Sklaven- und Dreieckshandel in skandinavischer Literatur, Kunst und Erinnerungskultur | Teil 5: Kunst und Literatur

Die Beschäftigung mit Kolonialgeschichte, Sklavenhandel und postkolonialen Verflechtungen ist nicht der Forschung vorbehalten. Bei Treffen mit KünstlerInnen und SchriftstellerInnen auf der Exkursion konnten wir uns ein Bild davon machen, wie Wissen darüber auch in Kunst und Literatur erworben und vermittelt wird – und wie Kunst essenzielle Fragen aufwerfen und verhandeln kann.

Der dänische Autor und Journalist Thorkild Hansen (1927–1989) war einer der ersten, der die skandinavische Rolle im Sklaven- und Dreieckshandel kritisch reflektiert hat. 1971 erhielt er für seine sogenannte Sklaven-Trilogie (Slavernes kyst/Die Sklavenküste, 1967; Slavernes skibe/Sklavenschiffe, 1968; Slavernes øer/Sklaveninseln 1970) den Literaturpreis des Nordischen Ministerrats. Die Serie ist von großer Bedeutung für die weitere Auseinandersetzung mit dem skandinavischen Kolonialismus in Dänemark – alle KünstlerInnen und SchriftstellerInnen, die wir auf der Exkursion trafen, nennen sie als wichtige Quelle und Inspiration.

In den letzten Jahren wurde dieser Faden von dem dänischen Jugendbuchautor Kim Langer (*1963) wieder aufgenommen. Ebenfalls in Form einer Trilogie erzählt Langer von historischen Ereignissen in den dänischen „Tropenkolonien“ in Ceylon (heute Sri Lanka), an der westafrikanischen „Goldküste“ und auf den „Dänisch-Westindischen Inseln“: Kongen af Kandy (Der König von Kandy, 2006), Den Afrikanske Forbandelse (Der afrikanische Fluch, 2009) und Flugten fra Vestindien (Flucht aus Westindien, 2010) sind eine Mischung aus Abenteuerroman, historischem Roman und Phantastik. Auf Forfatterweb, einer Website über dänische Schriftsteller, wird die Serie als „etwas so Klassisches und Wunderbares wie ein historisches Bildungsprojekt“ beschrieben.

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Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2942

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Sklaven- und Dreieckshandel in skandinavischer Literatur, Kunst und Erinnerungskultur | Teil 4: Erinnerungsorte II


Erinnerungsorte II: Dänemark und die Welt im öffentlichen Gedenken

Neben Orten und Gebäuden, bei denen man die historischen Zusammenhänge selbst rekonstruieren muss, gibt es Institutionen und Orte, die gewissermaßen einen öffentlichen Auftrag haben, an die dänische Kolonial- und Sklavenhandelsgeschichte zu erinnern.

Am Grab H.C. Andersens. CC-BY Lill-Ann Körber

Am Grab H.C. Andersens.
CC-BY Lill-Ann Körber

Als erste Station der Exkursion in Kopenhagen besuchen wir den Assistenzfriedhof im Stadtteil Nørrebro. Die zugehörige Website, über die in Texten und Videos Geschichten hinter den Grabmälern zugänglich werden, macht klar, dass der Friedhof als Gedächtnisinstitution verstanden wird. Lars Jensen von der Universität Roskilde führt uns zunächst zum Grab des berühmten Dichters Hans Christian Andersen. Was hat bloß Andersen mit dem Sklavenhandel zu tun?

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Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2940

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Geschichtsdarstellung im Internet: Nordeuropa und der Zweite Weltkrieg

Auf dem studentischen Wissenschaftsblog Eisbrecher ist neue Aktivität zu vermerken. Im Rahmen eines von mir unterrichteten Kurses Erinnerungskultur 2.0 – Nordeuropa und der Zweite Weltkrieg im Internet haben sich Studierende im Laufe des Wintersemesters mit Geschichtsdarstellungen im Netz beschäftigt.

