4. Descartes dekantiert

„Descartes hatte einen Bart.“ Sie denken, das sei trivial? Moi aussi. Berühmte Aussagen müssen aber derart gestaltet sein, dass Bonvivants beispielsweise französischer Salons sie stets zwischen Austern und Champagner auf den Lippen halten können. Sie müssen im Gespräch bleiben wie ein guter Werbeslogan. René Descartes hat dies ebenso verstanden wie David Richard Precht; Jener hat seine Salonerfahrung mit der Philosophie gekreuzt und heraus kam nach jahrelanger Meditation: „Ego cogito, ergo sum“. Dieser hat seine Medienerfahrung mit dem Salon gekreuzt und heraus kam nach jahrelanger Konzentration: „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ (Precht, Richard David (2007): Wer bin ich – und wenn ja wie viele? Eine philosophische Reise). Descartes aber war ab dem Zeitpunkt seiner Aussage in aller Munde und hat dort sehr wahrscheinlich auch die eine oder andere Auster verdrängt. Sein Ziel sei es gewesen, (jetzt endlich mal) einen archimedischen Punkt, also einen unbeweglich festen Standpunkt für die Philosophie, zu entdecken, von dem aus man mit absoluter Sicherheit anfangen könne, zu argumentieren. Keine merkwürdigen ontologischen Annahmen, keine verträumte Spekulation. Dass die Tatsache, ich müsse existieren, wenn ich denke, die einzige sei, die absolute Geltung beanspruche und nicht bezweifelt werden könne, scheint auf den ersten Blick tatsächlich einleuchtend. Aber so pointiert seine Weisheit ist, so schwer ist sie zu erklären (Trommelwirbel für Blogeintrag Nr. 1 „Erkenntnis“). Warum? Na klarerweise wegen Precht: Wer bin ich – und wenn ja, wieviele? ist nämlich eine Frage, die bereits in der Spätantike gegen die Selbsterkenntnis hervorgebracht wurde. Sextus Empiricus, der alte Skeptiker, oder man könnte vielleicht sagen der Precht jener Zeit, sagte (vgl. für das Folgende Meixner, U.; Newen, A. (Hg.) (2003): Seele, Denken und Bewusstsein: zur Geschichte der Philosophie des Geistes, S. 71): Entweder ist es der ganze Mensch, der erkennt. Oder aber es ist der ganze Mensch, der erkannt wird. Oder ein Teil des Menschen erkennt, ein anderer wird erkannt. Meixner sagt, dass im erste Falle nichts übrigbliebe, was erkannt werden könne, dass im zweiten Fall nichts übrigbliebe, das erkennen könnte und dass im dritten Fall Erkennendes und Erkanntes sowieso nie dasselbe sei. Was genau also meinte Descartes? Wer bin ich – und wenn ja wie viele? verkorkt dessen Argument jedenfalls gewaltig. Finden Sie nicht? Bon appétit et au revoir.

Quelle: http://philophiso.hypotheses.org/62

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Ö1-Betrifft Geschichte zur Briefüberwachung

Betrifft Geschichte brachte dieser Woche auf Ö1 ein fünfteiliges Interview mit Gerald Heschl zur Geschichte der Briefüberwachung:

Die Vorläufer der NSA. Briefspionage ist so alt wie das Briefeschreiben selbst. Mit Gerald Heschl, Historiker und Experte für die Geschichte des Postwesens. Gestaltung: Robert Weichinger

Lange Zeit hindurch war für die europäischen Herrscher in Sachen Briefspionage Frankreich das große Vorbild. Das bereits im 16. Jahrhundert eingerichtete Cabinet Noir erhielt allerdings erst im 17. Jahrhundert unter Kardinal Richelieu seine genaue Kontur. Nicht nur die Korrespondenz des Adels wurde ausgeforscht, im Visier standen auch politisch oder polizeilich Verdächtige sowie Leute des Militärs, Beamte, aber auch Vertreter des Klerus. In der Ära Metternich wurden nach französischem Beispiel Schwarze Kabinette eingerichtet und es wurde systematische Briefzensur betrieben, im Hintergrund stand bereits die Furcht vor der Revolution. Es gab Spezialisten, die sich auf Geheimschriften verstanden, die unsichtbare Tinte lesbar machten und die die aufgebrochenen Briefe wieder so fachgerecht versiegelten, dass man von außen nichts bemerkte.

