1864 und die Folgen, Teil 3 | 1864 – die vergessenen Brüder und Schwestern

Unter den zahlreichen Gedenktagen, die das Jahr 2014 zu bieten hat, fällt neben dem Beginn des Ersten Weltkrieges auch der 150. Jahrestag des Krieges von 1864 mit seinen Schlachten um Düppel und Alsen. Sind diese Ereignisse in Deutschland heute nahezu vergessen, so nahmen sie in Dänemark noch bis vor wenigen Jahren eine immanent wichtige Stellung in der Erinnerungskultur ein – die Brüder und Schwestern jenseits der neuen Grenze sollten nie vergessen werden, so das allgemeine Credo. Schaut man sich aber den Verlauf des Jahres 2014 bisher an, so liegen die Wertungen heuer an ganz anderer Stelle. Zwar diskutiert man auch heute noch über Deutschland, allerdings liegt das Interesse ganz woanders.

Diese Interessenverschiebung soll an der sogenannten Heuschreckendebatte, die in den letzten Wochen die Schlagzeilen der Zeitungen und das politische Leben beherrscht hat, verdeutlicht werden. Unter Heuschrecken versteht man z.Zt. in Dänemark generell EU-Ausländer, die “wie Heuschrecken über die nationalen, dänischen Sicherungssysteme herfallen”, d.h. Ausländer, die in Dänemark arbeiten, so Brian Mikkelsen von der Konservativen Folkeparti. Nachdem vor einigen Jahren ein Vorstoß, Gehaltszahlungen ins Ausland zu verbieten (dänisches Geld soll in Dänemark ausgegeben werden) im Sande verlaufen war, hatte die Regierung 2010 beschlossen, Ausländer, die weniger als 10 Jahre in Dänemark gelebt haben, vom Bezug des Kindergeldes auszuschließen. Nachdem diese Regelung jetzt vom Europäischen Gerichtshof gekippt wurde, gehen die Wogen hoch her, da 0,6 % aller dänischen Kindergeldausgaben nun an Ausländer gezahlt müssen, ein, da sind sich alle Parteien einig, unerträglicher Zustand.

Was hat diese Debatte mit 1864 zu tun? Nun, diese Debatte dreht sich zwar vordergründig um “Polakken” (das dänische Wort für Polen), trifft aber die dänische Minderheit in Schleswig umso schwerer. Und so war es denn auch ein deutscher Staatsangehöriger, der in Dänemark arbeitet, der zusammen mit der Region Sønderjylland vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt und Recht erhalten hatte. In der aufgeheizten nationalen Stimmung, die in zunehmendem Maße seit circa einem Jahrzehnt die dänische politische Landschaft beherrscht, wird Dänemark als nationale ethnische Einheit verstanden, die es abzuschotten gilt. Unter diesen Vorzeichen ist zum Beispiel der gescheiterte Neubau von Grenzsperranlagen an der deutsch-dänischen Grenze oder die Heuschreckendebatte zu verstehen. Für die Region Schleswig/Sønderjylland [Südjütland] bedeutet dieses, dass die dortige Problematik und die dort erreichten friedlichen Lösungen vollständig aus dem Blickfeld der Kopenhagener Öffentlichkeit entschwunden sind. So besitzen z.B. die Mitglieder der dänischen Minderheit die deutsche Staatsangehörigkeit und wohnen in Deutschland, wodurch man ihnen automatisch das Recht auf Kindergeld und Gehaltstransfer abschreiben wollte, sofern sie ihre Sprachkompetenz nutzen und im Mutterland arbeiten wollten.

Vor diesem Hintergrund haben die Hinweise auf die 1864-Feierlichkeiten ganz andere Voraussetzungen als noch 1964, als noch viele Veteranen des Abstimmungskampfes aus den 1920er Jahren zugegen waren. Wartete man 1964 mit Spannung auf das Eingreifen des Königs, der dann auch wirklich mit seiner Rede in Düppel den Dänen aus der nationalen Seele sprach, steht 2014 ein mediales Großereignis an. Der dänische Rundfunk Danmarks Radio hat sich in der teuersten Produktion in der dänischen Rundfunkgeschichte des Jahres 1864 für 170 Millionen dänische Kronen [~ 22,76 Millionen Euro] angenommen und wird die Ereignisse, eine Erzählung über Unschuld und Liebe – über Ignoranz und politischen Wahnsinn [en fortælling om uskyld og kærlighed – om ignorance og politisk dårskab], so DR selbst, in acht Teilen den Dänen näher bringen. Allerdings ist die Filmatisierung nicht rechtzeitig fertig geworden, so dass anstatt des 18. Aprils (des Jahrestages des Sturmes auf Düppel) nun der September als Ausstrahlungstermin ins Auge gefasst wird.

In dieser Serie, bei der ein Massenaufgebot an Soldaten im Kanonenrauch ihr Leben lassen sollte, geht es vor allem um Reenactment und mediale Aufarbeitung, so wie auch die Fregatte Jylland am 14. März mit einer Kanone eine Breitseite (sic!) der Schlacht von Helgoland 1864 nachgeschossen hat und man in Düppel den Krieg von 1864 hautnah und mit Kostümen nacherleben kann. Die heutigen Dänen sollen mit allen Sinnen die Ereignisse von 1864 nachempfinden, wieviel historisches Verstehen dabei allerdings vermittelt wird, bleibt abzuwarten. Und überhaupt ist 1864 im medialen Zeitalter angekommen: Auf der Seite http://1864.dk erhält man die neuesten News vom Schlachtgeschehen 1864 in Wort und Ton und kann die Ereignisse Tag für Tag verfolgen.

