPD und SPD bekämpften sich bald in den Betriebsräten und Gewerkschaften. Die KPD prägte das Credo: „Ohne im Kampf gegen die Sozialdemokratie zu siegen, können wir den Faschismus nicht besiegen.“ Das EKKI sprach von einer Verflechtung von Sozialdemokratie und NSDAP im Dienste des Finanzkapitals. Ab 1931 gab es zwischen der KPD und ihren Gliederungen auf der einen und der NSDAP und ihren Gliederungen auf der anderen Seite gab es zunehmend Mitgliederfluktuationen. Eine der Parolen, die das ermöglichten, war Thälmanns Wort von 1928, jeden Tag in den Dienst der Revolution zu stellen – was gleichzeitig den Kampf gegen den Parlamentarismus beinhaltete und die NSDAP für Aussteiger aus dem kommunistischen Umfeld zur Option machte. 

1932 kam es zu einem spontanen Streik in den BVG (Berliner Verkehrsbetriebe), zwei Tage vor den Reichstagswahlen. Der Anlass war die Entscheidung der BVG, den Stundenlohn abzusenken, da die BVG im Zuge der Wirtschaftskrise immer größere Defizite einfuhr – die Löhne waren jedoch seit 1929 bereits um ein Drittel gesunken. Zudem sollte die Absenkung nur vier Wochen gelten, was nach einem Monat eine weitere Senkung wahrscheinlich machte. Die SPD und Gewerkschaften sprachen sich für diese Senkung aus, um den Radikalen keinen Anlass für Krawall und Demonstration geben wollten. Es war abzusehen, dass der Aufruf zum Streik für Krawalle sorgen würde. Doch die SPD unterschätzte, wie weit die Arbeiterschaft durch Wirtschafts- und Staatskrise bereits der SPD entfremdet und radikaleren Argumenten zugänglich geworden war. Gegen das Votum von Gewerkschaften und SPD traten die Arbeiter der BVG auf Aufruf der KPD und NSDAP in den Streik. Diese Situation führte dazu, dass gegen die NSDAP eingestellte rechte Bürgerliche mit fassungslosem Entsetzen die Geschehnisse beobachteten: die SA arbeitete mit dem „Todfeind“ KPD zusammen. Sie bekamen für einen Moment die Ahnung, dass ihre Schicht nicht nur von der KPD, sondern auch der NSDAP bedroht war. Wer aus dieser Schicht das politische Verständnis hatte, konnte in diesem Spätherbst 1932 erkennen, dass eine Machtübernahme der Nationalsozialisten nur zwei Möglichkeiten lassen würde: Anpassung oder Flucht. Der Streik dauerte nur vier Tage, aber er hatte hohen Symbolcharakter. 

Stalin 1945
Bereits unter Lenin stellte sich das Dilemma, dass Kommunismus in der Theorie eine Ideologie der Befreiung von der durch die Produktionsverhältnisse aufgezwungen Entfremdung und Entmündigung war. Nun aber wurde Kommunismus mit den Interessen eines bestimmten Staates gekoppelt – in der Doktrin der KPdSU. Diese Doktrin war primär auf das staatliche Eigeninteresse der SU ausgerichtet. In der SU wurde zu dieser Zeit eine forcierte Industrialisierung betrieben, die mit gigantischen Kosten verbunden war – aber auch großen Erfolg hatte. Diese Kommandoindustrialisierung führte zu Zentralisierung und Bürokratisierung, da die gesamte Struktur erst aufgebaut werden - und nicht bestehende Strukturen umstrukturiert werden – mussten. In der Phase des zu Ende gehenden Stalinismus wurde eine zweite Phase gestartet, vor allem mit dem Versuch der Gewinnung von Energie durch Wasserkraft ab Mitte der 1950er Jahre. Zu dieser Kommandoindustrialisierung kam die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft hinzu, die effektiv eine Enteignung der mittelständischen und großbäuerlichen Güter war. 

Stalin war dabei ein Autokrat von ausgesuchter Rücksichts- und Skrupellosigkeit. Die SU war in dieser Zeit von vier Faktoren gekennzeichnet:
1) Eine aufgeblähte Bürokratie
2) Ein eklatanter Mangel an Flexibilität
3) Der Glaube, dass ein Fortschritt gegenüber dem Lebensstandard des Zarenreichs erreicht war – eine Sicherung des Minimalstandards
4) Der Glaube, dass man über diesen Lebensstandard hinauskam und ihn steigerte 

Die europäischen Volksbewegungen der Linken beriefen sich auf zwei Traditionen: die parlamentarische Demokratie oder direkte Demokratie und die zentralistisch-aktivistischen revolutionären Bestrebungen im Sinne der jakobinischen Phase des französischen Revolution. Die Arbeiterbewegungen vor der Jahrhundertwende waren allesamt in ihrer Ausrichtung konsequent demokratisch. Die kommunistische Bewegung brach unter Lenin, systematisiert unter Stalin, radikal mit dieser Tradition, wiewohl man sich weiterhin darauf berief. 1922 wurden demokratische Ideen und Diskussionen aus der KPD verbannt. Stalinisierung bedeutet also Entfremdung von den Ideen des Kommunismus von vor 1917. 