Spionagefieber und Geheimniskrämerei begleiteten das Brief- und Nachrichtenwesen von Anfang an. Der Hunger nach privaten Daten scheint unermesslich zu sein: Erst in jüngster Zeit erregte der Fall Snowden großes Aufsehen. Der frühere Geheimdienstmitarbeiter hatte enthüllt, dass die National Security Agency (NSA) mit einem speziellen Programm in unerwartetem Ausmaß E-Mails und Handy-Nachrichten ausspioniert.


Nachgehört werden können die jeweils fünfminütigen Gesprächsbeiträge noch ein paar Tage unter:

http://oe1.orf.at/betrifftgeschichte (auf den weißen Pfeil im schwarzen Kreis neben "Betrifft: Geschichte" klicken)

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/506933253/

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“Helmut Schelsky – der politische Anti-Soziologe. Eine Neurezeption” – Ein Tagungsbericht von Ellen Thümmler

Anlässlich des hundertsten Geburtstages vom Helmut Schelsky (14.10.1912 – 24.02.1984) würdigten Wissenschaftler verschiedener Disziplinen den Intellektuellen, Hochschullehrer und Weggefährten als changierenden Soziologen und politischen Seismographen der Bundesrepublik. Gerade an seinem Geburtsort offenbarte die interdisziplinäre Perspektive von Historikern, Politikwissenschaftlern, Philosophen und … Weiterlesen

Quelle: http://soziologieblog.hypotheses.org/5448

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Auf den Spuren eines Frevlers

Lisa Fagin Davis, eine junge Handschriftenexpertin, berichtet in ihrem lesenswerten Weblog über eine (virtuelle) Reise zu wenig bekannten Sammlungen abendländischer mittelalterlicher Handschriften in den USA. Sie schreibt so anschaulich, dass man leicht vergisst, dass ihr “Trip” gar nicht real ist. Der Bestand an mittelalterlichen Handschriften in den USA wird sehr stark geprägt von Einzelblättern, die durch das Zerlegen ganzer Handschriften erzeugt wurden. Eine aus meiner Sicht abscheuliche Praxis, auf die ich immer wieder hingewiesen habe. Eine Zusammenstellung einschlägiger Links habe ich in Archivalia im Dezember 2012 mitgeteilt. Dieses Schlachten von Kulturgütern ist keineswegs Vergangenheit, wie beispielsweise Dietrich Hakelberg 2008 zeigen konnte: Im Antiquariatshandel wurde ein Stammbuch mit einem Telemann-Autograph zerlegt.

Immer wieder – nicht nur auf Ebay – stoßen Handschriftenforscher auf diese Machenschaften, die von den Antiquaren gern bagatellisiert werden. Nur weil es sich um eine schon im 19. Jahrhundert beliebte kulturelle Praxis handelt (“cut missal up in evening — hard work” lautet ein berühmtes Zitat aus John Ruskins Tagebüchern 1854) bedeutet dass nicht, dass diese Form, Kulturgut zu zerstören, Schonung verdient. Keinen Denkmalschutz für die Praxis der Zerstörung von Denkmälern!

In ihrem jüngsten Blogeintrag nimmt sich Davis das Frevelwerk von Otto Ege (1881-1951) vor. Ege war einer der berühmtesten Buchzerstörer (“biblioclast”, er nannte sich selbst so) des 20. Jahrhunderts, der zahlreiche kostbare mittelalterliche Codices auseinanderschnitt, um die einzelnen Stücke mit großem Profit in Sammelausgaben zu verkaufen. Damit wollte Ege, der selbst in der Lehrerausbildung tätig war, es auch kleineren Bildungsinstitutionen ermöglichen, mittelalterliche Handschriftenseiten in der Lehre einzusetzen. Diverse dieser Sets wurden inzwischen digitalisiert, und es gibt auch Websites (am wichtigsten: ege.denison.edu), die versuchen, die zertsreuten Ege-Einzelblätter virtuell wieder zusammenzuführen, um auf diese Weise auch die zerschnittenen Codices zu rekonstruieren.

