Brandenburg und der Dreißigjährige Krieg: textbook-Splitter

Karin Friedrich, die in Aberdeen lehrende Spezialistin für preußische Geschichte, hat vor einigen Monaten ein textbook zu Brandenburg-Prussia, 1466-1806 vorgelegt. Der in der Reihe “Studies in European History” erschienene knappe und konzise Überblick wird in den kommenden Jahren für Studierende in der englischsprachigen Welt sicher sehr hilfreich sein. Der Erfolg ist dem Buch durchaus zu wünschen, denn eine solche gelungene komprimierte Darstellung des vormodernen Teils der brandenburg-preußischen Geschichte hat ihren Wert, zumal wenn sie ältere Darstellungen in englischer Sprache ablösen kann.

An der Stelle soll es aber gar nicht um das Buch als ganzes gehen, sondern lediglich um die Frage, in welcher Weise der Dreißigjährige Krieg dargestellt wird. Es ist klar, daß diese Phase für die brandenburgische Geschichte kein Ruhmesblatt war, im Gegenteil. Um so großartiger geriet in der borussischen Geschichtsschreibung der Aufstieg der Hohenzollerndynastie, die im Laufe weniger Generationen ihre Herrschaft in den Kreis der europäischen Großmächte einführen konnten. Wie geht die Autorin also mit diesen bekanntermaßen dunklen Jahren Brandenburgs um?

K. Friedrich behandelt den ereignisgeschichtlichen Kontext, wie es in einem solchen Lehrbuch üblich ist, ausgesprochen knapp (79 f.). Bei den dafür aufgewendeten zwei Seiten fällt auf, daß Schwarzenberg zwar als “controversial Catholic minister” erwähnt wird, aber keineswegs wie in der älteren Forschung als der Sündenbock für eine Politik stilisiert wird, die Brandenburg beinahe unter die machtpolitischen Räder andere Potentaten zu bringen drohte. Die präsentere Figur ist aber, wenig verwunderlich, Friedrich Wilhelm, der eine flexiblere politische Ausrichtung verfolgte.

Daß man gewillt war, aus den bitteren Lehren des Kriegs zu lernen, zeigte sich bei der Organisation der Steuererhebung. Hier verweist K. Friedrich auf das Beispiel der Schweden, die 1626 ins Herzogtum Preußen einfielen und dort Kriegskontributionen erhoben (27). Auch hier taucht noch einmal Schwarzenberg auf als derjenige, der als Erster eine am schwedischen Modell angelehnte Steuererhebung zu etablierten suchte und damit wie dann der nachmalige Große Kurfürst eine antiständische Politik verfolgte, um das Steueraufkommen zu erhöhen. Das schwedische Beispiel wird auch zu recht für das Militärwesen betont, besonders war die Aufbringung von Truppen angeht (86, dazu auch schon 31 f.); vielleicht aber ist der Sprung zum Kantonsystem – der Begriff fällt an der Stelle – hier etwas zu weitgehend.

Zum Thema des konfessionellen Dissenses zwischen dem calvinistischen Herrscherhaus und den weitestgehend lutherischen Untertanen verweist die Autorin auf die Ausgleichsbemühungen im Jahr 1631, die allerdings nur unter dem politischen Druck zustande kamen (“At the height of the Catholic threat”, 39) und nicht von Dauer waren. Schließlich wird noch die Entstehung des Pietismus als Reaktion auf die Folgen des Dreißigjährigen Kriegs gesehen (“as response to the traumas of the Thirty Years War”, 98), aber dies ist lediglich ein Stichwort.

So weit – und so wenig. Doch dies ist im Rahmen einer gut 100-seitigen Darstellung auch nicht zu kritisieren. Wichtig erscheint mir festzuhalten, daß der Tonfall nichts Apokalyptisches hat; die schwierigen und krisenhaften Umstände dieser Jahrzehnte werden angesprochen, doch finden sie sich durch die Einbettung auch in größere strukturelle Zusammenhänge gut kontextualisiert.

