Uni Oslo: Blinde Studenten nutzen die Digitale Bibliothek im TextGrid Repository

Erfreuliche Nachrichten aus Norwegen: Am FB Deutsche Sprache und Literatur der Universität Oslo (ILOS / Institutt for litteratur, områdestudier og europeiske språk) nutzen blinde und sehbehinderte GermanistikstudentInnen die Digitale Bibliothek im TextGrid Repository erfolgreich als Studienquelle für literarische Primärtexte. Das berichtet uns Christian Janss, Editionsphilologe und Dozent für Deutsche Sprache und Literatur der dortigen Humanistischen Fakultät. Eine große Arbeitserleichterung für alle Beteiligten: Üblicherweise wird mühsam (und mit dem bekannt wechselhaften Erfolg) aus Printausgaben gescannt, anschließend via OCR in durchsuchbares Textformat umgewandelt; mehrere Korrekturgänge inbegriffen. Ein aufwendiges, zeitintensives Verfahren.

Demgegenüber lesen die norwegischen StudentInnen die Texte aus der Digitalen Bibliothek im TextGrid Repository direkt per Braillezeile aus. Scannen, OCR und Korrekturlesen entfallen, ebenso wie das mühsame Zusammensuchen verläßlicher Quellen im Internet; mit dem TextGrid Repository macht eine einzige URL eine große Anzahl verläßlicher, zitierfähiger und durchsuchbarer Primärtexte zugänglich.

Ein toller Anwendungsfall, den wir TextGridler bislang nicht bedacht haben!

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Braillezeile

 

Quelle: http://dhd-blog.org/?p=2215

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Auch Anti-Eurozentrismus kann zur Ideologie werden – Interview mit Jürgen Osterhammel

osterhammelJürgen Osterhammel ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Konstanz. International große Beachtung hat er für sein 2009 erschienenes Buch „Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts“ bekommen. Er erhielt dafür 2009 den NDR Kultur Sachbuchpreis für das beste Sachbuch des Jahres. 2010 wurde Jürgen Osterhammel mit dem Leibnizpreis ausgezeichnet. 2012 mit dem Gerda Henkel Preis. Das folgende Interview ist soeben auf Französisch erschienen in der Revue d’histoire du XIXe siècle, 46 (2013), im Themenheft “L’espace du politique en Allemagne au XIXe siècle“. Jürgen Osterhammel hat die Fragen von Quentin Deluermoz und Mareike König schriftlich beantwortet. Wir veröffentlichen hier die deutsche Originalfassung.

Herr Osterhammel, wie ist die Idee entstanden, ein Buch über die Weltgeschichte des 19. Jahrhunderts zu schreiben und wie lange haben Sie an diesem Opus Magnum gearbeitet?

Bücher dieser Art entstehen in Deutschland im Allgemeinen als Teil mehrbändiger Reihen und auf Initiative von Verlagen. Das war in diesem Fall anders. Ich habe das Vorhaben ganz allein entwickelt und dafür auch niemals die Drittmittelfinanzierung beantragt, die nach der deutschen Praxis eigentlich eine Selbstverständlichkeit gewesen wäre. Das Buch hat drei Wurzeln. Ursprünglich wollte ich eine Geschichte der europäischen Kolonialreiche im 19. Jahrhundert schreiben, merkte dann aber, dass der niederländische Historiker Henk L. Wesseling gerade dabei war, genau ein solches Werk zu verfassen. Also trat ich gewissermaßen die „Flucht nach vorn“ an. Hinzu kam zweitens die Überlegung, dass bei uns schon seit Jahren über die Möglichkeiten von Weltgeschichtsschreibung theoretisch gestritten worden war, aber niemand sich in die Niederungen der tatsächlichen Ausarbeitung begeben hatte. Und drittens wollte ich versuchen, meine Interessen an allen möglichen Aspekten der Geschichte – von der Wirtschaftsgeschichte über die Ideengeschichte bis hin zur Geschichte der internationalen Beziehungen – in einem Buch zusammenzuführen. Die jahrelangen Kämpfe zwischen Sozial- und Kulturgeschichte zum Beispiel schienen mir überholt zu sein. An dem Buch habe ich etwa sechs Jahre lang gearbeitet, allerdings mit langen Pausen, da ich nur relativ kurz von der Lehre befreit war.

In Ihrem Buch betonen Sie die Besonderheit des 19. Jahrhunderts im Hinblick auf die Weltgeschichte. Könnten Sie diesen Punkt erläutern, z.B. im Vergleich zur Globalgeschichte oder zur connected history des 16. bis 18. Jahrhunderts, die stärker die Ausgeglichenheit zwischen den einzelnen Teilen der Welt betonen, während Sie das besondere Gewicht Europas unterstreichen.

