Alles Kunst oder?-Das stARTcamp im LWL-Landeshaus am 28. März 2015 #scms15

Zum 2. Mal schon trafen sich rund 100 Kulturschaffende am 28. März zu einen stARTcamp im LWL-Landeshaus. Ziel war es bereits wie im Jahr 2014, sich im Bereich Social Media auf den neuesten Stand zu bringen und Ideen und Projekte kennenzulernen, wie man diese Instrumente im Kulturbetrieb nutzt.
Das stARTcamp ist eine von Mitgliedern des Vereins stArtconference organisierte Tagung. Dieser Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt der Social Media für Kunst- und Kulturschaffende zu öffnen und organisiert inzwischen auch europaweit stARTcamp-Tagungen.

Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)

Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)

Tagung kann man zu dieser Veranstaltung sagen, eine Konferenz im eigentlichen Sinne ist es nicht. Das stARTcamp wurde zum zweiten Mal als Barcamp veranstaltet. Einige sagen „Unkonferenz“ dazu (durchaus positiv gemeint). Andere sprechen vom Tagungssystem der Zukunft. Man trifft sich zu einem bestimmten Oberthema („Social Media im Kulturbetrieb“) und legt gemeinsam direkt zu Beginn die einzelnen Sessions, d.h. das Programm fest. Das kann alles sein, vom Workshop bis hin zur spontanen offenen Diskussionsrunde. Das Organisationsteam koordiniert dann zeitliche Abfolge und Raumaufteilung.


Als Archiv fühlte ich mich als ein Teil der Zielgruppe, erwartete aber – zu Recht, wie sich zeigen sollte – in der Minderheit zu sein. Von der Beschreibung der Veranstaltung erwartete ich mehr Teilnehmer aus Museen – schließlich findet sich das Wort ART schon im Titel. Museen haben schon seit längerem die Möglichkeiten des Web 2.0 für sich entdeckt. Außerdem eine neue Tagungsform, ich war gespannt.

Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)

Bei derAnmeldung erhielten die Teilnehmer den obligatorischen Wlan-Zugang Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)

 

 

 

Bei der gemeinsamen  Einrichtung der WLAN-Zugänge gleich zu Beginn stellte sich heraus, so viele Kollegen aus den Museen waren hier gar nicht. Während der Vorstellungsrunde (Vorstellung mit drei Hashtags) stellte ich fest, dass unter den Teilnehmern sehr viele Mitarbeiter von Konzerthallen und Opernhäusern waren. Scheinbar hat man auch hier vor Kurzem eine breite Initiative im Bereich der Social Media gestartet. Letztendlich ist dies auch immer die Frage der selbst gesetzten Zielgruppe. Ansonsten war das Publikum erfrischend unterschiedlich: Vom absoluten Neuling („Entschuldigung, was ist bitte ein Hashtag?“) bis hin zu jungen Kulturvolontären, die gelangweilt erklärten, dass „Facebook absolut old fashioned“ sei, war alles dabei. Es boten sich insgesamt gute Möglichkeiten der virtuellen und realen Netzwerkbildung.

Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)

Tagungsort LWL-Plenarsaal Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)

Nachdem die Themen der Sessions festgelegt per Handzeichen abgestimmt waren, ging es nach einer kleinen Pause los und das in einer beeindruckenden Geschwindigkeit. Das Programm erfasste einerseits Grundlagen, wie z.B. „Wie richte ich einen Blog?“ ein und „Wie melde ich mich auf Twitter an?“, anderseits wurden auch Themen wie „Welche Hilfsmittel helfen mir, meine Social media-Werkzeuge zu strukturieren und für meine Zwecke auszuwerten?“ und „Welche virtuelle Begleitung lässt sich einem Benutzer oder Besucher bieten?“ bis hin zu „Rechtliche Fragen bei Museumsselfies“ behandelt.

 

Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)

Die Sessions werden per Hand abgestimmt. Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)

Bei meinen Sessions lerne ich am Vormittag, dass man auch mit dem Smartphone durchaus gute und beeindruckende Fotos machen kann. Es ist meist eine Frage der Perspektive und kleinerer Hilfsmittel. Dies ist nicht unwichtig für die Social Media Kanäle, weil man ohne Aufwand so Bildern einstellen kann, die inzwischen obligatorisch für einen Beitrag dort sind. Danach folgt eine Einführung in „Smart events und smart Places“ durch den Kommunikations- und Web 2.0-Berater Frank Tentler. Dort erfahre ich so einiges über das grundsätzliche Verhältnis von Social Media und Kulturinstitution. Wir produzieren täglich ohne Ende Content und Content ist wichtig und wertvoll. Ein wichtiger Aspekt, denn man hört auch in Kulturinstitutionen gerne mal den Satz „Was ich mache, interessiert doch sowieso niemanden.“ Man kann also sagen: Doch! Egal, ob Museum, Konzerthalle oder Museum, es interessiert die Leute. Hier wurden erste Grundlagen eines konkreten Marktingnutzens der Social Media-Aktivitäten vermittelt. Eine gute Einführung, wenn auch im öffentlichen Dienst nur begrenzt umsetzbar. Schön, dass wir bei der vom LWL-Archivamt mitorganisierten Tagung „Offene Archive 2.0“ im Dezember in Siegen dieses Thema noch vertiefen werden.
Nach der Mittagspause kam es bei der Keynote von Dr. Christian Gries, der das nächste stARTcamp in München mitorganisiert, zu kontroversen Diskussionen im Gesamtplenum. Sein Thema „Wie das Netz die Kunst befreit“ regte Überlegungen zum Thema „Banalisiert Web 2.0 nicht die Kunst?“. An eine wichtige Frage, die auch auf die Archive übertragbar erscheint. Auch hier fragen wir uns oft, ob wie mit den Instrumenten des Social Media nicht die Quellen im Allgemeinen und unseren Kulturauftrag im Speziellen banalisiert. Noch immer haben wir vor allem einen hohen wissenschaftlichen Anspruch, genau wie Museen einen hohen künstlerischen Anspruch haben können. Diese Grundsatzdebatte zeigte aber, dass die Fragestellung inzwischen in beiden Bereichen überholt erscheint. Banalisiert wird weder das eine noch das andere. Im Archiv wie im Museum bieten die Kanäle der Social Media vielmehr einen Weg den Nutzer und Besucher mehr an die Hand zu nehmen und ihm einen Weg zu ebnen auch komplexere Inhalte zu erarbeiten und zu verstehen. Social Media ist daher nicht im Zuge einer Banalität zu sehen, vielmehr als eine Form der Neuausrichtung eines Servicegedankens, der alle Kultureinrichtungen betrifft.

Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)

Unverzichtbar für alle: das Smartphone.Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)

Anschließend lernte ich bei Frank Tentler mit Michelle van der Veen, welche Möglichkeiten es gibt, seine Social Media-Tools zu verwalten und effektiv auszuwerten. Im Zuge einer ausbaufähigen Socialmedia-Strategie im LWL-Archivamt ein wichtiger Aspekt.
In der abschließenden Session habe ich mich dann zu einer virtuellen Benutzerreise aufgemacht – passenderweise durch ein Museum. Angereichert durch Beispiele aus Konzerthäusern lernte ich, was Benutzer heute erwarten und erwarten können, und das nicht nur während des Aufenthalts in der Kulturinstitution sondern davor, währenddessen und danach.
Das zweite stARTcamp in Münster war eine wichtige Veranstaltung, die durchaus als ein Erfolg verbucht werden kann. Vielen Dank noch einmal an die Organisation! Insgesamt habe ich viel gelernt und Inspirationen bekommen. Manchmal waren die Diskussionen in den einzelnen Sessions allerdings zu gering. Hier würde ich mir wünschen, dass auch unter den Teilnehmern in Zukunft mehr diskutiert wird. Die Paralleldiskussionen auf Twitter kannte ich aus anderen Veranstaltungen bereits. Diese sollten aber vor Ort nicht die einzigen sein. Insgesamt war das stARTcamp in Münster eine gelungene Sache und es bleibt zu hoffe, dass es im nächsten Jahr ein neues stARTcamp im LWL-Landeshaus geben wird.

Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)

Das Organisationsteam. Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)

 

Antje Diener-Staeckling

 

 

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/2074

Weiterlesen

Die Crowdsourcing-Plattform Velehanden.nl

Eine der zentralen Fragen bei dem Einsatz von Web 2.0 in und für Archive ist die Frage nach dem Nutzen für die Archive. Die Vorstellung etwas online zu stellen, was dann von anderen erschlossen, bzw. bearebitet wird ist eine der Zukunftsvisionen, die viele Archive verfolgen. Scheinbar bieten sich einige Bestände, wie z.B. Fotobestände für das sogenannte “Crowdsourcing” geradezu an. In den Niederlanden läuft schon seit Jahren erfolgreich die Crowdsourcing-Plattform www.velehande.nl Ellen Fleurbaay und Nelleke van Zeeland vom Stadsarchief Amsterdam berichten hier über das Projekt, die Betreuungsaufwände, den Nutzen und die Ergebnisse bis jetzt. Dieser Beitrag in englischer Sprache bassiert auf einem Vortrag, der beim Deutsch-Niederländischen Archivsymposium im Okober 2013 in Arnheim gehalten wurde.

 

Velehanden.nl: what does it take to make a crowd?

Von Nelleke van Zeeland und Ellen Fleurbaay

10_Zeeland_homepage VHVeleHanden, which can be translated as Many Hands, is the online crowdsourcing platform initiated by the Amsterdam City Archives. It is active for almost two years now, so high time to look back, evaluate and value the results. A short history of the Amsterdam City Archives and our online activities will provide the necessary context and background of this project. Then we will focus on how the VeleHanden project was initiated and organised in a public private partnership. Then we will arrive at the most important question of crowdsourcing: how to create and keep a crowd. In conclusion, we will touch upon the results of VeleHanden. What did we accomplish? How is the quality of the work?

A short history of the Amsterdam City Archives

First of all some basic information on the Amsterdam City Archives. Since 2007 we are located in a beautiful building in the heart of the Amsterdam City Centre. We receive an average number of about 100.000 visitors a year. That is a figure we are very happy with, as before 2007, when we were housed in a picturesque little building on the outskirts of the city, we never attracted much more than a quarter of this number. And even this quarter was declining, in an alarmingly rapid pace. At the same time we were amazed to see how many visitors were attracted to our first website in 1998 and how fast the number of web visitors was growing. Without much effort, in a few years the website attracted ten times more visitors than our reading rooms.

The website started in 1998 and, as most websites in those days, it was a sort of online brochure, offering illustrated stories about highlights in our collections, information on opening hours and other practical things. Then we saw an Image database, probably Getty’s. We fell in love with it and wanted one for ourselves. In 2003 we had our own Beeldbank.

10_Zeeland_projectpage VHAbb1. Homepage + Projectpage

 

 

 

 

 

 

Then some visitors asked: ‘Why an Image database? Your core business is archives, so where are the archives? We had to admit that this was an apt remark and we set ourselves to get an overview and catalogue of our archival collections online. We named it: Archiefbank, or Archives Database. Our colleagues said: well done! But our customers were not satisfied and they asked: ‘Where is the button to see those documents? I cannot find it’.

Again an apt remark we thought. So we decided to start scanning. This time our colleagues laughed at us and asked us if, by the way, we had forgotten to calculate how long it would take to scan all those kilometres of documents. Of course we had not forgotten; it is an easy sum: with an average production of 10.000 scans a week it would take about 420 years to scan our collections. But the question is not about how much documents we have in our collections, the question is how much documents our customers ask from us. And that does not outnumber about 15.000 scans a week. That is why we started a ‘scan on demand service’. This works out fine and nowadays we produce 15.000 scans a week. When a request for scans is received it takes three to five weeks to produce the scans and bring them online. A lot better than the calculated 420 years…

However, then came the questions from customers that led to VeleHanden. This time the questions were not as simple as ‘where is the button’. They were more like vague complaints: ‘I cannot find it’, ‘It is too difficult’ or ‘Why is there so much’. It took us some time before we comprehended what was needed. Eventually, we came to the conclusion that our customers do want to find things, but they do not want to have to search for them. They want to know the history of their house, or the history of their family, but they do not want to make a study of how the population was administrated in the past. They just want to type in a name or an address. In short, they want an index to all those documents.

We had some indexes made in India, but even in low-wage-countries, this is rather expensive. The average costs of indexing a scan vary from three to ten times the price of producing a scan. It would be absolutely impossible for us to find the money to pay for indexing on a large scale. What we needed for indexing were volunteers, and not just a few, but lots and lots of volunteers. And that is how the idea for this crowdsourcing project was born.

Can we build it?

To attract a real ‘crowd’ to our project it seemed better to us, not to operate on a local scale. A project where all archives in the Netherlands could benefit from, seemed more appropriate. So in 2011 we invited our colleagues to join us in a nationwide pilot project to index all Dutch Militia registers. As enrolment for the army was obligatory, the name of every Dutch 19-year-old boy is written at least once in these registers. So nowadays every man or woman with Dutch ancestors can find some of them in these registers. An interesting project for a real crowd.

However, a nationwide project costs a lot of money. So the first problem to solve was the funding problem. The solution for this problem was found in a public private partnership. You could call it co-creation, as there were various partners involved in making VeleHanden possible.

The first category of partners are the archival institutions. They were asked to pay for the scanning of their own documents. The Amsterdam City Archives offered to manage the scanning process and we were able to negotiate a very low price per page, simply because of the size of the project. So we as archival institutions gain a lot as we receive high quality and cheap scans plus an index and all we learn from being part of an innovative project.

Secondly, VeleHanden was supported by public funds that want to stimulate people to participate in cultural and socially relevant projects. Two public funds decided to join us: the Mondriaan Foundation and VSBfonds.

The third party that profits from the project are the users of the Militia registers website who like to have a look at, or to download our scans. These users pay € 0,50 per scan. Of course there is an important exception: our crowdsourcers can earn scans for free.

And then there was a very important fourth partner in this project: the company that would own and exploit the crowdsourcing platform. We send out a Request for Proposal in which we offered a fixed price for the company that came up with the best plans. We did not ask for lowest price, but we asked for best quality and best warranties for continuity in the future.

We received seven enthusiastic proposals and we decided to contract two partners: one for the crowdsourcing platform VeleHanden.nl and one for the search system and webshop Militieregisters.nl. Geneabase built and owns militieregisters.nl and Picturae exploits the VeleHanden website. Currently, the crowdsourcing platform facilitates already ten institutions in eleven different projects. When an archive service wants to use VeleHanden, it has to pay a service fee that is related to the size, complexity and duration of the project. If new functionality is required for a particular project, it is up to Picturae to develop this functionality in dialogue with the archival institution. However, the archive service retains control over both the digital images and any metadata created by the volunteers during the project. We believe that the partnership therefore combines a commercial imperative for Picturae to support, develop and sustain VeleHanden with the archival institutions’ mission to promote online access and public engagement with archives.

In the next step of development, the actual creation of the platform for crowdsourcing, we invited a lot of people to help us ‘co-create’ VeleHanden. We realised that we needed to attract a huge and diverse community for crowdsourcing. This meant we had to attract a lot of people that we had never met before. Who are they, why would they participate and what is important to them? We needed to get to know these people a bit better. And we felt they had a right to participate in the development of the platform, as they were going to do the actual work on the website.

So we simply asked in one of the City Archives’ newsletters for volunteers to join the project to help us testing the tools for data entry and for quality checks and to test login procedures and forum facilities. In two days’ time 150 people volunteered and we had to stop enrolment for testing as our software-partner was getting a bit nervous.

We started the test period when the first tool, the tool for data entry was ready to be tested. We organised a meeting to get acquainted with our panel and to explain our ideas. They started the data entry, and at the same time we started developing the tool for control. Six weeks later, we held a second meeting, explained the working of the control tool and in the second test period our testers checked the data they had entered in the first six weeks and by doing this they tested the control tool.

All in all the testing took four months. We held another meeting and we organised several surveys, using Google analytics. Attendance to the meetings varied from twenty to fifty people. Even more important than the meetings and the surveys was the Forum. The Forum was a busy meeting-place for direct contact on a daily basis between testers and the project team. And it continues to be; direct communication is a very important feature of the site and we keep thinking of improvement.

All in all, this co-creation of our platform worked out very well and our software engineer told us she wished all projects could be done in this way. She enjoyed explaining how the site worked not only to us, but also to the actual users of the site. And she said it was very rewarding to be able to fix bugs as soon as people see them and to get a nice ‘thank you’ for it, instead of receiving complaints after you thought you had finished your job. On the other side, the volunteers were very happy to receive answers from the software engineer herself and they experienced that we really paid attention to what they said.

During this testing period the core of our crowd was formed. At November 3rd 2011, when we officially baptised VeleHanden and send it out in the world to grow, the testers transformed to ambassadors of the website. They do all the quality checks and they help new arrivals. At this moment, VeleHanden counts more than 2900 members and it still grows daily. So we can assume we managed to create a crowd.

 

VeleHanden.nl

 The platform VeleHanden.nl consists of several parts that we will briefly describe here. Of course this will make even more sense if one would logon to the website and browse around.

On the home page you will find general information about VeleHanden. What is it? Why should I join in in this project? What kind of projects can I work on? Each project has its own page with more specific information about the source the project is about, the task, the reward, relevant news items et cetera. Per project you can also find statistics on the overall progress of the project and which member entered or controlled most scans. We think this is also an important aspect for motivation of the crowd. Most of the projects are still genealogical projects, initiated by archival institutions, but there are also video tagging and photo tagging projects and even one in which you help determining louses and mites. This shows that VeleHanden is still developing. Abb.  Data entry – photo tagging

On the member page (‘Gebruikers’) you find an overview of all volunteers who work on one or more projects. On the Forum people can ask questions or share interesting information with the crowd. The menu items News and Help (FAQ) speak for themselves.

Each member can choose a project to work on, and by clicking on the ‘invoeren’-button, you start with the data entry. Data can be entered once or twice, or even more times, if you would like to. For most genealogical projects double data entry is chosen. A volunteer types the requested data and once he finished the scan and saves the data, a new scan immediately appears. We hope this motivates the volunteers and makes VeleHanden almost addictive. While entering data, the participants can use two buttons to contact the project managers. They can mark a scan as unusable (‘onbruikbaar’), for example when it is a cover of a book, or as remarkable (‘opmerkelijk’), if something special is noted. In the Militia registers project for instance we asked the crowd to use the ‘remarkable-button’ when they recognised famous persons. This led to a nice summing up of heroes on Militieregisters.nl.

 

10_Zeeland_data entry photo VH

 

 

10_Zeeland_data entry text VHAbb 2.  Data entry – archival project

 

 

 

 

The control tool is only accessible if you have been appointed controller by a project manager. The data entered by both participants is shown next to each other and next to the scan and differences are highlighted. The controller can see in an instant where he should pay extra attention to. He can choose one of the entries by clicking on it, or if he disagrees with both, he can enter the correct data himself. If he does not know what is right either, he can use the problem button to send an email to an expert, someone from the archival institution. This option is not used by the controllers often though. As a default setting both participants are rewarded with VeleHanden points, but if the controller suspects misuse, he has the power to take points. This is also a rare exception. Abb. Control tool

 

Pleasure, praise, profit

We saw that we have already passed the problem of making a crowd. Now the important challenge is to maintain a crowd. Of course we have thought a lot about it: it started during the development of VeleHanden, but thinking of ways to keep the crowd still continues. We believe the work has to provide three things to the crowd: pleasure, praise and profit.

First of all: it must be a real pleasure to use the website. It must be user friendly and really fast. The task itself must be fun and it must be nice to come into contact with like-minded people that you get to know after a while.

Then you must feel and be told that the work you are doing is appreciated very much, not only by the archives, but by all historical researchers now and in the future. Working on VeleHanden is a socially relevant activity. It may sound obvious, but this is an important feature of all volunteer work: volunteers have to feel appreciated and praise is a simple, but an important reward. Important at this point is also to show the results: as Amsterdam City Archives we weekly add the newly indexed names in a work in progress index on our website. This is great for our crowd, because if a participant enters a name today, he will be able to search and find that name next week. For us as project team it is great as well, because we see our indexes grow with about 15.000 to 20.000 names a week, which is incredible.

