Informatiker erkennen Elektronische Langzeitarchivierung als große Herausforderung an.

neulandDie drei Informatiker Maximilian Eibl, Jens-Martin Loebel, Harald Reiterer von den Universitäten Chemnitz, Bayreuth und Konstanz haben sich in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift Informatik-Spektrum (August 2015, Volume 38, Issue 4, pp 269-276) mit dem Thema Langzeitarchivierung beschäftigt. Unter dem Titel

Grand Challenge ,,Erhalt des digitalen Kulturerbes“

geben die Autoren zunächst einen Überblick über die bisherigen Entwicklungen auf diesem jungen Forschungsgebiet.

Als zentrale Dokumente werden genannt:

  • Die von der UNESCO bereits 2003 veröffentlichten Richtlinien für die Bewahrung des digitalen Kulturerbes, durch die das immaterielle Kulturgut auf eine Ebene mit dem Weltkultur- und Weltnaturerbe gestellt wird.
  • Das Referenzmodell Open Archival Information System (OAIS), dessen Entwicklung ursprünglich von den Raumfahrtbehörden ESA und NASA angestoßen wurde, um ihre Forschungdaten zu sichern, und das sich inzwischen als Organisationsmodell (ISO 14721:2012) für die Planung und den Betrieb von elektronischen Langzeitarchiven in Bibliotheken und Archive etabliert hat.

    [...]

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/2601

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Wer braucht schon ein elektronisches Langzeitarchiv?

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In den Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen, die sich um das Thema “Elektronische Langzeitarchivierung” drehen, taucht oft die Frage auf, ob und wann eine Kommune oder ein Kreis ein Langzeitarchiv benötigt. Vielfach sehen sich die Archive außer Stande, in Zeiten knapper Kassen den Bedarf erfolgversprechend zu begründen. Dabei ist die Ausgangslage günstig wie nie:

1. Es gibt klare gesetzliche Vorgaben zur Pflicht elektronisch zu archivieren, die sich aus dem NRW Archivgesetz ergeben!

  • In §2 (1) steht der Hinweis, dass elektronische Aufzeichnungen unter den Unterlagenbegriff und damit unter die Anbietungspflicht fallen.
  • Die Auswahl der archivwürdigen Unterlagen erfolgt ausschließlich nach fachlichen Kriterien durch das zuständige Archiv vgl. § 2 (6).
  • Elektronisches Archivgut ist “in seiner Entstehungsform” – also elektronisch aufzubewahren § 5 (2).
  • § 4 (1) bestimmt, dass auch “Elektronische Unterlagen, die einer laufenden Aktualisierung unterliegen” anzubieten sind (d.h. fortlaufend aktualisierte Datenbanken, Webseiten etc.).
  • Im selben Paragrafen werden Archiven ermächtigt, “auf Verlangen zur Feststellung der Archivwürdigkeit Einsicht in die Unterlagen und die dazu gehörigen Hilfsmittel und ergänzenden Daten” zu nehmen.
  • Schließlich sind alle (auch personenbezogene Daten und die, die einem “Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis oder sonstigen Rechtsvorschriften über die Geheimhaltung unterliegen”) anbietungspflichtig, vgl. § 4 (2).
  • § 3 (6) legt fest, dass über die Austauschformate, in denen archivwürdige Unterlagen an die Archive übergeben werden – so nicht übergreifend standardisiert – Einvernehmen mit dem Archiv bestehen muss.
  • Der selbe Paragraf sichert den Archiven eine Beteiligung bei der Einführung neuer Software, aus der archivrelevante Unterlagen entstehen können.
  • Alle diese Paragrafen sind seit 30. September 2014 durch § 10 (5) aufs kommunale Archivwesen übertragen worden. Auch in unserer neuen Mustersatzung für Kommunalarchive sind entsprechende Passus aufgenommen worden.

2. Elektronisches Archivgut gibt es in jeder Verwaltung!

  • Es gibt keine Verwaltung mehr, die rein papiergestützt arbeitet. Dass dabei notwendiger Weise auch archivwürdige Unterlagen in elektronischer Form entstehen, liegt auf der Hand:
  • Spätestens seit 1.1.2014 sind durch eine Gesetzesreform die Standesämter verpflichtet worden,  elektronische Personenstandsregister zu führen. Nach Ende der Fortführungsfrist sind die Datensätze ins Archiv zu übernehmen; für nacherfasste Einträge gilt die Frist der zugrunde liegenden Papierurkunde, d.h. dass schon sehr bald elektronische Einträge anbietungsreif werden. Ab 1.1.2017 steht aller Voraussicht nach eine bundesweit normierte Schnittstelle aus den Elektronischen Registern bereit.
  • Gewerbean-, -um- und -abmeldungen werden schon seit den 1980ern nur noch elektronisch vorgenommen und stellen eine wichtige Quelle für die Wirtschaftsgeschichte eines Orts und einer Region dar. Die Aufbewahrungsfrist liegt aus datenschutzrechtlichen Gründen in der Regel bei fünf (Hessen, Baden-Württemberg) oder zehn Jahren (Bayern) nach Abmeldung des Gewerbes.
  • Elektronische Aktenführung ist bei Baugenehmigungs-Verfahren, in der Liegenschaftsverwaltung, im Sozialhilfewesen und in Jugendämtern weit verbreitet. Durch die eGovernment-Gesetzgebung des Bundes und des Landes NRW (in Vorbereitung) wird sich der Trend zur eAkte in den nächsten Jahren noch verstärken.
  • Ratsinformationssysteme ersetzen zum Teil schon jetzt die Dokumentation des Entstehungsprozesses und die ausgedruckten und unterschriebenen Fassungen der kommunalen politischen Organe und Gremien (Kreistag und -ausschüsse, Stadt- und Gemeinderäte und -ausschüsse). Diese Unterlagen sind langfristig zu erhalten!
  • Auf Gruppenlaufwerken und Intranet-Seiten, in E-Mail-Postfächern und persönlichen Ordnern schlummern zahllose Dateien, die – trotz z.T. hohem Informationsgehalt –  nie mehr Teil einer Akte werden. Arbeitsweisen ändern sich durch die elektronischen Möglichkeiten – Archiven bleibt nur, sich um diese Überlieferungen ebenso zu bemühen wie um ihre papierenen Vorläufer!