Was ich über die besondere Bedeutung Europas im 19 Jahrhundert sage, ist in der Tat von denjenigen kritisiert worden, die uns ermahnen, immer und überall an der „Provinzialisierung Europas“ zu arbeiten. Ich halte einen solchen Standpunkt für dogmatisch und unhistorisch. Auch Anti-Eurozentrismus kann zur Ideologie werden. Die relative Macht militärischer und ökonomischer Zentren muss als Variable behandelt werden. Das ist eine Binsenweisheit für alle, die sich mit Staatensystemen und imperialen Strukturen in der longue durée beschäftigen; die heutigen Weltlage bietet markante Beispiele dafür. Auch verändert sich die Strahlkraft einzelner Zivilisationen. Im 19. Jahrhundert ging der Aufbau großräumiger Kommunikations- und Ordnungssysteme primär von Europa aus. (West)-Europa wurde in vielen Teilen der Welt zum kritisch bewunderten Referenzmodell. In meinem Buch „Die Entzauberung Asiens“ (1998, Neuausgabe 2010) hatte ich das globale „Gleichgewicht“ des 18. Jahrhunderts ausführlich dargestellt. Dadurch ist mir der Kontrast zum 19. Jahrhundert, den Sie erwähnen, besonders deutlich aufgefallen.

 In der Einleitung wie auch in mehreren Kapiteln in Ihrem Buch betonen Sie die Besonderheit der Jahrzehnte von 1860 bis 1880 in diesem weltgeschichtlichen 19. Jahrhundert. Könnten Sie präzisieren, was Sie zu dieser Schwerpunktlegung, die aus dem Blickwinkel der französischen Geschichte besonders ist, veranlasst hat?

Die verschiedenen Periodisierungsmuster, mit denen Historiker immer arbeiten müssen, ohne sie jemals verdinglichen zu dürfen, decken sich auf den verschiedenen Raumebenen nicht. Eine globale Periodisierung ist selbstverständlich eine noch viel stärkere Abstraktion als die chronologische Strukturierung einer einzelnen Nationalgeschichte, für die es viele tiefe Wurzeln in einer gemeinsamen kollektiven Erfahrung gibt, außerdem eine viel wirksamere Mythenbildung. Mir scheint, dass eine wachsende Zahl von Historikerinnen und Historikern zumindest für Europa und die USA in den Jahren um 1880 so etwas wie einen Übergang zur Moderne wahrnimmt. Ich vermeide den Moderne-Begriff, weil er mir analytisch zu vage ist, aber ich denke, dass auf vielen Feldern der beobachtbaren historischen Wirklichkeit in den 1870er und 1880er Jahren neue Strukturbildungen erkennbar sind. Das reicht von der sogenannten Zweiten industriellen Revolution über die Expansion und Effektivierung des Kolonialismus bis zu einer schubartigen Konzentration wissenschaftlicher Innovationen und zu den Anfängen einer ästhetischen Avantgarde. Auch diese Tendenzen – das führt zu Ihrer früheren Frage zurück – gingen vorwiegend vom „Westen“ aus, wurden aber in anderen Teilen der Welt zumindest in ihren Fernwirkungen wahrgenommen, Imperialismus, Kolonialismus und der Ausbau internationaler Märkte direkter als andere.

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Es ist bemerkenswert, dass Sie Ihr umfangreiches Unterfangen als Einzelperson vorgelegt haben, gibt es doch einige Synthesen einer transnationalen Geschichte, um bei einer etwas bescheideneren Form zu bleiben, die kollektiv entstanden sind (z.B. die Arbeiten von Thomas Bender über die USA, oder in Frankreich „Histoire du monde au XVe siècle“ von Patrick Boucheron). Gerade für Frankreich ist ein vergleichbares Einzelunterfangen kaum denkbar. Können Sie erklären, für diejenigen, die Ihre Arbeit nicht kennen, worin das Interesse einer Einzelarbeit besteht im Vergleich zu einer kollektiven Arbeit?

Ich möchte Ihnen widersprechen, wenn Sie die moralische Kategorie der Bescheidenheit ins Spiel bringen. Ich glaube nicht, dass sie zu einer Zeit, in der wir lehrenden und forschenden Wissenschaftler von Politikern und Wissenschaftsmanagern täglich neu zur „Innovation“ gedrängt werden, legitim ist. Die wissenschaftliche Kritik sorgt in den Wissenschaftskulturen des Westens verlässlich dafür, dass Unbescheidenheit – oder sagen wir krasser: Hochstapelei – keine Chance hat. Ein historiographisches Experiment kann ebenso scheitern wie ein chemisches im Laboratorium. Da ich gemeinsam mit dem Harvard-Historiker Akira Iriye eine sechsbändige „History of the World“ herausgebe, deren erster Band im Oktober 2012 erschienen ist und die am Ende mehr als 4000 Seiten stark wird, ist mir auch die Arbeitsweise im Autorenteam vertraut. Beide Verfahren haben Vorzüge und Nachteile. Der Einzelautor lebt in ständiger Überforderung und riskiert es, auf manchen Gebieten den neuesten Stand der Forschung zu verfehlen. Andererseits hat er die Gesamtarchitektur eines Werkes besser unter Kontrolle, kann seine interpretierenden Akzente konsistenter setzen und für die Einheitlichkeit des Stils sorgen. Darin unterscheidet sich Weltgeschichtsschreibung in keiner Weise von Synthetisierungen anderer Reichweite. Gerade die französische Historiographie bietet dafür bewunderte Vorbilder, allen voran Marc Blochs „La Société féodale“.

