#wbgavie | Andrea Rönz: Archiv und Stadtgeschichte im Web 2.0 – Das Blog des Stadtarchivs Linz am Rhein

Gastbeitrag von Andrea Rönz (Stadtarchiv Linz am Rhein) anlässlich des Workshops „Bloggen in Geschichtswissenschaft und Archivwesen“, der am 10. November 2014 in Wien stattfindet.

Stadtarchiv Linz am Rhein

Der Aufbau eines Blogs für das Stadtarchiv Linz am Rhein war der letzte Schritt hin zu einer breit aufgestellten Präsentation des Archivs in den sozialen Netzwerken. Bereits seit der Einrichtung einer Facebook-Seite im März 2011 ist das Stadtarchiv im Web 2.0 vertreten und war diesbezüglich einer der Vorreiter im deutschsprachigen Archivwesen. Im Dezember 2011 wurden die Web 2.0-Aktivitäten auf Google+ und Twitter ausgedehnt und des Weiteren ein YouTube-Kanal eingerichtet. Denn die sozialen Netzwerke bieten optimale niedrigschwellige und zugleich kostengünstige Möglichkeiten für die interne und externe Kommunikation – gerade auch für kleinere Archive (das Stadtarchiv Linz wird nur nebenamtlich an einem Tag pro Woche und von nur einer Person betreut). Einen Überblick über die Web 2.0-Aktivitäten des Stadtarchivs Linz bietet die Präsentation „Facebook & Co. – Potentiale sozialer Netzwerke für die Öffentlichkeitsarbeit von Ein-Personen-Archiven“:

 

Ziel war und ist es, durch Social Media einen Eindruck von den Aufgaben und der Bedeutung des Stadtarchivs zu vermitteln, die Leidenschaft für die Geschichte und das Archivwesen nach außen zu transportieren, das Archiv über Linz hinaus bekannt zu machen und Kontakt mit anderen Archivaren, Archiven und kulturellen Institutionen zu knüpfen und aufrecht zu erhalten. Die 2005 aufgebaute Internetseite bietet diese Möglichkeiten nicht ansatzweise, denn sie vereinfacht und vor allem beschleunigt durch den Zugriff auf die Online-Findmittel zwar die Arbeitsabläufe enorm und gewährt dadurch auch eine größtmögliche Benutzerfreundlichkeit, ist aber bis auf den Textticker relativ statisch.

 

Allerdings stoßen auch Facebook, Twitter & Co. an ihre Grenzen, wenn es um die Präsentation längerer Inhalte in Text und Bild geht. Aus diesem Grund und auch vor dem Hintergrund der guten Erfahrungen mit dem von der Linzer Stadtarchivarin mitbetreuten 1914-Blog des Landschaftsverbands Rheinland und des derzeit noch in der Entwicklung steckenden Blogs für den Archivtag Rheinland-Pfalz/Saarland kam die Idee zu einem eigenen Blog des Stadtarchivs Linz auf. Die Wahl fiel auch diesmal auf das wissenschaftliche Blogportal hypotheses.org.

 

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Ausschlaggebend für den Weg in die Blogosphäre war der Wunsch, die im Mai 2014 gezeigte Ausstellung „Linz im Ersten Weltkrieg“ auch online zu präsentieren. Denn einerseits konnte aus verschiedenen Gründen begleitend dazu kein kompletter Katalog aufgelegt, sondern lediglich die Ausstellungsplakate in einer Broschüre abgedruckt und andererseits die Ausstellung in ihrem vollen Umfang nur gut eine Woche gezeigt werden. Das Archiv-Blog diente also zunächst als Online-Katalog und wird jetzt in der Folge sukzessive mit Beiträgen zur Stadtgeschichte und weiteren Inhalten, auch zu Archiven & Web 2.0, gefüllt. Dafür werden auch von der Stadtarchivarin ursprünglich für Printpublikationen wie Pressemitteilungen, Artikel für das Heimatjahrbuch oder Broschüren erstellte Texte verwendet, die alle mehr oder weniger brachliegen, längst vergriffen bzw. nicht mehr abrufbar sind und so zu neuem Leben erweckt und verbreitet werden. Die erfreulichen Zugriffszahlen und das positive Feedback zeigen, dass sich der Schritt gelohnt hat.

 Stadtarchiv Linz am Rhein

 

Andrea Rönz M.A., 1994-1999 Studium der Germanistik und Mittleren und Neueren Geschichte in Bonn, seit 2004 Leiterin des Stadtarchivs Linz am Rhein. Betreut die Social-Media-Auftritte des Stadtarchivs auf Facebook, Google+, Twitter und YouTube sowie das Blog des Stadtarchivs, zählt zu den Administratoren der Blogs „Archivtag Rheinland-Pfalz/Saarland“ und „1914 – Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg“.

 

Quelle: http://bioeg.hypotheses.org/598

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Restaurierung der Mariensäule

Marienskulptur (Ausschnitt)Auf Betreiben einer Privatinitiative und vollständig durch Spenden finanziert wurde im Sommer 2014 die Mariensäule auf dem Linzer Marktplatz durch Andreas Hartmann aus Bruchhausen restauriert. Um einen Einblick in die Arbeiten an dem Denkmal zu geben, hier einige Passagen und Abbildungen aus seiner Dokumentation:

Einleitung
Die Mariensäule im nördlichen Bereich des Marktplatzes […] soll an die 1817 abgebrochene Ratskapelle erinnern, die dort früher stand. Als Bildhauerwerkstatt hat die Firma Rechmann aus Königswinter signiert. Die Mariensäule erhebt sich über eine Höhe von insgesamt ca. 8 m. Das Denkmal ist aus drei verschiedenen Natursteinvarietäten gearbeitet, die von ihrer natürlichen Farbigkeit reizvoll zusammenwirken. Der Sockel besteht aus Basaltlava, worüber sich ein Schriftblock auf quadratischem Grundriss und Haube mit Giebelverdachung zu vier Seiten aus ockrigem Sandstein erhebt. Darauf ragt eine achteckige Säule mit Blattkapitell empor. Darüber thront die gekrönte Mutter Gottes mit Kind, auf der Weltkugel und der Mondsichel stehend und in Kalkstein gearbeitet. Die Ost- und Westseite tragen je einen Löwenkopf als Wasserspeier der Brunnenbecken, die die Säule flankieren. Die Nord- und Südseite tragen Schrift.

Der Schriftblock zeigt folgende Texte:

Ansicht des Wappens der Stadt Linz, Vorzustand vor der Restaurierung im Mai 2014. Die Farbe hat sich bereits in zahlreichen Schollen vom Untergrund gelöst. Die Steinsubstanz hatte darunter gelitten. Foto: A. Hartmann

Ansicht des Wappens der Stadt Linz, Vorzustand vor der Restaurierung im Mai 2014. Die Farbe hat sich bereits in zahlreichen Schollen vom Untergrund gelöst. Die Steinsubstanz hatte darunter gelitten.
Foto: A. Hartmann 

Nordseite:

SALVE
SANCTA MARIA
DEI GENITRIX VIRGO
REGINA COELI CLORIOSA

Die großgeschriebenen [hier gefetteten] Buchstaben ergeben in ihrer Addition nach lateinischer Zahlenschreibweise eine Jahreszahl, die der Errichtung von 1878.

Südseite zum Rathaus in Groß- und Kleinschreibung:

Errichtet
am Feste Maria Himmelfahrt
des Jahres 1878
aus Beiträgen der Bürger
und der Stadt Linz
zur Erinnerung
an die im Jahre 1817
an dieser Stelle abgebrochene
Rathskapelle

Zustand des Denkmals vor der Restaurierung

Ansicht der Marienskulptur von Nordost, Vorzustand vor der Restaurierung im Mai 2014 Foto: A. Hartmann

Ansicht der Marienskulptur von Nordost, Vorzustand vor der Restaurierung im Mai 2014
Foto: A. Hartmann 

Der Zustand vor der Restaurierung war sehr unvorteilhaft. Gravierender Mangel war die teils erhebliche Verschmutzung. Sie betraf alle drei Natursteinvarietäten gleichermaßen und schränkte die Lesbarkeit der Anlage erheblich ein. Die Verschmutzungen umfassten vor allem biogenen Bewuchs durch Moos. Dies bedeckte große Bereiche der Verdachungen, so dass die Architektur teilweise kaum erkennbar war. An der Marienskulptur aus Kalkstein hatten sich zudem in witterungsgeschützten Bereichen Krusten gebildet – ein typisches Phänomen bei karbonatisch gebundenen Materialien wie dem Kalkstein. Die älteren Farbfassungen waren weitgehend abgewittert. An den beiden Wasserspeiern hatten sich weißliche Kalksinterablagerungen durch das herausfließende Wasser gebildet.

Ansicht der Marienskulptur von oben, Vorzustand vor der Restaurierung im Mai 2014. Aus dieser Perspektive wird der Befall durch biogenen Bewuchs (z.B. Flechten und Moose) besonders deutlich. Die blaue Plane wurde später gegen eine neutrale, helle ersetzt. Foto: A. Hartmann

Ansicht der Marienskulptur von oben, Vorzustand vor der Restaurierung im Mai 2014. Aus dieser Perspektive wird der Befall durch biogenen Bewuchs (z.B. Flechten und Moose) besonders deutlich. Die blaue Plane wurde später gegen eine neutrale, helle ersetzt.
Foto: A. Hartmann 

Verdachung des Sockelblocks, Zwischenzustand während der Restaurierung im Mai 2014. Die Oberflächen wiesen zahlreiche Fehlstellen auf. Foto: A. Hartmann

Verdachung des Sockelblocks, Zwischenzustand während der Restaurierung im Mai 2014. Die Oberflächen wiesen zahlreiche Fehlstellen auf.
Foto: A. Hartmann

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Elemente des Schriftblocks wiesen einige teils tiefe Fehlstellen auf. Dies betraf vor allem die Verdachungen. Daneben zeigten sich einige Bereiche abschollend und absandend, wohl bedingt durch natürliche Verwitterung des ockrigen Sandsteins. Fehlstellen waren teilweise mit ungeeigneten, weil zementhaltigen Ergänzungsmörteln geschlossen.

Die Fugen waren teilweise ausgewittert. Die Marienskulptur zeigt nach der Einrüstung aus direkter Nähe partiell Rissbildungen. Hinzu kamen einige Hohlstellen im Naturstein. Der formale Bestand der Skulptur war als nur leicht geschädigt festzustellen: nur vereinzelt fehlten bildhauerische Details. Insgesamt erschien die Oberfläche leicht zurückgewittert.