Es gibt zwei Faktoren, die die SU zum faszinierenden Anschauungsbeispiel für Fortschritt machen als auch zum gesuchten Bündnispartner: 

1) Der Fortschritt als Ideologie bot in der SU ein Beispiel von faszinierender Effizienz. Deswegen kam es geradezu zu Pilgerreisen aus England.

2) Gleichzeitig wurde die SU als Bündnispartner für die Staaten des europäischen und atlantischen Westens attraktiv, als ab 1922 der Faschismus in Europa seinen Siegeszug antritt. Besonders mit dem Machtantritt der Nazis 1933 avancierte die SU in der Sicht der Westeuropäer zum wichtigsten Gegner des Faschismus’. 

Dieser Artikel basiert auf der Vorlesung "Politisch-Ideologische Hauptströmungen des 20. Jahrhunderts" von Prof. Dr. Anselm-Doering Manteuffel.

Bildnachweise: 
Pin KPdSU - Pekkos (gemeinfrei)
KPD Zentrale - Carl Weinrither (CC-BY-SA 3.0)
Thälmann - unbekannt (CC-BY-SA 3.0)
Magazin - Carrite (gemeinfrei)
Stalin - US Army Signal Corps (gemeinfrei)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/02/eine-kurze-geschichte-des-kommunismus_17.html

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Eine kurze Geschichte des Kommunismus, Teil 2/2

Von Stefan Sasse

Teil 1 findet sich hier. 

Sowjetunion und Kommunismus

Pin of the Flag of CPSU.png
Emblem der KPdSU
Anfang der 1920er Jahre wurden die „Kommunistische Partei der Sowjetunion“ und die Sowjetunion gegründet. Sehr schnell wurden dabei besonders in der westlichen Welt eine durch Lenin und die KPdSU durchaus gewollte Assoziation en vogue, nach der Kommunismus gleichbedeutend mit Terror und Diktatur ist. Diese Entwicklung wurde in Europa überwiegend negativ rezipiert. Ab 1924 begann die KPD in einen moskauzentrierten Sog zu geraten. Auf der III. Internationale der Kommunistischen Internationalen, die von 1929-1943 bestand, dominierte Moskau die KPs Deutschlands und Frankreichs, später auch der anderen europäischen Länder. Die KPs der europäischen Länder fungierten nun mehr als reine Sektionen der Moskauer Parteizentrale. Der Kommunismus wurde zur Staatsidee, in der Marx nur noch als Stichwortgeber fungierte – diese Entwicklung begann jedoch bereits mit Lenin. Der verbreitete Antikommunismus richtete sich gegen Ende der 1920er Jahre nicht mehr nur gegen die KPs, sondern auch gegen die Sowjetunion selbst. Im Rahmen des Fortschritts des Faschismus’ in den 1920er Jahren gewann auch der Kommunismus an Einfluss. Warum er in den 1930er Jahren nicht weiter an Einfluss gewann, sondern verlor, liegt an den großen Säuberungen und dem Nichtangriffspakt mit Hitler. Die bolschewistisch-kommunistischen Intellektuellen kamen nun in die Situation, ihre theoretische Überzeugung widerrufen müssen. Sie wandten sich dem New-Deal-Liberalismus zu, der sozialdemokratische Elemente enthielt und der zu dieser Zeit von Roosevelt betrieben wurde. Diese Leute wird man 1944 in den USA und um 1950 in Westdeutschland als energische Antikommunisten wieder finden.