Könnten Sie noch ein paar Worte sagen zum gegenwärtigen Ruf, den Synthesen in der Geschichtswissenschaft haben? In den Jahren 1980 bis 1990 standen diese aufgrund ihres zu umfassenden und essentiellen Charakters stark unter Druck, was zu anderen, eher dekonstruierten Formen der Geschichtsschreibung geführt hat (Wörterbücher, Lexika, Kataloge). Sind Synthesen heute wieder wichtig geworden, vor allem in der Weltgeschichtsschreibung, die ja oftmals als besonders „risikoreich“ dargestellt wird?

Der „Ruf“ von Synthesen im Allgemeinen ist mir gleichgültig. Vielleicht war es eine (mir weniger bewusste) Nebenabsicht meines Buches, ihn zu verbessern. Allerdings können Synthesen immer nur Nebenprodukte sein. Ich halte meine beiden Forschungsmonographien für wichtigere Leistungen als „Die Verwandlung der Welt“. „Risikoreich“ ist eine Synthese nur, was die persönliche Reputation ihres Autors betrifft. Vermutlich wäre ich selbst weniger mutig gewesen, wenn ich nicht eine sichere Stelle als Hochschullehrer hätte und aus dem Alter heraus wäre, in die man sich noch um neue Professuren bewerben kann. Im Übrigen: die in allen Ländern fleißig geschriebenen und veröffentlichten Lehrbücher (oder „textbooks“) sind auch „Synthesen“. Ich habe mich aber ausdrücklich bemüht, nicht aus didaktischen Gründen allzu sehr zu vereinfachen. Nur so erklärt sich der außerordentliche Umfang des Buches, das nicht speziell für Studierende geschrieben wurde.

In Ihrem Buch haben Sie sich für eine originelle Organisation des umfangreichen Stoffes entschieden. Sie sehen von den üblichen räumlich-zeitlichen Strukturen ab und stellen dafür bestimmte Dynamiken und spezifische Themen in den Vordergrund, deren Überlagerung ein komplexes, multidimensionales und originelles Raster hervorbringt, das die Verwandlung der Welt im 19. Jahrhundert ausmachte. Ihr Buch entzieht sich damit den Meistererzählungen und ihren methodischen Ansätzen, die solchen Arbeiten oftmals zugrunde liegen (Teleologie, „große Motoren“, marxistische oder liberale Perspektive etc.). Warum haben Sie sich dafür entschieden?

Sie haben die Verfahrensweise vorzüglich beschrieben oder schon auf ihre Stärken hingewiesen. Das Buch versucht eine mittlere Ebene zwischen einer reinen Materialpräsentation und einer geschlossenen Epochendeutung zu halten. Man hat seine Form als „modular“ beschrieben, ich würde „offen“ vorziehen. Es spart nicht mit Deutungsangeboten, aber es verzichtet auf die rhetorischen Mittel, sie den Lesern aufzudrängen. Deshalb sind alle diejenigen enttäuscht, die nach einer knappen und eindeutigen Gesamtthese suchen.

Auch erscheint Ihre Geschichte im Vergleich zu ähnlichen Arbeiten wie die von Hobsbawm oder Bayly in der Schreibart sehr originell: Ihr Buch ist klar strukturiert (Kapitel, Unterkapitel, 1, 2, 3), die Sätze sind direkt, der Ton neutral, manchmal vielleicht sogar etwas kalt. Die Vorteile für eine effiziente Lektüre liegen auf der Hand (z.B. bei der Vorbereitung von Seminaren). Warum haben Sie sich für diesen sehr objektiven Stil entschieden?

Ich selbst habe den Stil nicht als „objektiv“ empfunden oder bewusst so gewählt, aber ich sehe, dass Sie mit dieser Charakterisierung etwas Wichtiges getroffen haben. Zudem ist das Buch in keiner Weise „narrativ“, obwohl Verlage in ihrer Werbung gerne den klischeehaften Eindruck erwecken, Geschichte werde immer nur „erzählt“. Für mehr Kolorit hätte man noch mehr Platz benötigt. Auch bin ich selbst durch die Schule der Klassiker der Soziologie, vor allem Max Webers, gegangen. Dort kann man Prägnanz lernen.

 Ist eine Übersetzung Ihres Buches ins Französische vorgesehen ?

 Sie ist in Arbeit und wird bei Seuil erscheinen.

Herr Osterhammel, vielen Dank für das Interview.

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Rezension von Quentin Deluermoz des Buches “Die Verwandlung der Welt” in der Revue d’histoire du XIXe siècle 45 (2012), http://rh19.revues.org/4423.

Foto: Jürgen Osterhammel, Universität Konstanz; Titel Abbildung “Die Verwandlung der Welt”, Beck Verlag.

