Ist das Wissenschaft oder kann das weg?

Erkenntnishorizonte: Zu Fragen der Wissenschaftstheorie im digitalen Zeitalter.(1)

Abstract: This German long-form essay poses the question whether the Digital Humanities can be considered an academic discipline in their own right. It focuses on hermeneutical issues. Due to the epistemological nature of the debate and the significant differences not only among the disciplines but the concepts surrounding those systems in differing languages, the exact same essay could not have been written in English. This, unfortunately, limits accessiblity but might also be telling of some of the difficulties involved.

Man pflegt heute häufig von »voraussetzungsloser« Wissenschaft zu sprechen. Gibt es das? Es kommt darauf an, was man darunter versteht. Vorausgesetzt ist bei jeder wissenschaftlichen Arbeit immer die Geltung der Regeln der Logik und Methodik: dieser allgemeinen Grundlagen unserer Orientierung in der Welt.

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Quelle: https://parergon.hypotheses.org/386

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Der Hamburger Hafen: Kaffee und Kolonialismus

Hamburgs Geschichte ist bis heute eng mit dem Hafen und den dort gehandelten Waren verbunden. Neben Tabak und Kakao war Kaffee ein Importschlager des Kaiserreichs. Abgesehen von seiner stimulierenden Wirkung, war es vor allem die exotische Bewerbung, wegen der sich der Kaffee großer Beliebtheit erfreute. – von Benet Dörr

Der Weltmarkt für Kaffee entwickelte sich durch die aufkommende Nachfrage im 18. Jahrhundert. Erstmals entdeckten Fernhändler in Asien den Kaffee und brachten ihn Mitte des 17. Jahrhunderts nach Europa. Schon bald wurde Kaffee eine luxuriöse Alternative zu Wein an den Höfen Europas.

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Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=3296

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„Lass dich doch mal ein bisschen schlagen, sonst wirst du verwelken!”

Slowakisches Osterbrauchtum als Ausdruck tradierter sexistischer Praxen. Der folgende Beitrag soll einen Einblick in meine persönlichen Erfahrungen mit einem „traditionellen“ Brauch geben, den ich als kleines Kind einmal im Jahr, am Ostermontag erlebt habe….

Quelle: http://frask.hypotheses.org/103

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Ohlsdorf: Ein Friedhof in bewegten Zeiten

Friedhöfe sind nicht nur Orte der Trauer und der Verstorbenen. Es sind lebendige Räume. Sie geben Einblick in eine Gesellschaft und ihren Umgang mit dem Tod. Der großflächige Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf wurde als englischer Landschaftsgarten angelegt. Er wurde zum Vorbild für viele weitere städtische Begräbnisplätze. Welche Geschichte erzählt dieser Parkfriedhof?

Von Norbert Fischer

Die Geschichte des Hamburger Parkfriedhofs Ohlsdorf, der in der Kaiserreichzeit entstand, spiegelt die spannungsreiche Geschichte von Tod und Bestattungskultur. Die Veränderungen, welche Ende des 19. Jahrhunderts die Gesellschaft auf sozialer, wirtschaftlicher, technischer und politischer Ebene ergriffen, offenbaren sich in der Bestattungskultur. Der Hamburger Landschaftsfriedhof Ohlsdorf entstand 1877, in einem Zeitraum großer Umgestaltungen und Umbrüche in der Industrie, in den Städten, in der Wissenschaft und der Technik. Wie kein anderer Großfriedhof in Deutschland repräsentierte Ohlsdorf dabei die Sehnsucht nach einem möglichst naturnah gestalteten Raum. Der Friedhof bot einen gesellschaftlichen Fluchtpunkt gegenüber den neuartigen, auch in Hamburg immer massiver den Alltag prägenden großstädtisch-industriellen Lebenswelten. Die Gestaltung des Ohlsdorfer Friedhofs als landschaftliches Gesamtkunstwerk verweist direkt auf die gesellschaftlichen Verwerfungen einer alle Lebensbereiche umfassenden Umbruchsphase. Wie wirkte sich diese Angst vor Neuem auf die Friedhofsgestaltung aus und welche Aufgaben musste ein moderne Friedhof in dieser Zeit erfüllen?

Geschichte des Parkfriedhofs Ohlsdorf

Der im Norden der Hansestadt angelegte Friedhof erhielt in den 1880er Jahren als einer der ersten Großfriedhöfe Deutschlands den prägenden Stil des englischen Landschaftsgartens und wurde zu einem national und international weithin beachteten Vorbild. Früher als in Deutschland hatte sich die Tendenz zum landschaftlich gestalteten Friedhof jedoch in anderen Ländern gezeigt. In Frankreich wurde der 1804 eröffnete neue Pariser Ostfriedhof – besser bekannt unter dem Namen Père Lachaise – als malerischer Landschaftsgarten eingerichtet. Später wurden vor allem im angloamerikanischen Raum etliche landschaftliche Friedhöfe, sogenannte „rural cemeteries“ angelegt: beispielsweise Mount Auburn in Cambridge/ Massachusetts (1831), Laurel Hill Cemetery in Philadelphia (1836), Greenwood Cemetery in Brooklyn/ New York (1838) und Little Ilford in London (1856). In Deutschland waren es in den 1860er und 1870er Jahren der Alte Friedhof in Schwerin, der Kieler Südfriedhof und die Friedhöfe Riensberg und Walle in Bremen, die landschaftsnah gestaltet wurden.1 Hier fand die Verwandlung einer Friedhofsästhetik ihren Höhepunkt, deren Traditionslinien ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichen. Auch der englische Landschaftsgarten des 18. Jahrhunderts übte starken Einfluss auf diese Art der Friedhofsgestaltung aus.2

Ein landschaftliches Gesamtkunstwerk

Im Jahre 1877 wurde der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg eröffnet. Der Architekt und spätere Friedhofsdirektor Wilhelm Cordes orientierte sich bei der Friedhofsgestaltung an diesem englischen Stil. Dieser zeichnete sich durch eine naturnahe Landschaftsgestaltung mit wenigen Blühpflanzen und sich durch die Landschaft schlängelnde Wege und Flüsse aus. Man orientierte sich an Landschaftsgemälden, sodass die Parks zu Kunstwerken wurden. Betrachtet man unter dieser Aussage den Ohlsdorfer Friedhof genauer, erscheint er ebenfalls als ein landschaftlich gezeichnetes Gesamtkunstwerk. Anregungen für diese Art der Landschaftsgestaltungen kamen aus England und der Kunst. Ein berühmtes Beispiel ist das zur gleichen Zeit entstandene populäre Gemälde „Toteninsel“ von Arnold Böcklin, welches ebenfalls als „Landschafts – Denkmal“ konzipiert worden war.3 Es zeigt eine aus dem Meer ragende Felsinsel, in deren Nischen Grabkammern eingelassen wurden. Ein Kahn mit einer weißverhüllten Gestalt, einem ebenfalls weißen Sarg und einem Ruderer steuern die mit Zypressen bewachsene Insel an.

Ein Friedhof zwischen Natur, Kultur und Technik

In der Kaiserreichzeit lag der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg zehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Diese Begräbnisstätten waren zu Fuß nicht mehr zu erreichen. So wurden die außerstädtischen Großfriedhöfe teilweise mit Bahnstrecken an die Stadt angebunden. Neben Ohlsdorf erhielt z.B. auch der 1909 eröffnete Stahnsdorfer Friedhof in Berlin eine eigene Bahnanbindung. Die Anlange von Großfriedhöfen weit außerhalb der Städte veränderte die Grundvoraussetzungen an Friedhöfe und wirkte sich auf die Bestattungskultur aus. Der neue Begräbnisplatz wurde am Rande der Stadt auf einem freien Feld angelegt. Diese Lage war typisch für jene Großfriedhöfe, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, weil die Städte durch das industrielle Wachstum in dieser Zeit rasch wuchsen. Durch seine wie gemalte Natur – und Landschaftskulisse, die den Tod in die Pracht der Bäume und Sträucher, Hügel, Bäche und Teiche geradezu einbettete, wurde der Friedhof zu einem sonntäglichen Ausflugsziel der großstädtischen Bevölkerung. Dazu hieß es in einer Illustrierten von 1906: “Nie wird man müde, den Sinn zu bewundern, der hier schaffend gewaltet. Der die Brücken schlug von Natur zu Kunst, von Kunst zu Natur. Zu höherer Einheit ist beides hier verbunden. Man wandelt wie in einer anderen Welt, wo die Gegensätze sich aufheben.“4 An diesem überschwänglichen Lob wird deutlich, wie der Friedhof Natur, Kultur und Technik zu einem harmonischen Arrangement verband.

Begünstigt wurde der landschaftsgestalterische Entwurf nach dem Vorbild der englischen Landschaftsgärten durch die lokalen topographischen Gegebenheiten. Das vorhandene, leicht hügelige Terrain forderte geschwungene Wege geradezu heraus, wollte man die notwendigen Erdarbeiten möglichst gering halten. Die später landschaftlich so reizvollen Teiche waren Ergebnis der technisch notwendigen Drainagearbeiten. Der Stettiner Friedhofsleiter Georg Hannig würdigt in seinem zeitgenössischen Werk “Der Friedhof und seine Kunst” die Anlage mit folgenden Worten: “Allein aus dem Zweck heraus ist hier alles geschaffen und einem Willen angepaßt. Das Gelände ist verwertet, wie es sich gerade bot … “5Die bunte Vielfalt aus heimischen und exotischen Pflanzen und Bäumen wie auch die Anlage eines “Geologischen Hügels” verwiesen zugleich auf pädagogische Absichten: Der Friedhof war nicht nur eine Stätte der Pietät, sondern hatte als botanisch-geologisches Freilichtmuseum auch eine moralisch-belehrende Funktion.