And, last but not least, you have to gain something as well. At VeleHanden you receive what we call VeleHanden points, to be compared to Airmiles. These points are not worth a lot; an estimate would be that you earn € 0,50 an hour. But still, it is a sign of appreciation and we learned this is important to our crowd. Each archive can decide how many points they want to reward their volunteers and can decide what kind of ‘products’ they offer. Usually, it is access to scans, which are otherwise only downloadable for money. But we also have sent flowers or chocolates and organised workshops, guided tours and even a lottery. Although it is not the decisive factor to participate, it is important to reward your crowd. An example that illustrates this, is the birthday of the VeleHanden project of the population registers. We decided that on that particular day, people would be awarded five instead of the regular three points for each scan. Where the average of indexed scans was 250 a day, on the birthday it suddenly rose to 591.

These three p’s, pleasure, praise and profit, are the key factors which we will continue to monitor and develop to maintain our crowd, in hope we can keep them as enthusiastic and hard-working as they are now.

 Results

To conclude some more details about the results of crowdsourcing. In almost two years, VeleHanden counts 2900 participants, mainly from the Netherlands, but also from abroad, for example from Brasil, the United States, Sweden, Australia and even Senegal.

Their production is overwhelming. If I take only the genealogical projects into account, there are over 4,5 million names transcribed. Calculated in working hours, this would take us, regular archivists, more than fifty years. And then we would not even take breaks. So that is huge. On top of that, they really seem to like it, because they are also really active on the Forum. In two years they started 1280 forum topics and responded to them more than 5000 times.

What you see in all crowdsourcing-projects: most of the work is done by a small hard core and this is also the case with VeleHanden. Fifteen participants have processed more than an amazingly amount of 10.000 scans each.

But quantity is not as important as quality. The question most asked is: is crowdsourcing prone to error? Last year, Ellen Fleurbaay and PhD researcher Alexandra Eveleigh from University College London, tackled this question in a paper delivered at the ICA conference. They gave a threefold answer to this question, which we will summarise here.

Firstly, support and guidance is essential for crowdsourcing. Instructions are provided in several different places and formats: as a manual, while indexing and in FAQ. People can ask for help on the Forum or use the remarkable button to bring a scan under extra attention of a controller or project leader. These guidelines and communication tools make the crowd confident.

Secondly, VeleHanden uses a double entry system: as we explained earlier two different people independently index the same scan. And then on top of that, a third person checks the data that the first two have entered. This third volunteer can see both the scanned document and the two sets of data that have already been entered. The third person’s job is to check and decide on the right choice. So three independent persons review a scan, something that would be far too costly if you were not to work with a crowd.

And lastly, a question in return is: what do we consider an error? Sometimes an entry in our index looks like a mistake, but eventually turns out to be right. We will show you one example from the Militia registers.

Searching on the impossible year or birth 1, gives 33 results. So you would think these are 33 mistakes. But take for example Hendrikus Ebeling, who cannot have been born on June 12th in the year 1. As he is registered in 1861, and all boys had to sign on at the age of 19, it is obvious that Hendrikus must have been born in 1842, as were all the other boys registered on the same page. But the strict instruction for the volunteers is to copy exactly what they read in the scan and as you can see, according to the scan his date of birth is June 12th in the year 1. So in the index you can find him born in the year 1 and this is not a mistake made during indexing, but an error in the nineteenth century administration.

So even if you find strange years or dates of birth, you cannot be sure they are mistakes. In the Militia register index of over one million records, there are 316 of these ‘impossible’ years of birth, and this is only 0.027% of the index, a reassuring percentage. Especially if you consider that some of those 316 might even be indexed right.

So all in all we are very satisfied with the development and results of VeleHanden so far. Of course, there are still points of improvement and we still learn every day.

Nelleke van Zeeland
Stadsarchief Amsterdam

nvanzeeland@stadsarchief.amsterdam.nl

 

Ellen Fleurbaay

Stadsarchief Amsterdam

heft 80 - 01-2014 - seiten001-068.inddDieser Beitrag ist ebenfalls inder aktuellen Archivpflege, Heft 80 abgedruckt.

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/759

Weiterlesen

Digitalisierungsstrategien in Deutschland – Versuch einer Bestandsaufnahme

 

ArchivpflegeCover80_14

Dass die einfache und fachfremde Idee “Warum digitalisieren wir nicht alles und werfen den Rest weg?” nicht umsetzbar ist, ist inzwischen jedem klar, der in einem Archiv arbeitet.( Oder sollte es zumindest sein) Aber warum gibt es keine zentralen Digitalisierungsstrategien des Bundes wie z.B. in den Niederlanden? Warum dies in Deutschland anders ist und was in Deutschland auf dem Bereich Digitalisierung überhaupt geschieht ist das Thema des Beitrags von Marcus Stumpf. Der Beitrag beruht aus einem Vortrag beim Deutsch-Niederländischen Archivkolloquium 2013 und ist in der aktuellen Archivpflege 80/2014 abgedruckt.

Digitalisierungsstrategien in Deutschland – Versuch einer Bestandsaufnahme

von Marcus Stumpf

Um es vorweg zu nehmen: Eine nationale Digitalisierungsstrategie gibt es in Deutschland nicht und wird es wohl auch zukünftig aufgrund der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik und der Kulturhoheit der Länder kaum geben. Und selbst wenn man regionale und institutionsbezogene Digitalisierungsstrategien in die Betrachtung mit einbezieht, was im Folgenden geschehen soll, fällt die Bestandsaufnahme relativ ernüchternd aus. Die Strategiediskussion ist offenkundig in Deutschland noch nicht so weit vorangeschritten, dass sich daraus ein reicher Fundus an Beispielen ergeben würde.

Bevor nun Ansätze der Strategiediskussion diskutiert werden, soll der internationale und nationale Rahmen kurz in den Blick genommen werden, ohne den die in Deutschland gerade einsetzende Diskussion nicht zu verstehen ist.

Vor einigen Jahren hat die Smithsonian Institution in den USA, die größte Forschungs- und Bildungseinrichtung der Welt, in der allein 18 Museen zusammengefasst sind, unter dem Titel „Inspiring Generations through Knowledge and Discoverya Smithsonian for the 21st century eine neue Strategie veröffentlicht. Ihre Vision lautet „Sharing our resources with the world und daher wird unter den strategischen Zielen auch die Ausweitung des Zugangs (broadening access) durch die Digitalisierung als ein ganz wesentliches Ziel benannt: „Digitizing the collections and making them accessible online are major Institutional priorities“.[1] Zu dieser solchermaßen explizit formulierten Priorität hat das Smithsonian kürzlich ein eigenes Strategiepapier vorgelegt. In diesem beschreibt der Direktor der Smithsonian Institution, G. Wayne Clough, die Ausgangslage: „Today’s digital revolution is providing a dizzying array of tools that offer opportunities for learning institutions all over the world to become more vibrant and accessible. This revolution provides the means to share vital information, enabling people to learn more, shape informed opinions, and make decisions in their daily lives. Suddenly, everybody can have access to information that previously was only available to the experts.” […]

„We at museums, libraries, and archives must ask: How can we prepare ourselves to reach the generation of digital natives who bring a huge appetite — and aptitude for the digital world?”[2]

Bemerkenswert ist – gerade vor dem Hintergrund der archivarischen Diskussion in Deutschland zur Digitalisierung – der große Enthusiasmus von Clough in Bezug auf die erwarteten Effekte einer Ausweitung des Onlinezugangs zu den Museums- und Sammlungsbeständen des Smithsonian. Als Selbstverpflichtung postuliert wird eine Demokratisierung des Zugangs zu den Beständen: „We can help all the people, not just a few of the people, to understand our culture, the cultures of other countries, and life in all its dimensions.”[3] Nicht mehr nur Experten können nun die Bestände nutzen, sondern jedermann; niemand muss mehr zwingend an die Orte reisen, an denen Kulturgut aufbewahrt wird, sondern kann aus der Ferne recherchieren, rezipieren und forschen. Clough sieht sich ferner in der Pflicht, den Rezeptionsgewohnheiten und -erwartungen der ‚Digital natives‘ entgegen zu kommen. Da diese die Angebote des Web 1.0 und des Web 2.0 anders, intensiver und intuitiver nutzen werden als Menschen, die vor der digitalen Revolution zur Welt gekommen sind, müssten auch die digitalen Angebote ausgeweitet und intuitiver nutzbar gemacht werden.[4]

Abb. 1: http://www.si.edu/content/gwc/BestofBothWorldsSmithsonian.pdf (S. 70)Abb1. Best of Both Worlds: Museums, Libraries, and Archives in a Digit

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Fotomontage aus dem Strategiepapier des Smithsonian veranschaulicht den vielfach zu beobachtenden Wandel der Rezeptionsgewohnheiten im digitalen Zeitalter; – einen Wandel, der für Archive und andere Kulturgut bewahrende Institutionen Konsequenzen nach sich zieht: Klassische Aneignungstechniken wie das geduldige Betrachten, das Speichern im Gedächtnis und das Exzerpieren werden zunehmend ersetzt durch das schnelle Fotografieren oder Kopieren. Man sichert sich Bilder und Texte quasi im Vorbeigehen, um sie jederzeit wieder aufrufen, betrachten und irgendwann später in Ruhe studieren zu können. Aufgrund dieses grundlegenden Wandels ziehen es Archivbenutzerinnen und -benutzer immer öfter vor, Archivgut digital zu benutzen. Eine wachsende Benutzergruppe nutzt aus Kostengründen nur noch aus der Ferne, indem sie nach Onlinerecherche und E-Mailauskunft Scans ordert. Im Lesesaal sinkt zunehmend die Verweildauer der Nutzenden, weil diese sich zwar die Originale vorlegen lassen, aber dann ohne tiefere Befassung und Lektüre direkt zur Digitalkamera greifen oder Scans bestellen. Diese Entwicklung ist natürlich nicht neu, wird sich aber wohl weiter verstärken, je besser und umfangreicher die digitalen Angebote der Archive werden.

 

Europeana und Deutsche Digitale Bibliothek

Das sicherlich bekannteste Projekt in Europa, das den mutmaßlichen „Riesenhunger der Digital Natives“ auf digitalisiertes Kulturgut stillen will, ist die Europeana. Sie wurde im Jahr 2005 von den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten Frankreich, Polen, Deutschland, Italien, Spanien und Ungarn angeregt, und am 20. November 2008 von Manuel Barroso und der zuständigen EU-Kommissarin Viviane Reding freigeschaltet,[5] für EU-Verhältnisse also in bemerkenswerter Geschwindigkeit realisiert.

2009 waren in der Europeana bereits fünf Mio. digitale Objekte eingestellt, im Juli 2010 zehn Mio. und pünktlich zum fünften Geburtstag des Portals standen Ende November 2013 rd. 30 Mio. Digitalisate online.[6] Die Europeana wächst also kontinuierlich, um ihrem selbst gesetzten Anspruch gerecht zu werden, „to be a catalyst for change in the world of cultural heritage [and] to create new ways for people to engage with their cultural history, whether it’s for work, learning or pleasure”. [7] Diese Zielsetzung kommt derjenigen nahe, die der Direktor der Smithsonian Institution für seine Museen gesetzt hat.

Deutschland ist mit zurzeit 4,4 Mio. digitalen Objekten der größte Datenlieferant der Europeana, der Anteil an den 30 Mio. Einzelobjekten beträgt damit knapp 15%. Glaubt man der jüngsten veröffentlichten Nutzerstatistik der Europeana,[8] kommen außerdem die meisten Nutzerinnen und Nutzer aus Deutschland: 712.000 Zugriffe auf die Webseiten der Europeana, im Vergleich etwa zu 615.000 aus Frankreich, 322.000 aus den Niederlanden oder 290.000 aus Spanien.[9]

In Gestalt der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) liegt nun auch eine nationale Plattform vor, die sich als Hauptaggregator für die Europeana etablieren soll. Träger der DDB ist das sogen. Kompetenznetzwerk, das aus von Bund, Ländern und Kommunen getragenen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen besteht.[10] Noch befindet sich die DDB im Beta-Betrieb und es ist daher alles andere als einfach, sich einen Gesamtüberblick über vorhandene digitale Bestände in deutschen Archiven, Bibliotheken, Museen und anderen Wissenschaftseinrichtungen zu verschaffen. Will man dies tun, kann man hilfsweise über die Webseite http://www.kulturerbe-digital.de recherchieren, auf der zahllose Projekte gelistet, kurz beschrieben und verlinkt sind.[11]

 

07_Stumpf_Abb_2_Kulturerbe_digitalAbb. 2:  Kulturerbe digital

 

 

 

 

 

 

 

 

Man sieht also, dass die virtuelle Infrastruktur in Deutschland im Entstehen ist und die bestehenden Angebote – neben der DDB und der Europeana auch etablierte spartenübergreifende Portale wie das BAM-Portal[12] und die regionalen Archivportale[13] – auch genutzt werden. Auch über die genannten Portale hinaus ist die Portalsituation sehr bunt. Allein die Bibliotheken haben neben ihren Verbundkatalogen sehr gut etablierte Angebote wie etwa das „Zentrale Verzeichnis digitalisierter Drucke“ (ZVDD) zur Recherche und Ansicht der Digitalisate aus den großen Projekten zur Digitalisierung der Drucke des 16., 17. und 18. Jh. (VD16, VD17 und VD18),[14] „Kalliope“ für Nachlässe und Autographen,[15] und für mittelalterliche Handschriften die – in Bibliothekskreisen allerdings nicht unumstrittene und technologisch überarbeitungsbedürftige – Plattform „Manuscripta Mediaevalia“.[16]

Ob die DDB also einmal das digitalisierte Kulturgut (Metadaten und Content) aus Deutschland vollständig aggregieren wird, bleibt abzuwarten.

Mindestens genauso wichtig wie die Plattformen selbst ist indes die Frage, welches Kulturgut digitalisiert werden soll, denn dass das Archiv-, Bibliotheks-, Museums- und Sammlungsgut jemals vollständig online sein wird, darf mit Fug bezweifelt werden. Die Kulturgut verwahrenden Einrichtungen müssen zwangsläufig Prioritäten setzen.

Hier fehlt es – anders als in anderen Ländern[17] – noch an übergreifenden Strategien, die nicht nur den Ist-Zustand beschreiben (wer hat bereits was mit welchen Mitteln digitalisiert), sondern definieren, welche langfristige Entwicklung angestrebt wird und welche Prioritäten bei der Digitalisierung gesetzt werden sollen.

 

Strategien und Strategieansätze in Deutschland

Im März 2011 legte der Deutsche Bibliotheksverband ein Thesenpapier zur Digitalisierung vor. Unter dem Titel „Deutschland braucht eine nationale Digitalisierungsstrategie!“ werden der Auf- und Ausbau der Deutschen Digitalen Bibliothek und „verstärkte Anstrengungen für die Digitalisierung“ gefordert, der zusätzliche Finanzbedarf der Bibliotheken für die Jahre 2012–2016 wird auf 10 Mio. Euro jährlich beziffert.[18]

Mit diesem Papier gelangte das Thema zumindest vorübergehend auf die bundespolitische Agenda. Im Deutschen Bundestag wurde am 26. Januar 2012 von der schwarz-gelben Parlamentsmehrheit der Antrag verabschiedet, die Regierung solle eine „Digitalisierungsoffensive für unser kulturelles Erbe“ beginnen. „Die Verstärkung der Digitalisierungsanstrengungen [sei] auch unter dem Gesichtspunkt der internationalen Außenrepräsentation wichtig [...]“. Die DDB solle „zu einem Schaufenster für die Kultur- und Wissenschaftsnation Deutschland werden“.[19] Geschehen ist im Sinne einer ausformulierten Digitalisierungsstrategie auf Bundesebene seither freilich nicht viel, zumal auch danach kein Beschluss zu einer verstärkten finanziellen Förderung der Digitalisierung ergangen ist. Die Anträge der Oppositionsparteien waren hier zum Teil sehr viel konkreter; so forderte die Linke die Bereitstellung von 30 Mio. Euro jährlich zusätzlich allein durch den Bund.[20] Im Antrag der SPD-Fraktion fehlen Angaben zum konkreten Finanzbedarf. Von der Bundesregierung wird allerdings gefordert, „eine Übersicht über den Stand der Digitalisierung in Deutschland in Abstimmung mit den Ländern vorzulegen“,[21] bislang ohne Erfolg.

Eine gesamtstaatliche Strategie zur Digitalisierung von Kulturgut aller Sparten fehlt, und damit bleibt auch ein planvolles, von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam getragenes Handeln ein Desiderat, obwohl der Bedarf zuletzt auch in den Empfehlungen des Wissenschaftsrats zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Informationsinfrastrukturen in Deutschland bis 2020 ausdrücklich betont wurde. Mit Bezug auf die Digitalisierung heißt es dort, dass auch bei dieser Gegenwarts- und Zukunftsaufgabe das Schmieden von Allianzen von besonderer Bedeutung sei: „Würden Möglichkeiten der Koordination und Kooperation zwischen Einrichtungen der Informationsinfrastruktur sowie zwischen und innerhalb bestehender Zusammenschlüsse besser genutzt, könnten das vorhandene Potential besser ausgeschöpft und der Prozess der digitalen Transformation beschleunigt werden“.[22]

Nicht viel besser sieht es auf Länderebene aus: Lediglich das Land Brandenburg verfügt über ein ausformuliertes und öffentlich zugängliches Strategiepapier, das im Jahr 2009 im Auftrag des brandenburgischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur erstellt wurde und an dem Archive, Bibliotheken, Museen und Hochschulen mitgewirkt haben.[23] Das Papier gibt eine Übersicht über den aktuellen Stand der Digitalisierung in den Kultureinrichtungen Brandenburgs, es werden die in den einzelnen Einrichtungen vorhandenen Digitalisierungsressourcen beschrieben, vor allem aber findet sich der Handlungsbedarf konkretisiert, der für eine verstärkte Online-Bereitstellung von Erschließungsdaten und Content im Rahmen der DDB als erforderlich angesehen wird. Kernpunkt der Handlungsempfehlungen ist die Einrichtung eines Landeskompetenzzentrums „Brandenburg.digital“, in dem nicht etwa das operative Digitalisierungsgeschäft zentralisiert werden soll (im Sinne eines Digitalisierungszentrums), sondern vor allem Koordinierungs-, Standardisierungs- und Beratungsleistungen erbracht werden sollen.[24]

Das Kompetenzzentrum ist Ende 2012 am Fachbereich Informationswissenschaften der Fachhochschule Potsdam eingerichtet worden.[25] Ferner haben die Bemühungen dazu geführt, dass die brandenburgische Landesregierung die Digitalisierung als wichtige kulturpolitische Aufgabe formuliert hat: In der „Kulturpolitischen Strategie 2012“ der Landesregierung heißt es: „Die Digitalisierung eröffnet die Chance, in großem Umfang neue Nutzerkreise für kulturelle Werte und Vorhaben zu gewinnen.“[26] Ferner wird zum Ziel erklärt, die Infrastruktur zur Digitalisierung auszubauen.[27] Auch wenn keine konkreten Finanzierungszusagen gegeben werden, so ist doch offensichtlich mit dem Strategiepapier erfolgreiche Lobbyarbeit geleistet und mit der Einrichtung der Koordinierungsstelle ‚Brandenburg-digital‘ ein wichtiger Schritt getan worden.[28]

In dem Brandenburgischen Strategiepapier zur Digitalisierung wird im Übrigen offengelegt, dass der Nachholbedarf erheblich und die Ressourcen ausbaufähig sind. Zugespitzt formuliert: Brandenburg hat eine Gesamtstrategie, aber es fehlen die Kapazitäten, andere Bundesländer haben hingegen mehr Kapazitäten, aber (noch) keine Strategie.