Quelle: http://dkblog.hypotheses.org/117

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Tagungsankündigung “Körperwissen II: Alter(n) und vergängliche Körper” (Call4Papers bis 01.04.2013)

Im Jahre 2009 hat eine erste gemeinsame Tagung der beiden Sektionen unter dem Titel „Körperwissen“ die möglichen Schnittstellen soziologischen Fragens ausgelotet, die sich in Bezug auf das „Wissen vom Körper“ und das „Wissen des Körpers“ ergeben.[1] Die nun vorgesehene Anschlusstagung … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/4317

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Bodo Mrozek zur Geschichte des „Swing tanzen verboten“-Schilds

Zu der ZDF-Geschichtsschmonzette "Unsere Mütter, unsere Väter" hat Ekkehard Knörer auf dem Cargoblog das wesentlichste gesagt, nun thematisiert Bodo Mrozek auf PopHistory einen weiteren wichtigen Aspekt: Das am Schluss des Fernsehspiels gezeigte Schild "Swing tanzen verboten" hat es zur Zeit des deutschen Faschismus nie gegeben; Mrozek zeichnet minutiös die Geschichte dieses Signets nach, das erst in den 1970er Jahren kreiert wurde.
[via Mareike König/G+]

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/326525983/

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Bodo Mrozek zur Geschichte des "Swing tanzen verboten"-Schilds

Zu der ZDF-Geschichtsschmonzette "Unsere Mütter, unsere Väter" hat Ekkehard Knörer auf dem Cargoblog das wesentlichste gesagt, nun thematisiert Bodo Mrozek auf PopHistory einen weiteren wichtigen Aspekt: Das am Schluss des Fernsehspiels gezeigte Schild "Swing tanzen verboten" hat es zur Zeit des deutschen Faschismus nie gegeben; Mrozek zeichnet minutiös die Geschichte dieses Signets nach, das erst in den 1970er Jahren kreiert wurde.
[via Mareike König/G+]

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/326525983/

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Neue Wege statt der “staubigen Straße der Chronologie” | Entwurf Kernlehrplan Geschichte für die Sek II NRW erschienen

Der neue Kernlehrplan Geschichte für die Sekundarstufe II NRW in der Entwurfsfassung für die Verbändebeteiligung ist seit letzter Woche veröffentlicht. In den Abiturjahrgängen seit 2007 waren in NRW die jährlich neu aufgelegten Vorgaben für das Zentralabitur maßgeblich, die für die beiden Qualifikationsjahrgänge (in G8: Stufe 11 und 12) einen chronologischen, stark auf deutsche Nationalgeschichte verengten Durchlauf durch das 19. und 20. Jahrhundert vorsahen. Die bisherigen Zentralabiturvorgaben standen vielfach in der Kritik, entsprechend hoch sind die Erwartungen an den ersten Kernlehrplan für die Oberstufe. Besonders die Schulbuchverlage scharrten schon mit den Hufen: Wie weitreichend verändert sich das Inhaltsprofil des Geschichtsunterrichts in der Oberstufe im bevölkerungsreichsten Bundesland? Die Antwort heißt: Der neue Kernlehrplan wird den Schulbuchautoren viel Arbeit bescheren, denn es soll sich einiges ändern. Ein kurzer Überblick:

Dem neuen Kernlehrplan liegt dasselbe Kompetenzmodell für alle Gesellschaftswissenschaften wie auch schon beim Kernlehrplan für die Sek I zugrunde (Sach-, Methoden-, Urteils- und Handlungskompetenzen), das unter politikdidaktischer Domäne entstanden und nicht ganz passend zu den geschichtsdidaktischen Kompetenzmodellen ist. Besonders die „Handlungskompetenz“ mit dem Ziel „Prozesse und Ergebnisse historischen Denkens lebensweltlich wirksam werden zu lassen“ (S. 14) scheint in geschichtsdidaktischer Hinsicht nicht ganz unproblematisch. Wie bereits beim KLP Sek I klingt im einführenden Absatz „Aufgaben und Ziele des Faches“ ansonsten stark das FUER-Modell (Waltraud Schreiber u.a.) durch, wenn beispielsweise auf die Operationalisierung historischen Denkens als Rekonstruktion von Vergangenheit und Dekonstruktion von Geschichte Bezug genommen wird (S. 9). Beim Kompetenzbegriff also (mit Blick auf den KLP Sek I) nicht viel Neues.