Aufgaben und Funktionen

Nach seiner Eröffnung präsentierte sich der Friedhof mit seinen idyllischen Teichanlagen und Bachläufen, verschlungenen Wegen, künstlich geschaffenen Hügeln und seiner betont abwechslungsreichen Bepflanzung als Synthese aus Natur, Kunst und Technik. Diese Synthese unterschiedlicher Funktionen war das Bestreben im Gesamtkunstwerk Ohlsdorf. Nicht umsonst äußerte sich der langjährige Friedhofsdirektor von Ohlsdorf, Wilhelm Cordes, in einem Friedhofsführer 1897 über die Aufgaben: “Der Friedhof soll nicht eine Stätte der Todten und der Verwesung sein. Freundlich und lieblich soll alles dem Besucher entgegentreten und dadurch der Ort aus der umgebenden Landschaft herausgehoben und geweiht werden.”6 Und weiter: “In der richtigen malerischen Vereinigung von Architektur, Sculptur und Landschaftsgärtnerei liegt ein weiter Spielraum für die Phantasie und ein unerschöpfliches, freies Arbeitsfeld; und ein Friedhof, nach diesen Gesichtspunkten geleitet, könnte vorbildlich werden für das harmonische Zusammenwirken von Architektur, Sculptur und Landschaftsgärtnerei.”7

Wachsendes Interesse an Grabstätten

Zugleich hatte die landschaftliche Differenzierung den Vorzug, reizvoll gelegene und privilegierte Bestattungszonen zu schaffen, die zu entsprechend hohen Gebühren verkauft werden konnten. Aufgrund ihrer stellenweise malerischen Lage erfreuten sich diese Bereiche zunehmender Beliebtheit. Je reizvoller die Anlage, desto höher die Gebühreneinnahmen: Diese Regel war den Friedhofsträgern auch damals durchaus geläufig. Das zeigt folgende Feststellung des bereits zitierten Georg Hannig: “Es ist eine überall beobachtete Tatsache, daß auf Friedhöfen, die dem ästhetischen Bedürfnis durch reichlich bemessene Anpflanzungen mehr Rechnung tragen als bisher, die Zahl der besseren Kaufgräber gerade dieses eben erwähnten Umstandes halber prozentual ganz erheblich steigt.”8 Nicht umsonst wurde um die Jahrhundertwende von Ohlsdorf berichtet, daß die Nachfrage nach größeren Grabstätten im Waldgürtel auffallend gestiegen war.9 Durch die sich nun entfaltete Vegetation entwickelte sich dieser zu einem der stimmungsvollsten Teile des Friedhofs. Gerade im bewaldeten Teil des Zentralfriedhofs wurden nur die entsprechend teuren Familiengrabstätten zugelassen, aber keine Reihengräber. Hier wurden dann jene naturgeprägten, großflächigen Grabmaltypen errichtet, die in besonderem Maß dem Stilrepertoire des Landschaftsgartens entsprachen, wie Felsen und Findlinge.10

Ohlsdorf als Vorbild

Ohlsdorf wurde zum ästhetischen Vorbild für die Friedhofsgestaltung des späten 19. Jahrhunderts und auf mehreren Ausstellungen, auch einem internationalen Publikum, vorgestellt.11 So wurde der Friedhof z.B auf der Pariser Weltausstellung 1900 als Modell deutscher Gartenkunst prämiiert.12

Zur Jahrhundertwende erwies sich der Ohlsdorfer Friedhof als ein wichtiges städtisches  Renommierobjekt. In einem lokalen Hamburger Pressebericht hieß es: “Auch im letzten Jahre wurde der Friedhof von den hiesigen Vereinen sowie von auswärtigen Behörden, unter anderem von Berlin, München und Flensburg zum Studium für dort geplante Friedhofsanlagen besichtigt.“13 Entsprechend beeinflusste Ohlsdorf die Gestaltung anderer Friedhöfe. In Köln entstanden mit dem Nord – (1895/96) und dem Süd – Friedhof (1900) ebenfalls landschaftlich orientierte Anlagen, in Hannover wurde der Stöckener Stadtfriedhof ab 1901 landschaftsparkähnlich erweitert. Auf dem Mannheimer Hauptfriedhof wurden die Erweiterungsflächen der bisher streng rechteckig ausgerichteten Anlage durch kreis- und ellipsenförmige Wege und ansprechende Bepflanzung gartenarchitektonisch aufgewertet (1892 bzw. 1900). Der prämiierte und 1907 auf einer Gartenbauausstellung präsentierte Entwurf für einen neuen, wegen des Ersten Weltkriegs dann nicht realisierten Mannheimer Zentralfriedhof sah gleichfalls eine landschaftsartige Gestaltung mit einem Teich vor.14 Darüber hinaus sorgte das Gesamtkunstwerk Ohlsdorfer Friedhof mit dafür, daß die Forderung nach abwechslungsreicher Bepflanzung von Friedhöfen ebenso zu einem Thema in der Zeit des Kaiserreiches wurde als auch die Einpassung von Klein- und Kleinstarchitektur, wie Brunnen, Wegweiser und Orientierungstafeln, in das Gesamtbild.15 Anfang des 20. Jahrhunderts kam sogar ein Handbuch speziell für landschaftliche Friedhöfe heraus.16

Tod und Trauer

Der Ohlsdorfer Friedhof mit seinen unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben entwickelte sich in der Kaiserreichzeit zu einem Vorreiter und Vorbild in der landschaftlichen Gestaltung von Friedhöfen. Neben der naturnahen, romantischen Friedhofsgestaltung entwickelte sich zeitgleich und diametral ein eher praktisch – rationaler Umgang mit Tod und Trauer durch die Einführung der modernen Feuerbestattung, die Aspekte wie Hygiene und Technik in den Fokus rückte.



[i] Barbara Leisner: Ästhetisierung der Friedhöfe. Die amerikanische Parkfriedhofsbewegung und ihre Übernahme in Deutschland. In: Norbert Fischer/Markwart Herzog (Hrsg.): Nekropolis. Der Friedhof als Ort der Toten und der Lebenden. Stuttgart 2005, S. 68-70; zu Schwerin siehe auch Anja Kretschmer: Häuser der Ewigkeit. Mausoleen und Grabkapellen des 19. Jahrhunderts. Eine Einführung in die Sepulkralkultur am Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns. Hamburg 2012, S. 103-106.

 

[i] Leisner: Ästhetisierung (wie Anm. 1), S. 59-78; Barbara Leisner /Ellen Thormann/Heiko K. L. Schulze: Der Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf. Geschichte und Grabmäler. Bearbeitet von Andreas von Rauch. Zwei Bände. Hamburg 1990; als neueren Überblick siehe Helmut Schoenfeld (unter Mitarbeit von Norbert Fischer, Barbara Leisner und Lutz Rehkopf): Der Ohlsdorfer Friedhof. Ein Handbuch von A-Z. Bremen 2006.

 

[i] Franz Zelger: Arnold Böcklin: Die Toteninsel. Selbstheroisierung und Abgesang der abendländischen Kultur. Frankfurt/M. 1991, S. 54; zum “Landschafts-Denkmal” ebd., S. 7.

 

[i] Georg Hannig: Der Friedhof und seine Kunst. Zeitgemäße Betrachtungen über die Ausgestaltung unserer Friedhöfe. Berlin 1908, S. 50.

 

[i] Georg Hannig: Der Friedhof und seine Kunst. Zeitgemäße Betrachtungen über die Ausgestaltung unserer Friedhöfe. Berlin 1908, S. 50.

 

[i] Friedhof zu Ohlsdorf-Hamburg. Führer. Hamburg o. J. [1897], S. 14.

 

[i] Ebd., S. 15.

 

[i] Hannig (wie Anm. 4), S. 1.

 

[i]  ”Von der Todtenstadt in Ohlsdorf”. In: Hamburger Fremdenblatt vom 13.7.1901, S. 6.

 

[i] Zu diesen Grabmälern siehe Leisner u.a. (wie Anm. 2), Band I, S. 83-89.

 

[i] Barbara Scharf: Der Ohlsdorfer Friedhof im Spiegelbild großer Ausstellungen. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 78, 1992, S. 135-161, hier S. 139.

 

[i] Scharf (wie Anm. 5), S. 143.

 

[i] Von der Todtenstadt in Ohlsdorf”. In: Hamburger Fremdenblatt vom 13.7.1901, S. 6.

 

[i] Volker Keller: Architektur der Friedhöfe. In: Jugendstilarchitektur um 1900 in Mannheim. Red.: Jörg Schadt. Mannheim 1986, S. 181-184.

 

[i] Hannig (wie Anm. 4), S. 119-120 sowie S. 138-141.

 

[i] Hans Pietzner: Landschaftliche Friedhöfe, ihre Anlage, Verwaltung und Unterhaltung. Leipzig 1904.

 

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=1474

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Interkulturpreis 2014: Geschichtswissenschaften “1914-2014 – Perspektivenwechsel”

Das Goethe-Institut lobt den international ausgeschriebenen Interkulturpreis 2014 für Nachwuchswissenschaftler/-innen der Geschichtswissenschaften aus. Die Verleihung erfolgt im Rahmen des 50. Deutschen Historikertages, der unter dem Motto „Gewinner und Verlierer“ vom 23. bis 26. September 2014 an der Georg-August-Universität Göttingen stattfindet. Bislang wurde die Auszeichnung zur Förderung des interkulturellen Wissenschaftsdialogs in den Fachgebieten Philosophie und Soziologie vergeben.
Mit der Förderung innovativer, junger Historiker/-innen will das Goethe-Institut einen Beitrag zur Wahrnehmung auch der Geschichtswissenschaften als Aktionsfeld der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik leisten.