1864 ist bisher von den politischen Seiten der Zeitungen ins Feuilleton abgerutscht, die Besetzungsliste und die Finanzierung des 1864er Filmes war bisher wichtiger, als der eigentliche Inhalt – und in der politischen Debatte haben 1864 und Sønderjylland bisher keinen Platz. Natürlich gibt es auch ernsthafte Versuche, sich dieses Themas anzunehmen. Neben einigen Tagungen und Ausstellungen unterstreicht z.B. der NDR zusammen mit DR Süd das friedliche Nebeneinander von Deutschen und Dänen (150 Jahre nach deutsch-dänischem Krieg: Koproduktion von NDR 1 Welle Nord und Danmarks Radio P4 Syd) womit sie wohl Pionierarbeit auf diesem Gebiet leisten. Bis nach Kopenhagen sind diese Bemühungen aber noch nicht vorgedrungen.

Und auch in der Forschung war es bisher verhältnismäßig still, vor allem, wenn man den Mediensturm betrachtet, den Tom Buk-Swientys beide Bände Schlachtbank Düppel im Jahr 2008 und Dommedag Als [Untergangstag in Alsen] aus dem Jahr 2010 ausgelöst haben. Diese beiden Bände waren zum ersten Mal eine Art Nabelschau des eigenen Verhaltens und haben erstmals an dem den Dänen seit 1900 bis heute unverändert in den Schulen gelehrten Weltbild zweifeln lassen. Für eine Aussage, inwieweit dieses Früchte tragen wird, ist es allerdings noch zu früh. Sollte man ein Fazit in den letzten Märztagen des Jahres 2014, vor dem Höhepunkt der eigentlichen Feierlichkeiten Ende April, ziehen, so liegt 1864 im Moment in sehr weiter Ferne. War 1964 Sønderjylland ein heißes, politisches Eisen und 1864 ein Teil der Gegenwartspolitik, so hat man heute die Dänen im Süden vergessen.

Und auch mit den Symbolen hat man seine Probleme. So kam die Mühle von Düppel, Symbol des Krieges von 1864 und des dänischen Verlustes par excellence, in solche Geldnot, dass die laufenden Renovierungskosten nicht mehr bezahlt werden konnten – und es fanden sich kaum Sponsoren. Dänemark ist im Moment so selbstzentriert, dass alles andere außerhalb der jetzigen Grenzen sehr weit weg zu sein scheint. Deutschland ist im Moment kein großes Feindbild, aber auch kein Zusammenarbeitspartner – Deutsche sind halt Ausländer.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2275

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Interkulturpreis 2014: Geschichtswissenschaften “1914-2014 – Perspektivenwechsel”

Das Goethe-Institut lobt den international ausgeschriebenen Interkulturpreis 2014 für Nachwuchswissenschaftler/-innen der Geschichtswissenschaften aus. Die Verleihung erfolgt im Rahmen des 50. Deutschen Historikertages, der unter dem Motto „Gewinner und Verlierer“ vom 23. bis 26. September 2014 an der Georg-August-Universität Göttingen stattfindet. Bislang wurde die Auszeichnung zur Förderung des interkulturellen Wissenschaftsdialogs in den Fachgebieten Philosophie und Soziologie vergeben.
Mit der Förderung innovativer, junger Historiker/-innen will das Goethe-Institut einen Beitrag zur Wahrnehmung auch der Geschichtswissenschaften als Aktionsfeld der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik leisten.

ESSAY “1914-2014 – Perspektivenwechsel”
Mit dem 100. Jahrestag seines Ausbruchs ist der Erste Weltkrieg ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Stand dieser Krieg in der deutschen Erinnerungskultur lange Zeit im Schatten des Zweiten Weltkriegs, so erfährt er im Gedenkjahr 2014 eine Beachtung, die der in den westeuropäischen Nachbarstaaten Deutschlands annähernd gleichkommt. Die Neubewertung diplomatischer Quellen, aber auch neuere erfahrungsgeschichtliche und erinnerungskulturelle Zugänge haben neue Akzente in der Geschichtsschreibung über den Ersten Weltkrieg gesetzt.
Der für den Interkulturpreis 2014 eingereichte Essay sollte, ausgehend von der aktuellen historischen Forschung, die Reflexion über den Krieg und die Kriegsfolgen mit der Frage nach deren Relevanz für die Gegenwart verbinden. Ist mit der größeren Aufmerksamkeit auch eine Neubewertung des Ersten Weltkriegs verbunden? Entsteht eine gemeinsame europäische Erinnerungskultur zum “Great War”? Dies könnten Fragen sein, die im Essay behandelt werden. Darüber hinaus interessieren auch andere Aspekte, etwa die politischen Folgen des Kriegs für die europäische Staatenordnung in einer langfristigen Perspektive sowie die intellektuellen und ästhetischen Wirkungen dieser Epoche.

TEILNAHMEBEDINGUNGEN
Die Ausschreibung richtet sich an Nachwuchswissenschaftler/-innen der Geschichtswissenschaften, in erster Linie an Post-Docs; aber auch an Doktoranden, Habilitanden und Junior-Professoren ohne Altersbegrenzung. Die Teilnahme am Interkulturpreis-Wettbewerb des Goethe-Instituts ist ausdrücklich nicht auf deutschsprachige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begrenzt.
Voraussetzung ist die Einreichung eines auf Deutsch oder Englisch verfassten Beitrags in Form eines Essays.
Das Goethe-Institut ist grundsätzlich an einer öffentlichen Vermittlung von Wissenschaft interessiert. Neben profunder Entfaltung unter Angabe verwendeter Quellen und der Bezugnahme auf den Stand gegenwärtiger Forschung, ist es daher wünschenswert, dass die Überlegungen in einer persönlichen Auseinandersetzung möglichst ansprechend entwickelt werden. Der Text sollte sich in einer allgemein verständlichen Sprache auch einer interessierten (fachfremden) Öffentlichkeit erschließen.