Ganz anders bei den Inhaltsfeldern: Gemessen an der „staubigen Straße der Chronologie“ (Reinhart Koselleck), die bislang in NRW in Sek I und Sek II gleich zweifach beschritten werden musste, ist die Benennung der sieben neuen Inhaltsfelder (1 bis 3 in der Einführungsphase 10, 4 und 5 in der Qualifikationsphase 11, 6 und 7 in der Qualifikationsphase 12) überaus bemerkenswert:

1 | Erfahrung mit Fremdsein in weltgeschichtlicher Perspektive

2 |  Islamische Welt – christliche Welt: Begegnung zweier Kulturen in Mittelalter und früher Neuzeit

3 |  Die Menschenrechte in historischer Perspektive

4 | Die moderne Industriegesellschaft zwischen Fortschritt und Krise

5 | Die Zeit des Nationalsozialismus – Voraussetzungen, Herrschaftsstrukturen, Nachwirkungen und Deutungen

6| Nationalismus, Nationalstaat und deutsche Identität im 19. und 20. Jahrhundert

7 | Friedensschlüsse und Ordnungen des Friedens in der Moderne

Drei Auffälligkeiten:

  • Mit den neuen Inhaltsfeldern werden hauptsächlich themenorientierte, diachrone (Längsschnitt‑) Zugänge zur Geschichte eröffnet, die viel stärker Zusammenhänge und Beziehungen deutlich machen sollen und können. Beispielsweise reichen die Themen zu Aspekten der Selbst- und Fremdwahrnehmung im Inhaltsfeld 1 von der Antike (Konstruktcharakter der Bezeichnung „Römer“ oder „Germane“) über Mittelalter (christliche Mehrheit, jüdische Minderheit) und frühe Neuzeit (Entdeckungsfahrten) bis zu den Folgen der Arbeitsmigration ins Ruhrgebiet – oder im Inhaltsfeld 7 Friedensschlüsse vom Dreißigjährigen Krieg über die napoleonischen Kriege hin zu beiden Weltkriegen.
  • Die Inhaltsfelder markieren eine deutliche Abkehr der bisherigen Engführung bezogen auf deutsche Geschichte (nur Inhaltsfeld 5 und 6 verfolgen hauptsächlich diesen Fokus) hin auch zu globalgeschichtlichen Aspekten und solchen, die historische Beziehungen zwischen Ländern und Räumen deutlich werden lassen. Insbesondere Themenschwerpunkte wie Fremdsein, Menschrechte und Friedensschlüsse eignen sich für Fremdverstehen, interkulturelles Lernen, Multiperspektivität und das Einbringen von Gegenwartsbezügen. Es wäre wünschenswert, dass die Freiräume, die der Kernlehrplan gibt, tatsächlich dazu genutzt werden, stärker auch gesamteuropäische Perspektiven und zugleich außereuropäische Räume vermehrt einzubeziehen.
  • Mit einem Schwerpunkt auf politikgeschichtliche Aspekte werden dennoch sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte stärker betont als bisher. Eine solche Hinwendung – auch zu Aspekten der Geschichtskultur – spiegelt die Ausdifferenzierung der Geschichtswissenschaft in den vergangenen Jahrzehnten wider und war somit überfällig.

Im hinteren Teil des Kernlehrplans werden einzelne Aspekte der Inhaltsfelder in konkrete Kompetenzanforderungen übersetzt, wobei sich erst in der Anwendung in Unterrichtsplanungen erweisen wird, wie hilfreich diese Vorschläge sind (beim KLP Sek I waren sie es nicht immer). Offen bleibt zunächst auch die (für die bisherige Unterrichtspraxis in der Qualifikationsphase oft wesentliche) Frage, zu welchen inhaltlichen Schwerpunkten in Zukunft Zentralabiturklausuren gestellt werden; dies wird man aber frühestens 2016 sehen. Übrigens werden die Operatoren ersetzt in einer neuen, gebündelten Übersicht „Überprüfungsformen“.

Das Konzept der Inhaltsfelder ist innovativ und die grundsätzliche Frage: themenorientierter oder chronologischer Geschichtsunterricht? wird eindeutig beantwortet. Die Verbändebeteiligung bis Mai 2013 wird zeigen, ob und wie sich der Vorschlag behaupten kann.