Auf institutioneller Ebene ist die Digitalisierungsstrategie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von 2010 erwähnenswert.[29] Nach einleitenden programmatischen Ausführungen zur Wichtigkeit der Digitalisierung werden

Prioritäten benannt. Danach soll die Stiftung prioritär digitalisieren,

„wo sie Kulturerbe von nationaler und internationaler Bedeutung öffentlich zugänglich machen kann,

  • wo die Digitalisierung der Vermittlung deutscher, europäischer und außereuropäischer Kulturen, dem internationalen Kulturaustausch oder allgemeinen Bildungsaufgaben dient,
  • wo die Sammlungen herausragend oder einmalig sind,
  • wo der Bedarf von Forschung und Wissenschaft groß ist,
  • wo die Einrichtungen der SPK besondere Verantwortung übernehmen,
  • wo die Digitalisierung den Ausstellungs- und Forschungsvorhaben der Einrichtungen der SPK dient,
  • wo sie die Präsentation von Inhalten der anderen Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ergänzen oder die Vernetzung von Inhalten unterstützen kann,
  • wo das Digitalisat dem Schutz eines gefährdeten Originals oder dem Erhalt von Inhalten dient, oder
  • wo wirtschaftliches Interesse besteht (Tourismus, Verlage) und sie durch bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte für die kommerzielle Nutzung vermarktet werden können.“[30]

 

Diese Kriterien stecken ohne Zweifel einen sinnvollen Rahmen ab, doch muss man bei näherem Hinsehen konstatieren, dass sie für die Kulturgut verwahrenden Institutionen der Stiftung kaum operationalisierbar sind. Denn es wird wenig Kulturgut in den musealen Sammlungen, Bibliotheken und Archiven geben, auf das nicht wenigstens eines der genannten Priorisierungskriterien zutrifft.

 

Rolle der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Bevor die Strategiediskussion der deutschen Archive im engeren Sinne vorgestellt werden soll, ist die Rolle der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Bereich der Erschließung und Digitalisierung hervorzuheben. Nicht nur dass zwischen 2002 und 2012 allein rd. 100 Mio. Euro für Erschließung und Digitalisierung von Archiv- und Bibliotheksgut sowie die Entwicklung von entsprechenden Werkzeugen, Infrastrukturen und Informationssystemen der Bibliotheken und Archive aufgewendet wurden,[31] die DFG-Gremien üben über ihre konzeptionelle, steuernde und gutachterliche Tätigkeit hinaus einen großen Einfluss auf die Standard- und Strategiebildung im Bereich der Digitalisierung aus und wirkt damit auf die deutschen Archive, Bibliotheken und Museen zurück. Es wundert nicht, dass der Wissenschaftsrat die Arbeit der DFG, also auch den Förderbereich Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme (LIS), würdigt und weiter stärken will.[32]

Erwähnt seien an dieser Stelle vor allem die DFG-Praxisregeln zur Digitalisierung, deren Standards zur Digitalisierung, vom Scannen über die Generierung von Metadaten zur Bereitstellung in Portalen, auch international hohes Ansehen genießen.[33] Weithin etabliert ist auch der DFG-Viewer, der als Open Source frei nachnutzbar Mindeststandards für die digitale Präsentation historischer Quellen in Deutschland setzt und fortlaufend in Zusammenarbeit mit der Fachcommunity weiterentwickelt wird. In Form von Positionspapieren, die in gemeinsamer Arbeit von Informationsinfrastrukturexpertinnen und -experten, Fachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern entstehen, wird zudem in regelmäßigen Abständen die Förderpolitik mit ihren Schwerpunkten transparent gemacht.[34]

 

Strategiediskussion der Archive

Wayne Clough, der eingangs erwähnte Direktor der Smithsonian Institution rühmt in seinem Strategiepapier gerade die Archive und Bibliotheken als ‚early adopters’ der Digitaltechnik.[35] Mit ihrer Ethik des Open Access hätten sie die Digitalisierung und das „Social Networking“ früh angenommen. Trifft dieses Lob aber auch auf die deutschen Archive zu?

Dass die (Wissenschaftlichen) Bibliotheken früh auf die digitale Technologie gesetzt haben und den „open access“ befürworten, ist bekannt: Schon in den späten 1980er Jahren wurde mit der Retrokonversion und Onlinestellung der Bestandskataloge begonnen, lange schon werden die benutzungsrelevanten Arbeitsabläufe elektronisch unterstützt und mit erheblichen Anstrengungen wichtige Bestände insbesondere der älteren Zeit digitalisiert. Für die Archive wird man konstatieren müssen, dass sie dem Weg der Bibliotheken inzwischen zwar folgen, aber doch mit einer Zeitverzögerung von beinahe einer Dekade. Der Open-Access-Gedanke wird inzwischen intensiv diskutiert, ist aber noch lange nicht voll in den Archiven etabliert, stößt natürlich auch durch die Archivgesetze auf vorgegebene Grenzen.

Indessen ist m.E. nicht von der Hand zu weisen, dass im Mittelpunkt der Fachdiskussion lange eher die Risiken der Digitalisierung als deren Chancen standen. Erst allmählich scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Archive gerade auch auf diesem Feld in einer Konkurrenzsituation mit anderen Informationsinfrastruktur- und Wissensspeichereinrichtungen stehen.

Auf den ersten Blick sieht es mit der Präsenz der deutschen Archive in der Europeana nicht schlecht aus: Hinter den größten deutschen Lieferanten, der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek und der Bayerische Staatsbibliothek folgt recht bald ein archivischer Vertreter – nämlich das Landesarchiv Baden-Württemberg.: Dabei fällt auf, dass die deutschen Content-Lieferanten ihre Daten und digitalen Objekte meist direkt an die Europeana liefern, einige auch über das „Gemeinsame Portal zu Archiven, Bibliotheken und Museen“, kurz: BAM-Portal genannt.[36] Noch ist die DDB für Archive nicht der zentrale Aggregator für die Europeana.[37]

Archivportale

Die regionale archivische Portallandschaft ist uneinheitlich: In elf Bundesländern existieren regionale Archivportale, die zumindest zum Teil als Aggregatoren für das entstehende Archivportal-D und die DDB in Betracht kommen,[38] es gibt daneben aber auch Spartenportale etwa für die deutschen Wirtschaftsarchive[39] und die Kirchenarchive.[40] Über die meisten dieser Portale können Informationen zu den einzelnen Archiven, die Beständeübersichten und teilweise noch Onlinefindbücher recherchiert werden, nur die wenigsten haben jedoch bereits den weiteren Ausbauschritt hin zur Ebene digitalisierter Bestände vollzogen, namentlich die Archivportale in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.[41]

Immerhin gibt es für die Schaffung eines deutschen Archivportals neben und zugleich als Bestandteil der Deutschen Digitalen Bibliothek nach jahrelangen Diskussionen in der Community ein klares Commitment auf der Ebene der kommunalarchivischen und staatsarchivischen Spitzengremien, der Archivreferentenkonferenz des Bundes und der Länder und der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag, das auch vom Verband deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA) unterstützt wird.[42] Das von der DFG geförderte Archivportal-D wird zurzeit als für die Archive konzipierte Präsentationssicht („View“) der Deutschen Digitalen Bibliothek entwickelt und soll auch das Archivportal Europa bedienen.[43] Viele Archive haben im Übrigen schon die Chance genutzt, sich in der von der DDB angebotenen „Wissenschaftslandkarte“ eintragen zu lassen.[44]

 

Archive in der Wissenschaftslandkarte der DDBAbb. 3: Archive in der Wissenschaftslandkarte der DDB

 

 

 

 

 

 

 

 

Warum beanspruchen die Archive eine spezifische Präsentationssicht innerhalb der DDB? Aus archivfachlicher Sicht und aufgrund der provenienzorientierten Erschließungstradition in Deutschland besteht weitgehend Konsens darüber, dass eine kontextlose Präsentation archivischer Erschließungsinformationen und Einzeldigitalisate nicht sinnvoll ist. Ohne Verknüpfung der Digitalisate mit den Erschließungsinformationen (Klassifikation und Titelaufnahme) im Onlinefindbuch und ohne gleichzeitige Sicht auf die Archivtektonik steht das einzelne Digitalisat isoliert da.[45] In Bezug auf einen angemessenen Auftritt der deutschen Archive auf dem europäischen Parkett wird insofern mit dem Archivportal-D ein wichtiger Schritt verwirklicht.

 

Retrokonversion von Findbüchern

In den wenigen vorhandenen Strategiepapieren deutscher Archive – zu nennen sind das ARK-Positionspapier „Digitalisierung von Archivgut im Kontext der Bestandserhaltung“ und die Strategiepapiere des Landesarchivs Baden-Württemberg und des Bundesarchivs – findet sich die eindeutige Prioritätensetzung zugunsten der Onlinestellung der Findmittel als wichtigstes Onlinerechercheangebot: Im Strategiepapier des Landesarchivs Baden-Württemberg heißt es: „Ziel ist es, sämtliche Findmittel, die zu einem großen Teil noch in Papierform vorliegen, in einem überschaubaren Zeitraum im Internet oder – sofern sie noch nicht frei zugänglich sind – im Intranet zugänglich zu machen. Gleichzeitig sollen die digitalen Erschließungsinformationen standardisiert in nationalen und internationalen Internet-Portalen oder Online-Informationssystemen bereitgestellt werden.“[46] Ähnlich heißt es im Strategiepapier des Bundesarchivs von 2011: „Basis und Rahmen für die Bereitstellung von bildlichen Digitalisaten aus Schriftgutbeständen sind Online-Findmittel. Findbücher und Beständeübersicht sind die wesentlichen Hilfsmittel für die Ermittlung von relevantem Archivgut für Fragestellungen im Zuge der Benutzung und Auswertung.“[47]

Dieses strategische Ziel teilen das Landesarchiv Baden-Württemberg und das Bundesarchiv mit den meisten anderen Archiven, und durch die von 2006 bis 2013 laufende Förderlinie der DFG sind die Archive diesem Ziel schon ein Stück näher gekommen. Im Rahmen der Förderlinie wurden insgesamt 2.600 Findmittel mit knapp 4.8 Mio. Verzeichnungseinheiten retrokonvertiert und der Forschung online bereitgestellt.[48]

Contentdigitalisierung

Der nächste Schritt für die deutschen Archive ist konsequenterweise nun auch die Digitalisierung von Archivbeständen selbst. Mit diesem Ansatz im Allgemeinen, erst recht aber in der Frage der Methoden und Prioritäten befinden sich die deutschen Archive auf dem Wege zu einer einmütigen Strategie, freilich nach einigem Zögern: Während Archive in anderen Ländern längst große Digitalisierungsinitiativen gestartet hatten, blieben (und bleiben zum Teil) die deutschen Archive lange Zeit dem Mikrofilm konzeptionell und operativ treu und zwar nicht nur als Sicherungs-, sondern auch als Schutzmedium. Dennoch begannen schon Ende der 1990er Jahre im archivischen Bereich Digitalisierungsprojekte. Zu nennen ist hier die von 1996 bis 1999 von der VW-Stiftung geförderte digitale Bereitstellung der Bestände des Stadtarchivs Duderstadt,[49] aber auch die Digitalisierung von Zivilstandsregistern im Personenstandsarchiv Brühl, heute Teil der Abteilung Rheinland des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen.[50]

Vor allem aber führte seit Mitte der 1990er Jahre die damalige Landesarchivdirektion Baden-Württemberg mehrere DFG-geförderte Projekte durch, die unter anderem auf die „Digitalisierung von Archiv- und Bibliotheksgut“ und die Entwicklung von Workflows und Werkzeugen zur digitalen Bereitstellung größerer Mengen von Archivgut und von archivischen Online-Informationssystemen zielten. Hier wurden wichtige Grundlagenarbeit geleistet und wegweisende Ergebnisse erzielt, unter anderem auch das BAM-Portal entwickelt.[51]

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das viel zitierte Diktum von Hartmut Weber, der 1999 mit Bezug auf die neue digitale Welt im Archiv prognostiziert hatte, die deutschen Archive würden langfristig zwar 100% der Beständeübersichten, aber nur ca. 10% ihrer Findbücher und lediglich 1% ihrer Archivalien online anbieten.[52] Dass diese Prognose weit übertroffen wurde, liegt auf der Hand. Wohl jedes Archiv bietet heute auf seiner Homepage oder in seinem Webauftritt eine Beständeübersicht, auch sind die Archive eifrig dabei, ihre Findbücher sukzessive online zu stellen. Man wird vermuten dürfen, dass die staatlichen Archive mit der Retrokonversion ihrer Findbücher die Marke von 10% längst übertroffen haben, und auch die kommunalen Archive dürften wenigstens absehbar dorthin gelangen.[53]

Noch im 2007 publizierten Strategiepapier „Das Landesarchiv Baden-Württemberg in der digitalen Welt“ wirkt die intensiv geführte Diskussion pro und contra Mikrofilm bzw. Digitalisat im Spannungsfeld von Sicherung und Nutzung nach.[54] Darin heißt es: „Die wesentliche Maßnahme zum Schutz und zur Erhaltung des analogen Archivguts ist – neben einer sachgerechten Lagerung und konservatorischen, restauratorischen Maßnahmen – die Mikrografie und nicht die Digitalisierung. Sie hat im Archivwesen im Gegensatz zum Bibliothekswesen eine lange Tradition und einen hohen Stellenwert für die Bestandserhaltung (Sicherungsverfilmung, Schutzverfilmung)“.[55] Die Digitalisierung hat gleichwohl im Strategiepapier ihren Platz erobert, denn das Landesarchiv verbindet – wo möglich – „die klassische Mikrografie und die Digitalisierung synergetisch miteinander“.[56] In der Regel wird erst mikroverfilmt, von den Mikrofilmen werden aber nicht mehr, wie zuvor praktiziert, Nutzungsfilme bzw. -fiches hergestellt, sondern Digitalisate erzeugt und im Lesesaal oder gleich online bereit gestellt. Die ergonomischen Vorteile der Nutzung von Digitalisaten über Viewer liegen gegenüber der Arbeit am Mikrofilmscanner auf der Hand.

Die baden-württembergische Strategie, den Mikrofilm als Sicherungsmedium mit dem davon abgeleiteten Digitalisat als Nutzungsmedium zu verbinden, entspricht auch der langjährigen Praxis des Bundesarchivs; auch hier gibt es eine langjährige Tradition der Sicherungs- und Schutzverfilmung und auch hier setzt man konsequent weiterhin auf den Mikrofilm als primäre Quelle für digitale Nutzungsformen.[57]

Andere Archivverwaltungen wie etwa das Landesarchiv NRW, wo über die bundesfinanzierte Sicherungsverfilmung hinaus keine eigene Schutzverfilmung etabliert war, digitalisieren zwar ebenfalls vorhandene Mikrofilme, haben daneben aber in größerem Umfang zusätzlich Kapazitäten für die direkte Digitalisierung von Archivgut aufgebaut.

Digitalisiert wird inzwischen von den Landesarchiven, den Kommunalarchiven[58] und natürlich auch von den Archiven der anderen Sparten. Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen digitalisiert in seinem 2005 in Betrieb genommenen Digitalisierungszentrum planmäßig ganze Archivbestände.[59] Einerseits werden hierfür die reichen Bestände an Sicherungsfilmen aus der Bundessicherungsverfilmung genutzt, ein ebenso großes Gewicht liegt aber auch auf der direkten Digitalisierung. Immerhin liegen inzwischen im Landesarchiv NRW bereits 10 Mio. Digitalisate vor, das sind rd. 0,8 % der Bestände insgesamt. Primäres Ziel dabei war allerdings zunächst die Ablösung des Mikrofilms als Schutzmedium durch das Digitalisat, d.h. die digitalisierten Archivbestände wurden zunächst nur in den Lesesälen zur Nutzung bereitgestellt. Begonnen wurde inzwischen aber auch damit, digitalisierte Bestände im Internet zugänglich zu machen, soweit keine archivrechtlichen Gründe dagegen sprechen.

Tempo aufgenommen hat die Digitalisierung von Archivgut durch das vom Landesarchiv Nordrhein-Westfalen und dem LWL-Archivamt 2011 initiierte DFG- Pilotprojekt zur Digitalisierung archivalischer Quellen,[60] an dem sich neben den genannten das Landesarchiv Baden-Württemberg, die Generaldirektion der Bayerischen Staatlichen Archive, das Stadtarchiv Mannheim und das Sächsische Staatsarchiv mit Pilotprojekten beteiligen. In den Pilotprojekten werden seit Anfang 2013 Standards und Workflows zur Digitalisierung und Onlinestellung verschiedener Archivalientypen von mittelalterlichen Urkunden bis zu modernen Massenakten entwickelt und erprobt. Mit den erarbeiteten methodischen, technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen soll dann eine Road Map für eine breite Digitalisierungskampagne in deutschen Archiven erstellt werden.

Priorisierung

Das wichtigste und zugleich schwierigste konzeptionelle Thema stellt letztlich die Priorisierung von Archivgut dar. Denn im Unterschied zu den Bibliotheken, die sich für die ältere Zeit vergleichsweise einfach Zeitschnitte setzen konnten, indem man sich die vollständige Digitalisierung der deutschen Drucke der Frühen Neuzeit zum Ziel setzte (VD 16 / VD 17 / VD 18), ist die Entwicklung ausgefeilter Kriterien der Priorisierung von Archivgut deutlich schwieriger.

Allein in den deutschen kommunalen Archiven liegen nach einer in den letzten Jahren durchgeführten BKK-Erhebung rd. 1.620 Kilometer Archivgut, in den staatlichen sind es 1.275 Kilometer.[61] An eine Totaldigitalisierung dieser Massen ist nicht zu denken. Im Landesarchiv Baden-Württemberg hat man 2011 Archivgut zur Digitalisierung priorisiert und 7,34 Prozent der Bestände des Landesarchiv als vorrangig zu digitalisieren identifiziert. Doch allein diese 7,34% zu digitalisieren, würde – so Robert Kretzschmar jüngst im Archivar – rd. 88 Millionen Euro kosten.

Mario Glauert hat in einem lesenswerten Beitrag ähnlich einschüchternde Hochrechnungen vorgelegt und insbesondere nachgewiesen, dass die jährlichen Zugänge in den staatlichen Archiven größer sind als das, was jährlich von den Archiven verfilmt und digitalisiert werden kann, egal ob vom Original oder vom Mikrofilm.[62] Eine Totaldigitalisierung erscheint daher schlechterdings unmöglich, da die Schere trotz aller praktischen Digitalisierungsanstrengungen immer weiter auseinandergeht.

Gleichwohl erscheint mir die daraus entwickelte Schlussfolgerung riskant, dass die Archive von vornherein auf jede planmäßige Digitalisierung ganzer Bestände verzichten und stattdessen allein auf die Digitalisierung „on demand“ setzen sollten. Die Archive stehen, ob sie es wollen oder nicht, in Konkurrenz mit anderen Informationseinrichtungen. Ein Verzicht der Archive auf planmäßige Digitalisierungen würde nichts anderes bedeuten als der Verzicht auf jegliche Drittmittelförderung. Denn die DFG und andere Fördereinrichtungen fördern nur Projekte, die ein konkretes messbares Ziel haben. Ich bin daher der festen Überzeugung, dass die Archive im Strom mitschwimmen müssen, um ihr Angebot und ihre Dienstleistungen gegenüber den Angeboten und Dienstleistungen anderer Informationseinrichtungen sichtbar zu halten. Die Unikalität der Bestände schützt diese nicht vor dem Vergessenwerden: Je schwerer sie aufzufinden sind, umso unwahrscheinlicher ist es, dass sie genutzt werden. Ihr möglicherweise unübertreffliche Wert für historische und andere Fragenstellungen muss wahrnehmbar, auffindbar, recherchierbar und nutzbar sein und bleiben.

Überzeugende Priorisierungskriterien zu entwickeln, ist eine der dringlichsten Aufgaben im Rahmen des DFG-Pilotprojekts zur Digitalisierung archivalischer Quellen. Ansätze dazu sind da: Verwiesen sei auf das bereits erwähnte Strategiepapier des Landesarchivs Baden-Württemberg, in dem eine solche Priorisierung als wichtige und permanente Aufgabe angesprochen wird. Maßgebliche Kriterien könnten bei der Auswahl von Archivgut zur Digitalisierung dessen visuelle Attraktivität oder die Nutzungsfrequenz sein. Ferner könne Archivgut prioritär digitalisiert werden, das aufgrund seines Inhalts nicht oder nur unzureichend archivisch erschlossen werden kann. [63] Anregung kann auch hier der Blick in die internationale Diskussion bieten. Seamus Ross hat bereits Ende der 1990er Jahre dargelegt, dass Kulturgut verwahrende Institutionen eine eigene Strategie entwickeln müssen, zu der als wesentlicher Baustein die Priorisierung gehört. Ihm zufolge ist eine Priorisierung zumindest für größere Institutionen absolut zwingend.[64] Digitalisierungswürdige ‚Kronjuwelbestände‘ fallen sofort ins Auge, für alle anderen Bestände seien folgende Aspekte zu bedenken: ihr jeweiliger Wert im Vergleich zu den anderen Beständen, die potentielle Erleichterung des Zugangs, die tatsächliche und potentielle Nutzungshäufigkeit, die komplementäre Bedeutung im Kontext anderer bereits digitalisierter Bestände, der konservatorische Nutzen und das Potential für möglichst viele Fragestellungen.

