Aus- Fort- und Weiterbildung ist im Archivwesen immer wieder ein kontroverses Thema. Bereits seit Ja...
Wikipedia: Archive und die Bewegungen des Freien Wissens
Als Zusatzinformation zum Diskussionsforum „Archive und Wikipedia“ am 13. März 2018 auf dem 70. Westfälischen Archivtag in Greven wird hier vorab der Beitrag von Tim Odendahl, der im April in der Archivpflege für Westfalen-Lippe erschienen wird, in leicht gekürzter Form veröffentlicht.
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Herausforderungen als Chance – Neue und alte Serviceerwartungen an Kommunalarchive
Vor welchen Herausforderungen stehen kommunale Archive heute?[1] Generell kann man sagen, dass kommunale Archive von vielen Herausforderungen stehen und es künftig eher mehr als weniger werden, auch wenn man das auf den ersten Blick nicht glauben mag.[2] Die wesentlichen Tätigkeitsfelder der Kommunalarchive werden auch in Zukunft die gleichen sein wie heute – das ist vielleicht eine gute Nachricht. Nur die Schwerpunktsetzung bei der Umsetzung und Ausführung der Aufgaben wird sich in Zukunft verändern.[3]
Im Laufe dieser Ausführungen soll ein kleiner Einblick gewagt werden, vor welchen Herausforderungen kleine Archive im Alltag gegenwärtig stehen und was dies für die Archive in der Zukunft bedeutet.
Das LWL-Archivamt für Westfalen ist einer von sechs Kulturdiensten des Landschaftsverbandes. Eingerichtet wurde das Amt bereits im Jahr 1927 und unterstützt seitdem kommunale und private Archive in Westfalen-Lippe in allen archivfachlichen und -technischen Fragen. Die Unterstützung reicht von der Beratung vor Ort bis hin zur finanziellen Förderung der spezifischen Archiveinrichtung.
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Digitalisierung in der Praxis: Hier Mikrofilmdigitalisierung
Die Digitalisierung und Präsentation von Archivgut wird in Gegenwart und Zukunft immer stärker von Archiven erwartet.
Dabei ist es allerdings nicht so unkompliziert, wie Nichtfachleute von außen oft denken.
Mit einer Digitalisierung von Archivgut sind stets Aufwände und Kosten verbunden, die sich einerseits auf den Einsatz von Personal, andererseits auf den Einsatz von Technik und die genaue technische Umsetzung beziehen. Unterschätzt wurde in den letzten Jahren oft auch die Pflege und Nachbereitung von Digitalisaten, die gerade für eine dauerhafte Präsentation von Archivgut als unerlässlich zu betrachten ist. Das Projekt einer Digitalisierung ist vorab in mehrere Phasen einteilbar. Dabei handelt es sich um die Vorbereitung, die Festlegung der Rahmenbedingungen, die Finanzierung und den Speicherplatz, die Durchführung, den Rücktransport und die Qualitätssicherung, die Aufbereitung und ggf. die Präsentation im Internet.
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Informatiker erkennen Elektronische Langzeitarchivierung als große Herausforderung an.
Die drei Informatiker Maximilian Eibl, Jens-Martin Loebel, Harald Reiterer von den Universitäten Chemnitz, Bayreuth und Konstanz haben sich in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift Informatik-Spektrum (August 2015, Volume 38, Issue 4, pp 269-276) mit dem Thema Langzeitarchivierung beschäftigt. Unter dem Titel
Grand Challenge ,,Erhalt des digitalen Kulturerbes“
geben die Autoren zunächst einen Überblick über die bisherigen Entwicklungen auf diesem jungen Forschungsgebiet.
Als zentrale Dokumente werden genannt:
- Die von der UNESCO bereits 2003 veröffentlichten Richtlinien für die Bewahrung des digitalen Kulturerbes, durch die das immaterielle Kulturgut auf eine Ebene mit dem Weltkultur- und Weltnaturerbe gestellt wird.