EINREICHUNG DER TEILNEHMERBEITRÄGE
Die Wettbewerbsbeiträge können bis 01.05.2014 eingereicht werden bei:
Bereich 31 – Wissenschaft und Zeitgeschehen
Goethe-Institut, Zentrale München
Dachauer Str. 122
80637 München
Tel.: +40 89 15921-309
Fax: +49 89 15921-237
Simone.Lenz@goethe.de
Der Beitrag darf maximal 40.000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) umfassen und sollte nach Form und Inhalt international üblichen wissenschaftlichen Standards und Ansprüchen genügen. Einzureichen sind die Beiträge zur Überprüfung der Zeichenzahl in einem Standard-Textverarbeitungsformat (z.B. Word-Dokument) und als PDF-Dokument.
Beizufügen ist ein tabellarischer Lebenslauf (CV) und eine Eigenständigkeitserklärung, aus der hervorgeht, dass der Beitrag selbständig und ausschließlich unter Nutzung separat aufgelisteter Hilfsmittel verfasst wurde.
Beitrag, CV und Selbständigkeitserklärung müssen sowohl in elektronischer Form (vorzugsweise als E-Mail-Anhang) als auch in Papierfassung vorgelegt werden.

JURY
Die Auswahl erfolgt durch eine zu diesem Zweck berufene Jury, der Prof. Schulze-Wessel, Vorsitzender des Historikerverbandes, Prof. Sabrow, Beirat Wissenschaft und Zeitgeschehen des Goethe-Instituts und ein Vertreter des Goethe-Instituts angehören.

PREIS
Der Preis besteht zweckgebunden in einem Publikationskosten- oder Projektförderzuschuss im Gesamtwert von € 2.500,- (in Worten: zweitausendfünfhundert Euro). Das Goethe-Institut wird in der Publikation oder im Projektzusammenhang ausdrücklich erwähnt.
Die Preisverleihung findet im Rahmen des 50. Deutschen im Rahmen des Historikertages an der Georg-August-Universität Göttingen (23.-26.09.2014) statt.

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2014 Intercultural Award: Historical Sciences “1914-2014 – A change in perspective ”
The Goethe-Institut is offering the internationally announced 2014 Intercultural Award for next-generation academic researchers in the historical sciences. The award ceremony will be held as part of the Convention of German Historians (Historikertag) under the heading “Winners and Losers,” from 23 – 26 September 2014 at Georg-August-University Göttingen. To date, the award has been given to promote intercultural scientific and scholarly exchange in the disciplines of philosophy and sociology.
Through the promotion of innovative young historians, the Goethe-Institut seeks to contribute to the perception of the historical sciences as a further area of activity for cultural and educational relations abroad.

ESSAY
1914-2014 – A change in perspective
The First World War has shifted into the centre of public attention with the centennial of its outbreak. Although this war was long overshadowed by the Second World War in German remembrance culture, in the commemorative year 2014 it is now experiencing recognition closely approaching that in Germany’s western European neighbour states. Reevaluation of diplomatic sources, but at the same time more recent access via historical experience and cultural memory, set new trends in historiography on World War I.
Essays submitted for the Intercultural Award 2014 should link reflections on war and its consequences with its relevance for the present by taking into account current historical research. Is a re-assessment of the First World War also associated with the increase in attention? Is a common European remembrance culture on the “Great War” emerging? These are possible questions to be addressed in your essay. In addition, other aspects are also of interest, such as the political consequences of the war for the European community of nations in a long-term perspective as well as the intellectual and aesthetic effects of this epoch.

CONDITIONS OF PARTICIPATION
The announcement is aimed at next-generation academic researchers in the historical sciences, primarily post-docs, but also doctoral and habilitation candidates, and junior professors without age-limit. Participation in the Goethe-Institut’s Intercultural Award competition is expressly not limited to German-language researchers.
Submission of a contribution in German or English in essay format is required.
The Goethe-Institut is fundamentally interested in a public reception and understanding of science and scholarship. In addition to in-depth development with citation of consulted sources and reference to the current state of research, it is therefore desirable to frame your considerations as appealingly as possible in a personal approach. The text should be formulated in a generally comprehensible language accessible to an interested (non-specialist) audience.

SUBMISSION OF CONTRIBUTIONS
Competition contributions can be submitted through 1 May 2014 at:
Department 31 – Science and Current Affairs
Goethe-Institut, Headquarters Munich
Dachauer Str. 122
D-80637 Munich
Tel.: +40 89 15921-309
Fax: +49 89 15921-237
Simone.Lenz@goethe.de
Contributions must not exceed 40,000 characters (including spaces) and in terms of form and content must satisfy internationally accepted scientific standards and expectations. To enable character count, contributions must be submitted in a standard word processing format (for example as a Word document) and as a PDF document.
Please include a personal data sheet (CV) in tabular format and a declaration of authorship stating that your contribution was written independently and exclusively with the use of separately listed resources.
Your contribution, CV and declaration of authorship must be presented in both electronic format (preferably as an e-mail attachment) and as a paper document.

JURY
Selection will be made by a jury chosen for this purpose, consisting of: Prof. Schulze-Wessel, Chairman of the Association of German Historians, Prof. Sabrow, a member of the advisory board of the Goethe-Institut’s Department of Science and Current Affairs and a representative of the Goethe-Institut.

AWARD
The award consists of a grant earmarked for publication costs or project support with a total value of 2,500 € (two thousand five hundred Euros). The Goethe-Institut must be expressly mentioned in your publication or project context.
The award winner will be invited to the award ceremony as part of the Convention of German Historians at Georg-August-University Göttingen (23 – 26 September 2014).

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1508

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1864 und die Folgen, Teil 1 | Dänemark, der Gewinner der Geschichte

Ein Gastbeitrag von Bernd Henningsen. Ganz zweifellos ist das Jahr 1864 ein annus horribilis, ein Schreckens-, auf jeden Fall ein Schicksalsjahr in der deutsch-dänischen Erinnerungskultur – freilich für beide Seiten ganz unterschiedlich konnotiert. Mit dem verlorenen Zweiten Schleswigschen Krieg ist Dänemark definitiv zu einer europäischen Randmacht geworden; wobei das Wort „Macht“ angesichts der verbliebenen (Rest-) Größe ein Widerspruch in sich ist. Allerdings wurde die auto-stereotype Floskel „Dänemark ist ein kleines Land“ bereits vor 1864 benutzt; denn eine periphere Macht und in der Tat ein sehr kleines Land war Dänemark ja de facto bereits seit dem Verlust Norwegens 1814 geworden. Doch fünfzig Jahre haben eine mentale Selbstblockade und eine verherrlichende Sicht auf eine scheinbar gloriose Vergangenheit verhindert, den Verlust auch politisch und kulturell zu verarbeiten. In selbstkritischer Absicht hat beispielweise Søren Kierkegaard (1813–55) seinen Zeitgenossen immer wieder ihre Selbstbezogenheit und ihre Realitätsvergessenheit vorgehalten; er war ja wacher Zeitgenosse der reduzierten Nation, die den wachsenden Verlustschmerz mit parallel wachsendem Nationalismus kompensierte.