Sicherlich aber besteht die Kunst darin, diese oder anderswo ähnlich definierte Kriterien nicht nur anzulegen, sondern auch zu operationalisieren. Inwieweit sich dies durch die Entwicklung von Entscheidungshilfen in Gestalt von Matrizen und Bepunktungsschemata objektivieren lässt oder weiterhin die Expertise und das Fingerspitzengefühl der Archivarinnen und Archivare für die Auswahl von Beständen zur Digitalisierung entscheidend bleiben wird, bleibt abzuwarten. In jedem Fall aber muss der Grundsatz lauten, diese Fragen an die eigenen Bestände zu stellen und, auf die Antworten gestützt, zu priorisieren, bevor man digitalisiert.

Dr. Marcus Stumpf

LWL-Archivamt für Westfalen

marcus.stumpf@lwl.org

[1] Smithsonian Strategic Plan, http://www.si.edu/Content/Pdf/About/SI_Strategic_Plan_2010-2015.pdf, S. 4 (dieser und alle folgenden Links zuletzt abgerufen am 8.2.2014).

[2] Vgl. G. Wayne Clough, Best of Both Worlds. Museums, Libraries, and Archives in a Digital Age. Washington 2013, S. 2-4 (= http://www.si.edu/content/gwc/BestofBothWorldsSmithsonian.pdf).

[3] Ebd., S. 72.

[4] Die folgende Abbildung leitet das Kapitel „Conclusion: Unlimited Possibilities“ ein, ebd., S. 70.

[5] Vgl. Building a Movement. Annual Report and Accounts 2012, 2013 April, S.8, und die Statistik S. 9, http://pro.europeana.eu:9580/documents/858566/858665/Annual+Report+and+Accounts+2012).

[6] So die Pressemeldung vom 25.11.2013: http://pro.europeana.eu/web/guest/news/press-releases.

[7] So die Selbstdefinition auf der Seite „About us“ von Europeana Professional, http://pro.europeana.eu/web/guest/about.

[8] Vgl. Europeana Web Traffic Report, 2012, S.6 (= http://pro.europeana.eu/documents/858566/1415274/Europeana+Web+Traffic+Report+Summary+2012).

[9] Ebd., S. 6.

[10] Vgl. Gemeinsame Eckpunkte von Bund, Ländern und Kommunen zur Errichtung einer Deutschen Digitalen Bibliothek als Beitrag zur „Europäischen Digitalen Bibliothek (EDB): https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/static/de/sc_documents/div/gemeinsame_eckpunkte_finale_fassung_02122009.pdf, S. 9: „Technologisch fortgeschrittene, ‚kultur- und wissenschaftsaffine’ Recherche- und Präsentationstechniken, die eine komfortable und übergreifende Suche in den Beständen und Diensten der Bibliotheken, Archive, Museen, Denkmalpflege usw. ermöglichen und mittels multidirektionaler Verlinkung einzelne Objekte und Dokumente in ihrem semantischen Kontext wahrnehmbar und zugreifbar machen, lassen die DDB zu einem hochattraktiven Angebot für Bildung,

Wissenschaft, Wirtschaft und die allgemein kulturell interessierte Öffentlichkeit werden“; vgl. auch https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/content/competence-network; zur archivarischen Sicht auf die DDB vgl. vor allem die einschlägigen Webseiten des Landesarchivs Baden-Württemberg, das die archivischen Belange auch in den Gremien der DDB mit vertritt: http://www.landesarchiv-bw.de/web/52723; vgl. dazu auch unten Anm. 37.

[11] Man kann dort über eine verfeinerte Suche, z. B. durch Vorauswahl von „Sparte“ oder „Projekttyp“ filtern, darunter findet such auch der Projekttyp „Von analog zu digital“: vgl. http://www.kulturerbe-digital.de/de/9.php. Eine hilfreiche, wenn auch sicher nicht vollständige Linksammlung findet sich in http://de.wikisource.org/wiki/Digitale_Sammlungen_von_Archiven.

[12] Vgl. http://www.bam-portal.de, wo über die Bestände von Archiven, Bibliotheken und Museen übergreifend recherchiert werden kann.

[13] Eine gute Übersicht der regionalen Archivportale findet sich im Serviceangebot der Archivschule Marburg: http://archivschule.de/DE/service/archive-im-internet/archive-in-deutschland/archivportale/regionale-archivportale-im-internet.html; ausführlich dazu unten bei Anm. 38-40.

[14] Vgl. http://www.zvdd.de/startseite/.

[15] Vgl. http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/.

[16] Vgl. http://www.manuscripta-mediaevalia.de.

[17] Einige internationale Beispiele seien genannt: Australien: http://www.nla.gov.au/policy-and-planning/collection-digitisation-policy; Frankreich: Claire Sibille-de Grimoüard: The digitization of archives in France. Projects and perspectives, in: Katrin Wenzel (Hrsg.), Retrokonversion, Austauschformate und Archivgutdigitalisierung. Beiträge zum Kolloquium aus Anlass des 60-jährigen Bestehens der Archivschule Marburg, zugleich 14. Archivwissenschaftliches Kolloquium der Archivschule Marburg am 1. und 2. Dezember 2009, Marburg 2010, S. 275-289; Großbritannien: http://www.bl.uk/blpac/pdf/digitisation.pdf; Kanada: http://www.cdncouncilarchives.ca/digitization_en.pdf; Neuseeland: http://archives.govt.nz/sites/default/files/Digital_Preservation_Strategy.pdf; Schweden: Christina Wolf, Digitalisierung von Kulturgut in Schweden. Strategische Ansätze und Aktivitäten, in: Archivar 65 (2012), S. 387-393; USA: http://www.archives.gov/digitization/.

[18] Vgl. http://www.bibliotheksverband.de/fileadmin/user_upload/DBV/positionen/ThesenpapierDigitalisierung_dbv_Papier.pdf.

[19] So wörtlich im verabschiedeten Antrag von CDU, CSU und FDP, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/063/1706315.pdf, dazu die Pressemeldung http://heise.de/-1424063.

[20] Vgl. den Antrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 17/6096, http://dip.bundestag.de/btd/17/060/1706096.pdf; dazu http://heise.de/-1271516, S. 2.

[21] Vgl. den Antrag der SPD-Fraktion Drucksache 17/6296, http://dip.bundestag.de/btd/17/062/1706296.pdf, S. 4.

[22] Empfehlungen zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Informationsinfrastrukturen in Deutschland bis 2020 (Drs. 2359-12), http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2359-12.pdf, S. 45ff., Zitat S. 47; vgl. dazu jüngst ausführlich Robert Kretzschmar, Archive als digitale Informationsinfrastrukturen. Stand und Perspektiven, in: Archivar 66 (2013), S. 146-153, hier S. 146f., der zu Recht betont, dass Archive bei ihren Digitalisierungsbemühungen und bei der Prioritätensetzung alle Benutzergruppen gleichermaßen und nicht allein die wissenschaftliche Klientel im Blick haben dürften.

[23] Strategiepapier zur Digitalisierung von Kulturgut im Land Brandenburg, http://www.mwfk.brandenburg.de/media/lbm1.a.1491.de/strategiepapier.pdf; vgl. dazu Mario Glauert, Kulturgut im Verbund: gemeinsame Digitalisierungsstrategie von Bibliotheken, Archiven, Museen, Denkmalpflege und Archäologie im Land Brandenburg, in: Brandenburgische Archive 27 (2010),S. 63-64. Neben Brandenburg verfügt wohl auch das Land Berlin über eine – m. W. noch unveröffentlichte – Digitalisierungsstrategie, die sich nach Auskunft von Kollegen allerdings eng an der Brandenburgischen orientiert.

[24] Vgl. Strategiepapier zur Digitalisierung von Kulturgut, wie Anm. 23, S. 41f., zum Aufgabenkanon der Koordinierungsstelle. Bereit gestellt werden jährlich 100.000€.

[25] vgl. das im Februar 2012 publizierte „Konzept zur Beteiligung von Kultureinrichtungen des Landes Brandenburg an der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB)“, http://opus4.kobv.de/opus4-fhpotsdam/files/233/Konzept_zur_Beteiligung_von_Kultureinrichtungen_des_Landes_Brandenburg_an_der_DDB.pdf, das auf Grundlage des Strategiepapiers entstanden ist; zur Koordinierungsstelle Brandenburg-digital vgl. http://informationswissenschaften.fh-potsdam.de/kst-lb-digital.html.

[26] Kulturpolitische Strategie 2012 (September 2012), S. 8 (= http://www.mwfk.brandenburg.de/sixcms/media.php/4055/Kulturpolitische%20Strategie.pdf.

[27] Ebd., S. 19.

[28] In Berlin existiert inzwischen beim Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin (ZIB) eine vergleichbare Beratungs- und Koordinierungsstelle, die digiS, die Archive, Bibliotheken, Museen und Gedenkstättenberät und in diesem Jahr für beachtliche 400.000€ Digitalisierungsprojekte fördert; vgl. http://www.servicestelle-digitalisierung.de.

[29] Vgl. Digitalisierungsstrategie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz – inhaltliche Prioritäten der Einrichtungen der SPK 2011-2015; Download über die Seite http://www.preussischer-kulturbesitz.de/schwerpunkte/digitalisierung/digitalisierungsstrategie.html.

[30] Ebd., S. 4.

[31] Vgl. Empfehlungen zur Weiterentwicklung (wie Anm. 22), S. 49.

[32] Vgl. Empfehlungen zur Weiterentwicklung (wie Anm. 22), bes. S. 50-52, hier S. 50: „Die DFG sollte in die Lage versetzt werden, die dafür bereit gestellten Mittel für weitere zehn Jahre aufzustocken.“

[33] DFG-Praxisregeln „Digitalisierung“, http://www.dfg.de/formulare/12_151/12_151_de.pdf: englisch: http://www.dfg.de/formulare/12_151/12_151_en.pdf.

[34] Vgl. z. B. DFG-Positionspapier: Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme: Schwerpunkte der Förderung bis 2015 (2006), http://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/positionspapier.pdf; Die digitale Transformation weiter gestalten – Der Beitrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu einer innovativen Informationsinfrastruktur für die Forschung (2012), http://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/positionspapier_digitale_transformation.pdf.

[35] Clough, Best of Both Worlds, wie Anm. 2, S. 5: „Libraries and archives were among the early adopters of digital technology. With their “open access” ethic, they embraced both digitization and social networking early on and began to ask, “What would the model look like if visitors could explore the collections on their own terms?”“

[36] Vgl die Projektbeschreibung auf der Homepage des BAM-Portals. http://www.bam-portal.de/projektziel.html: „Das BAM-Portal ist ein wichtiger nationaler Beitrag zu Digitalisierungsstrategien in Deutschland, aber auch auf europäischer Ebene. Das BSZ ist für die Museen in der Bund-Länder-Fachgruppe für die Deutsche Digitale Bibliothek vertreten. Das BSZ ist mit dem BAM-Portal zudem Datenaggregator für die Europeana“.

[37] Seit dem 12. November 2012 ist eine Beta-Version der DDB online, vgl. https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de. Vgl. dazu den aktuellen Sachstand: Ein Archivportal für Deutschland. Der Aufbau des Archivportals-D innerhalb der Deutschen Digitalen Bibliothek als Chance für Archive in der Informationsgesellschaft”. Vortrag Gerald Maier, Christina Wolf auf dem Deutschen Archivtag, Sektionssitzung 4, 26. September 2013 in Saarbrücken, http://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/55666/Archivportal-D_saarbruecken-2013_Vortrag.pdf.

[38] In den Flächenbundesländern fehlen regionale Archivportale in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt. In den Stadtstaaten Bremen und Hamburg ist die Archivlandschaft überschaubar.

[39] Vgl . http://www.wirtschaftsarchivportal.de; nur Kontaktdaten und Links zu den Homepages, keine Beständeübersichten oder Online-Findbücher.

[40] Vgl. z. B. http://www.katholische-archive.de, mit Kontaktdaten und groben Bestandsübersichten, keine Onlinefindbücher.

[41] Eine Standardisierung täte hier not; vgl. dazu die vom IT-Ausschuss der ARK erarbeiteten Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Präsentationen von Erschließungsinformationen im Internet, http://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/bundesarchiv_de/fachinformation/ark/vorlage_ark_erschlie_ung_online.pdf. Als weitere Plattform ist außerdem noch das Findbuchportal des Archivsoftwareanbieters AUGIAS-Data zu nennen, über das Findbücher von Archiven verschiedener Sparten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Luxemburg, Italien und den USA recherchierbar sind: vgl. http://www.findbuch.net/homepage/index.php.

[42] Vgl. http://www.landesarchiv-bw.de/web/54267.

[43] Vgl. Gerald Maier, Der Aufbau einer „Deutschen Digitalen Bibliothek“ und der „European Digital Library – Europeana, in: Archivar 61 (2008), S. 399-401, hier S. 400: „Die Architektur ist so geplant, dass neben spartenübergreifenden Nutzer-Sichten (views) auch spartenspezifische Sichten möglich sind, was auch im Hinblick auf die Realisierung eines „Archivportals D“ zu berücksichtigen ist“; vgl. auch die Informationen auf der Projekthomepage des Landesarchivs Baden-Württemberg, http://www.landesarchiv-bw.de/web/54267; zum europäischen Archivportal vgl. http://www.archivesportaleurope.net/de; jüngst zusammenfassend Kerstin Arnold, Susanne Waidmann, Vernetzte Präsentation – Erfahrungen mit Portalen; In: Archivar 4 (2013), S. 431-438, bes. S. 433f.

[44] Vgl. http://www.landesarchiv-bw.de/web/55783; die Karte findet sich unter https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/about-us/institutions#map (nur Archive).

[45] vgl. dazu ausführlich und mit zahlreichen weiteren Hinweisen zuletzt Angelika Menne-Haritz, Archivgut in digitalen Bibliotheken, in: Archivar 65 (2012), S. 248-257.

[46] Das Landesarchiv Baden-Württemberg in der digitalen Welt“. Strategie für die Integration von analogem und digitalem Archivgut, die Digitalisierung von Archivgut und die Erhaltung digitalen Archivguts, http://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/43034/Digistrategie_labw2007web.pdf, S. 6; vgl. auch Positionspapier der ARK „Digitalisierung von Archivgut im Kontext der Bestandserhaltung“, in: Archivar 61 (2008), S. 395-398, hier S. 396 (online: http://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/42353/digibest.pdf

[47] Digitalisierung im Bundesarchiv. Strategie für den Einsatz neuer Techniken der Digitalisierung zur Verbesserung der Zugänglichkeit des Archivguts und zu seinem Schutz 2011 – 2016 (Stand Februar 2011), S.6.

[48] Vgl. http://archivschule.de/DE/home/zum-abschluss-ein-rekorddie-koordinierungsstelle-retrokonversion-archivischer-findmittel-hat-ihre-arbeit-beendet.html.

[49] Vgl. den Projektbericht von Hans-Reinhard Fricke, http://webdoc.sub.gwdg.de/edoc/p/fundus/2/fricke.pdf. Die Original-URL des Digitalen Archivs Duderstadt funktioniert seit Jahren nicht mehr. Zugänglich sind die Digitalisate m.W. nur noch über das Portal digitalisierter Kulturgüter Niedersachsens OPAL, was als ausgesprochen schlechte, weil kontextlose Lösung gelten muss, vgl. http://opal.sub.uni-goettingen.de/no_cache/browse/erweitert/?tx_jkOpal_pi1%5BcatEntry%5D=Urkunden+des+Stadtarchivs+Duderstadt&. Besonders traurig mutet an, dass von der Infoseite des Stadtarchivs das Digitale Archiv zwar gerühmt wird („Diese Sammlung ist im Bereich der kommunalen und staatlichen Archive noch immer führend in Europa“), aber nicht verlinkt ist!

[50] Vgl. zuletzt Christian Reinicke, Arbeiten im digitalen Lesesaal. Landesarchiv NRW Personenstandsarchiv Brühl, in: Archivar 61 (2008) S. 76-80 mit weiteren Hinweisen.

[51] Vgl. zu den Projekten die Projektwebsites mit weiteren Hinweisen; zum Projekt Digitalisierung von Archiv- und Bibliotheksgut http://www.landesarchiv-bw.de/web/47361, zu den Workflows und Werkzeugen zur digitalen Bereitstellung größerer Mengen von Archivgut http://www.landesarchiv-bw.de/web/47354 und zum BAM-Portal http://www.landesarchiv-bw.de/web/44573.

[52] Vgl. Hartmut Weber, Digitale Repertorien, virtueller Lesesaal und Praktikum im WWW – neue Dienstleistungsangebote der Archive an die Forschung, in: Fundus – Forum für Geschichte und ihre Quellen 4 (1999), S. 197-213, hier S. 212 (= http://webdoc.gwdg.de/edoc/p/fundus/html/heft_4.html).

[53] 10% von 60 Mio. geschätzten Verzeichnungseinheiten war die Zielmarke der DFG-Aktionslinie Retrokonversion: Mit DFG-Förderung wären demnach 8% (4,8 von 60 Mio.) der Verzeichnungseinheiten insgesamt retrokonvertiert worden.

[54] Vgl. z. B. Frieder Kuhn, Nicht zu vergessen: Mikrofilm! Ein Zwischenruf, in: Gerald Maier / Thomas Fricke (Hrsg.), Kulturgut aus Archiven, Bibliotheken und Museen im Internet (Werkhefte der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg, Serie A, Heft 17), Stuttgart 2004, S. 203-205 (online: http://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/43102/WerkheftA17_Schnitt.pdf).

[55] Das Landesarchiv Baden-Württemberg in der digitalen Welt. Strategie für die Integration von analogem und digitalem Archivgut, die Digitalisierung von Archivgut und die Erhaltung digitalen Archivguts, http://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/43034/Digistrategie_labw2007web.pdf, S. 6.

[56] Ebd., S. 2 Anm. 4 und bes. S. 7.

[57] Digitalisierung im Bundesarchiv, wie Anm. 47, S. 10: „Der teilweise von Nutzern als reduziert empfundene Komfort der Mikrofilme kann durch den Einsatz der Digitalisate für die Nutzung erheblich verbessert werden, so dass sich Mikrofilm als Sicherungsmedium und Digitalisate als Nutzungsmedium gut ergänzen. Die Erstellung von Digitalisten wird deshalb in der Regel vom Mikrofilm aus vorgenommen.“

[58] Vgl. die nützliche und praxisnahe, inzwischen freilich etwas in die Jahre gekommene Empfehlung Digitalisierung von archivischem Sammlungsgut http://www.bundeskonferenz-kommunalarchive.de/empfehlungen/Empfehlung_Digitalisierung.pdf, sowie Marcus Stumpf, Grundlagen, Planung und Durchführung von Digitalisierungsprojekten, in: ders. / Katharina Tiemann (Hrsg.), Kommunalarchive und Internet. Beiträge des 17. Fortbildungsseminars der Bundeskonferenz der Kommunalarchive (BKK) in Halle vom 10.–12. November 2008 (Texte und Untersuchungen zur Archivpflege 22) Münster 2009, S. 111–132.

[59] Vgl. dazu http://www.archive.nrw.de/lav/archivfachliches/bestandserhaltung/digitalisierung/index.php und Grundsätze der Bestandserhaltung – Technisches Zentrum, hrsg. vom Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Überarb. Neuauflage, Düsseldorf 2011, S. 44f.