ESSAY “1914-2014 – Perspektivenwechsel”
Mit dem 100. Jahrestag seines Ausbruchs ist der Erste Weltkrieg ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Stand dieser Krieg in der deutschen Erinnerungskultur lange Zeit im Schatten des Zweiten Weltkriegs, so erfährt er im Gedenkjahr 2014 eine Beachtung, die der in den westeuropäischen Nachbarstaaten Deutschlands annähernd gleichkommt. Die Neubewertung diplomatischer Quellen, aber auch neuere erfahrungsgeschichtliche und erinnerungskulturelle Zugänge haben neue Akzente in der Geschichtsschreibung über den Ersten Weltkrieg gesetzt.
Der für den Interkulturpreis 2014 eingereichte Essay sollte, ausgehend von der aktuellen historischen Forschung, die Reflexion über den Krieg und die Kriegsfolgen mit der Frage nach deren Relevanz für die Gegenwart verbinden. Ist mit der größeren Aufmerksamkeit auch eine Neubewertung des Ersten Weltkriegs verbunden? Entsteht eine gemeinsame europäische Erinnerungskultur zum “Great War”? Dies könnten Fragen sein, die im Essay behandelt werden. Darüber hinaus interessieren auch andere Aspekte, etwa die politischen Folgen des Kriegs für die europäische Staatenordnung in einer langfristigen Perspektive sowie die intellektuellen und ästhetischen Wirkungen dieser Epoche.

TEILNAHMEBEDINGUNGEN
Die Ausschreibung richtet sich an Nachwuchswissenschaftler/-innen der Geschichtswissenschaften, in erster Linie an Post-Docs; aber auch an Doktoranden, Habilitanden und Junior-Professoren ohne Altersbegrenzung. Die Teilnahme am Interkulturpreis-Wettbewerb des Goethe-Instituts ist ausdrücklich nicht auf deutschsprachige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begrenzt.
Voraussetzung ist die Einreichung eines auf Deutsch oder Englisch verfassten Beitrags in Form eines Essays.
Das Goethe-Institut ist grundsätzlich an einer öffentlichen Vermittlung von Wissenschaft interessiert. Neben profunder Entfaltung unter Angabe verwendeter Quellen und der Bezugnahme auf den Stand gegenwärtiger Forschung, ist es daher wünschenswert, dass die Überlegungen in einer persönlichen Auseinandersetzung möglichst ansprechend entwickelt werden. Der Text sollte sich in einer allgemein verständlichen Sprache auch einer interessierten (fachfremden) Öffentlichkeit erschließen.

EINREICHUNG DER TEILNEHMERBEITRÄGE
Die Wettbewerbsbeiträge können bis 01.05.2014 eingereicht werden bei:
Bereich 31 – Wissenschaft und Zeitgeschehen
Goethe-Institut, Zentrale München
Dachauer Str. 122
80637 München
Tel.: +40 89 15921-309
Fax: +49 89 15921-237
Simone.Lenz@goethe.de
Der Beitrag darf maximal 40.000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) umfassen und sollte nach Form und Inhalt international üblichen wissenschaftlichen Standards und Ansprüchen genügen. Einzureichen sind die Beiträge zur Überprüfung der Zeichenzahl in einem Standard-Textverarbeitungsformat (z.B. Word-Dokument) und als PDF-Dokument.
Beizufügen ist ein tabellarischer Lebenslauf (CV) und eine Eigenständigkeitserklärung, aus der hervorgeht, dass der Beitrag selbständig und ausschließlich unter Nutzung separat aufgelisteter Hilfsmittel verfasst wurde.
Beitrag, CV und Selbständigkeitserklärung müssen sowohl in elektronischer Form (vorzugsweise als E-Mail-Anhang) als auch in Papierfassung vorgelegt werden.

JURY
Die Auswahl erfolgt durch eine zu diesem Zweck berufene Jury, der Prof. Schulze-Wessel, Vorsitzender des Historikerverbandes, Prof. Sabrow, Beirat Wissenschaft und Zeitgeschehen des Goethe-Instituts und ein Vertreter des Goethe-Instituts angehören.

PREIS
Der Preis besteht zweckgebunden in einem Publikationskosten- oder Projektförderzuschuss im Gesamtwert von € 2.500,- (in Worten: zweitausendfünfhundert Euro). Das Goethe-Institut wird in der Publikation oder im Projektzusammenhang ausdrücklich erwähnt.
Die Preisverleihung findet im Rahmen des 50. Deutschen im Rahmen des Historikertages an der Georg-August-Universität Göttingen (23.-26.09.2014) statt.

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2014 Intercultural Award: Historical Sciences “1914-2014 – A change in perspective ”
The Goethe-Institut is offering the internationally announced 2014 Intercultural Award for next-generation academic researchers in the historical sciences. The award ceremony will be held as part of the Convention of German Historians (Historikertag) under the heading “Winners and Losers,” from 23 – 26 September 2014 at Georg-August-University Göttingen. To date, the award has been given to promote intercultural scientific and scholarly exchange in the disciplines of philosophy and sociology.
Through the promotion of innovative young historians, the Goethe-Institut seeks to contribute to the perception of the historical sciences as a further area of activity for cultural and educational relations abroad.

ESSAY
1914-2014 – A change in perspective
The First World War has shifted into the centre of public attention with the centennial of its outbreak. Although this war was long overshadowed by the Second World War in German remembrance culture, in the commemorative year 2014 it is now experiencing recognition closely approaching that in Germany’s western European neighbour states. Reevaluation of diplomatic sources, but at the same time more recent access via historical experience and cultural memory, set new trends in historiography on World War I.
Essays submitted for the Intercultural Award 2014 should link reflections on war and its consequences with its relevance for the present by taking into account current historical research. Is a re-assessment of the First World War also associated with the increase in attention? Is a common European remembrance culture on the “Great War” emerging? These are possible questions to be addressed in your essay. In addition, other aspects are also of interest, such as the political consequences of the war for the European community of nations in a long-term perspective as well as the intellectual and aesthetic effects of this epoch.

CONDITIONS OF PARTICIPATION
The announcement is aimed at next-generation academic researchers in the historical sciences, primarily post-docs, but also doctoral and habilitation candidates, and junior professors without age-limit. Participation in the Goethe-Institut’s Intercultural Award competition is expressly not limited to German-language researchers.
Submission of a contribution in German or English in essay format is required.
The Goethe-Institut is fundamentally interested in a public reception and understanding of science and scholarship. In addition to in-depth development with citation of consulted sources and reference to the current state of research, it is therefore desirable to frame your considerations as appealingly as possible in a personal approach. The text should be formulated in a generally comprehensible language accessible to an interested (non-specialist) audience.

SUBMISSION OF CONTRIBUTIONS
Competition contributions can be submitted through 1 May 2014 at:
Department 31 – Science and Current Affairs
Goethe-Institut, Headquarters Munich
Dachauer Str. 122
D-80637 Munich
Tel.: +40 89 15921-309
Fax: +49 89 15921-237
Simone.Lenz@goethe.de
Contributions must not exceed 40,000 characters (including spaces) and in terms of form and content must satisfy internationally accepted scientific standards and expectations. To enable character count, contributions must be submitted in a standard word processing format (for example as a Word document) and as a PDF document.
Please include a personal data sheet (CV) in tabular format and a declaration of authorship stating that your contribution was written independently and exclusively with the use of separately listed resources.
Your contribution, CV and declaration of authorship must be presented in both electronic format (preferably as an e-mail attachment) and as a paper document.

JURY
Selection will be made by a jury chosen for this purpose, consisting of: Prof. Schulze-Wessel, Chairman of the Association of German Historians, Prof. Sabrow, a member of the advisory board of the Goethe-Institut’s Department of Science and Current Affairs and a representative of the Goethe-Institut.

AWARD
The award consists of a grant earmarked for publication costs or project support with a total value of 2,500 € (two thousand five hundred Euros). The Goethe-Institut must be expressly mentioned in your publication or project context.
The award winner will be invited to the award ceremony as part of the Convention of German Historians at Georg-August-University Göttingen (23 – 26 September 2014).

Quelle: http://grandeguerre.hypotheses.org/1508

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Piraterie: Der Mythos Klaus Störtebeker

Die Legende des furchtlosen Seeräubers, des Schreckens der Hanse und ihrer Pfeffersäcke ist wohl die beliebteste und bekannteste Geschichte der deutschen Piraterie. Ihr Ende soll sie in Hamburg gefunden haben. Betrachten wir das Legendengespinst einmal genauer, sieben wir Fiktion und dramaturgische Zusätze heraus – was bleibt übrig von der norddeutschen Heldengestalt Klaus Störtebeker?

von Dennis Störtebecker

Der historische Kontext

Klaus, Nicolaus oder Clawes Störtebeker hat als historische Figur eine Präsenz in unserer Gesellschaft, welche auf eine reichhaltige Quellenlage hindeutet. Betrachten wir die tatsächlich vorhandenen Dokumente über ihn, wird schnell klar: Die Gestalt des Piraten, wie wir sie heute kennen, ist historisch nicht fassbar. Zu wenige Quellen überliefern Informationen zur Person Klaus Störtebeker. Die jüngere Forschung zu seiner Biografie ist eng mit dem Wandel im Forschungsfeld der Piraterie verbunden. Sie konzentriert sich auf die Sozialgeschichte; auf das soziale Elend, das Piraterie hervorbringt und ihre Auswirklungen. Das vorrangige Problem, welches sich dem Historiker daher stellt, ist das Herausfiltern der wenigen Fakten über Störtebeker, von denen mit größtmöglicher Sicherheit gesagt werden kann, dass sie wahrscheinlich sind. Die konkrete Aufgabe lautet nun, die Sagengestalt des Klaus Störtebeker mit Hilfe der historischen Quellen zu entwirren und die wahre Person (soweit möglich) zu rekonstruieren. Die Trennung von Legende und historischer Person fällt nach über 600 Jahren Zeitspanne schwer, auch durch den Einfluss des Bildes von Störtebeker, welches sich (unabhängig von der Quellenlage) schon in der Gesellschaft verfestigt hat.