Die nach 1864 folgende ökonomische und kulturelle Blüte konnte den neuerlichen Verlustschmerz schwerlich mindern; auch die über Europa hinausreichende (informelle) Machtposition König Christian IX. (1818-1906, auf dem dänischen Thron seit 1863) hat die politische Marginalisierung nicht übertünchen können: Der „Schwiegervater Europas“ (und durch ihn Dänemarks) war durch Verwandtschaftsbeziehungen im monarchischen Netzwerk seiner Zeit zum dynastischen Zentrum der regierenden Häuser geworden, so wurden u.a. ein Sohn König von Griechenland, ein Enkel König von Norwegen, eine Tochter Zarin von Russland, eine andere Königin von England …

Das moderne dänische politische und kulturelle Selbstverständnis – gewöhnlich als „nationale Identität“ etikettiert – hatte und hat unbestritten ihren Nabel im Jahr 1864. Auch für die deutsche Erinnerungskultur war 1864 ein zentrales Datum, es ist aber heute (seit wann eigentlich?) in Vergessenheit geraten, wie so viele Daten deutscher Geschichte vor dem Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur nicht mehr auftauchen: Nur wenigen Deutschen dürfte präsent sein, dass mit „Düppel“ – dem Sieg Preußens und der verheerenden dänischen Niederlange – die Basis für die deutsche Reichsgründung 1871 gelegt wurde; nur wenige dürften mit dem Berliner „Alsen-Viertel“ etwas anfangen können; nicht zu reden von der Erzählung um die Siegessäule, deren drei vergoldete Reihen von Kanonenrohren an die preußischen Siege von Düppel (gegen Dänemark), von Königgrätz 1866 (gegen Österreich) und von Sedan 1870 (gegen Frankreich) zeugen sollten. Vergessen heute ist, wie besoffen die preußische (und deutsche) Nation in den Reichsgründungsjahren und bis zum Ersten Weltkrieg war von dem Sieg über die ungleich schwächeren Dänen. In der Essayistik und den Romanen Theodor Fontanes klingt davon einiges an – wie auf der dänischen Seite bei Holger Drachmann oder Herman Bang die zeitgenössische nationale Vernebelung literarisch geadelt wird (die Beispiele der malenden Kunst sind schlichte politische Agitation, auf beiden Seiten).

1864 hat den schlechten Ruf „der“ Deutschen in Dänemark nicht begründet, ihr Ansehen war bereits davor ziemlich ramponiert; so hat bereits der Vater des dänischen politischen Selbstverständnisses, Nikolai Frederik Severin Grundtvig (1783-1872), heftig gegen die präpotenten Deutschen gewettert. Nein, 1864 lieferte für die Erinnerungskultur die Bestätigung, dass Preußen (und Deutsche) einen schlechten Charakter haben, machtbesessen und rücksichtslos sind – der Zweite Weltkrieg und die Besetzung u.a. Dänemarks 1940 lieferten die Bestätigung eines funktionierenden Stereotyps.

Der doppelte Treppenwitz der Geschichte muss in diesem Zusammenhang aber auch erzählt werden: Zum einen gab es ein wie auch immer beleumundetes „Deutschland“, schon gar „die“ Deutschen um 1864 noch nicht; zum anderen existiert heute von den drei damals kriegführenden Mächten nur noch eine: Dänemark. Österreich-Ungarn, das auf Seiten des Deutschen Bundes gegen Dänemark mit böhmischen Soldaten am Zweiten Schleswigschen Krieg beteiligt war, wurde 1919 in Saint Germain in seiner historischen Gestalt getilgt (und wurde ebenfalls ein Kleinststaat), Preußen verschwand 1947 durch Alliierten Kontrollratsbeschluss aus der Geschichte. Dänemark, der Verlierer von 1864, hat in seiner nationalen Gestalt überlebt und darf sich insofern als der Gewinner der Geschichte betrachten. Ja, Dänemark ging sogar vergrößert aus der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ hervor, ohne an diesem Krieg beteiligt gewesen zu sein; es ereignete sich der historisch ziemlich einmalige Fall, dass ein Nicht-Kriegsteil­nehmer Territorium hinzugewann: Nach einer in Versailles beschlossenen Volksabstimmung wurde 1920 die deutsch-dänische Grenze nach Süden verschoben, Dänemark erhielt Nordschleswig, wurde „wiedervereinigt“.

Und noch über eine Merkwürdigkeit im Zusammenhang mit der Regelkonstruktion von Erinnerungskultur, in diesem Falle auch zur dänischen Geschichte, kann man sich wundern: Am 18. April, dem Gedenktag an die Niederlage von Düppel, dem nachhaltigen Verlustereignis, werden alljährlich in ganz Dänemark die Fahnen auf Vollmast gezogen, es wird also ein Feiertag begangen; am 9. April hingegen werden alljährlich zur Erinnerung an 1940, dem Einmarsch deutscher Truppen 1940 nach Dänemark (und Norwegen) die Fahnen auf Halbmast gesetzt … Sollte es nicht umgekehrt sein?

