Quelle: http://adresscomptoir.twoday.net/stories/1022373436/
Die Welt um 1914. Farbfotografien vor dem Großen Krieg

Martin-Gropius-Bau, 1. August – 2. November 2014
Ausstellung „Die Welt um 1914. Farbfotografien vor dem Großen Krieg“ im Martin-Gropius-Bau.
Ausstellung: Filmaufnahmen aus Albert Kahns Sammlung „Archives de la planète“.
Die kultur-, technik- und fotogeschichtliche Ausstellung Die Welt um 1914. Farbfotografien vor dem Großen Krieg präsentiert drei Fotokampagnen, die die Schönheit und Vielfalt der Welt vor dem Ersten Weltkrieg dokumentieren sollen. Gezeigt werden 200 Farbfotos des Fotochemikers Adolf Miethe, seines Assistenten und Fotodokumentars des Russischen Reiches Sergei M. Prokudin-Gorskii und Fotos aus der Sammlung „Archives de la planète“ des französischen Bankiers Albert Kahn. Neben Bildkarten, Feldpostkarten, den ersten Fotobüchern und den „Kaiserpanoramen“ des Berliner Unternehmers August Fuhrmann wird auch die Entwicklung der Farbfotografie allgemein vorgestellt. In den letzten beiden Räumen sind Farbfotos aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zu sehen, die aus dem Bereich der Kriegspropaganda stammen.
Ausstellungsplakat: Albert Kahn, Les archives de la planète, Stéphane Passet: China, Peking, Palast des Himmlischen Friedens, vierter Hof, östlicher Anbau, ein buddhistischer Lama in zeremoniellem Gewand, 26. Mai 1913.
Eröffnet wurde die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau am 1. August 1914 – 100 Jahre nach Beginn des Kriegs, veranstaltet von den Berliner Festspielen im Zusammenhang mit dem „Europäischen Monat der Fotografie“. Der Landschaftsverband Rheinland-LVR gedenkt dem Ersten Weltkrieg in Form des Verbundprojekts „1914 – Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg“, zu dem auch dieses Ausstellungskonzept gehört, welches bereits 2013 in Paris und Bonn zu sehen war. Das Kuratorenteam besteht aus dem Medienhistoriker Rolf Sachsse, dem stellvertretenden Direktor des LVR-LandesMuseums Bonn Lothar Altringer und dem Leiter des Verbundprojekts Thomas Schleper. Die Ausstellung konnte in Kooperation mit dem Musée Albert-Kahn in Boulogne-Billancourt realisiert werden.
Die Farbfotografie gilt als medialer Umbruch, die neben den neuen Möglichkeiten, die Welt möglichst naturgetreu abzubilden, auch Gefahren der Manipulation mitführte, wenn der scheinbare Beweischarakter nicht hinterfragt wurde. Die Brüder Auguste Marie und Louis Jean Lumière entwickelten 1905 ein eigene Farbfototechnik: das Autochromverfahren, deren Diapositive auf Glasplatten für den Drei- und Vierfarbdruck verwendet werden konnten und bis Mitte der 1930er-Jahre den Markt dominierten. Die Herausforderung des Autochromverfahrens lag in der langen Belichtungszeit von 2 bis 15 Sekunden, weshalb die Abbildung von Menschen und bewegten Objekten Ungenauigkeiten hervorrief und eine standbildartige Haltung benötigte.
Der Chemiker Adolf Miethe (1862 bis 1927) von der Technischen Universität Berlin erfand 1902 eine panchromatische Filmbeschichtung zur Fotoeinfärbung, die an das Dreifarb-Druckverfahren anschloss und besonders gut für Verlagswerke und Bildpostkarten geeignet war. Er ließ einen Projektor bauen und führte seine Fotodokumentation der deutschen Landschaften Kaiser Wilhelm II. und auch auf der Weltausstellung 1903 in St. Louis vor.
Danach erschienen die Fotos als Sammelbilder in Schokoladentafeln und wurden mit dem ersten Farbbildband Deutschlands dem „Stollwerck-Album“ verbreitet, das auch neben anderen Fotobüchern in der Ausstellung durchgeblättert werden kann. Das xm:lab der Hochschule der Bildenden Künste im Saarland stellte für die Besucher der Ausstellung das Drei-Farb-Verfahren zum selbst Ausprobieren und Fotografieren bereit.
Mit dem in der Ausstellung zu sehenden Original-Projektor von Miethes Assistent Sergei Mikhailovich Prokudin-Gorskii (1863 bis 1944), eine Leihgabe aus dem Deutschen Museum in München, soll dieser Zar Nikolaus II. von der Farbfotografie überzeugt haben:
Ausstellung: Projektor von Sergei Mikhailovich Prokudin-Gorskii, Leihgabe aus dem Deutschen Museum München.
Der Zar beauftragte ihn von 1909 bis 1916 mit einer Fotodokumentation des Russischen Reichs. Von den ca. 4500 Farbfotografien sind über 2000 erhalten geblieben, die sich als Digitalisate in der Library of Congress befinden. Die intendierte Verbreitung der Fotos scheiterte am teuren Reproduktionsverfahren.
Prokudin-Gorskiis Bilder verheimlichen die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes und zeigen vorwiegend Landschaften, Dorfansichten, Kirchen, die Entwicklung der Industrie und spiegeln die ethnische Vielfalt wider. Aufgrund der Aufnahmetechnik mussten Bilder von spontanen menschlichen Handlungen inszeniert werden.

Sergeĭ Mikhaĭlovich Prokudin-Gorskiĭ, 1909, Russisches Reich: Dinner during haying.
Der Großteil der Ausstellung zeigt Farbfotos aus der fotografisch-filmischen Sammlungstätigkeit des reichen Bankiers Albert Kahn (1860 bis 1940) aus Boulogne bei Paris, der seit 1906/09 Stipendien und Aufträge für Fotodokumentationen in Europa, Asien und Afrika vergab. Er präsentierte die Arbeiten mithilfe eines Projektors in seinem Anwesen vor einem elitären Kreis, u.a. auch dem Kaiser. Bis auf wenige zeitgenössische Veröffentlichungen blieben die Bilder aber weitestgehend unbekannt, sodass manche von ihnen zum ersten Mal im Rahmen der Ausstellung publiziert worden sind.