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/1325

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Bericht: SCRIPTO VI

Das grundwissenschaftliche Angebot der meisten Unis rangiert von ‘nicht vorhanden’ über ‘eher bescheiden’ bis ‘solide in ausgewählten Bereichen’. Wer sich als Student der Geschichte oder Altphilologie bereits während des Studiums auf den Umgang mit Archivquellen vorbereiten möchte, ist folglich meist auf externe Angebote angewiesen. Das haben inzwischen erfreulicherweise auch diverse Institutionen erkannt, sodass das Angebot an Sommerschulen zu grundwissenschaftlichen Themen derzeit stetig breiter wird.1

Eines dieser Angebote, gerichtet vornehmlich an Graduierte, nennt sich SCRIPTO – Scholarly Codicological Research, Information & Paleographical Tools und wurde diesen Sommer bereits zum sechsten Mal (22.4. bis 28.6. 2013, Erlangen, Teilnahmegebühr: 1280 Euro) unter Leitung von Prof. Dr. Michele Ferrari am Mittellateinischen Seminar der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angeboten.

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Arbeit mit Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg
Foto: Jan Odstrčilik

Ursprünglich entstanden aus dem Wunsch nach einer verbesserten Ausbildung zukünftiger Handschriftenkatalogisierer richtet sich der Kurs vorwiegend an den entsprechenden Bedürfnissen auf, reicht an vielen Stellen jedoch auch darüber hinaus:

Aufgeteilt ist SCRIPTO in vier unterschiedlich umfangreiche Module, von denen die von Prof. Dr. Bernhard Pabst mit großer Langmut und unerschöpflichem Wissensvorrat unterrichtete Texttypologie (mit den Teilmodulen Philosophie und Theologie, Literarisches Schrifttum, Liturgie/Musik und Zeitrechnung sowie Jura und Medizin) den größten Raum einnahm. Dazu gehörten außerdem eine Einführung in die Geschichte und die Standards der Handschriftenkatalogisierung durch Prof. Dr. Michele Ferrari sowie ein von Dr. Tino Licht aus Heidelberg referierter Überblick über die Besonderheiten des Mittellateins. Anhand zahlreicher Beispiele konnten wir hier unter Einsatz der Fachwörterbücher unsere Übersetzungstechnik erproben und uns mit den Tücken des mittelalterlichen Lateins auseinandersetzenfür die Altphilologen unter uns eine leichte Übung, für alle anderen im Zweifel lustiges Formenraten gepaart mit wilder Kombinationstechnik.

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Handschrift: Nürnberg, Stadtbibliothek, Cent. II, 42 (http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0165_b026_JPG.htm)
Foto: Jan Odstrčilik

Das zweite Modul zerfällt in die Bereiche Paläographie und Buchmalerei: Erstere brachte uns Dr. Tino Licht an mehreren Wochenenden mithilfe zahlreicher Beispiele und praktischer Übungen näher. Der letzteren widmeten wir uns unter Anleitung von Dr. Chrstine Jakobi-Mirwald und Dr. Christine Sauer in der Stadtbibliothek Nürnberg, wobei uns zahlreiche Codices aus dem dortigen Bestand zur Anschauung dienten. Auch wenn wir am Ende der Nürnberger Tage Krautblatt und Palmette, bewohnte und historisierte Initiale noch immer nicht ganz zweifelsfrei auseinanderhalten konnten, so gingen wir doch immerhin mit einem grundlegenden Einblick in die faszinierende Welt der Buchmalerei und einer Sensibilisierung für ihre Formenvielfalt ins nächste Modul. Mindestens ebenso wertvoll wie die Vermittlung des theoretischen Know-how war für uns jedoch sicher die Möglichkeit, illuminierte Stundenbücher und Bibeln in unseren eigenen Händen zu halten, die winzigen Pinselstriche der Miniaturen zu bestaunen, den Unterschied zwischen Papier und Pergament zu fühlen, das Schimmern des Blattgoldes mit dem matten Glanz von Pinselgold zu vergleichen – all das zu erfahren, was bei der Anschauung moderner und ach so praktischer Digitalisate verwehrt bleibt.

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Arbeit mit Handschriften der Stadtbibliothek Nürnberg
(Hert. Ms. 3)
Foto: Jan Odstrčilik

Abgerundet wird das Programm durch Modul 4, SCRIPTO digital. Einen Block verbrachten wir hierfür an der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel und einen zweiten in den Räumen der StaBi München. Dabei bestand das Programm in Wolfenbüttel vorwiegend aus einer von Torsten Schaßan dargebotenen Einführung in XML (Extensible Markup Language) und TEI (Text Encoding Initiative), die beide für die Erstellung digitaler Editionen benötigt werden – grundsätzlich sicher eine sinnvolle Ergänzung, für tendenziell technophobe Mediävisten wie mich jedoch schwere Kost, zu deren Verdauung es neben den begleitenden Übungen wohl noch einer vertiefenden Anwendung im Anschluss bedurft hätte. Bis auf eine Führung durch die öffentlich zugänglichen Schauräume der herzoglichen Bibliothek war zu unser aller Bedauern leider keine weitere Nutzung derselben bzw. ihrer Handschriftenschätze vorgesehen.