 

empfohlene Zitierweise    Pallaske, Christoph (2013): Neue Wege statt der “staubigen Straße der Chronologie” | Entwurf Kernlehrplan Geschichte für die Sek II NRW erschienen. In: Historisch denken | Geschichte machen | Blog von Christoph Pallaske, vom 26.3.2013. Abrufbar unter URL: http://historischdenken.hypotheses.org/1616, vom [Datum des Abrufs].

Quelle: http://historischdenken.hypotheses.org/1616

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Die lesbare Stadt – Zur historischen Gendertopografie Europas am Beispiel von Wien und Paris

Konzepte von Geschlecht strukturieren alle Aspekte des menschlichen Lebens, hier können die Gender Studies auf eine Vielzahl von Forschungsergebnissen verweisen. Doch welche Rolle spielen diese kulturellen Vorstellungen für die Form und Funktion von Städten und deren Teilräume? Diese Frage ist besonders in den historischen Wissenschaften bisher kaum beachtet worden, der Forschungsstand der Geschichtswissenschaften hierzu gleicht einer tabula rasa. So es Ziel des Dissertations-Projektes ‘Gendertopografie’, offen zu legen, wie Geschlechtsidentitäten urbanen Raum strukturieren können und die Topografie europäischer Städte prägen.

Panthéon Paris, Fassade
Der Begriff Gendertopografie meint die Beschreibung und die damit einhergehende Analyse des Raumes und der räumlichen Beziehungen zwischen Orten und Objekten sowie den AkteurInnen unter dem Gesichtspunkt von Gender. Dabei kommt ein relationaler Raumbegriff zur Anwendung, wie er in der Raumsoziologie entwickelt wurde.

Untersucht wird ein Zeitrahmen vom beginnenden 19. Jahrhundert bis zur Zwischenkriegszeit. Der Hauptfokus liegt allerdings auf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg. Aus gedachten ‚offenen Enden‘ der Kernzeit leitet sich der größere Zeitrahmen ab. Diese offenen Enden sind nötig, da viele stadtplanerischen Maßnahmen und Bauvorhaben Langzeitprojekte waren. Auch auf Grund der theoretischen Ausgangsbasis des Projekts (‚hegemoniale Männlichkeit‘) ist es sinnvoll, die Analyse mit dem 19. Jahrhundert zu beginnen, da hier davon ausgegangen wird, das spätestens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein bestimmtes Verständnis der Geschlechter gesamtgesellschaftlich wirksam war. Ausschlaggebender Grund für den Zeitrahmen ist jedoch die Entwicklung der Städte in Europa selbst. Vor allem mit dem 19. Jahrhundert kam es durch Verstädterung und Industrialisierung zu einem enormen Anstieg der Bautätigkeit und von stadtplanerischen Maßnahmen. Das trifft besonders auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zu. Analysiert werde Wien und Paris: Beide waren Metropolen von europäischem Rang, Millionenstädte und Repräsentantinnen einer europäischen Stadtkultur mit einer tief geschichteten Vergangenheit, die, trotz aller Unterschiede, bestens vergleichbar sind. Ihre Funktion als Primatstädte zweier europäischer Großmächte und Innenstädte, die hauptsächlich aus noch intakter Bausubstanz des 19. Jahrhunderts bestehen, sind zwei der wesentlichsten Kriterien der Vergleichbarkeit.

Als Quellen dienen einerseits die urbanen Räume selbst – von Inneneinrichtungen, Außengestaltungen von Gebäuden über Monumente und Plätze bis hin zu ganzen städtischen (Teil-) Räumen, von einzelnen Artefakten und Kunstwerken bis zur Architektur und Stadtplanung. Andererseits werden Quellen berücksichtigt, die Auskunft geben können über das frühere Erscheinungsbild der Stadt und die Beziehung zwischen der Gestalt des Stadtkörpers und kulturellen Praxen: Dokumente zu InitiatorInnen, AuftraggeberInnen, PlanerInnen, ArchitektInnen, KünstlerInnen, anderen Beteiligten und deren Intentionen – sowie Materialien zu den Reaktionen der EinwohnerInnen besonders zu Maßnahmen der Stadtplanung (hauptsächlich Zeitungsartikel). In den Fokus kommen diejenigen Räume, die repräsentativen Zwecken dienten und sich deshalb im Innenstadtbereich befinden.