Das 1908 von Kahn gegründete „Les Archives de la planète“ konnte von ihm bis 1931 finanziert werden und enthält neben Schwarz-Weiß-Bildern über 100 Stunden Filmaufnahmen, auch 72.000 farbige Diapositive/Autochromplatten. Kahns Archivleiter Jean Brunhes (1869 bis 1930) gilt als „Humangeograf“, der das Bildprogramm maßgeblich mitbestimmt haben soll. Die Bildmotive wurden in Bezug auf die Wechselbeziehungen zwischen den Menschen und ihrer natürlichen Umgebung ausgewählt. Dazu zählen lokale Landschaften, Menschen in traditioneller Kleidung und die Architektur.
Albert Kahn, Les Archives de la planète, Stéphane Passet: Mongolei, nahe Ulaanbaatar, wahrscheinlich Damdinbazar, die achte Inkarnation des mongolischen Jalkhanz Kuthugtu, 17. Juli 1913.
Albert Kahn, Les Archives de la planète, Auguste Léon: Bosnien-Herzegowina, Sarajevo, Brothändler auf dem Markt, 15. Oktober 1912.
Menschen sollten in ihrer Umgebung bei alltäglichen, beruflichen, aber auch kulturellen und religiösen Handlungen festgehalten werden. Ziel war es, die kulturelle Vielfalt zu dokumentieren, um durch sie eine Völkerverständigung zu fördern. Kahns Fotosammlung versteht sich somit als Friedensmission und Bewahrung einer verschwindenden Welt vor 1914. Trotz seiner philanthropischen Intention transportierten auch Kahns Bilder weiterhin Vorurteile gegenüber Bevölkerungsgruppen und ihren Sitten.
Albert Kahn, Les Archives de la planète, Stéphane Passer: Mongolei, Ulaanbaatar, Verurteilter und Wärter im Gefängnis, 25. Juli 1913.
Die Ausstellung „Die Welt um 1914“ präsentiert vor allem Auftragsarbeiten der Fotografen Auguste Léon (1857 bis 1942) und Stéphane Passet (1875-unbekannt). Auguste Léon startete 1909 die erste Fotokampagne für Albert Kahn und reiste über Wien in den Balkan und die Türkei. Seine Fotos zeigen Spuren der Balkankriege, wie den zerstörten mittelalterlichen Markt in Shkodra im Oktober 1913. Der ehemalige französische Kolonialoffizier Stéphane Passet unternahm eine Reise von 1913 bis 1914 über China, die Mongolei, Indien und die Türkei. Das Musée Albert Kahn bewahrt 350 seiner Bilder, die neben der Architektur auch wenige Menschen zeigen, darunter vorwiegend bekannte Bevölkerungsgruppen und ihre alltäglichen Handlungsabläufe. Nach Passets Meinung fotografierte er auch bisher nie festgehaltene Szenen wie ein muslimisches Gebet in Delhi.
Albert Kahn, Les Archives de la planète, Stéphane Passet: Frankreich, Paris, Eine Familie in der Rue du Pot de fer, 24. Juni 1914.
Anlässlich des 100. Jahrestags des Kriegsausbruchs zeigt die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau auch vermehrt Farbfotos aus der Anfangsphase des Ersten Weltkriegs. Die Welt vor 1914 wird dabei als eine Welt im Verschwinden begriffen, die durch die Farbfotos positiv erinnert werden sollte. Zudem wird die Entwicklung der Bildpostkarten angesprochen, die sich seit dem deutsch-französischen Krieg als Feldpostkarten zum Massenmedium entwickelten. Vom Ersten Weltkrieg werden dem Besucher hauptsächlich Propagandabilder gezeigt, die das Leben hinter der Front, Landschaften und freundliches Miteinander unter den Soldaten abbilden sollen und die Zerstörungen, das Kriegstreiben oder das persönliche Leid verschweigen.
Ausstellung: Hans Hildenbrand: Bildpostkarten mit verschiedenen Motiven vor und um 1914, LVR-LandesMuseum Bonn.
Zu sehen sind Arbeiten des Stuttgarter Fotografen Hans Hildebrand (1870 bis 1957), der als offizieller Fotojournalist des deutschen Propaganda-Hauptamts für das Elsass, die Vogesen und die Champagne zuständig war. Auch Kahns Auftragsfotografen wie Jules Gervais-Courtellemont (1863 bis 1931) arbeiteten als Kriegsfotografen für das französische Informations- und Kunst-Ministerium.
Die Ausstellung „Die Welt um 1914. Farbfotografien vor dem Großen Krieg“ spiegelt eine philanthropische Sichtweise und die Begeisterung für die neue Technik der Farbfotografie wider. Durch die naturgetreuere Darstellung der Menschen, Landschaften und Gebäude scheint uns die Welt zu Anfang des 20. Jahrhunderts näher als auf den bekannteren Schwarz-Weiß-Bildern, die unsere Erinnerungen dominieren. Die Ausstellung und der dazugehörige Katalog zeigen eine fast touristische Perspektive auf faszinierende Sehenswürdigkeiten und Momentaufnahmen von posierenden Menschen verschiedener Bevölkerungsgruppen. Auch wenn ihr zeitgenössicher Beitrag zur Völkerverständigung und Friedenssicherung gering blieb, bleibt bis heute die generationsübergreifende Wirkmächtigkeit von Bildern aktuell.
Die Welt um 1914. Farbfotografien vor dem Großen Krieg
Albert Kahn, Sergei M. Prokudin-Gorskii, Adolf Miethe
Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin
1. August – 2. November 2014
Katalog: 1914 – Welt in Farbe. Farbfotografie vor dem Krieg
Hatje Cantz Verlag, 144 Seiten, 101 Abbildungen
Maße: 24,3 x 28,2 cm, ISBN: 978-3-7757-3644-2
Quelle: http://www.visual-history.de/2014/11/10/die-welt-um-1914-farbfotografien-vor-dem-grossen-krieg/
Das Albertinum präsentiert neue Werke von Gerhard Richter
Im November diesen Jahres eröffnet in der Schirn Kunsthalle die Ausstellung “German Pop”. Bis zum 8. Februar 2015 werden mit dem “Motorboot” sowie dem „Portrait Dr. Knobloch“ auch zwei Werke aus dem Dresdner Albertinum in Frankfurt zu sehen sein. Aus diesem Grund haben wir einen der beiden Richter-Räume im Albertinum neu konzipiert.