3. Verbundarchive machen Langzeitarchivierung bezahlbar!

  • Die Erstellung von eigenen Fachkonzepten zum Aufbau von Langzeitarchiven, die Begleitung von Programmierung, Tests und Abnahmen – das überfordert kleine, mittelgroße und auch viele größere Kommunalarchive. In NRW gibt es unter dem Dach des vom Land initiierten DA NRW Angebote für die Nutzung von Verbundlösungen. Derzeit werden zwei Softwaren angeboten: Die am Institut für Historisch-Kulturwissenschaftliche Informationsverarbeitung an der Universität zu Köln mit kulturspartenübergreifendem Ansatz entwickelte „Digitales Archiv-NRW-Software-Suite“ kurz DNS, die derzeit getestet und unter der Federführung der LVR Infokom bis Mitte des Jahres zur Produktionsreife geführt wird.
  • Die in den staatlichen Archivverwaltungen des Bundes, von NRW und  Rheinland-Pfalz und den Kommunalarchiven Stuttgarts, Kölns und unseres Hauses produktiv eingesetzte „Digital Preservation Solution“ kurz DiPS, die von den Firmen Hewlett-Packard und SER programmiert und weiter entwickelt wird.
  • Es ist geplant, beide Systeme über den Dachverband kommunaler IT-Dienstleister in NRW (KDN) den unmittelbaren und mittelbaren Mitgliedern zugänglich zu machen. Für die wenigen Kommunen in NRW, die nicht davon profitieren würden, ist es möglich, sich auf dem Wege der Verwaltungsvereinbarung an den entstehenden Verbundsystemen zu beteiligen.
  • Gegenüber selbst programmierten oder betriebenen Langzeitarchiven ist ein solches Verbundarchiv mindestens um den Faktor 10 billiger!
  • Die Kosten für die Teilnahme an einer Verbundlösung liegen im Rahmen anderer “kleiner” Fachverfahren der Verwaltung. Die Betreiber-Rechenzentren wollen keinen Gewinn auf Kosten der teilnehmenden Archive oder ihrer Trägerverwaltungen machen, sondern streben nach einer Startphase eine schwarze Null im Betrieb an. Damit aber Synergien entstehen können und sich der Betrieb überhaupt lohnt, bedarf es einer möglichst breiten Beteiligung der Archive in Westfalen-Lippe! Es gilt: Je mehr Archive sich beteiligen, umso günstiger wird das Angebot.

4. Anfänge sind gemacht! Mitmachen statt abwarten!

  • Die kommunalen Spitzenverbände begrüßen und begleiten die Arbeit im DA NRW. Die Forderung nach leistungsfähigen Langzeitarchiven wurde bereits in einem 2012 erschienenen “Positionspapier zur digitalen Archivierung, insbesondere zur Einrichtung elektronischer Langzeitarchive” erhoben.
  • Archivische Arbeitskreise in Ostwestfalen-Lippe und Südwestfalen, aber auch beim KDN haben sich schon auf den Weg gemacht, Fachverfahren auf ihre Archivwürdigkeit hin zu prüfen und ggf. Aussonderungsschnittstellen zu beschreiben. Zuletzt haben Herr Dr. Pätzold und Frau Fercho aus Bochum ihre Ergebnisse online gestellt und in der Archivpflege beschrieben.
  • Elektronische Zwischenarchiv-Lösungen wie “Archivo” für den Bereich des Meldewesens werden durch ein Elektronisches Langzeitarchiv nicht obsolet. Das neue Bundesmeldegesetz stellt in § 16 “Anbieten von Daten an Archive” klar: „Die Pflicht zum Anbieten von Meldedaten und den dazugehörigen Hinweisen an durch Landesrecht bestimmte Archive ist gegenüber dem Löschungsgebot des § 14 Absatz 1 Satz 1 BMG vorrangig.“ Unter die Anbietungspflicht fallen auch weiterhin die anlassbezogenen Teildaten wie die Familienverkettungen beim Erreichen der Volljährigkeit eines Gemeldeten.
  • Mit unseren seit 2012 regelmäßig stattfindenden Fortbildungen haben wir bisher ca. 50 Kolleginnen und Kollegen erreicht, die teils allein, teils mit ihren EDV-Zuständigen teilgenommen haben. Noch besser als erzählt zu bekommen, wie es geht, ist, selbst Erfahrungen zu sammeln. Warten Sie nicht länger ab, sondern gehen Sie das Thema jetzt an! Wie bei allen Fragen unterstützt Sie das LWL-Archivamt auch bei dieser Fachaufgabe durch Fortbildungen und Beratung, es kann aber die Arbeit der Archive vor Ort nicht übernehmen oder ersetzen.

Peter Worm, 2015-04-28

 

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/2152

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19. Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ (Wien, 10./11. März 2015)

Als fachliches Diskussionsforum und informelle Kontaktbörse für alle Fragen der digitalen Langzeitarchivierung hat sich der Arbeitskreis „Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ seit fast zwei Jahrzehnten bewährt. Die diesjährige Tagung, zu der das Österreichische Staatsarchiv eingeladen hatte, fand am 10. und 11. März 2015 in Wien statt.

Die dabei gehaltenen Vorträge zeigten einerseits aktuelle Entwicklungen und Fortschritte auf, thematisierten andererseits aber ebenfalls noch offene Fragen und Probleme. Eindrucksvoll waren vor allen Dingen die Präsentationen einzelner Staats- und Landesarchive zu ihren jeweiligen fachlichen und technischen Lösungen in den  Bereichen Ingest (Übernahme), Preservation Planning (digitale Bestandserhaltung) und Access (Nutzung). Obwohl somit die ‚Big Player‘ über weite Strecken das Tagungsgeschehen dominierten, hielt die Veranstaltung auch interessante Aspekte für kleine und mittelgroße Archive bereit, die mit der digitalen Langzeitarchivierung oft erst am Anfang stehen. Herausgegriffen seien an dieser Stelle drei Vorträge, die für die Kommunalarchive in Westfalen durchaus Relevanz beanspruchen können.