Wo und wann Störtebeker genau geboren wurde, ob er als einfacher Sohn eines Landarbeiters oder als Erbe eines Adelsgeschlechtes das Licht der Welt erblickte, wurde uns nicht überliefert. Seine Existenz kann erstmalig auf das Jahr 1380 datiert werden, in der Stadt Wismar, welche vermutlich seine Geburtsstadt war (wobei noch um die 20 weitere Städte dieses von sich behaupten).  Im liber proscriptorum1 der Stadt, dem Verfestigungsbuch, taucht der Name Nicolao Störtebeker als Opfer einer Schlägerei auf. Die Schläger werden aus der Stadt verbannt; mehr sagt uns die Quelle nicht. Bei einem Abgleich derartiger Überlieferungen mit dem angeblichen Wissen, welches wir heute über Störtebeker besitzen, zeigt sich eine tiefe Kluft.

Die Entstehung der Vitalienbrüder

Viele Jahre lang deutet nichts auf eine Karriere Störtebekers als Freibeuter hin, bis 1389 Königin Margarete von Dänemark zunächst Norwegen ihrem Reich zufügt und dann Schweden erobert, den schwedischen König gefangen nimmt und Stockholm belagert, welches sich der dänischen Belagerung allerdings widersetzen kann. In dem durch Familienbande mit dem König von Schweden verbundenen Mecklenburg, in den Städten Wismar und Rostock, werden alle Leute willkommen geheißen, die der Dänenkönigin schaden wollen und können, so auch „omnes malefici, omnes profugi, sive proscripti“. Zwielichtigen Seeleuten, Übeltätern und Geächteten wird eine sichere Zuflucht und Reichtum versprochen. Der versprochene Reichtum und die Aussicht auf einen sicheren Aufenthaltsort lockt große Gruppe von Menschen an, die sich einen Vorteil aus dem laufenden Konflikt versprechen. Sie sollen das belagerte Stockholm mit Lebensmitteln versorgen und werden mit herzöglichen Kaperbriefen ausgestattet, um Seeraub zu betreiben. Ausgerufenes Ziel der Piraterie waren dänische Schiffe und jene, die mit Margarete verbündet sind. Die Seeräuber lassen diese feine Unterscheidung jedoch schon bald über Bord gehen und rauben, plündern und entern jedes Schiff, das ihnen auf der Ostsee in die Hände fällt, ungeachtet der Herkunft und Nationalität.

Diese Gruppe von Seemännern wird schon bald unter dem Namen „Vitalienbrüder“ (die Lebensmittelbeschaffer) bekannt und mit ihr einer ihrer Hauptmänner, Klaus Störtebeker. Klaus Störtebeker selbst wird, wie bereits beschrieben, nur in wenigen Quellen direkt erwähnt. Informationen über die so genannten Vitalienbrüder, jene Söldner- und Kapergruppe, die im 14. Jahrhundert die Nord-und Ostsee unsicher machte, finden sich in Dokumenten, Verträgen und Briefen dagegen vielfach.

In einem Auszug aus der Lübecker Stadtchronik, der sogenannten Detmar-Chronik, ist die Gründung der Vitalienbrüder beschrieben: „In deme sulven iare warp sik tosamende en sturlos volk…unde heten sik vitalienbroder. Se spreken, se wolden tenn up de koninghinnen van Denemarken to hulpe deme koninghe von Sweden…” (In dem Jahr bildete sich eine nicht kontrollierbare Gruppe von Menschen… diese nannten sich Vitalienbrüder. Sie sagten, sie wollen wollten Krieg führen gegen die Königin von Dänemark, um dem König von Schweden zu helfen…).2

Das organisierte Treiben der Vitalienbrüder und der rege Schiffsverkehr auf der Ostsee machte sie, besonders aus dem Blickwinkel der Hanse, zur größeren Gefahr als der Krieg selbst. Ein Zoll wird von den Hansestädten erhoben, um Frieden erzwingende Schiffe auszurüsten, die sogenannten Vredeschepen. Auch lassen die Herren der Hanse verkünden, dass jeder, der den Seeräubern in irgendeiner Weise helfen sollte, das – beinhaltet die Ausrüstung mit Lebensmitteln, Waffen, Unterkünften oder auch einfach den Handel mit ihnen – mit Strafen bis hin zum Tode rechnen müsse.

Beutezug in der Nordsee

Eine weitere Nennung Störtebekers können wir auf den 15. August 1400 datieren, da sein Name in einem Vertrag zwischen dem Herzog von Holland und den Vitalienbrüdern genannt wird. Der Herzog befindet sich im Streit mit der Hanse, und die Vitalienbrüder sollen diesen Streit für ihn ausfechten. Der Herzog heuert die Vitalienbrüder als Söldner an, um die Hanse an ihrer fundamentalsten Stelle zu schädigen, dem Handel. In dem Vertrag werden Störtebeker und weitere Hauptleute erwähnt: „…dat wii een voerwarde ende gemacct heben mit…Stortebeker…van hore gemeenre vitaelgebroedere wegen tot honderte ende 114 manne toe“3 (…das wir einen Vertrag gemacht habenmit…Störtebeker…wegen der gemeinen Vitalienbrüder genannt, insgesamt 114 Mann…)

 

Mittelalterliche Karte des Nord- und Ostseeraums / Grafik: University of Texas Libraries

Mittelalterliche Karte von Nord- und Ostsee – Störtebeker war auf beiden Meeren zuhause / Grafik: University of Texas Libraries
 
 
 

Im Gegenzug für das Plündern der Schiffe der Hanse bietet der Herzog den Vitalienbrüdern einen Rückzugsorts und sichere Häfen an, in welchen sie ihr Beutegut verkaufen können. Die Vitalienbrüder sind wie elf Jahre zuvor mit herzoglichen Kaperbriefen und einem sicheren Rückzugsgebiet ausgestattet und bedrohen die Hanse erneut: „dat wii se tot onser vriensscap nehmen ende gheven him ludden goet, vry, vaste ende zeker geleide…”4 (Wir sie in unser Freundschaft aufnehmen und ihren Leuten ein gutes freies Geleit geben).

Die Aktionen der Vitalienbrüder ab dem Jahr 1400 führen auf Seiten der Hanse, insbesondere der Englandfahrer, welche von den Machenschaften der Seeräuber besonders schwer getroffen werden, zu der Entscheidung, eine Flotte auszurüsten, welche das Treiben der Piraten endgültig beenden soll. Auf Helgoland enden die Aktivitäten der Vitalienbrüder – und damit Störtebekers – mit der Niederlage gegen die hanseatische Flotte. Ob wirklich Klaus Störtebeker gefangen genommen wurde, kann nicht mit historisch genauer Sicherheit gesagt werden, aber da den Historikern aus der nachfolgenden Zeit keine größeren Piratenaktivitäten überliefert sind, können wir annehmen, dass wir das Ende des Seeräubers Störtebeker und den Beginn der Legendenbildung erreicht haben.

Historie und Legendenbildung

Im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts erfuhr die Legende (beziehungsweise war es zu jener Zeit noch eine Erzählung oder Geschichte) relativ wenig Veränderung; der historische Störtebeker und die Vitalienbrüder dürften noch im allgemeinen Bewusstsein der Bevölkerung verblieben sein. Ab dem 16. Jahrhundert verfestigten sich jedoch die Geschichten, die sich mehr oder weniger von realen Geschehnissen unterschieden und sich mit den Ausschmückungen der Erzähler und deren Phantasie vermischten. Die Legende unterlag einer Um- und Überarbeitung, welche die Erfindung neuer und angeblich wahrer Tatsachen zur Folge hatte, die oft von aktuellen, zeitgenössischen Ereignissen beeinflusst wurden. Da die karge Quellenlage viel Interpretationsspielraum gelassen hatte (und immer noch lässt), konnte die Geschichte des Freibeuters immer so angepasst und umgedichtet werden, dass sie auf zeitgenössische Ereignisse anwendbar war.

Störtebeker wurde im Laufe der Zeit zum Ideal der einfachen Leute stilisiert, seine Piratenbande zu einer Gruppe von Sympathieträgern erhoben, welche den reichen Pfeffersäcken der Hanse zusetzten. Störtebeker wurde als Heldengestalt wahrgenommen, so wie es mit Piraten oft geschieht. Das Freibeutertum besitzt ein leicht als heldenhaft zu klassifizierendes Attribut: Freiheit. Piraten erscheinen uns als freiheitsliebende Romantiker, den Kampf gegen die Mächtigen suchend und niemandem als sich selbst verpflichtet. Dieses Attribut prägt das Bild Störtebekers noch im 21. Jahrhundert.