Anstelle der beiden fotorealistischen Arbeiten präsentierten wir erstmals Gerhard Richters „Gebirge (Pyrenäen Z.)“ (186-1) aus dem Jahr 1968. Das Bild ist eines von acht Werken, bei denen der Künstler ganz auf die Farbe verzichtet und das Motiv nur mit Bleistift auf die grundierte Leinwand gezeichnet hat. Es zeigt ein schemenhaftes Bergpanorama, bei dem Richter vergleichbar mit seinen Stadt-, Gebirgs- und Seestücke in Öl das Gezeigte auf wenige prägnante Linien und Schraffuren reduziert. Das Bild wurde im letzten Jahr restauriert und erstrahlt nun im neuen Glanz.
Neben der seltenen Gebirgslandschaft wird nun auch der „Strip“ (927-9), eine zweiteilige Arbeit aus der jüngsten Werkgruppe des Kölner Malers, ausgestellt. 2013 wurde die Arbeit in der Ausstellung „Gerhard Richter. Streifen & Glas“ im Albertinum zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Die Ausstellung war im Anschluss im Kunstmuseum Winterthur zu sehen und wird leicht variiert in der nächsten Woche in der Marian Goodman Gallery in London eröffnet. Bereits im Herbst 2013 haben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden den “Strip” (927-9) für die Galerie Neue Meister erwerben können. Damit ist es gelungen, den repräsentativen Bestand an Richter-Werken in Dresden maßgeblich zu erweitern.
Richters Streifenbilder entstehen mit Hilfe des Computers im Siebenfarbdruckverfahren. Nur damit ist die filigrane und variierende Breite der Streifen sowie die flimmernde schnell raumgreifende Wirkung realisierbar. Alle Streifenbilder des Künstlers gehen auf eines seiner Abstrakten Bilder von 1994 zurück. In einem aufwendigen computergestützten Verfahren, wird das ursprüngliche Bild bis zu 4096 Mal geteilt, gespiegelt und verdoppelt. In diesem Prozess werden aus großen bunten Flächen erst kleine, ornamentale Farbsegmente dann monochrome Pixel, die der Künstler dann bewusst auswählt, neu anordnet und mit Hilfe des Computers in die Länge zieht. Die scheinbare künstlerische Reduktion des Motivs auf das Nebeneinander klarer und verbindungsloser Farbstreifen ist bei näherer Betrachtung ein bildtheoretisches Statement. Führt Richter doch das menschliche Auge an seine Grenzen. So vermischen sich bei der distanzierten Betrachtung die Streifen zu einem irritierenden Farbenspiel, das sich mit der kleinsten Bewegung des Betrachters verändert, verschwimmt und sich dem festen Blick zu entziehen sucht. Bisweilen werden aus den unterschiedlich hellen und dunklen, sowie breiten und äußert schmalen Farbstreifen dreidimensionaler Gebilde, die in der horizontalen Ausgerichtetheit der Bilder an Landschaften erinnern. Von Nahem betrachtet überwältigen die Streifenbilder aufgrund der ungebrochenen Intensität der Farben und der Strenge ihrer Linien. Dabei driften die Streifen durch der Breite des Bildes aus dem Blickfeld des zunehmend verunsicherten Betrachters heraus und flüchten sich in eine unfassbare Unendlichkeit.
Die visuelle Offenheit der Streifenarbeit wird auf der gegenüberliegenden Wand des Raumes von zwei Bildern aufgefangen. Im Kontrast zu dem 300 auf 250 cm großen abstrakten Bild “Fels” (694) hängt das 55 auf 50 cm kleine Bild „Schädel“ (548-1) . Das farblich sehr zurückgenommene Gemälde erinnert mit seinem Motiv an die Memento Mori-Stillleben des Barock. Vielmehr aber noch führt das Kontrastpaar die Spannweite des malerischen Œuvre Gerhard Richters eindrucksvoll vor Augen.
Quelle: http://gra.hypotheses.org/1342
Walker Evans. Ein Lebenswerk

„Du beginnst mit deiner Kamera Menschen auszuwählen. Das ist zwanghaft, und man kann es nicht stoppen. Ich denke, alle Künstler sind Sammler von Bildern.“ (Art in America, März-April 1971: Interview with Walker Evans by Leslie Katz)
Der US-Amerikaner Walker Evans (1903-1975) kam über Umwege nach einem abgebrochenen Literaturstudium Ende der 1920er-Jahre in New York zur Fotografie. Das Wirtschaftsmagazin „Fortune“ publizierte ab 1934 über 400 Bilder von Evans in 45 Artikeln und beschäftigte ihn von 1945 bis 1965 als Bildredakteur und Fotografen. Seine frühen Fotoserien zur Viktorianischen Architektur und Bilder von Auftragsreisen nach Tahiti und Kuba fanden große Beachtung, sodass 1938 die erste monografische Ausstellung des Museum of Modern Arts zu „Walker Evans: American Photographs“ in New York stattfand.
Walker Evans: Pabst Blue Ribbon Sign, Chicago, Illinois, 1946.
Walker Evans nahm eine Vorreiterrolle in der Fotografie des „dokumentarischen Stils“ ein, die sich durch Zurückhaltung und ein Gespür für nicht inszenierte Posen auszeichnet. Insbesondere viele Fotografen der 1960er- und 70er-Jahre wie Helen Levitt, Robert Frank, Diane Arbus und Lee Friedlander wurden durch ihn stark beeinflusst.
Die Ausstellung „Walker Evans. Ein Lebenswerk“ zeigt 200 Originalabzüge des Fotografen von 1928 bis 1974 und ist vom 25. Juli bis zum 9. November 2014 im Martin-Gropius Bau in Berlin zu besuchen. Sie wird im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie von den Berliner Festspielen gezeigt und wurde von der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur, Köln, bereitgestellt.
Der amerikanische Kunsthistoriker und ehemalige Kurator am Cincinnati Art Museum James Crump präsentiert in der Ausstellung die Anfänge und Entwicklungen in Evans Karriere und zeigt neben den Höhepunkten auch unveröffentlichte Arbeiten. Diese erste große Retrospektive von Walker Evans in Deutschland war 2013 schon in Köln, Linz und Amsterdam und ist nun in Berlin zu sehen. Der Direktor des Martin-Gropius-Baus Gereon Sievernich sprach bei der Eröffnung von einem „Traumprojekt“ und erwähnte in diesem Zusammenhang besonders die Förderung durch den Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV).