Dr. Christian Keitel (Landesarchiv B-W) beim Vortrag (Foto: Österreichisches Staatsarchiv)

Dr. Christian Keitel (Landesarchiv B-W) beim Vortrag (Foto: Österreichisches Staatsarchiv)

In einem der ersten Tagungsbeiträge referierten Christian Keitel (Landesarchiv Baden-Württemberg), Miriam Eberlein (Stadtarchiv Heilbronn) und Manfred Waßner (Kreisarchiv Esslingen) über den Ausbau der vom Landesarchiv entwickelten Archivierungslösung DIMAG zu einem digitalen Langzeitarchiv für die baden-württembergischen Städte und Gemeinden. Auch diesen soll nun eine Nutzung der mandantenfähigen und browserbasierten Software ermöglicht werden. Der Betrieb des digitalen Magazins erfolge dabei über die regionalen Rechenzentren, mit denen einheitliche Hostinggebühren vereinbart werden. Auch für die Kosten, die von kommunaler Seite gegenüber dem Landesarchiv anfallen, existieren bereits erste Kostenmodelle. Als ‚Pilotarchive‘ fungieren in diesem Zusammenhang das Stadtarchiv Heilbronn sowie das Kreisarchiv Esslingen, das in Sachen digitaler Langzeitarchivierung künftig die Funktion einer Verbundzentrale für die kreisangehörigen Kommunalarchive übernehmen soll. Über die Lizenz des Kreisarchivs wird DIMAG somit auch kleinen Archiven zur Verfügung stehen. Diese werden allerdings nur einen Lesezugriff auf ‚ihre‘ digitalen Aufzeichnungen erhalten; alle anderen nötigen Prozesse wie den First-Level-Support, den Ingest, die Magazinführung inkl. Metadatenverwaltung sowie die Überwachung von Migrationszyklen übernimmt das Kreisarchiv. Eine solche Lösung hat zunächst einmal viel für sich, da vor allem die  „Einmann-/Einfrau-Archive“ so weit wie möglich von technischem Ballast und der damit verbundenen fachlichen wie personellen Überforderung befreit werden. Fürs erste ungeklärt bleibt, ob sich die anvisierten Finanzierungspläne als tragfähig erweisen (eine erste Evaluation ist 2018 beabsichtigt) und ebenso, in welcher Form sich die Kommunalarchive künftig am Echtbetrieb des digitalen Langzeitarchivs beteiligen. Man darf also gespannt sein, welche Resultate der jetzt anlaufende Produktivbetrieb bringen wird. Das LWL-Archivamt wird die Entwicklungen in Baden-Württemberg aufmerksam verfolgen, da wir den  Kommunalarchiven in Westfalen-Lippe eine ähnliche Unterstützungsleistung unter dem Dach des „Digitalen Archivs NRW“ anbieten möchten.

Am zweiten Tag problematisierte Claire Röthlisberger-Jourdan (KOST = Koordinationsstelle für die dauerhafte Archivierung elektronischer Unterlagen, Bern) anhand eines Preservation-Prozesses für eine TIFF-Datei die Verwendung geeigneter Dateiformate für eine sicheren Erhalt digitaler Informationen. Den meisten Kommunalarchiven dürfte wenig bekannt sein, dass die KOST auf ihrer Internetseite einen ständig aktualisierten Katalog archivischer Dateiformate (KaD) bereitstellt, der ca. 30 verschiedene Formate vorstellt und deren Eignung für die digitale Archivierung anhand eines Kriterienkatalogs beschreibt (vgl. http://kost-ceco.ch/wiki/whelp/KaD/index.php). Relevante Informationen dazu finden sich auch in den online verfügbaren Handreichungen des Archivamtes. Eine zumindest rudimentäre Kenntnis über aktuell empfohlene ‚haltbare‘ Dateiformate ist auch für Kommunalarchive wertvoll, die noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen sind. Wenn bereits jetzt im Archiv selber oder einzelnen Verwaltungszweigen darauf hingewirkt werden kann, nur noch in bestimmten Dateiformaten abzuspeichern (z.B. PDF/A für Word-Dokumente) erleichtert dies auch die spätere Überführung der Daten in ein produktives Langzeitarchiv.

Blick ins Plenum (Foto: Österreichisches Staatsarchiv)

Blick ins Plenum (Foto: Österreichisches Staatsarchiv)

In der abschließenden Sektion der Wiener Fachkonferenz standen mit Webseiten und E-Mail-Konten zwei besonders problembehaftete Kategorien digitaler Unterlagen im Mittelpunkt. Während es für die aus unterschiedlichen Informationsobjekten zusammengesetzten Webseiten bereits erste Lösungsansätze zu deren Archivierung gibt, steht die Diskussion zur Archivierung von E-Mails noch relativ am Anfang. Der Beitrag von Corinna Knobloch (Landesarchiv Baden-Württemberg) diente folglich in erster Linie dazu, um grundsätzliche Fragen zu diesem Themenkomplex zu konkretisieren. Abgesehen von der Entscheidung über die Archivwürdigkeit einzelner E-Mail-Konten, wäre in einem zweiten Schritt erst einmal zu klären, was davon mit welchem Kontext übernommen werden bzw. wie das entsprechende Informationsobjekt im Langzeitarchiv zusammengesetzt sein sollte. Theoretisch würde sich hier die Möglichkeit eröffnen, neben einzelnen E-Mails auch einzelne Ordner oder sogar den kompletten Account als ein Informationsobjekt zu übernehmen. Ein weiteres potenzielles Problem stellen die unterschiedlichen Dateiformate der E-Mail-Anhänge dar, denen hinsichtlich der digitalen Bestandserhaltung Rechnung getragen werden muss.

Ob kommunale Archivierungsverbünde, langzeitarchivfähige Dateiformate oder E-Mail-Archivierung – die Tagung in Wien hat erneut deutlich gemacht, wie sinnvoll der kollegiale Austausch auf theoretischer wie praktischer Ebene ist. Allerdings fehlt es gerade bei  kleineren und mittleren Archive oft noch an entsprechenden Praxiserfahrungen, an denen man sich zum Vergleich orientieren könnte. Vielleicht gibt es auf der nächsten Tagung des Arbeitskreises Anfang März 2016 in Potsdam auch neue Erkenntnisse aus kommunalen Archiven oder IT-Abteilungen zu berichten. Das Programm und alle Powerpoint-Präsentationen der diesjährigen Tagung sind für alle Interessierten bereits jetzt der Homepage des Staatsarchivs St. Gallen abrufbar: http://www.staatsarchiv.sg.ch/home/auds/19.html.

Darüber hinaus ist eine zeitnahe Publikation der Tagungsbeiträge fest eingeplant.

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/2007

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Die digitale Herausforderung im Spiegel der aktuellen deutschen Archivgesetzgebung

Palais_Sickingen_3Wie ist  ist bzw. wie wird in der Archivgesetzgebung der Länder verankert, dass auch digitale Unterlagen als Archivgut an zusehen sind und dementsprechend zu behandeln sind? Mit dieser wichtigen Thematik hat sich Martins Wiech vom LAV NRW beim Deutsch-Niederländischen Archivsymposium im Herbst 2013 beschäftigt. Auch dieser Beitrag wurde in der letzten Archivpflege 80/2014 veröffentlicht.