KPD

Die KPD entstand in der so genannten Gründungskrise der Weimarer Republik. Diese Phase reicht von der Gründung der KPD Anfang 1919 über 1920, als sie mit dem linken Teil der USPD fusionierte, bis zum kurzfristigen Verbot 1923. In einer zweiten Phase von 1924 bis 1928 wurde die KPD nach bolschewistischem Vorbild stalinisiert und spätestens ab 1925 willenloses Organ der Komintern, die wiederum willenloses Organ der KPdSU war. Seit 1925 war Ernst Thälmann der Vorsitzende der KPD. Die dritte Phase reichte von 1928 bis 1933 und war ideologisch von der Theorie des Sozialfaschismus geprägt. Diese Ideologie besagt, dass der eigentliche Feind der Kommunisten nicht der Faschismus, sondern die Sozialdemokratie sei. Diese These führte letztlich zum Untergang des Kommunismus in Deutschland, da die KPD sich strikt weigerte, mit der SPD gegen den Faschismus und Nationalsozialismus zusammenzuarbeiten, was bereits 1925 zur Wahl Hindenburgs und 1932 in einem Streik zur Zusammenarbeit der KPD und NSDAP führt, mit denen diese eine SPD-geführte Regierung zu stürzen hoffen. Unter umgekehrten Vorzeichen ereignete sich dies 1949 wieder, als Schuhmann die Koalition mit der KPD kategorisch ausschloss. 

Karl-Liebknecht-Haus in Berlin
Die Gründung der KPD erfolgte in der Novemberrevolution 1918/19. Es gab den Rat der Volksbeauftragten, der aus MSPD und USPD bestand und der von Friedrich Ebert geleitet wurde. Selbiger wollte einen Waffenstillstandsvertrag schließen und die Demobilisierung organisieren. Zu diesem Zweck suchte Ebert den Schulterschluss mit dem Militär und damit den alten Eliten des Kaiserreichs. Dadurch wurden die Bestrebungen der Radikalen von der Revolutionsregierung unterdrückt. Die Radikalen der USPD, die sich mit den Namen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht verbinden und im Spartakusbund organisiert sind, sind von der SPD-Linie abgespalten. Sie rebellierten gegen Ebert und den Rat, in dem die USPD die MSPD unterstützte. Auf einer Konferenz dieser Radikalen entstand (in Rückdeutung) die KPD. Sie hatte kein Programm, sondern nur eine vage politische Orientierung, die noch überhaupt nicht auf die Kader der Bolschewiki hin gerichtet und auf Eigenständigkeit bedacht war. Die KPD war dabei entgegen der SPD nicht bereit, mit „bürgerlichen“ Parteien zu koalieren. Dass die KPD von Arbeiter- und Soldatenräten sprach bedeutet dezidiert nicht, dass ein bolschewistisches System übernommen werden sollte. 

In der ersten Januarhälfte 1919 kam es zum so genannten „Spartakusaufstand“ - ein polemischer Begriff, den die MSPD prägte. Es handelt sich um einen Versuch der Radikalen, ihre Position zu stärken. Die Spartakisten verloren und wurden zum Teil umgebracht. Luxemburg und Liebknecht wurden in diesen Tagen von Freikorpssoldaten erschossen. Der Tod Luxemburgs war für die Entwicklung des radialen demokratischen Sozialismus’ eine Tragödie, denn mit Luxemburg starb der demokratische Kommunismus. Damit konnten sich die bolschewistischen, auf Diktatur der Räte (statt Rätedemokratie) gerichteten Kräfte durchsetzen. Im März 1919 trat die KPD der III. Internationalen als erste ausländische Partei bei. Die Taktik der Kommunisten zwischen 1920 und 1923 schwankte zwischen den Bemühungen um eine Arbeitsfront mit den Sozialdemokraten und an deren Ausschluss. Bis 1923 dominiert die Vorstellung der Arbeitsfront nicht zuletzt wegen der auf diese Vorstellung gerichteten EKKI (Exekutivorgan der Komintern). In der Situation des Ruhrstreiks 1923 stellt sich die KPD auf die Seite der Streikenden und versagt sich so gesehen der Internationalisierung und steuerte einen nationalbolschewistischen Kurs, während sie mit den rechtsradikalen Kräften zusammenarbeitete. Das hängt damit zusammen, dass die EKKI und Komintern die Interessen der sowjetischen Außenpolitik vertraten. Deren Interesse bestand zu jener Zeit in der Vereitelung jeder Chance eines Ausgleichs zwischen Deutschland und Frankreich, um die Entstehung einer geeinten Front gegen die SU zu verhindern. Generell war die Komintern bis zum Zusammenbruch des Ostblocks eine Interessensorganisation der sowjetischen Außenpolitik. Die Parole der Arbeiter aller Länder, sich zu vereinigen, wurde damit aus der Ideologie des Kommunismus entfernt. Wegen des Agierens im Ruhrkampf wurde die KPD bis April 1924 auch verboten, während das Reich unter extremistischen Regierungen in den Ländern auseinanderzubrechen drohte.