Nach Walker Evans Tod 1975 übernahmen das Metropolitan Museum of Art und das Getty Museum die Nachlassverwaltung, wozu u.a. Korrespondenzen und Sammlungen von Postkartenansichten, Werbung und Reklameschilder gehören. Die Fotos der Ausstellung stammen aus der Privatsammlung von Clark und Joan Worswick, der Sammlung Ulla und Kurt Bartenbach aus Köln sowie aus der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln und dem Ibero-Amerikanischen Institut Preußischer Kulturbesitz aus Berlin. Um sein Werk aus insgesamt 46 Arbeitsjahren zu erhalten, hat die Familie Worswick seit 1976 Evans Originalabzüge gesammelt, die bereits seit 1974 von ihm an Kunsthändler verkauft worden sind.
Walker Evans: Façade of House with Large Numbers, Denver, Colorado, August 1967
Die Ausstellung zeigt neben den fotografischen Anfängen in New York Ende der 1920er-Jahre auch die Fotoserie, die den Verfall der Viktorianischen Architektur dokumentiert und so einen langsam verschwindenden amerikanischen Lebensstil zeigt.
Evans sachliche Aufnahmetechnik kommt insbesondere in den Schwarz-Weiß-Aufnahmen seiner botanischen Studien, der Serie „Beauties of the Common Tool“ (1955, Fortune) und den Fotos zur „African Negro Art“ im MoMA von 1935 zur Geltung. Weitere Fotoaufträge realisierte er in den 1930ern auf einer Kreuzfahrt nach Tahiti, bei der auch sein einziger Film „Travel Notes“ entstand. Während seiner dreiwöchigen Kubareise im Auftrag des Verlegers J.B. Lippincott machte er 31 Fotos, die im Buch „The Crime of Cuba“ von Carleton Beals 1933 erschienen. Er fotografierte die Alltagskultur und Atmosphäre Havannas mit unverfälschtem Blick auf das echte Straßenleben.
Walker Evans: Girl In French Quarter, New Orleans, Februar – März 1935
Im Auftrag der Resettlement Administration, später Farm Security Administration, entstand sein umfangreichstes Werk mit über 200.000 Bildern, die zum Thema Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre den Status von Ikonen erlangten. Von 1935 bis 1937 reiste Evans in den Süden der USA und fotografierte neben neuklassizistischer Architektur auch lebensnahe Porträts. Anlässlich Roosevelts „New Deal“ sollte eine fotografische Dokumentation der sozialen und wirtschaftlichen Lebensumstände gerade auf dem Land nach der „Großen Depression“ entstehen.
Walker Evans: Barn, Nova Scotia, 1969 – 1971
Zu den Motiven gehörten Wohngebiete, Fabriken, Scheunen, Friedhöfe, einfache Behausungen der Handwerker und Bergleute, Straßenfeste, Interieurs, Siedlungen und Straßenszenen in den Bundesstaaten Louisiana, Georgia, Massachusetts, Mississippi, Alabama, West Virginia und Florida. Die Fotos vermitteln nicht nur die Not und Armut der Bevölkerung, sondern dokumentieren vorwiegend ihr Alltagsleben, die ländlichen Traditionen und die Atmosphäre, die bis heute das amerikanische Bildgedächtnis an die „Große Depression“ prägen. In diesem Zusammenhang entstanden die Buchpublikationen „Let Us Now Praise Famous Men“ (mit dem Schriftsteller James Agee) von 1941 und „Many Are Called“ von 1966.
Zu Evans weiteren Arbeiten zählen die Subway-Porträts von 1938. Walker Evans fotografierte mithilfe einer 35mm-Contax Knopflochkamera und einem Drahtauslöser am Ärmel die Passanten in der New Yorker U-Bahn. Die Motive und Fahrgäste wirken nachdenklich, introvertiert und träumerisch. Seine Polaroids aus den 1970er-Jahren sind leider nicht im Martin-Gropius-Bau ausgestellt. Sie zeigen vor allem Evans Leidenschaft für Werbe- und Reklameschilder. Walker Evans Karriere spiegelt somit neben der ständigen Präsenz bestimmter Themen, wie Arbeitslosigkeit, Architektur und Amerikas Süden, auch eine Interessenerweiterung wider, die im Martin-Gropius-Bau in drei Ausstellungsräumen neu entdeckt werden kann.
Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung “Walker Evans. Ein Lebenswerk” im Martin-Gropius-Bau
Kurzbiografie
1903 Geboren in St. Louis, Missouri, USA
1922-1924 Phillips Academy, Andover, und Williams College, Williamstown, Arbeit in der NY Public Library
1926 Paris-Aufenthalt, erste Fotografien
1928-1930 New York, erste Veröffentlichungen in „The Bridge“ von Hart Crane
1931 Serie über Viktorianische Häuser
1932 Schiffsreise nach Tahiti
1933/34 Reise nach Kuba und Fotos für das Buch „The Crime of Cuba“ (1933) von Carleton Beals. Erster Auftrag für das Wirtschaftsmagazin „Fortune“. Das MoMA zeigt die Ausstellung „Photographs of the 19th-Century Houses” mit 39 Evans-Fotografien
1935-1937 Kooperation mit der Resettlement Administration/Farm Security Administration (FSA)
1939 Retrospektive „Walker Evans. American Photographs“ im MoMA (nochmal 1962). Porträts von Fahrgästen in der New Yorker Subway
1940/41 Buch-Publikation „Let Us Now Praise Famous Men“ über drei Pächterfamilien in Alabama mit Texten von James Agee und Evans Fotos von 1936 aus Hale County
1945-1965 Anstellung bei dem Wirtschaftsmagazin „Fortune“
1947 Retrospektive im Art Institute of Chicago
1964/65-1972 Professur für Graphic Design, Yale University, New Haven
1966 Buch „Many Are Called“ und Portfolio „Message from the Interior“. MoMA-Ausstellung „Walker Evans. Subway Photographs“
1969 Fotografiert bei Robert Frank in Nova Scotia, Kanada
1971-1973 Retrospektive im MoMA und Wanderausstellung. Fotos mit Polaroid SX-70
1975 Verkauf der Abzüge. Tod in New Haven, Connecticut
Walker Evans. Ein Lebenswerk
Ausstellung im Martin-Gropius-Bau
25. Juli-9. November 2014
Veranstalter: Berliner Festspiele. Eine Ausstellung der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln, aus der Sammlung von Joan und Clark Worswick. Gefördert durch den Sparkassen-Kulturfonds des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, die Berliner Sparkasse und die Sparkasse Köln-Bonn. Im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie Berlin.
