#wisskomm3.0 Wissenschaftskommunikation 3.0 als Digitales Studen­tisches Publizieren — eine Synthese von eLearning 3.0 und Web 3.0 zur Einbindung Studierender in den Wissen­schaftsbetrieb

https://www.aventinus-online.de/fileadmin/collectanea/01.2015_hofmann_wissenschaftskommunikation.pdf Der Beitrag wird in parallelen Betrachtungen die Genese der Wissenschaftskommunikation, des World Wide Web und des eLearning untersuchen. Er versucht Analogien herauszufinden, um zu belegen dass es sich bei netzbasierten Technologien der dritten Generation um homogene Konzepte handelt. Hierbei wird eine gleichförmige Matrix entworfen, die zeigen wird, in welchen Kriterien Konzepte übereinstimmen und Unterschiede […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/04/5782/

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durchsichten: DH & transnationale Geschichte. Blog der Bilanztagung “Digital Humanities und transnationale Geschichte”

http://dhtg.hypotheses.org/ Das Blog soll die Bilanztagung “Digital Humanities und transnationale Geschichte” [begleiten], die vom Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, der AG Digitale Geschichtswissenschaft des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands sowie dem Zentrum für Medien und Interaktivität der JLU Gießen vom 7. bis 8. Mai 2015 in Marburg veranstaltet wird. Eine der Kernfragen der Digital Humanities […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/04/5779/

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17. Eine Lanze für die Antike („Was uns fremd scheint, ist so nah“) brechen.

Ich möchte eine Replik auf einen Artikel schreiben, den ich vor einigen Tagen gelesen habe, und der für die Beschäftigung mit der Antike eintritt, besonders für die klassischen Sprachen. Dem möchte ich noch einige eigene Gedanken beipflichten. Ob es plausibel ist, was ich schreibe, können Sie gerne selbst entscheiden und sich dann freuen, dass Sie für Ihre Kleinen doch Englisch, Französisch oder Spanisch gewählt haben (oder hui Chinesisch)! Was ich natürlich noch schöner fände ist aber, wenn Sie ihre Argumente pro und contra ebenfalls hinzufügen würden! Aber ich weiß ja, Sie haben keine Zeit. Niemand hat Zeit. Außer die antiken Texte, diese haben nämlich immer gemächlich gewartet; Darauf, dass sie entdeckt oder wiederentdeckt werden und vor allem darauf, dass sie gelesen werden und entzünden. Entzünden? „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst”, meinen einige, habe Augustinus gesagt. Können tote Sprachen dies noch? Entzünden?

Der Artkel, um den es geht, heißt „Was uns fremd scheint, ist so nah“ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/die-bedeutung-alter-sprachen-fuer-modernes-denken-13524589.html, 09.04,15), und die Autorin präsentiert Ihnen (ja „Ihnen“, da ich ja schon überzeugt bin) folgende Argumente dafür, dass die klassischen Sprachen und Inhalte auch im Schulunterricht nicht fehlen sollten: Denn die Antike sei der Grundstein unserer Identität, die Beschäftigung mit den Texten schulten das Denken und Fühlen, ließen Phantasie und kulturelle Kompetenz entwickeln und seien ganz einfach schön (ein Augenzwinkern von Seiten des Neuplatonismus: Einfach Schön).

Entzündet Sie das bereits? Oder würden Sie immer noch sagen, wird bräuchten lieber Wirtschaftsunterricht ab der 2. Klasse (Taschengeldkompetenzmodul), als die Zeit, von der wir so wenig haben, mit toten Sprachen zu verschwenden? Ja, ich bin polemisch, aber schauen Sie: Interessanterweise hat jede Beschäftigung mit der Antike zu einem geistigen, sozialen und kulturellen Feuerwerk geführt. Stichwort: Renaissance, Stichwort: Byzantinischer Humanismus, Stichwort: Hellenistisches Christentum (oder ist das selbst noch Antike?), Stichwort: Zweite Sophistik, Stichwort: Avicenna, Stichwort: Aufklärung, Stichwort: Milindapañha in Indien, Stichwort: Thomas von Aquin, Stichwort: Humanismus, Stichwort: Klassizismus in Architektur und Kunst. Stichwort: Die Liste könnte beliebig verlängert werden. Was würden Sie über einen „Gelehrten“ sagen, der im 14. Jahrhundert vor der Renaissance gesagt hätte, „die Beschäftigung mit der Antike ist Zeitverschwendung“, oder vor der Aufklärung „die Antike ist tot“ oder vor Thomas von Aquin, „Aristoteles ist Vergangenheit“? Sie würden diese Person gehässig auslachen („Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ (angeblich von Wilhelm II.)) . Aber was wird man in Zukunft über Sie sagen? Über uns? Wird man sagen, wir seien teil einer weitsichtigen Generation gewesen?

Die Antike hat lange gewartet und wurde ohne eigenes Zutun immer wieder entdeckt. Unsere heutige Abneigung gegen sie ist drei Dingen geschuldet: Wir fühlen uns allen anderen Epochen gegenüber überlegen (und sind es natürlich auch in gewissen Bereichen, in anderen aber wiederum nicht). Zweitens glauben wir an den Fortschritt (den es ebenfalls offenkundig in vielen Bereichen gibt, aber natürlich nicht in allen und auch nicht absolut). Klarerweise gelten beide Aussagen jedoch nur für einige Teilbereiche des Lebens und einige Wissenschaften. Und drittens haben wir ein “Gustav-Schwab-Bild” der Antike, in dem es nur darum ging, wie sich ein paar (ganz lustige, aber ansonsten fragwürdige) Götter verkleideten. Dem ist aber natürlich nicht so. Inspiriert durch einen lüsternen Zeus und einen betrunkenen Dionysos errichten Sie keine Renaissance: Wir finden kaum in sonst einer Epoche so scharfe Argumente, so pointierte Aussagen über den Menschen und die Welt, so objektive Umzeichnungen wie in den antiken Texten. Kaum irgendwo so sachliche Auseinandersetzungen, so klare Gedanken und so tragische Dilemmata, nirgends so inspirierenden Zweideutigkeiten, Witz, Größe. Nirgends die Eloquenz und Beredsamkeit, die in vielen Bereichen (aber auch hier gilt: natürlich nicht in allen) Standards gesetzt hat. Und nirgends die notwendige Entfernung und gleichzeitige Ähnlichkeit, die uns den reinen Spiegel vorhalten kann.

Wieso sich also eher mit der Antike beschäftigen oder sich von ihr inspirieren lassen und sich damit in die großen Epochen der Weltgeschichte einreihen als noch ein Kompetenzmodul für den unmittelbaren Nutzen zu belegen? Sehen Sie, es geht doch nicht um das Entweder-Oder. Es geht um die gute Balance. Und da müssen wir uns fragen: Sind wir heute weitsichtig? Weitsichtiger als unsereiner in anderen Epochen, wenn wir so viel Wert auf Lehre und Bildung nur als Mittel legen und nicht als Ziel? Thomas Morus sagt wohl: „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“ Ja, das gilt auch für die Beschäftigkung mit der Antike. Wenn Sie mir nicht glauben und sagen, ich sei voreingenommen, weil es mein Fach sei, lade ich Sie herzlich ein, sich ein genaues Bild zu machen, das über Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums hinausgeht und die gedankliche und gefühlsmäßige Größe dieser Sprachen in den Blick nimmt. Wollen Sie dem Dilemma zwischen menschlichem Recht und göttlichem Gebot auf den Grund gehen? Lassen Sie sich von Aischylos’ Orestie inspirieren. Wollen Sie wissen, wie man neutrale Distanz zwischen verschiedenen Parteien negativ nutzen kann? Lassen Sie sich vom Melierdialog aus dem Peloponnesischen Krieg des Thukydides inspirieren. Brauchen sie Stütze im Alltag? Lassen Sie sich von Seneca inspirieren und bauen Sie auf diesen Fundamenten, was Sie möchten, übertreffen Sie die Standards, wenn Sie wollen.

Niemand soll müssen, aber irgendjemandem diese gedanklichen und gefühlsmäßigen Schätze gänzlich zu verwehren, die Möglichkeit zu nehmen, und damit möglicherweise auch die Inspiration für die Zukunft zu ersticken, wäre eine Schande. Befreien Sie sich vom „Gustav Schwab Bild“ der Antike und prüfen Sie, ob mein Argument mit der Weitsichtigkeit stichhaltig ist oder nicht. Die konstruktive und fruchtvolle Auseinandersetzung ist schließlich wunderbar in den platonsichen Dialogen in Vollendung zu betrachten.

Wenn es Sie also interessiert: Twitter: @philophiso

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/483

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Forschungsgeschichte der Aktenkunde III: Meisners Kritiker

Meisners in sich geschlossenes Lehrgebäude forderte in seinem Anspruch auf Allgemeingültigkeit die Kritik heraus. Solche Kritik wurde in den 1950er-Jahren unter zwei Aspekten geübt: Systemimmanent durch eine funktionale Betrachtung von Akten und mit einem radikal anderen Ansatz, der von den Strukturen der Überlieferung im Archiv ausgeht.

Beide Ansätze entstanden an der Archivschule Marburg, der 1949 gegründeten Ausbildungsstätte für den Archivdienst in der Bundesrepublik. Vom innerdeutschen Systemkonflikt blieb der aktenkundliche Disput mit Meisner in Ost-Berlin zum Glück verschont. Auch im Westen behielten Meisners Werke ihre Stellung als zentrale Referenz – schon weil die Marburger Schule, wenn man sie so nennen mag, keine eigenen Lehrbücher hervorbrachte.

Kurt Dülfer: Form follows function

Der Archivrat am Staatsarchiv Marburg Kurt Dülfer (1908–1973) lehrte in den 1950er-Jahren Aktenkunde an der Archivschule und an der Philipps-Universität. Er hatte schon 1951 in einer Rezension Meisners Fixierung auf Preußen im Ancien Régime und auf den Rechtscharakter von Urkunden und Akten kritisiert.

In seinem großen Aufsatz ging Dülfer (1957) nicht wie Meisner von der Sphäre der Fürstenkorrespondenz aus, sondern vom normalen Schriftgut der inneren Verwaltung, und löste Meisners statische Systematik in einer fließenden historischen Entwicklung der Aktenformen auf:

“‘Urkunde’ und ‘Acta’ […] entstammen der Gerichtssphäre und erhielten erst nachträglich die allgemeine Bedeutung des Begriffes, den wir ihnen heute beilegen.” (Dülfer 1957: 21)

Die Begriffsgeschichte zeigt für die Zeit zwischen 1500 und 1700 die Durchsetzung der Aktenführung im modernen Sinne an (Dülfer 1957: 19, 23–25). Von einem an den Formen festzumachenden scharfen Gegensatz zwischen Urkunden und Aktenstücken kann keine Rede sein, auch weil sich das moderne Schreiben aus dem mittelalterlichen Mandat entwickelt hat und in der jüngsten Zeit einfache Schreiben vielfach die Rolle von Urkunden übernommen haben (Dülfer 1957: 35–37).

Dülfer ersetzte die Form als Kriterium zur systematischen Bestimmung eines Aktenstücks durch die Funktion, ein im Grunde inhaltliches Kriterium: Was beabsichtigte der Verfasser eines Schriftstücks im Verhältnis zum Empfänger?