Ansicht der rechten Seite von unten, Vorzustand vor der Restaurierung im Mai 2014. In witterungsgeschützten Bereichen wie hier unter dem Arm konnten sich Reste von Farbfassungen erhalten. Foto: A. Hartmann

Ansicht der rechten Seite von unten, Vorzustand vor der Restaurierung im Mai 2014. In witterungsgeschützten Bereichen wie hier unter dem Arm konnten sich Reste von Farbfassungen erhalten.
Foto: A. Hartmann 

Untersuchung von Fassungsresten
In witterungsgeschützten Bereichen der Marienskulptur haben sich Reste von Farbfassungen erhalten. Sie wurden durch eine Schichtenfolgeuntersuchung erfasst. […] Es wurden sechs Befundstellen angelegt. Aus den Befunden können insgesamt bis zu sechs Farbfassungen differenziert werden. […] Als Interpretation lässt sich schließen, dass die Mariensäule ursprünglich wohl materialsíchtig in den verschiedenen Tönen der ungefassten Natursteine stand. Ausnahmen bilden die Schrift, die vergoldet war, das Wappen sowie die Skulptur der Maria. Letztere war wohl in ölhaltiger Technik gefasst. Als Pigment diente offenbar Bleiweiß, das in Öl gebunden allgemein sehr dauerhafte Anstriche für den Außenbereich vor allem für hölzerne Elemente wie Fenster und Türen ergibt und der Maria eine helle, doch angenehm getönte Erscheinung verliehen haben muss. Auf mineralischen Untergründen wie in diesem Fall Naturstein, der einen natürlichen Feuchtehaushalt besitzt, sind ölhaltige Anstriche allerdings nicht dauerhaft. Zudem neigt das basische Bleikarbonat des Bleiweiß` bei Bewitterung mit sauren Medien, wie dem „Sauren Regen”, in Bleisulfid umzuschlagen, das schwarz wird. Vor allem in Bereichen mit starker Rauchgasbelastung durch Hausbrand, Bahn- und Schiffsverkehr, wie es im 19. und 20. Jh. im Rheintal der Fall war, kommt es zu diesem Phänomen. Dies könnte die dunkle Verfärbung erklären.

Zwischenzustand der Marienskulptur während der Restaurierung im Mai 2014. Foto: A. Hartmann

Zwischenzustand der Marienskulptur während der Restaurierung im Mai 2014.
Foto: A. Hartmann 

Restaurierungskonzept
[…]
Formuliertes, vorrangiges Ziel […] war die Konservierung des Bestands. Vor allem den offenbar durch Rauchabgase und Bewitterung mit sauren Niederschlägen geschädigten Kalkstein galt es zu konservieren. Dazu diente die Reinigung mit Ammoniumkarbonat, das einerseits zu einer Umwandlung von Vergipsungen führt und andererseits eine schonende Reinigung ermöglicht.

Marienskulptur mit (Erd-?)Kugel, Zwischenzustand während der Restaurierung im Mai 2014. Foto: A. Hartmann

Marienskulptur mit (Erd-?)Kugel, Zwischenzustand während der Restaurierung im Mai 2014.
Foto: A. Hartmann 

Darüber hinaus galt es nicht hauptsächlich, den Bestand zu rekonstruieren, sondern durch Anböschen von Bruchkanten. Sicherung von Schalen, Schließen von Rissen, Ergänzungen und Reprofilierungen zu sichern und künftigen Verfall zu minimieren. Die Fehlstellen und Spuren der Bewitterung sollten als authentische Zeugnisse des Alters ablesbar bleiben. Das Schließen von Fugen ist hier mit zur Sicherung zu zählen. Über die Konservierung hinaus sollten auch Schritte zur Restaurierung erfolgen, um das Denkmal optisch zu beruhigen und formal stimmig zu präsentieren. So waren formale Ergänzungen nur in geringem Umfang angestrebt, um Fehlsteilen sowie Beeinträchtigungen in der Wahrnehmung zurückzudrängen. Darüber hinaus sollte das Denkmal gereinigt werden, um ästhetisch und materialtechnisch schädigende Verschmutzungen zu reduzieren und die Erscheinung des Denkmals wieder besser ablesbar zu machen.

Ansicht der Verdachung, Zwischenzustand während der Restaurierung im Mai 2014. Die unteren Fehlstellen sind bereits mit Ergänzungsmörtel geschlossen. Das Schließen dienst als Voraussetzung für einen ungehinderten Wasserablauf. Foto: A. Hartmann

Ansicht der Verdachung, Zwischenzustand während der Restaurierung im Mai 2014. Die unteren Fehlstellen sind bereits mit Ergänzungsmörtel geschlossen. Das Schließen dienst als Voraussetzung für einen ungehinderten Wasserablauf.
Foto: A. Hartmann

Das Konzept sah weiter vor, tiefe und umfangreiche Fehlstellen nur anzuböschen, sie nicht vollständig zu ergänzen, und dabei so zu gestalten, dass Niederschläge abgeleitet werden. Wie die Erfassung gezeigt hatte, war die Maria, bis auf die Vergoldung, offenbar monochrom gefasst. Zur optischen Aufwertung sollte auch beitragen, die Schrift mit Colibri-Gold auszulegen.

Sockelblock mit Schrift Nordseite, Zwischenzustand während der Restaurierung im Mai 2014. Die Schrift war ursprünglich in Gold (Blattgold) ausgelegt. Die im Laufe der Zeit entstandenen Fehlstellen waren aber so kleinflächig, dass sie mit "Colibri-Gold" ausretuschiert werden konnten. Foto: A. Hartmann

Sockelblock mit Schrift Nordseite, Zwischenzustand während der Restaurierung im Mai 2014. Die Schrift war ursprünglich in Gold (Blattgold) ausgelegt. Die im Laufe der Zeit entstandenen Fehlstellen waren aber so kleinflächig, dass sie mit “Colibri-Gold” ausretuschiert werden konnten.
Foto: A. Hartmann 

Marienskulptur von Nordost, Endzustand nach abgeschlossener Restaurierung im Juli 2014. Foto: A. Hartmann

Marienskulptur von Nordost, Endzustand nach abgeschlossener Restaurierung im Juli 2014.
Foto: A. Hartmann 

Zusammenfassung
Die Mariensäule auf dem Markt in Linz am Rhein ist ein bildhauerisch anspruchsvolles Werk des späten 19. Jhs. aus drei verschiedenen Natursteinvarietäten. Ursprünglich war wohl nur die Marienskulptur in einer hellen, ölgebundenen Schlämme gefasst, die jedoch durch Bewitterung dunkel wurde. Seit der letzten Restaurierung, die bereits viele Jahre zurückliegen dürfte, haben sich erhebliche Schäden und Beeinträchtigungen eingestellt. Aus diesem Grund wurde im Frühsommer 2014 eine Restaurierung veranlasst.

 

Mariensäule nach der Restaurierung Foto: H. Rechmann

Mariensäule nach der Restaurierung
Foto: H. Rechmann 

Sie diente vor allem dazu, den Bestand durch Reinigung, Sicherung von Schalen, durch Hinterfüllen und Anböschen und Schließen von Rissen zu sichern. Darüber hinaus sollte auch die ästhetische Erscheinung verbessert werden, z.B. durch Auftrag einer Schlämme auf der Marienskulptur aus díspergiertem Weißkalkhydrat sowie das farbige Auslegen der Schrift, ohne die Spuren der Alterung zu tilgen, sondern ablesbar zu lassen.

Quelle: http://archivlinz.hypotheses.org/390

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„…wir, burgermeister, rat und gemein burgere van Lyns…“ – 700 Jahre kommunale Selbstverwaltung in der Bunten Stadt

Übersicht RatFestvortrag anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Altbürgermeister Adi Buchwald am 29. August 2014.

Lieber Herr Dr. Faust, lieber Herr Buchwald, geehrte Ratsdamen und Ratsherren, meine sehr geehrten Damen und Herren, „…wir, burgermeister, rat und gemein burgere van Lyns…“, mit dieser Formulierung in einer Urkunde vom 19. Mai 1328 tritt der Linzer Stadtrat in das Licht der Geschichte. Bürgermeister, Rat und Bürgerschaft – das die klassische Dreiheit des mittelalterlichen Stadtregiments und eines der Hauptmerkmale einer vollwertigen Stadt. Und zur Stadt war Linz einige Jahre zuvor geworden – nämlich zwischen 1311 und 1320 – das genaue Jahr ist nicht bekannt. Der Kölner Erzbischof Heinrich II. von Virneburg investierte vor allem aus politischen Gründen kräftig in den Ort, um sein Territorium nahe der südöstlichen Grenze des Kurfürstentums zu stärken, ließ die in Teilen heute noch vorhandene Stadtbefestigung errichten und gewährte Linz alle Rechte und Freiheiten, die auch seine übrigen Städte genossen. Und da ein grundlegendes Merkmal städtischer Selbständigkeit damals wie heute die kommunale Selbstverwaltung war und ist, gibt es auch seit 700 Jahren in Linz eine Stadtregierung. Im Mittelalter bestand diese aus Bürgermeister und Magistrat, also einem Kollegium von Ratsherren, die die Bürgerschaft nach außen repräsentierten. Mit Bürgerschaft ist allerdings nicht die gesamte Einwohnerschaft gemeint ist, denn in mittelalterlichen Städten wurde man zum Bürger erst durch u.a. der Ableistung des Bürgereids und Zahlung des Bürgergelds.

Über die Zusammensetzung der städtischen Verwaltung im Mittelalter geben die Urkunden, das Statutenbuch und die Stadtrechnungen Auskunft, und auch die Namen der Bürgermeister sind seit dem ersten bekannten Träger dieses Amtes von 1322, Johann van deme Kelre, fast vollständig, ab 1461/62 bis heute nahezu lückenlos überliefert. Es ist im Mittelalter aber äußerst selten, das einmal der komplette Rat in den Quellen namentlich genannt wird. Doch zum Glück hat diese beeindruckende Urkunde die Jahrhunderte überdauert. Ein wunderschönes Stück, oder? Leider als einzige der Quellen, die ich für meinen Vortrag ausgewählt habe, nicht aus dem Linzer Stadtarchiv, sondern aus dem nordrhein-westfälischen Landesarchiv in Duisburg. Sie können an der Länge der Urkunde schon die Bedeutung des Ereignisses ermessen: Es handelte sich um nichts weniger als eine mittlere Verschwörung gegen den Erzbischof von Köln, an der die offensichtlich seit jeher selbstbewussten Linzer vor 650 Jahren beteiligt waren.

Wie gehört, hatte der Landesherr Linz erst vor kurzem zur Stadt aufgewertet, doch die Linzer zeigten sich zur Enttäuschung des Erzbischofs nicht so dankbar wie erwartet, sondern es gab schon früh Versuche, sich zu emanzipieren. So entzündete sich bereits gegen Ende der 1330er Jahre ein erster Konflikt zwischen der jungen Stadt und dem Stadtherrn. Für Unmut sorgte – wie so oft – die Erhebung einer Steuer, wogegen viele Linzer Bürger protestierten, weil sie sich ungerecht behandelt fühlten. Nur wenige Jahrzehnte später schloss Linz sich vor der Wahl eines neuen Erzbischofs mit den kurkölnischen Städten Neuss, Bonn, Ahrweiler und Andernach zu einem Bündnis zusammen, und die Bündnispartner verkündeten, nur denjenigen als neuen Landesherrn anzuerkennen, der ihnen ihre Freiheitsrechte in vollem Umfang garantierte.

Das ging jedoch gründlich schief, denn der neu gewählte Erzbischof Adolf von der Mark ließ den Einigungsvertrag kurzerhand zerreißen, und noch der Zorn seines Nachfolgers entlud sich auf Linz als der schwächsten unter den fünf widerspenstigen Städten: Bürgermeister, Rat und Bürgerschaft mussten in der Pfarrkirche St. Martin sprichwörtlich zu Kreuze kriechen und in Anwesenheit zahlreicher adeliger Herren – sie sehen deren Siegel hier unten an der Urkunde – vor dem Erzbischof bekennen, dass sie wegen ihrer Frevelhaftigkeit und ihres Ungehorsams, wie es im Text der Urkunde heißt, alle Privilegien verspielt hätten und es keine freie Ratswahl mehr geben würde, sondern der Landesherr zukünftig die Kandidaten bestimmte. Unter anderem als Machtdemonstration ließ der Erzbischof außerdem die Linzer Burg errichten, die ja nicht umsonst auch „Zwingburg“ heißt. Diese Urkunde ist also in doppelter Hinsicht besonders, denn durch sie lernen wir nicht nur die Linzer Stadtverwaltung vor 650 Jahren namentlich kennen, sondern in ihr wird außerdem eines der ältesten und bedeutendsten Gebäude Stadt – eben die Burg – erstmals schriftlich erwähnt.