[60] Frank Bischoff / Marcus Stumpf, Digitalisierung von archivalischen Quellen – DFG-Rundgespräch diskutiert fachliche Eckpunkte und Ziele einer bundesweiten Digitalisierungskampagne, in: Archivar 64 (2011), S. 343-346, Frank Bischoff, Digitale Transformation. Ein DFG-gefördertes Pilotprojekt deutscher Archive, in: Archivar 65 (2012), S. 441-446; Projekthomepage: http://www.archivschule.de/DE/forschung/digitalisierung/.

[61] Vgl. Entwicklungen der Personalstrukturen im Archivwesen der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Strategiepapier der ARK 2011, in: Archivar 64 (2011), S. 397-413, hier S. 398.

[62] Vgl. Mario Glauert, Dimensionen der Digitalisierung. Kosten, Kapazitäten und Konsequenzen, in: Claudia Kauertz (Red.), Digital und analog. Die beiden Archivwelten. 46. Rheinischer Archivtag. 21.-22. Juni 2012 in Ratingen. Beiträge (Archivhefte 43), Bonn 2013, S. 42-53, hier S. 46f.

[63] Vgl. Das Landesarchiv Baden-Württemberg in der digitalen Welt, wie Anm. 46, S. 5f. Dies ist im übrigen auch ein wichtiger Aspekt im DFG-Pilotprojekt, indem erprobt werden soll, inwieweit durch die Vergabe von Strukturdaten bei der Digitalisierung, die das Archivale in der Viewer-Ansicht besser gliedern (etwa bei Amtsbüchern), eine (zu) flache Verzeichnung kompensiert werden kann.

[64] Vgl. Seamus Ross, Strategies for selecting resources for digitization: source-orientated,

user-driven, asset-aware model (SOUDAAM). In: T. Coppock (Hrsg.), Making information available in digital format: perspectives from practitioners. Edinburgh 1999, S. 5-27, hier S. 16 f.

 

 

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/668

Weiterlesen

Die digitale Herausforderung im Spiegel der aktuellen deutschen Archivgesetzgebung

Palais_Sickingen_3Wie ist  ist bzw. wie wird in der Archivgesetzgebung der Länder verankert, dass auch digitale Unterlagen als Archivgut an zusehen sind und dementsprechend zu behandeln sind? Mit dieser wichtigen Thematik hat sich Martins Wiech vom LAV NRW beim Deutsch-Niederländischen Archivsymposium im Herbst 2013 beschäftigt. Auch dieser Beitrag wurde in der letzten Archivpflege 80/2014 veröffentlicht.

heft 80 - 01-2014 - seiten001-068.indd

Die digitale Herausforderung im Spiegel der aktuellen deutschen Archivgesetzgebung

von Martina Wiech

„Variatio delectat?“ Mit dieser Frage hat Rainer Polley 1991 einen Aufsatz überschrieben, in dem er die bis dahin erlassenen Archivgesetze des Bundes und der Länder verglich.[1] Die Landschaft der deutschen Archivgesetze ist in der Tat sehr vielfältig, zumal dann, wenn man neben den staatlichen Gesetzen des Bundes und der Länder auch noch die archivrechtlichen Bestimmungen der Kirchen mit in den Blick nimmt. Allen gemeinsam ist die Entstehung in den 80er- und 90er-Jahren sowie ihre generelle Konstruktion als Spezialgesetze zur Datenschutzgesetzgebung. Diese entwickelte sich in Deutschland vornehmlich in Reaktion auf das 1983 vom Bundesverfassungsgericht als Grundrecht anerkannte Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die staatlichen Archivgesetze des Bundes und der Länder, auf die sich dieser Beitrag konzentriert, traten zwischen 1987 (Baden-Württemberg) und 1997 (Mecklenburg-Vorpommern) erstmals in Kraft. Sie entstammen damit einer Zeit, der elektronische Unterlagen grundsätzlich nicht fremd waren. So erwähnte das nordrhein-westfälische Archivgesetz vom 12.6.1989 in § 3 Abs. 4 etwa „programmgesteuerte mit Hilfe von ADV-Anlagen geführte Datenbestände“.[2] Dem damaligen Erfahrungshorizont entsprechend hatte man dabei aber wohl überwiegend in Rechenzentren betriebene Datenbanken und Großrechnerverfahren im Blick. Der Siegeszug der PCs in den öffentlichen Verwaltungen setzte in den Anfangsjahren der deutschen Archivgesetzgebung gerade ein. E-Government und Internet dagegen waren für den Alltag der öffentlichen Verwaltungen in den „Kindertagen“ der deutschen Archivgesetze noch lange ferne Zukunftsmusik.

In größerem Umfang begann man im deutschen Archivwesen seit Ende der 90er-Jahre einen Anpassungsbedarf der Archivgesetze an veränderte Rahmenbedingungen zu konstatieren.[3] Die Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder (ARK), das zweimal jährlich tagende Koordinierungsgremium der staatlichen Archivverwaltungen in Deutschland, erkannte den Regelungsbedarf. Sie beauftragte deshalb im März 2001 ihre Arbeitsgruppen „Archive und Recht“ und „Elektronische Systeme in Justiz und Verwaltung“, ein Entwurfspapier mit Formulierungsvorschlägen für gesetzliche Regelungen zur Archivierung digitaler Unterlagen zu erstellen. Dieses 2003 von den Arbeitsgruppen fertig gestellte und 2004 von der ARK genehmigte Papier diente für die folgenden Novellierungen bestehender Archivgesetze als wichtige Richtschnur.[4] Die folgende Darstellung orientiert sich an den in den ARK-Empfehlungen beschriebenen Problemfeldern und stellt parallel dazu Beispiele für die Umsetzung in den in jüngster Zeit novellierten Archivgesetzen vor.

 

400_140-180_027

Was tun, wenn die Akte nur noch digital vorliegt?

Einen wichtigen Regelungsbedarf sahen die Verfasser der ARK-Empfehlungen in einer veränderten Legaldefinition des Unterlagenbegriffs. Die deutschen Archivgesetze definieren den Unterlagenbegriff über eine Aufzählung verschiedener Träger bzw. Speichermedien und Unterlagenarten. Die Aufzählung war zwar in vielen Archivgesetzen bewusst offen gelassen worden, und man hatte versucht, andere, noch unbekannte Speicherungsformen definitorisch zu erfassen. In der Praxis ergaben sich jedoch Anwendungsprobleme, insbesondere bei solchen Archivgesetzen, die den eng gefassten Begriff des „maschinenlesbaren Datenträgers“ verwendeten. Die Verfasser der ARK-Empfehlungen schlugen deshalb vor, die definitorische Umschreibung von Speicherform und Datenträger zu vermeiden, aber die bisherige beispielhafte Aufzählung beizubehalten, um den anbietungspflichtigen Stellen eine praktische Vorstellung der anzubietenden Unterlagen zu ermöglichen.

DVD_2Beispiele für die Umsetzung

§ 2 Abs. 1 Archivgesetz NRW[5]

„Unterlagen nach § 1 sind Urkunden, Amtsbücher, Akten, Schriftstücke, amtliche Publikationen, Karteien, Karten, Risse, Pläne, Plakate, Siegel, Bild-, Film- und Tondokumente und alle anderen, auch elektronischen Aufzeichnungen, unabhängig von ihrer Speicherungsform, sowie alle Hilfsmittel und ergänzenden Daten, die für die Erhaltung, das Verständnis dieser Informationen und deren Nutzung notwendig sind.“

§ 2 Abs. 1 Satz 2-4 Bremisches Archivgesetz[6]

„Unterlagen sind Aufzeichnungen unabhängig von ihrer Speicherform. Dazu gehören insbesondere Urkunden, Amtsbücher, Akten, Schriftstücke, amtliche Publikationen, Drucksachen, Karteien, Karten, Risse, Pläne, Plakate, Siegel, Bild-, Film- und Tondokumente. Unterlagen sind auch elektronische Aufzeichnungen sowie alle Hilfsmittel und ergänzenden Daten, die für die Erhaltung, das Verständnis dieser Informationen und deren Nutzung notwendig sind.“

 

Beratungskompetenz der Archive

Die meisten deutschen Archivgesetze sahen bereits 2004 die Beratung der Verwaltung zu Fragen der Schriftgutorganisation und/oder Bestandserhaltung als eine Aufgabe der Archive. Die Beratungstätigkeit wurde dabei jedoch vielfach als eine Kann-Aufgabe dargestellt und nicht spezifisch mit Blick auf die Konzeption und Einführung elektronischer Systeme formuliert. Dadurch konnte bei anbietungspflichtigen Stellen der Eindruck entstehen, dass sich die Beratungskompetenz der Archive auf die konventionelle Schriftgutverwaltung beschränke. Archive wurden häufig nicht oder zu spät in die Konzeption und Einführung von Systemen einbezogen. Die Verfasser der ARK-Empfehlungen schlugen daher die Einführung einer gesetzlichen Pflicht für die anbietungspflichtigen Stellen vor, das zuständige Archiv in die Entwicklung oder Fortentwicklung eines Systems einzubeziehen.

Beispiele für die Umsetzung

§ 3 Abs. 5 Archivgesetz NRW

„Im Rahmen seiner Zuständigkeit berät das Landesarchiv die Behörden, Gerichte und sonstigen öffentlichen Stellen des Landes bei der Verwaltung, Aufbewahrung und Sicherung ihrer Unterlagen. Die obersten Landesbehörden stellen sicher, dass die anbietenden Stellen in ihrem Geschäftsbereich die in Absatz 4 genannten Austauschformate beachten. Das gilt sowohl bei der Planung, vor der Einführung und bei wesentlichen Änderungen von IT-Systemen, die zu nach § 2 Absatz 1 i.V.m. § 4 Absatz 1 anzubietenden elektronischen Dokumenten führen. Soweit hiervon ausnahmsweise abgewichen werden soll, ist bereits vor der geplanten Nutzung anderer Formate und Techniken Einvernehmen mit dem Landesarchiv zu erzielen, um die spätere Übernahme des Archivgutes sicherzustellen. Dies entfällt, wenn Formate oder Techniken eingesetzt werden, die nach einem Verfahren nach Artikel 91 c Absatz 2 GG (Länderübergreifende Standards) abgestimmt sind.“

§ 4 Abs. 3 Hessisches Archivgesetz[7]

„Das Hessische Landesarchiv berät die in § 2 Abs. 3 und 6 genannten Stellen im Rahmen seiner Zuständigkeit bei der Verwaltung und Sicherung ihrer Unterlagen im Hinblick auf die spätere Archivierung. Diese Stellen beteiligen das Hessische Landesarchiv bei der Einführung und Änderung technischer Systeme zur Erstellung und Speicherung digitaler Unterlagen. Die Beratungstätigkeit erstreckt sich auch auf die nicht staatlichen Archive im Rahmen der Archivpflege.“

Übergabe von Datenbanken

Die Verfasser der ARK-Empfehlungen sahen zudem dringenden Regelungsbedarf hinsichtlich der Anbietung und Übernahme von Datenbankdaten. Zwar kannten einige Archivgesetze 2004 bereits „maschinenlesbar gespeicherte Informationen“ bzw. nannte das nordrhein-westfälische Archivgesetz die bereits erwähnten „mit Hilfe von ADV-Anlagen geführten Datenbestände“. Diese Definitionen waren jedoch viel zu eng und sahen zudem keine Regelungen für laufend geführte Datenbanken, insbesondere solche ohne Historie, vor. Die ARK-Empfehlungen schlugen daher vor, die grundsätzliche Anbietungspflicht auch für laufend geführte Datenbanken gesetzlich zu verankern, dabei jedoch die Übergabemodalitäten nicht abschließend gesetzlich zu regeln, sondern auf untergesetzliche Verwaltungsvorschriften zu verweisen.

Beispiele für die Umsetzung

§ 4 Abs. 1 Archivgesetz NRW

„Die Behörden, Gerichte und sonstigen Stellen des Landes haben dem Landesarchiv alle Unterlagen zur Übernahme anzubieten, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr benötigen. Die Anbietung erfolgt grundsätzlich nach Ablauf der Verwahrungs- bzw. Aufbewahrungsfristen. Unabhängig davon sind alle Unterlagen spätestens dreißig Jahre nach ihrer Entstehung dem Landesarchiv anzubieten, sofern keine anderen Rechtsvorschriften längere Aufbewahrungsfristen bei den anbietungspflichtigen Stellen festlegen. Dem Landesarchiv ist auf Verlangen zur Feststellung der Archivwürdigkeit Einsicht in die Unterlagen und die dazu gehörigen Hilfsmittel und ergänzenden Daten, die für das Verständnis dieser Information und deren Nutzung notwendig sind, zu gewähren. Elektronische Unterlagen, die einer laufenden Aktualisierung unterliegen, sind ebenfalls zur Archivierung anzubieten.“

 

§ 4 Abs. 3 Archivgesetz NRW

„Das Landesarchiv regelt die Anbietung und Übernahme von Unterlagen im Benehmen mit den anbietungspflichtigen Stellen.“

 

§ 9 Hessisches Archivgesetz

„Digitales Archivgut

(1) Bei der Übernahme von digitalen Unterlagen sind Auswahlkriterien und technische Kriterien, insbesondere das Format von Primär- und Metadaten und die Form der Übermittlung, von dem zuständigen Archiv mit Zustimmung der abgebenden Stelle vorab festzulegen.

(2) Bei digitalen Unterlagen, die einer laufenden Aktualisierung unterliegen, legt das zuständige Archiv die Form der Anbietung und die Zeitabstände der Übergabe mit Zustimmung der abgebenden Stelle vorab fest.“

 

§ 3 Abs. 2 Bremisches Archivgesetz

„Zur Übernahme anzubieten sind auch Unterlagen, die

[…]

3. elektronische Daten enthalten, die einer laufenden Aktualisierung unterliegen.“

 

§ 3 Abs. 3 Bremisches Archivgesetz

„Art und Umfang der zu archivierenden Unterlagen können vorab zwischen dem Staatsarchiv und der abliefernden Stelle vereinbart werden. Für Datenbestände, die mit Hilfe von automatischen Datenverarbeitungsanlagen geführt werden, sind Art und Umfang sowie die Form der Übermittlung der zu archivierenden Daten vorab festzulegen. Datenbestände, die aus verarbeitungstechnischen Gründen vorübergehend vorgehalten werden, sind nicht anzubieten. […]“

 

Authentizität und Integrität der Unterlagen bis zur Übergabe bzw. von Übergabe an

Die ARK-Empfehlungen behandelten mit diesem Themenfeld einen Bereich, der nicht allein archivrechtlich zu regeln ist. Anforderungen an die Beweiskraft elektronischer Unterlagen vor wie nach der Übernahme ins Archiv sind Gegenstand anderer Gesetze und Normen (z.B. Signaturgesetz, TR-ESOR-Richtlinie, geplante Norm DIN 31647). Mit Blick auf die Archivgesetze erachteten die Verfasser der ARK-Empfehlungen solche Regelungen als notwendig, die den Archiven grundsätzlich die Migration elektronischer Unterlagen auf andere Träger und in andere, langzeitstabile Formate erlauben. Regelungen zur Erstellung von Ersatzmedien und zur Abweichung vom „Originalzustand“ enthielten bereits damals zahlreiche Archivgesetze. Die Diskussion um die 2003 vom sächsischen Rechnungshof geäußerte Empfehlung zur Ersatzdigitalisierung umfangreicher Teile des Archivguts zeigte jedoch die Ambivalenz derartiger Regelungen.[8] Hauptaufgabe der Archivgesetznovellierungen der letzten Jahre war es daher, im Gesetzestext sowohl die Möglichkeit zur Übertragung auf andere Träger und in andere Formate vorzusehen, die Entscheidung darüber jedoch ausschließlich an die archivfachliche Notwendigkeit solcher Maßnahmen zu knüpfen.

 

Beispiele für die Umsetzung

Kompaktusanlage_klein

Wie können elektronische Akten genauso sicher aufbewahrt werden wie Akten aus Papier?

 

§ 5 Abs. 2 Archivgesetz NRW

„Archivgut ist auf Dauer sicher zu verwahren. Es ist in seiner Entstehungsform zu erhalten, sofern keine archivfachlichen Belange entgegenstehen. Es ist nach archivfachlichen Erkenntnissen zu bearbeiten und vor unbefugter Nutzung, vor Beschädigung oder Vernichtung zu schützen. […]“

 

§ 11 Abs. 2 Hessisches Archivgesetz

„Sofern es unter archivfachlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt ist, können die öffentlichen Archive die im Archivgut enthaltenen Informationen auch in anderer Form archivieren und die Originalunterlagen ausnahmsweise löschen oder vernichten. Darüber ist ein Nachweis zu führen.“

Kosten der Übernahme

Die Verfasser der ARK-Empfehlungen erwarteten angesichts der für die Übernahme notwendigen Migrationen einen höheren Kostenaufwand als bei konventionellen Unterlagen. Kostenregelungen für die Anbietung und Übernahme von Unterlagen sind jedoch damals wie heute als Verwaltungsinnenrecht nicht gesetzlich geregelt. Archivgesetzlich müssen entsprechende untergesetzliche Vorschriften, die z. B. in Aussonderungsvorschriften enthalten sein können, allerdings durch eine klare Abgrenzung der Verantwortungssphären von anbietungspflichtiger Stelle und Archiv unterfüttert werden.

Beispiele für die Umsetzung

Archivgesetz NRW § 2 Abs. 3-5

„(3) Archivgut sind alle, gegebenenfalls nach Ablauf der Verwahrungs- bzw. Aufbewahrungsfristen in das Archiv übernommenen archivwürdigen Unterlagen im Sinne des § 1 Absatz 1 und Absatz 2.

(4) Zwischenarchivgut sind Unterlagen, deren Verwahrungs- bzw. Aufbewahrungsfristen noch nicht abgelaufen sind, deren Archivwürdigkeit noch nicht festgestellt wurde und die vom zuständigen Archiv vorläufig übernommen wurden. Das Verfügungsrecht verbleibt bei der abliefernden Stelle.