Eingebettet in eine kulturhistorische Herangehensweise bildet der Ansatz der ‚hegemonialen Männlichkeit‘ den theoretischen Referenzrahmen des Projekts. Dieser Ansatz bietet eine geeignete Ausgangsbasis zur Erklärung jeweils zeitgenössisch vorherrschender Geschlechterkonzepte und stellt in den Gender Studies sowie in steigendem Ausmaß auch in der Geschlechtergeschichte eine der wichtigsten theoretischen Grundlagen dar. Anders als in den Queer Studies, die den Blick gelegentlich auf queere Aneignungen städtischen Raumes richten, geht es im Rahmen des Projektes um hegemoniale Genderkonzepte, die allerdings nicht ohne Marginalisierte gedacht werden können. Untersucht wird der Raum mit den Methoden der Diskursanalyse und Stadtsemiotik. Der Begriff ‚Stadtsemiotik‘ meint ein innovatives semiotisches Verfahren, das es ermöglicht, Raum lesbar zu machen – ausgehend von der Annahme, dass sich soziale und kulturelle Kontexte auch immer in der vom Menschen geschaffenen Umwelt abbilden. Dabei ist ein in weiten Teilen interdisziplinäres Vorgehen unabdingbar. Wissensbestände, Theorien und Methoden aus den Nachbardisziplinen der Geschichtswissenschaften – besonders der Architekturtheorie,  Kunstgeschichte, Stadt- und Raumsoziologie sowie der Europäischen Ethnologie – werden integriert, um wissenschaftliches Neuland zu betreten und eine auffällige Forschungslücke zu schließen.

Quelle: http://19jhdhip.hypotheses.org/886

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An der plakativen Front: Eine Fälschung macht Geschichte

 

Am Ende des derzeit viel diskutierten ZDF-Fernsehspiels „Unsere Mütter, unsere Väter“ gibt es eine bemerkenswerte kleine Szene. Im Jahr 1945 kommen drei von fünf Freunden an den Ort zurück, in der das Drama 270 Fernsehminuten zuvor im Jahr 1941 bei fröhlicher Tanzmusik begann. Mittlerweile haben die Grauen des Krieges sie verändert. Für ein paar lange Sekunden bleibt die Kamera an einem Detail hängen, das verlässlich immer wieder dann auftaucht, wenn es um Kulturpolitik des “Dritten Reiches” gilt. Auf einer Emailletafel steht in roten Fraktur-Lettern:

Screenshot ZDF-Fernsehspiel "Unsere Mütter, unsere Väter"

„Swing tanzen verboten.“ Gezeichnet ist das Schild mit dem Schriftzug „Reichskulturkammer“. Für den Erzählbogen des Fernsehspiels hat diese Einstellung eine Art Brückenfunktion. Denn neben den fünf Hauptrollen spielt populäre Musik eine der wichtigsten Nebenrollen: Am Anfang stand eine ausgelassene Party im Berlin des Jahres 1941. Die fünf deutschen Freunde, einer von ihnen ist Jude, feiern Abschied von der Heimatfront, doch sie werden jäh vom sadistischen Sturmbannführer gestört: Swing tanzen verboten.

Am Ende findet man sich wieder in der Kneipe ein und das verblichene Emaille-Schild erinnert nun daran, wie es einst begann. Nämlich mit einem Musikverbot, ganz nach dem Ausspruch Heinrich Heines: „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.”An dieser Narration wäre im Grunde nichts auszusetzen, doch der Teufel steckt auch hier im Detail: Ein solches Schild hat es im Nationalsozialismus nicht gegeben.  Nun könnte man einwenden, es handele sich doch nur um den Regieeinfall einer auch  sonst fiktiven Geschichte. Doch die kleine Fälschung steht in größeren Zusammenhängen. Um zu sie verstehen muss man ihre Spur genauer nachverfolgen.