Namentliche Nennung von Bürgermeister und Rat der Stadt Linz und Ersterwähnung der Linzer Burg, 1365 (Original: LAV NRW Abt. Rheinland Kk Urk. 211)

Namentliche Nennung von Bürgermeister und Rat der Stadt Linz und Ersterwähnung der Linzer Burg, 1365
(Original: LAV NRW Abt. Rheinland Kk Urk. 211)

Die Namen von Bürgermeister und Stadtrat werden gleich am Anfang der Urkunde aufgeführt – ich habe Sie Ihnen zur besseren Lesbarkeit noch einmal herausgezogen, untereinander gestellt und transkribiert: Johann Lotte, Bürgermeister, Jacob op me Kelre, Johann Kuylynck, Johan vame Kessel, Heyman Upladen, Johann van Staene, Herman vander Lynden, Jacob Wijnrich van Dadenberg, cleyne Johan van Luypstorp, Clays Kelleneir van Luypstorp, Arnolt Russche, Jacob Valder, Lodewich Ruytze, Rat von Linz. Genaueres zu diesen Personen ist nicht bekannt, aber vermutlich handelt es sich größtenteils um Kaufleute, da diese in Haus und Geschäft über ausreichend Personal verfügten und so die für eine städtische Führungsfunktion nötige Zeit hatten. Clays Kelleneir van Luypstorp könnte außerdem in Diensten des Landesherrn gestanden haben, denn ein Kellner war ein kurfürstlicher Verwaltungsbeamter. Und wie wir außerdem an den Vertretern aus Dattenberg und Leubsdorf sehen, kamen Ratsherrn nicht nur aus der Stadt Linz, sondern auch aus dem Kirchspiel, dessen Ausdehnung sich ziemlich genau mit der der heutigen Verbandsgemeinde Linz deckt. Unter den hier genannten Personen scheinen auch erstmals Angehörige später bedeutender Ratsfamilien wie Kessel oder Keller auf – Letzterer möglicherweise ein früher Verwandter des berühmten Linzer Kupferstechers Josef von Keller. Und mit der hier zweimal vertretenen Familie Russche/Ruytze war einige Jahrzehnte später Tilman Joel verschwägert, dessen Schwester den Linzer Bürgermeister Jacob Ruysch heiratete.

Aus der Zeit der Stadtwerdung vor 700 Jahren stammt übrigens auch das Große Siegel der Stadt Linz – Sie sehen hier links unten einen Abguss – aus dem später das Stadtwappen entstand, das ja bis heute aus Kreuz und Schlüssel besteht. Bei dem Kreuz handelt es sich um das kurkölnische Stiftswappen, wodurch die territoriale Zugehörigkeit zum Kölner Erzstift zum Ausdruck gebracht wird, der Schlüssel ist als Attribut des hl. Petrus, des kurkölnischen Landespatrons, zu verstehen.

Statutenbuch, angelegt um 1470

Statutenbuch, angelegt um 1470

Näheres zum Linzer Stadtrat im Mittelalter verrät uns auch das Statutenbuch, eines der schönsten Stücke aus dem Linzer Stadtarchiv. Wer in den sozialen Netzwerken unterwegs und Fan oder Follower des Stadtarchivs ist – und einige von Ihnen sind es ja bereits – dem wird es dort als Titelbild bekannt sein. Ein Ratsherr sollte also laut Statutenbuch ehelich geboren sein und von ehrbaren und frommen Eltern abstammen. Da er im Amt über die Vergehen von anderen zu urteilen hatte, sollte er selbst auch ein ehrliches Leben führen und über Klugheit und Urteilskraft verfügen. Natürlich wurden Rat und Bürgermeister nicht vom Volk gewählt – das allgemeine Wahlrecht wurde erst geschlagene 600 Jahre später eingeführt – sondern vielmehr ließ – wie eben gehört – bis zum Ende des 14. Jahrhunderts der Erzbischof von Köln jährlich 13 geeignete Personen aus Stadt und Kirchspiel auswählen. Später dann wurde das Amt auf Lebenszeit vergeben, und beim Tod eines Ratsherrn wählten die übrigen Mitglieder des Stadtrats einen neuen Ratsherrn hinzu. Dieser leistete bei seinem Amtsantritt einen Eid, in dem er sich dem Landesherrn gegenüber zu Gehorsam und der Stadt gegenüber zum Befolgen alter Gewohnheiten verpflichtete. Anschließend machte der Schultheiß der durch Glockengeläut versammelten Gemeinde die Wahl des neuen Ratsherrn öffentlich bekannt.

Zu den vielfältigen Aufgaben des Stadtrats gehörten u.a. die Aufsicht über das Rechnungswesen, die Besteuerung, die Maße und Gewichte, das militärische Aufgebot der Bürgerschaft, die Zünfte, die Schulen und das Armenwesen. Jährlich am Johannistag, also dem 24. Juni, wählten die Ratsherrn außerdem aus ihrem Kreis den Bürgermeister, der dem Rat verpflichtet war und der nichts ohne die Kenntnis und die Zustimmung des Rats beginnen durfte. Die Tatsache, das sich die Stadtratsmitglieder aus einem kleinen, sozial unausgewogenen Kreis rekrutierten und dazu noch lebenslang im Amt blieben, legt natürlich den Verdacht nahe, – und so war es häufig auch – dass Entscheidungen nicht immer im Sinne der Gesamtbevölkerung, sondern lediglich im Sinne der städtischen Führungsschicht getroffen wurden, zumal die Stadtverwaltung praktisch keinerlei Kontrolle unterlag. Immerhin legte der Bürgermeister bisweilen den Bürgern der einzelnen Stadtviertel die jährliche Stadtrechnung vor, damit diese den Umgang mit den öffentlichen Geldern überprüfen konnten.

Für ihre Tätigkeit erhielten die Ratsherrn eine kleinere Aufwandsentschädigung, bei längeren Verhandlungen wurden außerdem Brot, Fleisch und Käse gereicht und Wein getrunken. Vor den Sitzungen begaben sich die Ratsherrn zur Messe – wir haben das ja heute nachempfunden – die ab 1462 in der Ratskapelle gleich gegenüber dem Rathaus am Marktplatz gelesen wurde. Der von seinem Stifter Tilman Joel prachtvoll ausgestattete Bau entsprach dem neu erlangten Selbstbewusstsein der Stadt, die nach der Demütigung durch den Erzbischof vor 100 Jahren jetzt wieder an politischer Bedeutung gewann und sogar zur Hauptstadt der Linzer Eintracht aufstieg, eines Verteidigungsbündnisses rheinischer Städte und Dörfer. Überhaupt darf diese Zeit als Blütezeit der Stadt angesehen werden, was sich auch im Bau eines repräsentativen Bürger- und Rathauses widerspiegelte.

Rathaus und Marktplatz, 1706

Rathaus und Marktplatz, 1706

Meine Damen und Herren, wir sind an historischer Stätte versammelt, denn genau hier an diesem Ort – zwar ursprünglich ein Stockwerk höher, aber trotzdem hier in diesen Räumlichkeiten – versammelt sich der Linzer Stadtrat seit mindestens 550 Jahren. In einer 10-jährigen Bauzeit, von 1517 bis 1527, wurde dieses Gebäude als Bürger- und Rathaus anstelle eines kleineren, mittelalterlichen Vorgängerbaus aus Fachwerk errichtet. Meister Mathias und Meister Andreas, unter deren Leitung die Bauarbeiten standen, ließen es aus Basaltlava und Tuffstein vom Kaiserberg und aus der Eifel, Steinen vom Stern und vom Minderberg und Bausand u.a. von der Mündung des Altenbachs und vom Nonnenwerth errichten. Die Hölzer für den Dachstuhl kamen per Floß aus Mainz, weiteres Bauholz wurde in den heimischen Wäldern bis hin nach Ehrenstein geschlagen. Einige Bauteile wurden außerdem in fertigem Zustand aus Andernach und Breisig per Schiff angeliefert. Den Baurechnungen zufolge waren fast 200 Männer am Bau des Rathauses beteiligt, darunter 13 Meister, außerdem Zimmererknechte, Steinbrecher, Sägeschneider, Handlanger, Schiffer und Fuhrleute.

Wie Sie hier auf dieser Zeichnung sehen, die den Zustand von 1706 zeigen soll, waren die Räumlichkeiten des Bürger- und Rathauses ursprünglich anders aufgeteilt als heute und wurden auch anders genutzt. Denn das komplette Erdgeschoss bestand aus einer großen, ungeteilten Halle, die vom Markplatz aus durch zwei große Tore betreten und befahren werden konnte. Die Umrisse sind ja heute noch an der Fassade zu sehen. Die Halle diente u.a. der Aufbewahrung von Baumaterial, Löschgerätschaften und Feuerwaffen, es gab ein Wachlokal für die Stadtwache und eine Stube für die Wollenweberzunft, die in der Halle auch ihren Tuchmarkt abhielt. Außerdem wurde die Halle für gesellige Veranstaltungen wie Feiern oder Theateraufführungen genutzt, und es war eine komplette Küche mit gemauertem Herd, Tischen, Bänken, Schüsseln, Gläsern und Krügen für die Verpflegung eingerichtet.

Ins Obergeschoss gelangte man über eine Außentreppe, die oben von einer Loggia abgeschlossen wurde – hier auf dieser Zeichnung gut zu sehen. Die Loggia spielte im öffentlichen Leben der Stadt eine besondere Rolle, denn von hier aus wurden der Bevölkerung beispielsweise die neu gewählten Ratspersonen vorgestellt, Gerichtsurteile verkündet und Befehle des Landesherrn oder Beschlüsse des Magistrats verlesen. Die historische Treppenanlage bestand bis 1833, dann wurde sie wegen Baufälligkeit abgebrochen und eine Innentreppe errichtet. Im Obergeschoss schließlich befanden sich die Große Stube für die Sitzungen des Stadtrats, die Schöffenstube für die Sitzungen des Stadtgerichts und die Kleine Stube für den Empfang von Gästen. Im Obergeschoss trafen sich Rat und Bürgerschaft zum geselligen Beisammensein, und Bürgermeister und Stadtrat bewirteten im Laufe der Jahrhunderte hier ganze Legionen von kurfürstlichen Beamten, Angehörigen des Adels, Mitglieder der Linzer Union, Hochzeitsgäste oder auch Theaterschauspieler mit Wein und Speisen.