Historisch gesehen wurde der Seehandel durch die Piraterie Störtebekers und seiner Kumpane stark beeinträchtigt. Im Jahr 1392 stellte ein Beschluss auf dem Hansetag den gesamten Schonenverkehr der westlichen Ostsee für drei Jahre ein. Chroniken aus jener Zeit sowie Überlieferungen der Hanse berichten von enormen Preissteigerungen in Bezug auf die Güter, welche per Seeweg gehandelt wurden. Auch Lebensmittel, wie etwa Hering, wurden teurer. Sogar zu Hungersnöten soll das Treiben der Vitalienbrüder geführt haben. Aus einem Eintrag der Magdeburger Schöppenchronik wird die Situation deutlich: „…starben viele Leute und vor allem ungezählte Kinder. In diesen vier Jahren gab es einen großen Mangel an Korn, Nahrung, an Heringen und vielen Arten von Waren…“5 Als Held dürfte Störtebeker somit nicht auf alle seiner Zeitgenossen gewirkt haben.

Wer nach Bildern von Störtebeker sucht, trifft in der Regel auf einen Irrtum, welcher sich fest in der Geschichte Störtebekers verankert hat.

Anders als lange vermutet, stellt es nicht den berühmten Seeräuber dar, sondern Kunz von der Rosen, einen Berater des deutschen Kaisers Maximilian I. Dennoch zeigt die Abbildung das Bild Störtebekers, das die Menschen lange Zeit von ihm gehabt haben mögen: Ein wilder, zugleich edler Kumpane – natürlich mit verwegenem Barte.

Störtebekers Ende?

Besonders um die letzten Ereignisse im Leben des berühmten Seeräubers hat sich der legendenhafte Aspekt der Geschichte Störtebekers gerankt. Die Legende berichtet von einem heimtückischen Akt der Feinde Störtebekers, welche flüssiges Blei in die Ruderösen seines Schiffes gossen und die Seeräuber somit hilflos den hanseatischen Feinden auslieferten. Die historisch korrekte Version klingt allemal nüchterner: Störtebeker lag vor Helgoland im Schutz der Bucht (damals bestand noch eine Verbindung zwischen dem Inselfelsen und der östlich gelegenen Düne, welche einen nur von Nordwesten befahrbaren Naturhafen bildete) und ein starker Ostwind machte es seinem Schiff schlicht unmöglich, vor der aus Hamburg heraneilenden Flotte der Hanse zu fliehen. Dass Klaus Störtebeker wirklich am 22. April bei Helgoland von der Hanse gefangen wurde, wird durch einen Auszug aus der Chronik des Rufus (die Chronik der Hansestadt Lübeck im 12. und 13. Jahrhundert) bekräftigt, in dem es heißt : „Desser vytalien vovetlude weren genomet Wichman unde Clawes Störtebeker.“6 (Die Hauptleute der Vitalienbrüder Wichman und Klaus Störtebeker wurden gefangen genommen.) Dafür spricht zudem, dass der Name Klaus Störtebeker nach diesem Datum nicht mehr in den Berichten über Piraterie zu finden ist.

Auf dem Grasbrook im Süden Hamburgs sollen Störtebeker und seine Kumpanen schließlich ihr Ende gefunden haben. Und auch hier ist die Legendenbildung zu erahnen. Um seine Mannschaft vor dem Henker zu retten, schlägt Störtebeker einen Handel vor: Jeder seiner Leute, an welchen er nach seiner Enthauptung noch vorbeischreiten kann, soll begnadigt werden. Somit findet sich in nahezu jeder Geschichte über Störtebeker – sei es in Büchern, bei Festspielen oder in Filmen – die augenscheinliche Bestätigung dafür, dass der Geköpfte an elf seiner Kumpanen vorbeigeschritten sei und so ihr Leben gerettet hätte, wenn die anwesenden Offiziellen der Hanse die Abmachung nicht gebrochen hätten und daher alle Vitalienbrüder hinrichten ließen.

Eine historische Quelle, die dieses belegt, gibt es nicht. Von der Hinrichtung Störtebekers wissen wir nicht viel, nicht einmal, ob sie tatsächlich auf dem Grasbrook stattfand. Als 1887 auf dem Grasbrook zwei Schädel gefunden wurden, war schnell klar, dass einer der Schädel von Störtebeker sein müsse und man entschied sich, dass es der besser erhaltende von beiden sei.

Im Museum für Hamburgische Geschichte ist eine Rekonstruktion zu besichtigen, die nach diesem Schädel angefertigt wurde; eine wissenschaftliche Zusicherung, dass es sich bei dem erschaffenen Abbild wirklich um den Schädel des Piraten handelt, gibt es nicht.

Dem Quellenmangel zum Trotze

Das Interesse an der Geschichte des verwegenen Piraten führte über die Jahrhunderte dazu, dass die Lücken und leeren Seiten der Geschichte Störtebekers von den Menschen gefüllt wurden. Der Mythos hat ein Eigenleben entwickelt. Wir wissen heute so gut wie nichts über Störtebeker. Wer er wirklich war, ist nicht belegbar. Die Quellen schweigen beharrlich, oder sie sind uns nicht erhalten geblieben. Doch gerade das lückenhafte Wissen und das Verlangen der Menschen, der Geschichte ein Gesicht zu geben, beflügelt die Fantasie seit Jahrhunderten. Die wenigen Daten und Fakten, die wir aus dem Umfeld Störtebekers haben, werden dabei fest in die Legende eingebunden. Gut verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel des Schiffes Bunte Kuh: Mal taucht es als das Schiff Störtebekers auf, mal als hanseatisches Schiff, auf welchem Störtebeker nach Hamburg gebracht wurde. Ein anderes Mal wird es zum Flaggschiff der hanseatischen Flotte, die gegen die Vitalienbrüder kämpft. Dabei wissen wir lediglich, dass die Bunte Kuh ein Schiff ist, das an der Aktion gegen die Vitalienbrüder teilgenommen hat. Allein der Name wurde, dank einer Rechnung über die Reparatur von Kampfschäden, in diesem Zusammenhang überliefert. Weder wurde es von Störtebeker kommandiert, noch war es das Schiff von Simon von Utrecht, dem Ratsherren, welchem fälschlicherweise der Sieg über die Vitalienbrüder zugesprochen wurde.

Betrachten wir diese Art der Legendenbildung, liegt der Schluss nahe, dass Klaus Störtebeker – der Quellenlage zum Trotze – nicht aus den Köpfen der Menschen verschwinden wird. Der Pirat, der Vitalienbruder, der einfache Mann Klaus Störtebeker mag uns zwar nicht überliefert sein, doch die Legende um die norddeutsche Heldengestalt wird nichts von ihrer Bedeutung einbüßen, denn ihre Hauptfigur, der Seeräuber Störtebeker, verkörpert das Streben nach Freiheit und Gerechtigkeit.

 

Quellen:

1 Wismarisches Verfestigungsbuch, Wismar, 1380.

2 MUB (Mecklenburgisches Urkundenbuch)XXII12442, Anm.

3+4HR (Hanserezesse) I 4, 605, Vertrag Herzog Albrecht –Vitalienbrüder.

5 Magdeburger Schöppenchronik, Magdeburg 1350.

6 Chronik des franciscaner Lesemeisters Detmar.

Literatur:

  • Bents, Harms: Störtebeker. Dichtung und Wahrheit. Norden, 2003.
  • Puhle, Matthias: Die Vitalienbrüder. Klaus Störtebeker und die Seeräuber der Hansezeit. Frankfurt a. M., 1992.

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=1147

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Die Technisierung des Todes

von Norbert Fischer – Die Einführung der Feuerbestattung im späten 19. Jahrhundert veränderte den Umgang mit Trauer und Tod grundlegend. An der Schnittstelle von Trauerfeier und Technik prallten die Vorstellungen der Befürworter auf die konservative Haltung ihrer Gegner – sowohl sinnbildlich als auch architektonisch. Somit war auch der Bau des ersten Krematoriums in Hamburg lange umstritten, bis äußere Umstände die Stadt zum Handeln zwangen.

Die Einführung der modernen Feuerbestattung und der Bau der ersten Krematorien technisierten den Umgang mit den Toten und veränderten die Bestattungskultur grundlegend. Sie vollzog sich im Kontext einer Epoche, die sich mit Stichwörtern wie Hochindustrialisierung, Urbanisierung, Technisierung und Verwissenschaftlichung kennzeichnen lässt. Mit der Feuerbestattung war eine mechanistisch-materialistische Vorstellung vom Körper verbunden, der zufolge dieser als bloße Zusammensetzung einzelner Teile galt. Parallel zur bürgerlichen „Feier“ des Todes im Gesamtkunstwerk des landschaftlichen Parkfriedhofes schritt die Entzauberung von Sterben und Tod voran. Der Tod erschien nun immer mehr in seiner bloßen technischen Materialität. Für den Umgang mit Tod und Trauer wurden praktisch-rationale Aspekte wie Hygiene und Technik entscheidend. Die Einführung der modernen Feuerbestattung und der Bau des ersten Hamburger Krematoriums 1892 zeigen schlaglichtartig, wie sich der Wandel der Bestattungskultur in steter Wechselwirkung zu sozialen, wirtschaftlichen, technischen und politischen Veränderungen vollzog.