David macht anhand des Beauvais-Missale aus dem 13. Jahrhundert klar, welcher enorme Verlust an Quellenwert mit dem Zerschneiden der Handschrift einherging. Es sind inzwischen viele Seiten nicht mehr auffindbar, darunter auch der nur durch einen Sotheby’s-Eintrag von 1926 (als das Manuskript noch intakt war) bekannte Vermerk, ein Kanoniker Robert de Hanges habe den Codex der Kathedrale von Beauvais übergeben. Es fehlt aber auch fast das ganze Kalendar des Missales. Davis: You can see why taking manuscripts apart can be so devastating to scholars and booklovers alike: art historical and textual evidence may be lost forever along with armorial bindings, marginalia, inscriptions or bookplates that preserve evidence of the manuscript’s origins and early ownership.

Wer Handschriften zerlegt, zerstört Geschichtsquellen. Diese unersetzlichen und einzigartigen Geschichtsquellen haben den gleichen Schutz verdient wie Pfostenlöcher oder andere unscheinbare Befunde in der Archäologie, wie der frühneuzeitliche Bildstock am Wegesrand. Pfostenloch und Bildstock sind durch Denkmalschutzgesetze geschützt, dem Frevelwerk der Antiquare oder Sammler, die durch das Zerschneiden von Handschriften Aussagemöglichkeiten über unsere Vergangenheit vernichten, gebietet niemand rechtlich Einhalt. Viele seriöse Antiquare beteiligen sich nicht an der Praxis oder verurteilen sie sogar. Aber eine Ächtung in einem antiquarischen Ethik-Code gibt es nicht. Denn in diesem halbseidenen Gewerbe herrscht Korpsmentalität, die auch schwarzen Schafen zugutekommt.

Angesehene Wissenschaftler unterstützen mitunter das Zerstückeln. Im Fall einer Inkunabel von 1462 habe ich das in einem Blogeintrag von 2009 belegt. Das dort zitierte Urteil des Inkunabelexperten Paul Needham ist eindeutig: It was really barbaric to break up that copy; and I’m committed to criticizing all scholars who participate in leafbook projects. The common response I have heard is “well, of course I don’t really approve of leafbooks, but this one is a little different, and no harm is done, because yadda yadda…”, which I translate into English as “somebody offered me money.”

Quelle: http://kulturgut.hypotheses.org/286

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Neuerscheinung zur Nachrichtenverbreitung zwischen Italien und dem Mittelmeer in…

Petitjean, Johann: L’intelligence des choses. Une histoire de l’information entre Italie et Méditerranée (XVIe-XVIIe siècles), Rom: Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome, 2013. [Info]

Comment s’informait-on des affaires du temps aux XVIe et XVIIe siècles ? Ce livre explore les multiples dimensions de l’information en étudiant comment les données collectées sur le terrain des guerres ottomanes étaient transmises, reçues et traitées en Italie. Le croisement des sources militaires, administratives et diplomatiques permet de confronter les circuits et les supports de la veille stratégique opérée par les agents et les alliés du Saint-Siège sur la Méditerranée, à une époque où la région fait l’objet d’une attention renouvelée. L’information politique alimente les échanges diplomatiques européens et se nourrit d’eux ; elle est supposée réduire la part de risque et d’incertitude liée aux prises de décision et contribuer à la réactualisation constante des savoirs d’État ; ses formats et ses usages infléchissent le rapport des acteurs au temps, à l’espace et aux événements. Reconsidérant le rôle joué par les nouveaux médias, tels les Avvisi a mano et les gazettes, au sein de ces processus, l’analyse met en perspective les origines et les effets de l’invention de l’actualité avec les mutations des pratiques administratives. Examiné à la lumière de la Méditerranée, le gouvernement des nouvelles apparaît alors comme un élément décisif de la première révolution de l’information à l’époque moderne.

