
Am Ende des derzeit viel diskutierten ZDF-Fernsehspiels „Unsere Mütter, unsere Väter“ gibt es eine bemerkenswerte kleine Szene. Im Jahr 1945 kommen drei von fünf Freunden an den Ort zurück, in der das Drama 270 Fernsehminuten zuvor im Jahr 1941 bei fröhlicher Tanzmusik begann. Mittlerweile haben die Grauen des Krieges sie verändert. Für ein paar lange Sekunden bleibt die Kamera an einem Detail hängen, das verlässlich immer wieder dann auftaucht, wenn es um Kulturpolitik des “Dritten Reiches” gilt. Auf einer Emailletafel steht in roten Fraktur-Lettern:

„Swing tanzen verboten.“ Gezeichnet ist das Schild mit dem Schriftzug „Reichskulturkammer“. Für den Erzählbogen des Fernsehspiels hat diese Einstellung eine Art Brückenfunktion. Denn neben den fünf Hauptrollen spielt populäre Musik eine der wichtigsten Nebenrollen: Am Anfang stand eine ausgelassene Party im Berlin des Jahres 1941. Die fünf deutschen Freunde, einer von ihnen ist Jude, feiern Abschied von der Heimatfront, doch sie werden jäh vom sadistischen Sturmbannführer gestört: Swing tanzen verboten.
Am Ende findet man sich wieder in der Kneipe ein und das verblichene Emaille-Schild erinnert nun daran, wie es einst begann. Nämlich mit einem Musikverbot, ganz nach dem Ausspruch Heinrich Heines: „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.”An dieser Narration wäre im Grunde nichts auszusetzen, doch der Teufel steckt auch hier im Detail: Ein solches Schild hat es im Nationalsozialismus nicht gegeben. Nun könnte man einwenden, es handele sich doch nur um den Regieeinfall einer auch sonst fiktiven Geschichte. Doch die kleine Fälschung steht in größeren Zusammenhängen. Um zu sie verstehen muss man ihre Spur genauer nachverfolgen.
An der plakativen Front
Sie führt nach Hamburg, allerdings nicht ins Jahr 1941, sondern in die siebziger Jahre. Damals beschließt eine Schallplattenfirma eine Compilation mit Jazz-Musik der Dreißiger und Vierzigerjahre herauszugeben. Als Marketing-Gag für die leicht angestaubte Musik besinnt man sich darauf, dass die fröhlichen Saxophonklänge vor wenigen Jahrzehnten einmal den Nimbus verbotener Bückware besaßen und beschließt das zu tun, was man in Marketing-Kreisen üblicherweise tut: Man beauftragt einen Grafiker mit der Visualisierung. Das Resultat sieht so aus:

Dieses Schallplattencover machte eine beachtliche Karriere. Der Grafiker Schöningh hatte seinen Job so gut gemacht, dass man seine Arbeit bald nicht mehr für die Erfindung hielt, die sie war, sondern für einen historischen Quellenfund. Zumal das Detail hervorragend in den von antijüdischen Verordnungen, Propagandaplakaten und Erlässen durchherrschten Alltag des Nationalsozialismus zu passen schien. Als Knud Wolffram 1992 die Ursprünge des vermeintlichen Exponats erkundete, sagte ihm der Herausgeber der Schallplatte:
„Wir brauchten damals für das Doppelalbum […] eine plakative Front. Unser damaliger Chef Kurt Richter erinnerte sich an solche Verbotsschilder und gab unserem Tatsachensachbearbeiter [sic!] entsprechende Hinweise. Der setzte sich dann mit dem Grafiker Joop Schöningh zusammen. Schöningh entwickelte das Schild mit echter Emaille, es sah wirklich toll aus und jeder wollte es haben.“
Die Weiterverbreitung des falschen Verbotsschildes wurde von Wolfframs Enthüllung jedoch keineswegs gestoppt. Wie Marc Fabian Erdl und Armin Nassauer ausführten fand sich das Foto 1994 in Franz Ritters Buch „Heinrich Himmler und die Liebe zum Swing“ wieder und ist bis heute immer wieder Bestandteil kulturhistorischer Power-Point-Präsentationen. Und weil sich die Botschaft so gut zur Illustration eignete, bat man selbst Zeitzeugen mit dem Schild zu posieren, etwa den Jazz-Musiker Emil Mangelsdorff, der drei Monate lang in Gestapo-Haft war:

Die Bildunterschrift zu diesem Foto lautet: „Heute kann Emil Mangelsdorff über das Schild der NS-‚Reichskulturkammer‘, das er den Schülern in der Ederberglandhalle zeigte, wieder lächeln.“ Vielleicht lächelt Mangelsdorff aber auch, weil er weiß, dass es sich um einen Fake handelt.
Andere gingen noch einen Schritt weiter und fertigten eigene Schilder an, die gegen das vermeintliche Verbotsschild demonstrierten. So entstand die Illustration „Swing tanzen erlaubt“ mit dem nun schon obligaten Hinweis auf das angebliche Verbotsschild, das an „Eingängen vieler Tanzlokale in Deutschland“ gehangen habe:

Es half nichts, dass auch an anderer Stelle darauf hingewiesen wurde, dass es nicht nur die Schilder, sondern auch ein generelles Swing-Tanzverbot “nicht wirklich belegbar“ sind. Tatsächlich habe jeder Gastwirt selbst entscheiden können, was für Tanzmusik in seinem Lokal gespielt werde. Es seien „nur ganz vereinzelte, private ‚Swingtanz‘-Verbote einiger Lokale in Thüringen“ nachweisbar, doch beruhen diese Angaben nur auf mündlichen Berichten.
Zwar wurden Angehörige einer an Swing und afroamerikanischer Kultur orientierten Jugendkultur, die so genannten „Swing-Heinis“ oder „Zazous“ tatsächlich verfolgt. Dies waren jedoch keine Massenphänomene, sondern Ausnahmen, die auf wenige Großstädte beschränkt blieben, vor allem auf Hamburg. Das Swing-Tanzen selbst war nie offiziell verboten worden, allerdings nicht, weil man es für harmlos befand, sondern weil es reichsweit kaum praktiziert wurde. Genau das impliziert aber das gefälschte Schild: Die Notwendigkeit, eine massenhaft Swing-begeisterte deutsche Bevölkerung per Verordnung zu disziplinieren. Hier liegt der Denkfehler, der von gänzlich falschen Prämissen ausgeht.
Genau dies tut auch das ZDF-Drama. Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert kritisierte, die Darstellung des Jahres 1941 im Fernsehspiel „Unsere Mütter, unsere Väter“ gehe an den damaligen Realitäten und Mentalitäten gründlich vorbei: Juden waren längst weitgehend entrechtet und die Mehrheit der Deutschen habe dem NS zu diesem Zeitpunkt keineswegs indifferent gegenüber gestanden, sondern sei davon überzeugt gewesen, “dass es besser wäre, die Juden wären weg. Nicht, dass sie umgebracht werden sollten – aber weg sollten sie sein.” Die Darstellung der Deutschen als Jünger-lesende und Swing-hörende Freunde halblegaler Kultur sei da irreführend.
Jan Süselbeck widmet sich in einem harschen Verriss der Swing-Szene in der ZDF-Produktion: „Auffällig ist, das diese ‚Mütter‘ und ‚Väter‘, die tatsächlich diejenigen der sogenannten. 68er-‚Generation‘ waren, in diesem Film bereits ein überaus sympathisches Prä-Hippietum zu vertreten scheinen: Wie ihre Kinder wollten auch sie eigentlich nur die große Liebe erleben, fröhliche Rauscherfahrungen machen und Swing-Musik hören, wie suggeriert wird. Mit dem Swing schätzten diese Protagonisten gewissermaßen ein Äquivalent zur Rock-Musik der 1960er-Jahre, weil Swing im Nationalsozialismus verboten war, für ein Aufbegehren gegen das Regime, ja für eine offene Form resistenten Verhaltens im Alltag im Nationalsozialismus stand und zu Beginn der Serie auch prompt zu Ärger mit der Gestapo führt. Am Ende des letzten Teils der Serie, kurz nach dem Ende des Kriegs, nähert sich die Kamera noch einmal bedeutungsschwanger einem verwitterten Schriftzug mit dem Wortlaut ‚Swing tanzen verboten‘.“
Dieses Schild ist mittlerweile nicht nur Vestandteil von Film und Foto, sondern auch als dreidimensionales Objekt erhältlich. Findige Hersteller von Fan-Devotionalien ließen Blechschilder prägen, die bis heute zum Kauf angeboten werden. So wurde aus einer Illustration schließlich ein Exponat, das die Authentizität eines Überrests (im Sinne Gustav Droysens) reklamiert. Das „Nostalgie Blechschild Swing tanzen verboten“ kostet bei einem bekannten Online-Versandhandel heute rund 20 Euro und ist dort klassifiziert als „original lizensierte Replik“. Der auf Weltkriegsdevotionalien spezialisierte Händler “Germaniateutonia Militaria” bietet eine Emaille-Version als “NSDAP Türschild” für knapp 40 Euro an.
Ein falsches Schild ist nur ein Mosaiksteinchen, das allein nicht viel wiegen mag. Kommen aber mehrere davon zusammen, so ergibt sich ein Geschichtsbild, das aus Marketing-Ideen und Ex-Post-Deutungen zusammengesetzt geradezu zwangsweise zu völlig falschen Schlüssen kommen muss und ein Bild des nationalsozialistischen Alltags zeichnet, das von falschen Hypothesen und verharmlosenden Ergebnissen verstellt wird. Das Resultat ist dann im Wortsinne: Blech.
1Zit. n. Erdl / Nassauer: Kippfigur. Zur Geschichte der deutshen Jazz-Rezeption und ihrer Mythen von Weimar bis heute, in: Bollenbeck/ La Presti: Traditionsanspruch und Traditionsbruch. Kulturelle Moderne und bildungsbürgerliche Semantik II, Wiesbaden 2002, S. 185 ff.
Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/527