Icebreaker von Flickr

Flickr Commons
Tyne & Wear Archives & Museums

Nun ist die Auseinandersetzung so weit gediehen, dass sie sich in publizistischer Form niederschlägt: Auf dem Eisbrecherblog analysieren die Studierenden ausgewählte Internetseiten, die sich mit bestimmten Facetten der Geschichte Nordeuropas im Zweiten Weltkrieg beschäftigen. Da geht es z.B. um das finnisch-deutsche Verhältnis während des Krieges, das Schicksal der norwegischen Kriegskinder (die Beziehungen norwegischer Frauen mit deutschen Soldaten entstammten) und um die Zeit der deutschen Besatzung Norwegens. Zunächst stand die Erarbeitung des wichtigsten historischen Hintergrundwissens an. Zudem war eine der wichtigsten Aufgaben und auch ein Bedürfnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, nach passenden Analysekategorien für die Untersuchung von Internetseiten zu suchen. Reicht da die klassische geschichtswissenschaftliche Quellenkritik aus oder wieviel medienwissenschaftliche / -theoretische Fundierung muss noch her? Eine (unsortierte) erste Sammlung von Gedanken hierzu sah folgendermaßen aus:

  • äußere Gestaltung
  • Aufbau
  • sprachliche Gestaltung
  • sachliche Darstelllung, nicht polemisierend
  • MedieneinsatzAktualität (Seite an sich, Links)institutionelle Anbindung
    • Bilder
    • Archivmaterialien
    • Herkunft?
    • verlinkt oder Google-Suchergebnisse?
  • Verfasser oder Herausgeber erkennbar, mit Namen benannt?
  • offensichtliche Auslassungen oder Ergänzungen
  • Adressat / Zielgruppe erkennbar?
  • Umfang – eher Überblick oder detaillierte Teildarstellung?
  • interaktive Elemente vorhanden, um Userbeteiligung zu ermöglichen (z.B. Kommentarfunktion)
  • Werbung auf der Seite (verweist gegebenenfalls auf Zielgruppe)?
  • kostenpflichtige Inhalte vorhanden?
  • Verweis auf wissenschaftliche Literatur
  • wird mit Fußnoten oder anderen Verweisen gearbeitet?
  • wie “schön” ist die Seite gestaltet? — problematisch: Schlichtheit könnte wegen Konzentration auf den Inhalt entstehen
  • Statistiken, falls zugänglich: wie stark ist die Seite nachgefragt? hoher Traffic?
  • Navigation zuverlässig und logisch?
  • Qualität der Abbildungen

Nachdem die Studierenden ihre Teilgebiete für die Arbeit in Kleingruppen gefunden hatten, musste eine passende Umsetzungsform gefunden werden. Letztlich fiel die Entscheidung dann für das Blogformat, mit dem fast alle nun erste Erfahrungen sammeln. Schließlich wurde gemeinsam ein Analyseleitfaden erarbeitet, an den man sich zwar nicht sklavisch halten muss, der aber einen gewissen Rahmen anbietet und der die wichtigsten Analyseobjekte benennt:

  1. Technische bzw. “bibliographische” Angaben zur Seite
  2. Aufbau und Struktur – Eindruck der Startseite, Inhaltsverzeichnis vorhanden?, Fließtext oder Stichpunkte?, Zusammenfassung vorhanden?, Zwischenüberschriften, Einzelbeitrag oder Portal?, angebunden oder ausgelagert
  3. Inhalte – Absichten und Anspruch, welche Informationen, theoretisch fundiert, Genre (Augenzeugenbericht oder wissenschaftliche Auseinandersetzung), Quellenangaben, wie groß- oder kleinformatig ist die Themenwahl, offensichtliche Auslassung oder Ergänzung bemerkbar, Adressaten
  4. Gestaltung – Bilder (unterschriften), Navigation, Layout, Verlinkungen, Schriftart, Umfang, Sprache, Werbung vorhanden, Medieneinsatz, Logos von Institutionen?
  5. Fazit – keine reine Zusammenfassung, sondern eine wertende und nochmals gewichtende Kritik – Glaubwürdigkeit (als Gesamteindruck)