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Die digitale Herausforderung im Spiegel der aktuellen deutschen Archivgesetzgebung

von Martina Wiech

„Variatio delectat?“ Mit dieser Frage hat Rainer Polley 1991 einen Aufsatz überschrieben, in dem er die bis dahin erlassenen Archivgesetze des Bundes und der Länder verglich.[1] Die Landschaft der deutschen Archivgesetze ist in der Tat sehr vielfältig, zumal dann, wenn man neben den staatlichen Gesetzen des Bundes und der Länder auch noch die archivrechtlichen Bestimmungen der Kirchen mit in den Blick nimmt. Allen gemeinsam ist die Entstehung in den 80er- und 90er-Jahren sowie ihre generelle Konstruktion als Spezialgesetze zur Datenschutzgesetzgebung. Diese entwickelte sich in Deutschland vornehmlich in Reaktion auf das 1983 vom Bundesverfassungsgericht als Grundrecht anerkannte Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die staatlichen Archivgesetze des Bundes und der Länder, auf die sich dieser Beitrag konzentriert, traten zwischen 1987 (Baden-Württemberg) und 1997 (Mecklenburg-Vorpommern) erstmals in Kraft. Sie entstammen damit einer Zeit, der elektronische Unterlagen grundsätzlich nicht fremd waren. So erwähnte das nordrhein-westfälische Archivgesetz vom 12.6.1989 in § 3 Abs. 4 etwa „programmgesteuerte mit Hilfe von ADV-Anlagen geführte Datenbestände“.[2] Dem damaligen Erfahrungshorizont entsprechend hatte man dabei aber wohl überwiegend in Rechenzentren betriebene Datenbanken und Großrechnerverfahren im Blick. Der Siegeszug der PCs in den öffentlichen Verwaltungen setzte in den Anfangsjahren der deutschen Archivgesetzgebung gerade ein. E-Government und Internet dagegen waren für den Alltag der öffentlichen Verwaltungen in den „Kindertagen“ der deutschen Archivgesetze noch lange ferne Zukunftsmusik.

In größerem Umfang begann man im deutschen Archivwesen seit Ende der 90er-Jahre einen Anpassungsbedarf der Archivgesetze an veränderte Rahmenbedingungen zu konstatieren.[3] Die Konferenz der Leiterinnen und Leiter der Archivverwaltungen des Bundes und der Länder (ARK), das zweimal jährlich tagende Koordinierungsgremium der staatlichen Archivverwaltungen in Deutschland, erkannte den Regelungsbedarf. Sie beauftragte deshalb im März 2001 ihre Arbeitsgruppen „Archive und Recht“ und „Elektronische Systeme in Justiz und Verwaltung“, ein Entwurfspapier mit Formulierungsvorschlägen für gesetzliche Regelungen zur Archivierung digitaler Unterlagen zu erstellen. Dieses 2003 von den Arbeitsgruppen fertig gestellte und 2004 von der ARK genehmigte Papier diente für die folgenden Novellierungen bestehender Archivgesetze als wichtige Richtschnur.[4] Die folgende Darstellung orientiert sich an den in den ARK-Empfehlungen beschriebenen Problemfeldern und stellt parallel dazu Beispiele für die Umsetzung in den in jüngster Zeit novellierten Archivgesetzen vor.

 

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Was tun, wenn die Akte nur noch digital vorliegt?

Einen wichtigen Regelungsbedarf sahen die Verfasser der ARK-Empfehlungen in einer veränderten Legaldefinition des Unterlagenbegriffs. Die deutschen Archivgesetze definieren den Unterlagenbegriff über eine Aufzählung verschiedener Träger bzw. Speichermedien und Unterlagenarten. Die Aufzählung war zwar in vielen Archivgesetzen bewusst offen gelassen worden, und man hatte versucht, andere, noch unbekannte Speicherungsformen definitorisch zu erfassen. In der Praxis ergaben sich jedoch Anwendungsprobleme, insbesondere bei solchen Archivgesetzen, die den eng gefassten Begriff des „maschinenlesbaren Datenträgers“ verwendeten. Die Verfasser der ARK-Empfehlungen schlugen deshalb vor, die definitorische Umschreibung von Speicherform und Datenträger zu vermeiden, aber die bisherige beispielhafte Aufzählung beizubehalten, um den anbietungspflichtigen Stellen eine praktische Vorstellung der anzubietenden Unterlagen zu ermöglichen.

DVD_2Beispiele für die Umsetzung

§ 2 Abs. 1 Archivgesetz NRW[5]

„Unterlagen nach § 1 sind Urkunden, Amtsbücher, Akten, Schriftstücke, amtliche Publikationen, Karteien, Karten, Risse, Pläne, Plakate, Siegel, Bild-, Film- und Tondokumente und alle anderen, auch elektronischen Aufzeichnungen, unabhängig von ihrer Speicherungsform, sowie alle Hilfsmittel und ergänzenden Daten, die für die Erhaltung, das Verständnis dieser Informationen und deren Nutzung notwendig sind.“

§ 2 Abs. 1 Satz 2-4 Bremisches Archivgesetz[6]

„Unterlagen sind Aufzeichnungen unabhängig von ihrer Speicherform. Dazu gehören insbesondere Urkunden, Amtsbücher, Akten, Schriftstücke, amtliche Publikationen, Drucksachen, Karteien, Karten, Risse, Pläne, Plakate, Siegel, Bild-, Film- und Tondokumente. Unterlagen sind auch elektronische Aufzeichnungen sowie alle Hilfsmittel und ergänzenden Daten, die für die Erhaltung, das Verständnis dieser Informationen und deren Nutzung notwendig sind.“

 

Beratungskompetenz der Archive

Die meisten deutschen Archivgesetze sahen bereits 2004 die Beratung der Verwaltung zu Fragen der Schriftgutorganisation und/oder Bestandserhaltung als eine Aufgabe der Archive. Die Beratungstätigkeit wurde dabei jedoch vielfach als eine Kann-Aufgabe dargestellt und nicht spezifisch mit Blick auf die Konzeption und Einführung elektronischer Systeme formuliert. Dadurch konnte bei anbietungspflichtigen Stellen der Eindruck entstehen, dass sich die Beratungskompetenz der Archive auf die konventionelle Schriftgutverwaltung beschränke. Archive wurden häufig nicht oder zu spät in die Konzeption und Einführung von Systemen einbezogen. Die Verfasser der ARK-Empfehlungen schlugen daher die Einführung einer gesetzlichen Pflicht für die anbietungspflichtigen Stellen vor, das zuständige Archiv in die Entwicklung oder Fortentwicklung eines Systems einzubeziehen.