Ernst Thälmann 1932
Der Vorsitzende der KPD, Ernst Thälmann, wurde von der SU unterstützt, obwohl die deutschen Kommunisten ihn für unfähig hielten, weil Thälmann die Ideologie des „Sozialismus in einem Lande“ unterstützte und damit die KPD der KPdSU unterordnete. Das begann 1925 und wurde 1928 zum Prinzip erhoben. 1929 trat die KPD in ihre „ultralinke“ Phase ein. Damit grenzt sich die KPD entschieden gegenüber der SPD ab und nahm weitere, aber nicht so entschiedene Abgrenzungen gegen die NSDAP und die bürgerlichen Parteien vor. Damit kapselte sie sich ein und isolierte sich im Weimarer Parteiensystem, das zu jener Zeit noch immer ein Mehrparteiensystem war. Ab 1929 wurde mit der Keule des „Faschismus“-Begriffs auf alles propagandistisch eingeschlagen, was man vorfand: den „Sozialfaschismus“ der SPD, der „Nationalfaschismus“ der NSDAP, der „Brühning-Faschismus“ der Regierung Brüning und des Zentrums. 

Am so genannten „Blutmai“ des Jahres 1929 (1.5.1929) werden unbewaffnete kommunistische Demonstranten von der Polizei mit Gummiknüppeln und –geschossen auseinandergetrieben. Wichtig ist dabei, dass Preußen, zu dem Berlin gehört, eine Bastion der Sozialdemokraten war. Diese gingen also gewalttätig gegen die kommunistischen Demonstranten vor. Man handelte nach dem Prinzip, um jeden Preis die parlamentarische Stabilität zu verteidigen und so die „sozialistisch-demokratischen Reformen“ nicht zu gefährden. Deswegen konnte es von Seiten der SPD keine Kooperation mit den Kommunisten geben. Vielmehr mussten Kommunisten, seit der Begriff des „Sozialfaschismus“ in der KPD dominierte, von der SPD als Gegner betrachtet werden. Seit diesem 1. Mai 1929 gab es keine Möglichkeit mehr zur Kooperation der SPD, KPD und der Gewerkschaften gegen den realen Faschismus. Diese Chance wurde damit bereits vor der Ausbreitung der NSDAP vertan, die dann auch erst diese Wirkung entfalten konnte. Diese Gegnerschaft hielt sich auch in die Nachkriegszeit und bis heute in der Gegnerschaft der West-SPD gegenüber der Ost-SPD und der KPD bzw. deren Erbin, der Linkspartei. 

Magazin der Internationale
Als nächsten Schritt verbietot die SPD in Preußen den kommunistischen Rotkämpferbund, was die KPD in ihrer Position nur berstärkte. Die KPD und SPD bekämpften sich bald in den Betriebsräten und Gewerkschaften. Die KPD prägte das Credo: „Ohne im Kampf gegen die Sozialdemokratie zu siegen, können wir den Faschismus nicht besiegen.“ Das EKKI sprach von einer Verflechtung von Sozialdemokratie und NSDAP im Dienste des Finanzkapitals. Ab 1931 gab es zwischen der KPD und ihren Gliederungen auf der einen und der NSDAP und ihren Gliederungen auf der anderen Seite gab es zunehmend Mitgliederfluktuationen. Eine der Parolen, die das ermöglichten, war Thälmanns Wort von 1928, jeden Tag in den Dienst der Revolution zu stellen – was gleichzeitig den Kampf gegen den Parlamentarismus beinhaltete und die NSDAP für Aussteiger aus dem kommunistischen Umfeld zur Option machte. 

1932 kam es zu einem spontanen Streik in den BVG (Berliner Verkehrsbetriebe), zwei Tage vor den Reichstagswahlen. Der Anlass war die Entscheidung der BVG, den Stundenlohn abzusenken, da die BVG im Zuge der Wirtschaftskrise immer größere Defizite einfuhr – die Löhne waren jedoch seit 1929 bereits um ein Drittel gesunken. Zudem sollte die Absenkung nur vier Wochen gelten, was nach einem Monat eine weitere Senkung wahrscheinlich machte. Die SPD und Gewerkschaften sprachen sich für diese Senkung aus, um den Radikalen keinen Anlass für Krawall und Demonstration geben wollten. Es war abzusehen, dass der Aufruf zum Streik für Krawalle sorgen würde. Doch die SPD unterschätzte, wie weit die Arbeiterschaft durch Wirtschafts- und Staatskrise bereits der SPD entfremdet und radikaleren Argumenten zugänglich geworden war. Gegen das Votum von Gewerkschaften und SPD traten die Arbeiter der BVG auf Aufruf der KPD und NSDAP in den Streik. Diese Situation führte dazu, dass gegen die NSDAP eingestellte rechte Bürgerliche mit fassungslosem Entsetzen die Geschehnisse beobachteten: die SA arbeitete mit dem „Todfeind“ KPD zusammen. Sie bekamen für einen Moment die Ahnung, dass ihre Schicht nicht nur von der KPD, sondern auch der NSDAP bedroht war. Wer aus dieser Schicht das politische Verständnis hatte, konnte in diesem Spätherbst 1932 erkennen, dass eine Machtübernahme der Nationalsozialisten nur zwei Möglichkeiten lassen würde: Anpassung oder Flucht. Der Streik dauerte nur vier Tage, aber er hatte hohen Symbolcharakter. 