Achterinstruktion, 1649 Die Punkte 1-7 regeln u.a. die Aufsicht der Achter über das Rechnungs-, Finanz- und Bauwesen der Stadt

Achterinstruktion, 1649Die Punkte 1-7 regeln u.a. die Aufsicht der Achter über das Rechnungs-, Finanz- und Bauwesen der Stadt

Bis ins 17. Jahrhundert hinein war die Ratsherrschaft in Linz fest verankert. Ratsfamilien wie Salzfaß, Mengelberg, Keller, Eiserfey, Mohr, Zimmermann, Kastenholz, Kessel oder Neuerburg waren untereinander versippt und bestrebt, die städtischen Ämter in ihren Reihen zu halten. Während des Dreißigjährigen Krieges kam es dann aber zu tiefgreifenden Auseinandersetzungen zwischen Rat und Gemeinde. Die Bürger beschwerten sich u.a. über ungleich verteilte Steuerlasten und Missstände in der Finanzverwaltung, denn die Unstimmigkeiten in den Stadtrechnungen häuften sich. Da sich die Proteste auf Dauer nicht ignorieren oder unterdrücken ließen, musste der Rat ab Mitte des 17. Jahrhunderts eine Beteiligung der Bürgerschaft am Stadtregiment und damit eine erste Demokratisierung der Stadtverfassung hinnehmen. 1649 nämlich wurde das Kollegium der Achter gebildet – Sie sehen hier eine Seite aus der von Kurfürst Ferdinand erlassenen Achterinstruktion.

„Policeyordnung“, 1664, Titelseite „Demnach Dero Kurfürstlicher Durchlaucht zu Köllen Herzog Maximilian Henrich […] unterthänigst referiert worden welcher Gestalt in Dero Stadt Linz wegen des Policeywesens vor langen Jahren hero einige Unordnungen und schädlicher Mißbrauch vor und nach eingeschlichen wodurch auch zwischen Bürger-Meister, Scheffen und Rath und der gemeinen Bürgerschaft daselbsten Unei-nigkeiten und Mißtrauen entstanden […]“

„Policeyordnung“, 1664, Titelseite„Demnach Dero Kurfürstlicher Durchlaucht zu Köllen Herzog Maximilian Henrich […] unterthänigst referiert worden welcher Gestalt in Dero Stadt Linz wegen des Policeywesens vor langen Jahren hero einige Unordnungen und schädlicher Mißbrauch vor und nach eingeschlichen wodurch auch zwischen Bürger-Meister, Scheffen und Rath und der gemeinen Bürgerschaft daselbsten Unei-nigkeiten und Mißtrauen entstanden […]“

Das Kollegium bestand – wie der Name schon sagt – aus acht Männern, die die Interessen der gemeinen Bürger vertreten sollten und ein Kontroll- und Mitspracherecht in allen Ratsangelegenheiten hatten. Im Gegensatz zu den Ratsherrn, die ja meist Kaufleute waren, setzte sich das Kollegium der Achter überwiegend aus Handwerkern zusammen. Der Stadtrat, der über drei Jahrhunderte praktisch die Alleinherrschaft inne gehabt hatte, gewährte das Mitspracherecht natürlich nur widerwillig und torpedierte die Achter, wo es nur ging. Da sich auch Beschwerden über die Disziplin der Ratsherrn häuften, musste schließlich auf Bitten beider Parteien Kurfürst Max Heinrich mehrere Gesandte nach Linz schicken, um den Streit zu schlichten. Ergebnis der Verhandlungen war die 1664 erlassene „Policeyordnung“ für Stadt und Kirchspiel Linz – Sie sehen hier die Titelseite – die wichtige Bereiche der Stadtverwaltung und des Zusammenlebens der Bürger neu regelte. U.a. sollte das Rechnungswesen reformiert und gestrafft und die Satzungen der Stadt eingehalten werden. Den Ratsherrn wurden in der Sitzung „ungeziemende“ und aufbrausende Reden bei Strafe von zwei Pfund Wachs verboten. Damit die Sitzungen besser besucht würden, wurden den Ratsherrn vor den jeweiligen Terminen durch den Stadtdiener so genannte „Ratsschilder“ zugestellt, die die Ratsherrn bei Strafandrohung vor der Sitzung wieder beim Bürgermeister abzuliefern hatten.

Bürgermeister Augustin Kastenholz, 1628

Bürgermeister Augustin Kastenholz, 1628

Meine Damen und Herren, die Geschichte des Linzer Stadtrats kommt natürlich an einer Person auf keinen Fall vorbei – Sie sehen ihn hier und kennen ihn alle – Augustin Kastenholz. Das Leben als Ratsherr des Mittelalters und der Frühen Neuzeit war nämlich mitnichten immer so angenehm, wie es auf den ersten Blick scheinen mag – gewählt auf Lebenszeit, stets unter Seinesgleichen, kaum einer Kontrolle unterworfen – denn politische Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen waren in jedem Jahrhundert an der Tagesordnung – genannt seien hier nur die Belagerung der Stadt Linz durch kaiserliche Truppen im Neußer Krieg 1475, die Besetzung im Kölnischen Krieg 1583 und natürlich vor allem auch die Besetzung der Stadt durch die Schweden während des Dreißigjährigen Krieges 1632/33.

Als städtischer Amtsträger sah man sich also wie die übrigen Stadtbewohner auch nicht selten an Leib und Leben bedroht. Im Dreißigjährigen Krieg gipfelte das in der Hinrichtung von Augustin Kastenholz. Kastenholz, Zollschreiber, Schöffe und ehemaliger Bürgermeister, hier in der Stadt und im Ratshaus allgegenwärtig durch den nach ihm benannten Kastenholz-Platz und der Castenholtz-Schule, der Plakette draußen an der Fassade, durch den von ihm gestifteten Altar dort hinten an der Wand und durch sein Porträt – Sie sehen es hier – das Original hängt ein Stockwerk höher. Dieser Augustin Kastenholz also wurde am 22. Februar 1633 von den Schweden auf dem Marktplatz hingerichtet, vermutlich wegen Hochverrat. Der genaue Hintergrund, ist nicht bekannt, möglicherweise hatte er den Bürgermeister von Hönningen vor den anrückenden schwedischen Truppen warnen lassen, vielleicht auch hatte er Truppen zum Entsatz von Linz angefordert. Sein Todesdatum jedenfalls wurde im Bürgerbuch eingetragen, wo er unter den Schöffen und Ratspersonen ab 1618 geführt wird – Sie sehen den Eintrag hier, zusammen mit seiner Frau Katharina Kessel.

Eintrag im Bürgerbuch, 1618 „Augustin Castenholtz und Catharina Kessell. Consul, 1633, d. 22. Februar obiit”

Eintrag im Bürgerbuch, 1618„Augustin Castenholtz und Catharina Kessell. Consul, 1633, d. 22. Februar obiit”

Rat und Achter wuchsen im Verlauf der Zeit immer stärker zusammen. Die Achter wurden nämlich nicht von der Bürgerschaft gewählt, so weit sollte die Demokratisierung dann auch wieder nicht gehen – sondern vom Rat! Zwar schlugen die übrigen Achter dem Stadtrat bei der Neuwahl eines Achtermitglieds einen Kandidaten nach ihrem Gusto vor, aber der Rat war natürlich bestrebt, die Achter-Wahlen stets so zu regeln, dass seine Kreise nicht durch ungeeignete oder unerwünschte Angehörige der bürgerlichen Schichten gestört wurde. Da es jedoch bald üblich wurde, dass neue Ratsherrn aus dem Achterkollegium ausgewählt wurden, bildete sich mit der Zeit ein Kreislauf. Das Achteramt entwickelte sich zum Aufstiegsamt in den Rat, und die Achter waren in ihrer ursprünglichen Rolle als Kontrollorgan nicht mehr zu erkennen. Vielmehr bildeten Rat und Achter die neue Führungsschicht innerhalb der Bürgerschaft und an den ursprünglich angeprangerten Missständen änderte sich nur wenig. Die geringe Fluktuation innerhalb der Verwaltung zeigt die Ratsliste von 1769 ganz deutlich: die ersten sieben – also die Schöffen – führten alle den Bürgermeistertitel, die zweiten sieben – die Räte – den Baumeistertitel. Alle saßen also schon längere Zeit im Magistrat und hatten die jeweiligen Funktionsämter durchlaufen. Wie Sie an den Namen sehen, saßen im Rat jetzt im 18. Jahrhundert allerdings nicht mehr nur Angehörige der bekannten Ratsfamilien des 15. und 16. Jahrhunderts. Hier hatte ein Wechsel stattgefunden, der vielleicht auch auf die Durchmischung mit den Achtern zurückzuführen ist.

Ratsliste, 1769

Ratsliste, 1769

Zum Ende des 18. Jahrhunderts waren dann auch in Linz die Auswirkungen der Französischen Revolution zu spüren. Es waren allerdings nicht die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die in der Stadt Resonanz fanden, vielmehr litt die Stadtbevölkerung in den Jahren 1796 und 1797 im Zuge der Revolutionskriege – mal wieder – unter der Besatzung durchziehender Truppen. Diese forderten horrende Geld- und Sachleistungen, und der Stadtrat war bemüht, die Forderungen durch Bestechung der zuständigen französischen Heeresverwaltungsbeamten zumindest abzumildern, was auch öfters – wenn auch nicht immer – gelang.

Das 19. Jahrhundert bescherte der Stadt dann nach einigen Jahren unter nassauischer Regierung nicht nur den Übergang an Preußen und die Bildung des Kreises Linz, wenn auch nur für wenige Jahre, sondern auch einen weiteren kleinen Schritt hin zu einer Demokratisierung innerhalb der Stadtverwaltung. Denn die Stadträte wurden seit der Gemeindeordnung von 1845 erstmals von der Bevölkerung gewählt. Allerdings waren sie dadurch nach wie vor kein demokratisches Gremium, da nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht gewählt wurde, das das Wahlrecht an das Steueraufkommen band, wodurch nur ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung wahlberechtigt war. In Linz waren 1846 nur gut sechs Prozent der Einwohnerschaft wahlberechtigt, 1871 sieben Prozent und 1913 knapp 15 Prozent. Wir sehen hier die erste Seite des Wählerverzeichnisses von 1856. In der Klasse 1 der „Meistbeerbten“, wie es hieß, finden sich bekannte Namen wie Rhodius, Cahn oder Mayer, allesamt Fabrikantenfamilien, oder auch Salm-Kyrburg oder von Rolshausen. Die Wähler wurden anlässlich einer Wahl ins Rathaus geladen und durften dort für einen ihrer Klasse zugeteilten Kandidaten stimmen. Wie wir sehen, wurden die Namen der Gewählten offensichtlich jeweils gleich hinter den Namen des Wählers eingetragen, weshalb von einer geheimen Wahl nicht die Rede sein kann.

Liste der Meistbeerbten, 1856

Liste der Meistbeerbten, 1856

In der Mitte des 19. Jahrhunderts dann wurde Linz auch von der deutschen Märzrevolution erfasst, und Bürgermeister und Stadtrat setzten sich an die Spitze der Bewegung. Nach dem Verlust der kurkölnischen Privilegien wie dem Rheinzoll und von Verwaltungsbehörden und dem daraus resultierenden Niedergang von Handel, Handwerk und Gewerbe war zu dieser Zeit in der Stadt ohnehin eine allgemeine Katastrophenstimmung spürbar. Es kam während der Märzrevolution in Linz zu revolutionären Umtrieben, der preußische Adler wurde vom Rathaus abmontiert und in Volksversammlungen machte sich Unzufriedenheit Luft. Bürgermeister Franz Stephan Christmann richtete nach dem Vorbild Kölns und anderer rheinischer Städte eine Eingabe an den preußischen König, in der u.a. Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Ausdehnung des aktiven Wahlrechts und Gleichheit vor dem Gesetz gefordert wurde. Da diese Forderungen einigen Linzer Politikern zu weit gingen, kam es in der Stadtverwaltung zu Aufruhr, man versuchte, den Bürgermeister abzusetzen, und viele Stadtratsmitglieder blieben den Sitzungen fern. Doch schon im November 1848 war die deutsche Revolution gescheitert und auch in Linz kehrte wieder Ruhe ein.

