Bei der Bildlichkeit mittelalterlicher Siegel denken wir vorrangig an eine Darstellung der siegelführenden Person oder Instanz. Dies konnte auf einem personengebundenen Siegel das Motiv einer thronende Äbtissin in Ordenstracht oder das eines in voller Rüstung auf einem Pferd reitenden Grafen sein, mit dem der oder die Siegelführer(in) ihren gesellschaftlichen Status anzeigte. Bei Körperschaften wie einer städtischen Bürgerschaft war die Repräsentation der eigenen Identität dagegen komplexer. In Speyer entschied man sich im frühen 13. Jahrhundert für die Darstellung des dortigen Doms und der darin erscheinenden Stadtpatronin Maria mit dem Christuskind auf dem Arm auf der Vorderseite des Stadtsiegels. Ein solches Bild, das in der Regel von einer identifizierenden Umschrift gefasst ist (Speyer: + SIGILLVM CIVIVM SPIRENSIVM), wurde mittels eines Stempels (Typar) in das weiche Wachs des Siegelkörpers geprägt. Kaum Beachtung haben dagegen – selbst in der einschlägigen Forschung – die oft tief eingeprägten Fingerabdrücke auf den Rückseiten vieler mittelalterlicher Siegel gefunden. Auch auf der Rückseite vieler Hundert erhaltener Prägungen des Speyerer Stadtsiegels, die in der Zeit zwischen 1231 und 1792 entstanden sind, sind zumeist drei tiefe Fingerabdrücke in einer vertikalen Anordnung eingeprägt. Nachdem das Typar in die Vorderseite des Wachskorpus gedrückt worden war, wurde auf dessen Rückseite sorgsam einen vertikaler Grat geformt, ehe vermutlich mit dem Zeigefinger der rechten Hand drei bis zu einem Zentimeter tiefe Eindrücke hinterlassen wurden. Auf deren Grund sind häufig die Papillarlinien der Fingerkuppen bis heute deutlich sichtbar.
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Quelle: http://siegel.hypotheses.org/114
![Beilage zu Nr. 13. des Figaro (22.3.1873) 6 [Ausschnitt]](http://f.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/1104/files/2015/06/ginseng_1.jpg)