(5) Vorarchivgut sind Unterlagen, die dauerhaft aufzubewahren sind, oder deren Verwahrungs- bzw. Aufbewahrungsfristen noch nicht abgelaufen sind und die als archivwürdig bewertet und übernommen worden sind. Das Verfügungsrecht liegt bei dem zuständigen Archiv. Es gelten die Normen des Archivgesetzes.“

Verwaltungsvorschriften zum Niedersächsischen Archivgesetz[9]

„3.5 Die Kosten der erforderlichen Verpackung und Verschnürung des Archivgutes und des Transportes oder der postalischen Versendung zu dem im Landesarchiv jeweils zu-ständigen Staatsarchiv trägt die anbietungspflichtige Stelle. Bei elektronischen Unterlagen gilt dies entsprechend für die Kosten der Konvertierung bzw. Migration in das vom Landesarchiv vorgegebene Speicherformat und Speichermedium sowie für die Übermittlung dieser Unterlagen an das Landesarchiv.“

 

Bereitstellung von Findmitteln und Archivgut in öffentlich zugänglichen Netzen

Die bislang referierten ARK-Empfehlungen befassten sich auftragsgemäß nur mit Fragen der Anbietung und Archivierung von elektronischen Unterlagen, nicht jedoch mit neuen Fragestellungen auf dem Gebiet der elektronischen Bereitstellung von Archivgut. Ohne Zweifel hat sich aber der archivische Alltag auch durch neue Formen der Bereitstellung im Internet seit Inkrafttreten der ersten Archivgesetze Ende der 80er-Jahre enorm verändert. Die Retrokonversion und Digitalsierung von analogen Findmitteln und Archivgut sowie daraus resultierenden Möglichkeiten zur Bereitstellung von Findmitteln und digitalisertem Archivgut im Netz warfen neue rechtliche Fragen auf. Die ARK verabschiedete deshalb 2007 ein erneut von der Arbeitsgruppe „Archive und Recht“ erstelltes Gutachten, das sich ausführlich mit den Möglichkeiten und Grenzen der „Bereitstellung elektronischer Findmittel in öffentlich zugänglichen Netzen“ befasste.[10]

ArchiveNRW_Screenshot5.5.14

Stellt Findbücher bereit: ww.archive.nrw.de

Mit der Retrokonversion von Findmitteln und deren Präsentation im Internet rückte die Veröffentlichung erstmals stärker in den archivrechtlichen Fokus. Sie kann durch ihre Zielrichtung auf eine nicht näher spezifizierte allgemeine Öffentlichkeit von der archivrechtlichen Nutzung als einer individuellen, durch Antrag legitimierten Zugangsform unterschieden werden. Einige jüngere Archivgesetze benennen die Veröffentlichung von Archivgut deshalb explizit als Aufgabe der Archive und definieren deren Schranken. Im nordrhein-westfälischen Archivgesetz von 1989 fehlte eine solche Befugnisnorm noch, was 2005 vom Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit zu Recht bemängelt wurde.[11]

Beispiele für die Umsetzung

§ 8 Archivgesetz NRW

„Das Landesarchiv ist berechtigt, Archivgut sowie die dazugehörigen Findmittel unter Wahrung der schutzwürdigen Belange Betroffener zu veröffentlichen. § 6 Absatz 2 sowie § 7 Absatz 1 bis 4 gelten entsprechend.“[12]

§ 8 Abs. 1 Bremisches Archivgesetz

„Um der Öffentlichkeit den Zugang zu historischen und familienkundlichen Unterlagen zu ermöglichen oder zu erleichtern, ist das Staatsarchiv berechtigt, Archivgut, Reproduktionen von Archivgut und die dazugehörigen Findmittel im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben zu veröffentlichen. Durch die Veröffentlichung dürfen keine überwiegenden schutzwürdigen Belange Betroffener oder Dritter beeinträchtigt werden; insoweit sind insbesondere auch die Art, die Form und die Zugänglichkeit der Publikation zu berücksichtigen. § 7 gilt entsprechend.“

Interessant ist an dieser Stelle auch ein Blick auf vergleichbare Überlegungen im Kontext der Schweizer Archivgesetzgebung. Beat Gnädinger und Eliane Schlatter berichteten 2012 auf der Frühjahrstagung der Fachgruppe 1 des VdA in Speyer über ein neues Schutzfristenmodell für den Kanton Zürich.[13] Dieses sieht absolute Schutzfristen zwischen 30 und 120 Jahren nach Entstehung der Unterlagen für die freie Zugänglichkeit, d. h. also die mögliche Veröffentlichung von Archivgut mit personenbezogenen Daten vor und unterscheidet sie von den weiterhin geltenden relativen Schutzfristen und einer möglichst liberalen Zugangsgewährung auf Antrag. Eine absolute Schutzfrist von max. 120 Jahren für die Veröffentlichung personenbezogenen Archivguts mag für einige Kolleginnen und Kollegen sehr lang klingen und wäre in dieser Form wahrscheinlich auch in Deutschland schwer durchsetzbar. Ein Bedarf an ebenso klaren wie strengen Regelungen für die Veröffentlichung von personenbezogenen Angaben im Internet ist aber nicht zu leugnen. Dies gilt umso mehr, wenn man an die Weiterentwicklung vorhandener Internetangebote in Richtung Semantic Web denkt, was z. B. für die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) eindeutig als Ziel definiert ist. In einer Semantic Web-Struktur kann auch eine vermeintlich „harmlose“ Angabe im online veröffentlichten Archivgut durch die Verknüpfung mit anderen Web-Inhalten eine ursprünglich vom Archiv nicht erwartete rechtliche Brisanz erlangen.

Wie geht es weiter?

Im Bund und in vielen Ländern steht eine umfassende Novellierung der Archivgesetze noch aus. Aktuell wird etwa über ein neues sächsisches Archivgesetz beraten, und die Überarbeitung des baden-württembergischen Archivgesetzes wurde bereits angekündigt.[14] Im Bund soll nach einer kleinen Novellierung 2013[15], die sich auf Pflichtregistrierung von Kinofilmen beschränkte, in der kommenden Legislaturperiode ein neuer Anlauf zu einer umfassenden Gesetzesreform gemacht werden. Insgesamt kann man aber konstatieren, dass das Alter eines Archivgesetzes nicht zwingend etwas darüber aussagen muss, wie ein Archiv die Herausforderungen des digitalen Zeitalters meistert. Zum Beispiel kann eine (allerdings noch nicht abschließend rechtskräftige) Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe über den Umgang mit E-Mails des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus[16] als ein großer Erfolg des baden-württembergischen Archivgesetzes gewertet werden, das im Wesentlichen seit Ende der 80er-Jahre unverändert in Kraft ist. Dennoch ist natürlich eine Anpassung aller Archivgesetze äußerst wünschenswert.

Mit der Novellierung ist es aber nicht getan. Man braucht keine archivische Kristallkugel, um vorauszusehen, dass in Nordrhein-Westfalen z. B. nicht wieder 21 Jahre vergehen werden, ehe weitere Änderungen in den archivischen Rahmenbedingungen neue Anpassungen erfordern. Insofern ist die in vielen deutschen Ländern übliche Befristung von Gesetzen nicht nur ein Instrument des Bürokratieabbaus, sondern auch eine realistische Einschätzung der Tragweite von aktuellen gesetzlichen Bestimmungen. Angesichts des Fristablaufs des aktuellen nordrhein-westfälischen Archivgesetzes am 30.9.2014 laufen derzeit erste Gespräche über einen möglichen Novellierungsbedarf an.

Das vorläufige persönliche Fazit der Autorin über drei Jahre neues nordrhein-westfälisches Archivgesetz im Hinblick auf die digitale Herausforderung ist überwiegend positiv. Die auf der Basis der ARK-Empfehlungen neu bearbeiteten Bestimmungen haben sich bewährt und müssen nur in Einzelheiten angepasst werden. Vier Punkte sind aufzugreifen:

  • Im Umgang mit der Anbietung laufend aktualisierter elektronischer Unterlagen haben sich bei einzelnen anbietungspflichtigen Stellen Fragen bezüglich der Aktualität der dem Archiv übergebenen Informationen ergeben. Die Archivierung von Datenbankschnitten führt in aller Regel dazu, dass auch tagesaktuelle Informationen an das Archiv übergeben werden. In der Behördenberatung sind in diesem Punkt der Hinweis auf die mögliche Übernahme von Vorarchivgut und die Geltung der archivgesetzlichen Schutzfristen gefragt. Im Archivgesetz NRW könnte evtl. ein klarstellender Hinweis hilfreich sein.
  • Die Archivierung elektronischer Unterlagen stellt insbesondere kleinere Archive vor große Herausforderungen, die sie alleine nicht bewältigen können. § 10 Abs. 2 ArchivG NRW ermöglicht es den kommunalen Archiven, ihrer Aufgabe durch Errichtung und Unterhaltung eigener Archive oder Übertragung auf eine für Archivierungszwecke geschaffene Gemeinschaftseinrichtung oder durch Übergabe ihres Archivguts zur Archivierung in einem anderen öffentlichen, nichtstaatlichen Archiv nachzukommen. Hier bleibt zu prüfen, ob diese Regelungen den Anforderungen einem elektronischen Archiv in gemeinsamer Trägerschaft in allen Punkten genügen können.
  • Als Spezialgesetze regeln die Archivgesetze Fragen der Archivierung abschließend. Den anbietungspflichtigen Stellen sind sie jedoch oftmals nicht oder nur vage bekannt. Sie sind mit den spezialgesetzlichen Vorschriften für ihren Verwaltungsbereich meist viel vertrauter. Mit der erfolgreichen Novellierung des Archivgesetzes NRW ist deshalb nur die halbe Arbeit getan. Die Archivarinnen und Archivare des Landesarchivs setzen sich vielmehr weiterhin in mühevoller Detailarbeit dafür ein, dass bestehende Kollisionen zwischen Gesetzen, insbesondere die Anbietungspflicht unterlaufende Löschvorschriften, aufgelöst werden und nach Möglichkeit keine neuen Kollisionen entstehen.
  • Schließlich sind für die nordrhein-westfälische Landesverwaltung trotz der jetzt drei Jahre zurückliegenden Novellierung des Archivgesetzes weiterhin Defizite im Bereich der untergesetzlichen Vorschriften zu konstatieren. Eine für alle Ressorts geltende Verwaltungsvorschrift zur Aussonderung, die nach niedersächsischem Vorbild u. a. auch Kostenfragen regelt, wäre sehr wünschenswert, ist aber angesichts widerstreitender Ressortinteressen in der Landesverwaltung faktisch nur schwer durchsetzbar. Bis auf weiteres wird es bei punktuellen, ressortspezifischen Verwaltungsvorschriften zur Aussonderung bleiben müssen. Hier gilt es v. a., vorhandene Regelungen so anzupassen, dass sie auch auf die Aussonderung elektronischer Unterlagen Anwendung finden können. Das Werben für die Anpassung vorhandener Verwaltungsvorschriften bewegt sich dabei in einem Grenzbereich zwischen archivrechtlicher Arbeit und aktiver Behördenberatung.

Damit sind wir am Schluss des Beitrags bei einer aus dem Bereich der konventionellen Unterlagen bereits hinlänglich bekannten Frage angelangt, nämlich der nach der Durchsetzungsfähigkeit des Archivgesetzes, das nach wie vor keine Sanktionen für die Nichteinhaltung seiner Bestimmungen vorsieht (was im Übrigen kein deutsches Archivgesetz tut). Drei Jahre Praxis erlauben noch keine abschließende Beurteilung, ob die geltenden Regelungen eine geeignete Basis zur Sicherung der elektronischen Überlieferung bieten oder eher ein „zahnloser Tiger“ sind. Entscheidend sind dafür auch weniger die gesetzlichen Regelungen als vielmehr die Qualität der archivischen Behördenberatung. Hier kommt es drauf an, ‚am Ball zu bleiben‘ und sich in der Landesverwaltung als kompetenter Gesprächspartner bekannt zu machen. Die gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen können für diese wichtige Daueraufgabe nur den juristischen Rahmen bieten.

 

Dr. Martina Wiech

Landesarchiv NRW, Fachbereich Grundsätze

martina.wiech@lav.nrw.de

[1] Rainer Polley, Variatio delectat? – Die Archivgesetze von Bund und Ländern im Vergleich, in: Archivgesetzgebung in Deutschland, hrsg. v. Rainer Polley, Marburg 1991, S. 21-48.

[2] Gesetz über die Sicherung und Nutzung öffentlichen Archivguts im Lande Nordrhein-Westfalen (Archivgesetz Nordrhein-Westfalen – ArchivG NW) vom 16. Mai 1989 (GV. NW. S. 302; geändert durch Artikel 69 des Dritten Befristungsgesetzes vom 5.4.2005, GV. NRW. S. 306, in Kraft getreten am 28. April 2005; geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 17. Dezember 2009, GV. NRW. S. 875, in Kraft getreten am 24. Dezember 2009).

[3] So fand z. B. die erste Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ im März 1997 in Münster statt. Die Tagungsbeiträge von 1997 bis heute sind online zugänglich unter http://www.staatsarchiv.sg.ch/home/auds.html (Stand: 19.12.2013, gilt ebenfalls für alle nachfolgenden Hinweise auf Internetseiten).

[4] Die Empfehlungen sind auf der beim Bundesarchiv betriebenen Website der ARK verfügbar unter: http://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/abteilungen/abtg/g1/2004_ag_archive_und_recht_archivgesetze.pdf.

[5] Gesetz über die Sicherung und Nutzung öffentlichen Archivguts im Lande Nordrhein-Westfalen (Archivgesetz Nordrhein-Westfalen – ArchivG NRW) vom 16. März 2010, GV. NRW. S. 188, in Kraft getreten am 1. Mai 2010; geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 29. Januar 2013 (GV. NRW. S. 31), in Kraft getreten am 7. Februar 2013.

[6] Gesetz über die Sicherung und Nutzung öffentlichen Archivguts im Lande Bremen (Bremisches Archivgesetz – BremArchivG –) vom 7. Mai 1991 (Brem.GBl. S. 159) Sa BremR 224-c-1. Zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndG vom 21. 5. 2013 (Brem.GBl. S. 166).

[7] Hessisches Archivgesetz (HArchivG) vom 26. November 2012, verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Archivwesens und des Pflichtexemplarrechts vom 26. November 2012 (GVBl. S. 458).

[8] Rechnungshof des Freistaates Sachsen, Jahresbericht 2003, S. 101ff., online verfügbar unter http://www.rechnungshof.sachsen.de/jb2003/jb2003.pdf.

[9] RdErl. d. StK v. 24.10.2006 – 201-56 201 (Nds.MBl. Nr.38/2006 S.959) – VORIS 22560 –.

[10] Die Empfehlungen sind auf der beim Bundesarchiv betriebenen Website der ARK verfügbar unter: http://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/bundesarchiv_de/fachinformation/ark/20070320_veroeffentlichungsgrundsaetze_ark.pdf.

[11] Siebzehnter Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2005, S. 136 f. Im Internet verfügbar unter https://www.ldi.nrw.de/mainmenu_Service/submenu_Berichte/Inhalt/17_DIB/17__Datenschutz-_und_Informationsfreiheitsbericht.pdf.

[12] Satz 2 verweist auf die Geltung der Versagensgründe für die archivische Nutzung (§ 6 Abs. 2) und der Schutz- und Sperrfristen (§ 7 Abs. 1-4).

[13] Beat Gnädinger und Eliane Schlatter, Individuelle und öffentliche Interessen in Konkurrenz. Die neue Schutzfristenregelung des Kantons Zürich – Ausgangslage und Lösungsansatz, in: Schutzwürdig. Zu Aspekten des Zugangs bei Archivgut. Beiträge der Frühjahrstagung der Fachgruppe Staatliche Archive des VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. am 23. April 2012 in Speyer, hrsg. von Elsbeth Andre und Clemens Rehm, Koblenz 2013 (Unsere Archive Beiheft 3), S. 9-17.

[14] Gesetzentwurf der Sächsischen Staatsregierung zur Änderung des Archivgesetzes vom Juni 2012, Drucksache 5/9386: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=9386&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=1.

[15] Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz – BArchG) vom 06. Januar 1988 (BGBl. I S. 62), zuletzt geändert durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundesarchivgesetzes vom 27. Juni 2013 (BGBl. I S. 1888).

[16] VG Karlsruhe Urteil vom 27.5.2013, 2 K 3249/12.

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/645

Weiterlesen

Alles neu zu durchdenken? Archivische Bewertung im digitalen Zeitalter

ArchivpflegeCover80_14 

Was hat die Halskette der Kanzlerin mit digitaler Archivierung zu tun?  Diese und andere Fragen versuchen die Beiträge des Deutsch-Niederländischen Archivsymposiums 2013 zu klären. Wir starten hier die Reihe der Fachbeiträge im Blog. (Alle Beiträge vor diesem Hintergrund finden sich auch in der neuen Archivpflege 80/2014)

 

 

 

Alles neu zu durchdenken? Archivische Bewertung im digitalen Zeitalter (Dieser Beitrag wurde auf dem Deutsch-Niederländischen Archivsymposium in Arnheim gehalten und mit Fussnoten ergänzt.)

von Robert Kretzschmar

Am 1. September hatten wir im Bundestagswahlkampf das Fernseh-Duell zwischen Frau Merkel und Herrn Steinbrück. Binnen kurzer Zeit wurden 6.800 Tweets zur Halskette der Kanzlerin in die Welt geschickt – in eine digitale Welt, für die das Phänomen typisch ist. Insgesamt gab es 230.000 Tweets zum TV-Duell.[1]

Quelle: Twitter/http://loomings-jay.blogspot.de/

Sollen Archive Tweets dauerhaft dokumentieren? Die Frage ist nicht ausdiskutiert. Mancher Kollege hat sich jüngst eher ablehnend dazu geäußert.[2] Ich meine: Da unsere Welt heute sehr von kommunikativen Prozessen dieser Art geprägt ist, müssen wir das in das kulturelle Gedächtnis der Gesellschaft aufnehmen, kollaborativ und in angemessener, sehr verdichteter Weise. Hier besteht für mich Diskussions- und Handlungsbedarf.

So haben wir uns auch jüngst im Landesarchiv Baden-Württemberg in Abstimmung mit dem Stadtarchiv Stuttgart und der Württembergischen Landesbibliothek dazu entschlossen, private Blogs zu sichern, die im Kontext der Auseinandersetzungen um den Neubau des Stuttgarter Bahnhofs (Stuttgart 21) entstanden sind.[3] Diese Entscheidung wurde aus der Überzeugung heraus getroffen, dass hier Vorgänge von landespolitischer Bedeutung greifbar sind, die wir nicht nur über amtliches Schriftgut im Archiv abbilden sollten. Als dann im Sommer in Baden-Württemberg ein neuer Generalstaatsanwalt berufen wurde und die Presse über ihn recherchierte, stieß sie in unserem Website-Archiv auf eine Liste, in die er sich als Befürworter von Stuttgart 21 eingetragen hatte. Das war natürlich eine Meldung wert[4] – Langzeitverfügbarkeit digitaler Dokumente für einen kurzfristigen Informationswert der Presse.

Fast eher schon zum klassischen Schriftgut gehören E-Mails, auch wenn sie in der Praxis archivischer Überlieferungsbildung vielfach noch außerhalb gezielter Aktivitäten zur Überlieferungs- und Theoriebildung geblieben sind. Die Archivwissenschaft hat sie bisher kaum beachtet. Das liegt vermutlich daran, dass die E-Mail zwischen Ebenen der mündlichen und schriftlichen Sphäre changiert und nicht so recht in archivarische Weltbilder passt.

Welche Bedeutung das E-Mail-Account eines Ministerpräsidenten gewinnen kann, hat aber im Sommer ein Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe bestätigt.

Ihm zufolge müssen E-Mails des früheren Ministerpräsidenten Mappus, die auf seinem dienstlichen Rechner zu Sicherungszwecken kopiert worden waren, unter Beachtung des Datenschutzes zwar gelöscht, zuvor aber dem Landesarchiv angeboten werden. Der ehemalige Ministerpräsident hatte auf Löschung dieser E-Mails geklagt. Die Presse hat darüber berichtet.[5] Das Urteil ist nicht rechtskräftig, sondern aktuell Gegenstand eines Berufungsverfahrens.[6]

In unser Digitales Archiv, das 2001 seine Arbeit aufgenommen hat und seit 2012 im Regelbetrieb läuft,[7] haben wir in den letzten Jahren wiederholt ganze E-Mail-Accounts aus der politischen Leitungsebene übernommen. Ausschlaggebend dafür war der Befund, dass in den Behörden relevante E-Mails nicht selbstverständlich in den Geschäftsgang und zu den Akten gegeben werden – eine Realität, auf die wir reagieren müssen, auch wenn wir natürlich gebetsmühlenartig bei jeder Gelegenheit die geregelte Aktenführung einfordern. So war der Ausgangspunkt einer konkreten Übernahme die folgende Aussage eines Ministerialbeamten: Nehmen Sie mein E-Mail-Account. Dort finden Sie alles Wichtige. Die Akten können Sie vernichten. Die sind ohnehin unvollständig

Insgesamt sichert unser Digitales Archiv aber vor allem digitale Überlieferungen aus geregelten Prozessen staatlicher Einrichtungen: Daten aus dem Umweltinformationssystem und zur Lebensmittelüberwachung, Geobasisdaten der Landesvermessung, eine Straßendatenbank und eine Lehrerdatenbank, digitalisierte Hochbaupläne der Bundesbahndirektion oder auch Einzelfälle digitaler Ermittlungsakten der Polizei. Das alles sind nur Beispiele.[8]

Die Bewertung ist dabei eingebettet in unser Konzept einer integrativen Überlieferungsbildung aus analogen und digitalen Unterlagen.[9] Auch dazu ein Beispiel: 2012 hat das neu geschaffene Ministerium für Integration eine systematische Bestandsaufnahme der Einbürgerungsverfahren in Baden-Württemberg durchgeführt. Ausgewertet wurden dazu Fragebögen von 1.057 Eingebürgerten und 44 Einbürgerungsbehörden. Sehr zeitnah – schon wegen der Löschpflichten – haben wir die elektronisch erfassten Auswertungen in das Landesarchiv übernommen und die Bögen zur Vernichtung freigegeben. Ausschlaggebend für die Entscheidung waren die mehrdimensionalen Nutzungsmöglichkeiten der Daten.[10]

Insgesamt ist unser Digitales Archiv auf alle Arten digitaler Überlieferungen ausgerichtet, also auf Dokumenten-Management-Systeme (DMS), elektronische Aktenführung, Hybrid-Akten, ersetzendes Scannen, elektronische Fachverfahren und Informationssysteme, E-Mail-Accounts, Datensammlungen, Webseiten und soziale Netzwerke (Web. 2.0, Blogs, Twitter). In der Praxis sichern wir aktuell vor allem Daten aus Fachverfahren.[11] Das liegt daran, dass die elektronische Aktenführung in Baden-Württemberg eher zögerlich eingeführt wird. Und social media archivieren wir nur sehr gezielt als Ergänzungsdokumentation. Insofern ergab sich der Fokus unserer aktuellen Übernahmen einerseits aus der gegebenen Situation in der Verwaltung, andererseits aber auch aus traditionellen Grundsätzen der Überlieferungsbildung.