Mitglieder der Stadtverwaltung, 1920er Jahre

Mitglieder der Stadtverwaltung, 1920er Jahre

Meine Damen und Herren, wir sind am Beginn des 20. Jahrhunderts angelangt. Aus dieser Zeit stammt das erste Foto von Mitgliedern der Linzer Stadtverwaltung, in der Mitte Bürgermeister Dr. Paul Pieper, und ich finde, dass sich an den ernsten Mienen schon erkennen lässt, welche Verantwortung auf den Schultern dieser Männer lastete. Denn diese Stadtregierung hatte in den zehn Jahren zuvor – das Bild wurde etwa 1925 aufgenommen – nicht weniger als die Auswirkungen eines Weltkriegs – des Ersten Weltkriegs – auf die Stadt Linz bewältigen müssen, mit Mangelwirtschaft, Hunger und dem täglich Kampf ums Überleben, die Nachkriegszeit mit der Besetzung durch französische Truppen, den Einmarsch der Separatisten und schließlich Wirtschaftskrise und Hyperinflation. Immerhin wurde nach dem Übergang von der Monarchie zur Republik 1919 deutschlandweit nun endlich auch ein allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht eingeführt, das auch für Frauen galt.

Doch diese Freiheit währte nur ein gutes Jahrzehnt, denn die der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 folgende Gleichschaltung traf Ende 1933 auch das Linzer Stadtparlament. Seit den letzten freien Stadtverordnetenwahlen vom März 1933 bestand der Stadtrat aus neun Angehörigen der Zentrumspartei und jeweils vier von Bürgerliste und NSDAP. Durch das Gemeindeverfassungsgesetz vom 15. Dezember 1933 wurden diese gewählten Stadtverordneten durch Ratsherrn ersetzt, die auf Vorschlag der Gauleitung der NSDAP berufen und auf Adolf Hitler vereidigt wurden. Der Stadtrat wurde dadurch zu einem bloßen Beratergremium des Bürgermeisters herabgewürdigt und es gab keine freien kommunalpolitischen Entscheidungen mehr.

Protokoll der Stadtverordnetensitzung vom 7. Oktober 1945

Protokoll der Stadtverordnetensitzung vom 7. Oktober 1945

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde eine neue politische Ordnung geschaffen. Die unter alliierter Besatzung neu gebildete Stadtverwaltung musste sich in den ersten Nachkriegsjahren vor allem der Organisation des Lebensnotwendigen widmen, denn die Ernährungslage in der Stadt war äußerst kritisch und es drohte eine Hungerkatastrophe. So lautete denn auch der erste Tagesordnungspunkt der ersten aufgezeichneten Stadtverordnetenversammlung nach dem Krieg von 7. Oktober 1945 – Sie sehen es hier -: „Bericht des Vorsitzenden über die allgemeine wirtschaftliche und finanzielle Lage der Stadt Linz“. Und auch Frauen engagierten sich jetzt in der Kommunalpolitik, denken wir nur an Else Missong-Peerenboom – die Stadt Linz hat kürzlich an sie erinnert – oder auch Liesel Kretz oder Gertrud Grefrath, die bereits in den ersten Nachkriegsjahren im Stadtrat saßen.

Der Linzer Stadtrat vereinte jetzt Bürger aller Schichten und Berufsgruppen. Die Kommunalwahlen vom 14. Dezember 1948 beispielsweise brachten für die CDU mit Ferdinand Nitzgen einen Arbeiter, Peter Frings einen Gärtnermeister, Dr. Franz-Josef Wuermeling einen Staatssekretär, Peter Paffhausen einen Magazinverwalter, Peter Rechmann einen Klempner, Franz Wald einen Gastwirt, Gertrud Grefrath eine Hausfrau, Andreas Heim einen Oberstudiendirektor, Karl Müllenstädt einen Kaufmann und Peter Meyer einen Lokführer in den Stadtrat. Die SPD stellte mit Johann Bündgen einen Küfer, Heinrich Ries einen Uhrmacher, Theo Lück einen Angestellten und Josef Herz einen Schmied. Die DDP entsandte mit Matthias Oellig einen Bauunternehmer, Josef Houben einen Kaufmann, Hubert Dütz einen Gastwirt und mit Karl Aufdermauer und Severin Schoop jeweils einen Gärtnermeister in den Stadtrat. Nach 700 Jahren ist das Linzer Stadtparlament also endlich in jeder Hinsicht zu einem demokratischen Gremium geworden.

Empfang von Raissa Gorbatschowa und Hannelore Kohl, 9. November 1990

Empfang von Raissa Gorbatschowa und Hannelore Kohl, 9. November 1990

Meine Damen und Herren, am Schluss meines Vortrags schlage ich noch einmal den Bogen zu unserem heute frisch gekührten Ehrenbürger Adi Buchwald. Sie sehen ihn hier noch ganz zu Beginn seiner Amtszeit am 9. November 1990 mit Raissa Gorbatschowa (links) und Hannelore Kohl beim „Damenprogramm“ in Linz, derweil der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow und Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn den “Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit” unterzeichneten. Ein wahrhaft historisches Datum also. Durch die zahlreichen Staatsgäste, die Linz während der Bonner Republik besuchten, war die Stadt in diesen Jahrzehnten praktisch immer in enger Tuchfühlung mit der internationalen Politik.

Zu den vielen Verdiensten von Adi Buchwald um die Stadt, von denen wir heute schon gehört haben, zählen auch sein Engagement für die Stadtgeschichte und das Stadtarchiv. Er ist jedem stadtgeschichtlichen Projekt stets offen und interessiert begegnet und hat die Realisierung umstandslos ermöglicht – ich erinnere hier nur an die beiden großen Ausstellung zum Joseph-von-Keller-Jubiläum 2011 und zum Ersten Weltkrieg in diesem Jahr, die ja zu echten Erfolgsgeschichten wurden. Ich schließe ich mich also den Gratulanten an und bin froh, dass ich mit Ihnen, lieber Herr Buchwald, so lange und so gut zusammen arbeiten durfte. Und wenn ich heute hier als Chronistin der Stadtgeschichte auftrete, dann kann ich guten Gewissens konstatieren: Sie haben sich auch mit Ihrer nachhaltigen Kulturarbeit einen so festen wie prominenten Platz in der langen und reichen Geschichte unserer Stadt erarbeitet. Ihnen, Ihrem Nachfolger Herrn Dr. Faust, dem Stadtrat und allen Zuhörern heute wünsche ich nun einen schönen Abschluss auf der Kirmes. Für Fragen stehe ich hier und auch später natürlich gerne zur Verfügung. Meine Damen und Herren – ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Quelle: http://archivlinz.hypotheses.org/300

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Wie alt ist die Priamel “Hette ich Venediger macht”?

Worauf sich der Nürnberger Freiherr von Kreß in einer bayerischen Parlamentsdebatte 1831 bezog, ist eine in der Frühen Neuzeit weit verbreitete Spruchweisheit in Form einer Priamel.1) Es ist alles andere als trivial, zu diesem viel zitierten Spruch eine wissenschaftliche Erörterung aufzufinden. Auch mit Hilfe der elektronischen Volltextsuchen stößt man nur mit viel Glück auf die Ausführungen von Karl Steiff und Gebhard Mehring in ihren “Geschichtliche Lieder und Sprüche Württembergs” (1912, S. 71-74 Nr. 21 – online Wikimedia Commons).

Steiff/Mehring edierten drei Versionen, wobei jede Version verschiedene Schlussvarianten aufwies. Als älteste Überlieferung wurde von ihnen Christoph Lehmanns Florilegium Politicum auctum von 1662 entnommen, wo es am Ende heißt: “were ich Herr der gantzen Welt” (Digitalisat). Eindeutige Anspielungen auf den Spruch fanden sie aber schon in einem Ereignislied aus dem Dreißigjährigen Krieg um 1620, und in einem Dialog von 1628 wird der Spruch als “Sprichwort” angesprochen.

Mit Google Books findet man ältere Belege. Etwas jünger als Lehmann sind die Iocoseria eines Hilarius 1659 (VD 17; Digitalisat) ohne Schluss-Satz. Um 1625 notierte sich ein Straßburger Bürger die Verse, wobei er das “Braunschweiger Veldt” ergänzte (Abdruck). In das Ende des 16. Jahrhunderts kommt man zurück mit einer Danziger Handschrift (Katalog), wobei der Kontext auf eine Niederschrift nicht nach 1594 deutet:

Hett ich der Venediger Macht
Und der Augsburger Pracht
Nürnberger Witz
Strasburger Geschütz
Und der Ulmer Geld
So were ich der reichst in der Welt.

Die älteste mir bekannte Überlieferung stammt aus einer Basler Musikhandschrift von 1591, die online eingesehen werden kann.2 Sie enthält noch weitere Zeilen über Schweizer Verhältnisse.

Ausgeschlossen ist es nicht, dass noch ältere Belege auftauchen. Aber die Argumentation, mit der Steiff/Mehring ihre Datierung um 1500 begründen, leuchtet mir nicht ein. Wenn in einem württembergischen Spruch von 1520 von Ulmer Gold die Rede ist, so ist es alles andere als zweifelsfrei, dass eine Anspielung auf die hier besprochene Priamel vorliegt. Ein Blick in Google Books zeigt, dass “Ulmer Gold” ein feststehender Begriff war. Er konnte auch ohne Rückgriff auf den Spruch als Metapher für die finanzielle Potenz der Reichsstadt Ulm gebraucht werden. Ein anderer Spruch aus dem Lager Herzog Ulrichs reimte 1519:

“Nürnberg hübsch metzger macht
der weber von Augspurg treibt den pracht”

Auch hier drängt sich meiner Meinung nach nicht auf, dass die Formulierung die Priamel voraussetzt. Denkbar ist auch, dass eine frühere Fassung mit dem Reim Macht/Pracht als Zwischenglied zwischen der weitverbreiteten jüngeren Version und der Priamel Nürnbergischer Provenienz “Hett ich des keisers weib” aus dem 15. Jahrhundert, die als Vorbild des jüngeren Spruchs gelten kann, anzunehmen ist.3

Was hat man zu beachten, wenn man den Spruch als Geschichtsquelle auswerten möchte?

Zunächst sollte man die Datierung um 1500 nicht übernehmen, sondern vorsichtiger deutlich machen, dass die Priamel erst am Ende des 16. Jahrhunderts erstmals belegt ist.

Es liegt auf der Hand, dass man je nach angenommener Entstehungszeit geneigt ist, den historischen Kontext ganz unterschiedlich zu beurteilen. Um 1500 passt der Spruch prima, während hundert Jahre später schon das Konzept (oder soll man sagen: Klischee?) “Niedergang der Städte” allzu nahe liegt. Schon Lieder des 17. Jahrhunderts (von 1681) haben den Spruch mit der aus ihrer Sicht abweicheneden Wirklichkeit konfrontiert (Steiff/Mehring S. 72 nach Ditfurth). Unabhängig von seinem Wirklichkeitsgehalt war der Spruch bis ins 19. Jahrhundert äußerst beliebt4, wozu sicher auch die Drucküberlieferung beitrug. In den Materialien von Siebenkees 1792 ist von dem “bekannten schon hundertmahl gedruckten Verschen” die Rede.