Kurator: James Crump
Quelle: http://www.visual-history.de/2014/09/30/walker-evans-ein-lebenswerk/
Ausstellung zu Milena Jesenská in Prag
Der Direktor und seine Kanone – Katastrophale Ausstellung zum Ersten Weltkrieg im…
Das HGM hatte 5 Millionen Euro zur Verfügung, um die Ausstellungsräume 'Erster Weltkrieg' zu erneueren. Eine Chance wurde vertan. (...) Radetzky, Gottvater des österreichischen Militarismus, scheint mit seiner Präsenz das Einsickern zivilen Geistes ins Arsenal zu überwachen. Die Military-Modeschau - Vitrinen voller fesch herausgeputzter Ulanen, Dragoner, Militärgeistlicher, Pioniere, Infanteristen, Militärrechnungsbeamter, Landesschützen oder Gardewachtmeister - nimmt die Hälfte der Fläche ein. (...) Keinem Besucher, keiner Besucherin entgeht, was der eigentliche Hochaltar der Weltkriegsausstellung im Arsenal ist. Es ist die plankgeputzte, 80 Tonnen schwere 38-cm-Haubitze aus den Pilsener Skodawerken, die vom Rapidplatz aus das Horr-Stadion beschießen hätte könne, um die Reichweite zu veranschaulichen. Ein großer Teil der Kosten für die Neugestaltung des Teils zum Ersten Weltkrieg wurde für die Absenkung des Museumsniveaus verwendet. Erst dadurch ereichte man eine Saalhöhe, die nötig war, um die Haubitze in voller Pracht aufzustellen. (...) Wenn dieses letztlich versagende Unding den Hochaltar abgibt, so bilden das Sarajewo-Attentats-Originalauto (...) und Albin Egger-Lienz' berühmtes riesigformatiges Kriegspropagandagemälde 'Den Namenlosen 1914' quasi die Seitenaltäre.
Ob ein alternativer Besuch im HGM trotz dieser musealen Katastrophe erkenntnisbringend sein kann? Der Historiker Hans Hautmann wird es im Rahmen einer vom Aktionsradius Wien am 3.10.2014 veranstalteten Stadtflanerie versuchen, nähere Infos unter http://aktionsradius.at/gaussplatzelf/2014/09/aktionsradius_sept-dez2014_page_03.jpg
Scheinwelten und Publikationsverbot

Schwitzende Werkarbeiter in der DDR, Menschen im Porträt, Bilder als kombinierte Triaden, die ihnen einen neuen Sinn geben – die aktuelle Werkschau des Berliner Fotografen Ludwig Rauch erzählt im Cottbusser Dieselkraftwerk Geschichte und Geschichten. Es geht um die DDR, um Menschen und ihre Biografien: sichtbar gemacht in Porträts und Serien. Das Altern, der Tod und vor allem das Leben sind Motive in Rauchs Werkschau, die er unter dem Titel Noch ein Leben zusammenfasst. Auf drei Etagen begegnen die Ausstellungsbesucher unterschiedlichsten Arbeiten, die auf teilweise überraschende Weise zusammengehören.
Vom 19. Juni bis zum 2. November 2014 ist die Ausstellung in der Lyonel-Feininger-Galerie in Quedlinburg zu sehen.
In einem Interview mit zwei Berliner Studentinnen spricht Ludwig Rauch über seine Arbeit in der DDR, über Flüchtlinge im Libanon und seine beruflichen Visionen.
Meike Dreckmann und Maja Schubert: Herr Rauch, als Studierende des Masterstudiengangs Public History beschäftigen wir uns an der Freien Universität Berlin u.a. mit Theorien und Methoden der Visual History. Bilder können demnach in der Geschichtswissenschaft sowohl als Quellen als auch als eigenständige Objekte der historischen Forschung betrachtet werden. Wie können Ihre Bilder zur Geschichtsvermittlung genutzt werden?
Ludwig Rauch: Sehr vielfältig. Es gibt natürlich aus historischer Sicht eine ganze Reihe von Aufnahmen, die unwiederbringlich sind. Diese Fotografien zeigen Ausschnitte aus der Wirklichkeit, die man sowohl zur Forschung heranziehen als auch ästhetisch betrachten könnte. Und das kann durchaus auch tiefer ausgelotet werden. Es gibt eine ganze Reihe von Bildern, an denen man sehen kann, wie die Verhältnisse an diesem Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt waren. Anhand dieser Bilder lässt sich eine ganze Reihe von Fragen stellen.
M.D. und M.S.: Die Bilder stellen Fragen, aber können sie auch erklären?
L.R.: Das ist schwierig. Vielleicht ist es eine Mischung aus Herz und Verstand. Ein gutes Bild spricht mehrere Sinne an, sowohl über das Sehen als auch über das Nachdenken. Die Fotografie birgt in sich die Möglichkeit einer hohen Authentizität, es ist dabei jedoch immer entscheidend, wer hinter der Kamera steht. Wie authentisch Bilder beispielsweise aus der Kriegsberichterstattung sind, aus Krisengebieten, da muss man sich zum Teil auf den Fotografen verlassen, der diese Bilder gemacht hat.
M.D. und M.S.: Wo beginnt für Sie die Manipulation von Bildern? Wenn man als Fotograf auswählt, welche Menschen oder Momente man zeigen möchte, die Anordnung der Menschen eventuell verändert – ist das Manipulation?
L.R.: Auf eine gewisse Weise ist es Inszenierung. Natürlich wird in dem Moment eingegriffen, in dem ich als Fotograf festlege, von wo aus ich das Bild mache und was ich darauf haben möchte. Insofern ist es mein Bild und meine Verantwortung, daraus ein gutes Foto zu machen, und fernab davon, manipulativ zu sein. Für mich wäre es aber eine Manipulation, zu sagen: „Du nicht“, oder jemand anderen dazu zu nehmen, beispielsweise drei hübsche Mädchen aus der Kantine, um das Bild der dreckigen Brigadearbeiter etwas anderes aussagen zu lassen. Das hat es ja in der DDR durchaus gegeben.
Es gab heftige Diskussionen über das World Press Photo des Jahres 2012.[1] Der Fotograf hat die Lichtverhältnisse verändert und damit die Szene dramatisiert. Er hat aber nichts an der Grundaussage des Bilds verändert. Lichtsituationen wurden in der Fotografie schon immer verstärkt. Früher wurden beispielsweise Gelbfilter vor die Linse geschraubt, um den Himmel schwarz und die Wolken weiß erscheinen zu lassen.
M.D. und M.S.: Die Veränderung der Lichtverhältnisse kann ja auch zu einer Emotionalisierung der Bilder führen, die vorher so nicht gegeben war.