Beispiele für die Umsetzung

§ 3 Abs. 5 Archivgesetz NRW

„Im Rahmen seiner Zuständigkeit berät das Landesarchiv die Behörden, Gerichte und sonstigen öffentlichen Stellen des Landes bei der Verwaltung, Aufbewahrung und Sicherung ihrer Unterlagen. Die obersten Landesbehörden stellen sicher, dass die anbietenden Stellen in ihrem Geschäftsbereich die in Absatz 4 genannten Austauschformate beachten. Das gilt sowohl bei der Planung, vor der Einführung und bei wesentlichen Änderungen von IT-Systemen, die zu nach § 2 Absatz 1 i.V.m. § 4 Absatz 1 anzubietenden elektronischen Dokumenten führen. Soweit hiervon ausnahmsweise abgewichen werden soll, ist bereits vor der geplanten Nutzung anderer Formate und Techniken Einvernehmen mit dem Landesarchiv zu erzielen, um die spätere Übernahme des Archivgutes sicherzustellen. Dies entfällt, wenn Formate oder Techniken eingesetzt werden, die nach einem Verfahren nach Artikel 91 c Absatz 2 GG (Länderübergreifende Standards) abgestimmt sind.“

§ 4 Abs. 3 Hessisches Archivgesetz[7]

„Das Hessische Landesarchiv berät die in § 2 Abs. 3 und 6 genannten Stellen im Rahmen seiner Zuständigkeit bei der Verwaltung und Sicherung ihrer Unterlagen im Hinblick auf die spätere Archivierung. Diese Stellen beteiligen das Hessische Landesarchiv bei der Einführung und Änderung technischer Systeme zur Erstellung und Speicherung digitaler Unterlagen. Die Beratungstätigkeit erstreckt sich auch auf die nicht staatlichen Archive im Rahmen der Archivpflege.“

Übergabe von Datenbanken

Die Verfasser der ARK-Empfehlungen sahen zudem dringenden Regelungsbedarf hinsichtlich der Anbietung und Übernahme von Datenbankdaten. Zwar kannten einige Archivgesetze 2004 bereits „maschinenlesbar gespeicherte Informationen“ bzw. nannte das nordrhein-westfälische Archivgesetz die bereits erwähnten „mit Hilfe von ADV-Anlagen geführten Datenbestände“. Diese Definitionen waren jedoch viel zu eng und sahen zudem keine Regelungen für laufend geführte Datenbanken, insbesondere solche ohne Historie, vor. Die ARK-Empfehlungen schlugen daher vor, die grundsätzliche Anbietungspflicht auch für laufend geführte Datenbanken gesetzlich zu verankern, dabei jedoch die Übergabemodalitäten nicht abschließend gesetzlich zu regeln, sondern auf untergesetzliche Verwaltungsvorschriften zu verweisen.

Beispiele für die Umsetzung

§ 4 Abs. 1 Archivgesetz NRW

„Die Behörden, Gerichte und sonstigen Stellen des Landes haben dem Landesarchiv alle Unterlagen zur Übernahme anzubieten, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr benötigen. Die Anbietung erfolgt grundsätzlich nach Ablauf der Verwahrungs- bzw. Aufbewahrungsfristen. Unabhängig davon sind alle Unterlagen spätestens dreißig Jahre nach ihrer Entstehung dem Landesarchiv anzubieten, sofern keine anderen Rechtsvorschriften längere Aufbewahrungsfristen bei den anbietungspflichtigen Stellen festlegen. Dem Landesarchiv ist auf Verlangen zur Feststellung der Archivwürdigkeit Einsicht in die Unterlagen und die dazu gehörigen Hilfsmittel und ergänzenden Daten, die für das Verständnis dieser Information und deren Nutzung notwendig sind, zu gewähren. Elektronische Unterlagen, die einer laufenden Aktualisierung unterliegen, sind ebenfalls zur Archivierung anzubieten.“

 

§ 4 Abs. 3 Archivgesetz NRW

„Das Landesarchiv regelt die Anbietung und Übernahme von Unterlagen im Benehmen mit den anbietungspflichtigen Stellen.“

 

§ 9 Hessisches Archivgesetz

„Digitales Archivgut

(1) Bei der Übernahme von digitalen Unterlagen sind Auswahlkriterien und technische Kriterien, insbesondere das Format von Primär- und Metadaten und die Form der Übermittlung, von dem zuständigen Archiv mit Zustimmung der abgebenden Stelle vorab festzulegen.

(2) Bei digitalen Unterlagen, die einer laufenden Aktualisierung unterliegen, legt das zuständige Archiv die Form der Anbietung und die Zeitabstände der Übergabe mit Zustimmung der abgebenden Stelle vorab fest.“

 

§ 3 Abs. 2 Bremisches Archivgesetz

„Zur Übernahme anzubieten sind auch Unterlagen, die

[…]

3. elektronische Daten enthalten, die einer laufenden Aktualisierung unterliegen.“

 

§ 3 Abs. 3 Bremisches Archivgesetz

„Art und Umfang der zu archivierenden Unterlagen können vorab zwischen dem Staatsarchiv und der abliefernden Stelle vereinbart werden. Für Datenbestände, die mit Hilfe von automatischen Datenverarbeitungsanlagen geführt werden, sind Art und Umfang sowie die Form der Übermittlung der zu archivierenden Daten vorab festzulegen. Datenbestände, die aus verarbeitungstechnischen Gründen vorübergehend vorgehalten werden, sind nicht anzubieten. […]“

 

Authentizität und Integrität der Unterlagen bis zur Übergabe bzw. von Übergabe an

Die ARK-Empfehlungen behandelten mit diesem Themenfeld einen Bereich, der nicht allein archivrechtlich zu regeln ist. Anforderungen an die Beweiskraft elektronischer Unterlagen vor wie nach der Übernahme ins Archiv sind Gegenstand anderer Gesetze und Normen (z.B. Signaturgesetz, TR-ESOR-Richtlinie, geplante Norm DIN 31647). Mit Blick auf die Archivgesetze erachteten die Verfasser der ARK-Empfehlungen solche Regelungen als notwendig, die den Archiven grundsätzlich die Migration elektronischer Unterlagen auf andere Träger und in andere, langzeitstabile Formate erlauben. Regelungen zur Erstellung von Ersatzmedien und zur Abweichung vom „Originalzustand“ enthielten bereits damals zahlreiche Archivgesetze. Die Diskussion um die 2003 vom sächsischen Rechnungshof geäußerte Empfehlung zur Ersatzdigitalisierung umfangreicher Teile des Archivguts zeigte jedoch die Ambivalenz derartiger Regelungen.[8] Hauptaufgabe der Archivgesetznovellierungen der letzten Jahre war es daher, im Gesetzestext sowohl die Möglichkeit zur Übertragung auf andere Träger und in andere Formate vorzusehen, die Entscheidung darüber jedoch ausschließlich an die archivfachliche Notwendigkeit solcher Maßnahmen zu knüpfen.