In München hingegen lag der Fokus auf der Digitalisierung von Handschriften, die uns verschiedene Mitarbeiter der StaBi in Theorie und Praxis näherbrachten. Beliebte Diskussionsthemen waren hier Sinn und Unsinn der massenhaften Handschriftendigitalisierung sowie die daraus folgende, zunehmend restriktive Politik vieler Bibliotheken hinsichtlich der Benutzung von Originalen.

Dieser Widerstreit zwischen dem Schutz und der Konservierung von Handschriften auf der einen und der Notwendigkeit oder dem Wunsch des Mediävisten nach haptischer Anschauung auf der anderen Seite begleitete uns darüber hinaus während des gesamten Kurses in unzähligen Gesprächen. Glücklicherweise hatten wir dank SCRIPTO jedoch den Vorzug, zahlreiche Archivalien sowohl aus der Stadtbibliothek Nürnberg und der UB Erlangen als auch aus der Pfarrbibliothek Neustadt an der Aisch und der Universitätsbibliothek von Uppsala weitgehend unbürokratisch nutzen zu dürfen. Lediglich in Stockholm, neben Uppsala Ziel unserer fünftägigen Schweden-Exkursion, brachte man uns hinsichtlich des Umgangs mit den Handschriften kein allzu großes Vertrauen entgegen und legte uns diese in der Kungliga biblioteket folglich lediglich unter der umblätternden Aufsicht einer gestrengen Bibliotheksmitarbeiterin vor.

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Universitätsbibliothek Uppsala
Foto: Annabell Engel

Neben den Bibliotheken stand insbesondere in Stockholm der Besuch einiger historischer Sehenswürdigkeiten auf dem Programm. – Alles in allem eine nette, für den Inhalt des Kurses jedoch nicht unbedingt notwendige Ergänzung, die zugunsten niedrigerer Kursgebühren wohl auch problemlos hätte eingespart werden können. Dies umso mehr, wenn man uns stattdessen die Möglichkeit eingeräumt hätte, die Bestände in München, Wolfenbüttel und Bamberg zu nutzen, die denen in Uppsala und Stockholm – sieht man einmal vom Codex Gigas ab, den wir zudem lediglich hinter Glas betrachten durften – in ihrer Pracht und Vielfalt sicher in nichts nachstehen.

Bereichernd hingegen war die Tagesexkursion zur Pfarrbibliothek in Neustadt an der Aisch: In einer kleinen, über der Sakristei gelegenen und seit dem 16. Jahrhundert praktisch unveränderten Kammer wird hier ein Teil des etwa 9500 Bände

umfassenden Bestandes aufbewahrt und von Bibliothekar Reinhold Ohlmann in aufopferungsvoller, ehrenamtlicher Arbeit gepflegt und erforscht. Ihren Reichtum verdankt die Kirchenbibliothek in erster Linie der Auflösung des Klosters St. Wolfgang in Riedfeld im Zuge der Bauernaufstände 1525, dessen Bestand ihren Grundstock bildet. Vorteilhaft hat sich zudem neben diversen Bücherspenden und Neuerwerbungen auch ein Paragraph in der Bibliotheksordnung ausgewirkt, der jeden neuen Pfarrer bei Amtsantritt zu einer Bücherabgabe verpflichtete und außerdem bei seinem Tode das wertvollste Stück aus seiner Bibliothek einforderte.2 Dankenswerterweise stellte uns Herr Ohlmann für die Dauer des Kurses einige Bände aus dem Bestand der Bibliothek als Leihgabe zur Verfügung.

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Ein Stundenbuch aus der Stadtbibliothek Nürnberg
(Hert. Ms. 3, http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0177_b131_JPG.htm)
Foto: Jan Odstrčilik

Sowohl in Nürnberg als auch in München hatten wir zudem die Gelegenheit, einen Blick in die dortigen Restaurierungswerkstätten zu werfen und uns mit den Restauratorinnen zu unterhalten. Fasziniert befühlten wir die unterschiedlichen Pergament- und Lederarten und übten uns im Erkennen der jeweiligen Tierart. Man ließ uns am Fischleim schnuppern und die der Eisengallustinte als Grundlage dienenden Galläpfel befühlen. Gruseln konnten wir uns beim Anblick von Bänden mit Insektenbefall oder Wasserschäden; einen fast größeren Schrecken erweckten jedoch die berüchtigten Restaurierungsopfer der 70er Jahre – mittelalterliche Codices mit Kunstledereinband und säurehaltigem Papiervorsatz! Alles in allem kam der Aspekt der Restaurierung und Bestandserhaltung während des Kurses allerdings etwas zu kurz, die meisten von uns wären hier gern noch tiefer eingetaucht.