“Eine Abschrift einer Urkunde, die zur Kenntnis und Erinnerung bestimmter Fragen hergestellt wird, hat ihre Bedeutung nicht als Urkunde, sondern als ein Schriftstück der Erinnerung. […] Eine Denkschrift kann zur Vorlage in der Öffentlichkeit oder bei wenigen Personen oder zum Zweck der eigenen Klärung bestimmt sein. Je nach dieser Funktion richtet sich ihre Einordnung in eine bestimmte Gruppe. Mit jedem Schriftstück verfolgt sein Aussteller einen bestimmten Zweck, er überträgt ihm eine Funktion. Damit tritt neben das Formprinzip die Erkenntnis von Zweck und Absicht eines Schriftstückes.” (Dülfer 1957: 27 f.)

Auf dieser Grundlage kam Dülfer (1957: 49–52) zu einer Einteilung des Behördenschriftguts, die auf auf der Beziehung der Korrespondenten aufbaute. Er unterschied

  • Verkehrsschriftstücke an einen Empfänger, und zwar

    • offene Schreiben an einen unbestimmten Kreis und
    • geschlossene Schreiben an bestimmte Personen, sowie
  • Memorienschreibwerk zur Aufzeichnung von Informationen für den Verfasser selbst.

“Offen” und “geschlossen” hat also nichts mit dem physischen Verschluss eines Schreibens zu tun, sondern meint den “Publizitätswillen” des Verfassers!

Dieses System erschien Dülfer (1957: 53) flexibel genug, um darunter neben Urkunden und anderen Schriftstücken auch Karten und Amtsbücher subsumieren. In Kenntnis der weiter unten zu schildernden Amtsbuchdebatte wird man ihm in diesem Punkt nicht mehr folgen wollen.

Dülfer bezog die möglichen Funktionalitäten des Schriftverkehrs auf das Modell einer hierarchischen Behörde: Bericht an den Vorgesetzten, Weisung an den Untergebenen, Mitteilung auf gleicher Ebene. Man mag sich also fragen, wo in der Praxis der Unterschied zu Meisners hierarchischer Klassifikation liegt. Man muss sich aber auch darin erinnern, dass die systematische Bestimmung ein Schriftstück nicht nur einsortieren, sondern auch Erkenntnisse liefern sollte.

Wenn Form und Funktion eines Stücks auseinander fallen, ob eine “Urkunde in Form eines Schreibens” oder aber ein Schreiben in “Funktion einer Urkunde” (Dülfer 1957: 28) vorliegt: Daraus lassen sich daraus Schlüsse über die Absicht und die Gewohnheiten des Verfassers ziehen. Wer das für Erbsenzählerei hält, sollte die Fallstudien zum Verhältnis von Kabinettsorder und Handschreiben von Korn (1973) und Moormann (1980) lesen.

Johannes Papritz: Was hat man sich dabei nur gedacht?

Archivare mag es verblüffen, den Namen Johannes Papritz (1898–1992) an dieser Stelle zu lesen. Der Meister der Strukturanalyse hat sich auch mit noch eher konventioneller Aktenkunde befasst. Papritz war seit 1954 in Personalunion Direktor des Staatsarchivs Marburg und der Archivschule und lehrte dort das Fach Archivwissenschaft, das er im Grunde selbst begründet hat.

Papritz (1959) führte Dülfers Frage nach der Funktion einen wichtigen Schritt weiter. Das Absender-Empfänger-Verhältnis setzt natürlich einen Empfänger voraus. Was aber, wenn es keinen gab? Wie schon Meisner hatte sich Dülfer auf den externen Schriftverkehr konzentriert und die große Masse der für die eigenen Akten bestimmten Aufzeichnungen an den Rand gerückt. Papritz ging von der einfachen Tatsache aus, dass Institutionen nicht alle ihre Handlungen verschriftlichen – eine unangenehme Wahrheit, die Archivbenutzer gern verdrängen.

Die Behörde braucht ein Motiv, um Zeit und Geld in die Aktenführung zu investieren. Die Mitteilung an Entfernte, unter deren Stern die Meisnersche Systematik steht, ist nur ein Motiv unter anderen. Informationen können ebenso als Gedächtnisstütze, zur Festlegung der eigenen Meinung, zur Wahrung von Interessen, zur Wirtschaftsführung und zur Ordnung des Geschäftsbetriebs schriftlich niedergelegt werden. Die Urkunde und ihr Rechtscharakter sind kein Wert an sich, sondern, wie auch das Amtsbuch, nur Ausprägungen des Motivs der Rechtssicherung (Papritz 1957: 341–343).

Das ist klar und einsichtig, wird aber bei Papritz von einer Absicht getragen, die auf die schiefe Bahn führt: Behördenschriftgut wird als reine Dokumentation betrachtet, als Sammlung von Informationsträgern. Dass die Schriftstücke Arbeitswerkzeuge der Verwaltung waren und aus kontinuierlichen Handlungen entstanden sind, kann so aus dem Blick geraten.

Nach Papritz (1957: 340) entspringt der Entwurf zu einem externen Schreiben, der bei den eigenen Akten verbleibt, nicht dem Motiv der Mitteilung an Entfernte, sondern dient als Gedächtnisstütze. Das ist logisch unanfechtbar, bringt einer Historischen Hilfswissenschaft aber keinen Erkenntnisgewinn. Meisner sieht in einem solchen Entwurf selbstverständlich die Entstehungsstufe eines Mitteilungsschreibens und hätte es niemals anders bestimmt.

Auf die systematische Klassifikation kam es Papritz (1957: 348) aber auch nicht an:

“Die ordnende Betrachtung der Motive, denen das in den Archiven bewahrte Schriftgut seine Entstehung verdankt, mag ihren Wert in sich tragen, geradezu entscheidende Bedeutung aber hat eine solche begriffliche Klärung, wenn man die Organisationsformen der Schriftgutkörper erforschen will.”

Damit ist die Naht zwischen der Aktenkunde als Historischer Hilfswissenschaft und der Archivwissenschaft erreicht: Die eine rekonstruiert aus der Entstehung von Schriftstücken Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten, die andere analysiert, unter anderem, die Strukturen, in denen die heutige archivalische Überlieferung vorliegt.

Ernst Pitz: Begründung der Amtsbuchkunde

Ernst Pitz (1928–2009) absolvierte die Archivschule unter Papritz’ Ägide und war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seiner stark erweiterten Dissertation am Staatsarchiv Wolfenbüttel tätig. Pitz (1959: 446–480) stellt mustergültig dar, wie nacheinander

  • die Ausbildung der städtischen Ratsverfassung Motive zur Verschriftlichung in Form von Bucheinträgen schafft,
  • aus einer ursprünglichen Buchreihe durch Serienspaltung inhaltlich spezialisierte Bücher werden,
  • unter dem Rat nachgeordnete Ämter mit eigener Buchführung entstehen,
  • schließlich eine Aktenführung auf Einzelblättern die gebundenen Bücher ergänzt.

Ohne die 1953 eingereichte Manuskript-Fassung zu kennen, die sich auf Lübeck als Gegenstand beschränkte, darf man unterstellen, dass Papritz’ auf die Erkenntnis von Strukturen ausgerichtete Lehre in der Archivwissenschaft die endgültige Fassung beeinflusst hat. Pitz (1957: 466) versteht sein Handwerk als Aktenkunde, doch in radikaler Umwertung:

“Das erste Ziel der Aktenkunde, den in den Akten aufbewahrten Bestand der Akten aus sich zu erklären, ist damit erreicht.”

Das ist, gelinde gesagt, strittig. Pitz’ vorrangiges Interesse galt dem Papier als Endprodukt von Handlungen. Wie Papritz setzte er sich von der traditionellen genetischen Betrachtung der Entstehung von Schriftstücken ab:

“Die Konzepte namentlich nehmen unsere Aufmerksamkeit nicht als Vorstufen der Ausfertigungen in Anspruch, sondern nur als Schriftstücke, die von einer vollzogenen Amtshandlung Kunde geben, und das gleiche gilt für alle Urkunden.” (Pitz 1959: 29)

Hier begegnet auch wieder die Unterscheidung von Akten und Urkunden, doch ebenfalls in einer neuen, inhaltlichen Definition:

“Wendet man mit Meisner die Prinzipien der Urkundenlehre auf die Akten an (indem man von dem einzelnen Schriftstück ausgeht), so gelangt man zu einem systematischen Gebäude; legt man den Unterschied zwischen Urkunden und Akten, daß jene als Einzelstücke für sich verständlich sind, diese dagegen nur in Zusammenhängen […], zugrunde, so gelangt man zu einem die Entwicklung der Aktenbestände erfassenden Gebäude.” (Pitz 1959: 26)

Ein Stück weit muss Meisner hier als Pappkamerad dienen, auf den eingedroschen wird. Pitz Untersuchungsgegenstand ist ebenso speziell wie Meisners Brandenburg-Preußen: spätmittelalterliche städtische Amtsbücher, und er verallgemeinert seine Ergebnisse ebenfalls zu schnell. Dass man mit Meisners Instrumentarium keine Amtsbücher untersuchen kann, zwingt nicht dazu, diese Methodologie insgesamt zu verwerfen.

Pitz hat nicht die Aktenkunde revolutioniert, sondern als Sondergebiet die Amtsbuchkunde begründet, die eng mit der Kodikologie zusammenhängt. Die physische Struktur des Buchs erzwingt und ermöglicht andere Techniken der Verschriftlichung, die Küchhilfswissenschaftlich nicht mit Aktenführung aus Einzelschriftstücken über einen Kamm geschoren werden dürfen.

Die Amtsbuchkunde hat mittlerweile eine eigene Forschungsliteratur hervorgebrachte (Pätzold 1998, Kloosterhuis 2004). Der kodikologische Aspekt der Arbeit mit diesen Büchern wurde unübertroffen plastisch von Quirin (1991: 83-103) dargestellt.

Ahasver von Brandt: Stumpfes Werkzeug

Warum hat diese ergiebige Diskussion, Meisners Repliken eingeschlossen, außerhalb eines kleinen Kreises von Archivaren eigentlich so wenig Widerhall gefunden?

Ahasver von Brandt (1909-1977), Stadtarchivar von Lübeck, aber kein Absolvent der preußischen Archivarsausbildung, überging in seinem “Werkzeug des Historikers”, das bekanntlich Generationen von Studenten geprägt hat, Meisners Lehre bis auf ihren untauglichen Teil, die Unterscheidung von Akten und Urkunden nach dem Rechtscharakter. Es ist abstrus, “jede[n] politische[n] Beschluss” zum “Rechtsgeschäft” zu erklären, “in einem weiten Sinne”, um weiter einen unreflektierten Urkundenbegriff anwenden zu können (von Brandt 1963: 127).

Er ordnet die Amtsbücher einfach den Akten zu und verwendet den meisten Platz für ein Propädeutikum der Archivrecherche. Was tiefgreifend rezipiert wurde, war Papritz’ archivwissenschaftliche Strukturlehre. Wie so ein Aktenstück eigentlich aussieht, aus welchen Teilen es sich zusammensetzt, selbst in welchen Stufen es nach Küch entsteht, verrät von Brandt (1963: 125–139) seinen Lesern in den Proseminaren nicht. War ihm die neuzeitliche Hilfswissenschaft eine lästige Verpflichtung zur linken Hand?

So verbirgt seit über 50 Jahren das “Werkzeug des Historikers” den Gegenstand und die Methoden der Aktenkunde mehr als es darin einführt.

Literatur

Außer den mit * gekennzeichneten werden alle Titel auch in der Basisbibliografie zur Aktenkunde nachgewiesen.