 

Beispiele für die Umsetzung

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Wie können elektronische Akten genauso sicher aufbewahrt werden wie Akten aus Papier?

 

§ 5 Abs. 2 Archivgesetz NRW

„Archivgut ist auf Dauer sicher zu verwahren. Es ist in seiner Entstehungsform zu erhalten, sofern keine archivfachlichen Belange entgegenstehen. Es ist nach archivfachlichen Erkenntnissen zu bearbeiten und vor unbefugter Nutzung, vor Beschädigung oder Vernichtung zu schützen. […]“

 

§ 11 Abs. 2 Hessisches Archivgesetz

„Sofern es unter archivfachlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt ist, können die öffentlichen Archive die im Archivgut enthaltenen Informationen auch in anderer Form archivieren und die Originalunterlagen ausnahmsweise löschen oder vernichten. Darüber ist ein Nachweis zu führen.“

Kosten der Übernahme

Die Verfasser der ARK-Empfehlungen erwarteten angesichts der für die Übernahme notwendigen Migrationen einen höheren Kostenaufwand als bei konventionellen Unterlagen. Kostenregelungen für die Anbietung und Übernahme von Unterlagen sind jedoch damals wie heute als Verwaltungsinnenrecht nicht gesetzlich geregelt. Archivgesetzlich müssen entsprechende untergesetzliche Vorschriften, die z. B. in Aussonderungsvorschriften enthalten sein können, allerdings durch eine klare Abgrenzung der Verantwortungssphären von anbietungspflichtiger Stelle und Archiv unterfüttert werden.

Beispiele für die Umsetzung

Archivgesetz NRW § 2 Abs. 3-5

„(3) Archivgut sind alle, gegebenenfalls nach Ablauf der Verwahrungs- bzw. Aufbewahrungsfristen in das Archiv übernommenen archivwürdigen Unterlagen im Sinne des § 1 Absatz 1 und Absatz 2.

(4) Zwischenarchivgut sind Unterlagen, deren Verwahrungs- bzw. Aufbewahrungsfristen noch nicht abgelaufen sind, deren Archivwürdigkeit noch nicht festgestellt wurde und die vom zuständigen Archiv vorläufig übernommen wurden. Das Verfügungsrecht verbleibt bei der abliefernden Stelle.

(5) Vorarchivgut sind Unterlagen, die dauerhaft aufzubewahren sind, oder deren Verwahrungs- bzw. Aufbewahrungsfristen noch nicht abgelaufen sind und die als archivwürdig bewertet und übernommen worden sind. Das Verfügungsrecht liegt bei dem zuständigen Archiv. Es gelten die Normen des Archivgesetzes.“

Verwaltungsvorschriften zum Niedersächsischen Archivgesetz[9]

„3.5 Die Kosten der erforderlichen Verpackung und Verschnürung des Archivgutes und des Transportes oder der postalischen Versendung zu dem im Landesarchiv jeweils zu-ständigen Staatsarchiv trägt die anbietungspflichtige Stelle. Bei elektronischen Unterlagen gilt dies entsprechend für die Kosten der Konvertierung bzw. Migration in das vom Landesarchiv vorgegebene Speicherformat und Speichermedium sowie für die Übermittlung dieser Unterlagen an das Landesarchiv.“

 

Bereitstellung von Findmitteln und Archivgut in öffentlich zugänglichen Netzen

Die bislang referierten ARK-Empfehlungen befassten sich auftragsgemäß nur mit Fragen der Anbietung und Archivierung von elektronischen Unterlagen, nicht jedoch mit neuen Fragestellungen auf dem Gebiet der elektronischen Bereitstellung von Archivgut. Ohne Zweifel hat sich aber der archivische Alltag auch durch neue Formen der Bereitstellung im Internet seit Inkrafttreten der ersten Archivgesetze Ende der 80er-Jahre enorm verändert. Die Retrokonversion und Digitalsierung von analogen Findmitteln und Archivgut sowie daraus resultierenden Möglichkeiten zur Bereitstellung von Findmitteln und digitalisertem Archivgut im Netz warfen neue rechtliche Fragen auf. Die ARK verabschiedete deshalb 2007 ein erneut von der Arbeitsgruppe „Archive und Recht“ erstelltes Gutachten, das sich ausführlich mit den Möglichkeiten und Grenzen der „Bereitstellung elektronischer Findmittel in öffentlich zugänglichen Netzen“ befasste.[10]

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Stellt Findbücher bereit: ww.archive.nrw.de

Mit der Retrokonversion von Findmitteln und deren Präsentation im Internet rückte die Veröffentlichung erstmals stärker in den archivrechtlichen Fokus. Sie kann durch ihre Zielrichtung auf eine nicht näher spezifizierte allgemeine Öffentlichkeit von der archivrechtlichen Nutzung als einer individuellen, durch Antrag legitimierten Zugangsform unterschieden werden. Einige jüngere Archivgesetze benennen die Veröffentlichung von Archivgut deshalb explizit als Aufgabe der Archive und definieren deren Schranken. Im nordrhein-westfälischen Archivgesetz von 1989 fehlte eine solche Befugnisnorm noch, was 2005 vom Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit zu Recht bemängelt wurde.[11]

Beispiele für die Umsetzung

§ 8 Archivgesetz NRW

„Das Landesarchiv ist berechtigt, Archivgut sowie die dazugehörigen Findmittel unter Wahrung der schutzwürdigen Belange Betroffener zu veröffentlichen. § 6 Absatz 2 sowie § 7 Absatz 1 bis 4 gelten entsprechend.“[12]

§ 8 Abs. 1 Bremisches Archivgesetz

„Um der Öffentlichkeit den Zugang zu historischen und familienkundlichen Unterlagen zu ermöglichen oder zu erleichtern, ist das Staatsarchiv berechtigt, Archivgut, Reproduktionen von Archivgut und die dazugehörigen Findmittel im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben zu veröffentlichen. Durch die Veröffentlichung dürfen keine überwiegenden schutzwürdigen Belange Betroffener oder Dritter beeinträchtigt werden; insoweit sind insbesondere auch die Art, die Form und die Zugänglichkeit der Publikation zu berücksichtigen. § 7 gilt entsprechend.“