Zu den regulären Modulen und Exkursionen kamen außerdem Workshops und Vorträge externer Referenten hinzu: Höhepunkt war hier sicher der Besuch des insbesondere durch seine Blog- und Twitteraktivitäten bekannten Paläographen Dr. Erik Kwakkel (@erik_kwakkel) aus Leiden, der uns passenderweise am gefühlt heißesten Tag des Jahres mit Kissing, Biting and the Treatment of Feet (einer Kommilitonin verdanken wir zudem die Entdeckung des spooning) in den Schriften des 12. Jahrhunderts vertraut machte und am Abend zudem über Books in the Medieval Classroom referierte. Dr. Andrea Fleischer von der UB Heidelberg brachte uns im Rahmen des Franken-Seminars die Handschriftenbestände aus dem Kloster Heilsbronn näher, bei Prof. Dr. Andrea Stieldorf aus Bamberg besuchten wir ein Halbtagesseminar zur Funktion mittelalterlicher Chartulare, und schließlich präsentierte man uns als Beispiel einer erfolgreichen SCRIPTO-Absolventin Dr. Anette Creutzburg aus Florenz. Sie hielt einen Vortrag über die Ikonographie Birgittas von Schweden und berichtete insbesondere auch von ihrer Arbeit am Sehnsuchtsort Kunsthistorisches Institut in Florenz sowie dem unter ihrer Leitung durchgeführten Umbau der dortigen Institutsbibliothek – eine Karriere, die uns vor Neid erblassen ließ!

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Handschriftenlesesaal der Stadtbibliothek Nürnberg
Foto: Jan Odstrčilik

Ergänzt wurde das Angebot zudem durch eine den Kurs begleitende und an dessen ursprünglichem Zweck, der Befähigung zur Handschriftenkatalogisierung, ausgerichtete Praxisaufgabe: Die Beschreibung einer Handschrift aus der Neustädter Pfarrbibliothek. Bewaffnet mit den entsprechenden Richtlinien machten wir uns in Gruppen ans Werk, um jeweils einen Codex bzw. ein Fragment zu autopsieren – eine ideale Möglichkeit, um die bisher im Kurs erworbenen Kenntnisse anzuwenden, die Richtlinien auf ihre Praxistauglichkeit zu testen sowie die teils ungeahnten, mit der Handschriftenbeschreibung verbundenen Schwierigkeiten am eigenen Leib zu erfahren und im besten Falle auch zu überwinden. Lediglich eine Auswertung der Ergebnisse enthält man uns nun, gut zwei Monate nach Kursende leider noch immer vor.

Nachdem ich mit großem Hunger auf grundwissenschaftliches Input und die Arbeit mit Originalen nach Erlangen gekommen war, hat mich der Kurs einerseits vorerst gesättigt – gesättigt, was die rein grundwissenschaftliche Arbeit, die Beschäftigung mit Paläographie und Philologie zum Selbstzweck betrifft –, mir andererseits aber auch weiteren Appetit gemacht: Appetit auf das für ein Semester vernachlässigte historische Arbeiten, auf Quelleninterpretation und Forschungsdebatten. Appetit aber auch auf weiteren Haut- (oder wenigstens Handschuh-)kontakt mit mittelalterlichen Originalquellen – auf Archivarbeit. Und hierbei werden mir die im Kurs gewonnenen Kenntnisse sicherlich hilfreich sein.

1 Zu nennen sind u.a. die Sommerschule der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften „Die historischen Grundwissenschaften in der mediävistischen Praxis“ (vgl. auch die Ankündigung der Veranstaltung hier auf dem Blog, die in diesem Jahr paläographisch-editorisch ausgerichtete Sommerakademie des Mediävistenverbandes „Distanzen überwinden – Briefkommunikation und Briefdokumentation im Mittelalter“, der dritte Alfried Krupp-Sommerkurs für Handschriftenkultur „Handschriftenkultur des Mittelalters für Fortgeschrittene“ sowie die Münchner Sommerakademie Grundwissenschaften 2013 „Schriftkunde des Mittelalters“.

2 Siehe für nähere Informationen Kirchenbibliothek Neustadt (Aisch), in: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Österreich und Europa – http://fabian.sub.uni-goettingen.de/?Kirchenbibliothek_(Neustadt/Aisc) – letzter Aufruf am 05.09.2013.

Anmerkung zu den Bildern: Da es nicht in allen Bibliotheken gleichermaßen erwünscht war zu fotografieren und uns diese Möglichkeit in der Stadtbibliothek Nürnberg besonders großzügig eingeräumt wurde, stammt ein Großteil der hier veröffentlichten Bilder aus diesem Kontext und steht somit lediglich exemplarisch für die den gesamten Kurs durchziehende Arbeit mit Handschriften.

Quelle: http://mittelalter.hypotheses.org/2042

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Tagung „Encountering the Other in Wartime“, Paris 26. – 27. September

heading_titleDie Tagung „Encountering the Other in Wartime“ ist das siebte Kolloquium der International Society of First World War Studies; sie wird am 26. und 27. September im Musée de l’Histoire de l’Immigration und im Deutschen Historischen Instituts Paris stattfinden.