Die Einführung der modernen Feuerbestattung im späten 19. Jahrhundert

Die im späten 19. Jahrhundert eingeführte moderne, durch industrielle Technik geprägte Feuerbestattung wurde zur grundlegenden Reform im Bestattungswesen. Hamburg zählte dabei zu den Zentren der frühen Feuerbestattungsbewegung. Das 1892 eingeweihte erste Hamburger Krematorium war (nach Gotha 1878 und Heidelberg 1892) das dritte seiner Art in Deutschland. Als Ursachen für die Einführung der modernen Feuerbestattungen gelten allgemein jene Entwicklungen, die im Zusammenhang mit Hochindustrialisierung und Urbanisierung standen: rasches Bevölkerungswachstum und zunehmender Platzmangel auf städtischen Friedhöfen, wachsendes Hygienebewusstsein, Technisierung von Gesellschaft und Kultur, der schrittweise Bedeutungsverlust christlicher Traditionen und die allgemeine Verwissenschaftlichung der Gesellschaft.[1]

Insgesamt entwickelte sich die Regelung der rechtlichen Voraussetzungen für die Feuerbestattung und den Bau von Krematorien in den einzelnen deutschen Teilstaaten uneinheitlich. Preußen schuf erst 1911 eine entsprechende gesetzliche Basis. In Hamburg wurden die gesetzlichen Bestimmungen zur Feuerbestattung nach langwierigen Streitigkeiten zwischen Bürgerschaft und Senat unter dem Druck der schweren Cholera-Epidemie von 1892 erlassen. Auch musste die Anlage hier, im Gegensatz zu den öffentlichen Friedhöfen von Gotha und Heidelberg, auf Druck des Senats auf einem Privatgrundstück errichtet werden (das immerhin nahe des Ohlsdorfer Friedhofs an der heutigen Alsterdorfer Straße lag). Der Hamburger Senat wollte zudem die Benutzung des geplanten Krematoriums auf die ortsansässige Bevölkerung beschränken, um keine diplomatischen Konflikte mit Preußen aufkommen zu lassen – und preußisch waren damals bekanntlich auch die direkten Nachbarstädte Altona, Wandsbek und Harburg. Neben politischem und gesellschaftlichem Konservativismus bildeten vor allem die christlichen Kirchen den Hauptgegner der Feuerbestattung, weil die Einäscherung der christlichen Tradition zutiefst zu widersprechen schien.

Trotz aller Widrigkeiten setzte sich die moderne Feuerbestattung schrittweise durch. Es waren vor allem Vertreter des aufgeklärt-gebildeten, vor allem auch protestantischen Bürgertums, die sich in der Frühzeit der Feuerbestattung einäschern ließen: Akademiker bzw. Freiberufler, Kaufleute, höhere Beamte. Speziell in Hamburg betrug der Anteil kaufmännischer Berufe, freier Akademiker und Beamter unter den Eingeäscherten zwischen 1892 und 1895 fast zwei Drittel, unter den Beerdigten des Ohlsdorfer Zentralfriedhofs hingegen nur ein gutes Fünftel.[2] Die Anhänger der Feuerbestattung organisierten sich in Vereinen, um den Bau von Krematorien durchzusetzen. Der erste Vorstand des 1883 begründeten Hamburger Feuerbestattungsvereins verzeichnete drei Ärzte, drei Kaufleute, je einen Rechtsanwalt, Beamten, Chemiker, Ingenieur und Buchdruckereibesitzer.[3] Bei den Anhängern der Feuerbestattung handelte es sich um einen spezifischen Kreis innerhalb des gebildeten Bürgertums, der offensiv auf die gesellschaftlichen und technischen Entwicklungen reagierte und die sich nun entfaltenden (den neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu verdankenden) Potentiale entsprechend nutzte. Insbesondere Mediziner engagierten sich weiterhin für den Bau von Krematorien; nicht zufällig sprachen sich die internationalen medizinischen Kongresse 1869 in Florenz und 1871 in London für die Einführung der Feuerbestattung aus. Im Deutschen Reich waren es nicht zuletzt Vertreter der öffentlichen Gesundheitspflege, die auf die Bedeutung der Einäscherung für das Bestattungswesen vor allem der Großstädte hinwiesen. Nachdem Hygieniker und Ärzte für eine Ausbreitung hygienischer Gedanken in der Medizin gesorgt hatten, begannen sie nun in Zusammenarbeit mit Kommunalpolitikern, die öffentliche Gesundheitspflege in den Städten zu propagieren. Ärzte, kommunale Beamte, Architekten und Ingenieure wurden zu Trägern und Repräsentanten der neuen Hygienebewegung in den Städten. Dabei war das jeweilige Interesse und Engagement für die Feuerbestattung keineswegs rein ideeller Natur. Architekten erwuchsen neue Bauaufgaben, Rechtsanwälten winkte aufgrund der noch immer unsicheren Rechtslage ein weiteres Betätigungsfeld (zahlreiche Prozesse, etwa um Aschenbeisetzungen auf kirchlichen Friedhöfen, zeugen davon). Sich immer weiter professionalisierende Berufe wie Ärzte und Ingenieure konnten mit dem technischen Ausbau hygienerelevanter Einrichtungen ihre eigenen beruflichen Chancen ebenso steigern wie ihr gesellschaftliches Prestige. Jedenfalls gelang es den Feuerbestattungsvereinen bald in einigen deutschen Städten, eine hochtechnisierte Bestattungsart in einem stark von Traditionen geprägten Bereich wie Tod und Bestattung einzuführen, und dieser allmählich soziale Akzeptanz zu verschaffen.

Architektur an der Schnittstelle von Technik und Trauerfeier

Solange die nackte Technik aus Rücksicht auf herrschende Pietätsvorstellungen verborgen bleiben sollte, standen die Architekten vor einem Dilemma. Einen besonders aufschlussreichen Fall stellt hier das Hamburger Krematorium dar.[4] Errichtet nach Entwürfen des Architekten Ernst Paul Dorn, gilt es in seiner Synthese barocker, romanischer und byzantinischer Elemente als Beispiel für sehr späte Formen des Historismus.[5] Auf den ersten Blick fällt die Gestaltung des Schornsteins auf: Er wird an der Spitze von einem Zinnenkranz umgeben, seine Höhe von rund 25 Meter war baupolizeilich vorgeschrieben. Daneben prägen unterschiedliche Dachformen, wie Zeltdach und stumpfwinkliges Satteldach, den äußeren Eindruck. Zur architektonischen Gliederung des Gebäudes verwendete Dorn rote Verblendziegel und in geringem Maß Formsteine; Wandflächen setzte er teilweise durch einfachen Zementputz ab.[6]

Der Verarbeitung von Verblendsteinen maß der Architekt dabei besondere Bedeutung zu. Kunsthistorisch wird diese Gestaltungsweise als Ausdruck einer „fortschrittlichen und technisch modernen ‘Materialwahrheit’“ interpretiert; im zeitgenössischen Hamburg wurde sie bezeichnenderweise sowohl bei Industriebauten angewendet als auch in der sakralen Baukunst.[7] Ernst Paul Dorn selbst hatte noch kurz vor Fertigstellung des Krematoriums eine als Musterbeispiel technischen Bauens gerühmte Maschinenhalle für die Hamburger Industrie- und Gewerbeausstellung von 1889 errichtet.[8] Immerhin bildete die offensichtliche Nähe des Hamburger Krematoriums zur Fabrikarchitektur einen deutlichen Fingerzeig auf den technisch-industriellen Hintergrund der Feuerbestattung.

Bei der inneren Gestaltung verwirklichte Dorn die Idee eines Zentralraumes.[9] Mit ihrer achteckigen Grundform bot diese Halle bei Trauerfeiern Platz für rund 100 Personen; eine kleine Vorhalle beherbergte die Empore mit einem Harmonium. Eine gegenüber dem Haupteingang gelegene Nische markierte den Platz für die Aufbahrung des Sarges, die auf einem entsprechend geschmückten Katafalk erfolgte; hier fanden auch Ansprachen statt.[10] Dies versinnbildlicht den heikelsten Punkt der Feuerbestattung: die Schnittstelle von Technik und Trauerfeier.[11] Da die technischen Anlagen aus Rücksicht auf die Pietät in aller Regel in das Untergeschoss verbannt wurden, musste eine Verbindung zur Trauerhalle hergestellt werden. Dies geschah normalerweise durch eine Hebevorrichtung, die an ihrem oberen Ende in einen Katafalk mündete. Auf letzterem blieb der Sarg während der Trauerfeier aufgebahrt und glitt anschließend hinunter; die entstehende, den Blick auf die technische Anlage freigebende Öffnung wurde rasch wieder geschlossen (in Hamburg durch eine Rolljalousie). Im 1901 eröffneten Mannheimer Krematorium wurde der Katafalk zusätzlich mit einem von vier schlanken Säulen getragenen Dach versehen, das bei der Versenkung mit hinunterglitt und die Öffnung verschloss. Dass dieser Moment in der Öffentlichkeit als heikel empfunden wurde, zeigt folgender Pressekommentar zur Mannheimer Lösung: „Da das kaum mannshohe Dach leicht mit Kränzen und losen Blumen zu schmücken ist, so würde die Gruft wie mit diesen gedeckt und geschlossen erscheinen, und es ist wohl denkbar, daß ein solcher Abschluß der Trauerfeier von ästhetisch noch wohlthuenderer Wirkung wäre, als es in jenen Crematorien [Gotha und Hamburg] der Fall ist.“[12]