An der plakativen Front

Sie führt nach Hamburg, allerdings nicht ins Jahr 1941, sondern in die siebziger Jahre. Damals beschließt eine Schallplattenfirma eine Compilation mit Jazz-Musik der Dreißiger und Vierzigerjahre herauszugeben. Als Marketing-Gag für die leicht angestaubte Musik besinnt man sich darauf, dass die fröhlichen Saxophonklänge vor wenigen Jahrzehnten einmal den Nimbus verbotener Bückware besaßen und beschließt das zu tun, was man in Marketing-Kreisen üblicherweise tut: Man beauftragt einen Grafiker mit der Visualisierung. Das Resultat sieht so aus:

LP-Cover "Swing tanzen verboten"

Dieses Schallplattencover machte eine beachtliche Karriere. Der Grafiker Schöningh hatte seinen Job so gut gemacht, dass man seine Arbeit bald nicht mehr für die Erfindung hielt, die sie war, sondern für einen historischen Quellenfund. Zumal das Detail hervorragend in den von antijüdischen Verordnungen, Propagandaplakaten und Erlässen durchherrschten Alltag des Nationalsozialismus zu passen schien. Als Knud Wolffram 1992 die Ursprünge des vermeintlichen Exponats erkundete, sagte ihm der Herausgeber der Schallplatte:

„Wir brauchten damals für das Doppelalbum […] eine plakative Front. Unser damaliger Chef Kurt Richter erinnerte sich an solche Verbotsschilder und gab unserem Tatsachensachbearbeiter [sic!] entsprechende Hinweise. Der setzte sich dann mit dem Grafiker Joop Schöningh zusammen. Schöningh entwickelte das Schild mit echter Emaille, es sah wirklich toll aus und jeder wollte es haben.“

Die Weiterverbreitung des falschen Verbotsschildes wurde von Wolfframs Enthüllung jedoch keineswegs gestoppt. Wie Marc Fabian Erdl und Armin Nassauer ausführten fand sich das Foto 1994 in Franz Ritters Buch „Heinrich Himmler und die Liebe zum Swing“ wieder und ist bis heute immer wieder Bestandteil kulturhistorischer Power-Point-Präsentationen. Und weil sich die Botschaft so gut zur Illustration eignete, bat man selbst Zeitzeugen mit dem Schild zu posieren, etwa den Jazz-Musiker Emil Mangelsdorff, der drei Monate lang in Gestapo-Haft war:

Die Bildunterschrift zu diesem Foto lautet: „Heute kann Emil Mangelsdorff über das Schild der NS-‚Reichskulturkammer‘, das er den Schülern in der Ederberglandhalle zeigte, wieder lächeln.“ Vielleicht lächelt Mangelsdorff aber auch, weil er weiß, dass es sich um einen Fake handelt.

Andere gingen noch einen Schritt weiter und fertigten eigene Schilder an, die gegen das vermeintliche Verbotsschild demonstrierten. So entstand die Illustration „Swing tanzen erlaubt“ mit dem nun schon obligaten Hinweis auf das angebliche Verbotsschild, das an „Eingängen vieler Tanzlokale in Deutschland“ gehangen habe:

Es half nichts, dass auch an anderer Stelle darauf hingewiesen wurde, dass es nicht nur die Schilder, sondern auch ein generelles Swing-Tanzverbot “nicht wirklich belegbar“ sind. Tatsächlich habe jeder Gastwirt selbst entscheiden können, was für Tanzmusik in seinem Lokal gespielt werde. Es seien „nur ganz vereinzelte, private ‚Swingtanz‘-Verbote einiger Lokale in Thüringen“ nachweisbar, doch beruhen diese Angaben nur auf mündlichen Berichten.

Zwar wurden Angehörige einer an Swing und afroamerikanischer Kultur orientierten Jugendkultur, die so genannten „Swing-Heinis“ oder „Zazous“ tatsächlich verfolgt. Dies waren jedoch keine Massenphänomene, sondern Ausnahmen, die auf wenige Großstädte beschränkt blieben, vor allem auf Hamburg. Das Swing-Tanzen selbst war nie offiziell verboten worden, allerdings nicht, weil man es für harmlos befand, sondern weil es reichsweit kaum praktiziert wurde. Genau das impliziert aber das gefälschte Schild: Die Notwendigkeit, eine massenhaft Swing-begeisterte deutsche Bevölkerung per Verordnung zu disziplinieren. Hier liegt der Denkfehler, der von gänzlich falschen Prämissen ausgeht.