Der Spruch betont – zugrundegelegt ist die Fassung der Danziger Handschrift – die finanzielle Potenz der oberdeutschen Reichsstädte Nürnberg, Augsburg, Ulm und Straßburg, die mit der machtvollen Serenissima verglichen werden. Bei Ulm steht das Kapitalvermögen im Vordergrund, was aber nicht so verstanden werden darf, dass der Autor die anderen Städte in ihrer finanziellen Leistungskraft abwerten will. Die Erwähnung der Nürnberger Innovationskraft (der Nürnberger Witz hat einen eigenen Wikipedia-Artikel), des Augsburger Luxus und des Straßburger Geschütze-Exports (der erst mit den Burgunderkriegen begann, so Steiff-Mehring) unterstreicht den abschließend (“were ich der reichst”) thematisierten Aspekt sehr großen Reichtums. Als zeitgenössische Wahrnehmung der frühkapitalistischen Macht der oberdeutschen Städte-Republiken wird die Priamel ja noch heute im wissenschaftlichen Diskurs gern zur Veranschaulichung eingesetzt.

  1. Zu Priameln siehe die Beispiele in Archivalia, zur hier besprochenen: http://archiv.twoday.net/stories/948987942/ (mit weiteren Nachweisen
  2. e-manuscripta.ch. Zur Handschrift F IX 70 siehe den Google-Schnipsel aus dem Katalog der Musikhandschriften 1988 und den Handschriftenkatalog.
  3. Siehe etwa das Katalogisat von Werner Hoffmann: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/projekt-Dresden-pdfs/M%2042.pdf
  4. Siehe auch Wander und Plaut.

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1782

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Wie alt ist die Priamel “Hette ich Venediger macht”?

Worauf sich der Nürnberger Freiherr von Kreß in einer bayerischen Parlamentsdebatte 1831 bezog, ist eine in der Frühen Neuzeit weit verbreitete Spruchweisheit in Form einer Priamel.1) Es ist alles andere als trivial, zu diesem viel zitierten Spruch eine wissenschaftliche Erörterung aufzufinden. Auch mit Hilfe der elektronischen Volltextsuchen stößt man nur mit viel Glück auf die Ausführungen von Karl Steiff und Gebhard Mehring in ihren “Geschichtliche Lieder und Sprüche Württembergs” (1912, S. 71-74 Nr. 21 – online Wikimedia Commons).

Steiff/Mehring edierten drei Versionen, wobei jede Version verschiedene Schlussvarianten aufwies. Als älteste Überlieferung wurde von ihnen Christoph Lehmanns Florilegium Politicum auctum von 1662 entnommen, wo es am Ende heißt: “were ich Herr der gantzen Welt” (Digitalisat). Eindeutige Anspielungen auf den Spruch fanden sie aber schon in einem Ereignislied aus dem Dreißigjährigen Krieg um 1620, und in einem Dialog von 1628 wird der Spruch als “Sprichwort” angesprochen.

Mit Google Books findet man ältere Belege. Etwas jünger als Lehmann sind die Iocoseria eines Hilarius 1659 (VD 17; Digitalisat) ohne Schluss-Satz. Um 1625 notierte sich ein Straßburger Bürger die Verse, wobei er das “Braunschweiger Veldt” ergänzte (Abdruck). In das Ende des 16. Jahrhunderts kommt man zurück mit einer Danziger Handschrift (Katalog), wobei der Kontext auf eine Niederschrift nicht nach 1594 deutet:

Hett ich der Venediger Macht
Und der Augsburger Pracht
Nürnberger Witz
Strasburger Geschütz
Und der Ulmer Geld
So were ich der reichst in der Welt.

Die älteste mir bekannte Überlieferung stammt aus einer Basler Musikhandschrift von 1591, die online eingesehen werden kann.2 Sie enthält noch weitere Zeilen über Schweizer Verhältnisse.

Ausgeschlossen ist es nicht, dass noch ältere Belege auftauchen. Aber die Argumentation, mit der Steiff/Mehring ihre Datierung um 1500 begründen, leuchtet mir nicht ein. Wenn in einem württembergischen Spruch von 1520 von Ulmer Gold die Rede ist, so ist es alles andere als zweifelsfrei, dass eine Anspielung auf die hier besprochene Priamel vorliegt. Ein Blick in Google Books zeigt, dass “Ulmer Gold” ein feststehender Begriff war. Er konnte auch ohne Rückgriff auf den Spruch als Metapher für die finanzielle Potenz der Reichsstadt Ulm gebraucht werden. Ein anderer Spruch aus dem Lager Herzog Ulrichs reimte 1519:

“Nürnberg hübsch metzger macht
der weber von Augspurg treibt den pracht”

Auch hier drängt sich meiner Meinung nach nicht auf, dass die Formulierung die Priamel voraussetzt. Denkbar ist auch, dass eine frühere Fassung mit dem Reim Macht/Pracht als Zwischenglied zwischen der weitverbreiteten jüngeren Version und der Priamel Nürnbergischer Provenienz “Hett ich des keisers weib” aus dem 15. Jahrhundert, die als Vorbild des jüngeren Spruchs gelten kann, anzunehmen ist.3

Was hat man zu beachten, wenn man den Spruch als Geschichtsquelle auswerten möchte?

Zunächst sollte man die Datierung um 1500 nicht übernehmen, sondern vorsichtiger deutlich machen, dass die Priamel erst am Ende des 16. Jahrhunderts erstmals belegt ist.

Es liegt auf der Hand, dass man je nach angenommener Entstehungszeit geneigt ist, den historischen Kontext ganz unterschiedlich zu beurteilen. Um 1500 passt der Spruch prima, während hundert Jahre später schon das Konzept (oder soll man sagen: Klischee?) “Niedergang der Städte” allzu nahe liegt. Schon Lieder des 17. Jahrhunderts (von 1681) haben den Spruch mit der aus ihrer Sicht abweicheneden Wirklichkeit konfrontiert (Steiff/Mehring S. 72 nach Ditfurth). Unabhängig von seinem Wirklichkeitsgehalt war der Spruch bis ins 19. Jahrhundert äußerst beliebt4, wozu sicher auch die Drucküberlieferung beitrug. In den Materialien von Siebenkees 1792 ist von dem “bekannten schon hundertmahl gedruckten Verschen” die Rede.

Der Spruch betont – zugrundegelegt ist die Fassung der Danziger Handschrift – die finanzielle Potenz der oberdeutschen Reichsstädte Nürnberg, Augsburg, Ulm und Straßburg, die mit der machtvollen Serenissima verglichen werden. Bei Ulm steht das Kapitalvermögen im Vordergrund, was aber nicht so verstanden werden darf, dass der Autor die anderen Städte in ihrer finanziellen Leistungskraft abwerten will. Die Erwähnung der Nürnberger Innovationskraft (der Nürnberger Witz hat einen eigenen Wikipedia-Artikel), des Augsburger Luxus und des Straßburger Geschütze-Exports (der erst mit den Burgunderkriegen begann, so Steiff-Mehring) unterstreicht den abschließend (“were ich der reichst”) thematisierten Aspekt sehr großen Reichtums. Als zeitgenössische Wahrnehmung der frühkapitalistischen Macht der oberdeutschen Städte-Republiken wird die Priamel ja noch heute im wissenschaftlichen Diskurs gern zur Veranschaulichung eingesetzt.

  1. Zu Priameln siehe die Beispiele in Archivalia, zur hier besprochenen: http://archiv.twoday.net/stories/948987942/ (mit weiteren Nachweisen
  2. e-manuscripta.ch. Zur Handschrift F IX 70 siehe den Google-Schnipsel aus dem Katalog der Musikhandschriften 1988 und den Handschriftenkatalog.
  3. Siehe etwa das Katalogisat von Werner Hoffmann: http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/projekt-Dresden-pdfs/M%2042.pdf
  4. Siehe auch Wander und Plaut.

Quelle: http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1782

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100. Todestag des Chemikers Walther Feld

Die Chemische Fabrik Hönningen auf einer zeitgenössischen Postkarte (Mitte)

Die Chemische Fabrik Hönningen auf einer zeitgenössischen Postkarte (Mitte)

Vor gut 100 Jahren, am 15. März 1914, starb der bedeutende Chemiker Walther Feld, Begründer der chemischen Industrie in Hönningen und wohnhaft in Linz am Rhein. Walther Feld wurde am 4. November 1862 in Neuwied als Sohn eines Arztes geboren. Schon als Jugendlicher bereiste er das Ausland und bestand schließlich in Zürich das Abitur mit Auszeichnung. Sein dort begonnenes Studium führte ihn über Stationen in Leipzig und München schließlich nach Berlin. Zurück am heimischen Mittel-rhein, machte sich Walther Feld die hiesigen Vorkommen der natürlichen Kohlensäure und des Schwerspats zu Nutze. Er gründete 1890 eine chemische Fabrik in Hönningen und stellte dort aus diesen beiden Rohstoffen nach dem von ihm entwickelten Feldschen Verfahren Bariumkarbonat her. Hierdurch machte Feld nicht nur die deutsche Produktion der weißen Mineralfarbe (Blanc fixe) unabhängig vom Import des englischen Witherits, was von großem volkswirt- schaftlichem Interesse war, sondern begünstigte auch die aufstrebende mittelrheinische Kohlensäureindustrie. Das in Hönningen gewonnene Bariumkarbonat fand auch in anderen Industrien Verwendung, etwa der Töpferei-, Ziegel- und Glasindustrie, oder bei der Produktion des Bleichmittels Wasserstoffsuperoxyd.

Die ehemalige "Villa Feld", 2014

Die ehemalige “Villa Feld”, 2014

Walther Feld ließ sich in Linz nieder und bewohnte mit seiner Familie, Ehefrau Helena Maria, Sohn Günther Walther und Tochter Erika Magdalena, die „Villa Feld“ an der Bendorf-Unkeler-Straße, heute Linzhausenstraße 10. 1896 legte er die Leitung seiner Fabrik nieder, die 1900 den Namen „Chemische Fabrik Hönningen, vormals Walther Feld & Co. AG“ annahm (später Kali-Chemie AG, seit 1992 Solvay GmbH). 1904 gründete Feld in Hönningen die Barium-Oxyd-GmbH, die als Ausgangsprodukt das Bariumkarbonat von der ursprünglich Feldschen Fabrik bezog. Ab 1908 lebte Feld für einige Jahre in Zehlendorf bei Berlin, meldete 1913 dann aber ein „Gasabteilung GmbH“ genanntes Unternehmen in Linz an.

Die Reinigung und Aufbereitung von Gasen und Dämpfen war ein weiterer Schwerpunkt der Forschungen Walther Felds. Vor allem die Erzeuger von Leuchtgas, denen zu Beginn des 20. Jahrhunderts Konkurrenz durch die Verbreitung des elektrischen Lichts erwuchs, war an einer möglichst vollständigen und dabei kostengünstigen Beseitigung aller die Leuchtkraft beeinträchtigenden Verunreinigungen gelegen. Feld entwickelte Methoden, die nicht nur die Kohlengase reinigten, sondern außerdem auch die ursprünglich als lästige Verunreinigungen angesehenen Bestandteile der Kohle zu wertvollen Endprodukten wie z.B. Kunstdünger aufarbeiteten. Erfindungen wie der Feldsche Gaswäscher wurden in Unternehmen wie der BASF mit großem Erfolg eingesetzt, das Feld-Verfahren in großen deutschen und auch internationalen Kokereien und Gasanstalten angewandt.