Traditionelle Atmosphäre: Trauerfeiern im Krematorium

Nach wie vor unter gesellschaftlichem Legitimationsdruck stehend, zeigten sich die Anhänger der Feuerbestattung bei der Gestaltung von Trauerfeiern in besonderem Maß bestrebt, traditionelle Pietätsvorstellungen nicht zu verletzen. Für derartige Rücksichten waren nicht zuletzt auch finanzielle Erwägungen ausschlaggebend: Nur eine genügende Auslastung der privat vorfinanzierten Krematorien konnte für einen kostendeckenden Einäscherungsbetrieb sorgen, und schon aus diesem Grund bemühten sich die Vereine natürlich um möglichst große Akzeptanz in der Bevölkerung. So verband die Feuerbestattungsbewegung die vorgegebenen Abläufe des Krematoriumbetriebes mit bekannten Versatzstücken der bei Beerdigungen üblichen Zeremonien. Die Zäsur, die der Einsatz moderner Technik bedeutete, wurde durch vertraute Muster der Sepulkralkultur übertüncht. Selbst wenn die Gestaltung der Zeremonien theoretisch den Angehörigen überlassen blieb, versuchte der Hamburger Feuerbestattungsverein über entsprechende Vorschläge immer wieder der Vorstellung entgegenzuwirken, dass mit der Einäscherung eine Absage an bisherige Traditionen verbunden sei.[13] Zu den wichtigsten (da sichtbaren) Arrangements zählte die Dekoration der Halle und des aufgebahrten Sarges mit Kränzen, Pflanzen und Blumen.[14] Verwendet wurden Arten, die als typische Zeichen der Anteilnahme galten (Palmen, Lorbeer, Immergrün, Rosen). Stimmungsvolle Gemälde und die im zweiten Jahr nach der Eröffnung angebrachten Bronzekandelaber sollten eine feierliche Atmosphäre im traditionellem Sinn erzeugen. Außerdem sorgte der Hamburger Feuerbestattungsverein gegen entsprechende Gebühren für Trauermusik und Trauergesang. Geistliche Traueransprachen fanden zwar häufig, aber keineswegs immer statt. Obwohl ab 1896 ein regelmäßig auf dem nahen Friedhof Ohlsdorf anwesender protestantischer Geistlicher auf Initiative des Vereins auch dem Krematorium zur Verfügung stand.[15]

Ein prominentes und daher gut dokumentiertes Beispiel, die Einäscherung des Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow am 29. März 1894,[16] gibt detaillierteren Aufschluss über die sich bei den frühen Feuerbestattungen entfaltenden sepulkralen Muster und über die Einstellung der Beteiligten. Die Einäscherung Bülows, der sich 1887 in Hamburg niedergelassen hatte, geschah auf eigenen testamentarischen Wunsch. Bemerkenswert angesichts der Geschichte der Feuerbestattung erscheint zunächst, dass der Trauerzeremonie im Krematorium eine Feier in einer Hamburger Kirche vorausging. Nach der Kirchenfeier wurde der Sarg mit Bülows Leichnam zum Krematorium gefahren. Die dortige Trauerfeier war von Trauergesang und -musik geprägt (am Harmonium spielte Gustav Mahler) und mündete in einen weltlichen Nachruf. Schließlich glitt, untermalt von Gesang, der reichlich mit Blumen geschmückte Sarg mittels der hydraulischen Anlage in die Tiefe. Vor der Einäscherung entfernten Angestellte des Krematoriums den Trauerschmuck vom Sarg und übergaben ihn den Angehörigen; in Ausnahmefällen durften einzelne Blumen mit in die Verbrennungskammer gegeben werden – „gewissermaßen ein sinnlicher Ausdruck dafür, daß treue Liebe über den Tod hinausgeht“, wie der Vorsitzende des Hamburger Feuerbestattungsvereins, Eduard Brackenhoeft, in einer Broschüre vermerkt.[17] Zum darauf folgenden technischen Einäscherungsvorgang stand die Feier in keinerlei Verbindung.  Wie andere Vereine achtete auch der Hamburger Feuerbestattungsverein auf eine strikte Trennung zwischen Trauerfeier und Einäscherung, um die vielfach kritisierte Übergabe des Leichnams an die Technik zu kaschieren. Während sich die Trauerfeier im Krematorium in der Regel so eng als möglich an die auf Friedhöfen übliche Beisetzung anlehnte, wurde die Einäscherung und damit das eigentlich Neue unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzogen. Der Hamburger Vereinsvorsitzende Brackenhoeft hatte in seinen verschiedenen Publikationen zur Feuerbestattung in besonderem Maß die erforderliche Rücksichtnahme auf bestehende Traditionen betont: „Jeder neue Brauch wird am leichtesten dann volkstümlich und hat am ehesten dann Aussicht auf Verallgemeinerung, wenn er sich möglichst dem Hergebrachten anschließt. Ist doch die Abweichung von der Sitte oft einer der Hauptvorwürfe, die man den Freunden der Feuerbestattung macht.“[18]

Die Kommunalisierung der Feuerbestattung

Für die Feuerbestattung sollte es von großer Bedeutung sein, dass sie auch in breiten Arbeiterkreisen Fuß fassen konnte. Dies geschah im wesentlichen nach dem Ersten Weltkrieg, also in der Zeit der Weimarer Republik. Nun erwies sich die Feuerbestattung als ein entscheidender Baustein der Rationalisierung im kommunalen Bestattungswesen. Immer mehr Krematorien – auch das Hamburger – waren inzwischen, zum Teil auf gesetzlichen Druck, in kommunale Hände übergegangen, und die Einäscherungspraxis konnte gezielt in städtische Rationalisierungskonzepte einbezogen werden: „Die Friedhofsverwaltungen [besonders in Großstädten] haben ein lebhaftes Interesse daran, sie zu fördern, weil sie erhebliche Ersparnisse an Friedhofsgelände bringt. Dieses finanzielle Interesse, das sich naturgemäß auch auf die Kosten der Feuerbestattung selbst auswirkt, zwingt aber auch dazu, den Minderbemittelten Aschengrabplätze zur Verfügung zu stellen, die nicht mehr Raum in Anspruch nehmen, als für die Unterbringung der Aschenreste notwendig ist,“[19] hieß es von offizieller Seite. Die bessere Auslastung der Anlagen und effizientere Nutzung der Friedhofsfläche waren willkommene Folgewirkungen. Neue, pragmatische Formen der Aschenbeisetzung wurden nun entwickelt, die schließlich in den Formen anonymer Beisetzung münden sollten. Durch gezielte Gebührensenkungen gelang es den Kommunen, die Einäscherungszahlen deutlich zu steigern. Signifikant ist die Entwicklung vor allem in den Großstädten: In Hamburg beispielsweise, dessen erstes Krematorium 1915 kommunalisiert wurde, wuchs der Anteil der Einäscherungen an den Gesamtbestattungen stetig an. 1933 schließlich wurde auf Grund der steigenden Nachfrage auf dem Ohlsdorfer Friedhof das zweite, von Fritz Schumacher entworfene Hamburger Krematorium eingeweiht – letztes Bauwerk des von den Nationalsozialisten aus dem Amt getriebenen Oberbaudirektors. Insgesamt darf zumindest für die Städte behauptet werden, dass die Feuerbestattung in der Zeit der Weimarer Republik ihren „exotischen” Charakter verlor. Das bedeutete allerdings nicht, dass der Umgang mit ihr generell etwas Selbstverständliches wurde. Die katholische Kirche etwa erlaubte die Feuerbestattung erst seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den frühen 1960er Jahren. Gegenwärtig liegt der Anteil der Feuerbestattungen an den Gesamtbestattungen im deutschlandweiten Durchschnitt bei über 50 %, in einigen Städten und Regionen – darunter auch Hamburg – jedoch weit höher.



[1] Zur Geschichte der Feuerbestattung siehe Norbert Fischer: Zwischen Trauer und Technik. Eine Kulturgeschichte. Berlin 2002; siehe auch Axel Heike-Gmelin: Kremation und Kirche. Die evangelische Resonanz auf die Einführung der Feuerbestattung im 19. Jahrhundert. Berlin 2013.

[2] Eigene Auswertung folgender Unterlagen der Friedhofsverwaltung Hamburg: Sargregister 1892-1895; Feuerbestattungsregister 1892-1895 (Feuerbestattungen: n = 73; Beerdigungen: n = 76). Siehe auch Fischer: Umgang, 1986, S. 46.

[3] Eduard Brackenhoeft: Das Crematorium in Hamburg. Eine übersichtliche Darstellung der Entstehung, Einrichtungen und Betriebsvorschriften des Crematoriums in Hamburg. Hamburg 1896, S. 1, Fußnote.

[4] Für Beschreibung und Interpretation des Hamburger Krematoriums greife ich unter anderem auf folgenden Aktenbestand zurück: Denkmalschutzamt Hamburg: Akte Altes Krematorium Alsterdorfer Str. DA 39-407.301. Band 1-5. – Zur Geschichte der Krematoriumsarchitektur siehe Henning Winter: Die Architektur der Krematorien im Deutschen Reich 1878-1918. Dettelbach 2001.

[5] Hermann Hipp: Gutachten betr. Ehemaliges Krematorium Hamburg-Alsterdorf. 1976, S. 7. In: Denkmalschutzamt Hamburg, Akte Altes Krematorium.

[6] Brackenhoeft: Crematorium (wie Anm. 19), S. 10; Ernst Paul Dorn: Das Hamburger Crematorium. In: Deutsche Bauzeitung 26, 1892, S. 97.

[7] Hipp (wie Anm. 21), S. 7-8.

[8] Roland Jaeger: Hoch Hammonia! Gewerbe- und Industrieausstellung von 1889. In: Volker Plagemann (Hg.): Industriekultur in Hamburg. Des Deutschen Reiches Tor zur Welt. München 1984, S. 84-86, hier S. 85.

[9] Hipp (wie Anm. 21), S. 7.

[10] Brackenhoeft: Crematorium (wie Anm. 19), S. 12-13.

[11] Ernst Beutinger: Handbuch der Feuerbestattung. Leipzig 1911, S. 129.

[12] Illustrirte Zeitung Nr. 3010, 7.3.1901, S. 365.