Die vom Organisationsbeirat ausgewählte Thematik des „Alterität“ erlaubt, auf die internationale Dimension des Ersten Weltkrieges durch eine innovative Perspektive, die den ersten Weltkrieg als einen interkulturellen Moment versteht, einzugehen. Ziel der Tagung ist die Verbesserung der Kenntnisse über die Erfahrung der Gesellschaften im Krieg in ihrer multinationalen und multikulturellen Dimension (Mobilisierung der Imperien, kultureller Austausch auf der zwischenstaatlichen, übernationalen und nationalen Ebene). Auf diese Art und Weise integriert sich die Tagung in die weltweit organisierten Veranstaltungen, die aus Anlass des Hundertjahrestages des ersten Weltkrieges stattfinden werden. Sie wurde von der französischen Mission du Centenaire als offizielle Veranstaltung erkannt.

Das Programm finden Sie hier: Programm-2627Sept.

Die Einschreibung ist erforderlich und folgt unter diesen Link.

 

 

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1160

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Tagung „Die Reformation und ihre Medien. Mediale Strategien im Umkreis der Wettiner im 16. Jahrhundert“

Datum, Ort: 30. September bis 2. Oktober 2013, Schloss Friedenstein Gotha, Westturm, Ekhof-Kabinett

Vom 30. September bis 2. Oktober 2013 findet auf Schloss Friedenstein die Tagung „Die Tagung_Reformation_und_MedienReformation und ihre Medien“ statt. Die Tagung beleuchtet die strategische Nutzung medialer Informationsformate vor konfessionellem, religions- und reichspolitischem Hintergrund im Umkreis der Wettiner während der Reformation. Die zu untersuchenden Medien reichen von publizistischen Erzeugnissen wie illustrierten Einblattdrucken und Flugschriften über Briefe und Bücher bis hin zu Informationsträgern, die der Schriftlichkeit entzogen sind wie Gemälde, malerische und bildhauerische Ausstattungen sakraler und öffentlicher Räume, Theateraufführungen, Münzen und Medaillen.

Die Tagung wird von der Projektgruppe Reformationsgeschichte, einem durch das TMBWK unterstützten Zusammenschluss der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha (Dr. Martin Eberle), der zur Universität Erfurt gehörenden Forschungsbibliothek Gotha (Dr. Kathrin Paasch) und des Lehrstuhls für Kirchengeschichte der Universität Jena (Prof. Dr. Christopher Spehr, Leitung) veranstaltet. Aufgabe der Projektgruppe ist es, zur Erforschung des reformatorischen Erbes in Thüringen beizutragen.

Aufgrund begrenzter Platzzahl wird um Anmeldung bis zum 20.09.2013 gebeten.

 Flyer zur Tagung

Organisation
Dr. Martin Eberle
Stiftung Schloss Friedenstein Gotha
Dr. Kathrin Paasch
Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, Forschungsbibliothek Gotha
Prof. Dr. Christopher Spehr
Friedrich-Schiller-Universität Jena

Kontakt:

Ulrike Eydinger

Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Projektgruppe Reformationsgeschichte Stiftung Schloss Friedenstein Gotha PF 10 03 19, 99853 GOTHA Tel. 03621-8234-555 Fax 03621-8234-63 eydinger@stiftung-friedenstein.de http://www.stiftungfriedenstein.de/index.php?id=1084

 

 

 

Quelle: http://studpro.hypotheses.org/351

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Happy Birthday, Adorno!

Wolfgang Pohrt charakterisierte in der Festschrift zu Hermann L. Gremlizas 50er (Hamburg: Verlag 20. November, 1990.) den Geburtstag als "[einen Tag], den jeder Mensch mit Verstand und Empfindung besser als nichtexistent aus seiner Wahrnehmung streicht".

Nun, ich begehe Adornos heutigen 110. Geburtstag, indem ich den äußerst empfehlenswerten @neinquarterly für das zukünftige Nichts - zu erwarten unter: http://neinquarterly.com/ - subskribiere und widme ihm Adornos Frankfurter Hausnummer, Kettenhofweg 123:

Frankfurt_Kettenhofweg123_Hausnummer_Adorno

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/483766433/

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Soeben erschienen: Historyblogosphere – Bloggen in den Geschichtswissenschaften