Archivische Überlieferungsbildung im digitalen Zeitalter. Alles neu zu durchdenken? Ausgehend von unserer Praxis – ich komme später auf die Beispiele zurück – möchte ich hierauf eine Antwort geben. Ich werde zunächst etwas zum Stand der Bewertungsdiskussion in Deutschland sagen – allgemein und im Blick auf digitale Unterlagen, um dann darauf basierend ein paar Überlegungen anzustellen und abschließend ein Fazit ziehen.

 Anmerkungen zum Stand der Bewertungsdiskussion in Deutschland

Der aktuelle Stand der Bewertungsdiskussion wird 2014 wieder vermittelt werden in einer Fortbildungsveranstaltung der Archivschule Marburg, deren Ankündigung vor kurzem erfolgt ist. Ziel dabei ist, Konzepte zur archivischen Dokumentation der Gesamtgesellschaft vorzustellen.[12] Dass dies das Ziel archivischer Bewertung ist, darüber besteht, so hoffe ich, in Deutschland heute weitgehend Konsens. Nach der kontroversen Diskussion der neunziger Jahre[13] haben wir uns in Deutschland ja doch in den letzten Jahren weitgehend auf gemeinsame Sicht- und Vorgehensweisen verständigt wie auch auf das Ziel einer multiperspektivischen Überlieferungsbildung,[14] denn sie ergibt sich aus einer archivischen Dokumentation der Gesamtgesellschaft. Die Diskussion ist freilich nicht abgeschlossen, aber das ist auch gut so, weil man die Zielsetzungen, Strategien, Grundsätze und Methoden laufend reflektieren muss.

In der Ankündigung der Archivschule Marburg sind zentrale Punkte benannt, von denen die Diskussion in der letzten Zeit bestimmt war. Ich greife drei heraus.

  1. Vertikale und horizontale Bewertung als eine Methode zur Verdichtung
  2. Überlieferungsbildung im Verbund als Strategie
  3. Das Dokumentationsprofil als ein Konzept für Ziele und Wertmaßstäbe der Überlieferungsbildung, wie es in der Ankündigung heißt.

 

Die sogenannte vertikale und horizontale Bewertung dient bei inhaltlichen Überschneidungen verschiedener Überlieferungen als Folge der Beteiligung verschiedener Stellen dem Abgleich, wo die Überlieferung mit der größten Aussagekraft entsteht.[15] Überlieferungsbildung im Verbund sieht vor, dass sich verschiedene Archive abstimmen, um ein möglichst breites und differenziertes Abbild bestimmter Lebensbereiche und Phänomene zu erzielen.[16] Unverzichtbar sind dafür Zieldefinitionen und Dokumentationsprofile als Arbeitsgrundlage einzelner oder mehrerer Archive auf dem Feld der Überlieferungsbildung.[17]

Ich glaube, dass man in der Praxis sehr weit kommt, wenn man entsprechend vorgeht, also Ziele definiert, Profile entwickelt und sich mit anderen Archiven abstimmt und im Einzelnen analysiert, wo welche Überlieferungen von hoher Aussagekraft vorliegen oder generiert werden. Dabei wird man im einen Fall von der Überlieferung selbst ausgehen, im Idealfall aber gezielt ganze Lebens- und Überlieferungsbereiche betrachten. Schon deshalb sind die Vorgehens- und Betrachtungsweisen auch komplementär zu verstehen. In der Praxis geht es nicht um die Frage horizontale/-vertikale Bewertung oder Dokumentationsprofil, vielmehr ergänzt sich beides. So wie es bei der Betrachtung des Dokumentationswertes auch nicht heißen darf Evidenzwert oder Informationswert, sondern beides abgeprüft werden muss.

Und so ergänzen sich auch provenienzorientierte und inhaltsbezogene Vorgehensweisen. Die Polarisierung in zwei Stränge, wie sie jüngst sehr anschaulich auf einem Poster der Fachhochschule Potsdam dargestellt wurde,[18] war das Konstrukt einer heute doch völlig überholten und in weiten Teilen doch auch spezifisch deutschen Bewertungsdiskussion. Ich hoffe, dass sie überwunden ist, und sehe die beiden Stränge auch aktuell zusammenlaufen – in der Praxis wie auch in der Theorie. Sehr schön hat das vor kurzem Andreas Pilger 2012 in einer Sektion auf dem 49. Deutschen Historikertag in Mainz in seinem Referat zum Stand der archivischen Bewertungsdiskussion in Deutschland akzentuiert.[19] Insgesamt sind wir in den letzten Jahren in der Bewertungsdiskussion sehr fruchtbar vorangeschritten. Das wird besonders an der Neuauflage des „Klassikers“ von Matthias Buchholz deutlich, der dies in einem Nachtrag zur ersten Auflage mit einem Resümee der Diskussion für den Zeitraum 2001 bis 2011 detailliert dargestellt hat; es zeigt sich schon darin, dass der Nachtrag allein über 50 Seiten umfasst.[20]

Im Ergebnis haben wir insgesamt eine sehr gute theoretische Basis, auch wenn im Detail freilich noch manches weiter zu durchdenken bleibt. So sind sicher noch einige terminologische Unstimmigkeiten mit dem Ziel einer breiten fachlichen Verständigung zu klären. Dies beginnt bei den Begriffen Dokumentationsprofil und Archivierungsmodell; das sei hier nur angedeutet.[21]

Auch sei nur angedeutet, dass wir die Konsequenzen unseres aktuellen Selbstverständnisses[22] für die Bewertung bedenken müssen. Wenn wir die Transparenz des Verwaltungs- und Regierungshandelns gewährleisten wollen, dann müssen wir dies – so denke ich – noch sehr viel genauer im Blick auf die Überlieferungsbildung reflektieren.[23] Das gilt auch für unsere Rolle in der Erinnerungskultur jenseits der historischen Forschung.[24] Und bei all dem werden auch Möglichkeiten einer partizipatorischen Einbeziehung von Nutzergruppen zu prüfen sein.[25]

Insgesamt sehe ich aber weniger Theorie- als Anwendungsdefizite. Aus meiner Sicht besteht großer Handlungsbedarf, die guten Strategien, Grundsätze und Methoden auch konsequent unter breiter Beteiligung vieler Archive umzusetzen.

Dies gilt für die Überlieferungsbildung im Verbund wie auch für die Ziele der Bewertung im Konkreten und die Entwicklung von Dokumentationsprofilen.[26]

Wobei ich nicht unerwähnt lassen möchte, dass wir seitens der Landesarchive, z.B. bei uns in Baden-Württemberg, schon seit langem systematisch Papiere zur Bewertung erarbeitet haben,[27] dass gerade das Landesarchiv-Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren seine Vorgehensweisen und Bewertungen sehr systematisch bearbeitet und publiziert hat,[28] dass auch vom Historischen Archiv der Stadt Köln jetzt geradezu beispielhaft ein umfassendes Dokumentationsprofil vorgelegt wurde[29] und dass vor allem verschiedene Arbeitsgruppen in Deutschland immer wieder übergreifend für bestimmte Überlieferungsbereiche grundlegende Ergebnisse erzielt haben.[30] Und da werden jetzt auch zunehmend digitale Überlieferungen einbezogen.

Stand der Bewertungsdiskussion über digitale Unterlagen in Deutschland

 Damit zu der Frage: Welchen Stand haben wir da im Blick auf die Bewertung erreicht? Hier sind wir in Deutschland noch sehr in den Anfängen. Beim Aufbau digitaler Archive standen in den letzten Jahren weniger Fragen der Bewertung im Vordergrund als technische und organisatorische Aspekte.[31] Das hatte auch seine völlige Berechtigung, denn diese Dinge waren und sind zum Teil noch zunächst zu klären.[32] Oft waren es in den Archiven auch nicht die traditionellen Überlieferungsbildner, von denen digitale Archive aufgebaut wurden, sondern jüngere Kolleginnen und Kollegen ohne einen langjähren Erfahrungshorizont der Bewertung. So entstanden in den Archiven verschiedene Welten für die Arbeitsfelder der digitalen Archivierung und Überlieferungsbildung, mit unterschiedlichen Fachsprachen, wodurch die Kommunikation nicht gerade erleichtert wurde. Die Zahl der Publikationen zur Bewertung digitaler Unterlagen ist dementsprechend auch noch relativ überschaubar. Wer zur Bewertung digitaler Unterlagen etwas wissen wollte, musste lange Zeit die internationale Fachliteratur rezipieren. Erste, noch sehr allgemeine Hinweise fanden sich im nestor-Handbuch aus dem Jahr 2006, für das eine neuere Version 2.0 vom Juni 2009 vorliegt.[33]

Es gibt jedoch deutliche Anzeichen, dass sich aktuell forciert ein Generationenwechsel vollzieht und digitale Überlieferungen zunehmend bewertet werden. Ich denke, wir stehen an der Schwelle zu einer vertieften Befassung mit dem Thema und einer breiter praktizierten Bewertung digitaler Unterlagen. Für den Bereich der Statistik hat eine Arbeitsgruppe der Archivreferentenkonferenz geradezu Pionierarbeit geleistet, indem sie 2008 520 elektronische Statistiken der Statistischen Ämter bewertet und Empfehlungen dazu ausgesprochen hat. 67 Statistiken wurde bleibender Wert beigemessen.[34] Es gibt weitere Beispiele dieser Art für ganz bestimmte Überlieferungsbereiche mit sehr konkreten Analysen, so zum Beispiel ganz aktuell der Entwurf eines umfassenden Papiers zur Überlieferung der Arbeitsverwaltung, das eine Arbeitsgruppe der Archivreferentenkonferenz erstellt hat.[35]

Gerade in den letzten Monaten hat sich auch der Arbeitskreis Archivische Bewertung im VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. sehr grundsätzlich mit der Bewertung elektronischer Fachverfahren befasst, ein Papier dazu erarbeitet und zur Kommentierung gestellt; am 7. November 2013 fand dazu im Landesarchiv Baden-Württemberg in Stuttgart ein Workshop statt.[36]

Als grundlegenden Beitrag zur Bewertung digitaler Unterlagen ist vor allem das Referat von Christian Keitel zu nennen, das er 2009 auf dem 79. Deutschen Archivtag in Regensburg unter dem programmatischen Titel Benutzerinteressen annehmen und signifikante Eigenschaften festlegen. Eine neue Aufgabe für Archivare gehalten hat.[37] Auch wenn das auf dem Archivtag in Regensburg damals kaum wahrgenommen wurde, waren damit im Einklang mit der internationalen Diskussion die Begriffe benannt, die in den folgenden Jahren immer wieder im Zentrum von Bewertungsanalysen zu digitalen Unterlagen standen. Es liegen zwischenzeitlich mehrere Publikationen mit Analysen signifikanter Eigenschaften vor.[38] Hier ist etwas Grundsätzliches in Gang gekommen. Nur in einem Satz: Signifikante Eigenschaften sind die Merkmale einer digitalen Überlieferung, die sie in ihrer ursprünglichen Entstehungsumgebung hatte und die in jedem Fall erhalten werden sollen, in allen Ausprägungen über alle Migrationen hinweg – in der Annahme, dass man damit zu erwartenden Interessen von Nutzern entspricht. Bei Fachverfahren geht es dabei zum Beispiel um Recherchierbarkeit, Verknüpfbarkeit, Aggregierbarkeit und die Möglichkeiten der Weiterverarbeitung der Daten; ich zitiere aus dem aktuellen Papier des VdA-Arbeitskreises, das diesen Punkt näher ausführt.[39]

Soweit ganz grob der Diskussionsstand. Noch einmal: ich denke, wir stehen aktuell an der Schwelle zu einer vertieften Befassung mit dem Thema und einer breiter praktizierten Bewertung digitaler Unterlagen. Nicht zuletzt ist die thematische Ausrichtung dieses Symposiums selbst ein Beleg dafür.[40]

Alles neu zu durchdenken?

Von da aus zurück zu meiner Fragestellung: Alles neu zu durchdenken?

Dazu sehe ich keinen Anlass. Im Gegenteil: Ich glaube, dass wir eine sehr gute Basis haben, digitale Unterlagen in die Überlieferungsbildung einzubeziehen. Entscheidend ist dabei für mich, dass wir integrative Strategien entwickeln müssen für konventionelle und für digitale Überlieferungen.

Im Landesarchiv Baden-Württemberg verfolgen wir bewusst einen solchen Ansatz, der schon in der strategischen Grundlegung unserer Aktivitäten von 2007 ausformuliert ist.[41] Wir haben sehr früh die digitale Archivierung einbezogen in die regelmäßigen Besprechungen unserer abteilungsübergreifenden Arbeitsgruppe Überlieferungsbildung (AGÜ).[42] Und organisatorisch haben wir in den Archivabteilungen des Landesarchivs die Bewertung digitaler Unterlagen gezielt verankert in den herkömmlichen Referaten für Überlieferungsbildung. Das heißt, dieselben Leute bewerten integrativ konventionelle und digitale Unterlagen einer Provenienz. Und treffen dann – um dieses Beispiel wieder aufzunehmen – die Entscheidung, statt der Erhebungsbögen auf Papier die digitalen Daten zur Einbürgerung zu sichern.

Damit ist die Bewertung digitaler Unterlagen einbezogen in die Entwicklung von Zieldefinitionen für die Bewertung bestimmter Bereiche, von Dokumentationsprofilen, von Überlegungen zu einer Überlieferungsbildung im Verbund und Verdichtungen auf der Grundlage vertikaler und horizontaler Bewertung. Die komplementären Strategien, Betrachtungsweisen, Grundsätze und Methoden erweisen sich als tragfähig; die laufende Evaluation versteht sich wohl von selbst. So ist die Archivierung von Websites eingebettet in Konzepte zur Ergänzungsdokumentation – dies gilt für das Beispiel der Blogs zu Stuttgart 21 und bleibt entsprechend für social media einmal grundsätzlich zu überdenken, in Verbindung mit Dokumentationsprofilen und einer Überlieferungsbildung im Verbund.

Wir haben uns in Stuttgart mit vielen Gedächtnisinstitutionen zusammengesetzt, um eine arbeitsteilige Dokumentation zu Stuttgart 21 zu erreichen.

Selbstverständlich haben digitale Unterlagen spezielle materialspezifische Eigenheiten, die zu berücksichtigen sind und zu veränderten Vorgehensweisen und Modellbildungen führen. Die Loslösung der Information vom Träger, die digitale Mehrdimensionalität verlangen spezifische Betrachtungsweisen und Analysen, die in der Literatur im Einklang mit der internationalen Diskussion[43] angesprochen sind,[44] sicher aber in Deutschland noch vertiefter Betrachtung bedürfen. Die Überlegungen, die mit dem Begriff der signifikanten Eigenschaften verbunden sind, mögen dafür stehen; [45] anders als bei konventionellen Unterlagen müssen wir unter Umständen eine Wahl treffen, welche Eigenschaften über den gesamten Archivierungsprozess hinweg erhalten werden sollen. Anders als konventionelle Unterlagen müssen digitale Informationsobjekte als Gegenstand der Bewertung oft auch zunächst einmal in einem ersten Schritt abgegrenzt werden. Dieselben Informationen finden sich zudem heute dank der einfachen Kopiermöglichkeiten oft gleichzeitig an mehreren Orten. Manchmal wurden diese Informationen weniger oder mehr geändert, manchmal auch nicht. Es entstehen also verschiedene Informationskomplexe, die sich teilweise überdecken und miteinander zu vergleichen sind. Und bei Fachverfahren stellt sich die Frage, welche Felder und welche Tabellen wir erhalten wollen. In all diesen Dingen müssen wir in den nächsten Jahren Erfahrungen sammeln.

Denn all das ist in der Tat neu. Und die Archive werden dabei sehr viel stärker als bei herkömmlichen Unterlagen zu Gestaltern der Überlieferung.[46] Sie müssen – schon wegen der Kosten, die mit der dauerhaften Verfügbarkeit verbunden sind –  dabei auch sehr viel stärker als bisher die zukünftige Nutzung im Blick im haben. Welche Funktionalitäten, welche Eigenschaften sollen bzw. müssen erhalten bleiben? Denkbare Nutzungen denkbarer Nutzergruppen sind in Betracht zu ziehen, Nutzungspakete anzudenken. Für die Überlieferung der Arbeitsverwaltung hat die schon erwähnte Arbeitsgruppe vorgesehen, dass aus einer zentralen Datenbank heraus bestimmte Dossiers erzeugbar sein sollen, mit denen die Arbeitsverwaltung zum Teil selbst nie gearbeitet hat.[47] Das ist ein Spezifikum digitaler Überlieferung. Das erfordert neue Sichtweisen von uns und unserem Selbstverständnis

Überlieferung bilden, sprich: Überlieferung gestalten ist aus archivgeschichtlicher Perspektive aber schon seit langem ein gestalterischer Prozess, der über das reine Sichern von beweiskräftigen Unterlagen und Überresten hinausgeht. Allein die Auswahl hatte schon immer zukünftige Nutzer und Nutzungsmöglichkeiten im Blick; in der Diskussion über die Bewertung massenhafter gleichförmiger Einzelallakten war das zum Beispiel ein zentraler Gesichtspunkt.[48] Neu ist nur die Dimension dieses Aspekts. Spätestens seitdem in Archiven über Methoden der Auswahl und Verdichtung nachgedacht wird, changiert archivische Überlieferung quellenkundlich zwischen Überrest und Tradition, wie ich 2011 auf einem Kolloquium in Berlin etwas näher ausgeführt habe.[49] Je stärker wir als Archivare im Ausgangsmaterial – in den Überresten – Eingriffe vornehmen,[50] desto deutlicher nähert sich das Archivgut der Tradition an. Wir bilden Überlieferung, und gestalten damit Möglichkeiten zur Forschung und der Erinnerung.

Im digitalen Zeitalter wird diese Tendenz verstärkt. Um die aktuelle Diskussion über die Bewertung von Fachverfahren auszugreifen: Zur Auswahl der Unterlagen als solche tritt die Auswahl der Felder und Festlegung der signifikanten Eigenschaften.[51]

Andererseits kann aber auch die reine Bewahrung elektronischer Unterlagen zur Rechtssicherung der Bürgerinnen und Bürger im digitalen Zeitalter eine ganz neue Dimension gewinnen. Ein Beispiel dafür ist die elektronische Grundakte, die wir seit 2012 in Baden-Württemberg im neu eingerichteten Grundbuchzentralarchiv auftragsgemäß für die Verwaltung als unbefristet zu erhaltende Unterlage verfügbar halten; der Bestand hat hier aus quellenkundlicher Sicht Überrest-Charakter in Reinform.[52]

Umso mehr Bedeutung gewinnen gerade dann aber auch heute Zieldefinitionen und Dokumentationsprofile. Ich sehe das digitale Zeitalter als eine besondere Chance, archivische Überlieferung noch einmal sehr viel bewusster zu gestalten, sehr zeitnah (wie bei den eingangs erwähnten Einbürgerungsdaten) und im Idealfall prospektiv; das muss ich hier in diesem Kreis wohl nicht näher ausführen.[53]

Ich möchte vielmehr auf meinen früheren Punkt zurückkommen. Beachten müssen wir bei all dem viel stärker noch als bisher die verschiedenen Funktionalitäten des Archivs nach unserem heutigen archivarischen Selbstverständnis. Die strittigen E-Mails des früheren Ministerpräsidenten Mappus: Sie sind – bezogen auf die Person – vermutlich historische Dokumente von hoher Aussagekraft für die Persönlichkeit. Sie sollen zugleich aber auch retrospektiv die Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns ermöglichen. Das sind unterschiedliche Zweckbestimmungen, die wir uns bei der Bewertung im Einzelfall bewusst machen müssen.