[13] Eduard Brackenhoeft: Feuerbestattung und Pietät. Wien 1909, S. 4.

[14] Hierzu und der folgenden Beschreibung siehe Brackenhoeft: Crematorium (wie Anm. 19), S. 13.

[15] Ebd. S. 13 und S. 29-30.

[16] Bernhard Stockmann: „Ruht wohl, ihr teuren Gebeine“. Die Trauerfeiern für Hans von Bülow. In: Harald Weigel (Hg.): Festschrift für Horst Gronemeyer zum 60. Geburtstag. Herzberg 1993, S. 461-477.

[17] Diese Beschreibungen und das Zitat nach Brackenhoeft: Crematorium, 1986, S. 13-17 und S. 29-30.

[18] Eduard Brackenhoeft: Die Beisetzung der Aschen-Überreste Feuerbestatteter. Ihre Berechtigung und Gestaltung. Ein Beitrag zur Theorie und Praxis der Feuerbestattung. Hamburg 1904, S. 34.

[19] Frank/[Otto] Linne (Friedhofsverwaltung Hamburg): Aschengrabmale für den Ohlsdorfer Friedhof. Hamburg 1924, S. 6-8.

 

Quelle: http://www.hh-geschichten.uni-hamburg.de/?p=1226

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“Every Other Picture” – Louise Lawler in Dresden

Ende 1994 initiierte Ulrich Bischoff das Ausstellungsprojekt »4 x 1 im Albertinum«, das richtungsweisend für seine weitere Arbeit am Museum werden sollte und das von ihm auch ein wenig subversiv angelegt war. Bischoff war erst Anfang des Jahres von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen als Direktor an die Gemäldegalerie Neue Meister nach Dresden gewechselt. Insgesamt vier Mal hat die Ausstellung stattgefunden. Bis 1997 zeigten 16 Künstler unter diesem Motto ihre Werke, die jeweils im Dialog mit der Sammlung inszeniert wurden. Die Reihe stellte ein internationales Programm in Dresden vor und ergänzte den vorhandenen Bestand um wichtige Positionen. Für Bischoff war sie damals mehr als ein temporäres Ereignis. Sie war wegweisend für das Sammlungskonzept der folgenden Jahre, das er mit der Ausstellungsreihe erproben konnte.

Heute befinden sich von zehn der damals ausgestellten Künstler Werke in der ständigen Sammlung der Galerie, darunter auch einige der damals gezeigten Arbeiten von Günter Fruhtrunk, Leon Golub, Dan Graham und Maria Lassnig. Dabei hat Ulrich Bischoff eine ungewöhnliche Ausdauer und Treue gegenüber den Künstlern bewiesen. Immerhin 15 Jahre hat es gedauert, bis sich 2010 anlässlich der Wiedereröffnung des renovierten Albertinums der Wunsch nach einer retrospektiven Ausstellung von Jeff Wall realisieren ließ. Von Luc Tuymans, der 1996 an der dritten Präsentation von »4 x 1 im Albertinum« beteiligt war, konnte Bischoff 1999 mitdem Gemälde »Der Architekt« ein Hauptwerk des Künstlers erwerben. Nun, zum Abschluss seiner Tätigkeit an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (im Folgendem SKD) kuratieren beide gemeinsam die Ausstellung »Die Erschütterung des Sinne«, die mit der Gruppierung von »4 x 4« Künstlern nicht nur die formale Struktur von »4 x 1 im Albertinum« noch einmal aufgreif, sondern mit Tuymans und Jeff Wall auch zwei der damaligen Künstler erneut einlädt. Auch darin ist sich Bischoff treu geblieben. Hier schließt sich nach zwei Jahrzehnten der Kreis einer konsequenten und vorbildhaften Museumsarbeit.

Ein zweiter Blick auf die Namensliste der an »4 x 1 im Albertinum« beteiligten Künstler offenbart noch eine andere Programmatik. Mit Louise Lawler, Marcel Odenbach, Rolf Julius, Raffael Rheinsberg oder Alf Schuler zeigte Bischoff in der Gemäldegalerie Neue Meister unter anderem auch Nicht-Maler. Die Ausstellungsreihe unterwanderte hier ganz bewusst die traditionellen Gattungsgrenzen der einzelnen Institute an den SKD. Nicht nur lassen sich Maler, Bildhauer, Fotografen, Objekt-, Installations- oder Konzeptkünstler nicht mehr kategorisch voneinander trennen, viele Künstler überschreiten in ihrem Werk gerne alle Gattungsgrenzen und setzen die unterschiedlichsten Medien je nach Bedarf und Notwendigkeit für ihre künstlerischen Aussagen ein. Die Ausstellungsreihe »4×1 im Albertinum« hat dies vorgeführt, zahlreiche Erwerbungen während der vergangenen 20 Jahre haben diese mediale Öffnung nachvollzogen. Schließlich haben auch die SKD selbst eine entscheidende Konsequenz gezogen: Seit 2001 lautet der Titel des Museums »Galerie Neue Meister«, die Malerei hat ihren Ausschließlichkeitsanspruch aufgegeben und die Sammlung ist pluralistischer, dialogfähiger, zeitgenössischer und auch internationaler geworden.

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Die New Yorker Künstlerin Louise Lawler war 1994 gemeinsam mit Marlene Dumas, Günter Fruhtrunk und Marcel Odenbach an der ersten Ausgabe von »4 x 1 im Albertinum« beteiligt. Auch diese Wahl ist programmatisch gewesen. Lawler arbeitet mit Fotografie, ohne sich als Fotografin zu verstehen, und sie überschreitet dabei die traditionellen Gattungsgrenzen. Häufig stellt sie ihre fotografischen Arbeiten in einen informativen oder installativen Kontext. Sie kombiniert die fotografischen Motive mit Textergänzungen, die sie auf das Passepartout druckt oder den Fotos als Wandtext beistellt. Solche Texte kontextualisieren die Werke oder kommentieren das Dargestellte, können aber auch vom Bild unabhängige Botschaften transportieren. In anderen Beispielen inszeniert sie ihre Werke, indem sie mehrere Fotografien zusammenstellt, sie auf einer farbigen Wandmalerei präsentiert oder mit den Werken anderer Künstler kombiniert. Ein weiterer wichtiger Aspekt ihres Schaffens ist der Einsatz ephemerer Materialien, mit denen sie ihre künstlerischen Botschaften auf Postkarten, Einladungen, Plakaten, Streichholzbriefchen, Servietten oder Kalender vertreibt.

Louise Lawler wurde 1947 in Bronxville geboren und gehört zusammen mit Richard Prince, Cindy Sherman und Barbara Kruger zur sogenannten picture generation, die Ende der 1970er Jahren an die Öffentlichkeit trat. Sie vertreten eine zweite Generation konzeptueller Künstler, die sich von ihren Vorgängern (Lawrence Weiner, Robert Barry oder Joseph Kosuth) vor allem durch ihre Aneignung von und ihre künstlerische Argumentation mit fotografischen Bildern unterscheiden. Louise Lawler fotografiert ihre Bilder an den »Orten der Kunst«, nachdem die Werke ihren Produktionsort, das Atelier, verlassen haben, um sich in einem anderen institutionellen Kontext zu bewähren. Ihre Aufnahmen entstehen in Galerien und Auktionshäusern, in den Wohnungen privater Sammler, in musealen Ausstellungssälen und Depots. Lawlers Blick richtet sich dabei immer auch auf den Umgang mit der Kunst, die Wahl ihrer Präsentation und die Formen ihrer Archivierung, die Wertschätzung der Kunst und ihre Positionierung in architektonischen und sozialen Kontexten. An jedem dieser Orte geraten andere Details in den Fokus des Interesses von Louise Lawler.

Dabei weisen ihre Aufnahmen über sich selbst hinaus auf ihre Umgebung, den Raum und die Institution ihrer Präsentation, in diesem Fall auf die Gemäldegalerie Neue Meister im Albertinum. Auch deshalb war die Entscheidung für Louise Lawler eine wichtige. Ihr Beitrag zur Ausstellung hat den Blick auch auf die Chancen und Defizite gelenkt, mit denen sich das Dresdener Museum damals konfrontiert sah.

Es war deshalb auch nur konsequent, dass Louise Lawler im Mai 2010 erneut nach Dresden gekommen ist, um hier im noch nicht wiedereröffneten Albertinum zu arbeiten. Für eine Gruppe neuer Werke fotografierte sie während der Einrichtung der Ausstellungsräume von Gerhard Richter, aber auch in der Skulpturensammlung und im Grünen Gewölbe. Aus diesem Aufenthalt sind eine Reihe neuer Werke entstanden, die sie seitdem in verschiedenen Variationen realisiert und in Ausstellungen gezeigt hat, 2012 auch in einer kleinen Präsentation im Schaukabinett im Albertinum. Gerhard Richters Malerei war bereits 1994 Thema eines der ausgestellten Werke. Die Fotografie mit Wandtext »Every Other Picture« entstand 1990 und verweist auf die Verfügbarkeit und Auswechselbarkeit von Kunstwerken. Diese Recherche zum Werk von Gerhard Richter hat Louise Lawler nach zwei Jahrzehnten in Dresden erneut aufgenommen.

Dieser Artikel ist anlässlich der Verabschiedung von Professor Ulrich Bischoff, von 1994 bis März 2013 Direktor der Galerie Neue Meister, erschienen in: Dresdener Kunstblätter 2/2013. Neue Meister für Ulrich Bischoff, hg. von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Dresden 2013, S. 56-60.

Quelle: http://gra.hypotheses.org/539

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