Dass es 150 Jahre nach der „Schlachtbank Düppel“, also nach dem ersten Akt der deutschen Reichsgründung auf dem Kriegstheater, so gut wie keinen deutschen Erinnerungsnachhall gibt, kann man in bester 68er-Tradition als ein gutes Zeichen wähnen – die kriegerisch-militärische Erinnerungskultur, ja die Selbsterzählung der Nation als aus dem Krieg geboren, spielt heute keine Rolle mehr. Die Nation geriert sich als postnational. Entgegenhalten sollte man dieser Interpretation aber – also der historischen Ignoranz –, dass sie auch als Arroganz des Großen gegenüber dem kleineren Nachbarn gewertet werden kann, dessen Verlusterfahrung ja mindestens einige Generationen beschäftigt hat. Ignoranz steht quer zu Empathie.

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Der Flensburger oder Idstedt-Löwe
Quelle: Wikimedia Commons, CC-BY Soenke Rahn

Das außerordentliche Beispiel für die Empathie-lose deutsche 1864er-Erinnerungskultur ist der Umgang mit dem „Idstedt-Löwen“. Er war 1862 auf dem Flensburger Alten Friedhof zur Erinnerung an den dänischen Sieg von Idstedt 1850 aufgestellt worden; bevor die Preußen 1864 einmarschierten, stürzten aufgebrachte Flensburger ihn, Bismarck ließ ihn als Trophäe nach Berlin bringen und im Zeughaus aufstellen (später in der Kadettenanstalt in Lichterfelde); 1945 wurde er zerlegt und nach Kopenhagen gebracht und im Hof des dortigen Zeughaus-Museums aufgestellt. Das dänische Angebot, ihn wieder nach Flensburg zu verbringen, stieß dort penetrant auf taube Ohren – handelte es sich doch um ein dänisches Siegesmonument! Erst 2010 stimmte der Flensburger Stadtrat einer Wiederaufstellung am angestammten Platz zu – und dort steht er seit 2011 als Manifestation einer gemeinsamen deutsch-dänischen Erinnerungskultur (wie umstritten die Entscheidung auch immer noch ist), „als Zeichen von Freundschaft und Vertrauen zwischen Dänen und Deutschen“, wie es auf einer Tafel heißt. In der Stadt unübersehbar sind Freundschaft und Vertrauen gewachsen, ist doch die Stadt zu einem Handelsmagneten für dänische Grenzreisende geworden, insofern ist das Siegesdenkmal auch eine Reverenz an Handel und Wandel mit dänischen Gästen.

Gedenktafel an der Kopie des Flensburger Löwen am Wannsee, Berlin Quelle: Wikimedia Commons, CC-BY-SA OTFW

Gedenktafel an der Kopie des Flensburger Löwen am Wannsee, Berlin
Quelle: Wikimedia Commons, CC-BY-SA OTFW

Die deutsch-dänische Erinnerungskultur im Grenzgebiet, aber auch darüber hinausreichend, war niemals eine gemeinsame, konnte keine gemeinsame werden. Die vergangenen unsäglichen Löwen-Diskussionen, die seit 1864 währende Sprachlosigkeit, die 1920 und 1940 noch vertieft wurde, belegen die je nationalen Erinnerungs-Unkulturen, in denen vom Gegenüber nur selten etwas wahrgenommen, gar gewusst wurde. Kriegsdenk- und Mahnmale, Erinnerungsmärsche, Museen, ja selbst Forschungsinstitutionen waren den nationalen Erfahrungen und Ereignissen gewidmet, selten nur schien das Bemühen um eine gemeinsam erlittene Geschichte durch. Ganz offensichtlich hat sich diese Empathie-Unwilligkeit in den letzten Jahren geändert. 2014 hätte das Jahr werden können, die Klimaveränderung mit einer symbolischen Geste zu manifestieren – wie es aussieht, werden die dänische Königin und der deutsche Bundespräsident sich aber in Düppel nicht begegnen, sie werden sich auf der deutsch-dänischen „Schlachtbank Düppel“ nicht die Hände geben. Das gemeinsame Erinnern an den Beginn des Zweiten Deutschen Reiches, das zugleich das Erinnern an die schwerste Demütigung Dänemarks in neuerer Zeit darstellt, wird wohl aus irgendwelchen Terminnöten keine gemeinsame symbolische Erhöhung erfahren. Wie froh können wir sein, dass es nur Terminnöte sind …

Was lernen wir aus der Erzählung von der Erinnerungskultur? Im Grunde wesentlich nur, dass sie aus welchen Interessen auch immer eine konstruierte ist. Der Optimist wird sagen, wir verarbeiten unsere geschichtliche Erfahrung, um heute und morgen mit unseren Nachbarn friedlich zusammenzuleben, insofern waren die Opfer von damals der Preis für den Frieden von heute. Der Pessimist wird sagen, dass das erinnert und kultiviert wird, was in der je historischen und politischen Situation gerade das Opportune, das politisch und wirtschaftlich Nützliche. Aus diesen zwei Perspektiven heraus können wir uns dann entscheiden, ob die Erinnerungskultur die Hure des Zeitgeistes ist oder die konstruierte List der Vernunft.

Bernd Henningsen (* 1945) war bis 2010 Professor für Skandinavistik/Kulturwissenschaft sowie Kultur und Politik Nordeuropas und der Ostseeregion am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Er hat u.a. zur skandinavischen Ideengeschichte, politischen Kultur Nordeuropas sowie den deutsch-nordischen Geistesbeziehungen geforscht.

Anmerkung der Redaktion: Eine kürzere Fassung dieses Beitrags erschien jüngst in Ausgabe Nr. 101 von Kennzeichen DK, herausgegeben von der dänischen Botschaft in Berlin.

Seit 14. März ist zudem die Ausstellung Feindschaft & Versöhnung. Das deutsch-dänische Grenzland 1864–2014 in den Nordischen Botschaften in Berlin zu sehen.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2207

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Max meets LISA spezial: Der Erste Weltkrieg. Jenseits von Politik- und Diplomatiegeschichte

Die neueste Ausgabe der Gesprächesreihe ‘Max meets LISA’, die die Gerda Henkel Stiftung und die Max Weber Stiftung gemeinsam durchführen, beschäftigt sich mit dem Thema “Erster Weltkrieg. Jenseits von Politik- und Diplomatiegeschichte”. Isabel V. Hull und Ernst Piper  analysieren hier die große öffentliche Resonanz des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg und vergleichen die Erinnerungskulturen in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Sie sprechen über den Erfolg aktueller Publikationen und blicken voraus auf die Bücher, die in diesem Jahr noch zu erwarten sind: Welche Themen werden sie in den Blick nehmen? Was muss gesagt werden, was noch nicht gesagt worden ist?