Die Schreibarbeit wird auch nach dem Ende der Vorlesungszeit weitergehen. Wer also an den Themen Interesse findet,  kann per Mail-Follow-Funktion oder RSS-Feed dranbleiben.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2137

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Kampf den Mythen oder: Das böse Erwachen. Über historische Mythen und historisches Vergessen in Dänemark

Dass Geschichte als Vehikel der Politik genutzt wird, ist schon seit langem eine Binsenweisheit, das Nationalismus aus der Kombination von konstruierter Geschichte, erlebter Gegenwart und Zukunftserwartung besteht, ebenfalls. Dass beide Elemente aber auch im Jahre 2012 noch immer aktiv das Bewusstsein der dänischen Bevölkerung beeinflussen, kommt den Dänen erst in diesen Tagen zum ersten Mal schmerzlich zu Bewusstsein. Anlass des bösen Erwachens ist die Suche der dänischen Presse nach Schlagzeilen in der Saure-Gurken-Zeit. So warb z.B. der dänische Rundfunk Danmarks Radio in der Vorweihnachtszeit in deren Enthüllungsserie Detektor mit dem Aufmacher Folkeskolens historiebøger lyver, die Volksschulbücher in Geschichte lügen. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass alle Schulbücher in Dänemark an der völlig falschen Behauptung festhielten, die Erde sei im Mittelalter als flache Scheibe gedacht worden und es sei erst Columbus gewesen, der mit diesem Mythos aufgeräumt habe. Diese Meinung gilt in der Wissenschaft (auch in Dänemark) spätestens seit 1945 als vollständig widerlegt, hält sich aber in der öffentlichen Meinung hartnäckig. [caption id="" align="alignleft" width="500"] Statue des dänischen Nationalhelden Absalon in Kopenhagen
Flickr, CC-BY-NC-ND NFR[/caption] Man könnte dieses sicherlich als Petitesse abtun, wäre da nicht die Tatsache, dass das Schulbuchwissen in Dänemark seit 2006 durch eine von Politikern besetzte Schulbuchkommission, der so genannten Kanonkommission, definitiv bestimmt wird und einer strengen politischen Aufsicht unterliegt. Und hier brachte eine Nachfrage bei den Mitgliedern der Kommission Erstaunliches zu Tage. Niemand, nicht einmal die ehemalige Vorsitzende des dänischen Geschichtslehrerverbandes, hatte (angeblich) jemals davon gehört, dass man sich auch im Mittelalter die Erde als Kugel vorgestellt habe: Lene Rasmussen gab unumwunden zu, dass ihr die Idee der Kugelgestalt der Erde im Mittelalter neu sei. Aber wenn dem so wäre, so könnte man den Kanon an der Stelle ändern und zusehen, wozu man dieses gebrauchen könne. Gerade der letzte Nachsatz, wozu man das gebrauchen könne, macht den kritischen Punkt deutlich. Vermittelt wird nicht das neueste, wissenschaftlich fundierte Geschichtswissen. Geschichte ist vielmehr ein Vehikel, das die dänische Gegenwart vor der Folie der finsteren Vergangenheit zu erklären hilft.