Todesanzeige Feld
Todesanzeige Feld
Todesanzeige Feld

Unmittelbar vor Vollendung seines wichtigsten Projekts, der Aufbereitung der Teerbestandteile und des Ammoniaks aus Kohlengasen, und nur wenige Wochen vor der Inbetriebnahme der ersten großen Anlage zu diesem Zweck nach seinen Plänen auf der Zeche Sterkrade der Gutehoffnungshütte, starb Walther Feld im Alter von nur 51 Jahren am 15. März 1914. Er wurde auf dem evangelischen Friedhof in Linz am Rhein beigesetzt, wo sein Grab bis heute erhalten ist. Die zeitgenössische Fachliteratur bedauert den Verlust eines kritischen und weitblickenden Forschergeistes, besonders auch vor dem Hintergrund des wenige Monate später ausbrechenden Ersten Weltkriegs, denn die Gebiete, auf die Walther Felds Tätigkeit sich konzentriert hatte, sollten zu den lebenswichtigen Zweigen der deutschen Kriegswirtschaft gehören.

Porträt Walther Felds auf seinem Grabstein
Das Grab Walther Felds auf dem evangelischen Friedhof in Linz, 2014

Quelle: http://archivlinz.hypotheses.org/253

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Quellen zur Geschichte der St. Sebastianus Schützenbruderschaft Linz

Notariatsinstrument des Johannes Hess, 1480

Notariatsinstrument des Johannes Hess, 1480

Obwohl die schriftliche Überlieferung erst im 15. Jahrhundert einsetzt, ist zu vermuten, dass spätestens Mitte des 14. Jahrhunderts Bruderschaften in Linz bestanden haben. Nicht selten kam es vor, dass eine oder mehrere Bruderschaften in einem Testament bedacht wurden. Diesem Umstand ist auch die erste schriftliche Erwähnung der Sebastianusbruderschaft zu verdanken, denn der Linzer Bürger Johannes Schmitz vermachte im Jahr 1480 je 12 Weißpfennig ad fraternitatem corporis Christi, ad fraternitatem spiritus sancti und ad fraternitatem sancti Sebastiani. Die Marienbruderschaft soll vier Sester Weizen erhalten (Notariatsinstrument des Johannes Hess de Linß, Pergament, ca. 42 x 27 cm, Signatur: StAL Urk. Nr. 82). Handelte es sich bei der Marien-, der Corpus-Christi- und der Heilig-Geist-Bruderschaft um geistliche Laiengemeinschaften, ist der heilige Sebastian traditionell der Patron der Schützen, die durch regelmäßiges Üben erfahren im Umgang mit Armbrust und Feuerwaffe wichtiger Bestandteil der städtischen Verteidigung waren. 1533 zählte die Bruderschaft mehr als 100 Mitglieder, die jährlich uff sent Sebastianij dagh (20. Januar) zwei neue Brudermeister wählten, denen die Verwaltung der Finanzen übertragen wurde.
Bruderschaftsbuch der Sebastianer, 1489
Bruderschaftsbuch, Eintrag von 1494

Das Bruderschaftsbuch der Schützen, ein in braunes Leder gebundenes Schmalfolioheft aus knapp 70 Papierbögen, dessen stark beschädigten und abgegriffenen Umschlag u.a verblasste Zeichnungen von (gekreuzten) Pfeilen, einer Armbrust sowie dem Linzer Stadtwappen zieren (Signatur: StAL K 12) gibt des Weiteren Auskunft über die offensichtlich bereits lange Tradition des Vogelschießens, denn 1494 erwähnt das Buch, daß man de papagey na aldem herrkommen geschossen hat.

1601 gibt sich die eine geraume Zeitt hero Wegen des Collnischen Kriegs hinderpliebene lobliche Schützengesellschaft neue Statuten, die in einem eigens dafür begonnenen Buch (Signatur StAL K 13) niedergeschrieben sind. Der 155 Papierseiten starke ledergebundene Band von ca. 20 x 15 cm beginnt mit einer Auflistung abgestorbener und noch lebender Schützennahmen zugleich. Folgens der abgestorbener alleine, dern selen gott gnade. Dan zum drittenn der noch lebender und zukommender nahmen, wonach die Bruderschaft 1613 gut 70 Mitglieder hatte, darunter der Amtmann, der Schultheiß, Schöffen, der Bürgermeister und zahlreiche Ratsverwandte sowie Zöllner und Zollschreiber. Die anschließende Schützenordnüngh regelt zunächst in acht Punkten den Ablauf des Bruderschaftsmahls, dem sogenannten braden essen, bei dem neben Braten aufgefahren werden sollte ein hammels Pastell, Salat, Botter, Keeß, ein Roghenbroth und Was an Obs Zeittigh Und zu bekommen.

Bruderschaftsbuch und Schützenbuch der Sebastianer 1601-1733 (rechts), jeweils vor der Restaurierung
Schützenbuch, Einträge um das Jahr 1620
Schützenordnung

Ähnlich üppig war das Mahl, das der neue Schützenkönig nach dem Ausschießen am Fronleichnamstag ausrichten musste, wobei sich jeder Schütze mit ½ Reichstaler an den Auslagen beteiligte: Wein 3 Ohmen, Weiß und Roghenbrodtt, Fleisch gereuchett 4 Pfund, Schinkenn 4 Pfund, Gronfleisch 50 Pfund. Die Stange (bezeichnet als Rute: Rodt) mit dem Vogel wurde am Leetor aufgerichtet, unter dem Tor empfing der König seine Insignien, die aus einem angeblich 1577 von Schützenkönig Freiherr Wolff Metternich dotierten silbernen Vogel, einem goldenen Schild und zahlreichen silbernen Königsschilden bestand. So heißt es im Schützenbuch beispielsweise: Anno 1655 den 19 Maij Zwischen 3 undt 4 Uhren nachmittags ist der Vogell von Johannes Reidt perfect und volkommen mit der armbröst herunder geschossen, undt darauff ihme der Silbere Vogell von abgestandenen Königen, welcher ohne den Krämpen und den guldenen viereckigen schildt in Sieben undt Viertzigs stuck bestanden, alten Brauch nach von denen Loblichen Schützenbruderen under der Lewen pforten extradirt undt uberliebert worden. Die Zahl der Schilde schwankte, da nicht selten einige von ihnen verkauft wurden, um die Kasse der Bruderschaft aufzustocken, oder dem Wirt als Pfand für ein noch nicht bezahltes Gelage dienten.

Schützenkette der Sebastianer - Königsschild

Schützenkette der Sebastianer – Königsschild

Heute besteht die Schützenkette (Depositum im Stadtarchiv Linz) aus einem ca. 180 cm langen und 14 cm breiten Bandelier aus schwarzem Leder, das auf der Innenseite z.T. mit Stoff ausgebessert ist. Daran hängt der Vogel mit aufgestelltem linken Flügel (der rechte Flügel fehlt), um den Hals eine goldfarbene Krone, an den Schnabel gehängt eine Armbrust. Den Ast, auf dem der Vogel sitzt, ziert vorne eine ebenfalls goldfarbene Figur des hl. Sebastian. An den Schwanzfedern hängen zwei identische Medaillons, die vorne den hl. Sebastian und die Umschrift DER HEILIGE SEBASTIANUS und hinten das Linzer Stadtwappen sowie die Umschrift *ST. SEBASTIANUS BRUDER & SCHÜTZENGESELLSCHAFT IN LINZ A RH. tragen.

Ein vormals an der dritten, vorderen Öse befestigtes Stadtwappenschild fehlt. Auf dem Bandelier befestigt sind 37 größtenteils silberne Königsschilder beginnend mit dem Jahr 1824 sowie ein älteres großes Schild von ca. 25 x 21 cm Größe, das die Namen der verstorbenen Könige von 1578 bis 1714 trägt: Nomina Regum Defunctorum Ex Confraternitate Sancti Sebastiani Linty Ad Rhenum = 1578 = Johannes Freiling Zollschr. 1583 = Johannes Zimmermann Senat. 1601 = Peter Voitz. 1602 = Johannes Theod. Mohr Zöllner. 1603 = Johannes Klinckhammer. 1604 = Johannes von Dillenburgh. 1605 = Wilhelmus Bramhaes. 1606 = Jacob Reichman. 1607 = Bernardus Odendahl Senat. 1608 Et 18 = Johannes Naes. 1609 = Goderied Saltzfas Prät. 1611 = Pet. Hohn. 1612 Et 13 = Christian Kessel Cons. 1614 = Adamus Wolff. 1617 = Jacob Reichman. 1620 = Theod. Thynnen. 1624 = Herm. Saltzfas. 1631 = Henr. Simonis Senat. 1641 = Peter Deutz Nachgän. 1653 = Sebastian Hilberath. 1654 = Bernard Muller. 1655 Et 58 = Johannes Reidt Cons. 1650 = Johannes Bernart. 1668 = Hubert Giesen. 1669 Et 70 = Michael Krade. 1671 = Theod. Weinreichs. 1680 = Johannes Hartman. 1681 = Henr. Hartman. 1682 = Marcus Ignat. Flocker Vice Satrap. 1683 = Adam Hoffman Senat. 1684 = Michael Urmacher. 1686 = Max Henr. Bielstein Canon. 1697 = Arnold Path. 1698 = Henr. Becker. 1699 Et 70 = Castenholtz Licent. 1701 = Herm. Wiffel. 1708 = Johannes Zundorff. 1710 = Wolffgang Esch. 1714 = Henr. Wilhelmi Senat.