L.R.: Genau. Es existiert keine Definition, ab welchem Moment das Bild eine neue Aussage bekommt. Aber Sie können davon ausgehen, dass mehr oder weniger jedes Bild, das Ihnen in gedruckter Form begegnet, bearbeitet ist.
M.D. und M.S.: Auf Ihre Fotografien der Brigade Karl Marx reagierten die Verantwortlichen in der DDR mit einem generellen Publikationsverbot für Sie. Haben Sie damit gerechnet? Wie haben Sie darauf reagiert?
L.R.: Ich konnte es mir nicht vorstellen, ich war völlig verwirrt. Ich hatte mir aus meiner Sicht die allergrößte Mühe gegeben, die Arbeiter der Brigade Karl Marx so darzustellen, wie sie sind – mit ihrer Würde, der schweren Arbeit, die sie haben. All das habe ich versucht, in den Bildern auszudrücken, und ich hatte auch das Gefühl, eine gute Arbeit geleistet zu haben. Dementsprechend war ich entsetzt, als mir gesagt wurde, dass die Bilder nicht veröffentlicht werden. Auf der anderen Seite hatte ich ja schon genügend Erfahrungen mit diesem Staat gemacht, die mich hatten aufhorchen lassen. Aber das hat dem Fass den Boden ausgeschlagen. Natürlich war das für mich auch deshalb eine sehr schwierige Situation, weil mir als Fotograf von einer Minute zur anderen die Möglichkeit entzogen wurde, Geld zu verdienen.
M.D. und M.S.: Wie haben Sie dann bis 1989 Ihr Geld verdient?
L.R.: Ich habe für viele Künstler Reproduktionen gemacht. Und dann hatte ich Kontakt zu einer Agentur in Westdeutschland, für die ich heimlich gearbeitet habe. Das kann man alles in meiner Stasi-Akte nachlesen, die sehr umfangreich ist. Die Jungs haben das leider alles gewusst, was mir nicht klar war. Aber ich habe mehrere Jahre die DDR fotografiert. Die Filme wurden dann bei mir abgeholt und in Westdeutschland entwickelt. Erst später habe ich gemerkt, dass damit ganze Bildbände herausgegeben wurden. Meine erste Doppelseite im „Stern“ hatte ich 1986, ohne dass ich davon wusste.
M.D. und M.S.: Das hat die Stasi nicht unterbunden?
L.R. Sie wollten es. Ich wurde sehr intensiv bespitzelt. Aber da sind ganz kuriose Dinge passiert, das ist heute schon etwas lächerlich. Mein Kontakt zu der westdeutschen Agentur lief über eine Telefonzelle, und aufgrund der schlechten Tonqualität konnte die Stasi meine Stimme nicht einwandfrei zuordnen. Aber es war fürchterlich, weil mehrfach versucht wurde, mich zu einer Zusammenarbeit zu zwingen. Das habe ich aber abgelehnt.
M.D. und M.S.: Auf so eine Verweigerung wurde ja auch häufig mit einer Festnahme und U-Haft reagiert.
L.R.: Das war als Maßnahme vorgesehen. Man wollte mir dann die Pistole auf die Brust setzen, so steht es in meiner Akte. Aber ich hatte 1986 mein zweites Studium in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst begonnen. Also war ich plötzlich dort, und meine Akte war noch in Berlin. Es hat gedauert, bis man das mitbekommen hat. Ich war natürlich auch ein ganz unauffälliger kleiner Fall. Es gab ja die Bürgerrechtsbewegung, Leute, die politisch viel aktiver waren.
M.D. und M.S.: Würden Sie sagen, dass Bilder – wie die der Brigade Karl Marx – eines diktatorischen Staats automatisch regimekritisch sind, weil sie die Realität abbilden?
L.R.: Nein, nein. Der Mensch läuft doch nicht durch die Welt und ist jede Sekunde lang gepeinigt vom Regime. Der normale Mensch lebt sein Leben, egal, wo er ist, und er versucht so gut, wie es ihm irgendwie möglich ist, sich und seine Familie zu ernähren und voranzukommen. Und wenn die Bilder das zeigen, sind sie nicht automatisch regimekritisch. Wenn ich aber sage: „Ja, wir leben in einem tollen Land. Uns gehts allen gut, wir haben alle Arbeit, wir sind alle gesund, wir machen alle alles richtig“ – das kann nicht stimmen. Das stimmt ja nirgendwo.
M.D. und M.S.: Noch eine Frage zu Ihrem Publikationsverbot: Hätten Sie die Bilder noch einmal gemäß den genauen Vorstellungen der Partei aufgenommen? Auch in Hinblick auf den finanziellen Druck, unter dem Sie standen?
L.R.: Niemals. Nie. Das hätte ich nicht nur, das habe ich auch abgelehnt. Bessere Bilder hätte ich nicht machen können. Und wer die nicht haben will, hat eben Pech gehabt. Finanziell konnte man in der DDR nicht wirklich unter Druck gesetzt werden. Man brauchte zum Überleben nicht allzu viel. Essen zu kaufen und ein Dach über dem Kopf zu haben, war mit so wenig Geld möglich. Insofern war man da eigentlich nicht korrumpierbar. Ein bisschen anders als heute.
M.D. und M.S.: Was würden Sie fotografieren, wenn Sie vollständig unabhängig wären?
L.R.: In den nächsten Jahren würde ich mich gerne mit dem Thema Flüchtlinge beschäftigen; ich könnte mir auch eine größere Arbeit dazu in Zusammenarbeit mit verschiedenen internationalen NGOs vorstellen.
M.D. und M.S.: Was hat Sie dazu bewogen?
L.R.: Es ist für mich unerträglich, wie wir mit diesem Thema umgehen. Nur ein Beispiel: Im Libanon leben vier Millionen Libanesen. Und innerhalb von zweieinhalb Jahren sind eine Million Flüchtlinge in dieses Land gekommen. Das ist die Realität. Das kann man sich nicht vorstellen, an der Straße befinden sich dort rechts und links Flüchtlingscamps. Jeder fünfte Mensch in diesem Land ist inzwischen ein registrierter Flüchtling mit vielen Kindern, die alle keine Schulausbildung erhalten. Ich bin mit einer wirklich großen Anzahl an interessanten Bildern nach Deutschland zurückgekommen. Ich habe die Bilder dem „Stern“ angeboten, der „Zeit“ angeboten, der „Süddeutschen“, der „FAZ“, und alle haben abgelehnt: „Ach, das hatten wir gerade erst schon.“ Als sich unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor kurzem in diesen Flüchtlingscamps umsah, konnten wir dann „schöne Bilder“ in den Medien sehen. Dabei ist mir klar geworden, worüber wir berichten: immer nur über Ausgewähltes. Wir gehen den Sachen nicht nach, und vielleicht sind die Bilder eine Möglichkeit, ein Stück von dieser Wahrheit zu zeigen. Ob es funktioniert, weiß ich nicht. Aber jedenfalls habe ich mir vorgenommen, mein Augenmerk wieder mehr auf solche Themen zu richten und den schönen blühenden Baum für sich blühen zu lassen. Der muss ja nicht unbedingt noch mal fotografiert werden.