Genau dies tut auch das ZDF-Drama. Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert kritisierte, die Darstellung des Jahres 1941 im Fernsehspiel „Unsere Mütter, unsere Väter“ gehe an den damaligen Realitäten und Mentalitäten gründlich vorbei: Juden waren längst weitgehend entrechtet und die Mehrheit der Deutschen habe dem NS zu diesem Zeitpunkt keineswegs indifferent gegenüber gestanden, sondern sei davon überzeugt gewesen, “dass es besser wäre, die Juden wären weg. Nicht, dass sie umgebracht werden sollten – aber weg sollten sie sein.” Die Darstellung der Deutschen als Jünger-lesende und Swing-hörende Freunde halblegaler Kultur sei da irreführend.

Jan Süselbeck widmet sich in einem harschen Verriss der Swing-Szene in der ZDF-Produktion: „Auffällig ist, das diese ‚Mütter‘ und ‚Väter‘, die tatsächlich diejenigen der sogenannten. 68er-‚Generation‘ waren, in diesem Film bereits ein überaus sympathisches Prä-Hippietum zu vertreten scheinen: Wie ihre Kinder wollten auch sie eigentlich nur die große Liebe erleben, fröhliche Rauscherfahrungen machen und Swing-Musik hören, wie suggeriert wird. Mit dem Swing schätzten diese Protagonisten gewissermaßen ein Äquivalent zur Rock-Musik der 1960er-Jahre, weil Swing im Nationalsozialismus verboten war, für ein Aufbegehren gegen das Regime, ja für eine offene Form resistenten Verhaltens im Alltag im Nationalsozialismus stand und zu Beginn der Serie auch prompt zu Ärger mit der Gestapo führt. Am Ende des letzten Teils der Serie, kurz nach dem Ende des Kriegs, nähert sich die Kamera noch einmal bedeutungsschwanger einem verwitterten Schriftzug mit dem Wortlaut ‚Swing tanzen verboten‘.“

Dieses Schild ist mittlerweile nicht nur Vestandteil von Film und Foto, sondern auch als dreidimensionales Objekt erhältlich. Findige Hersteller von Fan-Devotionalien ließen Blechschilder prägen, die bis heute zum Kauf angeboten werden. So wurde aus einer Illustration schließlich ein Exponat, das die Authentizität eines Überrests (im Sinne Gustav Droysens) reklamiert. Das „Nostalgie Blechschild Swing tanzen verboten“ kostet bei einem bekannten Online-Versandhandel heute rund 20 Euro und ist dort klassifiziert als „original lizensierte Replik“. Der auf Weltkriegsdevotionalien spezialisierte Händler “Germaniateutonia Militaria” bietet eine Emaille-Version als “NSDAP Türschild” für knapp 40 Euro an.

Ein falsches Schild ist nur ein Mosaiksteinchen, das allein nicht viel wiegen mag. Kommen aber mehrere davon zusammen, so ergibt sich ein Geschichtsbild, das aus Marketing-Ideen und Ex-Post-Deutungen zusammengesetzt geradezu zwangsweise zu völlig falschen Schlüssen kommen muss und ein Bild des nationalsozialistischen Alltags zeichnet, das von falschen Hypothesen und verharmlosenden Ergebnissen verstellt wird. Das Resultat ist dann im Wortsinne: Blech.

1Zit. n. Erdl / Nassauer: Kippfigur. Zur Geschichte der deutshen Jazz-Rezeption und ihrer Mythen von Weimar bis heute, in: Bollenbeck/ La Presti: Traditionsanspruch und Traditionsbruch. Kulturelle Moderne und bildungsbürgerliche Semantik II, Wiesbaden 2002, S. 185 ff.