Vogel der Schützenkette

Vogel der Schützenkette

Auf der Vorderseite des Bandeliers befinden sich über und unter der eben erwähnten Platte folgende Königsschilder: Jos Hoffmann – König bei die Schützen zu Linz 1829; nachträglich eingraviert: und sein Sohn Georg Hoffmann 1898 Franz Conrads Chirurgus und Jagdliebhaber alt 72 Jahre wurde Schützenkönig bei der Schützengesellschaft in Linz am Rhein 1835 (Schild ähnelt der Form eines Eisernes Kreuzes) Johann Zimmermann Bierbrauer und Beckermeister wurde König bei der Schützengesellschaft zu Linz am Rhein 1825Anno 1824 Rex Georg Eiberwisser Architectus LinzensisSchützenkönig H. P. Bondong 1964-65 1973-74 1991-92 (Schild in Form eines Posthorns) ● Joh. Gottfr. Sterl in Linz 1831 (Schild in Form einer Taschenuhr mit eingraviertem Zifferblatt) ● Schützenkönig 1929 Peter Rechmann genannt (Schild im Form eines Eimers) ● Schützenkönig Andreas Siebertz 1982-83 (Schild mit Kranz und Krone) ● Bürgermeister Willibrord Thiesen Präfect der St. Sebastianus Bruderschaft zu Linz am Rheine 1857 – Vogelkönige: Josef Münch 1857, Peter Josef Wirtz 1858, Wilhelm Heckner 1899, Heinrich Vogt 1900, J. J. Nußbaum 1901 Hammer bei Linz am Rhein – Scheibenkönige: Prinz Friedrich von Preußen 1857, Franz Fasbender jr. 1858, Johann Josef Kaufmann 1879 (Schild mit Kranz und Linzer Stadtwappen) ● 1873 Der St. Seb. Bruderschaft als 25 jähr. Rendant gewidmet J. J. Kaufmann 18981847 Ferd. Unkel der St. Seb. Bruderschaft als 50 jähr. Mitglied gewidmet 1897Antonius Unkel Gastwirth zum Englischen Hof wurde 1832 Koenig bei der Schützen Gesellschaft zu LinzAnno 1828 wurde Joh. Gottfr. Sterl König bei der Schützen=Gesellschaft in Linz (auf dem Schild ein Zifferblatt) ● Johann Wilhelm Nolden Rothgerbermeister wurde 1833 König bei der Schützengesellschaft in Linz 1830 wurde J. Bertram Münch zum zweitenmahl König bei der Schützengesellschaft in LinzZum Andenken meiner Königswürde beim vierhundertjährigen Jubiläum der St. Sebastianus Schützengesellschaft gewidmet von Georg Hoffmann Linz am Rhein am 16 und 17. im 8. 1907 (Schild mit Kranz und Krone) ● Anno 1826 wurde Johannes Bertram Münch König in Linz (Schild mit eingraviertem Anker) ● Joh. Hildebrand Schützenkönig St. Seb. Schütz. Ge. Linz a/Rh. 29.08.05 (Schild mit Kranz und Krone) ● Anton Coeln wurde Koenig 1836 bei der Sebastiani-Schuetzengesellschaft zu LinzZur Erinnerung an die Vollendung meines 50. Lebensjahres Emil Underberg (Schild mit Reiter, gekreuzten Gewehren, Fahnen, Trommel) ● Ludw. Baur Schützenkönig 19251827 wurde Jacob Keller König bei der Schützengesellschaft zu LinzKönig 1953 Nikl. Balzer Schützenkönig 1928 Lay OberzollsekretärJos. Eberle Schützenkönig d. St. Seb. Schütz. Ge. Linz a/Rh. 27.08.06 (Schild mit Kranz und Krone) ● Bartholomäus Zimmermann Wirth und Bäckermeister wurde 1834 König bei der Schützengesellschaft in Linz (auf dem Schild Weinreben) ● Schützenkönig 1952 Peter Reufels (Schild mit Eichenlaub, Krone und Zielscheiben) ● König Josef Adams am 43. Geburtstag 20. Juni 1957 (Schild mit Eichenlaub, Krone, eingraviert die Linzer Burg, der Rhein und das Stadtwappen) ● Michael Adams König 1956 (viereckiges Schild mit Lokomotive) ● Königsplatte der St. Sebastianus Bruder- und Schützengesellschaft e. V. Linz a. Rh. – Nikolaus Küpper 1931 – Arnold Küper 1932 – Karl Weinand 1933 – Nikolaus Küpper 1934 – Josef Nussbaum 1935 – Johann Öllig 1936 – Johann Fossemer 1937 – Josef Otten 1938 – Winand Nelles 1948 – Josef Fleischer 1949 – Michael Adams 1950 – Peter Schultz 1951 – Peter Reufels 1952 – Nikolaus Balzer 1953 – Franz Saal 1954 – Johann Selbach 1955 – Michael Adams 1956 – Josef Adams 1957 – Egidius Minning 1958 – Anton Brug 1959 – Hermann Renneberg 1960 – Josef Hoppen 1961 – Franz Murawski 1962 – Jakob Schneider 1963 – H. P. Bondong 1964 – P. Zimmermann 1965 – Seb. Stahl 1966 – Josef Bier 1967 – Alois Faus 1968Schützenkönig Franz Murawski 1962 (Schild mit Eichenlaub und Krone) ● Heinr. Löhr Schützenkönig 1921 (Schild mit Krone) ● Johann Kill wurde Schützenkönig der St. Sebastianus Bruder- & Schützengesellschaft in Linz Rhein am 20. Juni 1909 und 26. Mai 1910 (auf dem Schild ein Anker) ● Josef Hoppen Koenig 1961 (auf dem Schild Schere, Kamm und Becken) ● Anton Brug St. Sebastianus Schuetzenkoenig Anno 1960 (im Schild drei kleine Schilde entsprechend dem Wappen der Malerinnung)

- nach:
Andrea Rönz, Die Marien- und die Sebastianer Schützenbruderschaft, in: Denise Steger, 800 Jahre katholische Pfarrkirche St. Martin in Linz im Spiegel der Kunst. Festschrift und Katalog zur Ausstellung „Die Kunstschätze der Pfarrei” anlässlich des 800-jährigen Jubiläums der Grundsteinlegung der Martinskirche, Linz am Rhein 2006, S. 165-168.

Zur Geschichte der Bruderschaft siehe auch die ausführliche Chronik auf der Homepage des Vereins.

Das Archiv der St. Sebastianus Schützenbruderschaft wurde vor gut zehn Jahren dem Stadtarchiv Linz übergeben und auch in die Online-Datenbank des Stadtarchivs aufgenommen.

Quelle: http://archivlinz.hypotheses.org/232

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Archivwesen: Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahr­hundert) [Sonderdrucke online], hrsg v. Josef Pauser / Martin Scheutz / Thomas Winkelbauer (= MIÖG Erg.bd. 44), Wien u.a. 2004

http://archiv.twoday.net/stories/805774325/ Die Quellenkunde gliedert sich in eine Übersicht nach Provenienzen, wobei neben den verschiedenen Stellen der Zentralinstanz (Hof, Militär) landesfürstliche sowie städtische Instanzen und nicht zuletzt auch die Konfessionen und Universitäten Berücksichtigung finden. Der zweite Teil behandelt unterschiedliche Quellengattungen wie Briefe, Selbstzeugnisse und kann aus pragmatischen Gründen nur exemplarisch vorgehen. Auf den Seiten Klaus Grafs […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2014/05/5080/

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aussichten Nr. 40 [29.04.2014]: Neue Einträge bei aussichten-online.net; Digest 01.01.2014-31.03.2014

Andreas C. Hofmann: Staat und Stadt in der Spätantike Die curatores civitatis und defensores civitatis — ein Essay zur Frage nach dem spätantiken Zwangsstaat http://www.aussichten-online.net/2014/01/4965/ http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa-132059 Das Essay untersucht anhand der einschlägigen Forschungsdiskussion die Frage, inwiefern die beiden städtischen bzw. kaiserlichen Institutionen der curatores civitatis und defensores civitatis als Zeichen für einen spätantiken Zwangsstaat gewertet […]

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2014/04/5067/

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Ein stiller Blick zurück

StadtAAm Fotosammlung 101-372-001 high

Das Bild ist 11,2 cm breit und 8 cm hoch. Die Sepiafarben der Aufnahme sind von den letzten hundert Jahren stark ausgebleicht, beinahe schon ausradiert worden. Nur das kalte Auge eines hochwertigen Scanners vermag noch letzte Bruchstücke zu erkennen. Teure Software berechnet Verluste und versucht auszugleichen, bemüht sich um eine ungefähre Rekonstruktion des bereits Verschwundenen. Besser erhalten als die Braun- und Grautöne der Kamera ist die Handschrift der vormaligen Besitzerin, selbst längst verstorben, die jene Aufnahme vor Jahrzehnten einmal mit dem Vermerk „nicht wegschmeißen“ dem Amberger Stadtmuseum schenkte, von wo aus sie in die Fotosammlung des Stadtarchivs gelangte.

Nur die wenigsten Betrachter des 21. Jahrhunderts stutzen nicht bei einem flüchtigen ersten Blick. Zu vertraut ist der oft selbst genutzte Kreisverkehr am Nabburger Tor, das unverkennbar in der rechten Ecke aus dem erahnten Grün der mächtigen Bäume lugt. Sein Nicht-Vorhandensein irritiert, ebenso wie der reiche Baumbestand, der zur Linken nur einen vagen Blick hinein in eine uns unbekannte Straße zulässt. Die überall gut zu erkennenden Jägerzäune mögen seinerzeit ausgereicht haben, um einem der vier Radfahrer Einhalt zu gebieten, die der Szenerie zumindest einen Hauch Betriebsamkeit verleihen. Doch bleibt es dabei – Hektik ist dieser Szene so fern wie die französische Front des Ersten Weltkrieges, während dem diese Aufnahme entstand.

Keines der vier „Automobilfuhrwerke“, die das Adressbuch des Jahres 1914 für die Stadt ausweist ist zu sehen, auch keines der natürlich noch von Pferden bewegten Frachtfuhrwerke ist zu entdecken. Erst recht kein Automobil – kaum verwunderlich, bewegte sich anno dazumal sogar der rechtskundige Bürgermeister Dr. Eduard Klug eher auf Schusters Rappen durch die Stadt.

Ein Kreisverkehr ist jenen nicht nur fremd, sie haben schlicht keinen Bedarf für derlei Dinge. Zur Rechten führt die Straße nach Regensburg (sie tut es heute noch). Weiter oben ahnt der Betrachter eher die Straße, die dort zum Werksgelände der Baumannschen Emaillfabrik und zum Bahnhof führen muss und der nicht einer der stummen Geister zuzustreben scheint. Das Nabburger Tor entlässt eine größere Menge Volks aus dem sicheren Schutz der ehrwürdigen Stadt und einige wenige kommen aus der zur Linken Richtung Wingershofer Tor abzweigenden und reich mit Bäumen bestandenen Chaussee, die gute vierhundert Meter weiter einen Knick stadtauswärts vollführen wird, um etwa auf der Höhe des heutigen Kneippbeckens die Vils zu überqueren. Die Kurfürstenbrücke ist noch nicht erdacht und späteren Zeiten vorbehalten.

Bleibt die Frage, was der linke Bildrand vor unserem neugierig gewordenen Auge verbirgt, dem die längst Entschlafenen sämtlich zuzustreben scheinen. Einige wenige weiße Hemdkragen sind zu sehen, doch die zweckmäßige Kleidung zielstrebiger Arbeiter dominiert das Bild und am linken unteren Rand ist gar ein Uniformierter zu erkennen. Sie alle haben das gleiche Ziel: Den Eingang der königlichen Gewehrfabrik, in jenen Jahren der noch ungeahnten Weltwende des Ersten Weltkrieges die größte Waffenschmiede des Bayerischen Königreiches. In deren produktivster Zeit finden dort gut 4.000 Menschen (1916) ein knappes Auskommen – geprägt durch schmale Lebensmittelzuteilungen und viele Arbeitsstunden. Viele von ihnen waren treue Kunden der unsichtbaren Gaststätte Velhorn, deren Standort gleich beim Werkstor uns dieselbe aufmerksame Hand bezeichnet hat, die schon wohlwollend auf die Präsenz des Nabburger Tores hinwies.

Schon bald wird sich der Krieg auch hier als der „große Beschleuniger“ erweisen – die Niederlage wird die Schließung der Fabrik erzwingen. Schon ein Jahr nach Ende des Krieges wird sich der Magistrat der Stadt mit der Beschaffung eines Lastkraftwagens inklusive Anhänger für das städtische Gaswerk (ein direkter Nachbar der todgeweihten Gewehrfabrik) beschäftigen, da die Zahl der verfügbaren Pferde verschwindend gering geworden ist.

Ohne es zu wissen hat der unbekannte Fotograf nicht nur die anonymen Akteure einer alltäglichen Szene festgehalten, die Straßen und Orte konserviert – er hat auch die Beschaulichkeit einer Zeit eingefroren, deren Ende bereits unmittelbar bevorstand.

Quelle: http://histbav.hypotheses.org/460

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