*Brandt, Ahasver v. 1963. Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften. 3. Aufl. Stuttgart. [Ursprünglich 1958]

*Dülfer, Kurt 1951. [Rezension zu] Heinrich Otto Meisner, Urkunden- und Aktenlehre der Neuzeit. In: Der Archivar 4. Sp. 41–45. #Online?

Dülfer, Kurt 1957. Urkunden, Akten und Schreiben in Mittelalter und Neuzeit. Studien zum Formproblem. In: Archivalische Zeitschrift 53. S. 11–53.

Kloosterhuis, Jürgen 2004. Mittelalterliche Amtsbücher: Strukturen und Materien. In: Friedrich Beck/Eckart Henning, Hg. 2004. Die archivalischen Quellen. 4. Aufl. Köln u. a. S.53–73.

Korn, Hans-Enno 1972. Kabinettsordres: Ein Kapitel Aktenkunde. In: Der Archivar 26. Sp. 225–332.
Online

Moormann, Wolf-Dieter 1980. Braunschweigische Kabinettsorders. In: Archivalische Zeitschrift 76. S. 57–68.

Papritz, Johannes 1959. Die Motive der Entstehung archivischen Schriftgutes. In: Comitè des Mélanges Braibant, Hg. 1959. Mélanges offerts par ses confrères étrangers à Charles Braibant. Brüssel. S. 337–348.

Pätzold, Stefan 1998. Amtsbücher des Mittelalters: Überlegungen zum Stand ihrer Erforschung. In: Archivalische Zeitschrift. 81. S. 87–111.

Pitz, Ernst 1959. Schrift- und Aktenwesen der städtischen Verwaltung im Spätmittelalter: Köln, Nürnberg, Lübeck. Beitrag zur vergleichenden Städteforschung und zur spätmittelalterlichen Aktenkunde. Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln  45. Köln.

*Quirin, Heinz 1991. Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte. 4. Aufl. Ndr. Stuttgart. [Ursprünglich 1950]

Quelle: http://aktenkunde.hypotheses.org/344

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Logbuch “Schizophrene Ökologien” 1: Arno Schmidts “Schwarze Spiegel” und Akteur-Netzwerke

10. April 2015, 14:32 – Parkbank, Campus Heinrich-Heine-Universität

Diskussionsort HHU Düsseldorf, 10. April 2015, 14:56, aufgenommen mit Motorola Moto G

Diskussionsort HHU Düsseldorf, 10. April 2015, 14:56, aufgenommen mit Motorola Moto G

Zwischen Abfassen des Logbucheintrags 1 und der Aufnahme des Gesprächs liegen etwa 15 Minuten. Vorgängig legten wir fest, dass wir uns 30 Minuten Zeit nehmen und das Gespräch mit dem Iphone aufnehmen.

Nach einer kurzen Materialsichtung und einem ‚Was-bisher-geschah‘ widmen wir uns in diesem ersten Logbuch Arno Schmidt. Im Hinblick auf eine Bewerbung für eine Vortrag für die Arno-Schmidt-Jahrestagung (bis zum 31.05.2015) besprechen wir den ohnehin für unser Projekt wichtigen Text ‚Schwarze Spiegel‘.

Vorausgegangen ist ein kurzes Gedanken-Exposé von Martin Bartelmus, das erste Ideen zur Interpretation des Textes formuliert: ausgedruckt im Doktorandenbüro, auf Umweltpapier, von einem Samsung-Drucker und geschrieben auf einem MacBook Pro. Die Textstellen, die im Exposé verwendet werden, stammen vom ersten Durchlesen des Textes, als das Projekt noch gar nicht existierte (vor ca. einem Jahr). Diese mit Bleistift markierten Passagen finden nun Eingang in das Projekt.

Wir besprechen also das Exposé und stellen fest, dass wir zwei Hauptaspekte analysieren wollen: zum einen eine Poetik oder Poetologie, zum anderen die Interaktion zwischen Leser und Text bzw. Realität und Fiktion. Dabei geht es um die poetologischen Figuren des letzten Überlebenden und des oikos, das für uns die Frage aufwirft, wie Latours ANT auf Schmidts Text reagiert und umgekehrt.

IT-Station Doktorandenraum GRK1678, 10. April 2015, 14:59, aufgenommen mit Motorola Moto G

IT-Station Doktorandenraum GRK1678, 10. April 2015, 14:59, aufgenommen mit Motorola Moto G

Welche Stellung hat der Text in unserem Korpus? ‚Schwarze Spiegel‘ steht als Nachfolgetext von ‚Leviathan‘ sowie dessen Frage nach der Daseinsberechtigung der Welt und eröffnet somit die Perspektive auf die Ökologie im Anthropozän. Apokalypse – Enthüllung. Zuerst die Zerstörung und dann die Wiederversammlung der Kollektive? Zentral ist das Hausbauen. Somit zeigt sich, dass wir Schmidts Text ‚Schwarze Spiegel‘ dreiteilen können: Am Anfang steht der letzte Mensch, der sich in Verbindung mit den Dingen und anderen nichtmenschlichen Lebewesen eine Welt konstruiert. Mit dem Auftauchen einer Frau, wird die Trennung der Moderne von Natur und Gesellschaft reaktualisiert und die Dinge werden wieder Zwischenglieder für das soziale Verhältnis. Später – nach ihrem Verschwinden – kehrt die Kollektivierung wieder zurück. Dinge sind wieder Akteure/Mittler.

Ersetzen die Dinge den Menschen? Wir vermuten es. Die Kollektivierung würde dabei auf zwei Arten passieren. Erstens durch die Umwandlung der Dinge in Verben, wodurch ihnen Agency zukommt, zweitens durch die Anreicherung des Textes mit Zitaten. Wann sind die Dinge Zwischenglieder und wann sind sie Mittler? Diese Frage entscheidet die Konstruktion von sozialer Welt/Natur vom Kollektiv. Sind die Zitate Mittler? Haben auch sie Handlungsmacht? Wenn ja, verweisen beide sprachlichen Mittel also auf eine schizophrene Poetik der Ökologie. Die Vervielfältigung des Sprechens als Akteur. Kann die Verwendung der Zitate als Modell für unsere Übersetzung der Koexistenz funktionieren?

Wichtig sind uns die Problematik des Wahnsinns und die psychoanalytische Deutung des letzten Überlebenden. Ist diese Assoziation mit den nichtmenschlichen Akteuren einfach nur pathologisch oder – so wie wir es interpretieren wollen – ontologisch? Wir könnten zeigen, dass gerade die psychologisierte Deutungsweise zum Dispositiv der Moderne gehört und Teil der Reinigungs- und Trennungsarbeit ist.

Zuletzt rekapitulieren wir alle potentiellen Akteure: Handy, Aufnahme-App, Umwelt des Campus, Sonne, Sonnenbrille. Allerdings stellen wir fest, dass der Einfluss der Akteure schwierig zu quantifizieren ist. Klar feststellbar ist die Wirkung der Aufnahme-App, weil wir an uns selbst bemerkt haben, dass wir besonders zu Beginn des Gesprächs anders intonierten und gewählter formulierten.

Per Münzwurf entscheiden wir, wer den ersten Entwurf des Eintrags schreiben muss (Martin Bartelmus) und nachträglich legen wir fest, die ganze Audio-Datei des Gesprächs auf den Blog zu stellen.

Quelle: http://grk1678.hypotheses.org/542

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VerbaAlpina. Ein Online-Portal zur sprachlichen und ethnographischen Dokumentation des Alpenraums

http://www.verba-alpina.gwi.uni-muenchen.de/ Das Projekt wird den einzelsprachlich und dialektal stark fragmentierten Alpenraum in seiner kultur- und sprachgeschichtlichen Zusammengehörigkeit selektiv und analytisch erschließen und dadurch die traditionelle Beschränkung auf im wesentlichen aktuelle politische Einheiten (Nationalstaaten) überwinden. Die ausgewählten Sachgebiete betreffen die Natur, die Kulturgeschichte und die kulturelle Gegenwart. Dazu wird unter Verwendung zeitgemäßer Medientechnologie (Datenbank, Georeferenzierung, Internet, […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/04/5777/

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Analysekategorie: Historische Quelle als Medium | Beispiel: Foto zur Kriegsbegeisterung 1914

Zum vorangegangen Beitrag Wie Historizität von Medien und ihre Medialität in Konzepte zur Quellenanalyse einbinden? hier ein kurzes Beispiel, das die Unterschiede zu einer Quellenanalyse ohne die Reflexion auf die Kategorie “Historische Quelle als Medium” verdeutlichen soll. Das Foto Mobilmachung Truppentransport mit der Bahn, August 1914 (CC BY SA) steht prototypisch für zahlreiche Fotos begeisterter Soldaten, die in den Krieg ziehen:

Bundesarchiv_Bild_146-1994-022-19A,_Mobilmachung,_Truppentransport_mit_der_Bahn

In einer am Bildinhalt orientierten Analyse würde das Bild wohl vor allem dahingehend interpretiert werden, dass es zum Beginn des Ersten Weltkriegs verbreitete Kriegsbegeisterung gab, verknüpft mit der Erwartung eines schnellen Sieges über Frankreich.

Die – schülerverständliche – Analyse des Fotos als Medium soll in vier Schritten verdeutlichen, wie die Einbeziehung mediengeschichtlicher Aspekte zu einer anderen Interpretation führen kann. Die ersten beiden Schritte beschreiben die mediengeschichtlich bedingten Entstehungs- und Verbreitungsmöglichkeiten des Fotos.

QA1

Wesentlich zum Verstehen der Entstehungsmöglichkeiten ist, dass Fotografie 1914 technisch noch wesentlich komplizierter war als heute. Die Fototechnik erlaubte keine Schnappschüsse. Fotomotive mussten sorgfältig ausgewählt und in Szene gesetzt werden. Das Foto macht dies auf verschiedene Weise deutlich: Alle Soldaten schauen in die Kamera. Es sind auch keine anderen Menschen zu sehen, denen sie zujubeln. Die Gesten wirken zudem statisch. Schnelle Bewegungen hätten eventuell zu verwackelten Bildern geführt. Wahrscheinlich steht der Zug, obwohl das Bild suggerieren könnte, der Waggon wäre in Bewegung. Vor diesem Hintergrund lässt sich leichter erschließen, dass es sich um ein gestelltes Foto handelt, was durch (die mittels Wikipedia leicht zu recherchierende) Information, dass es sich bei Oscar Tellgmann um einen offiziellen Militärfotografen handelte, noch unterstützt wird.

QA2

Fotos konnten zu Beginn des Ersten Weltkriegs bereits massenhaft verbreitet werden – allerdings noch gar nicht so lange. Erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Fotos in Illustrierten vervielfältigt, die damals sehr popuäre Massenmedien waren. Außerdem wurden während des Ersten Weltkriegs Fotos oft als Bildpostkarten gedruckt. Andere Möglichkeiten, sich solche aktuellen Bilder anzusehen, hatten die Menschen nicht. Tageszeitungen bestanden meist nur aus Texten. Vermutlich hatten einzelne Bilder deshalb eine viel größere Bedeutung und konnten viel größere Wirkung entfachen als heute.