[via AHMUF]

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/506933013/

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Ein Tweetup und was man mit ARTigo-Bildern noch so machen kann

Ich bin von den Kulturkonsorten zu einem Tweetup der Sonderklasse eingeladen worden: “Tweetup in einer Ausstellung, die es nicht gibt”. Also das macht mich doch neugierig! Und für mich ist eins klar: Ich nehme ein Bild, dass man mit ARTigo spielen kann, und zwar dieses:

Rote Dächer unter Bäumen, Christian Rohlfs

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es heißt “Rote Dächer unter Bäumen”, wurde 1913 von Christian Rohlfs gemalt und hängt in der Kunsthalle Karlsruhe.

Warum ich dieses Bild nehme? Hier die Gründe:

  1. Für die Tags der ARTigo-Spieler interessiere ich mich besonders. Ich beschäftige mich schließlich in meiner Diss damit.
  2. Für mich im Moment deshalb interessant, weil es besonders viele Farb-Tags hat.
  3. Ich bin gespannt, was die anderen Teilnehmer zu dem Bild twittern werden. Das könnte ich mit den Tags der Spieler vergleichen, zum Beispiel. Und vielleicht ergeben sich noch mehr Ideen.

Wenn Sie sich das Bild in ARTigo anschauen, werden die dazugehörigen Tags angezeigt (Tipp: klicken Sie auf “alle anzeigen”, dann werden es noch mehr).

Während des Tweetups soll ich 5 Minuten über dieses Bild twittern und die anderen Teilnehmer werden auf meine Tweets reagieren, so heißt es. Ich bin gebeten, mich vorzubereiten und ein paar Tweets vorab zu formulieren. Das könnte ich natürlich auch im stillen Kämmerlein tun, aber warum sollte ich nicht versuchen, das crowdzusourcen?

Deshalb meine Frage an Sie, liebe Leserin, lieber Leser: Was könnte ich twittern? Welche Fragen könnte ich stellen, die die anderen beantworten sollen? Welche Gedankenanstöße könnte ich geben, um Reaktionen zu erhalten?

Über Ihre Vorschläge würde ich mich sehr freuen.

Weiterführende Links:
Marion Schwehr: Out Of The Blue – Die These
Kulturkonsorten: “Tweetup in einer Ausstellung, die es nicht gibt”
Sabine Scherz: Blau, blauer am blauesten. Welches ist das blaueste Bild?
Twitter: #outofblue

 

 

Quelle: http://games.hypotheses.org/1266

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aventinus nova Nr. 45 [11.10.2013]: Papst Johannes Paul II. als Außenpolitiker im polnischen Konflikt zwischen Regierung und Arbeiterschaft 1980-1983 [=historia scribere 5 (2013), S. 31-44]

In Polen löste die Wahl Wojtylas in der katholischen Bevölkerung Begeisterung aus, verbunden mit großen Hoffnungen auf das neue kirchliche Oberhaupt. Mit der Wahl eines Polen zum Papst gewann die Bevölkerung nun eine gewichtige Stimme für ihr Bestreben. http://bit.ly/1ccnWFX

Quelle: http://www.einsichten-online.de/2013/10/4728/

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Petition: Schleift die Festung Europa

Nicht dass ich glaube, dass derlei Unterschriftenaktionen an den von europäischer Politik betriebenen und von uns geduldeten Morden viel ändern werden, aber zumindest einen zutiefst opportunistischen Grund möchte ich für die Unterzeichnung einer solchen Petition anführen: Dass darauf in ein paar Jahren oder Jahrzehnten als Entschuldigung verweisen kann, wer bei einem Tribunal gegen die Morde an Flüchtlingen angeklagt wird:

http://www.change.org/de/Petitionen/schleift-die-festung-europa

Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/498223531/

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