Stalin 1945
Bereits unter Lenin stellte sich das Dilemma, dass Kommunismus in der Theorie eine Ideologie der Befreiung von der durch die Produktionsverhältnisse aufgezwungen Entfremdung und Entmündigung war. Nun aber wurde Kommunismus mit den Interessen eines bestimmten Staates gekoppelt – in der Doktrin der KPdSU. Diese Doktrin war primär auf das staatliche Eigeninteresse der SU ausgerichtet. In der SU wurde zu dieser Zeit eine forcierte Industrialisierung betrieben, die mit gigantischen Kosten verbunden war – aber auch großen Erfolg hatte. Diese Kommandoindustrialisierung führte zu Zentralisierung und Bürokratisierung, da die gesamte Struktur erst aufgebaut werden - und nicht bestehende Strukturen umstrukturiert werden – mussten. In der Phase des zu Ende gehenden Stalinismus wurde eine zweite Phase gestartet, vor allem mit dem Versuch der Gewinnung von Energie durch Wasserkraft ab Mitte der 1950er Jahre. Zu dieser Kommandoindustrialisierung kam die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft hinzu, die effektiv eine Enteignung der mittelständischen und großbäuerlichen Güter war. 

Stalin war dabei ein Autokrat von ausgesuchter Rücksichts- und Skrupellosigkeit. Die SU war in dieser Zeit von vier Faktoren gekennzeichnet:
1) Eine aufgeblähte Bürokratie
2) Ein eklatanter Mangel an Flexibilität
3) Der Glaube, dass ein Fortschritt gegenüber dem Lebensstandard des Zarenreichs erreicht war – eine Sicherung des Minimalstandards
4) Der Glaube, dass man über diesen Lebensstandard hinauskam und ihn steigerte 

Die europäischen Volksbewegungen der Linken beriefen sich auf zwei Traditionen: die parlamentarische Demokratie oder direkte Demokratie und die zentralistisch-aktivistischen revolutionären Bestrebungen im Sinne der jakobinischen Phase des französischen Revolution. Die Arbeiterbewegungen vor der Jahrhundertwende waren allesamt in ihrer Ausrichtung konsequent demokratisch. Die kommunistische Bewegung brach unter Lenin, systematisiert unter Stalin, radikal mit dieser Tradition, wiewohl man sich weiterhin darauf berief. 1922 wurden demokratische Ideen und Diskussionen aus der KPD verbannt. Stalinisierung bedeutet also Entfremdung von den Ideen des Kommunismus von vor 1917. 

Es gibt zwei Faktoren, die die SU zum faszinierenden Anschauungsbeispiel für Fortschritt machen als auch zum gesuchten Bündnispartner: 

1) Der Fortschritt als Ideologie bot in der SU ein Beispiel von faszinierender Effizienz. Deswegen kam es geradezu zu Pilgerreisen aus England.

2) Gleichzeitig wurde die SU als Bündnispartner für die Staaten des europäischen und atlantischen Westens attraktiv, als ab 1922 der Faschismus in Europa seinen Siegeszug antritt. Besonders mit dem Machtantritt der Nazis 1933 avancierte die SU in der Sicht der Westeuropäer zum wichtigsten Gegner des Faschismus’. 

Dieser Artikel basiert auf der Vorlesung "Politisch-Ideologische Hauptströmungen des 20. Jahrhunderts" von Prof. Dr. Anselm-Doering Manteuffel.

Bildnachweise: 
Pin KPdSU - Pekkos (gemeinfrei)
KPD Zentrale - Carl Weinrither (CC-BY-SA 3.0)
Thälmann - unbekannt (CC-BY-SA 3.0)
Magazin - Carrite (gemeinfrei)
Stalin - US Army Signal Corps (gemeinfrei)

Quelle: http://geschichts-blog.blogspot.com/2012/02/eine-kurze-geschichte-des-kommunismus_17.html

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