M.D. und M.S.: Gibt es noch jemanden, den Sie gerne einmal fotografieren würden und den Sie bisher nicht vor die Linse bekommen haben?
L.R.: Gerhard Richter. Ich habe ja nun viele große Künstler fotografiert, aber mit Gerhard Richter hat es bisher nicht geklappt. Ich habe aber auch merkwürdigerweise nie richtig versucht, ihn zu fotografieren, ich weiß auch nicht, warum. Es ist vielleicht schwierig, aber es gibt Bilder von ihm. Also ihn würde ich wahnsinnig gerne mal fotografieren.
M.D. und M.S.: Herr Rauch, schön, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben. Vielen Dank dafür!
Das Interview fand im Rahmen einer Übung im Sommersemester 2014 an der Freien Universität Berlin statt. Das Thema der Übung lautete Fotografie und Geschichte. Entstehung, Manipulation und Vertrieb von Bildern im 20. und 21. Jahrhundert. Die Übung ist ein Modul des Masterstudiengangs Public History an der FU Berlin und wurde von Dr. Annette Schuhmann geleitet.
Ludwig Rauch, Noch ein Leben
Ausstellung vom 20. Juni bis 2. November 2014 in der Lyonel-Feininger-Galerie Quedlinburg
Ludwig Rauch (*1960)
Von 1986 bis 1989 Studium der Fotografie bei Arno Fischer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst
Ab 1986 Publikationsverbot für alle „journalistischen Medien“ der DDR
1989 Übersiedlung nach Westberlin
1991 gemeinsam mit Matthias Flügge und Michael Freitag Gründung der Kunstzeitschrift Neue Bildende Kunst
Arbeiten für den „Stern“, „Tempo“, „Zeit“ und „Spiegel“
1992 Beginn der gemeinsamen Arbeit mit dem Maler Johannes Ulrich Kubiak (Kubiak & Rauch). Im Jahr 2006 beendeten Kubiak & Rauch die gemeinsame Arbeit.
Ab 2009 Dozent an der Ostkreuzschule Berlin
Quelle: http://www.visual-history.de/2014/08/25/scheinwelten-und-publikationsverbot/
Was macht den Menschen aus?
ARCHIV-AUGUST 2022
Die Visual History-Redaktion nutzt den Monat August, um interessante, kluge und nachdenkenswerte Beiträge aus dem Visual History-Archiv in Erinnerung zu rufen. Für die Sommerlektüre haben wir eine Auswahl von acht Artikeln getroffen – zum Neulesen und Wiederentdecken!
(5) Vielleicht plant ja die eine oder der andere eine Urlaubsreise nach Luxemburg. Unbedingt zu empfehlen ist dabei der Besuch von Château Clervaux. Seit 1994 beherbergt es die „Family of Man“-Ausstellung, die 1955 im Museum of Modern Art in New York Premiere feierte, in den folgenden sieben Jahren durch die ganze Welt reiste und in 150 Museen gezeigt wurde. Edward Steichen, damaliger Leiter der Fotoabteilung des MoMA und Kurator der Ausstellung sowie gebürtiger Luxemburger, hatte sich für die permanente Installation im Château Clervaux ausgesprochen. Sein Anliegen war es, in der Nachkriegsära und der Zeit des Kalten Kriegs mittels Fotografien „dem Menschen die Menschheit zu erklären“.
[...]
Quelle: https://visual-history.de/2022/08/22/was-macht-den-menschen-aus/
Regards sur les ghettos

Ghetto Lodz, ca. 1940-1944, Hans Biebow, Leiter der NS-Verwaltung des Ghettos Litzmannstadt, und ein unbekannter jüdischer Mann
Foto: Walter Genewein
Im Pariser Mémorial de la Shoah ist noch bis Ende September 2014 eine Visual History der Ghettos zu sehen. Die Sonderausstellung „Regards sur les ghettos“ zeigt über 500 Ghetto-Fotografien in Schwarz-Weiß und Farbe aus drei Kameraperspektiven: die der jüdischen Ghetto-Insassen, die der deutschen Soldaten und der deutschen Propagandakompanien. Bei jeder einzelnen Fotografie versuchen die Ausstellungsmacher, den Fotografen zu benennen, seine Motivation und die genauen Umstände der Aufnahme zu klären sowie Aussagen zur Überlieferungsgeschichte zu liefern, ja selbst das Modell und die Besitzverhältnisse des Fotoapparates zu kennzeichnen.
Die eindrucksvolle und bislang einmalige Gesamtschau der Ghetto-Fotografie wurde im November 2013 von der deutschen Botschafterin in Frankreich feierlich eröffnet. Die Ausstellungsgestalter und Kuratoren, zu denen auch der Holocaustüberlebende Roman Polański gehörte, entschieden sich in der Ausstellungsgestaltung meist für vergrößerte Reproduktionen der Fotografien, die nach Ghetto-Orten und Fotografen gruppiert frei von Deckenschienen herabgehangen wurden.
Das Mémorial hat eine eigene Internetseite zur Ausstellung gestaltet, die ansprechend, funktional und informativ Inhalte und Fotografien wiedergibt sowie Informationen zu dem umfangreichen wissenschaftlichen Begleitprogramm der Exposition enthält. Der aufwändig gestaltete Katalog dürfte die bislang größte Fülle an Ghetto-Fotografien nebst Informationen zu ihrer Entstehungs- und Überlieferungsgeschichte aufweisen und könnte neue Forschungsimpulse gerade für die Geschichte kleinerer, unbekannterer Ghettos liefern.