Interessant ist an dieser Stelle auch ein Blick auf vergleichbare Überlegungen im Kontext der Schweizer Archivgesetzgebung. Beat Gnädinger und Eliane Schlatter berichteten 2012 auf der Frühjahrstagung der Fachgruppe 1 des VdA in Speyer über ein neues Schutzfristenmodell für den Kanton Zürich.[13] Dieses sieht absolute Schutzfristen zwischen 30 und 120 Jahren nach Entstehung der Unterlagen für die freie Zugänglichkeit, d. h. also die mögliche Veröffentlichung von Archivgut mit personenbezogenen Daten vor und unterscheidet sie von den weiterhin geltenden relativen Schutzfristen und einer möglichst liberalen Zugangsgewährung auf Antrag. Eine absolute Schutzfrist von max. 120 Jahren für die Veröffentlichung personenbezogenen Archivguts mag für einige Kolleginnen und Kollegen sehr lang klingen und wäre in dieser Form wahrscheinlich auch in Deutschland schwer durchsetzbar. Ein Bedarf an ebenso klaren wie strengen Regelungen für die Veröffentlichung von personenbezogenen Angaben im Internet ist aber nicht zu leugnen. Dies gilt umso mehr, wenn man an die Weiterentwicklung vorhandener Internetangebote in Richtung Semantic Web denkt, was z. B. für die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) eindeutig als Ziel definiert ist. In einer Semantic Web-Struktur kann auch eine vermeintlich „harmlose“ Angabe im online veröffentlichten Archivgut durch die Verknüpfung mit anderen Web-Inhalten eine ursprünglich vom Archiv nicht erwartete rechtliche Brisanz erlangen.

Wie geht es weiter?

Im Bund und in vielen Ländern steht eine umfassende Novellierung der Archivgesetze noch aus. Aktuell wird etwa über ein neues sächsisches Archivgesetz beraten, und die Überarbeitung des baden-württembergischen Archivgesetzes wurde bereits angekündigt.[14] Im Bund soll nach einer kleinen Novellierung 2013[15], die sich auf Pflichtregistrierung von Kinofilmen beschränkte, in der kommenden Legislaturperiode ein neuer Anlauf zu einer umfassenden Gesetzesreform gemacht werden. Insgesamt kann man aber konstatieren, dass das Alter eines Archivgesetzes nicht zwingend etwas darüber aussagen muss, wie ein Archiv die Herausforderungen des digitalen Zeitalters meistert. Zum Beispiel kann eine (allerdings noch nicht abschließend rechtskräftige) Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe über den Umgang mit E-Mails des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus[16] als ein großer Erfolg des baden-württembergischen Archivgesetzes gewertet werden, das im Wesentlichen seit Ende der 80er-Jahre unverändert in Kraft ist. Dennoch ist natürlich eine Anpassung aller Archivgesetze äußerst wünschenswert.

Mit der Novellierung ist es aber nicht getan. Man braucht keine archivische Kristallkugel, um vorauszusehen, dass in Nordrhein-Westfalen z. B. nicht wieder 21 Jahre vergehen werden, ehe weitere Änderungen in den archivischen Rahmenbedingungen neue Anpassungen erfordern. Insofern ist die in vielen deutschen Ländern übliche Befristung von Gesetzen nicht nur ein Instrument des Bürokratieabbaus, sondern auch eine realistische Einschätzung der Tragweite von aktuellen gesetzlichen Bestimmungen. Angesichts des Fristablaufs des aktuellen nordrhein-westfälischen Archivgesetzes am 30.9.2014 laufen derzeit erste Gespräche über einen möglichen Novellierungsbedarf an.

Das vorläufige persönliche Fazit der Autorin über drei Jahre neues nordrhein-westfälisches Archivgesetz im Hinblick auf die digitale Herausforderung ist überwiegend positiv. Die auf der Basis der ARK-Empfehlungen neu bearbeiteten Bestimmungen haben sich bewährt und müssen nur in Einzelheiten angepasst werden. Vier Punkte sind aufzugreifen:

  • Im Umgang mit der Anbietung laufend aktualisierter elektronischer Unterlagen haben sich bei einzelnen anbietungspflichtigen Stellen Fragen bezüglich der Aktualität der dem Archiv übergebenen Informationen ergeben. Die Archivierung von Datenbankschnitten führt in aller Regel dazu, dass auch tagesaktuelle Informationen an das Archiv übergeben werden. In der Behördenberatung sind in diesem Punkt der Hinweis auf die mögliche Übernahme von Vorarchivgut und die Geltung der archivgesetzlichen Schutzfristen gefragt. Im Archivgesetz NRW könnte evtl. ein klarstellender Hinweis hilfreich sein.
  • Die Archivierung elektronischer Unterlagen stellt insbesondere kleinere Archive vor große Herausforderungen, die sie alleine nicht bewältigen können. § 10 Abs. 2 ArchivG NRW ermöglicht es den kommunalen Archiven, ihrer Aufgabe durch Errichtung und Unterhaltung eigener Archive oder Übertragung auf eine für Archivierungszwecke geschaffene Gemeinschaftseinrichtung oder durch Übergabe ihres Archivguts zur Archivierung in einem anderen öffentlichen, nichtstaatlichen Archiv nachzukommen. Hier bleibt zu prüfen, ob diese Regelungen den Anforderungen einem elektronischen Archiv in gemeinsamer Trägerschaft in allen Punkten genügen können.
  • Als Spezialgesetze regeln die Archivgesetze Fragen der Archivierung abschließend. Den anbietungspflichtigen Stellen sind sie jedoch oftmals nicht oder nur vage bekannt. Sie sind mit den spezialgesetzlichen Vorschriften für ihren Verwaltungsbereich meist viel vertrauter. Mit der erfolgreichen Novellierung des Archivgesetzes NRW ist deshalb nur die halbe Arbeit getan. Die Archivarinnen und Archivare des Landesarchivs setzen sich vielmehr weiterhin in mühevoller Detailarbeit dafür ein, dass bestehende Kollisionen zwischen Gesetzen, insbesondere die Anbietungspflicht unterlaufende Löschvorschriften, aufgelöst werden und nach Möglichkeit keine neuen Kollisionen entstehen.
  • Schließlich sind für die nordrhein-westfälische Landesverwaltung trotz der jetzt drei Jahre zurückliegenden Novellierung des Archivgesetzes weiterhin Defizite im Bereich der untergesetzlichen Vorschriften zu konstatieren. Eine für alle Ressorts geltende Verwaltungsvorschrift zur Aussonderung, die nach niedersächsischem Vorbild u. a. auch Kostenfragen regelt, wäre sehr wünschenswert, ist aber angesichts widerstreitender Ressortinteressen in der Landesverwaltung faktisch nur schwer durchsetzbar. Bis auf weiteres wird es bei punktuellen, ressortspezifischen Verwaltungsvorschriften zur Aussonderung bleiben müssen. Hier gilt es v. a., vorhandene Regelungen so anzupassen, dass sie auch auf die Aussonderung elektronischer Unterlagen Anwendung finden können. Das Werben für die Anpassung vorhandener Verwaltungsvorschriften bewegt sich dabei in einem Grenzbereich zwischen archivrechtlicher Arbeit und aktiver Behördenberatung.