- Das Referenzmodell Open Archival Information System (OAIS), dessen Entwicklung ursprünglich von den Raumfahrtbehörden ESA und NASA angestoßen wurde, um ihre Forschungdaten zu sichern, und das sich inzwischen als Organisationsmodell (ISO 14721:2012) für die Planung und den Betrieb von elektronischen Langzeitarchiven in Bibliotheken und Archive etabliert hat.
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Alles kann, nichts muss: Warum Kommunalarchive die Möglichkeiten der Welt des Web 2.0 kennen und nutzen sollten.
Im Nutzen der vielfältigen Möglichkeiten des Web 2.0 zeigen sich Kommunalarchive in Deutschland aus unterschiedlichen Gründen immer noch sehr zurückhaltend. Vielleicht ist an dieser Stelle ein Perspektivwechsel notwendig, der die Welt des Web 2.0 als eine neue und aktuelle Form der archivischen Öffentlichkeit begreift.
Alles kann, nichts muss: Warum Kommunalarchive die Möglichkeiten der Welt des Web 2.0 kennen und nutzen sollten
Antje Diener-Staeckling
Nachdem sich das Internet im Bereich der deutschen Archive nun doch weitestgehend durchgesetzt hat,1 erzeugt die Welt des Web 2.0 gerade bei kleineren Kommunalarchiven doch noch oft Unbehagen. Es stellen sich immer wieder die gleichen Fragen: „Braucht man das überhaupt? Gehört das wirklich zu den archivischen Kernaufgaben?“
Hier sind klare Parallelen zum übergeordneten Arbeitsfeld der archivischen Öffentlichkeitsarbeit zu erkennen.
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„Ziele, Zahlen, Zeitersparnis. Wieviel Management brauchen Archive?“ – Ein erweiterter Rückblick auf das 20. Archivwissenschaftliche Kolloquium in Marburg
Nachdem in den beiden vergangenen Jahren die Digitalisierung von archivalischen Quellen sowie der Umgang mit Archivportalen im Netz auf der Agenda standen, widmete sich das diesjährige archivwissenschaftliche Kolloquium in Marburg (10./11. Juni 2015) einem Thema, das zuletzt ebenfalls verstärkt in den Fokus der Fachdiskussion gerückt ist – dem sogenannten Archivmanagement. Mit den titelgebenden Schlagworten „Ziele, Zahlen, Zeitersparnis“ wurden drei wichtige Aspekte herausgegriffen, die allgemein mit Archivmanagement verbunden werden. Doch was versteht man eigentlich genau darunter?
Eine wirklich verbindliche Definition des Begriffes scheint es innerhalb der Archivwissenschaft noch nicht zu geben. Gleichwohl haben sich in den letzten Jahren einige Archivare bemüht, die Sache auf den Punkt zu bringen. Für Marcus Stumpf ist Archivmanagement (in einem eher umfassenderen Sinn), wenn „Arbeitsprozesse im Archiv organisiert und geplant werden“1; in der praktischen Umsetzung plädiert er hingegen für den Begriff „Archiventwicklungsplanung“. Konkreter wird Mario Glauert mit seiner terminologischen Annäherung.
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Wer braucht schon ein elektronisches Langzeitarchiv?
In den Diskussionen mit Kolleginnen und Kollegen, die sich um das Thema “Elektronische Langzeitarchivierung” drehen, taucht oft die Frage auf, ob und wann eine Kommune oder ein Kreis ein Langzeitarchiv benötigt. Vielfach sehen sich die Archive außer Stande, in Zeiten knapper Kassen den Bedarf erfolgversprechend zu begründen. Dabei ist die Ausgangslage günstig wie nie:
1. Es gibt klare gesetzliche Vorgaben zur Pflicht elektronisch zu archivieren, die sich aus dem NRW Archivgesetz ergeben!