Max meets Lisa spezial: Erster Weltkrieg. Jenseits von Politik- und Diplomatiegeschichte from maxweberstiftung on Vimeo.

Isabel V. Hull ist John Stambaugh Professor of History am Department für Geschichte der Cornell University in Ithaca, USA. Ihre Forschungsinteressen liegen in der deutschen Geschichte seit dem 18. Jahrhundert. Internationales Aufsehen erregte ihr im Jahr 2004 erschienenes Buch „Absolute Destruction: Military Culture and the Practices of War in Imperial Germany“. 2013 wurde Isabell Hull mit dem Internationalen Forschungsförderpreis der Max Weber Stiftung beim Historischen Kolleg ausgezeichnet.

Ernst Piper ist seit 2006 Privatdozent für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen u. a. die Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs, die Geschichte des Nationalsozialismus und die Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur nach 1945. In seiner 2013 vorgelegten Monographie „Nacht über Europa“ schildert er den Ersten Weltkrieg aus kulturhistorischer Perspektive. Ernst Piper lebt als Literaturagent in Berlin.

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1486

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Frankreich im centenaire 2014: 100 Jahre Erster Weltkrieg

 

Der 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs wirft seine Schatten voraus. Das gilt selbstverständlich nicht nur für Frankreich. Auch in Deutschland bereitet sich eine Interessenkoalition der „üblichen Verdächtigen“, bestehend aus Museen, Medien und Wissenschaft mit Ausstellungen, Fernseh-Dokus, Tagungen, Publikationen etc. auf den großen Moment vor, dem die Logik eines runden Jahrestages in der Aufmerksamkeitsökonomie der Öffentlichkeit einen besonderen Platz verschafft.

Doch in nur wenigen Ländern sind die Jahre 1914–1918 so im kollektiven Bewusstsein verankert wie in Frankreich, wo der Erste Weltkrieg nicht einfach nur histoire, sondern viel stärker noch mémoire ist und damit eine diskursive Sinnressource darstellt, die für Gegenwart und Zukunft gleichermaßen Orientierung gibt.

Verschiedene Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich der Erste Weltkrieg in den letzten 30 Jahren geradezu zum Ursprungsmythos des modernen Frankreich entwickelt hat: Im Kontext des alle westlichen Länder betreffenden memory booms, in dessen Folge „Erinnerung“ – mit den Worten Martin Sabrows – die „Pathosformel der Gegenwart“ geworden ist, entstand vor allem, wenngleich keinesfalls nur in den dreizehn vom Krieg betroffenen départements im Nordosten des Landes, ein regelrechter „activisme 14–18“ (Nicolas Offenstadt), der sich aus ganz unterschiedlichen Motivationen heraus dem Erhalt der Spuren des Krieges verschrieb. Ebenfalls eine Rolle spielte das ansteigende Interesse an der Familiengeschichte (Genealogie-Forschung), die den Ersten Weltkrieg mit seinen in Frankreich signifikant höheren Opferzahlen als stärkeren Einschnitt erscheinen ließ als die Jahre 1939–1945. Parallel dazu schwächte sich durch die sich durchsetzende kritischere Sicht auf das Verhalten der Franzosen in den Jahren des Zweiten Weltkriegs die Bindekraft des résistance als französische Master-Erzählung ab.

Demgegenüber zeichnet sich das Erste-Weltkriegs-Gedenken durch eine weitgehende Anschlussfähigkeit aus. Das gilt einerseits für tendenziell eher linke Diskurse, die z. B. um die fusillés pour l’exemple, d. h. die von der Militärjustiz während des Krieges hingerichteten französischen Soldaten, kreisen und auf einer allgemeinen Ebene die vollkommene Unterwerfung des Individuums unter den totalen Staat der Kriegsjahre beklagen. Ebenso lassen sich andererseits eher rechte Deutungen integrieren, welche die cohésion nationale der Kriegsjahre, also den solidarischen Zusammenhalt der Nation in den langen Jahren des Kriegs grundsätzlich positiv bewerten. Unabhängig von diesen Differenzen lässt sich aber festhalten, dass eine opferzentrierte Sicht bei weitem dominiert. Der Krieg gilt als nationale und europäische Katastrophe und nicht das Ende, d. h. der Sieg, steht im Vordergrund, sondern das Gedenken an seine Schrecken, stets verbunden mit einem emotionalen Plädoyer für Frieden und Völkerverständigung und – auf der politischen Ebene – einem klaren Bekenntnis zur europäischen Integration.

Der centenaire ist also wichtig, er ist nicht einfach nur ein runder Jahrestag wie in Deutschland, er ist ein Schlüsselmoment, an dem sich lokale, regionale wie auch nationale Identitäten kristallisieren. Ein Moment der Selbstreflexion, an dem die großen Fragen gestellt (und idealerweise beantwortet) werden, was es eigentlich heißt, citoyen in Frankreich und Franzose in Europa zu sein. Der häufige Vergleich des centenaire 2014 mit dem bicentenaire der Französischen Revolution von 1989 illustriert jedenfalls eindringlich den zentralen Stellenwert des Ersten Weltkriegs in der politischen Kultur im Frankreich der Gegenwart.