Siehe zur Ausstellung und zum Katalog auch die Rezension von René Schlott auf H-Soz-u-Kult vom 12.4.2014
Mémorial de la Shoah Musée, Centre de documentation: Regards sur les ghettos. Scenes from the Ghetto, 13.11.2013-28.09.2014, Paris
Quelle: http://www.visual-history.de/2014/07/15/regards-sur-les-ghettos/
Regensburg im Ersten Weltkrieg. Schlaglichter auf die Geschichte der Donaustadt zwischen 1914 und 1918. Ausstellung in der Staatlichen Bibliothek Regensburg
Die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges auf Regensburg waren scheinbar nur gering. Die Stadt präsentierte sich ihren Besuchern als „still“ und „zeitlos“. Einen Eindruck vom „stillen“ Regensburg des Jahres 1917 gibt der Romanist Viktor Klemperer in seiner 1940/41 niedergeschriebenen Autobiographie:
„Den allerletzten Ferientag nutzten wir für Regensburg. Wir besichtigten die Stadt ganz unabgelenkt von allen Kriegsgedanken. Freilich ist (oder war?) Regensburg die zeitfernste aller deutschen Städte. ‚Eine wunderbare, eine absolut zeitlose Steinmasse‘, notierte ich mir unter dem ersten Eindruck, ‚ohne alle Verbindung mit der Gegenwart.‘ Nirgends moderne Stadtteile oder auch nur einzelne Häuser, nirgends Wachstum, Verkehr, Fremdenzustrom. Um Alt-Braunschweig zieht sich eine moderne Stadt, um Alt-Regensburg gar nichts. Völliger Stillstand, auch nicht die Belebtheit eines Museums. [...] Ein ineinandergezahnter Block aus festen Häusern mit hohen Giebeldächern, aus Renaissancepalazzi, aus festungsartigen Kirchen mit eckigen Türmen, riesig über dem steinernen Block mit all seinen Türmen hinausragend der steinerne Dom, schwer steinern zu seinen Füßen die vielbogige uralte Brücke über den Strom. Auffallend viele Turmuhren. Es ist, als sollte betont werden, auch hier stehe die Zeit nicht still. Aber sie steht versteinert still.“
Betrachtet man Ansichten der Domstadt aus jener Zeit, so glaubt man Klemperers Einschätzung bestätigt zu sehen. Doch auch auf Regensburg wirkte der Waffengang, die „Ur-Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts (Georg F. Kennan), in erheblichem Maße.
Wenn im Gedenkjahr 2014 in der Staatlichen Bibliothek Regensburg eine kleine Ausstellung samt Begleitband mit Schlaglichtern zur Geschichte des Ersten Weltkrieges in Regensburg vorgestellt werden kann, so hat dies weniger mit den Zufälligkeiten eines solchen Jubiläums, sondern vielmehr mit dem Regensburger Maler Otto Zacharias zu tun. Dessen Nachlass ruht nun in der Staatlichen Bibliothek Regensburg und steht hier der Forschung zur Verfügung. Der Regensburger Maler Zacharias erlebte den Krieg wie Millionen andere Soldaten und verarbeitete ihn auch künstlerisch, auf seine ganz eigene Weise. Bewegend sind auch die Kinderzeichnungen seines Sohnes Kurt Zacharias, die zeigen, wie sehr auch die Kinder von diesem Krieg betroffen waren. Neben weiteren Dokumenten, Bildern, Zeitungsberichten und Gegenständen, welche helfen sollen, schlaglichtartig die Geschichte des Ersten Weltkrieges für Regensburg zu erhellen, wird auch eine moderne Installation des Regensburger Künstlers Oleg Kuzenko gezeigt, die eindrucksvoll vor Augen stellt wie man sich auch heute künstlerisch mit diesem Thema auseinandersetzen kann.
Die Ausstellung ist vom 10.07. bis 31.08.2014 im Foyer der Staatlichen Bibliothek Regensburg zu sehen.
Die Ausstellung wird am 10. Juli 2014 um 20 Uhr eröffnet. Nach der Begrüßung und Einführung in die Thematik durch den Bibliotheksleiter, Dr. Bernhard Lübbers, spricht Dr. Jörg Zedler von der Universität Regensburg über das „Augusterlebnis“ 1914 in Regensburg.
Der Eintritt ist frei, um Anmeldung per E-Mail (info_AT_staatliche-bibliothek-regensburg.de) oder per Telefon (0941 630806-0) bis 07.07.2014 wird gebeten.
Zur Ausstellung erscheint ein reichillustrierter Begleitband, der in der Bibliothek selbst bzw. im Buchhandel für 19,90 € erworben werden kann:
Namhafte Autoren haben darin die Geschichte Regensburgs während des Ersten Weltkrieges in Einzelaspekten in den Blick genommen.
Bernhard LÜBBERS/ Stefan REICHMANN (Hg.), Regensburg im Ersten Weltkrieg. Schlaglichter auf die Geschichte einer bayerischen Provinzstadt zwischen 1914 und 1918 (Kataloge und Schriften der Staatlichen Bibliothek Regensburg 10) Regensburg: Dr. Peter Morsbach Verlag 2014; 192 S.: zahlreiche Ill.; ISBN 978-3-937527-76-5
Das Buch enthält folgende Beiträge:
Bernhard LÜBBERS, Schlaglichter auf Regensburgs Geschichte im Ersten Weltkrieg. Eine Einführung, S. 9-15.
Georg KÖGLMEIER, Regensburg im Ersten Weltkrieg. Ein Überblick, S. 17-35.
Jörg ZEDLER, Zwischen Neugierde und Verunsicherung, Angst und aggressivem Patriotismus: Das Augusterlebnis 1914 in Regensburg, S. 37-86.
Peter STYRA, „… Und den Räten ein Automobil…“. Das Haus Thurn und Taxis im Ersten Weltkrieg, S. 87-104.
Bernhard LÜBBERS, „Segne die Waffen unserer Brüder.“ Die Hirtenbriefe des Regensburger Bischofs Antonius von Henle aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, S. 105-118.
Isabella von TRESKOW, Captif je suis… Gefangenschaft und kulturelles Leben französischer Soldaten im Ersten Weltkrieg in Regensburg, S. 119-137.
Dominik BOHMANN, Das Kriegsgefangenenlager am Unteren Wöhrd während des Ersten Weltkrieges, S. 139-153.
Stefan REICHMANN, Otto Zacharias (1876-1952). Großkrieg in kleinen Bildern und Skizzen, S. 155-172.
Stefanie KUFFER, Kurt Zacharias (1908-2004). Kinderzeichnungen an den Vater, S. 173-182.
Wolfgang von SEICHE-NORDENHEIM, Eine Warnung, die (k)einer ernst nahm, S. 183-190.