Es gibt nur wenige Momente, wo die Suche nach Schlagzeilen den gesellschaftlichen Konsens, dass man eigentlich schon alles wisse, durchbricht. Das geschah Mitte August 2012, als bei Ausgrabungsarbeiten im Zuge des U-Bahnbaus in Kopenhagen frühmittelalterliche Siedlungsreste gefunden wurden. Das ist für sich genommen nicht erstaunlich und kam für die Stadthistoriker auch nicht überraschend, wie eine Nachfrage an der Universität Kopenhagen ergab. Allerdings war dieser harmlose Nebensatz der Aufmacher aller dänischen Tageszeitungen am 17. August 2012, gilt es doch als ausgemachtes “Grundwissen”, dass der bedeutende Roskilder Bischof Absalon (der Held in Saxos Gesta Danorum aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts) die Stadt Kopenhagen “gegründet” und erbaut habe, ein Grundwissen, das spätestens durch die Weihnachtsserie Absalons Hemmelighed (Absalons Geheimnis) des dänischen Rundfunks, die erstmals 2006 ausgestrahlt wurde, wirklich jedem dänischen Kind ein Begriff ist. Auch das ist eigentlich nicht besonders bedenklich. Allerdings hängt der gesamte dänische Nationalmythos an der Person Absalons, als dem weisen Herrscher und Ratgeber des Königs, der Dänemark vor den besonders verhassten Deutschen als wahren Nachfolgern des römischen Imperiums herausgehoben hat. Kratzt man für Kopenhagen an der Gründergestalt Absalon, so kratzt man gleichzeitig an dem dänischen Nationalheld par excellence, mit unabsehbaren Folgen. Das Gleiche gilt für die seit 2010 verstärkt in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückte Aufarbeitung des preußisch-dänischen Krieges von 1864 und die Schlachten von Düppel und Alsen. Die Bestseller des dänischen Autors Tom Buk-Swienty, die in den letzten Jahren erschienen sind, bieten wissenschaftlich nichts Neues, haben die breite Öffentlichkeit aber in helle Aufregung und Erstaunen versetzt. Diese drei Beispiele machen deutlich, dass sich die dänische Geschichtswissenschaft in ihrem Verhältnis zur Nation und dem öffentlichen Nationalismus in einer schwierigen Position befindet. Auf der einen Seite wurde und wird sie noch immer politisch vereinnahmt, wird nur das in den Schulen gelehrt, was “nutzbringend” erscheint. Auf der anderen Seite befindet sich die Forschung in Dänemark selbstverständlich vielfach auf hohem, internationalen Niveau und kommt in ihren eigenen Recherchen heutzutage weit über die nationale Sichtweise hinaus – nur, dass das nicht nach außen dringt. Die Kluft zwischen der Forschung und dem “Wissen” der Öffentlichkeit ist heute breiter denn je. Ein Gastbeitrag von Carsten Jahnke. Der Mittelalter- und Hansehistoriker Carsten Jahnke ist seit 2008 Universitätslektor am SAXO-Institut an der Universität Kopenhagen. Er promovierte mit einer Arbeit über Heringsfang und -handel im Ostseeraum des Mittelalters und forschte im Rahmen seines Habilitationsprojekts über Netzwerke in Handel und Kommunikation an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert am Beispiel zweier Re­valer Kaufleute. Nach langen Jahren in Kiel ist er seit 2004 an der Universität Kopenhagen tätig. Momentan widmet er sich u.a. der Schifffahrts- und Wirtschaftsgeschichte des Ostseeraums, dänisch-brandenburgischen dynastischen Verbindungen im Mittelalter, aber auch nationalen Mythen und ihrer Aufarbeitung.    