9783486755732Heute wurde die Online-Ausgabe des Buches “Historyblogogsphere” im Open Access freigeschaltet und die gedruckten Exemplare gingen in den Buchhandel (19,80 €). Das Buch ist in mehrer Hinsicht eine Besonderheit: Zunächst erinnert es an den kürzlich verstorbenen Peter Haber, spiritus rector der Idee und Herausgeber posthum gemeinsam mit Eva Pfanzelter, unter Mitarbeit von Julia Schreiner. Zum anderen ist es das erste Buch in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft, das in einem Open Peer Review-Prozess erschienen ist. Zur Erinnerung:  vom 10. Oktober bis 10. Dezember 2012 standen 18 Beiträge auf der Oldenbourg-Website zur absatzweisen Kommentierung bereit((1)). Anschließend überarbeiteten die Autoren ihre Artikel, die dann Anfang 2013 für die redaktionelle Endbearbeitung und den Satz erneut eingereicht wurden. 13 Beiträge plus Vorwort sind in der soeben publizierten Fassung nun enthalten. Diese können weiterhin auf der Website des Verlags (jetzt De Gruyter) kommentiert werden. Und schließlich ist es ein Buch, das Bloggen in der Geschichtswissenschaft als tatsächliches Thema aufgreift und dabei nicht mehr nur das “Ob”, sondern vor allem das “Wie” thematisiert. Hier zur Übersicht das verlinkte Inhaltsverzeichnis:

Frontmatter

Pages 1-4

Inhaltsverzeichnis

Pages 5-6

Vorwort

Pages 7-12

Einleitung

Pfanzelter, Eva

Pages 13-22

Crowdsourcing the Early Modern Blogosphere

Key, Newton

Pages 101-118

Blogs als virtueller Schreib- und Kommunikationsraum historischen Lernens

König, Alexander / Pallaske, Christoph

Pages 119-134

Blogforschung: Der ,Computational Turn‘

Bruns, Axel / Burgess, Jean

Pages 135-148

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Pages 199-201

 

Siehe auch

Klaus Graf, Mareike König, Forschungsnotizbücher im Netz – Postscript zu einer Veröffentlichung, in: Redaktionsblog, 24.6.2013, http://redaktionsblog.hypotheses.org/1385.

  1. Vgl. Historyblogosphere – das Open Peer Review beginnt, in: Redaktionsblog, 17.10.2012, http://redaktionsblog.hypotheses.org/720

Quelle: http://redaktionsblog.hypotheses.org/1657

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Ein grüner Faden durch die Netzbiographie. Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck und die Botanik

Sein Name begegnet bereits in der Schule, wenn auch nicht im Geschichtsunterricht. Dafür jedoch beim Mikroskopieren dickblättriger Pflanzenteile, beim Pippettieren krautig riechender Säfte und natürlich in den unausweichlich folgenden Fragen der Biologielehrerin nach den bevorzugten Standorten von Salmia, Dyckia oder Reifferscheidia… . Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck ist in aller erster Linie bekannt als großer Pflanzenkundler, als begnadetes Talent und umtriebiger Wissenschaftspionier auf dem Feld der Botanik. Etliche Pflanzengattungen wurden nach ihm benannt, durch ihn erstmalig bestimmt. Insbesondere seine Abhandlungen zur Systematik der Kakteengewächse wie allgemein zu den Sukkulenten und natürlich sein Hortus Dyckensis, in dem er die zahlreichen, in seinem Dycker Schlosspark versammelten und kultivierten seltenen Pflanzenarten dokumentiert, brachten ihm eine entsprechende Reputation ein. Seine botanische Bibliothek (nach ihrer Versteigerung heute leider in alle Winde zerstreut) gehörte wohl zu den bestsortiertesten seiner Zeit. Der malerische Landschaftsgarten lockt demgegenüber noch immer viele Besucher nach Dyck.

All jenen Aspekten seines botanischen Wirkens sind in der multiperspektivischen Netzbiographie zu seiner Person einzelne Beiträge gewidmet. Darüber hinaus wird man in den zahlreichen weiteren, um ganz unterschiedliche Handlungsräume des Protagonisten kreisenden Artikeln immer wieder auf das Thema Botanik stoßen. Bereits während seiner Kavalierstour und insbesondere im Jardin du Roi zu Paris wurde der junge Graf in der Pflanzenkunde unterwiesen. Hier wurde seine Leidenschaft offenbar geweckt. Seine sozialen Netzwerke durch ganz Europa spannten sich primär längs der botanischen Wissenschaft, seine Ämterkarriere unter Napoleon I. ließ sich immer wieder vorteilhaft mit ihr verbinden. In preußischer Zeit hüteten livrierte Parkwächter seine kostbarsten Pflanzenschätze, und repräsentierten zugleich seinen standesherrlichen Anspruch. Selbst mancher Brief des Landwehrmajors handelt zuvorderst von – Kakteen… .

Die Botanik stellt eine tragende, ja vielleicht die zentrale Achse im Leben Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck dar. Dabei wird die Prominenz dieses Aktions- und Denkfeldes erst in der Fokussierung anderer Tätigkeitsbereiche durch ein Kollektiv spezialisierter Autoren, durch intensive Verlinkungen, gezielte Verschlagwortung (Tag Cloud) und innovative Visualisierung (Itinerar) wirklich deutlich. So entsteht Schritt für Schritt, trotz aller bisherigen Bekanntheit des “Botanikerfürsten”, ein neues, ein präziseres Bild Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck in seiner Zeit. Das ist so sicher wie der grüne Daumen!

Florian Schönfuß

Quelle: http://rhad.hypotheses.org/242

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