Nicht zuletzt sind in den fraglichen E-Mails geradezu archetypisch – und das wäre ein weiterer Evidenzwert – Veränderungen in der Kommunikation und Aktenführung einer Regierungszentrale zu Beginn des 21. Jahrhunderts greifbar.

Dass alle relevanten Unterlagen, einschließlich der E-Mails, Teile einer geregelten und Aktenführung sein müssen, konnten wir in der Diskussion darüber gegenüber Politik und Verwaltung sehr grundsätzlich thematisieren. Ich hoffe, mit nachhaltiger Wirkung.

Realiter, und da müssen wir uns nichts vormachen, leben wir aber in einer Zeit des medialen Übergangs, in der die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen und Prozessen zunehmend lückenhaft geworden ist. Der eingangs zitierte Ministerialbeamte, dessen E-Mail-Konto wir komplett übernommen haben, hat das explizit ausgesprochen. Daraus ist für mich zweierlei abzuleiten. Erstens: Natürlich müssen wir weiterhin versuchen, über das Records Management eine geregelte Aktenführung durchzusetzen und im digitalen Zeitalter entsprechende Anforderungen in den Systemen implementieren; auch das muss ich hier in diesem Kreis sicher nicht näher ausführen.[54] Wir müssen aber – zweitens – die digitalen Spuren auch so, wie sie jetzt entstanden sind und laufend entstehen, bewerten, um dem Ziel gerecht zu werden, unsere Zeit des medialen Übergangs mit all ihren Irregularitäten und Verwerfungen in der Aktenführung zu dokumentieren.[55] Darüber vermisse ich noch eine vertiefte Fachdiskussion. Neben normative Sichtweisen und Vorgaben aus archivarischer Sicht müssen deskriptive Analysen treten – als Grundlage gezielter Überlieferungsbildungen.[56] Auch in diesem Punkt sind komplementäre Sichtweisen unabdingbar. Und unverzichtbar wird dabei auch der Rekurs auf eine zu aktualisierende Archivalienkunde sein; das ist zwar ein anderes Thema, es hat aber durchaus Schnittmengen mit der archivischen Überlieferungsbildung, die hier zumindest angedeutet sein sollen.[57]

Fazit

Ich komme zu einem Fazit in 5 Punkten.

  1. Für die Überlieferungsbildung im digitalen Zeitalter müssen wir keineswegs alles neu durchdenken. Vielmehr besteht Anlass, die Bewertung digitaler Unterlagen auf der Grundlage des aktuellen Diskussionsstands in integrative Konzepte für herkömmliche und digitale Unterlagen einzubeziehen
  2. Die soweit entwickelten Vorgehensweisen, Strategien, Grundsätze und Methoden sind im digitalen Zeitalter noch sehr viel konsequenter anzuwenden.
  3. Vertiefter Betrachtung verdient dabei im Blick auf die jeweilige Zweckbestimmung der Überlieferungsbildung die Anbindung an das aktuelle Selbstverständnis archivischer Arbeit.
  4. Die materialspezifischen Gesichtspunkte sind bei der Einbeziehung digitaler Überlieferung zu berücksichtigen. Der Archive werden dabei nochmals verstärkt zu Gestaltern von Überlieferung.
  5. Unabhängig von dem wichtigen Ziel, eine geregelte Aktenführung durchzusetzen, muss das digitale Zeitalter, so wie es aktuell seine Spuren hinterlässt, dokumentiert werden.

 

Schließen möchte ich mit einem Appell: Wir stehen an der Schwelle zu einer vertieften Beschäftigung mit der Bewertung digitaler Unterlagen. Wir sollten dies zum Anlass nehmen, die Überlieferungsbildung insgesamt zu optimieren. Ich jedenfalls erhoffe mir hiervon einen positiven Schub.

Prof. Dr. Robert Kretzschmar

Landesarchiv Baden-Württemberg

robert.kretzschmar@la-bw.de

[1] http://www.tagesschau.de/inland/merkel-kette100.html [Stand: 11.12.2013, gilt ebenfalls für alle nachfolgenden Hinweise auf Internetseiten].

[3] Johannes Renz, Aus Gegenwart wird Zeitgeschichte. Landesarchiv sichert Weblogs zum Thema „Stuttgart 21“, in: Landesarchiv Baden-Württemberg. Archivnachrichten 47 (2013), S. 39.

[6] Bei Abschluss des vorliegenden Manuskripts war das Berufungsverfahren noch nicht abgeschlossen.

[7] Christian Keitel, Digitale Archivierung beim Landesarchiv Baden-Württemberg, in: Archivar 63 (2010), S. 19-26.

[8] Vgl. die Aufstellung der Bestände mit elektronischen Unterlagen unter http://www.landesarchiv-bw.de/web/50811.

[9] Dies ist in der Digitalisierungsstrategie des Landesarchivs verankert; vgl. Robert Kretzschmar, Das Landesarchiv Baden-Württemberg in der digitalen Welt. Einführung und Textabdruck, in: Archivar 61 (2008), S. 14-19, hier bes. S. 16, auch online unter  http://www.archive.nrw.de/archivar/hefte/2008/ausgabe1/Archivar_2008-1.pdf.

[10] Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Kanzleiakten Az. 7-751-1601-IntM/Bn/Et.

[11] Vgl. dazu Christian Keitel, Eine andere Art der Dokumentation. Anmerkungen zur Bewertung umfassender Informationssysteme; http://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/52529/Workshop_Keitel_andere_Art.pdf.

[12] Vgl. die Beschreibung des Kurses AK 11 „Überlieferungsbildung – Ziele, Methoden, Verfahren“ unter http://www.archivschule.de/uploads/Fortbildung/2014/Fobi_2014_web1.pdf.

[13] Robert Kretzschmar, Die „neue archivische Bewertungsdiskussion“ und ihre Fußnoten. Zur Standortbestimmung einer fast zehnjährigen Kontroverse, in: Archivalische Zeitschrift 82 (1999), S. 7-40.

[14] Robert Kretzschmar, Multiperspektivische Überlieferungsbildung in Archiven. Ziele und Methoden, in: Harald Siebenmorgen (Hrsg.), Überlieferungskultur. Wie viel Vergangenheit braucht die Gegenwart? Wie viel Gegenwart braucht die Zukunft?, Karlsruhe 2010, S. 123-139.

[15] Robert Kretzschmar, Vertikale und horizontale Bewertung. Ein Projekt der staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg, in: Der Archivar 49 (1996), Sp. 257-260.

[16] Robert Kretzschmar, Historische Gesamtdokumentation? Überlieferungsbildung im Verbund?, in: Christoph J. Drüppel/Volker Rödel (Hrsg.), Überlieferungssicherung in der pluralen Gesellschaft (Werkhefte der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg A 11), Stuttgart 1998, S. 53-69.

[17] Irmgard Christa Becker, Dokumentationsprofile als Grundlage kommunalarchivarischer Bewertung; http://www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/120/52523/Workshop_Becker_Dokumentationsprofile.pdf.

[18] Vgl. das Poster „Archivische Bewertung. Eine deutsche Diskussion seit den 1990er Jahren“; http://iw.fh-potsdam.de/fileadmin/FB5/lehrende_uploads/schwarz/Studienprojekte/FHP-Poster-Bewertungsdiskussion-seit-1990.pdf.

[19] Andreas Pilger, Grundsätze, Methoden und Strategien der Überlieferungsbildung in Archiven, in: Robert Kretzschmar/Rainer Hering (Hrsg.), Zeitgeschichte, Archive und Geheimschutz. Beiträge einer Sektion auf dem 49. Deutschen Historikertag 2012 in Mainz, Stuttgart 2013, S. 40-49. – Irmgard Christa Becker, Effizienzsteigerung in der Überlieferungsbildung – Dokumentationsprofile und Archivierungsmodelle, in: Rainer Hering (Hrsg.), 5. Norddeutscher Archivtag 12. und 13. Juni 2012 in Lübeck (bibliothemata 26), Nordhausen 2013, S. 195-206, hier S. 195 hat jüngst in diesem Sinne Dokumentationsprofile und Archivierungsmodelle als „zwei große Konzeptfamilien“ unterschieden, die sich für die kommunalen und staatlichen Archive in der Bewertungsdiskussion herauskristallisiert haben, ohne sich wechselseitig auszuschließen.

[20] Matthias Buchholz, Archivische Überlieferungsbildung im Spiegel von Bewertungsdiskussion und Repräsentativität (Landschaftsverband Rheinland LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum, Archivhefte 35), 2., überarbeitete Auflage, Köln 2011, hier S. 151-209.

[21] Zur Terminologie in diesem Zusammenhang vgl. Robert Kretzschmar, Handlungsebenen bei der archivischen Bewertung. Strategische Überlegungen zur Optimierung der Überlieferungsbildung, in: Archivalische Zeitschrift 88 (2006), S. 481-509, hier S 494 ff. – Ein jüngstes Beispiel für Dokumentationsprofile hat Karsten Kühnel für das Universitätsarchiv Bayreuth publiziert; http://www.uni-bayreuth.de/universitaetsarchiv/downloads/Dokumentationsprofil_oeffDisk.pdf.

[22] Karsten Uhde (Hrsg.), Berufsbild im Wandel – Aktuelle Herausforderungen für die archivarische Ausbildung und Fortbildung (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 43), Marburg 2005, S. 99-126; Robert Kretzschmar, Aktuelle Entwicklungstendenzen des archivarischen Berufsbilds, in: Archivar 63 (2010), S. 356-360.

[23] Robert Kretzschmar, Quellensicherung im institutionellen Rahmen. Zur Macht und Ohnmacht der Archive bei der Überlieferungsbildung, in: Rainer Hering/Dietmar Schenk (Hrsg.), Wie mächtig sind Archive? Perspektiven der Archivwissenschaft (Veröffentlichungen des Landesarchivs Schleswig-Holstein 104), Hamburg 2013. S. 45-63, hier S. 51 f.

[24] Ebd.

[25] Clemens Rehm, Kundenorientierung – Modewort oder Wesensmerkmal der Archive? Zur Transparenz und Partizipation bei der archivischen Überlieferungsbildung, in: Hans Schadek (Hrsg.), Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Das Dienstleistungsunternehmen Archiv auf dem Prüfstand der Benutzerorientierung. Vorträge des 61. Südwestdeutschen Archivtags am 26. Mai 2001 in Schaffhausen, Stuttgart 2002, S. 17-27; Pilger, wie Anm. 20, S. 48.

[26] Kretzschmar, Handlungsebenen, wie Anm. 22, S. 503 ff.

[27] Robert Kretzschmar (Hrsg.), Historische Überlieferung aus Verwaltungsunterlagen. Zur Praxis der archivischen Bewertung in Baden-Württemberg (Werkhefte der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg A 7), Stuttgart 1997.

[28] Martina Wiech, Steuerung der Überlieferungsbildung mit Archivierungsmodellen. Ein archivfachliches Konzept des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, in: Der Archivar 58 (2005), S. 94-100, auch online http://www.archive.nrw.de/archivar/hefte/2005/Archivar_2005-2.pdf; Martina Wiech, Strategische Herausforderungen an das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen auf dem Bereich der Überlieferungsbildung – Probleme und Lösungsansätze, in: Frank M. Bischoff/Robert Kretzschmar (Hrsg.), Neue Perspektiven archivischer Bewertung (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg/Institut für Archivwissenschaft 42), Marburg 2005, S. 71-79.

[29] Dokumentationsprofil für das Historische Archiv der Stadt Köln. Stand: März 2013; http://www.archive.nrw.de/kommunalarchive/kommunalarchive_i-l/k/Koeln/BilderKartenLogosDateien/Dokuprofil.pdf.

[30] Vgl. z.B. die Empfehlung Überlieferungsbildung bei Unterlagen der Standesämter; http://www.bundeskonferenz-kommunalarchive.de/empfehlungen/Empfehlung_Personenstandswesen.pdf.

[31] Dies wird schon bei einer Durchsicht der Publikationen des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ deutlich, dessen Tagungsergebnisse im Netz unter http://www.staatsarchiv.sg.ch/home/auds.html greifbar sind, wie Christian Keitel am 7. November 2013 auf dem Workshop der Arbeitskreises „Archivische Bewertung“ im VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. in Stuttgart aufgezeigt hat.

[32] Aus der Fülle der Literatur sei zum aktuellen Diskussionsstand nur hingewiesen auf Christian Keitel/Kai Naumann, Digitale Archivierung in der Praxis. 16. Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ und nestor-Workshop „Koordinierungsstellen“ (Werkhefte der staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg A 24), Stuttgart 2013 und Kai Naumann/Peter Müller: Das neue Handwerk. Digitales Arbeiten in kleinen und mittleren Archiven. Vorträge des 72. Südwestdeutschen Archivtags am 22. und 23. Juni 2012 in Bad Bergzabern, Stuttgart 2013.

[33] Heike Neuroth/Achim Oßwald/Regine Scheffel/Stefan Strathmann/Mathias Jehn, nestor Handbuch. Eine kleine Enzyklopädie der digitalen Langzeitarchivierung. Version 2.0 Juni 2009, Boizenburg 2009, auch online unter http://nestor.sub.uni-goettingen.de/handbuch/nestor-handbuch_23.pdf. Die einschlägigen Abschnitte zur Bewertung haben Christian Keitel sowie Andrea Hänger, Karsten Huth und Heidrun Wiesenmüller verfasst (Kapitel 2.4 und 3.5).

[34] ARK-Arbeitsgruppe Bewertung von Statistikunterlagen. Abschlussbericht Mai 2008, hier S. 40; http://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/bundesarchiv_de/fachinformation/ark/200805_ark_ag_statistikunterlagen_abschlussbericht.pdf.

[35] Archivreferentenkonferenz des Bundes und der Länder. Arbeitsgruppe „Arbeitsverwaltung“. Bewertung der elektronischen Akten im Bereich SGB III und der Familienkasse (Strategiepapier) (Stand: 21.08.2013); unveröffentlicht.

[36] Bewertung elektronischer Fachverfahren. Diskussionspapier des VdA-Arbeitskreises „Archivische Bewertung“ (Stand: 5. September 2013); http://www.vda.archiv.net/aktuelles/meldung/257.html.

[37] Christian Keitel, Benutzerinteressen annehmen und signifikante Eigenschaften festlegen. Einige neue Aufgaben für Archivare, in: Archive im digitalen Zeitalter. Überlieferung – Erschließung –

Präsentation. 79. Deutscher Archivtag 2009 in Regensburg. Redaktion: Heiner Schmitt (Tagungsdokumentation zum Deutschen Archivtag 14), Fulda 2010. S. 29-42.

[38] Verwiesen sei hier nur auf den Leitfaden zur digitalen Bestandserhaltung. Vorgehensmodell und Umsetzung. Version 1.0. Verfasst und herausgegeben von der nestor-Arbeitsgruppe Digitale Bestandserhaltung. nestor-materialien 15; http://files.d-nb.de/nestor/materialien/nestor_mat_15.pdf und – als ein Beispiel konkreter Betrachtungen einzelner Bereiche – auf die Abschlussarbeit von Nicole Sachmann von 2010 an der FH Potsdam mit dem Titel Das OAIS-Referenzmodell in der Praxis: Ein Konzept zur Archivierung des BR-Intranets; http://fiz1.fh-potsdam.de/volltext/diplome/10599.pdf. Gerade 2013 ist die archivfachliche Diskussion über signifikante Eigenschaften auch auf Tagungen aufgegriffen worden; vgl. den Tagungsbericht von Katharina Tiemann: Tagung „Bewertung und Übernahme elektronischer Unterlagen, in: Archivar 66 (2013), S. 483 f.; Christoph Schmidt, Signifikante Eigenschaften und ihre Bedeutung für die Bewertung elektronischer Unterlagen, in: Bewertung und Übernahme elektronischer Unterlagen – Business as usual?, Beiträge des Expertenworkshops in Münster am 11. und 12. Juni 2013 (Texte und Untersuchungen zur Archivpflege 28), Münster 2013, S. 20-29.

[39] Wie Anm. 37, S. 3 (unter Punkt 7).

[40] Dasselbe gilt für die Anm. 39 erwähnte Tagung, die am 11.06.2013 in Münster stattfand.

[41] Wie Anm. 10.

[42] Die Arbeitsgruppe ist der Ort halbjährlicher Besprechungen der zuständigen Referentinnen und Referenten sowie Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter in den einzelnen Archivabteilungen des Landesarchivs. Von ihr werden regelmäßig auch Unterarbeitsgruppen für bestimmte Projekte eingesetzt.

[43] Vgl. dazu jetzt Adrian Brown, Practical digital preservation. A how-to guide für organizations of any size, London 2013, bes. S. 109-127.

[44] Zum Folgenden vgl. Keitel (wie Anm. 38).

[45] Wie Anm. 39; vgl. besonders den Tagungsbericht von Tiemann.

[46] Aus der internationalen Diskussion sei dazu nur verwiesen auf Richard J. Cox, Appraisal and the Future of Archives in the Digital Era; http://d-scholarship.pitt.edu/5865/1/Appraisal_and_the_Future_of_Archives_in_the_Digital_Era.pdf, bes. S. 24 f.

[47] Wie Anm. 36. Dieser Aspekt wurde auch bei der Behandlung des Entwurfs am 25. September 2013 auf der 117. Archivreferentenkonferenz in Saarbrücken kurz besprochen.

[48] Auf Belege dazu sei hier verzichtet.

[49] Vgl. Kretzschmar, Quellensicherung im institutionellen Rahmen, wie Anm. 24, hier S. 53 ff. Zur Thematik bereite ich einen weiteren Beitrag vor, der voraussichtlich im Archivar Heft 3/2014 erscheinen wird. Zur quellenkundlichen Bestimmung archivalischer Überlieferung vgl. jetzt auch Dietmar Schenk, „Aufheben, was nicht vergessen werden darf“. Archive vom alten Europa bis zur digitalen Welt, Stuttgart 2013, S 139 ff.

[50] Schenk, ebd., bes. S. 173 ff. hat zur Betrachtung dessen sehr überzeugend den Begriff der „archivarischen Intervention“ eingeführt.

[51] Vgl. dazu auch die grundsätzlichen Ausführungen von Schenk, ebd., S. 198 ff.

[52] Zum Grundbuchzentralarchiv vgl. demnächst den Beitrag von Michael Aumüller/Clemens Rehm/ Karen Wittmershaus, der im Archivar Heft 1/2014 erscheinen wird.

[53] Dass die archivische Überlieferungsbildung heute weitgehend prospektiv erfolgen muss, darüber dürfte in archivarischen Fachkreisen Konsens bestehen. Das ist (doch dies sei hier nur angedeutet) jedoch nicht ausschließlich eine Folge des digitalen Zeitalters. Vielmehr war dieser Gesichtspunkt schon bei der Entwicklung von Archivierungsmodellen für Unterlagen auf Papier in der Bewertungsdiskussion herausgestellt worden.

[54] Auf Literaturangaben zum Themenkomplex Records Management sei hier verzichtet.

[55] Darauf habe ich zuletzt auch in der abschließenden Podiumsdiskussion bei der Verabschiedung von Prof. Dr. Wilfried Reininghaus aus dem Amt des Präsidenten des Landearchivs Nordrhein-Westfalen aufmerksam gemacht.

[56] Vgl. auch Robert Kretzschmar, Auf dem Weg in das 21. Jahrhundert: Archivische Bewertung, Records Management, Aktenkunde und Archivwissenschaft, in: Archivar 63 (2010), S. 144-150.

[57] Robert Kretzschmar, Hilflose Historikerinnen und Historiker in den Archiven? Zur Bedeutung einer zukünftigen archivalischen Quellenkunde für die universitäre Forschung, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 147 (2011), S. 133-147.

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/630

Weiterlesen