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/1265

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Erinnerungskultur 2.0 · Das Projekt “1001 Geschichten über Dänemark”


1001 stories of Denmark
Screenshot der englischsprachigen
Android-App

Ich habe das Stichwort “Erinnerungskultur 2.0″ auf diesem Blog bei einem früheren Beitrag  bereits verwendet, es ging um ein norwegisches Projekt. Mal sehen, ob daraus nun sogar der Titel einer längeren Serie wird. Jedenfalls ist es hochspannend, zu beobachten, wie in Nordeuropa mehrere erinnerungskulturelle Projekte Elemente des Web 2.0 aufgreifen. In diesem Fall handelt es sich um das Projekt 1001 Geschichten über Dänemark, das erfreulicherweise nicht nur auf Dänisch, sondern nahezu vollständig (!) auch auf Englisch zugänglich ist. Das Grundprinzip ist schnell erklärt: Die Seite verzeichnet 1001 Stätten des dänischen kulturellen Erbes, die sich mithilfe einer Karte oder nach verschiedenen Kriterien (zuletzt hochgeladen, am besten bewertet, alphabetisch) durchsuchen lassen. Eingetragene User können eigene Beiträge verfassen, andere Beiträge kommentieren, neue Orte hinzufügen und neben ihren eigenen Erzählungen auch Bild, Video- und Audiomaterial hochladen. Die 1001 ursprünglichen Einträge und die 50 übergreifenden Thementexte können nicht verändert, aber kommentiert werden. Betrieben wird die Seite von der Abteilung Kulturarv [Kulturerbe] innerhalb der Kulturstyrelsen, einer staatlichen Institution unter der Ägide des Kulturministeriums, welche als kulturpolitische administrative Zentrale fungiert.

Die Seite baut sehr stark auf die Einbindung der User durch ihre eigenen Beiträge. Hier ist auch die Wortwahl bemerkenswert, wenn mit dem dänischen “1001 fortællinger” dezidiert auf das “Geschichtenerzählen” verwiesen wird, persönlich gefärbte Erinnerungen also; die Beiträge gehen oft von eigenen Vorlieben oder der Wohn-, Arbeits- oder Kindheitsumgebung der Erzählenden aus. Da ist bei einigen schon eine gehörige Portion Nostalgie mit im Spiel, aber das ist auch gewollt, um die persönliche Note zusätzlich zu betonen. Im Anschluss an den oben bereits erwähnten Beitrag scheint es also, als ob der Beschäftigung mit Geschichte (als verabsolutierender Kollektivsingular) die subjektiven Geschichten vieler Einzelner entgegengesetzt werden sollen. Oder man könnte sagen: Monolithisch daherkommende, Allgemeingültigkeit für sich in Anspruch nehmende Deutungen werden durch solche persönlichen Beiträge aufgebrochen und bereichert. Es könnte gut sein, dass sich in bestimmten Bereichen der Geschichtsforschung künftig facettenreichere Bilder aufgrund solchen Materials zeichnen ließen. Könnten diese persönlichen Erzählungen und Kommentare nicht die Grundlage für künftige Forschungen über Alltagskultur, Lokalgeschichte und Geschichtskultur jenseits der etablierten Institutionen bilden? Auf jeden Fall besitzen solche Projekte erhebliches Potenzial zur Mobilisierung geschichtsinteressierter Privatpersonen. Auf diese Weise könnten sich viel breitere Kreise am öffentlichen Geschichtsdiskurs beteiligen. Luke Tredinnick schreibt in diesem Zusammenhang vom Potenzial digitaler Technologien, neue Arten von Geschichten zu kreieren und ein neues Verhältnis zur Vergangenheit zu erlauben.

“Technological innovation has augured what Henry Jenkins has described as ‘participatory’ culture, in which individuals more actively intervene in the structure and make-up of cultural discourse, fashioning the stuff of culture in more personal, fragmented, and playful ways. History is clearly succumbing to this participatory mode. It is not merely the opening up of primary source materials, from census data, to genealogical records, [that] has enabled individuals to construct their own disintermediated relationship with the past. It is also that the proliferation of popular histories, and a popular engagement with the past across both new and traditional media, creates a fertile interaction of the scholarly history and mass culture which cannot leave either unchanged.”

