Sollten Sie sich nicht in der komfortablen Lage befinden, ein hübsches Gesicht zu einer Rastafrisur präsentieren zu können, einen schicken Travelerrucksack aus wasserfestem Material zu besitzen und in einem Land zu leben, dessen Einkommensstandard es Ihnen erlaubt, ferne Länder so zu besuchen als spiele Geld keine Rolle, um dort Unzufriedenheit über die heimischen Einkommensstrukturen zu leben, seien Sie beruhigt, denn Anweisungen zur Meditation gibt es auch bei Ihnen zu Hause (wenn Sie sich als Westler verstehen und falls Sie Griechenland und Rom zum Westen zählen möchten).
Die antike Stoa zeigt Ihnen, wie es geht: Anders als das aristotelische Ziel der mesotes-Lehre, das ja besagte, man solle immer die gute Mitte zwischen zwei schlechten Affekten treffen, also weder feige noch tollkühn (verrückt) sein, wenn man bedroht werde, sondern eben mutig, und dadurch sehr unklar bleibt (denn was genau ist jetzt jeweils die Mitte?), erklären die Stoiker die Seelenruhe zum obersten Ziel. Um diese Seelenruhe in jeder Lage zu bewahren, müssen Sie sich darin üben, Übel zu antizipieren: Praemeditatio futuri mali nennt es der gute Seneca. Wenn Sie nämlich vorbereitet sind auf das, was auch immer kommen kann, trifft es Sie nicht so schlimm, wie auf unvorbereitete Weise.
In einer anderen Tradition finden wir zwar nicht dieselben Meditationsanweisungen (es gibt übrigens sehr viele davon und ich kann Ihnen nur Empfehlen, die römischen Stoiker zu lesen, Epiktet, Seneca, Marc Aurel), wohl aber denselben Begriff, den sie Stoa für die Seelenruhe verwenden: Apatheia, wieder: Bei den Neuplatonikern. Man soll sich von den Leidenschaften unabhängig machen. Nun gibt es bei Plutarch eine Szene, die einen möglichen Unterschied zwischen der stoischen und der neuplatonischen Apatheia formuliert. Es geht um die Passagen, in denen Plutarch schreibt, dass Perikles beim Tod seines Sohnes, seiner Schwester und vielen Verwandten aufgrund der Schwarzen Pest nicht einmal weinte. Später jedoch beim Tod seines letzten rechtmäßigen Sohnes Paralos übermannt vom Schmerz dem Anblick nicht mehr stand hielt und ausgiebig und lange weinte.
Worum geht es also bei der Apatheia? Geht es darum, abzustumpfen oder geht es darum, die Verbindung zwischen Gefühl und Reaktion zu unterbinden? Die Praemeditation futiri mali der Stoiker weist auf die Schleifung der Empfindung hin, die neuplatonische Apatheia hingegen auf die Entkoppelung der Reaktion. Ich glaube es ist Ihnen beides möglich, zu einem gewissen Grade zu erreichen. Ich denke aber, dass die erste Art der Apatheia von der Umgebung als Kälte wahrgenommen wird. Dass die zweite Art hingegen mit Zuspruch und Mitleid einhergeht. Der Unterschied ist deshalb von außen wahrzunehmen, weil die Entkoppelung der Reaktion vom Gefühl immer den Funken des inneren Kampfes hinausträgt.
Dennoch sollte man auch die Empfindungen der ersten Apatheia nicht unbearbeitet lassen. Geht man aber zu weit, müssen automatische und natürliche Reflexe durch überlegte Rationalität aufgewogen werden. Zwar behaupteten die Stoiker, dass die Philanthropie, die Liebe zu den Menschen, zu den guten Gefühlen gehöre, die nicht abgelegt werden sollen. Woher weiß aber der Meditierende, dass er durch seine Schleifung nicht bereits zu weit gegangen ist und die Grenze zwischen Apatheia und Stumpfsinn nicht schon längst überschritten hat – unter dem Mantel der Ausgeglichenheit zum kalkulierten Egoisten geworden ist?