Es überrascht daher nicht, dass die französischen Planungen für das kommende Jahr schon seit einiger Zeit auf Hochtouren laufen. Bereits im März 2011 gab Präsident Nicolas Sarkozy den Auftrag, mit den Programmüberlegungen zu beginnen, und ein daraufhin entstandener, nach seinem Verfasser Joseph Zimet benannter Bericht definierte im September des gleichen Jahres die großen Linien der Gedenkfeierlichkeiten. Im „Rapport Zimet“ werden die folgenden Weichenstellungen vorgenommen: Zum einen erfolgt eine grundsätzliche Einteilung der Gedenkfeierlichkeiten in verschiedene Phasen. Während im Jahr 2014 der (Zentral-)Staat die Federführung übernimmt, sollen in den ja ebenfalls mit zahlreichen centenaires gesättigten Jahren 2015–2017 collectivités territoriales (régions, départements) und Zivilgesellschaft die Initiative übernehmen, um z. B. der symbolisch wichtigen Schlachten von Verdun, der Somme und dem Chemin des Dames zu gedenken. Zum Ende des Gedenkzyklus, 2018/2019, soll dann Paris wieder das Heft in die Hand nehmen, wobei es für diese Phase noch keine konkreteren Vorstellungen gibt. Diese Arbeitsteilung ist sicher auch vor dem Hintergrund einer angespannten Kassenlage zu verstehen. In erster Linie spiegelt sie aber die Tatsache wider, dass der centenaire keinesfalls eine von oben verordnete Angelegenheit ist, sondern dass es ganz im Gegenteil auf der lokalen wie regionalen Ebene eine Vielzahl von Initiativen und Projekten gibt, die in der Summe das Engagement des Zentralstaats bei weitem überschreiten.

Zum anderen setzt der Rapport Zimet sehr stark auf die Internationalisierung des Gedenkens im Allgemeinen und auf einen deutsch-französischen Schwerpunkt im Besonderen. So wird ein „solider erinnerungskultureller deutsch-französischer Sockel“ geradezu zur Voraussetzung des Gelingens des centenaire stilisiert – ein angesichts des vollkommenen Fehlens eines öffentlichen Weltkriegs-Gedenkens in Deutschland wohl nicht unproblematisches Postulat, das gleichwohl die hohe symbolpolitische Bedeutung des Kriegsgedenkens verdeutlicht: Vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise stellt der centenaire  aus französischer Sicht eine hervorragende Gelegenheit dar, die Solidität und Dynamik der deutsch-französischen Beziehungen in Szene zu setzen.

Gedenkstätte auf dem Militärfriedhof Notre- Dame-de-Lorette in Ablain-Saint-Nazaire.Gedenkstätte auf dem Militärfriedhof Notre-Dame-de-Lorette in Ablain-Saint-Nazaire.

Zur operativen Umsetzung dieser Überlegungen wurde im April 2012 mit der Mission du centenaire de la Première Guerre mondiale 1914–2014 eine interministerielle Struktur ins Leben gerufen, die den Auftrag hat, die verschiedenen pädagogischen, kulturellen, wissenschaftlichen und im engeren Sinne gedenkpolitischen Aktivitäten zu koordinieren und in Abstimmung mit dem Élysée die großen Gedenkveranstaltungen des Jahres 2014 zu organisieren. Aktuell sieht das Programm, das Anfang November 2013 vom Staatspräsidenten offiziell verkündet werden wird, vier Großveranstaltungen auf französischem Boden vor: Einen 14-Juillet im Zeichen des Ersten Weltkriegs, dezentrale Gedenkfeierlichkeiten zur  Mobilmachung vom 1.–3. August, eine eher klassisch, d. h. militärisch gefasste Veranstaltung zum Gedenken an die Marne-Schlacht (12. September) und als Höhepunkt den 11-Novembre, mit der Einweihung eines großen Denkmals in Notre-Dame-de-Lorette (siehe Bild), das die Namen der im Nord-Pas-de-Calais gefallenen Soldaten aller Nationen, soweit sie bekannt sind, alphabetisch auflistet. Darüber hinaus ist die Mission du centenaire eine der treibenden Kräfte hinter dem europäischen Projekt „Sarajevo, coeur de l’Europe“, das um den Jahrestag des Attentats von Sarajevo im Juni vor Ort ein umfangreiches Kulturprogramm vorsieht.

Dies ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Allein für 2014 haben 900 Einzelprojekte (Tagungen, Konzerte, Ausstellungen etc.) das offizielle Label der Mission, eine Art Gütesiegel, erhalten und es ist zu erwarten, dass sich diese Zahl in weiteren Labellisierungs-Runden noch deutlich erhöht. Schließlich sind so manche für 2016 bzw. 2017 geplante Projekte noch nicht in die konkrete Planungsphase eingetreten.

Für das Deutsche Historische Institut (DHI) Paris ist die hohe Intensität des centenaire eine spannende Herausforderung und eine willkommene Gelegenheit, seine Expertise als zentraler deutschfranzösischer Mittler im Bereich der Geisteswissenschaften einzubringen. Dabei ist klar, dass trotz der kultur- oder gedenkpolitischen Relevanz des Themas eine ausschließlich wissenschaftliche Agenda verfolgt wird. Seit gut zwei Jahren gibt es einen Forschungsschwerpunkt zum Ersten Weltkrieg und das Institut ist hervorragend in die französische wie internationale Forschungslandschaft integriert. Die Tatsache, dass das DHI Paris u. a. im Wissenschaftlichen Beirat der Mission du centenaire, des Mémorial de Notre-Dame-de-Lorette und im comité directeur des Centre de recherche de l’Historial de la Grande Guerre Péronne vertreten ist, spricht eine deutliche Sprache. Im kommenden Jahr wird es neben einer Reihe von kleineren Veranstaltungen fünf große Tagungen geben, an denen sich das DHI Paris federführend oder als Partner beteiligt. Genannt seien hier lediglich eine in Zusammenarbeit mit den Universitäten Paris-Est Créteil und Marne-la-Vallée organisierte Tagung zum Thema „Les défenseurs de la paix 1898–1917“ und eine einwöchige Sommeruniversität, die gemeinsam mit dem Centre de recherche de l’Historial de la Grande Guerre, der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) und den Universitäten von Amiens und Clermont-Ferrand durchgeführt wird. Darüber hinaus arbeitet das Institut zusammen mit der Mission du centenaire an einer Sammlung besonders aussagekräftiger deutscher und französischer Quellen zum Ersten Weltkrieg, die von jeweils einem deutschen und französischen Historiker kommentiert und kontextualisiert werden und die auf der Webseite der Mission (centenaire.org) einem interessierten Publikum den Mehrwert einer deutsch-französischen histoire croisée demonstrieren.