Die Frage ist natürlich, ob die professionelle Geschichtsforschung bereit ist, solche Stimmen wahrzunehmen. So manche Fachvertreter werden darauf setzen, dass sich qua Institutionalisierung und qua Reputationsaufbau innerhalb hermetischer disziplinärer Publikations- und Kommunikationsforen nicht allzuviel ändert. Die Deutungshierarchien oder auch -hegemonien dürften sich als langlebig erweisen. Von daher sollte das Augenmerk auch auf der Herausforderung liegen, welche die Öffnung des historischen Diskurses für so subjektive Stimmen wie auf 1001 Geschichten über Dänemark in sich birgt. Tredinnick spricht von “the making of histories [man beachte den Plural!] in digitally mediated contexts”. Wenn wir von Geschichtswissenschaft im digitalen Zeitalter sprechen, sollten wir nicht nur davon reden, dass etablierte Akteure der Geschichtsvermittlung einfach den medialen Wandel vollziehen, so wichtig und bemerkenswert dies auch ist. Doch gerät in den Hintergrund, dass sich neue Formen und Foren für die Auseinandersetzung mit Geschichte herausbilden. “It is not merely that an objectively knowable past is repurposed for changing cultural contexts, but that different kinds of historical discourses are mobilized within a more participatory mode of cultural engagement. […] In the immediacy of digital culture, history perhaps regains part of its mythapoic [sic!] function.”

Zurück zu den Geschichten aus 1001 dänischen Erinnerungsorten: Ein einführendes Video (nachfolgend mit englischen Untertiteln) zeigt Suchmöglichkeiten und einige Beispiele für Userbeiträge und gibt einen guten ersten Eindruck – verbunden mit einigen humorigen Abschnitten, welche die Schwierigkeiten aufgreifen, eine gescheite Aufnahme hinzubekommen. Klar wird aber auch, wie verschieden die Beiträge ausfallen können, vom Hamlet-Gedenkstein inklusive Gedicht-Deklamation bis hin zu einem Stück Straßenmusik, von einem begeisterten Wissenschaftler am Niels-Bohr-Institut bis hin zu einer naturnahen Interpretation der dänischen Nationalhymne.

Ergänzt wird diese Seite durch Apps für mobile Endgeräte, die für iOs und für Android bereitstehen. Unterwegs kann man also den nächstgelegenen historischen Ort, der auf der Seite verzeichnet ist, z.B. auf dem Smartphone aufrufen und sich Hintergrundinformationen anzeigen lassen. Diese Anwendung hat noch Entwicklungspotenzial, doch die Erweiterung um solch eine mobile Variante ist eine klasse Sache. Der historische Reiseführer, der durch individuelle Kommentare noch mehr Einschätzungen dazu erlaubt, ob der fragliche Ort für einen selber wirklich interessant ist – das ist schon toll. Allerdings zeigt sich dann in einigen Regionen, dass die Dichte bei 1001 (plus weitere durch User hinzukommende) möglichen Besuchsorten streckenweise etwas dürftig ist. Auf Seeland (der Insel, auf der Kopenhagen liegt) findet man nun mal deutlich mehr Stätten des kulturellen Erbes als in einigen Teilen Jütlands. Außerdem könnte man sich die einleitenden Texte dann manchmal doch etwas grundlegender wünschen, um gedruckten Reiseführern ernsthafter Konkurrenz zu machen.

Auf der Hauptseite kann man einzelne Orte von besonderem Interesse zu einer Route zusammenstellen, um einen Trip von Geschichtsstätte zu Geschichtsstätte zu planen. Das verweist klar auf den immer weiter wachsenden Geschichtstourismus, dessen wirtschaftliche Implikationen durch einen eigenen Abschnitt zu Wirtshäusern und Hotels unterstrichen werden. Eine Auswahl von 17 Stück wird durch die jeweils besondere Bedeutung für die dänische Geschichte in das erinnerungskulturelle Konzept eingegliedert. Ohne Frage wird der an diesem Teilprojekt beteiligte dänische Gaststättenverband über die zusätzlich in die Gasthäuser strömenden Kunden nicht wenig erfreut sein.