Damit sind wir am Schluss des Beitrags bei einer aus dem Bereich der konventionellen Unterlagen bereits hinlänglich bekannten Frage angelangt, nämlich der nach der Durchsetzungsfähigkeit des Archivgesetzes, das nach wie vor keine Sanktionen für die Nichteinhaltung seiner Bestimmungen vorsieht (was im Übrigen kein deutsches Archivgesetz tut). Drei Jahre Praxis erlauben noch keine abschließende Beurteilung, ob die geltenden Regelungen eine geeignete Basis zur Sicherung der elektronischen Überlieferung bieten oder eher ein „zahnloser Tiger“ sind. Entscheidend sind dafür auch weniger die gesetzlichen Regelungen als vielmehr die Qualität der archivischen Behördenberatung. Hier kommt es drauf an, ‚am Ball zu bleiben‘ und sich in der Landesverwaltung als kompetenter Gesprächspartner bekannt zu machen. Die gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen können für diese wichtige Daueraufgabe nur den juristischen Rahmen bieten.

 

Dr. Martina Wiech

Landesarchiv NRW, Fachbereich Grundsätze

martina.wiech@lav.nrw.de

[1] Rainer Polley, Variatio delectat? – Die Archivgesetze von Bund und Ländern im Vergleich, in: Archivgesetzgebung in Deutschland, hrsg. v. Rainer Polley, Marburg 1991, S. 21-48.

[2] Gesetz über die Sicherung und Nutzung öffentlichen Archivguts im Lande Nordrhein-Westfalen (Archivgesetz Nordrhein-Westfalen – ArchivG NW) vom 16. Mai 1989 (GV. NW. S. 302; geändert durch Artikel 69 des Dritten Befristungsgesetzes vom 5.4.2005, GV. NRW. S. 306, in Kraft getreten am 28. April 2005; geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 17. Dezember 2009, GV. NRW. S. 875, in Kraft getreten am 24. Dezember 2009).

[3] So fand z. B. die erste Tagung des Arbeitskreises „Archivierung von Unterlagen aus digitalen Systemen“ im März 1997 in Münster statt. Die Tagungsbeiträge von 1997 bis heute sind online zugänglich unter http://www.staatsarchiv.sg.ch/home/auds.html (Stand: 19.12.2013, gilt ebenfalls für alle nachfolgenden Hinweise auf Internetseiten).

[4] Die Empfehlungen sind auf der beim Bundesarchiv betriebenen Website der ARK verfügbar unter: http://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/abteilungen/abtg/g1/2004_ag_archive_und_recht_archivgesetze.pdf.

[5] Gesetz über die Sicherung und Nutzung öffentlichen Archivguts im Lande Nordrhein-Westfalen (Archivgesetz Nordrhein-Westfalen – ArchivG NRW) vom 16. März 2010, GV. NRW. S. 188, in Kraft getreten am 1. Mai 2010; geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 29. Januar 2013 (GV. NRW. S. 31), in Kraft getreten am 7. Februar 2013.

[6] Gesetz über die Sicherung und Nutzung öffentlichen Archivguts im Lande Bremen (Bremisches Archivgesetz – BremArchivG –) vom 7. Mai 1991 (Brem.GBl. S. 159) Sa BremR 224-c-1. Zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndG vom 21. 5. 2013 (Brem.GBl. S. 166).

[7] Hessisches Archivgesetz (HArchivG) vom 26. November 2012, verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Archivwesens und des Pflichtexemplarrechts vom 26. November 2012 (GVBl. S. 458).

[8] Rechnungshof des Freistaates Sachsen, Jahresbericht 2003, S. 101ff., online verfügbar unter http://www.rechnungshof.sachsen.de/jb2003/jb2003.pdf.

[9] RdErl. d. StK v. 24.10.2006 – 201-56 201 (Nds.MBl. Nr.38/2006 S.959) – VORIS 22560 –.

[10] Die Empfehlungen sind auf der beim Bundesarchiv betriebenen Website der ARK verfügbar unter: http://www.bundesarchiv.de/imperia/md/content/bundesarchiv_de/fachinformation/ark/20070320_veroeffentlichungsgrundsaetze_ark.pdf.

[11] Siebzehnter Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht der Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2005, S. 136 f. Im Internet verfügbar unter https://www.ldi.nrw.de/mainmenu_Service/submenu_Berichte/Inhalt/17_DIB/17__Datenschutz-_und_Informationsfreiheitsbericht.pdf.

[12] Satz 2 verweist auf die Geltung der Versagensgründe für die archivische Nutzung (§ 6 Abs. 2) und der Schutz- und Sperrfristen (§ 7 Abs. 1-4).

[13] Beat Gnädinger und Eliane Schlatter, Individuelle und öffentliche Interessen in Konkurrenz. Die neue Schutzfristenregelung des Kantons Zürich – Ausgangslage und Lösungsansatz, in: Schutzwürdig. Zu Aspekten des Zugangs bei Archivgut. Beiträge der Frühjahrstagung der Fachgruppe Staatliche Archive des VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. am 23. April 2012 in Speyer, hrsg. von Elsbeth Andre und Clemens Rehm, Koblenz 2013 (Unsere Archive Beiheft 3), S. 9-17.

[14] Gesetzentwurf der Sächsischen Staatsregierung zur Änderung des Archivgesetzes vom Juni 2012, Drucksache 5/9386: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=9386&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=1.

[15] Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz – BArchG) vom 06. Januar 1988 (BGBl. I S. 62), zuletzt geändert durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundesarchivgesetzes vom 27. Juni 2013 (BGBl. I S. 1888).

[16] VG Karlsruhe Urteil vom 27.5.2013, 2 K 3249/12.

Quelle: http://archivamt.hypotheses.org/645

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