- In §2 (1) steht der Hinweis, dass elektronische Aufzeichnungen unter den Unterlagenbegriff und damit unter die Anbietungspflicht fallen.
- Die Auswahl der archivwürdigen Unterlagen erfolgt ausschließlich nach fachlichen Kriterien durch das zuständige Archiv vgl. § 2 (6).
- Elektronisches Archivgut ist “in seiner Entstehungsform” – also elektronisch aufzubewahren § 5 (2).
- § 4 (1) bestimmt, dass auch “Elektronische Unterlagen, die einer laufenden Aktualisierung unterliegen” anzubieten sind (d.h. fortlaufend aktualisierte Datenbanken, Webseiten etc.).
- Im selben Paragrafen werden Archiven ermächtigt, “auf Verlangen zur Feststellung der Archivwürdigkeit Einsicht in die Unterlagen und die dazu gehörigen Hilfsmittel und ergänzenden Daten” zu nehmen.
- Schließlich sind alle (auch personenbezogene Daten und die, die einem “Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis oder sonstigen Rechtsvorschriften über die Geheimhaltung unterliegen”) anbietungspflichtig, vgl. § 4 (2).
- § 3 (6) legt fest, dass über die Austauschformate, in denen archivwürdige Unterlagen an die Archive übergeben werden – so nicht übergreifend standardisiert – Einvernehmen mit dem Archiv bestehen muss.
- Der selbe Paragraf sichert den Archiven eine Beteiligung bei der Einführung neuer Software, aus der archivrelevante Unterlagen entstehen können.
- Alle diese Paragrafen sind seit 30. September 2014 durch § 10 (5) aufs kommunale Archivwesen übertragen worden. Auch in unserer neuen Mustersatzung für Kommunalarchive sind entsprechende Passus aufgenommen worden.
2. Elektronisches Archivgut gibt es in jeder Verwaltung!
- Es gibt keine Verwaltung mehr, die rein papiergestützt arbeitet. Dass dabei notwendiger Weise auch archivwürdige Unterlagen in elektronischer Form entstehen, liegt auf der Hand:
- Spätestens seit 1.1.2014 sind durch eine Gesetzesreform die Standesämter verpflichtet worden, elektronische Personenstandsregister zu führen. Nach Ende der Fortführungsfrist sind die Datensätze ins Archiv zu übernehmen; für nacherfasste Einträge gilt die Frist der zugrunde liegenden Papierurkunde, d.h. dass schon sehr bald elektronische Einträge anbietungsreif werden. Ab 1.1.2017 steht aller Voraussicht nach eine bundesweit normierte Schnittstelle aus den Elektronischen Registern bereit.
- Gewerbean-, -um- und -abmeldungen werden schon seit den 1980ern nur noch elektronisch vorgenommen und stellen eine wichtige Quelle für die Wirtschaftsgeschichte eines Orts und einer Region dar. Die Aufbewahrungsfrist liegt aus datenschutzrechtlichen Gründen in der Regel bei fünf (Hessen, Baden-Württemberg) oder zehn Jahren (Bayern) nach Abmeldung des Gewerbes.
- Elektronische Aktenführung ist bei Baugenehmigungs-Verfahren, in der Liegenschaftsverwaltung, im Sozialhilfewesen und in Jugendämtern weit verbreitet. Durch die eGovernment-Gesetzgebung des Bundes und des Landes NRW (in Vorbereitung) wird sich der Trend zur eAkte in den nächsten Jahren noch verstärken.
- Ratsinformationssysteme ersetzen zum Teil schon jetzt die Dokumentation des Entstehungsprozesses und die ausgedruckten und unterschriebenen Fassungen der kommunalen politischen Organe und Gremien (Kreistag und -ausschüsse, Stadt- und Gemeinderäte und -ausschüsse). Diese Unterlagen sind langfristig zu erhalten!