QA3

Die beiden folgenden Analysekategorien zielen auf die Frage: “Machen” Medien (hier Fotos) Geschichte? Eine kurze Internetrecherche zum Stichwort “Illustierte 1914″ bringt zwar keine Verwendung des konkreten Fotos, allerdings zeigt das Beispiel Hamburger Fremdenblatt, dass das Motiv Begeisterte Soldaten im Zug 1914 in Illustrierten verbreitet wurde. Die Bildunterschrift “Nun wollen wir sie dreschen” verdeutlicht die propagandistische Absicht, die mit solchen Fotos erzielt werden sollte. Ob und wie diese Wirkung erreicht wurde, ließe sich nur mittels anderer Quellen erschließen. Erstens aber die bisherigen getroffenen Feststellungen der mediengeschichtlich bedingten Entstehungs- und Verbreitungsmöglichkeiten, dass es sich um “offizielle”, gestellte und inszenierte Fotos handelt, zweitens dass solche Fotos seinerzeit vermutlich große Wirkung entfachen konnten, legen auch ohne solche Zusatzquellen diesen Schluss nahe.

QA4

Fotos mit dem Motiv Begeisterte Soldaten im Zug sind im Zusammenhang Erster Weltkrieg und Augusterlebnis weithin bekannt. Sie werden oft – wie hier auf einer aktuellen Seite der bpb – zur Illustration der These verwendet: “Der Kriegsbeginn im August 1914 riss weite Teile der deutschen Bevölkerung mit”. Auch in Schulbüchern oder anderen populären, geschichtskulturell bedeutsamen historischen Darstellungen finden sich dieses oder ähnliche Fotos in ähnlichen Zusammenhängen.

Die Analyskategorie “Historische Quelle als Medium” führt also – anders als eine nur am Bildinhalt orientierte Analyse – erstens zu dem Schluss, dass das Foto vor allem ein verbreitetes, vermutlich wirksames Propagandamittel war – und kein unvermitteltes Abbild von Kriegsbegeisterung. Dies führt zweitens zu einer Kritik an seiner Verwendung in vielen historischen Darstellungen zum Augusterlebnis bis heute. Zugespitzt sitzen solche Darstellungen der Propagandaabsicht des Fotos noch heute auf.

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/2874

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Redtube-Abmahner muss Opfer Schadensersatz zahlen

http://www.focus.de/digital/_id_4600568.html Im vergangenen Jahr versuchte der Rechtsanwalt Thomas Urmann mit einer großen Abmahnwelle bei den Nutzern des Pornoportals Redtube kräftig abzusahnen – ohne rechtliche Grundlage. Nun verurteilte das Amtsgericht Regensburg ihn zu einer Schadensersatzzahlung.

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2015/04/5775/

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Vulkanisches Zwielicht. Ein Vorschlag zur Datierung des Kuwae-Ausbruchs auf 1464

Krater des Vulkans Tambora auf der Insel Sumbawa, Indonesien. Quelle: Wikimedia Commons

Krater des Vulkans Tambora auf der Insel Sumbawa, Indonesien. Quelle: Wikimedia Commons

Vor zweihundert Jahren brach Anfang April 1815 der indonesische Vulkan Tambora aus. Dieses Ereignis, und vor allem das darauf folgende Jahr ohne Sommer 1816 stoßen derzeit auf breites Interesse in den Medien: Unwiderstehlich scheint die Mischung von Vulkanasche, ‚Klimakatastrophe‘, Hunger, Missernten, blutroten Sonnenuntergängen und der Entstehung von Mary Shelleys „Frankenstein“. Vulkane ‚gehen‘ immer. Man darf gespannt sein, ob die jubiiäumsbedingten Treffen der klimatologischen Fachwelt und die damit verbundenen Publikationen das düstere Narrativ bestätigen oder relativieren werden.

In der Suche nach Superlativen für das breite Publikum geht oft unter, dass die Eruption des Tambora in ihrem klimatischen Impact mutmaßlich von zwei Vulkanausbrüchen in mittelalterlicher Zeit in beträchtlichem Umfang übertroffen worden sein dürfte: dem seit kurzem geographisch lokalisierten Ausbruch des Samalas auf der Insel Lombok (Indonesien) vermutlich im Jahr 1257, der größten Eruption des vergangenen Jahrtausends, und dem zweitgrößten Vulkanausbruch der letzten 1000 Jahre. Dieser wurde bisher häufig mit einer unterseeischen Caldera in Vanuatu in Verbindung gebracht, nach einem im Rahmen einer lange schon auf 1452 oder 1453 datierten Eruption verschwundenen Inselstück als Kuwae bezeichnet.[1] Obwohl die Lokalisierung umstritten ist (s.u.) soll im Folgenden weiter von der Kuwae-Eruption gesprochen werden, da sich nicht wie im Fall anderer ungeklärter Eruptionen einfach von einem 1452- bzw. 1458-event sprechen lässt, da auch die bisherige Datierung zunehmend fragwürdig scheint.

„unmistakable marks in world climate records“? Kuwae und der Fall von Konstantinopel

Indikator für den klimatischen Impact eines Vulkanausbruchs ist die Menge an Schwefeldioxid, die die Eruption bis in die Stratosphäre schleudert. Dort wandelt sichdas SO2 relativ rasch zu Sulfat-Aerosolen. Diese Schwebeteilchen reduzieren mutmaßlich die Sonneneinstrahlung und können einige Jahre lang um den Globus zirkulieren, für eine Abkühlung sorgen und so auch die meteorologischen Verhältnisse beeinflussen.[2] Rückschlüsse auf die in der Atmosphäre wirksame Menge an Sulfat-Aerosolen, die wiederum zur Klassifizierung des Ausbruchs dienen, ziehen Geowissenschaftler aus polaren Eisbohrkernen. Die dort nachweisbaren Sulfatschichten können allerdings mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht jahrgenau datiert werden: Vielmehr wurden bisher zur Feindatierung häufig historische Fakten – also aus in der Regel schriftlichen Quellen eindeutig belegte und datierbare Eruptionen – als sog. stratigraphische Marker herangezogen.[3] Ein Ereignis wie der Ausbruch des Tambora 1815 und die Wetterkapriolen im Folgejahr sind in der schriftlichen Überlieferung sehr dicht dokumentiert. Viel problematischer ist die Lage für den sehr großen Kuwae-Ausbruch Mitte des 15. Jahrhunderts.

Die historischen Fakten, die 1993 von dem US-Astronomen Kevin D. Pang in einem kurzen Abstract zur Datierung der Kuwae-Eruption angeführt wurden[4], sind – vorab gesagt – alles andere als die „unmistakable marks in world climate records“, die er präsentieren möchte. Zur globalen Verankerung der Datierung dienen ihm sehr pauschale Verweise auf besondere Kälte in Südchina im Jahr 1453/54, auf schlechte Weinernten in Deutschland sowie Ausfälle der Getreideernte in Schweden Mitte der 1450er und auf dendrochronologische Befunde aus Nordamerika, Europa und China. Dass die fraglichen Jahre tatsächlich als kühl und feucht gelten müssen, steht außer Frage. Dies gilt aber sowohl für Europa wie für China (s.u.) in den gesamten 1450er/60er Jahren. Es ist problemlos möglich, eine Handvoll Belege für Kälte und Feuchte sowie Ernteausfälle zu beinahe jedem beliebigen Jahr anzuführen.[5] Damit verlieren diese pauschal zugeordneten Belege ihre argumentative Kraft. Dasselbe gilt übrigens für dendrochronologische Befunde.[6] Entscheidend sind vielmehr spezifische Aussagen in Schriftquellen, die plausibel allein durch eine Aerosolwolke vulkanischen Ursprungs erklärt werden können. Diese meinte Pang in der älteren Literatur zum Fall Konstantinopels im Mai 1453 gefunden zu haben: „But the gardens in the city produced little at that season […] On the night of the full moon there was an eclipse and three hours of darkness […] the whole city [of Constantinople] was blotted out by a thick fog, a phenomenon unknown in those lands in May […] That night, when the fog had lifted, a strange light played about the Dome of the Hagia Sophia […] Lights, too, could be seen from the walls, glimmering in the distant countryside far behind the Turkish camp.“[7] Diese Belege, die Pang anführt und einer für ein breites Publikum gedachten Darstellung von Steven Runciman von 1965 entnimmt, halten keiner näheren Überprüfung stand. Der implizit als Argument für reduzierte Sonnenstrahlung angeführte agrarische Produktionsausfall konnte in keiner Form in den zeitgenössischen Quellen wiedergefunden werden.[8] Das unnatürliche Licht über der Kuppel der Hagia Sophia ist nach ausdrücklicher Erklärung der einzigen davon berichtenden Chronik der göttliche Schutz, der die Stadt verlässt.[9] Die Stürme und Starkniederschläge, per se schon alles andere als überzeugende Indikatoren für eine Aerosolwolke, finden sich im Kontext der Prozession

Staubschicht in der Atmosphäre nach Ausbruch des Pinatubo 1991. Quelle: Wikimedia Commons

Staubschicht in der Atmosphäre nach Ausbruch des Pinatubo 1991. Quelle: Wikimedia Commons

mit einer bisher die Stadt schützenden Marienikone, die im Mai 1453 hoch symbolisch ‚versagte‘.[10] Der beschriebene Nebel über Konstantinopel geht auf eine Passage bei dem mit deutlichem zeitlichen Abstand schreibenden Kritobulos von Imbros zurück, die keineswegs klar einen langanhaltenden, vulkanischen Trockennebel in großer Höhe erkennen lässt, ihre metaphysischen Bezüge aber deutlich macht.[11] Die für den 20. Mai 1453 berichtete,[12] tatsächlich aber für den 22. Mai anzusetzende, in Konstantinopel sichtbare partielle Mondfinsternis[13] zeichnete sich dadurch aus, dass der zunehmende Mond – Vollmond war für den 24. Mai zu erwarten – für vier Stunden nur in stark verminderter Form zu sehen war, einem dreitägigen Sichelmond gleich. Dabei war die Luft völlig klar und ungetrübt. Von einer außergewöhnlichen, dreistündigen Verdunkelung oder Verfärbung – die tatsächlich der Effekt einer durchziehenden Aerosolwolke sein kann[14] – ist im Bericht des Niccolò Barbaro keine Rede.[15] Die Lichter am Horizont hinter dem türkischen Lager, die die Verteidiger angeblich sahen und von denen sie hofften, es handele sich um ein ungarisches Entsatzheer[16], müssen keineswegs mit den Lichterscheinungen gleichzusetzen sein, die in Nordamerika nach dem Krakatauausbruch für falsche Feueralarme sorgten.