Und dann gibt es da noch eine schöne Überraschung: Ein eigener Abschnitt widmet sich “Europäischen Erzählungen” – eine überzeugende Einbettung dänischer Geschichte in die europäische. Es geht darum, kulturelle, wirtschaftliche und politische Beziehungen zwischen Dänemark und dem Rest des Kontinents aufzuzeigen, Prägungen, Ideenexport und -import, Gemeinsamkeiten, auch die dänische Geschichte nicht rein national zu deuten, sondern als Teil der europäischen Geschichte zu vermitteln. Das verdient Respekt und es bleibt anzumerken, dass einem eine Überschrift wie “Europe – The Beautiful Story” in Zeiten der Eurokrise geradezu das Herz wärmt und einen angesichts des in Dänemark traditionell starken Europa- und EU-Skeptizismus doch überrascht.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/189

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Erinnerungskultur 2.0 · Das Projekt “digitalt fortalt” in Norwegen


Serverrack Flickr, CC-BY-NC-SA mayhem

Im Netz machen sich neue digitale Erinnerungskulturen bemerkbar. So entstehen auch in Nordeuropa in letzter Zeit zunehmend WWW-Seiten, die sich die Web 2.0-Idee zunutze machen, um historische Erinnerung um persönliche Perspektiven anzureichern. Die Nutzerin, der Nutzer soll dezidiert die eigenen subjektiven Erfahrungen, die persönlich gefärbten Narrative mit einbringen. Ein Beispiel ist das Projekt digitalt fortalt [digital erzählt] in Norwegen.

Der Ursprung dieses Projektes liegt in dem so genannten Kulturminneåret [Jahr des kulturellen Erbes], das 2009 in Norwegen stattfand. Die norwegische Regierung wollte der Arbeit zur Bewahrung des nationalen kulturellen Erbes höhere Aufmerksamkeit zukommen lassen und lancierte daher dieses Kulturerbejahr. Im Mittelpunkt sollten vor allem alltagskulturelle Aspekte stehen, um so ein breiteres Verständnis von Kultur zu etablieren, das sich nicht auf eine elitäre Interpretation im Sinne von Hochkultur kapriziert. Zudem sollte so eine breitere Basis für die Mitwirkung von lokalen Akteuren und der Bevölkerung geschaffen werden. Ein Ziel war es nämlich, Menschen, die sich nicht professionell mit diesen Themen Erbe beschäftigen, neue Wege zur Partizipation an der Pflege des kulturellen Erbes zu eröffnen. So sollten bewusst auch einfach gehaltene Dokumentationen möglich werden, Initiativen für lokalhistorische Wikis ergriffen und dabei auf die längerfristige Etablierung entsprechender Webpräsenzen gesetzt. Eines der Ergebnisse dieses Prozesses ist die Seite digitalt fortalt, die sich mit einem kurzen Video (kurioserweise auf Englisch!) vorstellt:

Sehr interessant sind hier das Wortspiel im Englischen mit history und das Spiel mit den Klischees über professionelle Historiker. In den Selbstpositionierungen tauchen Begriffe wie fortelle, fortelling [erzählen, Erzählung] usw. häufig auf und verweisen somit auf einen stärker narrativen Zugriff auf Geschichte und kulturelle Erinnerung. Das weckt Assoziationen an die lange Tradition mündlicher Überlieferung, an die Zeit, als es noch stärker um Geschichten ging und man noch nicht unbedingt von Geschichte sprach. Entsteht hier also eine neue Form mündlicher oder verschriftlicht-mündlicher Geschichtsüberlieferung? Es geht allerdings nicht darum, ausschließlich nicht-professionelle Akteure einzubinden, sondern um ein Treffen aller “auf Augenhöhe”. Jede/r kann mitmachen, um seine digitale Erzählung beizutragen und unter den aktiven Nutzern sind etablierte Institutionen, die seit jeher in der Kulturvermittlung präsent sind, eben auch besonders produktiv.