- Auf Gruppenlaufwerken und Intranet-Seiten, in E-Mail-Postfächern und persönlichen Ordnern schlummern zahllose Dateien, die – trotz z.T. hohem Informationsgehalt – nie mehr Teil einer Akte werden. Arbeitsweisen ändern sich durch die elektronischen Möglichkeiten – Archiven bleibt nur, sich um diese Überlieferungen ebenso zu bemühen wie um ihre papierenen Vorläufer!
3. Verbundarchive machen Langzeitarchivierung bezahlbar!
- Die Erstellung von eigenen Fachkonzepten zum Aufbau von Langzeitarchiven, die Begleitung von Programmierung, Tests und Abnahmen – das überfordert kleine, mittelgroße und auch viele größere Kommunalarchive. In NRW gibt es unter dem Dach des vom Land initiierten DA NRW Angebote für die Nutzung von Verbundlösungen. Derzeit werden zwei Softwaren angeboten: Die am Institut für Historisch-Kulturwissenschaftliche Informationsverarbeitung an der Universität zu Köln mit kulturspartenübergreifendem Ansatz entwickelte „Digitales Archiv-NRW-Software-Suite“ kurz DNS, die derzeit getestet und unter der Federführung der LVR Infokom bis Mitte des Jahres zur Produktionsreife geführt wird.
- Die in den staatlichen Archivverwaltungen des Bundes, von NRW und Rheinland-Pfalz und den Kommunalarchiven Stuttgarts, Kölns und unseres Hauses produktiv eingesetzte „Digital Preservation Solution“ kurz DiPS, die von den Firmen Hewlett-Packard und SER programmiert und weiter entwickelt wird.
- Es ist geplant, beide Systeme über den Dachverband kommunaler IT-Dienstleister in NRW (KDN) den unmittelbaren und mittelbaren Mitgliedern zugänglich zu machen. Für die wenigen Kommunen in NRW, die nicht davon profitieren würden, ist es möglich, sich auf dem Wege der Verwaltungsvereinbarung an den entstehenden Verbundsystemen zu beteiligen.
- Gegenüber selbst programmierten oder betriebenen Langzeitarchiven ist ein solches Verbundarchiv mindestens um den Faktor 10 billiger!
- Die Kosten für die Teilnahme an einer Verbundlösung liegen im Rahmen anderer “kleiner” Fachverfahren der Verwaltung. Die Betreiber-Rechenzentren wollen keinen Gewinn auf Kosten der teilnehmenden Archive oder ihrer Trägerverwaltungen machen, sondern streben nach einer Startphase eine schwarze Null im Betrieb an. Damit aber Synergien entstehen können und sich der Betrieb überhaupt lohnt, bedarf es einer möglichst breiten Beteiligung der Archive in Westfalen-Lippe! Es gilt: Je mehr Archive sich beteiligen, umso günstiger wird das Angebot.
4. Anfänge sind gemacht! Mitmachen statt abwarten!
- Die kommunalen Spitzenverbände begrüßen und begleiten die Arbeit im DA NRW. Die Forderung nach leistungsfähigen Langzeitarchiven wurde bereits in einem 2012 erschienenen “Positionspapier zur digitalen Archivierung, insbesondere zur Einrichtung elektronischer Langzeitarchive” erhoben.
- Archivische Arbeitskreise in Ostwestfalen-Lippe und Südwestfalen, aber auch beim KDN haben sich schon auf den Weg gemacht, Fachverfahren auf ihre Archivwürdigkeit hin zu prüfen und ggf. Aussonderungsschnittstellen zu beschreiben. Zuletzt haben Herr Dr. Pätzold und Frau Fercho aus Bochum ihre Ergebnisse online gestellt und in der Archivpflege beschrieben.