Der Quellenbefund wird von Pang also allerorten überdehnt: Nichts was als Beleg in historischen Quellen für den Durchzug einer Aerosolwolke herangezogen wird, ist dafür ein zwingender, oft noch nicht einmal ein plausibler Beleg. Steven Runciman ordnete die berichteten Naturerscheinungen eindeutig als Omen im Kontext des Untergangs der Stadt ein und betonte ihren metaphysischen Charakter, wie dies auch die jüngere Forschung getan hat.[17] Keines der angeführten Phänomene mit Ausnahme der partiellen Mondfinsternis lässt sich in mehreren, unabhängigen Quellen nachweisen. Die Datierung des Ausbruchs auf das Jahr 1452 – nach dem vom Tambora bekannten Muster, nach dem die Kältewelle und Feuchtigkeit mit gehörigem, viele Monate langem Abstand dem Eruptionsereignis folgte – sowie die Postulierung eines ‚Jahrs ohne Sommer‘ für 1453 ist damit hinfällig, soweit sie sich auf Pangs Ergebnisse bezieht. Trotzdem ist festzuhalten, dass viele Jahre alle geowissenschaftlichen, paläovulkanologischen und klimatologischen Untersuchungen auf Pangs Abstract als unhinterfragten Lieferanten ‚historischer Fakten‘ Bezug genommen haben – erkennbar ohne den kurzen Text je gelesen zu haben.[18] Die vollen Konsequenzen der hier plausibel gemachten Fehldatierung der Kuwae-Eruption auf 1452/53 für die Kalibrierung von Eisbohrkernen und anderen naturwissenschaftlichen Daten kann der Autor dieses Textes nicht kompetent einschätzen; völlig unbedeutend dürften sie aber nicht sein. Allerdings fällt auf, dass neuere geowissenschaftliche Publikationen die Rolle stratigraphischer Marker, die aus der schriftlichen Überlieferung gewonnen werden, für die Datierung von Eisbohrkernbefunden nicht klar benennen: Für Vulkaneruptionen in abgelegenen Weltgegenden wie Vanuatu sei die Gewinnung einer präzisen Chronologie durch die Befragung der zeitgenössischen Überlieferung wohl nicht möglich.[19] Entsprechend haben Eisbohrkernforscher in jüngster Zeit Neudatierungsversuche allein durch das Zählen der jährlichen Ablagerungsschichten in Eisbohrkernen unternommen (wobei sich nur ein kleiner Teil der Bohrungen für dieses independent layer counting eignet) und ordnen nun die Kuwae-Eruption ins Jahr 1458 ein.[20] Auch bei dieser präziseren Methode bleibt eine gewisse Unsicherheit in der Datierung von ca. 2 Jahren (Sigl et al.) oder im Extremfall bis zu 7 Jahren (Plummer et al.). Zur Bestimmung der Unsicherheit wird immer wieder auf durch historische Fakten klar belegte, jüngere Eruptionen zurückgegriffen, weil etwa Jahresschichten an den Übergängen zwischen einzelnen Eisbohrkernteilen fehlen könnten. Im Übrigen wird auch in diesen Publikationen auf die Ergebnisse von Pang Bezug genommen, die erklärt werden müssten.[21] Dass also ‚historische Fakten‘ durch diese verfeinerten Methoden völlig irrelevant geworden wären und die Datierung von Eisbohrkernen durch geowissenschaftliche Methoden wirkliche Jahrgenauigkeit herstellen könnten, ist nicht ersichtlich.

Kleiner Ausbruch eines Rinjani-Nebenkraters 1994. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Mount_Rinjani?uselang=de#/media/File:Rinjani_1994_cropped.PNG

Kleiner Ausbruch eines Rinjani-Nebenkraters 1994. Quelle: Wikimedia Commons

Dass „time marker“ aus narrativen Quellen nach wie vor eine fundamentale Rolle spielen[22], legenauch die jüngsten Befunde außerhalb der Eisbohrkernforschung nahe, die eine Identifizierung des für den sog. 1258-event verantwortlichen Vulkans erlaubt haben. Die genaue Datierung der Eruption des Samalas auf Mai 1257 beruht nach allem, was erkennbar ist, auf drei chronikalischen Belegstellen aus dem mittelalterlichen Europa. Mindestens eine dieser Datierungen ist falsch, berichtet die Chronik doch den zur Einordnung herangezogenen warmen Winter[23] für den Januar 1256 und nicht für den Jahresanfang 1258, wie behauptet.[24] Die zweite nordfranzösische Chronik ist in ihren Zeitangaben uneindeutig.[25] Nur ein Zitat aus der Chronik des Matthew Paris stützt den Datierungsversuch, der allerdings trotz der benannten Fehler – und damit eher zufällig – korrekt sein könnte.[26]

Alternativjahr 1464: „das die sun(n)e ir glaentz nit als claerlich hett, als sy dan(n) haben solt“

Das am Beispiel der Kuwae-Datierung durch Pang aufgezeigte Problem ist also virulent und kein Einzelfall. Es illustriert sehr deutlich die Bedeutung von Kooperationen zwischen Geschichts- und Geowissenschaftlern für gewisse Forschungen bzw. unterstreicht die fatalen Konsequenzen, wenn solche Zusammenarbeit unterbleibt. Doch kann man in narrativen Quellen des späten Mittelalters überhaupt spezifische Belege finden, die auf den Durchzug einer Aerosolwolke und wirklich nur darauf schließen lassen? Bei einer umfangreichen Recherche zu ungewöhnlichen Himmelsphänomenen in den 1460er Jahren[27] stieß der Autor auf einige sehr spezielle Befunde, die in diesem Kontext überaus relevant erscheinen und daher kurz vorgestellt werden sollen:

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 646 f. 211v: Chronik von Konstanz des Gebhard Dacher, ad. ann. 1465.

St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 646 f. 211v: Chronik von Konstanz des Gebhard Dacher, ad. ann. 1465.

Ausgangspunkt war eine bemerkenswerte Charakterisierung des Jahres 1465 durch den Konstanzer Chronisten Gebhard Dacher, über das er schrieb, das die sun(n)e ir glaentz nit als claerlich hett, als sy dan(n) haben solt. […] Nun was sy vor das jar jn her zü mengem mal mit ir varb entstelt gewesen, yetz vast geluar, dan(n) rotuar, mit zirkeln, gestalt ain regenbogen, umgeben, ye das sy ir wùrkùng der frùchten halb das jar nit hett als andre jar.[28] Die hier sehr genau beschriebene, übers Jahr hin verminderte Sonnenstrahlung und der damit in Verbindung gebrachte, reduzierte Wuchs der Feldfrüchte ist ein sehr präzises Indiz für eine vulkanische Aerosolwolke. Allerdings ist mit einem Einzelbeleg nichts zu beweisen, besteht doch immer die Gefahr von Fehldatierung in der Überlieferung oder doch fiktionaler Berichte. Die weitere Suche brachte aber drei voneinander und vom Konstanzer Zitat erkennbar unabhängige Befunde aus dem nördlichen Mitteleuropa, die alle von (meist blauen) Verfärbungen und geringer Strahlkraft der Sonne sowie gelblicher Luft um ein ganz spezifisches Datum (13. September 1465) herum berichten.[29] Noch bemerkenswerter ist, dass auch südalpin zum ungefähr selben Datum aus vier verschiedenen Regionen Italiens Berichte vorliegen:[30] Eine Bologneser Chronik schildert einen besonders dunstigen September, in dem die milchweiße, manchmal blaue Sonne ohne Strahlkraft blieb wie der nächtliche Mond und den Wein nicht zum Reifen brachte.[31] Der römische Senatsschreiber Stefano Infessura erwähnt Veränderungen der Sonne am 14. September, die mal grün, mal blau, mal gelb erschien.[32] Ein Chronist aus dem umbrischen Gubbio berichtet ebenfalls, dass die Sonne zur Mittagszeit des 13. September blau wurde und so bis zum nächsten Tag blieb.[33] Doch das Potential zum Kronzeugen einer durchziehenden Aerosolwolke hat eindeutig der neapolitanische Notar Angelo de Tummulillis. Er berichtet, dass vom 8. September an die oberen Luftschichten so dunstig waren, dass die Sonne nach ihrem Aufgang wie der Mond wirkte und selbst um die Mittagszeit keine Schatten warf. Am 13. September wurde sie noch dunkler, am Morgen des 14. September erschien sie ganz gelblich wie hinter Nebeln, am Mittag von blauer Farbe. Mehr als zehn Tage konnte sie die hohen Nebel kaum durchdringen, dazu herrschte völlige Windstille und statt Wolken gab es nur den Dunst in der Höhe. Als nach über einer Woche ein leichter Wind aufkam, konnte dieser den Höhennebel nicht vertreiben.[34]

Die Schilderung durch Angelo de Tummulillis lässt an Präzision nichts zu wünschen übrig und deckt sich mit dem, was zu vulkanischen Trockennebeln nach der Tambora-Eruption bekannt ist.[35] Wie alle anderen genannten Autoren enthält er sich bei der Beschreibung der ihm unerklärlichen Himmelsphänomene bemerkenswerterweise metaphysischer Erklärungsversuche. Wie aber können die Berichte über eine blaue und grüne Sonne plausibel als Effekt einer Aerosolwolke erklärt werden? Im Kontext des Tambora-Ausbruchs wird nichts dergleichen berichtet. Eine Sammlung weltweiter Beobachtungen nach dem Ausbruch des Krakatau 1883 verweist hingegen durchaus auf Berichte aus Äquatornähe, dass dort eine Blau- und Grünfärbung der Sonne nach dem Ausbruch des Vulkans bemerkt wurde.[36] Auch alternative Erklärungen für die blaue Sonne müssen in Betracht gezogen werden: Im September 1950 war über Nordeuropa, v.a. in Schottland und Skandinavien, eine Blaufärbung der Sonne zu beobachten, die hypothetisch auf massive Waldbrände in Kanada zurückgeführt wurde.[37] Allerdings könnte auch bei diesem Ereignis ein in Japan lokalisierter Vulkanausbruch im Spiel gewesen sein, weil völlig unklar ist, ob die Rußpartikel eines Waldbrands die für einen Transport bis nach Europa notwendigen Höhen in der Atmosphäre erreichen können.[38]

An dieser Stelle ist zu betonen, von welchen Zufällen eine solche kohärente Beobachtungskette von Neapel bis Braunschweig abhängt: Voraussetzung ist ein wolkenloser Himmel an denselben Tagen in Regionen, die eigentlich von grundverschiedenen meteorologischen Mustern geprägt sind. Dies mag auch den Negativbefund für West- und Osteuropa erklären. Hinzu kommt die Anwesenheit eines Beobachters, der sich für Himmelsphänomene interessiert und diese brauchbar datiert und beschreibt.[39] Insofern sind sieben voneinander unabhängige, spezifische Quellenbelege schon ein zufriedenstellendes Ergebnis. Offen bleiben muss, ob im September 1465 nur ein Ausläufer einer Aerosolwolke in einem langen Streifen von Norddeutschland bis Süditalien sichtbar war. Nur eine Quelle, Gebhard Dacher, berichtet von dauerhaft eingeschränkter Strahlkraft der Sonne im Jahr 1465. Ein Bericht des uns bereits aus dem Kontext von 1453 bekannten Chronisten Kritobulos von Imbros schildert möglicherweise einen bereits früher erfolgten Durchzug eines ersten Teils der Kuwae-Aerosolwolke: In eben diesen Tagen aber wurde auch eine außergewöhnliche Himmelserscheinung beobachtet. Zur hohen Mittagszeit nämlich verfinsterte sich die Sonne, die ungetrübt und wolkenlos schien, in einem plötzlichen Wechsel und wurde dunkel, und ihr Aussehen veränderte sich, und sie nahm die Farbe von dunklem Kupfer an und wurde ganz und gar finster und schwarz, nicht in der gewohnten Weise wie bei Sonnenfinsternissen (denn es war keine Sonnenfinsternis damals), sondern auf eine andere noch nie dagewesene Art, gleichsam wie wenn ein Nebel oder eine dichte, dunkle Wolke sie überziehe und überschatte, und sie blieb so insgesamt drei Tage und ebenso viele Nächte lang, und es haben sie auch alle so gesehen.[40] Leider ist diese Beobachtung, die vermutlich in der nördlichen Ägais anzusiedeln ist, nicht sicher datierbar. Der Editor schlägt aus dem Kontext der Chronik heraus den Zeitraum Herbst/Winter 1464 vor; eine Sonnenfinsternis kann nachweislich nicht Ursache der Erscheinung sein.[41]