Die medialen Formen, in denen die digitalen Kulturerbe-Erzählungen hochgeladen werden können, sind vielfältig und nutzen die multimedialen Möglichkeiten des WWW voll aus. Manches Video ist eher eine kommentierte Dia-Show, es gibt aber auch professionell anmutende Filme, Fotos, Audio-Dateien, alles Mögliche. Der Begriff des kulturellen Erbes ist hier eben auch recht breit angelegt, und lässt materielle Traditionen ebenso zu wie immaterielle Erinnerungsorte, z.B. Traditionen, selbst Erlebtes, kulturelle Praktiken etc.

User-generated content haben wir hier also, wobei eben wie gesagt die User sehr unterschiedlichen Hintergrund haben können: Der Fundus der norwegischen Nationalbibliothek ist nun mal ein anderer als der des “normalen Bürgers”. Was digitalt fortalt in kommunikativer Hinsicht zu einem echten Web 2.0-Projekt macht, ist die Einbindung von Kommentaren und Beliebtheitsstatistiken. Als Gast oder auch als User kann man Kommentare und Bewertungen in Form von Sternen vergeben. Auf der Startseite kann man dann die diesem Bewertungssystem gemäß populärsten Beiträge aufrufen,  aber auch eine Liste der am häufigsten aufgerufenen Erzählungen und der zuletzt kommentierten. Eine interaktive Karte erlaubt auch die geographische Navigation zu den Einzelthemen. Den individuellen Beiträgen können weiterführende Links und auch Quellenmaterial zugeordnet werden, sie können kategorisiert und verschlagwortet werden.  Insgesamt sind bisher 2074 Erzählungen hochgeladen worden.

Womit haben wir es hier nun zu tun? Mir scheint, dass wir anhand dieses Beispiels eine Wiederbelebung subjektiver Erinnerungen, persönlicher historischer Narrative als legitimen Zugang zu historischen Themen verzeichnen können. Die bestehenden Schranken – die Inhalte produzierenden professionellen Historiker hier, das konsumierende Publikum dort – fallen oder werden zumindest durchlässiger. Aber besteht durch die Engführung auf teilweise sehr persönliche Erfahrungen nicht die Gefahr, dass historische Prozesse hier banalisiert und in Einzelsplitter atomisiert werden? Da lugt doch möglicherweise neuer Positivismus um die Ecke…können Historikerinnen und Historiker sich für diese “Froschperspektive” öffnen, nützt sie uns oder ist sie eher ein internetkulturelles Phänomen? Entstehen mit der digitalen Vermittlung des kulturellen Erbes nicht neue Chancen, mehr Menschen für Geschichte zu begeistern? Ist das nur eine “verdaubar” gemachte Version von Geschichte, die man für die “eigentliche Geschichtsforschung” getrost ignorieren kann?

Ich denke, man sollte diese Web 2.0-basierte Form von Erinnerungskultur ernstnehmen und z.B. die Möglichkeiten sehen, die sich für die Erforschung von historischer Erinnerung geben. Hier entsteht ein ganz neuer Fundus an Quellenmaterial, indem wir über die persönlichen Zugriffe zu historischen Inhalten möglicherweise auch die Rezeption historischer Ereignisse analysieren könnten. Zudem sollten Projekte wie dieses als Öffnung von Diskursen über Geschichte und kulturelle Erinnerung gedeutet werden. Das Web 2.0 hat ganz klar das Potenzial zur – etwas pathetisch gesagt – Demokratisierung von historischen Diskursen. Natürlich ist das etwas Anderes als eine geschichtswissenschaftlich fundierte Erforschung des jeweiligen Gegenstandes. Aber dass sich hier im Netz neue Geschichtskulturen etablieren – dafür ist dies nur ein Beispiel von vielen.

Von daher gilt es, mit den Worten der Projektbetreiber zu fragen: “Har du noe å fortelle – hast Du etwas zu erzählen?”

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/401

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