- Elektronische Zwischenarchiv-Lösungen wie “Archivo” für den Bereich des Meldewesens werden durch ein Elektronisches Langzeitarchiv nicht obsolet. Das neue Bundesmeldegesetz stellt in § 16 “Anbieten von Daten an Archive” klar: „Die Pflicht zum Anbieten von Meldedaten und den dazugehörigen Hinweisen an durch Landesrecht bestimmte Archive ist gegenüber dem Löschungsgebot des § 14 Absatz 1 Satz 1 BMG vorrangig.“ Unter die Anbietungspflicht fallen auch weiterhin die anlassbezogenen Teildaten wie die Familienverkettungen beim Erreichen der Volljährigkeit eines Gemeldeten.
- Mit unseren seit 2012 regelmäßig stattfindenden Fortbildungen haben wir bisher ca. 50 Kolleginnen und Kollegen erreicht, die teils allein, teils mit ihren EDV-Zuständigen teilgenommen haben. Noch besser als erzählt zu bekommen, wie es geht, ist, selbst Erfahrungen zu sammeln. Warten Sie nicht länger ab, sondern gehen Sie das Thema jetzt an! Wie bei allen Fragen unterstützt Sie das LWL-Archivamt auch bei dieser Fachaufgabe durch Fortbildungen und Beratung, es kann aber die Arbeit der Archive vor Ort nicht übernehmen oder ersetzen.
Peter Worm, 2015-04-28
Alles Kunst oder?-Das stARTcamp im LWL-Landeshaus am 28. März 2015 #scms15
Zum 2. Mal schon trafen sich rund 100 Kulturschaffende am 28. März zu einen stARTcamp im LWL-Landeshaus. Ziel war es bereits wie im Jahr 2014, sich im Bereich Social Media auf den neuesten Stand zu bringen und Ideen und Projekte kennenzulernen, wie man diese Instrumente im Kulturbetrieb nutzt.
Das stARTcamp ist eine von Mitgliedern des Vereins stArtconference organisierte Tagung. Dieser Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt der Social Media für Kunst- und Kulturschaffende zu öffnen und organisiert inzwischen auch europaweit stARTcamp-Tagungen.
Tagung kann man zu dieser Veranstaltung sagen, eine Konferenz im eigentlichen Sinne ist es nicht. Das stARTcamp wurde zum zweiten Mal als Barcamp veranstaltet. Einige sagen „Unkonferenz“ dazu (durchaus positiv gemeint). Andere sprechen vom Tagungssystem der Zukunft. Man trifft sich zu einem bestimmten Oberthema („Social Media im Kulturbetrieb“) und legt gemeinsam direkt zu Beginn die einzelnen Sessions, d.h. das Programm fest. Das kann alles sein, vom Workshop bis hin zur spontanen offenen Diskussionsrunde. Das Organisationsteam koordiniert dann zeitliche Abfolge und Raumaufteilung.
Als Archiv fühlte ich mich als ein Teil der Zielgruppe, erwartete aber – zu Recht, wie sich zeigen sollte – in der Minderheit zu sein. Von der Beschreibung der Veranstaltung erwartete ich mehr Teilnehmer aus Museen – schließlich findet sich das Wort ART schon im Titel. Museen haben schon seit längerem die Möglichkeiten des Web 2.0 für sich entdeckt. Außerdem eine neue Tagungsform, ich war gespannt.
Bei derAnmeldung erhielten die Teilnehmer den obligatorischen Wlan-Zugang Foto: Steffi Koch (http://neongold.org/)
Bei der gemeinsamen Einrichtung der WLAN-Zugänge gleich zu Beginn stellte sich heraus, so viele Kollegen aus den Museen waren hier gar nicht. Während der Vorstellungsrunde (Vorstellung mit drei Hashtags) stellte ich fest, dass unter den Teilnehmern sehr viele Mitarbeiter von Konzerthallen und Opernhäusern waren. Scheinbar hat man auch hier vor Kurzem eine breite Initiative im Bereich der Social Media gestartet. Letztendlich ist dies auch immer die Frage der selbst gesetzten Zielgruppe. Ansonsten war das Publikum erfrischend unterschiedlich: Vom absoluten Neuling („Entschuldigung, was ist bitte ein Hashtag?“) bis hin zu jungen Kulturvolontären, die gelangweilt erklärten, dass „Facebook absolut old fashioned“ sei, war alles dabei. Es boten sich insgesamt gute Möglichkeiten der virtuellen und realen Netzwerkbildung.