Der Befund aus der Ägais weist aber erstmals über die Grenzen des mittelalterlichen Europa hinaus: Denn bei einem globalen Ereignis wie der Kuwae-Eruption kann man auch weltweite Beobachtungen der Aerosolwolke und ihrer Effekte zumindest erhoffen. Allerdings stößt der Autor spätestens hier an die Grenzen seiner Fähigkeiten, zum einen wegen Sprachbarrieren, zum anderen in den Kenntnissen, wie mit schriftlicher Überlieferung aus dem muslimischen, indischen oder mittelamerikanischen Raum umgegangen werden muss. Nur ein instruktives Beispiel aus China mag zeigen, welche Potentiale in einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit von Mediävisten, Arabisten, Indologen, usw. schlummern dürften: Chinesische Klimahistoriker haben seit den 1980er Jahren die immense schriftliche Überlieferung ihres Landes nach meteorologisch relevanten Informationen von der frühesten Zeit bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts durchsucht und diese Ergebnisse publiziert.[42] Die Datensammlung für die 1460er Jahre zu interpretieren ist schwierig, werden die Befunde doch in einem sehr annalistischen Stil präsentiert.[43] Da so eine qualitative Einschätzung schwierig bis unmöglich wird, wurde ein simpler quantitativer Ansatz versucht, der Kategorien von Extremereignissen wie Fluten und Dürren in ein prozentuales Verhältnis setzt. Dadurch wurde klar, dass im großen geographischen Raum des mittelalterlichen China z.B. auch Trockenjahre eine für sich genommen beträchtliche Zahl an Fluten in manchen Landesteilen aufweisen können. Dasselbe gilt für extreme Temperaturen. Umso weniger ist es sinnvoll, hier Einzelereignisse wie kalte Winter, zufrierende Flüsse, etc. als Indikatoren herauszugreifen, wie Pang es für die 1450er Jahre getan hat. Erkennbar ist, dass nach einem feuchten Jahr 1460 die Jahre 1461 bis 1463 tendenziell trockener wurden.[44] Einen drastischen Wechsel verzeichnen dann die äußerst niederschlagsreichen Jahre 1464/65.[45] Im Februar 1464 wird ein – allerdings unspezifischer – Nebel für Bejing erwähnt.[46] Sehr viel aussagekräftiger sind Berichte über den Niederschlag von “schwarzer Hirse” in Zentralchina und “schwarzem Reis“ in Südchina im Juli 1464.[47] Innerhalb der vorliegenden chinesischen narrativen Quellen der 1460er Jahre gibt es keine vergleichbaren Berichte. Es ist sehr verlockend, diese beiden wiederum unabhängigen Textstellen als Umschreibungen für den Niederschlag von Vulkanasche des über 7000 km entfernten Kuwae zu verstehen. Allerdings wurde bei der (mutmaßlich kleineren) Tambora-Eruption Vulkanasche nur in einer Entfernung von bis zu 1300 km nachgewiesen.[48] Die Beantwortung der Frage, ob ein Niedergang feiner Vulkanasche auch in so großer Entfernung vom – geographisch ja umstrittenen[49] – Eruptionsort denkbar ist, kann kein Historiker leisten.

Fazit

Mindestens drei Schlussfolgerungen bieten sich abschließend an:

Erstens soll vor dem Rückgriff auf die Ergebnisse Pangs für die Diskussion um die Kuwae-Eruption Mitte des 15. Jahrhunderts nachdrücklich gewarnt werden. Sie sind nicht valide. Selbst wenn sie nicht mehr die zentrale Rolle für die Datierung als stratigraphische Marker spielen, wird auf sie doch immer wieder Bezug genommen, etwa in der Frage, ob es sich um zwei Eruptionen handelte: Arktische Eiskerne weisen gelegentlich zwei Eruptionssignale jeweils Mitte der 1450er und Anfang der 1460er auf; andere zeigen nur ein Signal.[50] Wenn weiterhin aufgrund der invaliden Beobachtungen von Pang ein Zwang zur Erklärung meteorologischer und optischer Phänomene im Jahr 1453 gesehen wird[51], gehen solche Interpretationen des Datenmaterials vermutlich von falschen Voraussetzungen aus.

Zweitens sollen die hier vorgestellten Belege diskutiert werden, und zwar nicht nur von Mediävisten und bewusst im eher informalen Rahmen eines Blogbeitrags: Ermöglichen die dargebotenen Befunde aus den Schriftquellen – vorausgesetzt ihre Interpretation als Effekte einer vulkanischen Aerosolwolke trifft zu – nicht eine ähnlich präzise, ja letztlich präzisere Datierung als das Schichtenzählen bei Eisbohrkernen? Anders als bei Frostringen in dendrochronologischen Befunden, die lokale Phänomene spiegeln und keineswegs zwingend mit Vulkaneruptionen erklärt werden müssen, können die vorlegten Auszüge aus narrativen Quellen so einfach nicht ohne Aerosolwolke erklärt werden. Schließen die naturwissenschaftlichen Datierungen eine Eruption im Jahr 1464 vollständig aus, wenn wir das Jahr 1453 schlicht vergessen und eine Grobeinordnung der Eruption(en) in die Mitte des 15. Jahrhunderts vornehmen, um dann die Diskussion neu zu führen?

Zweifellos hängt die Validität der hypothetischen Datierung auf 1464 von der Qualität der beigebrachten Schriftquellen ab. Der Autor hat hier nur einen kleinen Ausschnitt der erhobene Belege präsentiert, dafür aber ausschließlich solche, die seiner Ansicht nach kaum anders als mit Durchzug einer Aerosolwolke vulkanischen Ursprungs erklärt werden können. Um den hier formulierten Vorschlag einer Datierung der Kuwae-Eruption – oder unter welchem Namen dieser Ausbruch auch immer künftig firmieren wird – auf 1464 argumentativ zu erhärten, bräuchte es vergleichbar präzise und einschlägige Beobachtungen für die Jahre 1452/53 oder auch 1458-60. Eine ähnlich intensive Recherche wie für die 1460er Jahre steht für die 1450er noch aus. Außerdem wäre es fundamental, Alternativerklärungen für die blaue und grüne Sonne, die beschriebenen Höhennebel sowie die reduzierte Sonneneinstrahlung ausschließen zu können. Im Fall der hier vorgestellten Phänomene sind also auch Quellenbefunde aus der Nordhemisphäre relevant für Eruptionsereignisse der Südhemisphäre.[52] Allerdings muss die Überlieferung der außereuropäischen Gesellschaften noch gründlich von Fachleuten durchsucht werden. Dies kann ein Einzelner nicht leisten.

Drittens fokussiert der Beitrag ausdrücklich auf Aspekte, bei denen Geowissenschaftler von historischer Expertise profitieren können. Ausgespart blieb daher das, was Historiker für gewöhnlich eher interessieren würde: die zahlreichen Aussagen der narrativen Quellen zu meteorologischen Extremereignissen zwischen 1460 und 1470 sowie deren mutmaßlicher sozialer und ökonomischer Impact. Für Datierungsfragen sollten diese Beobachtungen, da nicht zwingend durch eine vulkanische Ursache erklärbar, ohne Beachtung bleiben. Der Autor hat sich ihnen an anderer Stelle gewidmet, mit dem substantiierten Eindruck, dass die meteorologischen Konsequenzen der Kuwae-Eruption viel weniger eindeutig dem Tambora-Modell folgen als bisher angenommen und generell die sozio-ökonomischen Folgen weniger harsch und apokalyptisch sind als vielfach angenommen.[53] Vielleicht liegt darin auch eine Erklärung, warum die Wachstumsringe von Bäumen nicht ‚adäquat‘ (d.h. stark) auf vulkanische Eruptionen reagieren:[54] Die vulkanische Abkühlung – so eine abschließende Hypothese im Gegensatz nicht nur zu Mann et al. 2012 – wird nicht unterschätzt, sie wird überschätzt. Aber das bedarf weiterer Forschung, von geowissenschaftlicher wie von geschichtswissenschaftlicher Seite.

Ausdrücklich erbittet der Autor Rückmeldung und Kritik zu seinen hier geäußerten Überlegungen, die genau zu diesem Zweck online gestellt wird. Bei der Recherche geriet er vielfach an die Grenze der eigenen Kompetenzen. Die geäußerte Kritik auch an Kollegen aus anderen Disziplinen erfolgt im Bewusstsein, wie schnell auch der Autor selbst bei diesem Thema zwar noch am wenigsten mit seinem Latein, aber doch mit seinem Verständnis komplexer Prozesse, die andere Fächer beschreiben, am Ende war. Ich erhoffe mir eine fruchtbare Diskussion, die ein wenig mehr Klarheit in das vulkanische Zwielicht bringt.

An English version of this article is upcoming.

Zitiervorschlag:

Martin Bauch: Vulkanisches Zwielicht. Ein Vorschlag zur Datierung des Kuwae-Ausbruchs auf 1464, in: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte, 10. April 2015, http://mittelalter.hypotheses.org/5697 (ISSN 2197-6120)

Dieser Beitrag steht unter der Lizenz  https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/.

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Anmerkungen:
[1] Vgl. zuletzt Jeffrey B. Witter; Steven Self, The Kuwae (Vanuatu) eruption of AD 1452: potential magnitude and volatile release, in: Bulletin of Vulcanology 69 (2007), S. 301-318 mit weiterer Literatur.

[2] Jüngste Überblicke über den komplexen Mechanismus z.B. bei Anja Schmidt; Alan Robock, Volcanism, the atmosphere, and climate through time, Chap. 13, in: Volcanism and Global Environmental Change, ed. by Anja Schmidt, Кirsten E. Fristad, Linda T. Elkins-Tanton, (Cambridge University Press, Cambridge, 2015, S. 195-207, hier S. 198f.; Jihong Cole-Dai, Volcanoes and climate, in: Wiley Interdisciplinary Reviews: Climatic Change 1/6 2010, S. 824–839.

[3] Auf neuere, höhere Genauigkeit beanspruchende Datierungsmethoden der Eisbohrkernforscher wird weiter unten eingegangen.

[4] Kevin D. Pang, ‘Climatic impact of the mid-fifteenth century Kuwae caldera formation, as reconstructed from historical and proxy data’, in: Fall Meeting. American Geophysical Union, 1993, S. 106. Zur gewöhnlich falsch wiedergegebenen bibliographischen Angabe dieses Abstracts vgl. Anm. 18.

[5] Für die 1450er Jahre wird auf die klimageschichtliche Online-Datenbank tambora.org verwiesen. Obwohl ein Großteil der darin aufgenommen Daten sich als aus quellenkritischer Sicht gerade für das Mittelalter als problematisch erweist – v.a. die Aufnahme nicht zeitgenössischer Quellen ist zu nennen –, ist das Projekt perspektivisch doch sehr nützlich für die Sammlung meteorologisch relevanter Daten aus narrativen Quellen. Für die 1460er Jahre liegt eine Kompilation quellenkritisch zuverlässiger Belege durch den Autor vor, vgl. Martin Bauch, The day the sun turned blue. The redated Kuwae eruption in 1465 and its putative climatic impact – a globally perceived volcanic disaster in the Late Middle Ages?, in: Schenk, Gerrit J.  (Hg.), Historical Disaster Experiences. A Comparative and Transcultural Survey between Asia and Europe, Heidelberg 2015 (im Druck).