 

 

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1437

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Geschichtsdarstellung im Internet: Nordeuropa und der Zweite Weltkrieg

Auf dem studentischen Wissenschaftsblog Eisbrecher ist neue Aktivität zu vermerken. Im Rahmen eines von mir unterrichteten Kurses Erinnerungskultur 2.0 – Nordeuropa und der Zweite Weltkrieg im Internet haben sich Studierende im Laufe des Wintersemesters mit Geschichtsdarstellungen im Netz beschäftigt.

Icebreaker von Flickr

Flickr Commons
Tyne & Wear Archives & Museums

Nun ist die Auseinandersetzung so weit gediehen, dass sie sich in publizistischer Form niederschlägt: Auf dem Eisbrecherblog analysieren die Studierenden ausgewählte Internetseiten, die sich mit bestimmten Facetten der Geschichte Nordeuropas im Zweiten Weltkrieg beschäftigen. Da geht es z.B. um das finnisch-deutsche Verhältnis während des Krieges, das Schicksal der norwegischen Kriegskinder (die Beziehungen norwegischer Frauen mit deutschen Soldaten entstammten) und um die Zeit der deutschen Besatzung Norwegens. Zunächst stand die Erarbeitung des wichtigsten historischen Hintergrundwissens an. Zudem war eine der wichtigsten Aufgaben und auch ein Bedürfnis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, nach passenden Analysekategorien für die Untersuchung von Internetseiten zu suchen. Reicht da die klassische geschichtswissenschaftliche Quellenkritik aus oder wieviel medienwissenschaftliche / -theoretische Fundierung muss noch her? Eine (unsortierte) erste Sammlung von Gedanken hierzu sah folgendermaßen aus:

  • äußere Gestaltung
  • Aufbau
  • sprachliche Gestaltung
  • sachliche Darstelllung, nicht polemisierend
  • MedieneinsatzAktualität (Seite an sich, Links)institutionelle Anbindung
    • Bilder
    • Archivmaterialien
    • Herkunft?
    • verlinkt oder Google-Suchergebnisse?
  • Verfasser oder Herausgeber erkennbar, mit Namen benannt?
  • offensichtliche Auslassungen oder Ergänzungen
  • Adressat / Zielgruppe erkennbar?
  • Umfang – eher Überblick oder detaillierte Teildarstellung?
  • interaktive Elemente vorhanden, um Userbeteiligung zu ermöglichen (z.B. Kommentarfunktion)
  • Werbung auf der Seite (verweist gegebenenfalls auf Zielgruppe)?
  • kostenpflichtige Inhalte vorhanden?
  • Verweis auf wissenschaftliche Literatur
  • wird mit Fußnoten oder anderen Verweisen gearbeitet?
  • wie “schön” ist die Seite gestaltet? — problematisch: Schlichtheit könnte wegen Konzentration auf den Inhalt entstehen
  • Statistiken, falls zugänglich: wie stark ist die Seite nachgefragt? hoher Traffic?
  • Navigation zuverlässig und logisch?
  • Qualität der Abbildungen

Nachdem die Studierenden ihre Teilgebiete für die Arbeit in Kleingruppen gefunden hatten, musste eine passende Umsetzungsform gefunden werden. Letztlich fiel die Entscheidung dann für das Blogformat, mit dem fast alle nun erste Erfahrungen sammeln. Schließlich wurde gemeinsam ein Analyseleitfaden erarbeitet, an den man sich zwar nicht sklavisch halten muss, der aber einen gewissen Rahmen anbietet und der die wichtigsten Analyseobjekte benennt:

  1. Technische bzw. “bibliographische” Angaben zur Seite
  2. Aufbau und Struktur – Eindruck der Startseite, Inhaltsverzeichnis vorhanden?, Fließtext oder Stichpunkte?, Zusammenfassung vorhanden?, Zwischenüberschriften, Einzelbeitrag oder Portal?, angebunden oder ausgelagert
  3. Inhalte – Absichten und Anspruch, welche Informationen, theoretisch fundiert, Genre (Augenzeugenbericht oder wissenschaftliche Auseinandersetzung), Quellenangaben, wie groß- oder kleinformatig ist die Themenwahl, offensichtliche Auslassung oder Ergänzung bemerkbar, Adressaten
  4. Gestaltung – Bilder (unterschriften), Navigation, Layout, Verlinkungen, Schriftart, Umfang, Sprache, Werbung vorhanden, Medieneinsatz, Logos von Institutionen?
  5. Fazit – keine reine Zusammenfassung, sondern eine wertende und nochmals gewichtende Kritik – Glaubwürdigkeit (als Gesamteindruck)

Die Schreibarbeit wird auch nach dem Ende der Vorlesungszeit weitergehen. Wer also an den Themen Interesse findet,  kann per Mail-Follow-Funktion oder RSS-Feed dranbleiben.

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2137

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Jubiläen in Skandinavien: Samische Perspektive

Obwohl wir in den letzten Monaten bereits zahlreiche Beiträge, Datenbanken und Projekte, welche die beschriebenen Jubiläen aufgreifen, gesammelt haben, finden wir augenblicklich immer wieder neue Webressourcen, die das Thema aus anderen Perspektiven beleuchten.

Die Seite bei NRK, die den samischen Blickwinkel auf die Jubiläumsfeiern in Norwegen zusammenfasst, möchten wir an dieser Stelle wegen seiner Brisanz in der derzeitigen norwegischen Diskussion sofort vorstellen. Alle anderen “Nachzügler”, die uns noch begegnen, werden wir dann in die jeweiligen monatlichen Fundstücke des laufenden Jahres integrieren, ohne sie gesondert in der Überschrift zu erwähnen.

 

Quelle: http://nordichistoryblog.hypotheses.org/2128

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