Nachdem die Themen der Sessions festgelegt per Handzeichen abgestimmt waren, ging es nach einer kleinen Pause los und das in einer beeindruckenden Geschwindigkeit. Das Programm erfasste einerseits Grundlagen, wie z.B. „Wie richte ich einen Blog?“ ein und „Wie melde ich mich auf Twitter an?“, anderseits wurden auch Themen wie „Welche Hilfsmittel helfen mir, meine Social media-Werkzeuge zu strukturieren und für meine Zwecke auszuwerten?“ und „Welche virtuelle Begleitung lässt sich einem Benutzer oder Besucher bieten?“ bis hin zu „Rechtliche Fragen bei Museumsselfies“ behandelt.
Bei meinen Sessions lerne ich am Vormittag, dass man auch mit dem Smartphone durchaus gute und beeindruckende Fotos machen kann. Es ist meist eine Frage der Perspektive und kleinerer Hilfsmittel. Dies ist nicht unwichtig für die Social Media Kanäle, weil man ohne Aufwand so Bildern einstellen kann, die inzwischen obligatorisch für einen Beitrag dort sind. Danach folgt eine Einführung in „Smart events und smart Places“ durch den Kommunikations- und Web 2.0-Berater Frank Tentler. Dort erfahre ich so einiges über das grundsätzliche Verhältnis von Social Media und Kulturinstitution. Wir produzieren täglich ohne Ende Content und Content ist wichtig und wertvoll. Ein wichtiger Aspekt, denn man hört auch in Kulturinstitutionen gerne mal den Satz „Was ich mache, interessiert doch sowieso niemanden.“ Man kann also sagen: Doch! Egal, ob Museum, Konzerthalle oder Museum, es interessiert die Leute. Hier wurden erste Grundlagen eines konkreten Marktingnutzens der Social Media-Aktivitäten vermittelt. Eine gute Einführung, wenn auch im öffentlichen Dienst nur begrenzt umsetzbar. Schön, dass wir bei der vom LWL-Archivamt mitorganisierten Tagung „Offene Archive 2.0“ im Dezember in Siegen dieses Thema noch vertiefen werden.
Nach der Mittagspause kam es bei der Keynote von Dr. Christian Gries, der das nächste stARTcamp in München mitorganisiert, zu kontroversen Diskussionen im Gesamtplenum. Sein Thema „Wie das Netz die Kunst befreit“ regte Überlegungen zum Thema „Banalisiert Web 2.0 nicht die Kunst?“. An eine wichtige Frage, die auch auf die Archive übertragbar erscheint. Auch hier fragen wir uns oft, ob wie mit den Instrumenten des Social Media nicht die Quellen im Allgemeinen und unseren Kulturauftrag im Speziellen banalisiert. Noch immer haben wir vor allem einen hohen wissenschaftlichen Anspruch, genau wie Museen einen hohen künstlerischen Anspruch haben können. Diese Grundsatzdebatte zeigte aber, dass die Fragestellung inzwischen in beiden Bereichen überholt erscheint. Banalisiert wird weder das eine noch das andere. Im Archiv wie im Museum bieten die Kanäle der Social Media vielmehr einen Weg den Nutzer und Besucher mehr an die Hand zu nehmen und ihm einen Weg zu ebnen auch komplexere Inhalte zu erarbeiten und zu verstehen. Social Media ist daher nicht im Zuge einer Banalität zu sehen, vielmehr als eine Form der Neuausrichtung eines Servicegedankens, der alle Kultureinrichtungen betrifft.