 

 

Quelle: http://pophistory.hypotheses.org/527

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Das Bild in der Kopfzeile: Ausschnitt aus der Nibelungenliedhandschrift C mit dem Wappen des Joseph von Laßberg


Im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts entstand die ehemals in der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek Donaueschingen aufbewahrte berühmte Handschrift C des Nibelungenlieds. 1815 hatte Joseph von Laßberg  (1770-1855) die 1755 n der Bibliothek der Reichsgrafen von Hohenems entdeckte Handschrift in Wien erworben. Mit den anderen Handschriften Laßbergs und seiner Bibliothek gelangte der Codex, den der Sammler wie andere herausragende Stücke mit seinem gemalten Wappen versehen hatte, in die Hofbibliothek Donaueschingen. Im Eigentum der Fürstenberger verblieb das Stück auch, als 1993 der gesamte Donaueschinger Handschriftenbestand an das Land Baden-Württemberg verkauft wurde. Erst seit dem Jahre 2001 befindet sich der Codex als Eigentum der Landesbank Baden-Württemberg und der Bundesrepublik Deutschland in der Badischen Landesbibliothek. Er ist komplett online einsehbar. Unser Ausschnitt stammt aus Blatt 1r.

Mit dem Hinweis auf die Bibliothek Laßbergs erinnern wir an einen der größten Kulturgutfrevel in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Obwohl ein hochrangiges schützenswertes Kulturgut, wurde die Bibliothek zerstückelt und als Geschichtsquelle zerstört. Sie bestand ja nicht nur aus Handschriften, sondern auch aus Druckschriften. Schon 1994 wurden wichtige Teile in alle Winde zerstreut, als der Donaueschinger Inkunabelbestand bei Sotheby’s versteigert wurde. Seit damals engagiere ich mich für den Schutz von Kulturgütern, deren Lobby kaum ausgeprägt ist, für Geschichtsquellen, um deren Erhalt sich die Denkmalämter kaum kümmern. Seit 1999 wurde der kostbare Druckschriftenbestand der Donaueschinger Hofbibliothek (bis auf einen kleinen regionalhistorischen Rest) auf Versteigerungen auseinandergerissen. Bibliotheken wie die Badische Landesbibliothek oder die Thurgauische  Kantonsbibliothek konnten nur kleine Teile der fast geschlossen erhaltenen Bibliothek Laßbergs für die Öffentlichkeit sichern. Seit damals nutze ich das Internet, um auf solche Kulturgut-Skandale aufmerksam zu machen und sie zu dokumentieren.

 

Quelle: http://kulturgut.hypotheses.org/81

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Inhalte über Form transportieren – “Der Duft des Westens”

Huff:Breusing_Titel

Knapp vier Millionen Menschen verließen zwischen 1949 und 1989 als sogenannte “Republikflüchtlinge” die DDR – die Mehrheit aus politisch motivierten Gründen. Im September 1973 flüchtet Reinhold Huff illegal über die Tschechoslowakei in die Bundesrepublik Deutschland. Mark Huff, der Sohn von Reinhold Huff, und Arne Breusing nehmen die Geschichte zum Anlass, um ihre Abschlussarbeit im Fachbereich Kommunikationsdesign (Multimedia) zu drehen. Der 3D-Animationsfilm im Papier-Stil enthält Original-Druckerzeugnisse aus der DDR in Form von Briefen, Zeitungen und Comics.

Auf der 6. Geschichtsmesse in Suhl stellen Marc Huff und Arne Breusing den Film gemeinsam vor. Im Anschluss sprechen die Mediengestalter im MONTAGSRADIO “Vor Ort” mit Miriam Menzel und Kaja Wesner über die Beweggründe des Vaters, ihren eigenen Bezug zur DDR-Geschichte und die künstlerischen Elemente des Films.

 

Der Duft Des Westens from RUFF HUFF on Vimeo.

Und hier noch die Timeline zu dem Gespräch:

01:00 Familiengeschichte – die Flucht des Vaters

04:00 “Geschichte mit Gewicht” für die Abschlussarbeit

05:00 Berührung mit DDR-Geschichte

06:00 Animationsfilm im Papier-Stil

08:30 Geschichte auf der Meta-Ebene

11:30 Medium Film in der Geschichtsvermittlung

12:30 Teilnahme des Vaters am Entstehungsprozess

17:00 MONTAGSRADIO-Fragebogen

Quelle: http://www.montagsradio.de/2013/03/25/inhalte-uber-form-transportieren-der-duft-des-westens/

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