[6] Siehe Anm. 54.

[7] Steven Runciman, The Fall of Constantinople, Cambridge/Mass. 1965, S. 112, 121f.

[8] Die drei von Runciman angeführten Chronisten Niccolò Barbaro, Leonard von Chios und Giorgios Sphrantzes berichten im April und Mai 1453 nichts, was über normalen Nahrungsmittelmangel im Zug einer Belagerung hinausgeht (Vgl. La caduta di Costantinopoli. Le testimonianze dei contemporanei, a cura di Agostino Pertusi, S. 19-29, 129-153) Misswuchs oder Verweise auf reduzierte Sonneneinstrahlung finden sich nirgends. Dass landwirtschaftliche Flächen innerhalb der Stadtmauern im April/Mai wenig Essbares produzierten – und vielleicht meint Runciman nur das –, ist jahreszeitbedingt alles andere als ungewöhnlich.

[9] Il 21 maggio ci fu, a causa di nostri peccati, un tremendo presagio in città: la notte del venerdì tutta la città si illuminò, e le sentinelle, avendo visto ciò, corsero a vedere che cosa stava succedendo: pensavano che i turchi avessero incendiato la città e gridavano a gran voce. Radunatasi una gran folla, si vide che in cima, dalle finestre della Grande Chiesa di Santa Sofia, usciva un gran fuoco che circondò la base della cupola della chiesa per molto tempo e le fiamme riunitesi si trasformarono in un‘ unica gran fiamma, e ci fu come una luce indescrivibile e subito essa salì verso il cielo. Coloro che guardavano incominciarono a piangere amaramente rivolgendo l’invocazione: ‚Signore, abbi pieta!’. Quando quella luce raggiunse il cielo, si aprirono le porte del cielo e, accolta la luca, di nuovo si richiusero. […] [Am nächsten Tag erläutert der Patriarch dem byzantinischen Kaiser das Vorgefallene]: ‘Tu sai, imperatore, tutte le predizioni su questa città, e anche ora c’è stato un presagio tremendo: la luce indescrivibile, che operava già nella Grande Chiesa di Santa Sofia assieme ai più grandi sapienti e ai sommi sacerdoti ecumenici, così come anche l’angelo divino, che Dio aveva reso più forte durante il regno dell‘ imperatore Giustiniano per la conservazione della santa e grande chiesa e di questa città, questa notte se ne sono andati in cielo; e ciò significa che la grazia di Dio e la sua generosità ci hanno abbandonato [S. 283] e che Dio vuole consegnare la città nelle mani di nostri nemici‘. E così gli presentò quelle persone che avevano visto il prodigio; e come l’imperatore ebbe ascoltato quanto essi dicevano, cadde a terra come morto e senza parola per lungo tempo (Nestor Iskander, Racconto di Costantinopoli, in: La caduta di Costantinopoli. Le testimonianze dei contemporanei, a cura di Agostino Perusi, S. 261-298, hier S. 282f.)

[10] Bereits zu Beginn der Prozession war die Ikone von übernatürlichen Kräften zu Boden geworfen worden, so dass sie kaum wieder aufgehoben werden konnte. Doch damit nicht genug: Dann aber […] brach gleich darauf genau um die Mittagsstunde ein starkes Gewitter herein mit dunklem Gewölk, und es goß in Strömen und hagelte heftig, so daß die Priester und Träger der Ikone und die nachfolgende Menge es nicht aushalten und ihren Weg nicht weiter fortsetzen konnten, bedrängt und behindert durch die herabstürzenden Regenmassen und die Gewalt des Hagels. Auch wären viele der mitziehenden Kinder in Gefahr geraten, mitgerissen zu werden und zu ertrinken, fortgeschwemmt von dem starken und reißenden Wasserschwall, wenn nicht Männer sie sogleich ergriffen und mit Mühe der Gewalt des Wassers entrissen hätten. So unerhört und ungewöhnlich war die gewaltige Masse des Regens und jenes Hagels. Fraglos zeigte dies den unmittelbar bevorstehenden, totalen Untergang der Stadt an (Mehmet II. erobert Konstantinopel. Die ersten Regierungsjahre des Sultans Mehmet Fatih, des Eroberers von Konstantinopel 1453. Das Geschichtswerk des Kritobulos von Imbros, Übersetzt, eingeleitet und erklärt v. Diether Roderich Reinsch [Byzantinische Geschichtsschreiber, 17], Graz; Wien; Köln 1986, S. 103).

[11] Tags darauf aber hüllte morgens eine tiefhängende Wolke die ganze Stadt vom Morgengrauen bis zum Abend ein. Dies zeigte zweifellos den Aus- und Rückzug der Gottheit aus der Stadt an und dass sie diese endgültig verließ und sich von ihr abwandte. Denn in eine Wolke gehüllt naht die Gottheit und entschwindet wieder (Ebd., S. 104)

[12] Pur ancora in questo zorno de vintido de mazo [20. Mai 1453], a una hora de note el parse uno mirabel segnal in zielo, el qual segno fo quel che dè ad intender a Costantin degno imperadore de Costantinopoli, che el suo degno imperio sì se aprossimava al finimento suo, come con efeto è stato. Questo segnal si fo de questa condition e forma: questa sera a un hora de notte levò la luna et havea hozi el suo tondo, levando questa luna la dovea levar tuta tonda, ma questa luna si levò come quela avesse abudo tre zorni, la qual puoco parea, e iera l’aiere sereno come un cristalo neto e mundo; questa luna si durò a questo muodo zerca hore quattro, e poi a puoco a puoco quela si se andò fazando el suo tondo, e a ore sie de note, tuta si fo compida de far el suo tondo. (Niccolò Barbaro, Giornale dell’assedio di Costantinopolo, in: Pertusi, La caduta di Costantinopoli [wie Anm. 9], S. 8-38, hier S. 26)

[13] http://eclipse.gsfc.nasa.gov/LEhistory/LEplot/LE1453May22P.pdf

[14] Richard A. Keen, Volcanic Aerosols and Lunar Eclipses, in: Science 222 (1983), S. 1011-1013.

[15] Hier scheint das Versäumnis bei Runciman zu liegen, der die venezianische Quelle irreführend paraphrasiert.

[16] Die wenig präzise Belegpraxis Runcimans macht es unmöglich, die dieser Behauptung zugrunde liegende Quellenstelle zu finden. Da aber die Beobachtung so oder so keine argumentative Kraft hat, wurde darauf verzichtet, umfänglich Editionen durchzugehen.

[17] Runciman, The Fall (wie Anm. 7), S. 121f.; Marios Philippides; Walter K. Hanak, The Siege and the Fall of Constantinople in 1453. Historiography, Topography and Military Studies, Farnham, 2011, S. 214-231.

[18] Die ausnahmlos anzutreffende bibliographische Angabe des in Anm. 4 genannten Abstracts von Pang verweist auf den Publikationsort „Eos. Transactions of the AGU 74 (1993), S. 106“. Die genannte Seitenzahl existiert in keinem der beiden Teilbände 74/9 und 74/10; natürlich findet sich auch Pangs Abstract nicht hier. Dies lässt nur den Schluss zu, dass die Angabe von Publikation zu Publikation übernommen, aber nie überprüft wurde.

[19] Michael Sigl et al., A new bipolar ice core record of volcanism from WAIS Divide and NEEM and implications for climate forcing of the last 2000 years, in: Journal of Geophysical Research, 118/3 (2013), S. 1151–1169, here S. 1152: “While many of the Icelandic eruptions back into the middle ages are associated with reliable eruption dates reported by historic witnesses, this is not true for the majority of eruptions that took place in remote areas of the tropics and the Southern Hemisphere […]. Nevertheless, two additional time markers from large stratospheric eruptions in the tropics are used as tie-points for development of ice core chronologies: an unknown eruption in 1258 […], the largest volcanic event of the last millennium, and the signal in 1452/1453 associated with the eruption of Kuwae in Vanuatu […], the largest volcanic event of the last millennium for most of the Antarctic ice core records. Various volcanic timescales in Antarctica were tied to this 15th century time marker.”

[20] Ebd., S. 1160f.; C.T. Plummer et al., An independently dated 2000-yr volcanic record from LawDome, East Antarctica, including a new perspective on the dating of the 1450s CE eruption of Kuwae, Vanuatu, in: Climate of the Past 8 (2012) S. 1929-1940, hier S. 1936f.

[21] Vgl. Sigl et al., A new bipolar ice core record, S. 1163; Plummer et al., An independently dated 2000-yr volcanic record, S. 1936f.

[22] “only volcanic signals from historically documented eruptions have been used to tie the absolute ages” (Sigl et al., A new bipolar ice core record, S. 1153.

[23] Vgl. zum Auftreten warmer Winter in (Nord-)Europa unmittelbar nach großen Vulkaneruptionen Schmidt/Robock, Volcanisms (wie Anm. 1), S. 200 mit weiterer Literatur.

[24] Franck Lavigne et al., Source of the great A.D. 1257 mystery eruption

unveiled, Samalas volcano, Rinjani Volcanic

Complex, Indonesia, in: PNAS 110/42 (2013), pp. 16742-16747, here p. 1674. Viele inexakte Angaben fallen ins Auge: vom Titel der zitierten Chronik (recte: 1308) bis hin zur fehlenden Seitenzahl in der Edition (S. 131). Vom grundsätzlichen Problem, aus einer mit mindestens 60 Jahren Abstand zum Ereignis niedergeschriebenen Chronik exakte Angaben für das Jahr 1258 zu erwarten, ganz zu schweigen.

[25] Die Chronologie im von Lavigne et al. zitierten Text (S. 2) ist nicht so klar wie behauptet: Der Kontext der Textstelle in der Edition mit seinen Erwähnungen der Wahl Richards von Cornwall (13. Januar 1257) verweist eindeutig auf das Jahr 1257, wenn auch der isolierte Absatz zum warmen Winter tatsächlich, wenn auch keineswegs zwingend, auf das Folgejahr deuten könnte.

[26] Zu verweisen ist auf in Vorbereitung befindliche Artikel zu den Konsequenzen des Samalas-Ausbruchs für das mittelalterliche Europa einerseits durch Bruce Campbell (Belfast), andererseits durch den Autor. Darin werden weitere Belege für einen warmen Winter 1257/58 angeführt.

[27] Vgl. Bauch, The day the sun turned blue (wie Anm. 5). Zur Quellenbasis der Studie, deren datierungsrelevanter Teil hier präsentiert wird: Ein Großteil der wichtigsten edierten Chroniken, Tagebücher und anderer narrativer Quellen in Europa und dem Mittelmeergebiet wurden vom Autor für die Jahre 1460-1470 überprüft. Sie wurden durch Rückgriff auf das unverzichtbare Hilfsmittel der Encyclopedia of the Medieval Chronicle, ed. Graeme Dunphy, 2 Bde., Leiden 2010 ermittelt. Quellen in ungarischer, rumänischer, russischer, griechischer und arabischer Sprache wurden nicht ausgewertet, soweit keine Übersetzung ins Englische, Französische oder Deutsche vorlag. Von einer Gesamtzahl von 280 im Druck vorliegenden narrativen Quellen für die genannte Periode enthielten 181 keine relevanten Informationen zu Wetter, Hunger, Epidemien oder Himmelsphänomenen, 69 erbrachten Resultate. 31 Quellen konnten weder über Fernleihe noch online eingesehen werden.