Anschließend lernte ich bei Frank Tentler mit Michelle van der Veen, welche Möglichkeiten es gibt, seine Social Media-Tools zu verwalten und effektiv auszuwerten. Im Zuge einer ausbaufähigen Socialmedia-Strategie im LWL-Archivamt ein wichtiger Aspekt.
In der abschließenden Session habe ich mich dann zu einer virtuellen Benutzerreise aufgemacht – passenderweise durch ein Museum. Angereichert durch Beispiele aus Konzerthäusern lernte ich, was Benutzer heute erwarten und erwarten können, und das nicht nur während des Aufenthalts in der Kulturinstitution sondern davor, währenddessen und danach.
Das zweite stARTcamp in Münster war eine wichtige Veranstaltung, die durchaus als ein Erfolg verbucht werden kann. Vielen Dank noch einmal an die Organisation! Insgesamt habe ich viel gelernt und Inspirationen bekommen. Manchmal waren die Diskussionen in den einzelnen Sessions allerdings zu gering. Hier würde ich mir wünschen, dass auch unter den Teilnehmern in Zukunft mehr diskutiert wird. Die Paralleldiskussionen auf Twitter kannte ich aus anderen Veranstaltungen bereits. Diese sollten aber vor Ort nicht die einzigen sein. Insgesamt war das stARTcamp in Münster eine gelungene Sache und es bleibt zu hoffe, dass es im nächsten Jahr ein neues stARTcamp im LWL-Landeshaus geben wird.
Antje Diener-Staeckling
Wie der Drang nach Aufmerksamkeit unsere Welt verändert
von Michael Meyen und Maria Karidi
Öffentliche Legitimation
Darum geht es heute. Niemand kann auf positive Medienresonanz verzichten, und jeder will negative Berichte verhindern. Der Begriff Medialisierung beschreibt Medienwirkungen zweiter Ordnung: Wie ändern sich Politik, Wirtschaft, Kultur oder Wissenschaft, weil die Akteure den Massenmedien Einfluss zuschreiben und sich deshalb an die Medienlogik anpassen?
Vereinfachen, zuspitzen, übertreiben
Zeitungen, TV- und Radiosendungen sehen heute in Deutschland ganz anders aus als vor 30 Jahren. Berichtet wird jetzt nicht mehr, was Politiker und Bildungsbürger für wichtig halten, sondern das, was Aufmerksamkeit verspricht. Das Ergebnis kann man jeden Tag beobachten: Es wird auf Details und auf Fachsprache verzichtet und um Exklusivnachrichten gekämpft. Manche Themen schaffen es, für kurze Zeit überall aufzutauchen (Fußball-WM, Pegida), und andere kehren immer wieder, weil sich alle dafür interessieren (Rückenschmerzen, Rentenbeginn). Medienangebote wollen uns überraschen und originell sein. Deshalb wird vereinfacht, zugespitzt und übertrieben. Ursache für den Wandel sind die Zulassung des kommerziellen Rundfunks Mitte der 1980er Jahre und der Siegeszug des Internet. Allein die viel größere Zahl an Medien hat den Konkurrenzdruck verschärft. Dass die neuen Angebote anderen Erwartungen bedienen, verändert auch die alten.
Strategien: (Spitzen-)Personal und Medientraining
In medialisierten Gesellschaften werden Top-Positionen auch nach Medientauglichkeit besetzt. Minister, Manager, Zoodirektoren und Fußballtrainer bekommen Medientraining und werden doppelt unterstützt: von PR-Managern und von Profis, die sich nicht für den Auftritt auf der Medienbühne eignen.