[28] Die “Konstanzer Chronik” Gebhart Dachers: “By des Byschoffs zyten volgiengen disz nachgeschriben ding vnd sachen …”; Codex Sangallensis 646, Edition und Kommentar, hg. v. Sandra Wolff, Ostfildern 2008, S. 696.

[29] Sog. „Sächsische Bilderchronik“ aus Braunschweig: Darna upp ein fridage vor des hiligen Crützes dage in dem rechten midden dage, do vvas de sunne so blauwe umme getzirkelt alse ein blauw korne blome, unde gaff nenye schyn van sick (Chronicon Brunsvicensium Picturatum dialecto saxonica conscriptum, in: Scriptores rerum Brunsvicensium illustrantium, Bd. 3, hg. v. Gottfried Wilhelm Leibniz, Hannover 1711, S. 277-425, hier S. 411); Soester Stadtbücher: Anno domini 1465. Up des hilgen Cruces avende Exaltacionis do was dey sunne an dem hemele so bla ind dey lucht so gelbleck, dat nummant en wuste, wo dat sin mochte, und dat dey rynck van der sunnen und dey schyn was alle blaewyt und was ok eyne wijle tydes roit und wyt (Die Chroniken der westfälischen und niederrheinischen Städte. Dritter Band: Soest und Duisburg, Leipzig 1895 [Die Chroniken der deutschen Städte, 24], S. 51); Bericht einer Chronik aus der Gegend um Maastricht: Terstont doer noe op synte Cornelis avent off op der Heyligen Cruyts avent due scheyn die sonne also jemerlich inde also blodich, gelick doen hedde sy myt blode besmert off bestreken gewest. Inde dit waes al te jemerlick inde bedroft aen te syen. Inde dit duerde omtrent II dach (J. Habets [Hg.], Chronijck der Landen van Overmaas en der anngrenzende gewesten door eenen inwoner van Beek bij Maastricht, in: Publications de la Société Historique et Archéologique dans le Limbourg 7 (1870), S. 11-218, hier S. 22).

[30] Auf sie verweist erstmals Dario Camuffo, Silvia Enzi, Impact of the Clouds of Volcanic Aerosols in Italy During the Last 7 Centuries, in: Natural Hazards 11 (1995), S. 135-161, hier S. 140. Doch wird das Ereignis hier nicht direkt mit einem global wirksamen Ausbruch in Zusammenhang gebracht.

[31] El mese de settenbre [1465] fu chalinzoso, ché ‘l sole mostrava pocho spiandore, era de colore como è la notte la luna, cum colore azuro e smorto, l’ochio del sole biancho como latta; le uve non se possenno madurare bene, li vini bruschi. Questo durò infino adì 26 de settembre (Corpus Chronicorum Bononiensium. Bd. 4, hg. v. Albano Sorbelli, Città di Castello 1924, [RIS² 18/1-4], S. 341, Cronaca A, Cronaca B quasi identischer Bericht).

[32] Eodem anno [1465] a dì 14 di settembre, in die santae crucis, lo sole fece molte mutationi; quanno pareva verde e quanno azzurro et alcuna volta giallo, tutto lo dì (Diario della città di Roma di Stefano Infessura scribasenato, a cura di Oreste Tommassini, Roma 1890 [Fonti per la Storia d’Italia, 5], S. 69).

[33] A dí 13 de setembre [1465], che fo vènere, circa el mezo dí, el sole deventò celestro, et stecte cosí tucto el sabato, che fo a dí 14; e cosí ando sotto la sera.

[34] Sed in ipso mense septembris .XIIII. indictione infra octavam nativitatis beate virginis Marie totum aer sursum factum nubilosus et caliginosus per plures dies et noctes in tantum quod sol in ortu suo videbatur velut luna non radians, et in meridie non naturaliter set paulisper effundebat radios suos ita quod in oppositis vero faceret umbram, qui cum declinaret ad occasum aspicientibus latebat in totum. Sed eadem ebdomada die veneris .XIII. eiusdem magis oscuratus est et in sequenti die sabati .XIIII. in mane apparuit quasi inter nebulas intrusus crocei coloris usque ad sextam, ita quod vultus etiam hominum sese adspicientium viderentur eiusdem crocey coloris seu zallany; et circa meridiem usque ad vesperos dictus sol apparuit coloris azuri seu brevis parum radians inter nebulas vel caligines interpositas, et omni die in vesperis latebat quasi in totum, et hoc duravit quasi per decem dies cum silentio et tranquilitate aeris sine flatu alicuius venti, nec aliqua nubes apparebat super terram vel in montaneis nisi in aere, quasi caligines sine motu. Set postea ceperunt flare modicum venti super terram non expellentes tamen caligines in aere (Notabilia temporum di Angelo de Tummulillis da Sant’Elia, a cura di Costantino Corvisieri, Livorno 1890 [Fonti per la Storia d’Italia, 7], S. 134)

[35] Vgl. Richard B. Stothers, The Great Tambora Eruption in 1815 and Its Aftermath, in: Science 224/4654 (1984), S. 1191–1198, hier S. 1194f.

[36] Tom Simkin; Richard S. Fiske, Krakatau 1883. The Volcanic Eruption and its Effects, Washington, D.C.: Smithsonian Institute Press, 1983, pp. 154–159.

[37] Rudolf Penndorf, On the phenomenon of the colored sun, especially the “blue” sun of september 1950, Cambridge, MA: Air Force Cambridge Research Center, 1953; Anders Angström, The Blue Sun of September 1950, in: Tellus 3/3 (1951), S. 135-140 mit weiterer Literatur zum Phänomen der blauen Sonne.

[38] Ebd., S. 140.

[39] Der Befund kann sich auch ganz anders darstellen: In der „Chronik Friedrichs I. des Siegreichen“ (Berichtzeitraum 1452-1475) schreibt Matthias Kemnat zum Thema Von den cometen, hauven vnd irem vbel. Leider ist der Bericht nicht genau zu datieren. Die Kometen werden auf die Jahre 1456, 1469 und 1477 datiert; eine Einordnung der beschriebenen Sonnenverfärbung in die zweite Hälfte der 1460er Jahre wäre also auf jeden Fall denkbar: Auch soltu hie wissen vnd eben mercken, das zu der zeit, do keiser Friederich der dritt hoit regiert, haben zum dickern male erschienen vnd sint gesehen worden die cometen. Das sein stern mit langen schwentzen. Die sone ist vil tag blahe gesehen worden vnd ein creutz ist gesehen worden inn dem mone vnd vil anders wunders an dem himmel (Matthias von Kemnat, Chronik Friedrichs I. des Siegreichen, in: Quellen zur Geschichte Friedrich’s des Siegreichen. Erster Band: Matthias von Kemnat und Eikhart Artzt, hg. v. C. Hofmann, München 1862 (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte, 2), S. 1-141, hier: S. 87).

[40] Das Geschichtswerk des Kritobulos von Imbros (wie Anm. 10), S. 277.

[41] Ebd., S. 327. Tatsächlich gibt es im ganzen Jahr 1464 bis 20. September 1465 keine Sonnenfinsternis, die im Gebiet des heutigen Griechenland und der Türkei hätte sichtbar sein können, vgl. http://eclipse.gsfc.nasa.gov/SEcat5/SE1401-1500.html

[42] De’er Zhang (ed), A compendium of Chinese Meteorological Records of the last 3,000 years, 4 vols., Nanjing 2004. Relevant ist hier Bd. 2 mit Quellen für die Ming-Dynastie (1368-1643).

[43] Meteorologische Ereignisse werden knapp beschrieben: „severe flood“, „long drought“, continuous rainfall”. Ob dies der kompilatorischen Arbeit der Herausgeber zu verdanken ist oder den Wortlaut der Originalquellen spiegelt, entzieht sich bereits der Kenntnis des Autors.

[44] 1460: 55% Hochwasser, 14% Dürre, 18% Dauerregen. – 1461: 38% Hochwasser, 29% Dauerregen, 22% Dürre. – 1462: 35% Hochwasser, 6% Dauerregen, 32% Dürre, 16% kein Schnee im Winter. – 1463: 33% Hochwasser, 29% Dauerregen, 33% Dürre. Die Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtzahl aller berichteten meteorologischen Extremereignisse, ohne dass diese gewichtet werden könnten.

[45] 1464: 42% Hochwasser, 17% Dauerregen, 6% Dürre. – 1465: 47% Hochwasser, 15% Dauerregen, 14% Dürre.

[46] February 17th, there was great fog, vgl. De’er (ed): A compendium of Chinese Meteorological Records, Bd. 2, S. 705. Für die Übersetzung ins Englische danke ich sehr herzlich Xiangyu Kong (Hangzhou) und Prof. Dr. Mao Zheng Wei (Hangzhou) für die Vermittlung.

[47] Xiangfan (seit 2010: Xiangyang), Provinz Hubei: Black balls like millets fell in Xiangyang; Shunde, heute Teil der Stadt Foshan, Provinz Guangdong (bei Hongkong): In the 6th month summer [5. Juli – 2. August 1464], black rice fell in Shunde, vgl De’er (ed): A compendium of Chinese Meteorological Records, vol. 2, 710.

[48] Richard B. Stothers, The Great Tambora Eruption in 1815 and Its Aftermath, in: Science. 224/4654 (1984), S. 1191–1198, hier S. 1193f.

[49] Károly Németh, Shane J. Cronin, James D.L. White, Kuwae Caldera and Climate Confusion, in: The Open Geology Journal 1/2007, S. 7-11.

[50] Sigl et al., A new bipolar ice core record, S. 1162.

[51] „historical accounts in Europe and China [Pang, 1993] suggest a volcanic eruption in late 1452/early 1453“ (Ebd., S. 1163); Historical evidence of unusual weather phenomena during 1453 also suggests an eruption took place at this time (Pang, 1993), but this historical evidence is primarily from the N[orthern] H[emisphere]” (Plummer et al., An independently dated 2000-yr volcanic record, S. 1936).

[52] „Often it is difficult to obtain reliable dates for reference horizons beyond recent history, especially in the Southern Hemisphere (SH), as historical documentation of eruptions is poor“ (Plummer et al., An independently dated 2000-yr volcanic record, S. 1930).

[53] Vgl. Bauch, The day the sun turned blue (wie Anm. 5), passim. Ähnliche Beobachtungen formulierte bisher mündlich Bruce M. Campbell, der wie der Autor dieses Beitrags eine Publikation zu den Konsequenzen des Samalas-Ausbruchs von 1257 vorbereitet.

[54] Michael Mann; Jose D. Fuentes; Scott Rutherford, Underestimation of volcanic cooling in tree-ring-based reconstructions of hemispheric temperatures, in: Nature Geoscience 5 (2012), S. 202-205.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/5697

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You never change your sex in Cairo

In einem Text von Jakob Skovgaard-Petersen (das Buch teils bei Google books, der Text ohne Fußnoten hier verfügbar und eine frühere Aufsatz-Fassung hier) lerne ich von einer geschlechtsverändernden Operation in Kairo 1988 und einer in diesem Zusammenhang erstellten Fatwa. Es geht um einen ägyptischen Medizinstudenten Sayyid Abd Allah, der sich nach einer Geschlechtsumwandlung Sally Abd Allah nannte und dessen Geschichte in Ägypten seinerzeit wohl ein großes Thema in der Presse war. Die Geschlechtsumwandlung hatte offenbar einen gewissen Skandal verursacht, oder genauer: Eine rigide Geschlechtertrennung, […]

Quelle: http://intersex.hypotheses.org/284

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