Ressourcen: PR, Gebäude, Arenen
Die PR wird ausgebaut und professioneller. Erstens gibt es heute viel mehr PR-Leute als vor 30 Jahren und zweitens sind journalistische Fähigkeiten und Kontakte hier inzwischen Bedingung. Genau wie das Spitzenpersonal werden Prestige-Gebäude heute nach Medientauglichkeit bewertet (Zentralen, Museen, Theater, Stadien).
Programme I: Events (Regeln und Rhythmus)
Wann ein Event stattfindet, entscheidet die Logik des Mediensystems: Es geht darum, die größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzielen und negative Berichte zu vermeiden. Das bedeutet: keine Überschneidung mit Mega-Events (Fußball!), so viele VIPs wie möglich, attraktive Orte, gute Bedingungen für Journalisten und Einmaligkeit.
Programme II: Regeln, Routinen, Entscheidungen
Bürokratien neigen immer mehr dazu, die interne Organisation, Arbeitsabläufe und Entscheidungen am Kriterium öffentliche Legitimation auszurichten. Im Sport (und keineswegs nur dort) werden Regeln so geändert, dass die Präsenz von Kameras und Journalisten genauso gesichert ist wie Bilder und Berichte, die der Medienlogik entsprechen.
Von der vierten Gewalt zum Werbekanal für Partikularinteressen?
Medialisierung verändert die Arbeitsbedingungen in den Medien. Je mehr Geld und Personal Unternehmen und Parteien, Sportvereine und Kultureinrichtungen in öffentliche Legitimation investieren, umso schwieriger werden kritischer und investigativer Journalismus. Ausbau und Professionalisierung der PR (vorangetrieben von ausgebildeten Journalisten), Medientraining für Spitzenpersonal, maßgeschneiderte Events und Behörden, die wissen, wonach die Medien suchen: All das erschwert es Journalisten, einen Blick hinter die Hochglanzfassaden zu werfen und das zu thematisieren, was nicht von selbst in das Licht der Scheinwerfer gelangt.
Diese Tendenz ist auch deshalb bedrohlich, weil im Moment gerade die ökonomische Basis wegbricht, die 150 Jahre lang für die Finanzierung von Journalismus gesorgt hat. Werbetreibende sind heute nicht mehr auf die Kopplung mit Medieninhalten angewiesen, um ihre Zielgruppen zu erreichen. Medien als Kontrolleur der Mächtigen, Medien als vierte Gewalt, Medien als Lieferant von Orientierung und unabhängiger Information: Die Gesellschaft muss entscheiden, wie wichtig ihr das ist und wie viel sie dafür ausgeben möchte.
Klicks, Klicks, Klicks: Gefangen in der Aufmerksamkeitsspirale
Jeder weiß, dass Nachrichtenseiten im Internet einer ganz eigenen Logik folgen. Geklickt wird, was wir noch nicht kennen und was Neugier oder Grundbedürfnisse bedient. Ein Redakteur des Marktführers Spiegel Online: „Nackte Satanisten im Wald. Wenn das drüber steht, läuft der Artikel super. Sex mit deformierten Zwergen. Das läuft auch.“ Neben Klicks geht es um Likes und Shares und damit nicht immer zwangsläufig um das, was gesellschaftlich relevant ist.
Was das alles mit FAZ und Zeit, mit Süddeutscher Zeitung und Tagesschau zu tun hat? Atemlosigkeit und Aufmerksamkeitsgier (die Internetlogik) sind dabei, die traditionellen Qualitätsmedien anzustecken. Journalisten beobachten sich gegenseitig und konkurrieren um Exklusivität. Was bleibt, wenn Zeitungsleser und TV-Zuschauer die Nachrichten längst kennen? Antwort: ein neuer Dreh, Zuspitzung und Dramatisierung, eine originelle Meinung – erst recht in einer Zeit, in der das Geld für aufwändige Recherchen knapp wird. Auch hier tut eine öffentliche Debatte not: Wollen wir wenigstens einige Angebote aus der Aufmerksamkeitsspirale befreien? Müssen wir das vielleicht sogar?